Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 33 / 19 € 16,–
LICHTFABRIK
HALOTECH
Foto: Günter Richard Wett
BAUSTILLE
Baustelle Haus Be, Igls; Architekt: Christian Höller
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Inhalt
Werner Feiersinger, Cover
Lukas Kummer 4 Inhalt 5
Ich bin eine ehrliche Autorin, nur chronologisch verwirrt Landvermessung No. 5, Sequenz 5, Von St. Magdalena nach Schluderbach Raphaela Edelbauer bindet eine Zeitschleife unter höchst unwirtlichen Umständen.
56–69
Fließtext Von Ann Cotten
Claudia Hirtl Originalbeilage Nr. 32
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Geschichten vom Alpenkrieg Orgeln pfeifen für Helden. Schiffe überqueren die Alpen. Und dergleichen mehr – zusammengetragen von Alexander Kluge
73–83
Marginaltext (6): Mutter, Vater, Gott „Trüge Gott doch wieder weiße, seidene Strümpfe“ und weitere Kurzprosa des früh verstorbenen Peter Wallner
85–89
Halotech Lichtfabrik
Wo Lech ins Licht schaut Ortstermin im Lichtraum von James Turrell am Arlberg von Marlene Groihofer
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7–9
11–17
Das Studio ist der Raum der Innenschau Patricia Grzonka besucht Werner Feiersinger in seinem Wiener Atelier.
19–21
Atelier Werner Feiersinger
22–31
Jenseits der Stille Alexander Maria Dhom trifft den Komponisten Arvo Pärt im Glöckchenwald. mit PAPIER berauscht Generationsübergreifender Briefwechsel zweier Künstlerinnen mit Nachhall: Christine Ljubanovic und Esther Strauß treffen sich per Post. Gedicht ohne Worte Eine „Assemblage in Unordnung“, in die Luft geworfen von Valérie Favre
33–37
39–45
47–55
Koexistenzen Ineinanderbauen am Beispiel Fleimstal: Walter Niedermayr und PAUHOF Architekten verlegen eine Ausstellung ins Heft. 91–115 Der Sprache Selbstentzündlichkeit oder im Zwiebelzwerg keimt Kling Archiv-Achievements von Markus Köhle
117–123
Eigenwerbung
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Besetzung, Impressum
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Fließtext*
Von Ann Cotten1
Muren Murren Muřen 無женњ schen. zhen.
*
— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben. 1 In diesem Fall hat die Autorin auf Absätze als Maßnahmen zur Innehaltung bestanden. Als Begründung gibt sie an, dass sie auch als Skifahrerin immer wieder auf Buckeln kurz innehält, um sich zu orientieren und den Rausch der Abfahrt kognitiv transluzenter zu machen. 2 polnisches Gendering: alle für alle Geschlechter notwendigen Buchstaben in gefälliger Reihenfolge ans Wortende
In der Evolution der Sprachen wird oft r zu s oder umgekehrt, es wird verschliffen, oder es wechseln passive und aktive Perspektive. D macht dieses Geräusch vom tschechischen ř, wenn sie auf einem Bürostuhl oder Rollstuhl durchs Zimmer gleitet auf einer unfug-related Mission, wie dieser Satz von Joseph Conrad „like a she-goat on some unholy mission“, also wenn dieser Buchstabe im Raum erklingt, weißt du, es ist was los, jetzt geht was, jetzt geht was ab, eine neue Idee wird angegangen, etc. Nu. Wirst du gezogen, oder wirst du geschoben, schiebst du gar? Murrst du, oder zögerst du? Das hängt davon ab, ob du die Hände an den Kontrollen hast, oder eher mitgerissen wirst von etwas, zu dem du dir erst im Fall, im Fallen eine Meinung bildest. Der Einfluss einer Person kann sehr stark werden, ist vielleicht vergleichbar mit dem weichen Teil eines Käsekuchens, der auf dünnen Boden einer seriösen Künstlerpersönlichkeit fällt. Mich interessieren aber Murenschutzmaßnahmen. Auch Asphalt. Irrwitzige Asphaltierungen, zusammengehalten durch riesige Schraubzwingen. There are several incredible positions. Es wird tief in die Erde oder den Stein gebohrt, und irgendwann ist wahrscheinlich tief genug, um ein Gegengewicht zur Gelegenheit zu binden. Erfahrungswerte treffen auf Messwerte, die einander bestätigen, oder korrigieren. Interessant ist es, wenn man unten vorbeigeht an diesen riesigen Zurückhaltungsmaßnahmen, die auch im Alltag nicht weiter auffallen, wenn man damit aufgewachsen ist. Eine Frage, sind sie erkletterbar? Also sind sie so designt, dass sie dem Tritt helfen zu klimmen? Oder ist das keine Überlegung gewesen. Sind sie dauerhaft? Oder nur auf Zeit? Ganze Städte sind ja eigentlich auch unglaubliche Abdeckungsmaßnahmen, zum Teil, fragile Zufallsträgheiten, Bitumenteppiche. Darunter wird der Boden weggewaschen. Tote Ratten leben da. In Räumen zwischen soll und ist. Hallen. Palästen. Die Farbe von Muren ist bewunderungswürdig. So etwas Cremiges, Schweres, gut Durchmischtes. Schwarzer Sesampudding erinnert daran. Muren und Lawinen. Wie Milch und Kaffee. Lawinen sind auch oft sehr dreckig. In Miniatur zu beobachten an den Straßenrändern. Kleine Schulen der Physik. Yung Murn. Um auf die Kunst zurückzukommen. Eins führt zum anderen, eine gute Arbeit, ein glücksgeküsster Einfall, und man wird zum Maskottchen der Szene, die anderen wollen auch eine, die ökonomischen Dynamiken des Kunstmarkts führen dazu, dass Aufbau von Künstlernnnie2 wie der Vorbereitung von winning streaks dient, wie das Bauen von Hürden für Downhill-Biker, während sie parallel an ihren Skills feilen, sodass wenn die Chance kommt, es geht immer bergab, und da will man im richtigen Moment am richtigen Ende des Bergs sein. Aber dann bleibt es kurz darauf wieder stecken, wie auf der Rodel in zu tiefem Schnee, bei zu wenig steilem Gefälle. Du kannst keine schlechter bezahlten Aufträge mehr annehmen, du darfst keine Bilder mehr um 500 Euro verkaufen. Auf der Schattenseite des Bergs ist nur gut fläzen, wenn man Sonne im Herzen hat und Eltern am Konto.
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Altsein steigert sich in einen Feedbackknäuel. Daher braucht man Musen, um das auszubügeln, schwere, auf einen drauf fallende. Sprache ist Messer. Zacken. Man tritt falsch drauf und sie fährt einem ins Gesicht. Abschweifen zu anderen Unglücksfällen. Ohne Absätze ist es unmöglich zu schreiben, es ist ohne Skepsis auch eine Frage der fehlenden Motivation, Ekel zu überwinden, ich muss immer stehenbleiben, um zu kotzen, scheiß Buchstaben, dann geht es wieder weiter. Es gibt aber null Motivation, den Ekel vor schlechter oder sinnloser Textproduktion zu überwinden, null. Es wäre so, egal, begraben mich 1000 Tonnen Schnee, macht nichts, gute Nacht. Wer vor Entsetzen aber auch Reuegefühlen, Gefühlen der Peinlichkeit, die gegen alle Beruhiger und Beschwichtiger – nein, das Klima erwärmt sich nicht, nein, die, die dich nicht unendlich begehren, haben nicht Gründe dazu, sind Idioten, nein, deine Beschwichtiger sind nicht Abhängige, die dich in Watte hüllen, Yes-Men, die nicht einmal drauf lauern, dass du ihnen einen Platz unter der warmen Decke gibst, die nur aus Gewohnheit und aus demselben Narzissmus wie du ihrer Umgebung immer das Gefühl geben, charmant zu sein, auch wenn sie plump und ungeschickt ist, sind, ja, nein, nein. So auf die Nase gefallen also, und wartend auf die rettende Lawine, mitten im Sommer, es kommen nur trockentrainierende Skispringer eines physikalischen Experiments, die sich auf dich draufstapeln wie kleine Bleifiguren, Mikadostäbe, wo Mikado doch so etwas wie Prinzenanwärter war, Prinzenanwärter, ja warum nicht, any way the wind blows. Sollen sie kommen, Prinzenanwärter, Surfer auf dem Sprachunterschied. Nochmal umgefallen also, in die offenen Tore der Online-Auskünfte hinein, immer unschuldig wie ne Hummel-Figur, born yesterday, der Weg der Mandarine, ach, wieviel Kitsch-Quatsch blieb denn wohl noch von asiatischen Monarchien? Mikan, süße Zitrusfrüchte purzeln in Visionen durch heilige, wohl rote Tore, begraben mich, bitte, wie die Kugeln der Kinderbetreuungsanlagen, wie die heiligen Hallen von Pachinko, ich ein einziger Korb, ein Wäschekorb voller Geld, glückliche Fälle, glückliche Falle, der umfallende, umwerfende Zufall von Freunden von Freunden, von nichts anderem möchte ich begraben werden. Pinball Wizard. Das Glück, es schmeichelt dir, du könntest leben, du würdest gemocht. Du weißt, du bist von der Gunst des Glücks abhängig, auch in deinen Fähigkeiten. So leicht könnte alles plötzlich in 2D sein. Plötzlich könnte dich niemand verstehen. Du könntest plötzlich alt sein, alles, was du anfasst, irgendwie aus der Mode, deine Freunde mit anderem beschäftigt, und zu ängstlich, mit dir gesehen zu werden, es könnte ihre Karriere ruinieren, und sie gehen vorbei, und du willst sie stoßen wie Max Frisch, die Treppe hinunter, willst ihnen Worte zischen, die sie auch unsicher machen, die den Fluch weitergeben, aber du tust es nicht, du bist eine Mauer, die das Unglück staut. Du bist nicht mit Unglück assoziiert. Erst wenn dein Leben so aufquillt, dass es den Asphalt sprengt, die Schrauben aus dem schon nicht mehr Stein zu nennenden Material springen, und sich der ganze Inhalt des Bergs auf das blöde glückliche Dorf ergießt, sehen sie, wovor du sie die ganze Zeit bewahrt hast. Eine mechanische Schreibmaschine läuft mit ihrer Schwere gegen eine nicht loszulassende Kontrolle, die daher kommt, dass nichts sich von selbst kontrolliert, aber die Schwerkraft ist verlässlich. Wer sich gegen sie in den Tag stemmt, trainiert ganz ohne Absicht. Die Trägheit, meinerseits, ist die der Luft, hier wächst nichts, nur vom Boden herauf. Weil hier in der Luft, hier kann.
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Wo Lech ins Licht schaut
Seit wenigen Monaten kann man in Lech am Arlberg einen künstlerischen Blick nach oben wagen: auf 1780 Meter Seehöhe, in einem sogenannten „Skyspace“ von James Turrell. Der amerikanische Künstler entwirft spezielle Lichträume, in denen er die Besucherinnen und Besucher durch ein Loch in den Himmel schauen lässt – und geschickt mit ihrer Wahrnehmung spielt. Marlene Groihofer hat den alpinen Skyspace bei winterlichen Bedingungen aufgesucht.
Weiß, weiß, weiß strahlt es durch die Busfenster. Die Scheibenwischer bewegen sich rhythmisch von links nach rechts und wieder zurück. Kurve um Kurve schlängeln wir uns den Berg hinauf. Flockengestöber, das fast schon blendet. Ich halte meine Augen offen, so gut es geht, und versuche, nicht zu zwinkern. Man muss wissen, dass ich gerade aus dem Frühling komme. Dass es bis kurz nach Innsbruck grün war und hier plötzlich winterlich hell ist. Schneebedeckte Häuser ziehen an mir vorbei, Saisonarbeiter in dicken Winterstiefeln steigen ein und ich durchwühle meine Tasche. Suchend, fast schon ein wenig nervös, krame ich nach meiner Sonnenbrille. Beinahe hätte ich sie ertastet, dann bin ich schon am Ziel. Blinzelnd steige ich aus dem Bus. Ich bin angekommen in Lech … äh … Licht am Arlberg. Wegen eines amerikanischen Lichtkünstlers bin ich hergefahren. Um in ein lichtgetünchtes Stück Himmel zu blicken. Diese Helligkeit, denke ich, das kann nicht nur der Schnee sein. Vielleicht leuchtet er bis ins Tal herunter, der Skyspace von James Turrell. „Zu viel Licht in Lech? Das ist doch lecherlicht!“, sagt meine Vermieterin, die mich vom Bus abholt. Sie zeigt mir mein Zimmer und beruhigt: „Den Skyspace, den sehen Sie vom Ort aus nicht. Der steht in Oberlech. Der leuchtet ganz sicher nicht herunter ins Tal.“ Trotzdem schließe ich sofort die Vorhänge. Hätte ich mich besser ausrüsten sollen? Besser ausrüsten müssen? Schließlich bin ich extra angereist, um ins Licht zu schauen! Was, wenn ich im Skyspace überbelichtet werde? Was, wenn meine Billigsonnenbrille der Strahlung nicht standhält? Schnell wähle ich die Nummer der Tourismusinformation: „Nein, nein, Sie brauchen keine Schutzbrille
für den Skyspace“, erklärt mir eine männliche Stimme, „nur gute Schuhe, denn das Kunstwerk befindet sich etwas abgelegen.“ Im Lecher Ortszentrum, gleich neben den Gondelbahnen, stehen drei Taxifahrer beisammen und warten auf Kundschaft. „Natürlich waren wir schon oben“, sagt der Eine. „Zwei Mal waren wir schon drin“, sagt der Andere. Nur der Dritte war noch nicht dort. „Skyspace, was ist das?“, fragt er die Kollegen. „Das ist der Bau, der ovale, wo du reingehst durch den langen Schlitz und oben ist ein Loch und da kannst rausschauen“, erklärt der Eine. Bei seinem Besuch sei er nicht sicher gewesen, ob das Loch in der Decke verglast sei: „Darum habe ich einen Schneeball hinaufgeworfen. Und stell dir vor, er ist ins Freie geflogen.“ Der Dritte nickt interessiert. „Gehst du heute rauf zum Sternderlschauen?“, fragt mich der Andere. „Morgen“, erkläre ich und will wissen, was ich an Ausrüstung mitnehmen soll. „Wanderstöcke“, sagt der Eine. „Einen Schirm, weil durch das Loch tropft es herein“, sagt der Andere. „Ein Schweißtuch, weil du beim Raufgehen ins Schwitzen kommst“, sagt der Eine. „Nein, Scherz“, sagen dann beide, „gar nichts brauchst du mitzunehmen.“ In den Abendstunden stapfe ich die Straße durchs Dorf entlang in Richtung meiner Pension und begutachte Laternen. Sie sehen anders aus, anders als anderswo. Sie sind schlicht und grau und geradlinig, oben abgeflacht. Über zwanzig kleine Birnchen strahlen pro Laterne direkt auf den Gehsteig. Schneeflocken tanzen vom dunklen Nachthimmel. Der Skyspace, da haben alle recht, ist vom Dorf aus nirgends zu erkennen. Nächtliches Schwarz legt sich über die Berggipfel. Noch einmal schlafen, dann ist es so weit. Um genau 19.51 Uhr auf
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1780 Meter Seehöhe in Oberlech, Standort Tannegg. Dort liegt er, der in den Berg gebaute Lichtraum des amerikanischen Künstlers James Turrell. *** Groihofer: Herr Bürgermeister, gibt es noch ein Elektrogeschäft in Lech? Bürgermeister Ludwig Muxel: Nein, derzeit nicht. Das heißt, man kann sich gar kein Licht kaufen? Eine Taschenlampe kann man sich kaufen (lacht). Sie haben eine sehr besondere Straßenbeleuchtung im Ort. Die wurde vor einigen Jahren von professionellen Lichtplanern eigens für Lech entwickelt. Denn wir wollen kein Ort mit Lichtverschmutzung sein, sondern eine Gemeinde mit spezieller Lichtstimmung. Wollen Sie sozusagen ein Lichtkurort sein? Kein Lichtkurort, aber ein Ort, der den Anspruch hat, auch in diesem Bereich Spezielles hervorzubringen. Die Beleuchtung wird in der Dämmerung eingeschaltet und nach Mitternacht reduziert. Denn wer braucht um zwei Uhr nachts noch volles Licht? Außerdem locken unsere Laternen keine Insekten an. Und sie strahlen nur auf den Boden, dorthin wo man das Licht benötigt, und nicht in den Himmel. Das heißt, das Licht aus dem Ort leuchtet nicht bis zum Skyspace nach Oberlech? Nein, dort wo sich der Skyspace befindet, gibt es nur natürliches Licht. Das Einzige, das dort nachts hineinleuchten kann, ist der Mond. Sind die Lecher und Lecherinnen erleuchteter seit der Eröffnung des Skyspace im Spätsommer 2018? Ich hoffe, dass viele hinaufgehen und erleuchtet werden (lacht). Ich denke sehr wohl, dass der Skyspace dazu beiträgt, dass man geistig erleuchtet wird, weil man ganz neue Eindrücke bekommt. Könnte man also sagen, Lech ging ein Licht auf? Es ging ein Licht auf und es werden noch mehrere Lichter aufgehen. Denn wir glauben, dass Kunst und Kultur gut zu Lech passen, und wollen diesen Bereich langfristig weiterentwickeln. ***
Die Dame, die beim örtlichen Tourismusverein hinter dem Schalter sitzt, drückt mir einen Folder in die Hand. „Sie können nach dem Skyspace-Besuch abends entweder ein Taxi nehmen oder Sie lösen ein JamesTicket“, sagt sie. Gerade bin ich dabei, herauszufinden, wie ich nach der Kunstschau im Finsteren wieder vom oberen ins untere Lech gelangen kann. „Was ist ein James-Ticket?“, frage ich. „Das ist für unseren ShuttleService“, erklärt mir die Dame freundlich. „Der Shuttle-Service in Lech ist nach James Turrell benannt?“, erkundige ich mich. Sie schüttelt lachend den Kopf. „Nein, nein, der Shuttle ist nicht nach James Turrell benannt. Sondern nach James, dem Butler!“ Ich bin aber doch wegen James Turrell hier, denke ich, nicht wegen des Butlers. Wegen jenes James Turrell, den ich mir vorab auf Fotos angesehen habe: weißer Rauschebart, blaues Sakko und beige Hose, so steht er mitten in der Landschaft in Oberlech. Genau hier, umgeben von den Bergen Biberkopf, Karhorn, Mohnenfluh und Omeshorn, liegt seit dem Spätsommer 2018 sein Skyspace. Seit den 1960er Jahren konzipiert der amerikanische Künstler Lichträume. Seit den 1970ern gibt es seine Skyspaces: Über 75 weltweit hat er bereits entworfen. Es handelt sich um Orte, an denen man den Himmel durch ein Loch in der Decke betrachten kann, umspielt von einer Lichtinstallation. „Licht ist wie Nahrung“, sagt James Turrell etwa, oder dass er Menschen sich selbst sehen lassen will: „see yourself seeing.“ Nach Lech am Arlberg hat ihn samt seiner Kunst der private Verein „Horizon Field“ geholt. Bei einem Soda Zitron im Hotel Krone erzählt mir Vereinsobmann Otto Huber, wie es zum Skyspace kam. Von 2010 bis 2012 hat das Kunsthaus Bregenz in der Vorarlberger Hochgebirgslandschaft eine Landschaftsinstallation des Künstlers Antony Gormley realisiert, die sich „Horizon Field“ nannte. 100 lebensgroße Eisenmänner wurden damals für zwei Jahre in den Bergen aufgestellt. Einheimische und Gäste der Arlberg Region fanden so sehr Gefallen an den Eisenfiguren, dass sie sich zu einem eigenen Verein zusammenschlossen, um sich dafür einzusetzen, diese Ausstellung dauerhaft zu erhalten. Als das Bemühen um die Eisenmänner scheiterte, beschlossen die Kulturliebhaber, ein neues
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Kunstprojekt umzusetzen – es entstand die Idee zum Skyspace Lech. Über zwei Jahre lang wurde an der Finanzierung des Skyspace gearbeitet. „Im Frühjahr 2017 hatten wir dann genügend Sponsoren“, erzählt Otto Huber. Zuvor wurde bereits der Platz ausgewählt, an dem das Lichtkunstwerk errichtet werden sollte: „James Turrell reiste zur Besichtigung an und hat sich sofort für den Standort ‚Tannegg‘ in Oberlech entschieden. Er wollte, dass man sich dem Skyspace langsam und zu Fuß annähert, nicht mit dem Auto. Außerdem haben ihm die Blickachsen zwischen den markanten Bergen gefallen.“ Die Alpgenossenschaft, in deren Besitz sich das Stück Landschaft befindet, sicherte dem Verein ein zeitlich unbegrenztes Baurecht zu – und James Turrell fing an, erste Handzeichnungen anzufertigen: „Er entwarf die Struktur des Skyspace: weitgehend unterirdisch, von einem Tunnel erschlossen und schließbar mit einer Kuppel.“ In Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Baumschlager Eberle entstanden die Baupläne. *** Groihofer: Herr Malli, Sie steuern den Skyspace via Fernwartung. Wie funktioniert das? Reinhard Malli: Es ist täglich jemand zur Kontrolle vor Ort – auch, um die Wege zu präparieren. Aber die Türen und die Kuppel des Skyspace kann ich über mein Handy öffnen und schließen und auch die Lichtprogramme kann ich starten. Bei welcher Wetterlage bleibt die Kuppel geschlossen? Wenn es schneit oder regnet, sehe ich das via Video und schließe die Kuppel. Bei Schönwetter mache ich auf. Wir wollen ja keinen halben Meter Schnee im Skyspace liegen haben. Schneit es tagelang, so müssen wir die Kuppel außerdem abschaufeln. Das heißt, ihr Tag beginnt jeden Morgen mit dem Skyspace und einem Check der Wetterlage? Ja, ich öffne morgens die Türen, je nach Wetterlage auch die Kuppel, und starte das Sunrise-Programm. Wenn abends nach dem Sunset-Programm niemand mehr dort ist, schließe ich die Türen und Kuppel via Fernsteuerung und schalte das Licht aus. Was ist, wenn Sie mal auf Urlaub sind?
Letztens war ich ein paar Tage in London. Um sieben Uhr morgens habe ich nachgeschaut, ob es in Lech schneit und ob im Skyspace alles sauber ist. Gibt es ein Problem, rufe ich die Gemeinde an – ich kann das weltweit machen. Hat sich eigentlich schon mal ein Tier in den Skyspace verirrt? Einmal haben wir einen Kuhfladen im Skyspace entdeckt. *** Der Errichtungsprozess, sagt Otto Huber, sei anspruchsvoll gewesen: „Das Gebäude ist sehr komplex – elliptisch und gewölbt. Die Öffnung zum Himmel hat einen scharfen Rand und es mussten modernste Schalungstechnik und spezielle Betonarbeiten eingesetzt werden. Die Anforderungen an die Glattheit des Inneren sind enorm, weil man durch die Lichtinstallation jede Unebenheit im Inneren sofort sieht. Außerdem ist die Kuppel sechs Meter lang und vier Meter breit und muss in 1800 Meter Höhe unglaublichen Belastungen standhalten. Sie muss zwei Meter Nassschnee halten und Windgeschwindigkeiten von 100 km/h. Sie ist an zwei Ketten fixiert und man kann sie mit einem Motor hin- und herbewegen. Es gab niemanden, der so eine Kuppel zuvor schon einmal umgesetzt hat. Wir fanden einen Bootsbauer, der sie letztlich hergestellt hat, gemeinsam mit einem Ingenieursbüro, das ansonsten an Hochgeschwindigkeitszügen arbeitet.“ Für Kurzbesuche kam James Turrell nach Lech, weitgehend aber leitete der Künstler das Projekt aus Arizona an und wurde in Vorarlberg von seinem Galeristen vertreten. Anfang des Sommers 2018 erlitt Turrell einen Herzinfarkt. Interviews, so ist aus seinem Umfeld zu vernehmen, gibt er derzeit keine. Wenn überhaupt, dann höchstens, wenn man ihn in Amerika besucht. Ich aber bin in Oberlech, marschiere bergauf, einen präparierten Weg durch den Schnee, vor, hinter, neben mir die Berggipfel im abendlichen Sonnenlicht. Eigentlich ist es ganz leise, wären da nicht die Pistenraupen, die klingen wie das Surren eines kleinen Bienenschwarms. Ab und zu kratzen die Skier eines späten Wintersportlers den Berg hinab.
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Ich stolpere in den Skyspace, wie in ein verstecktes Iglu. Erst stehe ich in einem dunklen Gang, dann öffnet sich ein ovaler hoher Raum. Schwarzer Boden, schwarze Sitzbänke an den Wänden, weiße Decke und das Loch, das den Blick in den Himmel freigibt. Der Himmel ist blau, verblasst langsam, jetzt, wo die Sonne untergeht. Blickt man zurück durch den Tunnel, sieht man den ins Abendrot getunkten Gipfel des Biberkopfes. Wir sind zu zehnt. Sitzen auf kleinen Pölsterchen im winterkalten Lichtraum und schauen himmelwärts. „Licht ist für Turrell wie für einen Maler die Farbe“, erklärt Ulli, unser Skyspace-Guide. Dienstags und freitags stehen im Skyspace immer Führungen am Programm. Ist der Himmel klar, so schaut man direkt hinein. Bei Regen und Schnee schiebt sich die Kuppel davor. *** Groihofer: Herr Pfarrer, kann man eigentlich erleuchtet werden? Pfarrer Jodok Müller: Das ist das Ziel: Erleuchtung statt „Verfinsterung“. Licht steht im Glauben als ein ganz großes Symbol dessen, wohin wir kommen möchten. Wir wollen Lichtmenschen statt Dunkelmenschen sein. Erleuchtung bedeutet, dass ich in mir erkenne, dass mein Weg zum Licht hingeht statt zur Finsternis. Hin zur Befreiung statt hin zur Knechtschaft, hin zur Weite, statt zur Enge, hin zu einem inneren Frieden statt zu den Zwängen. Geht das „Erleuchtetwerden“ automatisch? Naja – es braucht einen Schubs von Gott und es braucht einen Schubs von einem selbst. Wenn du dich sperrst, geht es nicht. Gibt es ein Zuviel an Erleuchtung? Es gibt insofern die Verirrung der Erleuchtung, als dass man ein bisschen verrückte Wege geht. Sich sozusagen in den Erleuchtungswegen nicht mehr auskennt. Wenn man die Erleuchtung nämlich unbedingt erreichen will, vertut man sich auch oft, verirrt sich. Der ZenBuddhismus sagt, wenn du die Erleuchtung unbedingt willst, wenn du sie anstrebst, bist du schon wieder im Streben verhaftet. Dann bist du schon wieder darin verhaftet, dass du etwas willst, und dieses unbedingte
Wollen oder Müssen ist gegen diese Freiheit des Lichtes und der Erleuchtung. Was soll man dann also tun? Offen sein, darum bitten, den Weg gehen, carpe diem, den Tag nützen, die Liebe leben, die Freude auf sich zukommen lassen und so gut es geht das Böse meiden. Sie sagen, es braucht einen Schubs von Gott und einen Schubs von sich selbst. Wie wäre es mit einem Schubs von Turrell? Ja! Um einen Schubs durch den Skyspace zu bekommen, muss man hingehen! *** Es gibt ein Lichtprogramm für Sunrise, eines für Sunset und eines für Schlechtwetter bei geschlossener Kuppel. Und es gibt Naturlicht: tagsüber, bei Schönwetter. Ich bin zu Sonnenuntergang da, die Kuppel ist offen und Turrells Lichtinstallation umrundet das ovale Loch. Wie ein Deckel hängt der abendblaue Himmel über uns. Als säßen wir in einem geschlossenen Raum. Ein Stern blitzt herein und ich ziehe mir meine Haube über die Ohren. Draußen wird es dunkler, die Farben wechseln, sie werden schneller. Lila, grün und gelb wird das Kunstlicht. Türkis, dunkelblau und schwarz wird der Himmel. „Wir sind uns nicht bewusst, dass wir selbst dem Himmel seine Farbe geben. Wir denken, dass alles vorgegeben ist, aber wir haben doch aktiv Teil daran, die Realität, in der wir leben, zu erschaffen“, zitiert Ulli, unsere Skyspace-Führerin, James Turrell. Mein Nacken wird steif vom Blick nach oben. Vierzig Minuten, dann ist es draußen wirklich schwarz. Scheppernd schiebt sich die Kuppel vor die Öffnung. Ihr Inneres sieht aus wie der Himmel. Der Himmel, bevor alles begonnen hat. „Amazing“, sagt die Londonerin neben mir. „I’m very impressed“, sagt eine andere. Die Dame links von mir lässt die Luft aus ihrem aufblasbaren Sitzpölsterchen. Gemeinsam treten wir ins Freie und stapfen durch den finsteren Schnee, dem Straßenlicht entgegen. Dann steigen wir in einen Kleinbus. James bringt uns sicher ins Tal.
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Das Studio ist der Raum der Innenschau Werner Feiersinger ist der Coverkünstler dieser Ausgabe und hat außerdem eine Bildstrecke auf den folgenden Doppelseiten gestaltet, zu der als Einführung ein Text von Patricia Grzonka zu lesen ist:
Dieses Atelier ist definitiv nicht repräsentativ. Mag es auch nicht der einzige Raum sein, in dem Werner Feiersinger seine Arbeiten produziert, es ist sicherlich sein „unmittelbarster“, gleichzeitig aber auch sein sprechendster. Feiersingers Werke sind raumgreifend, großzügig ausholend, dabei aber immer fein gegliedert und proportioniert. Er braucht Platz um seine Werke zu bauen. Als Bildhauer arbeitet er skulptural, er entwirft merkwürdige Formen, die nichts Bestimmtes darstellen, die aber dennoch bestimmte Assoziationen wecken. So entstehen Objekte aus Metall, aus Holz oder aus anderen festen Stoffen, die ihre Herkunft aus der Welt der Baumaterialien nicht immer verbergen. Manchmal erinnern die Arbeiten an Möbelstücke, aber dazu fehlt ihnen wiederum die nötige Funktionalität. Ein leiterartiges Objekt, dessen Sprossen durchhängen, ein schaukelartiges Objekt, das sich aber nicht bewegen lässt, ein Handkasten, in den dann doch nichts reinpasst. Man mag bei Feiersingers Werken an Ready Mades denken, an fertige Objekte, die mit minimalen Verfremdungen in den Ausstellungsraum transferiert wurden. Tatsächlich aber ist der Werdegang seiner Skulpturen ein ganz anderer – ein überraschend handwerklicher. Auf diesen widersprüchlichen Aspekt bezieht sich auch Martin Herbert in seinem Katalogtext anlässlich der jüngsten Einzelausstellung Feiersingers im Belvedere 21 in Wien: „Indem er der Skulptur das menschliche Maß zurückgibt, schafft Feiersinger auch eine bestimmte Poesie, eine existenzielle sogar, und in der Tat macht er dies seit Jahren, wie man an seinem Gesamtwerk gut erkennen kann. Bei aller industriellen Präzision und einer oftmaligen materiellen Härte ist es nicht nur menschlich, sondern uneingeschränkt human, ja zart. Meistens hat jede der Skulpturen ein Element, das der industriellen Unmenschlichkeit entgegenwirkt. Die Objekte werden vom Künstler selbst angefertigt, ihre Oberflächen sind modelliert. Und wenn man ihre Entstehung noch weiter zurückverfolgt, dann liegt ihr Ursprung immer in der Zeichnung, bei der der Künstler alle Hemmungen fallen lässt.“1
Ein Großteil von Feiersingers Arbeiten entsteht hier in diesem Atelier im vierten Wiener Gemeindebezirk, einem Labor mit zwei riesigen Werkbänken. An den Wänden lehnen dutzende von Metallprofilen, Rohren und Platten, Styroporstücken, Kunststoffteilen … Schicht an Schicht lehnen hier die Rohlinge, aus denen später Kunstwerke entstehen. Lakonisch sagt Feiersinger: „Es sind Bauteile, die viel können müssen.“ Ein zweiter Raum, der an dieses Atelier angrenzt, ist noch eindeutiger als Lager erkennbar. Es stapeln sich auf einer erhöhten Plattform und bis unter die Decke Materialien, 1:1-Modelle, Stühle, Tische, Planken und Platten. Auch diese Ansammlung hier ist nur ein Teil des Fundus, von dem er sagt, dass er alles für seine Arbeit irgendwann einmal brauchen kann und wird. Zurück im Atelier: Es ist nicht schön hier im Sinne eines trendigen Kreativstudios, kein gediegen-gepflegtes Durcheinander, wie so oft in einem Künstleratelier. Hier schaut es schon eher nach Schwerarbeit aus. An diesem Ort sind die Fotografien für diese Ausgabe von Quart entstanden. Die Fotoserie präsentiert zehn Aufnahmen mit Nahsichten auf einzelne oder mehrere Elemente, die hier lagern. Bild für Bild eine Art Zoom in das Innerste dieses Laboratoriums: die Enden einer Glas- und einer Kohlefaserrolle, ein Gipsmodell, ein Karton mit vier Farbmustern, farbige Metallrohre oder liegende Lochträger. Manche dieser Elemente sind Teile vergangener Skulpturen, andere befinden sich gerade in einem neuen Verarbeitungsprozess. Obwohl die Gegenstände auf den Fotos real sind und aus einem expliziten Gebrauchszusammenhang stammen, wirken die Bilder völlig entrückt und abstrakt. Werner Feiersinger fotografierte mit dem 85-mmObjektiv einer digitalen Nikon. Zum Teil weisen die Aufnahmen keine Tiefe auf und selbst die farbigen, plastischen Körper, die den Hintergrund bilden, wirken 1 Martin Herbert, Inmitten der Dinge, in: Werner Feiersinger: Overturn, Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess, 2018, S. 34
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völlig flach – ein bewusster Schritt vom Räumlichen in die Fläche. Die Bildgegenstände entfalten einen Ablauf und ziehen einen hinein in ihren Sog eines imaginären Produktionsprozesses. Die einzelnen Bilder vermitteln ein Memento, ein Innehalten in der vorgegebenen Situation des Ateliers. Es ist ein kostbarer Moment des Findens einer bestimmten Anordnung, dessen Verlauf so aussehen könnte: Betreten des Ateliers, Griff „ins Regal“, Anordnen an einer bestimmten Stelle im Raum, Fotografieren, Neuanordnen, erneutes Fotografieren, Ausprobieren anderer Kombinationen der Elemente et cetera. Und an diesem Punkt brauchen wir die mythologische Figur der Tyche, die in der griechischen Antike die Göttin des unberechenbaren Zufalls, des Geschicks, der Steuerung, aber auch ganz allgemein des Wandels war. Tyche – symbolisiert durch eine Mauerkrone – kann man nicht opfern, aber man kann sich von ihr leiten lassen: Sie unterstützt Menschen in ihren risikoreichen Unternehmungen und ist daher auch die Schutzherrin der Seefahrt. Roland Barthes erwähnt die Göttin Tyche im Zusammenhang mit den Gemälden Cy Twomblys, denen er dieses Zufallsmoment attestiert: „Tyche ist im Griechischen das Ereignis, sofern es zufällig und überraschend daherkommt. Twomblys Gemälde scheinen stets eine gewisse Zufallskraft mit sich zu führen, einen Glücksfall. Es kommt nicht darauf an, dass das Bild in Wirklichkeit das Resultat eines sorgfältigen Kalküls ist. Was zählt, ist der Treffer oder, um es subtiler zu sagen […]: die Inspiration, die wie das Glück des Geschicks ist. Zwei Bewegungen und ein Zustand zeugen von diesem Effekt.“2 Diese Worte scheinen – ganz im Sinne Barthes – direkt auch auf Werner Feiersingers Arbeiten umlegbar. Zwar arbeitet auch er nicht ohne Kalkül, ganz im Gegenteil, aber in diesem Fall verdanken sich die Anordnungen sicherlich auch einer bestimmten Kraft des gelenkten Zufalls, der manchmal mit der Intuition gleich läuft. Die zehn hier präsentierten Arbeiten sind aus hunderten von Fotos herausdestilliert und bieten den Blick ins Innere dieses Ateliers. Das Cover der Zeitschrift hingegen hebt sich davon ab: Es zeigt ein gebausch-
tes Segeltuch am Boden, darauf gut sichtbar die Zahl „33“, die auch der aktuellen Heftnummer des Quart entspricht. Dies ist der einzige wirklich identifizierbare Hinweis auf die Biografie des Künstlers (und mit dem Bezug zum Segeln ist auch Tyche hier präsent): So besitzt Werner Feiersinger seit Jahren ein Segelboot, das er leidenschaftlich gern auf dem windreichen Neusiedlersee steuert. Diese Anspielung auf ein persönliches Interesse – eines, das in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt ist – bringt uns auch auf die Spur einer etwas anderen Erzählung dieses Beitrags, eines mehr biografisch verorteten. „Dinge, die einen beschäftigen, nimmt man über einen langen Zeitraum mit“, sagt Feiersinger. So entstehen seine Werke als Transformationsprozesse: von Bildern aus der Jugend, von Italienfahrten über den Brenner nach Südtirol, vom Kaffee in einer italienischen Autobahnraststätte – in Summe von einem anderen Lebensgefühl. Mit diesem anderen Lebensgefühl ist auch die besondere Formensprache der italienischen Nachkriegsmoderne verbunden. Später im Leben führten ihn zahlreiche Reisen wiederum nach Italien, wo er mit seinem Bruder Martin unterwegs war, um für zwei Architekturbände über italienische Bauten zu recherchieren und dabei „realistisch“ mit natürlichem Licht und ehrlich zu fotografieren. Feiersingers Œuvre beinhaltet also Skulptur, Fotografie und Zeichnung. Seine Skulpturen entstehen in einem elastischen, performativen Planungsprozess durch eine Reihe von Zeichnungen und Skizzen, in denen ausprobiert, getestet und nach einer bleibenden Form gerungen wird. Man könnte seinen künstlerischen Gestaltungsprozess auch in Ableitung von Marcel Prousts berühmtem Roman mit „Auf der Suche nach der unmöglichen Form“ benennen, als ein Meditieren in und über der Form, aus der Kunst entsteht. Dieses Meditative und das Innehalten an einem bestimmten Punkt kennzeichnen auch den Beitrag dieses Hefts: Ganz ähnlich wie bei einem Stillleben kommt so auch der Moment des glückhaften Augenblicks, des gut gefundenen und getroffenen Moments, bei dem Tyche beteiligt war, zu tragen.
2 Roland Barthes, Cy Twombly, Berlin: Merve Verlag, 1983 (Original: 1979), S. 72
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Jenseits der Stille
Er ist der meistgespielte zeitgenössische Komponist unserer Zeit und wartet mit unserem Autor eine halbe Stunde auf den Bus: Alexander Maria Dhom über eine persönliche Begegnung mit dem Komponisten Arvo Pärt
Er weiß nicht weiter. Vor ihm ein weißes Blatt Papier, hinter ihm das Regime der Sowjetunion, das permanent Fehltritte wittert. Arvo Pärt steckt mitten in einer handfesten Schaffenskrise. Es ist das Jahr 1968, Kalter Krieg liegt in der Luft und auch ein bisschen Revolution. Doch um den estnischen Komponisten ist es seit Kurzem still geworden. Er hat sich zurückgezogen. Zu Beginn seiner musikalischen Karriere war er noch voller Tatendrang und Innovationslust gewesen. Damals hatte er durch seinen Lehrer und Mentor Heino Eller Zugang zu Partituren erhalten, lernte Kompositionstechniken wie die Dodekaphonie und das Arbeiten mit Collagen kennen – höchst verbotenes Material in der Sowjetunion der 1950er Jahre – und er komponierte sich zunächst erfolgreich durch alles, was man heute unter dem Begriff der „zeitgenössischen Musik“ versucht zusammenzufassen: schmerzhaft gesteigerte Dissonanzen, Anspielungen auf politische oder gesellschaftliche Missstände, experimentelle Kompositionstechniken. Dann kam sein Credo, es brachte ihn nicht nur künstlerisch an seine Grenzen – es stellte den Komponisten auch vor massive politische Probleme. Die Kombination aus religiösem Statement und westlicher Kompositionstechnik sorgte für Empörung beim Kontrollgremium, der Union der sowjetischen Komponisten. Für das Regime ein Affront, waren doch „Gott und Jesus Christus die größeren Feinde der Sowjetunion als Boulez oder Webern“, so der russische Musikwissenschaftler Juri Nikolajewitsch Cholopow. Eine explosive Mischung aus Repressionen und Verboten. Ein eng geschnürter Rahmen musikalischer Möglichkeiten. Voll Selbstzweifel und auf der Suche nach einer eigenen Sprache und Antworten auf die größeren Fragen, zieht sich Pärt von 1968 bis 1976 komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Still und leise. Doch nicht unbemerkt, denn zu dieser Zeit ist er bereits einer der bedeutendsten Komponisten der damaligen UdSSR. Und trotzdem: Er schweigt. Hört auf zu komponieren, sucht in der Natur, der Religion und allen möglichen Dingen – spirituell und weltlich – neue Inspiration.
Und er bedient sich einer Übung, für die es keine Töne, keine Klänge und kein Geräusch braucht: Er zeichnet. Beeindruckend einfach und gleichzeitig beeindruckend komplex. Sich auf und ab kreuzende Schlaufen, hypnotisierende Kringel, an Moleküle erinnernde Gebilde. Seine grafischen Skizzen und Übungen wirken auf den ersten Blick wie einfache Kritzeleien und entpuppen sich später als Schlüssel zu seinem Werk. Was ihn 1976 dazu veranlasst, wieder zu komponieren, bleibt wohl sein Geheimnis. Sicher ist, dass seine Skizzen dabei eine wichtige Rolle gespielt haben müssen, gibt es doch für die meisten seiner Post-Auszeit-Kompositionen eine entsprechende Zeichnung, die deren Struktur vereinfacht darstellt. Für Arvo Pärt dürfte diese Phase auch eine erste bewusste Auseinandersetzung mit einem Element bedeutet haben, das später fast Mantra-artig mit seiner Musik in Verbindung gebracht wird: Stille. Das Unverständnis seitens des Sowjet-Regimes für diesen reduzierten Musikstil führt schließlich jedoch zur vollendeten Eskalation. Nach seiner Rückkehr in die Öffentlichkeit emigriert Pärt 1980 mit seiner Familie nach Wien, ein Jahr später nach Berlin. Erst 2008 kehrte er nach Estland zurück. Zu dieser Zeit sitze ich im Leistungskurs Musik eines oberbayrischen Gymnasiums und höre zum ersten Mal Pärts Tabula Rasa. Das radikal minimierte Notenmaterial und die aufsteigenden Glockenschläge lösen in mir eine fast absurde innere Ruhe aus – kurz vor der Matura und auch generell im Alter von siebzehn Jahren eher ein Ausnahmezustand. Eine Faszination geht von Arvo Pärts Musik aus. Eine Faszination, so unaufdringlich und zugleich so kraftvoll. Für eine kurze Zeit war ich gefesselt. Doch so unerwartet, wie der Komponist die Aufmerksamkeit meines siebzehnjährigen Ichs erlangte, so leise verschwand er komischerweise für einige Zeit wieder von meinem Radar. Erst als ich Jahre später wieder auf einer Lehrbank sitze – diesmal im Masterstudium der Musikwissenschaften in Barcelona –, packt mich die magische Wirkung seiner Musik ein zweites Mal. Vielleicht war es der
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radikale Kontrast zu allem Lauten um mich herum: die katalanische Studentenstadt mit ihrem vibrierenden Nachtleben und die Kommilitonen, die sich an Stockhausens Helikopter-Quartett versuchten oder knallende Flamenco-Rhythmen studierten. All das weckte das Interesse in mir, mich auf die absoluten Grundlagen der Musik zurückzubesinnen. Ganz so wie Pärt zum Ende seiner achtjährigen Schaffenspause. Als er zurücktritt in die hörbare Welt, hat sich sein Stil merkbar verändert: Statt wie andere Komponisten immer größere Werke mit ausufernden Läufen zu fantasieren, genügt dem Komponisten nun ein System aus zwei Stimmen, welches den klangvollen Namen Tintinnabuli (lat. „kleine Glöckchen“) trägt. Während sich die sogenannte Melodiestimme ausschließlich auf einer Tonleiter hoch und runter bewegt, bedient sich die Tintinnabulistimme lediglich der drei Töne des dazugehörigen Dreiklangs. Die Momente, in denen sich beide Stimmen schließlich treffen und dabei einen glockenartigen Klang erzeugen, lassen erahnen, warum Arvo Pärt seinen Stil nach diesem Phänomen benennt. So eine fast schon absurd minimierte eigene Sprache bietet seinen Kritikern folglich die ideale Angriffsfläche: Der Komponist habe sich von den avantgardistischen Ideen des 20. Jahrhunderts getrennt, um einen kommerzielleren Klang zu finden, heißt es. Doch selbst wenn sich die einzelnen Tintinnabulikompositionen kaum voneinander unterschieden – was sie bei genauerem Hören doch sehr wohl tun –, wäre nicht allein die Entwicklung einer solchen Kompositionsmethode ein Meisterwerk an sich? Wie beziehungsreich dieses System sein kann, beweist ein Blick in die Partitur von Cantus in Memoriam von Benjamin Britten aus dem Jahr 1977. Obwohl das Werk auf einer komplexen Partitur beruht, für das ein komplettes Streichorchester mitsamt Glocke vonnöten ist, lässt sich auch hier durchgehend das Zusammenspiel von Tintinnabuliund Melodiestimme erkennen. Tatsächlich hat Arvo Pärt in den darauffolgenden Jahren Variationsmöglichkeiten geschaffen. Nicht als Folge von Kritik, sondern als Teil eines Entwicklungsprozesses. Spiegel im Spiegel aus dem Jahr 1978 ist ein hervorragendes Beispiel für einfache Variationen. Während das Klavier strikt den Akkord der jeweiligen Tonart zerlegt und gelegentlich mit Oktaven versieht, wird die Stimme der Geige mit jeder Wiederholung
horizontal gespiegelt und mit einem weiteren Ton der Tonleiter ergänzt. Spiegelung und Addition. Ein einfaches mathematisches Prinzip, das sich über beinahe zehn Minuten konsequent aufbaut und zweifellos eine faszinierende, fast schon transzendente Wirkung entfaltet. Apropos Transzendenz: Mit dem Begriff des „Holy Minimalism“, der dem Komponisten gerne stempelartig aufgedrückt wird, kann er selbst nicht viel anfangen. Arvo Pärt sagt über seine Musik: „Eine einzelne perfekt gespielte Note oder ein kurzer Moment der Stille trösten mich.“ Auch den Vergleich mit Licht stellt der Komponist gerne an. Seine Musik sei wie ein einfaches, weißes Licht, das alle Farben enthalte. Jeder Mensch brauche eine Art Werkzeug, dieses Licht zu brechen, um das volle Spektrum der Musik erkennen zu können. Ob das der Glaube, die Natur oder ein philosophischer Ansatz sei, überlasse er jedem selber. Noch konkreter wird folgender Vergleich: „Es ist, als hätten wir eine komplexe mathematische Gleichung vor uns. Der Weg zur Lösung ist lang und nervenaufreibend, aber letztendlich ist die absolute Wahrheit die Reduktion.“ Der Vergleich liegt nahe, bedeutet doch die Reduktion nichts anderes als eine „Rückführung“ auf den eigentlichen Kern der Sache. Interessante Folge dieser Reduktion ist übrigens die Tatsache, dass die Musik Arvo Pärts, trotz überschaubaren Notenmaterials, durchaus zum schwierigeren Repertoire eines Musikers gehört. Muss ein Geiger beispielsweise eine Note über mehrere Takte angespannt halten und ihr dabei die nötige Gewichtung verleihen, fällt ihm das womöglich schwerer als ein Exzess à la Paganini. Intonation ist alles, und auch Pärt selber gibt zu, dass es nur wenige wirklich gute Aufnahmen seiner Musik gibt. Einige der spannendsten Veröffentlichungen seiner Musik entstanden wahrscheinlich unter der Regie des Produzenten Manfred Eicher. Auch er hatte einen ersten Schlüsselmoment mit Pärt: Eicher, Gründer der legendären Plattenfirma ECM, ist mit dem Auto unterwegs, als er im Radio zufällig Tabula Rasa hört. Fasziniert von der Musik, fährt er auf der Suche nach besserem Empfang den nächsten Hügel an. Dieser Mann und seine Musik packten ihn vom ersten Moment an – ein musikhistorischer Glücksfall: Eicher und Pärt ergänzen sich seitdem prächtig und die kreative Symbiose der beiden trägt bis heute reife Früchte.
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Eine weitere Symbiose, nämlich die zwischen Arvo und seiner Ehefrau Nora Pärt, spielt ebenfalls eine große Rolle in Pärts künstlerischem Schaffensprozess. Nicht selten ist Nora an der Entstehung seiner Werke maßgeblich beteiligt. Sie liest Partituren, korrigiert, gibt Ratschläge. Sie ist sein wichtigster Kritiker. All die großen Chöre und Orchester dieser Welt versuchen sich am Repertoire Pärts, und doch zählen die Aufnahmen des Tallinner Kammerorchesters unter der Leitung Tõnu Kaljustes oder die des Estnischen Philharmonischen Kammerchores wohl zu den herausragenden Produktionen. Vielleicht ist es die estnische Mentalität, die Naturverbundenheit, die ganz persönliche Verehrung einer Nation für ihren Komponisten? In jedem Fall ist es seine Nahbarkeit. Regelmäßig nimmt sich Pärt Zeit für Probearbeiten vor Konzerten und gibt Ratschläge, um das Phänomen Tintinnabuli vollendet auf die Bühne zu bringen. Nicht ohne Grund ist der Este schon seit Jahren der am meisten aufgeführte noch lebende Komponist seiner Zeit. Ein Titel, wenn man so will, der die beeindruckende internationale Popularität Pärts veranschaulicht. Kaum ein Naturdokumentarfilm ohne Spiegel im Spiegel, kein TV-Melodram ohne Fratres, zahlreiche Hollywood-Blockbuster mit Tintinnabuliuntermalung. Die Abgabe meiner Masterarbeit bedeutete für mich nicht das lang erwartete Ende theoretischer Arbeit in einer stickigen Bibliothek, sondern vielmehr den Anfang einer Reihe von persönlichen Begegnungen, die ich mir nie erträumt hatte. Über einige Umwege gelangte das Dokument nämlich nach Estland. Dort hatte die Familie des Komponisten, allen voran sein Sohn Michael Pärt, 2010 das Arvo Pärt Centre gegründet. Es sollte der gewaltigen Herausforderung eines solchen künstlerischen Werkes gerecht werden und nicht nur Vergangenheit und Gegenwart des Komponisten illustrieren, sondern auch der musikalischen Zukunft einen kreativen Raum bieten. Das Herzstück des Centres bildet das gigantische Archiv, welches liebevoll von Nora Pärt aufgebaut wurde und nun in den Händen eines professionellen musikwissenschaftlichen Teams liegt. Nora Pärt hatte mit dem Sammeln des künstlerischen Nachlasses ihres Mannes übrigens schon begonnen, bevor er überhaupt zu Erfolg und Ruhm gelangte. Neben der Archivarbeit kümmert sich
das Arvo Pärt Centre auch um die mediale Aufarbeitung und die Digitalisierung sämtlicher Werke und bietet einen Ort für künstlerischen Austausch – stets in direkter Zusammenarbeit mit dem Urheber persönlich. Und jetzt sollte auch mir diese sympathische Nahbarkeit zuteilwerden. Pärt hatte meine Masterarbeit gelesen und lud mich zu sich ein, um sich mit mir darüber zu unterhalten. Also flog ich im September 2016 nach Estland. Im Centre sprachen wir über meine Arbeit – über seine Arbeit – und er zeigte mir den umliegenden Wald. Dieser Wald Laulasmaa, Estnisch für „Glöckchenwald“, wurde zu Ehren des Komponisten nach dessen Musikstil benannt. Die Erfahrung und das Privileg, mit ebendiesem Komponisten persönlich zu sprechen, sind nicht nur ungewöhnlich rar und einzigartig, sie wurden an Surrealität noch überboten, als Pärt mich anschließend auf eine Portion Pfannkuchen in ein nahe gelegenes Café einlud und mich am Ende unseres Treffens an die Bushaltestelle zurückbrachte, an der mich der Bus nach Tallinn abholen sollte. Er wartete dort mit mir eine halbe Stunde – Warten, so viel ist klar, ist eine seiner leichtesten Übungen! Im Oktober 2018 wurde in Laulasmaa, mitten im Wald, zwischen hochgewachsenen Kiefern und einem dichten Teppich aus Blaubeersträuchern, ein neues Gebäude für das Arvo Pärt Centre errichtet. Der flache Bau, der nur zu Fuß zu erreichen ist, windet sich vorsichtig um die umliegenden Bäume. Große, durchgängige Glasfassaden saugen das Licht auf, das durch die Baumkronen in den Wald fällt. Helles Holz im Inneren bietet den perfekten Körper für Pärts Klang. Der Bau, erdacht vom preisgekrönten Architekturbüro Nieto Sobejano Arquitectos, birgt neben einem Konzertsaal, dem Archiv und einer kleinen minimalistischen Kapelle im Innenhof auch einen Turm auf dem Dach. Der Turm, so waren sich die Architekten einig, sei nur schwer umzusetzen. Sie rieten Pärt davon ab, doch er bestand auf seinen Turm. Dort oben steht er heute oft und blickt über den Wald bis auf das baltische Meer. Allein. Jenseits der Stille.
(Mitarbeit: Marthe Louisa Kröger)
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mit PAPIER berauscht Die Künstlerin Christine Ljubanovic, 1939 in Zams geboren, lebt seit den 1970er Jahren in Paris, arbeitet als Fotografin und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Farben, Pigmenten und Mustern. Die zwei Generationen jüngere Esther Strauß, bekannt als Performance- und Sprachkünstlerin, lud Ljubanovic zu einem Experiment ein: Ohne sich bis dahin je begegnet zu sein, schrieben sich die beiden jeden Tag einen Brief, einen Monat lang vom 7. März bis zum 7. April 2019. Es entstand ein Briefwechsel zwischen zwei Künstlerinnen, die sich im Schreiben kennenlernen, in einer – vom Briefweg vorgegebenen – ungewohnten Langsamkeit, eine Unterhaltung über den vergessenen Blick, über Sterne mit fünf Strahlen und den Berufswunsch Posträuberin. Hier Auszüge aus diesen Briefen:
Liebe Christine, 19 Umschläge, 19 Formate, 19 Geschwister von Weiß. Erinnerungen an nie geschriebene Briefe. Ich stelle mir die Farbe der Kirschblüte vor, die bald aus ihrer Knospe und in meine Küche brechen wird, bedrängt von bunten Wänden. Und ich denke an James Wilkes1, den Lügner. Wollen wir einander ein Rätsel sein? Liebe Esther, Gestern, 7. März 2019: Zugfahrt von Paris via Zürich – noch bei Tageslicht, die Arlbergbahnstrecke – Aussicht besonders schön – und man fährt durch die Hochwälder, Tannen-, Fichtenbäume, noch viel Schnee – und dann – der Gedanke, so etwas wie ein „AHA“, ich sehe meine Eltern im Wald, mein Vater sucht Schwämme und meine Mutter sammelt Farn, pflückt Blumen, sie lebten in und mit der Natur in Tirol. PS: Dein Großvater in Tarrenz?2 Noch schreiben wir einander, ohne uns zu erreichen. Der Bote, der langsamer als die Botschaft ist; zwei Künstlerinnen, die ins Dunkle rufen. Diese alte Postkarte sende ich Dir in einem Kuvert, das mir mein Bruder Theo aus Nepal mitgebracht hat, wo er als Arzt und Bergsteiger Himalayaexpeditionen gemacht hat, in den 1970er Jahren. Vor zirka fünf Jahren, in diesem Jhdt., war er, mein Bruder, schwer krank und auf der Intensivstation, reagierte aber auf Fotos, und ich habe ihm dann monatelang jeden Tag eine Postkarte in das Krankenhaus St. Vinzenz Zams
gesandt, aus Paris, Venedig und anderen Orten. Er hat die schwere Krankheit überlebt und ist weiterhin so ein ganz besonderer Naturmensch. Am Donnerstag das Farbband durch mein Atelier gezogen und mit Stempelfarbe getränkt – tiefschwarze Finger, die den ersten Brief an dich schreiben. Darf man Malerin sein, weil man die Farbflecken liebt, die in die Kleidung und auf die Haut springen, wenn man ohne es zu spüren das eigene Bild berührt? Du hast gelesen, daß ich Pigmente sammle. Ja, mit Leidenschaft, Fuchsit zum Beispiel, ein grüner Quarzglimmer (Chrom-Muskovit), der oft in kompakten Massen in kleinen Kristallen auftritt. Die Steine werden feingemahlen, damit ergibt sich ein helles grünes Pigment, das glitzert, wenn es trocken ist, vorher wird das Pigment mit Leim und Wasser gebunden. Die vier Prismenflächen des Muskovits bilden diamantartige „Bücher“, sogar pseudo-hexagonal, wenn durch ein
1 James Wilkes ist ein englischer Poet und Schriftsteller. 2015 schlägt Esther Strauß James Wilkes ein gegenseitiges Kennenlernen per Mail vor, in dem Wilkes jede ihrer Fragen mit einer Lüge beantwortet. Die dadurch entstandenen Texte wurden im Rahmen der Performancelesung „Feinde“, organisiert von Steven J. Fowler, in London präsentiert. 2 Im Frühjahr 2015 besucht Esther Strauß ihr Heimatdorf Tarrenz und hebt das Grab ihres Großvaters mit den Händen aus. Für die Performance „Probeliegen“ zimmert sich die Künstlerin ein Bett, das schwarz wie Kohle ist, füllt es mit der Erde und schläft eine Nacht lang in ihr.
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weiteres Pinakoid modifiziert. Ich war in Brasilien in Bahia, bei einem Abbauort im Hinterland. Ein solider Fuchsitberg, ein offenes Bergwerk, aber stillgelegt. Dieser Berg hat so geglitzert, alle meine Fotos, und auch ein Video sind überstrahlt, ich war geblendet wie von einem Gletscher im Hochgebirge bei starker Sonnenstrahlung. Die Fotos sind Leerstellen oder blinde Flecken. Reisen, Abenteuer, Suche nach Halbedelsteinen, die Farbpigmente werden, und den Schatz finden in der Natur, wie damals, als wir noch Kinder waren. Gibt es auch von dir ein Psychogramm, einen Kontaktabzug? 3 Wer darf dich fotografieren, oder: Fotografierst du dich selbst? Viele meiner Performances finden ohne Publikum, ohne Fotograf*in statt – erst in der Einsamkeit, im Unbeobachtet-Sein kommt das, was ich einladen will, zum Vorschein. Kann man einen Menschen so fotografieren, dass er den Blick vergisst, den die Fotograf*in über ihn gleiten lässt? Kann man als Fotografin*in beides sein: da und nicht-da zugleich? Woran ich gerade arbeite? Was geschieht, wenn ich einen Tag im Atelier verbringe? Zuerst sehe und treffe ich Menschen an der Bar in meinem Café um die Ecke. Sehr früh am Weg hinaus durch den Hof treffe ich die Poesie, es gibt Bäume und Blumen. In meiner Strasse sind viele Schulen, und ich genieße die Kinderstimmen und die Stimmen der Eltern. Dann bin ich wieder zurück in meinem Atelier, alleine, und versuche mich zu konzentrieren auf die sehr unterschiedlichen Dinge, die zu bearbeiten sind. Ich arbeite gerade an der Finissage einer langjährigen Arbeit, die mit „Farben / Pigmente / Muster / Skalen“ zu tun hat.4 Porphyry, most precious stone, refers to the purple-red from Ancient Greek „purple“, Steinmosaikböden, Byzantinische Marmormuster, in der Basilica di San Marco, gleich beim Eingang – dort wo Millionen Menschen darübersteigen und dort wo Aqua Alta zuerst beginnt. Ich habe gelesen, daß begonnen wurde, die Mosaikböden zu versiegeln. Die Procuratoria di San Marco ist äußerst streng und sparsam mit der Fotoerlaubnis und ich versuche schon seit einiger Zeit, diese zu bekommen. Deshalb viel Korrespondenz und sonstige Organisationen im Atelier heute. Ich sollte auch in meine Dunkelkammer und Kontaktblätter entwickeln, aber das verschiebe ich auf einen anderen Tag. Steuererklärungsmonat März. Das alles ist weniger poetisch als der Anblick unseres Zierkirschbaumes im Hof, der
fast schon blüht, es schneit dann rosa, tief-rosa bis lila Kirschblüten bei etwas Wind. Gestern erzählte mir ein Mitarbeiter der Post, dass alle Briefe, die kleiner als 140 × 90 mm sind, unzustellbar sind. Sie kommen in ein Lager und werden dort nach Ablauf von drei Monaten vernichtet. Ist dort auch der Brief, in dem ich dir erzähle, wie sehr ich das Kleine mag? Er ist in etwa zweimal so groß wie eine Briefmarke. Gibt es denn keinen kleinen Postboten, der winzige Briefe nach Paris bringt? Ich wünschte, es gäbe ihn. Ich glaube schon, daß man einen Menschen! so fotografieren kann, daß er den Blick vergißt, den der Fotograf oder die Fotografin über ihn gleiten läßt. Beides sein, da und nicht-da zugleich. Für mich (Fotograf) geht es so weit, daß ich den ATEM anhalte vor dem Klick des Auslösers. Ich bin da und nicht da, weil ich den Ablauf der Sequenzen im Kopf habe, sehr konzentriert bin, mein Gegenüber, der Fotografierte, scheint auch „irgendwo“ zu sein und mag diese Situation, totaler Mittelpunkt zu sein. Mich selbst fotografiere ich ganz selten. Als Schatten oder manchmal in einer Spiegelung auf den Psychogramm-Kontaktblättern. Ich denke an meinen letzten Brief und die Frage nach dem, was ungesagt geblieben ist. Müsste ein Text über dich nicht ähnlich gebaut sein wie deine „conversation portraits“ – lauter Einzelbilder, die nur miteinander wahr sind? Welche Einzelbilder fehlen, fehlen in den Texten zu dir? Ich muss beständig an deine Gegenwart denken, die in der Rue de l’Ermitage sitzt, sich leise entspinnt, während ich und meine Maschine laute Briefe an dich tippen, das l verlieren. Wenn ich an deine Kunst denke, bist immer auch du selbst im Bild, als wären die Beziehungen, die deinen Arbeiten vorausgehen, das, was wesentlich ist, als wären die Werke Anlass und Ausdruck dieser Beziehung zugleich. Wenn du alleine bist, wer erscheint dir dann als Gegenüber? 3 Seit den frühen 1970er Jahren fotografiert Christine Ljubanovic mit ihrer analogen Kleinbildkamera Künstler*innen, Kritiker*innen und Kurator*innen im Rahmen der Serie „conversation portraits“. In der Galerie werden die Porträts als Kontaktbögen gezeigt, die Ljubanovic Psychogramme nennt. 4 Für das Projekt „Farben / Pigmente / Muster / Skalen“ sammelt Christine Ljubanovic Original-Farbpigmente und bringt sie im Zusammenspiel mit Grundmustermotiven aus verschiedenen Kulturkreisen grafisch zu Papier.
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Brief von Albert Einstein, 27. Dezember 1949, an einen befreundeten Künstler: „Es ist eigentlich rätselhaft, was einen antreibt, die Arbeit so verteufelt ernst zu nehmen. Für wen? Für sich? Man geht doch bald. Für die Nachwelt? NEIN, es bleibt rätselhaft.“ 1949. Nachkriegszeit, ich war zehn Jahre alt. Vater ein sehr begabter Zeichner, Mutter eine sehr begabte Textilstickerin und Strickerin. Künstler und Überlebenskünstler auf ihre Weise. Die Musik war auch mit dabei. Und die Eltern waren extreme Naturliebhaber, Berge, Wald, Wiese, Blumen, Wasser. Diese Leidenschaft haben sie uns Kindern (drei Geschwister) als Leitmotiv für das Leben mitgegeben. Sehr schwierige und harte Zeiten. 1953 Gewerbeschule (heute HTL), Klasse Malerei in Innsbruck, wobei ich technisch enorm viel gelernt habe als Basis für meinen Berufsweg, und es waren oft der Kontakt und Austausch mit den Mitschülern / Studenten – wie auch dann ab 1956–1960 in der Akademie für angewandte Kunst (Walter Pichler, Johannes Pfeil, Thomas Bernhard, Barbara Karban, Christine Nöstlinger, Annemarie Siller-Hammerstein u. a.), die mich der Kunst nähergebracht haben. Ich studierte Gebrauchs-Illustration und Photographik, später noch Druckgraphik und habe dann ab 1960 (nach dem Diplom in Wien) in diesen Sparten gearbeitet, auch mein Leben verdient damit. Die Poesie hat mir dabei geholfen – vielleicht aber auch meine Neugierde – viele andere Räume aufzumachen (wie Du schreibst) – auch der Drang in die weite Welt hinaus, andere Kulturen, Reisen und Entdeckungen. Auch die Arbeit (Grafik, Fotografie) in Studios und Agenturen und die Arbeit mit Verlegern – Bücher machen – auch Bücher schreiben – Paris ab 1963 – dann auch New York und London – Free Lance – mein eigenes Studio – bis jetzt 2019. Das alles war nicht so leicht zu bewältigen und die „freien“ Arbeiten habe ich irgendwie im Hintergrund, im Versteck gemacht, dann doch manchmal ausgestellt. Erst viel später – die zwei jeweils zehn Jahre andauernden Projektarbeiten DruckgraphikenAlphabet „impressit“5 und „Farben / Pigmente / Muster / Skalen“, Originalpigmente auf Papier, mit jeweils fast Weltreisen und Aufenthalten in Amerika, Asien, Afrika, Europa. Das Fotoarchiv (mein Geheimnis), erst vor einigen Jahren publiziert („conversation portraits, photo-suites 1974–2014“). Zwillingskristalle können fünfstrahlige Sterne bilden, schreibst du. Heißt Kunst machen, Verwandtschaft
aufspüren, an den unwahrscheinlichsten Orten? Von dieser Verwandtschaft nichts ausnehmen, Taten, Objekte, Landschaften, Menschen, Geister? Der Fuchsitberg in Bahia – so habe ich mir immer die Räuberhöhle in Simeliberg vorgestellt. Dieses Glitzern, das sich nicht bannen lässt. Brauchen wir ein neues Wort für Kunst? Du hast mit zwei Kolleg*innen das „Institut zur künstlerischen Forschung zur körperlichen Poesie der Kindheit“6 gegründet, und Ihr trefft Euch, um Euch in Kulturtechniken der Kindheit zu üben, raufen, verstecken, trödeln und anderes, was Freude bringt. Ob ich mich gerne versteckt habe als Kind? Ich war ein Kind in den Kriegsjahren, Nachkriegsjahren, mit Besatzungsmilitär, zuerst Amerikaner, dann die Franzosen. Wir Kinder erlebten den Flüchtlingsstrom und die Auffanglager, und ich spielte in einer Dachkammer oder am Balkon, wo wir damals wohnten, Flüchtlinge mit Koffer, alleine und mit anderen Kindern (die Szene des Exodus sahen wir am Bahnhof Landeck, während dem Krieg und dann auch nach dem Kriegsende). Es gab sehr dramatische Begebenheiten während dieser Kindheit und ich war sehr früh mit dem Tod konfrontiert. Mein Versteck oder die große Freude war dann die Wiese, das Gras und die Blumen, der Tannenwald. Unsere Nachbarn hatten ein Sägewerk und es gab Holzlager ringsherum und wir spielten im Versteck auf den Brettern – kochen, essen. Wir hatten Hunger, fanden Essen in der Natur, im Garten, in der Wiese und im Wald. Anton7, ein Freund von Freunden, ist Musiker – nein, ich will es anders sagen: Anton spielt. Er redet wenig, aber eines Abends hat er mir erzählt, dass es in seiner Wohnung einen winzigen Raum gibt, der ohne Fenster
5 Zwischen 1983 und 1993 entsteht die Serie „impressit: Alphabets & Signs, Letter / Lands“. Christine Ljubanovic unternimmt zahlreiche Reisen durch die ganze Welt, um die Buchstaben des Alphabets mit unterschiedlichen Drucktechniken mit den Meister*innen des jeweiligen Faches zu drucken, wie zum Beispiel das c als Aquatinta mit Picassos Radiermeister Aldo Crommelynck. 6 2018 gründet Esther Strauß gemeinsam mit Sabina Holzer und Jack Hauser das „Institut zur künstlerischen Forschung zur körperlichen Poesie der Kindheit“. Das Institut ist frei nach Claude Lévi-Strauss dem wilden Forschen gewidmet und untersucht auf spielerische Weise performative Prozesse der Kindheit. 7 Anton Tichawa ist Musiker und lebt in Wien.
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ist. Wenn Anton daheim die Sehnsucht nach der Musik trifft, dann geht er in diesen winzigen Raum, mit seiner Gitarre und spielt, spielt für sich. Wenn ich an Anton denke, und ich kenne Anton kaum, dann sehe ich ihn vor mir, in diesem Zimmer, das ich nie betreten werde, und freue mich, dass da einer ist, der spielt. Seither höre ich Antons Musik, von der kein Ton aus dem kleinen Zimmer dringt.
Tonnen bürokratischer Dokumente etc. durch Internet niedergespart.
119658: Dein Schreiben mit der Frage: eine Ansicht, die ich fotografieren wollte, aber nicht fotografierte. Paris, 20. August 1993, sehr heißer Tag, klarer Himmel, aber sehr verschmutzt, die Augen brennen. Ich bin im Auto unterwegs. Die Sonne riesengroß, aber sehr diffus am Himmel, das ganze Gelb-Schwarz. Kein Abendrot oder so, am Place de la Concorde, aus der Rue de Rivoli kommend sah der Platz im Gegenlicht und durch seine Größe aus wie eine weite Wüste mit Pyramidenobelisken, schwarze Monumente im Gegenlicht, auch die vielen Autos im Kreisverkehr waren schwarze, sich bewegende oder animierte Scherenschnitte.
Ein Atelier ist kein Ort, sondern eine Erlaubnis, schreibst Du, ich würde noch hinzufügen: ein Abenteuer.
Ich denke viel darüber nach, was es bedeutet, dass wir uns schreiben, und glaube, dass die Bedeutung im Tun selbst liegt, in der Aufforderung der leeren Blätter und auch in der Schönheit eines geheimnisvollen Gegenübers, das fern genug ist, um mit sich selbst sprechen zu können (sich zu hören, weil man den Erwartungen im Gesicht der Anderen entkommt), aber auch nahe genug, um ebenso rätselhaft Antwort zu geben. Ich mag die vielen Kilometer, die zwischen uns liegen. Martha Wilson: „I would have been born with money.“ – Yes, Yes, Yes. Posträuberin als Brotberuf für uns. Lieber auf Mundraub verlegen und Brot stehlen? L’ARGENT, MONEY … Martha Wilson’s Antwort (sehr amerikanisch), über dem großen Ozean – 1. Frage oder 2. Antwort: He or she makes soooo much money. Hier in Frankreich wird das Einkommen eher geheimgehalten. Wir Free-Lance-Künstler sind als unabhängige Arbeiter eingestuft. Copyright-Varianten und politische Entscheidungen mischen mit. Wie geht es Dir in dieser Landschaft – Money-Land-Scape? Diese Postkarte wurde im 2. Weltkrieg oder in der Nachkriegszeit gedruckt, Papier war Mangelware – dann später in den 1970er und 1980er + 1990er Jahren habe ich mich mit PAPIER berauscht. Jetzt im neuen Jhdt. wird Papier immer teurer – und die Anwendung von den
Du schreibst von deinen freien Arbeiten, die manchmal über Jahre, fast Jahrzehnte hinweg anwachsen, manchmal im Geheimen. Finden im Geheimen die Dinge auf andere Weisen zueinander, wird im Versteck anders Kunst gemacht?
Dein kleiner Brief ist gut angekommen und mit ihm die letzte Briefmarke! Vor Jahren schon wollte ich einen Briefträger überfallen, um all die Geschichten zu erbeuten, die sich in den ihm anvertrauten Briefen verbergen. Ich habe den Überfall verschoben, hatte ich doch zu befürchten, nichts als Rechnungen zu ergaunern. 11971: Du schreibst von Deinem Bruder Matthias, der am Jakobsweg entlang Steine, die er einwickelte, für Dich sammelte, und daß Du dieses Geschenk noch in der einfachen Hülle geborgen bei Dir hütest und Dir dabei vorstellst, wie diese Vielleicht-Steine aussehen. Du hast viel Geduld und Ausdauer und bist sehr stark in Deinen Geheimnissen. Und viel Respekt – dem Bruder gegenüber, der dieses Geschenk so geformt zu Dir, für Dich getragen hat. Ich habe sehr viele Arbeiten gemacht, mit dem Thema Stein, auch auf Stein viel gearbeitet, dabei war ein Blatt (40 × 30 cm): „Bunte, starke Farben“ – Steine eingewickelt, aber noch sichtbar, in buntem Seidenpapier mit der Legende „Papier und Wolle in lustigen Farben wünschte sich Andreas“. Mein Neffe Andreas wünschte sich Papier und Wolle in lustigen Farben. Er lag schwer krank in der Klinik in Innsbruck. Basteln und Formen waren seine große Freude. Er war sehr begabt, mit großer Fantasie, Zeichnungen und Erfindungen. Er ist mit 14 Jahren gestorben, es ist schon lange her, aber immer noch, dieser Schmerz, die Trauer. Die Steine helfen dabei, sie dauern so lange, das beruhigt.
8 Esther Strauß setzt jede ihrer Performances nur ein einziges Mal um. Den Texten, die von ihren Performances erzählen, ist eine Ziffernfolge beigestellt. Sie entsteht, indem alle Tage vom Geburtstag der Künstlerin bis zum Tag der jeweiligen Performance addiert werden. Auch die Briefe an Christine Ljubanovic sind mit diesem persönlichen Kalendersystem datiert.
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Gedicht ohne Worte
Die in der Schweiz geborene Künstlerin Valérie Favre arbeitete als Bühnenbildnerin und Schauspielerin in Paris und lebt mittlerweile in Berlin, wo sie als Professorin an der Universität der Künste Malerei unterrichtet. Für Quart schuf sie einen Bilderzyklus mit Arbeiten, die getrennt voneinander entstanden sind, im Nachhinein aber wie Kometen aufeinandertreffen und zu einem „Gedicht ohne Worte“ werden. Zu sehen sind Arbeiten in Mischtechnik auf Holz und Papier, mit den Titeln „Die Geburt von Adonis“, „Fragen zum Geschlecht der Engel“, „Ein Insekt“, „Daphne“, „Selbstporträt als Schneekönigin“ und „Die Verkopplung und Variationen“ – zusammengeführt in einer „Assemblage in Unordnung“.
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© Freytag-Berndt und Artaria KG, 1231 Wien, Austria
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Ich bin eine ehrliche Autorin, nur chronologisch verwirrt Landvermessung No. 5, Sequenz 5, Von St. Magdalena nach Schluderbach Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte). Wir befinden uns derzeit auf der Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental Richtung Südtirol und weiter ins Trentino führt. Raphaela Edelbauer, den bestimmt ganz sicheren Tod vor Augen, macht sich trotz frisch gerissenem Meniskus tollkühn auf den Weg in die Dolomiten. Und als die Kellnerin das Fenster aufreißt, durch das ein Schneeschwall hereindrückt, weiß sie: Es gibt kein Zurück …
Vier Tage vor meiner sogenannten, lange antizipierten Linienwanderung traf ich meinen guten Freund Eike im Heurigen 10er Marie, fest überzeugt davon, dass dies unsere letzte, von uns als Heurigen-Jourfixe bezeichnete Zusammenkunft sein würde, da ich in eben vier Tagen in den Dolomiten umkommen müsste. Ich würde, so erklärte ich Eike, drei Tage in der dolomitösen Einöde Südtirols verbringen, wo ich meinem gerade frisch gerissenen Meniskus zum Trotz 55 Kilometer zu überwinden gedachte, was freilich keinesfalls überlebt werden könne. Mein Auftraggeber, das Magazin Quart, sei begeistert gewesen, erklärte ich, von meiner Idee, an denkwürdigen Landschaftspunkten der Wanderung kursiv gesetzte Textmontagen aus Hörbigerfilmen, Waggerlbüchern und Gabalierschlagern in den Bericht einzubauen, denn immerhin sei ich eine Antiheimat-Schriftstellerin, wie man so sagt. Ich könne, räumte ich gleich ein, das Ergebnis freilich selbst nicht mehr sehen, da ich ja zuvor umkäme – denn nicht nur gedachte ich alleine in schroffen Gefilden zu wandern, überdies sei auch die Strecke für einen gerissenen Meniskus schlicht zu weit. Insbesondere aber sprach ich von den denkwürdigen, bereits jetzt auf meinen Tod hindeutenden Umständen, die ich vor Eike zwar mit einer dementsprechenden Handgeste begleiten, keinesfalls aber logisch belegen konnte. Er seinerseits fragte mich, während er seinen gebackenen Emmentaler zerteilte, ob meine Furcht zu ster-
ben mit meinem beim Betreten des Lokals deutlich zu erkennenden Hinken zusammenhinge – mit dem Meniskus eben, doch ich schüttelte den Kopf. Meine Vorahnung, eher genereller Natur, schicksalshaft geradezu. Die Wanderung würde ich notfalls auf dem Zahnfleisch kriechen, wie ich fast stolz hinzufügte. Das Hinken sei dennoch fast ein Symbol, sagte Eike. Befänden wir uns in einem literarischen Text, wäre es das, sagte ich und nickte. Eike versank, kaum hatte ich das gesagt, für einen Moment in tiefe Gedanken, ehe er schließlich verkündete, die einzige Möglichkeit sei also nun, die Wanderung abzusagen und zu überleben. Er führte unter heftigem Aushusten des bereits in Massen genossenen Rebeccaweines aus, dass meine Annahme des nahenden Todes zwar schlichtweg falsch sei – dass allein der feste Glaube an diesen ihn aber, quasi über einen Umweg des Schicksals, doch herbeiführen könne, weswegen das Vorhaben zweifellos abgesagt werden müsse. Unmöglich, sagte ich, während ich das Skelett des Backhuhns, das ich als Abendessen bestellt hatte, nahezu im Ganzen herausgezogen hatte. Erstens seien die Unterkünfte bereits gebucht, zweitens stehe meine Reputation als Schriftstellerin auf dem Spiel, drittens aber – und das sei das Wichtigste – hätte ich den Text bereits geschrieben, den ich nach der Wanderung abgeben würde. Es sei aus ökonomischen Gründen blanker Unsinn, letzteres umsonst getan zu haben. Lediglich die angesprochenen kursiven Hörbigermontagen müssten
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noch eingefügt werden, Blut-und-Boden-Aphorismen, eine Wort-Karte, die ich erwandern wollte, was freilich aber nie stattfinden könnte, da ich ja zu diesem Zeitpunkt bereits tot in den Dolomiten läge. Aber, sagte Eike, gerade das Geschriebenhaben sei doch ein Argument dafür, dass ich gar nicht mehr wandern müsse – und als habe sein Verstand damit etwas Triumphales geleistet, leerte er sein Sodaglas auf ex. Falsch, sagte ich nach kurzem Sinnieren – denn wie er sicherlich schon selbst bemerkt habe, liege hier ein Paradoxon vor: Entweder würde ich nicht gehen und die Hörbigerminiaturen nicht schreiben können mangels der, wie ich betonte, leiblichen Begegnung mit der Heimat. Oder aber ich würde gehen, die Konfrontation erleben und sofort das Zeitliche segnen, ehe ich sie niederschreiben könne – die angesprochenen Hörbigerpassagen seien also eine logische Unmöglichkeit. Ja, sprach ich weiter, natürlich sei scheinbar hier die bessere Option, nun nicht zu gehen und so zu überleben, wenn der Text schon nicht fertig geschrieben werden könne, quasi eine Contradictio in adiecto sei. Aber, und das sei das Entscheidende, ich sei eine sogenannte ehrliche Schriftstellerin, und würde ich wandern, würde diese Ehrlichkeit TROTZ des vorhergehenden Textschreibens erhalten bleiben: Ich hätte dann alles Geforderte getan, nur eben andersherum – sei in diesem Fall bestenfalls chronologisch verwirrt. Da ich an Eikes Gesichtsausdruck ablesen konnte, dass ihm die gegebene Erklärung, meine möbiusverbandelte Rechtfertigung, aus Gründen der Naturgesetze unangenehm war, brachte ich das Gespräch schnell wieder in allgemeinere Gefilde zurück. Mein Text, sagte ich, also der bereits geschriebene, noch zu schreibende, würde sich um die Gegenwart der Ahnen in der Berglandschaft drehen. Würde die Omnipräsenz ihrer nationalistischen Worte widerspiegeln wollen, dieser Heimatfilmphrasen, die plötzlich aus unseren Mündern hervorbrächen. Würde?, fragte Eike, verwundert vom Tempus des bereits Verfassten. Jetzt tut er es, sagte ich geduldig. Es gehe, nahm ich wieder auf, um das, was die Aborigines die Dreamtime
nannten: eine raumlose Schöpfungsgegenwart, aus der heraus die Ahnen, die eigentlichen wie die metaphorischen, mit uns in Kontakt treten. Und zwar folgendermaßen: Was diese in der Traumzeit täten, übertrage sich in unsere Welt – was wir machten, forme wiederum die Traumzeit. Das verbindende Glied aber zwischen beidem sei die Landschaft: Diese verändere sich unablässig, sei gewissermaßen Chronist des Wechselverhältnisses – und Landmarks, auffällige Charakteristika der Natur, seien nach der Meinung der Aborigines die Brandzeichen dieses Prozesses. Gleichzeitig aber könnten wir diesen Prozess nicht bemerken, weil er auch unsere inneren Geografien mitumforme, sagte ich und schnitt eine Pfefferoni entzwei, nur um sie gleich darauf wieder zusammenzufügen: Unsere Zukunft sehe deswegen aus wie unsere Vergangenheit, wir befänden uns in Loops, die das immerselbe im neuen Gewand wiederbrächten. Politisch?, fragte Eike, nun gänzlich von meinem nahenden Tod in den Dolomiten abgelenkt. Vor allem die Berge seien aufgrund des Heimatfilmkitsches Schauplatz dieser Konfrontation mit den Ahnen geworden, sagte ich. Also in die Alpen, die Dolomiten, die Vogesen – die Potemkinschen Berge der Deutschen, Österreicher und Südtiroler. Dieses Unterpfand der Idyllisierung, das über die Verbrechen des Nationalsozialismus die Verheißung einer friedlichen Bergnation gebreitet hatte: Nebenwohnsitz des weißgewaschenen, pseudofriedliebenden Altfaschisten der 1950er Jahre, sagte ich, der mit Kryptonazijopperl und Blut-und-Boden-Stock durch die völkische Flur streift. Diese Berge also wolle ich aufsuchen, um sie mit Montagen ihrer Heimatfilmverliebtheit in ihrer ganzen Künstlichkeit vorzuführen und gewissermaßen AUS DER ZEIT ZU REISSEN. Man sei gefangen: Obschon man wandere wie eine Wahnsinnige, komme man keinen einzigen Meter weiter – bleibe in einem ewigen Loop dieser Landschaft, in noch einer Umdrehung und noch einer Umdrehung. Du solltest nicht wandern, sagte Eike, nun endlich nach langem Schweigen in direkter Rede nochmals,
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und nachdem ich diese Worte nicht nur aus seinem Munde, sondern auch aus dem meiner Mutter sowie meiner geliebten Freundin gehört hatte, die mich nie wieder in die Arme zu schließen befürchtete, brachten sie mich diesmal zum Nachdenken. Wäre das ein literarischer Text, sagte ich langsam, hättest du möglicherweise die Rolle eines Propheten, einer Metapher für meine baldige Verlorenheit in den Dolomiten, sagte ich langsam. Korrekt, bestätigte Eike, und die Tatsache, dass du deinen Text schon geschrieben hast, würde dem Leser im Nachhinein als im höchsten Maße literarisch notwendig, d. h. von der Autorin kunstfertig gepflanzt erscheinen, als Vorausdeutung des Umstandes ihres eigenen Todes. Wieder stocherten wir unmotiviert und freilich stumm in unseren Salaten, als ich auf einmal spürte, wie Eike eine jähe Erkenntnis kam. Ich glaube, ich kann dir an dieser Stelle etwas Entscheidendes mitteilen, sagte er, endlich im Tone eines Verschwörungstheoretikers. Deine Wanderung wird von über einem Meter Neuschnee gewissermaßen erstickt werden. Du wirst drei Tage in Toblach festsitzen, was du freilich erst – und er winkte der Kellnerin hastig zu – in vier Tagen erfahren wirst. Ausgeschlossen, rief ich, ehrlich verblüfft über diesen plötzlichen Anfall von Vorausschau, woher könntest du das denn jetzt schon wissen? Das werde ich dir am Ende des Textes sagen, antwortete Eike, als wäre ihm das unangenehm – oder aber du wirst es mir sagen. Diese Aussage verwirrte mich noch mehr. Das Ende des Textes hätte ich wie gerade erklärt ja längst geschrieben, müsse die Antwort also streng genommen schon kennen, wenn stimmte, was er da sagte – was ich jedoch nicht tat. Überhaupt, sagte ich, hätte ich in meinem Bericht an das Quart meine Wanderung schon beschrieben, ausführlich und üppig, was ein Eingeschneitsein also unmöglich mache. Calmo, sagte Eike. Du kannst deine Hörbigermontagen trotzdem durchführen, wenn du mir nun sehr gut
zuhörst. Er beugte sich nach vorne: Gebens Acht, dass sie ka Jäger ned erwischt. Ich werde Ihnen eine Karte schreiben, von der Front. Ich hab eh aufpassn müssen, dass ich Ihnen nicht einen von Ihren zierlichen Knochen zerbreche. Jö, wie mi die Schuh drückt ham! Ein wunderbarer Herbsttag! Na das wird eine Amputation. Anpacken wird man natürlich müssen, Arbeit wird das kosten. In einem Bild liegt die Wahrheit verborgen, und unser Heiland ist nicht umsonst gestorben. Da is a Madl. So spät ganz allan auf der Bruckn. Welche Bruckn?, fragte ich, aber mitten in meine Worte hinein hatte die Kellnerin das Fenster aufgerissen, durch das ein Schneeschwall hereingedrückt wurde. Ich hörte nur mehr sehr leise, wie Eike antwortete – dass es sich freilich um die Brücke am Dürrensee handle. Keinesfalls, fuhr ich ihm nun heftig ins Wort, könne ich in der Dunkelheit noch am Dürrensee sein, denn spätestens um 18 Uhr würde ich Cortina d’Ampezzo dann eben wegen des Schnees MIT DEM BUS hinter mir gelassen haben und säße längst im Sporthotel Pocol, was Eike nur mit einem Kopfschütteln beantwortete. Ich würde, sagte er, aufgrund des Nichtkommens ebenjenes Busses auch das nicht bewerkstelligen. Der Notnagel, die Lösung, da Cortina mir daher unerreichbar bleiben würde, wäre es, in die andere Richtung zu wandern. Ich würde auf diesem, dem rauen Gebirgsgang nach St. Magdalena, beschließen, dass es nur eine Möglichkeit gebe, in der Tangente nach Cortina, ja sogar bis nach St. Martin voranzuschreiten: nämlich vom Gipfel aus den Mittelpunkt des von Quart gezogenen Kreises zu erspähen, meinen gewanderten Abschnitt zu erfassen, den Satz von Pythagoras zu verwenden und – und mich durch meine eigene Quadratwurzel zu dividieren, ergänzte ich, und fügte nun heftig hinzu: Was bedeutet, dass ich gleichzeitig dort sein und nicht dort sein muss, mich unablässig selbst in neue Paradoxien einbinden, und selbst dann könne ich nur als quasi platonische Idee hingelangen, mit einem Wort als … Halbfiktive Version deiner selbst in deinem eigenen Reisebericht, sagte Eike, und er zitierte in diesem Moment Elijah und Kassandra zugleich, ein magisches Verslein, das mir das Blut gefrieren ließ:
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Wo der Wind die Bäume niederzwingt Und der Almrausch zu wachsen beginnt Wo der Schnee im Sommer schon runterlacht Der Blitz und Donner runterkracht Was eigentlich, fragte ich nun Eike, wie um mich selbst von diesen Gedanken abzulenken, würde in einer Geschichte eigentlich mit dir passieren, wenn ich in den Dolomiten stürbe? Die Geschichte wäre aus, und auch du, eine Prosafigur, würdest aufhören zu existieren. Ja, bestätigte er, und auf einmal wurde mir klar, warum es für ihn eine existenzielle Frage war, wie für mich, dass der Text anders endete. Woher er das alles wusste, war dadurch ebenso unklar geblieben wie zuvor. Du wirst also in Toblach eingeschneit sein, in der Casa Alpina, begann er, und obschon du wandern wirst wie eine Wahnsinnige, auf der sogenannten Linie nicht weiterkommen – in einem ewigen Loop dieser Landschaft sein, in noch einer Umdrehung und noch einer Umdrehung. Alle Wege, die du dir vorgenommen hast, werden unbegehbar sein und du vollziehst deine Notbehelfswanderung im Unterholz und auf den Schnellstraßen zum Monte Piana, langsam, kaum mehr als vier Kilometer pro Stunde schnell und immer wieder zu deinem Ausgangspunkt zurückkehrend. Dann nehme ich also ein Taxi nach Cortina, sagte ich, auf einmal entschlossen, doch fortzukommen, jetzt sogar unbändigen Willens, wie geplant in den Dolomiten zu sterben, denn immerhin war ich die Autorin, immerhin hatte ich den Text schon geschrieben und wollte die Kontrolle behalten. Das Taxi wird mit 80 Euro unerschwinglich sein, sagte Eike, und zwar aus Gründen, die dir bis zuletzt nicht klar sein werden. Wieder und wieder wird derselbe Wirt dich morgens begrüßen; du wirst wieder und wieder auf denselben Schneeflächen ausrutschen und obschon dein Kilometerziel erreichen, doch niemals wirklich fortkommen. Die Spuren der Wildtiere, die du im Wald sehen wirst, sind zeitlich unleserlich ausgeführt – du weißt nicht, ob sie nach links oder rechts, vielleicht sogar, um dich in die Irre zu führen, rückwärtsgegangen sind, so surreal scheint dir alles. Vor
allem wirst du dich von den Schildern der Gasthäuser immer wieder in die Irre führen lassen – jedes Einzelne wird geschlossen, chiuso, sein, und als hättest du das nicht schon zum fünften Mal erlebt, wird ein Gefühl der Enttäuschung dich bei jedem Mal aufs Neue überwältigen. Wieso sollte ich hingehen, wenn ich jetzt schon durch dich weiß, dass sie zu sind?, fragte ich. Weil du es erst dort gesehen würden haben wirst wissen, sagte er und zeigte, als befände sich dort der Beweis, an die Decke. Das war grammatikalisch zu viel: Woher er denn das alles wissen wolle, herrschte ich ihn um die Bekanntgabe seiner Quellen an. Weil, antwortete Eike und schloss die Augen, das soeben geschehene Niederschreiben dieser Anekdoten es für dich vollkommen unsinnig machen würde, etwas anderes zu erleben, wie du selbst meintest. Der Text ist ja fertig – jetzt musst du ihn noch erleben. Er hatte recht, doch ärgerte mich, dass er wusste, was ich nicht wusste, dass er mein Schicksal mehr zu bestimmen schien, als ich selbst. Natürlich: Er war ja, wie schon festgestellt, nichts als eine Textfunktion, ein auktorialer Erzähler, den ich selbst evoziert hatte im Glauben, aufgrund meines baldigen Ablebens den Text schon vor seinem Erleben niederschreiben zu müssen. So also war ich nun selbstverschuldet in eine Zeitschleife geraten. Mitten in meine Gedanken hinein hatte die Kellnerin das Fenster aufgerissen, durch das ein Schneeschwall hereingedrückt wurde. Du wirst, erklärte Eike, wieder Fahrt aufnehmend, jeden Abend in der einzigen, der Bahnhofsbar Toblach sitzen und dich sorgen, dass Quart deshalb deinen Text, der nun deiner ursprünglich geplanten Erlebnisse entbehrt, nicht abdrucken will. Du trinkst dort allabendlich als einzige Fremde zwischen drei hantigen Alpinistensüdtirolern, die einander Fragen auf Italienisch stellen und auf Deutsch antworten, auf Italienisch fluchen und sich dafür auf Deutsch entschuldigen – zwischen ihnen darbst und sorgst du dich und hast nur deine selbstgeschaffene Gesellschaft. Wen?, fragte ich, und Eike antwortete: mich.
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Gut, sagte ich resignierend, da Eike anscheinend, Metapher, Foreshadowing und Vorausschau zugleich, mehr Ahnung hatte als ich – dann sag mir doch, wie ich es schaffen kann, trotz dieser Einschneiung meine Hörbigermontagen durchzuführen. Er antwortete: In da Fruah, in ganzen Haxen mit Knoblauch einreib’n, übern Tog a Kotznfell ums Knia, vurm Schlofngehn an Marsch owe nach draußn, und dann ohne Doppelliter wieder z’ruck! Weder Schinken noch Butterbrot, heute fangen wir mit Käse an! Ich bin die Brigitte und steh’ mit beiden Füßen auf dem Boden, antwortete ich, da ich nun genau wusste, was er meinte und tatsächlich selbige Maßnahmen ebenso angedacht hatte. Alles glüht, alles leuchtet … Theater, Tirol, … Truthahn … Trumpf! Triumph! Ich werde aufgrund des Schneefalls also meine Route ändern müssen. Ja, sagte Eike: Vielleicht ist Bescheidenheit das wahre Glück. Wenn man zuhörn darf wie die Vogerl pfeifen und der Wind singt. Dann überkommt einen unwillkürlich Dankbarkeit, Zufriedenheit, ich möchte beinahe sagen Glück. Naja, dass wir sind wie wir sind und dass wir leben wie wir leben. Jaja, Julika, du bist für mich jetzt wie ein Mann. Quart wird meinen Text, wird meine Wanderung also trotz der einschränkenden Umstände akzeptieren?, fragte ich hoffnungsvoll und sah, wie Eike seine Hände wie ein Redner schon zum Weitersprechen erhob: Er braucht seine Rösser und die Berg … Wenn ich zurückdenk, an die Zeiten, wo ich selbst noch mit so einem Lampion am Stecken marschiert bin! Auf jenem glorreichen Schlachtfeld hatte ich die Ehre vom großen Herzog selbst für meine Tapferkeit ausgezeichnet zu werden. Ob der Herzog eine Metapher für die Chefredaktion und die Auszeichnung das Texthonorar ist?, fragte ich Eike im Tonfall eines Literaturwissenschaftlers. Mein Gott, kann denn dieser Erich denn nichts anderes spielen, etwas … Lustigeres? Wir erinnern uns nicht gerne. Ich hab’s gemacht und damit fertig. Mehr sag’ ich nicht Herr Rat, sagte Eike, dann war das Thema vom Tisch.
Wie also, fragte ich nochmals möglichst unverfänglich, werde ich überleben und den Text fertigschreiben? Da läufst du fort wie ein Wiesel. Es ist ein schönes Stück Land. Alles hat seinen Sinn und seine gute Art, wohin man auch schaut. Du schreibst deine Schrift in das wartende Land. Ja, aber wie schreibe ich denn ins Land?, fragte ich. Dir ist jede Arbeit Recht, Kraft und Geduld hast du ja genug. Du setzt dich auf einen Baum auf der Erde, um ein wenig Luft zu schöpfen. Dein Weg folgt den schneefreien Stellen auf dem Hang. Es soll nicht sein, der Regen vertreibt dich immer wieder. Ein Geier pfeift hoch in der Luft, das ist ein gutes Zeichen. Ob ich diesen Kitsch etwa auch in meinen Text geschrieben hätte?, fragte ich nun, doch Eike schüttelte seinen Kopf: Nein, diese Passagen habe er selbst kürzlich bei Waggerl gefunden, Brot, ein Lieblingswerk der Nationalsozialisten. Gut, sagte ich, denn das würde ich nie und nimmer ins Quart hineindrucken lassen, nur über meine Leiche. Eike schwieg lange: Sie stünden jetzt bereits, flüsterte er schließlich, im Quart, und ich sprach endlich aus, was er nicht sagen wollte: Also doch – meine Leiche, sagte ich, aber wer hat dann …? Solltest du doch überleben, sagte er heftig, kannst du diesen Text fertigschreiben und die ganze Magie und Zeitschleiferei löst sich auf in einen schriftstellerischen Trick, der wohl, wie niemand bestreiten kann, niemanden wirklich umbringe. Und er sprach bewegt weiter: Du bist ein Mensch, du liebst, was sich regt in der grausamen Stille. Zu deinen Füßen ist die Erde aufgerissen, sie dampft wie ein frisches Grab. Die Wiesen sind fast schneefrei, du nimmst eine Brechstange und rückst dem Bach zu Leibe. Dieser Bach ist der Erzfeind des Landes. Der Schluderbach?, fragte ich. Ja, es ist schlimm in diesen ersten Zeiten, fast zu schlimm für eine einzelne Frau, doch du nimmst besitz von diesem Lande, das niemandem gehört. Was passiert in Schluderbach?, insistierte ich nochmals. Dort gibt dein Meniskus nach einer unglücklichen Drehung beim Bergabgehen vollends auf, schreibst du
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im Text, sagte Eike, was, wie ich nun verstehe, der Grund dafür sein dürfte, dass du vorher beim Betreten des Raumes ein deutlich sichtbares Hinken zur Schau stelltest. Das also sei nun übertrieben, erklärte ich, und würde meinen Text geradezu unglaubwürdig machen – ich könne doch keinesfalls in der Zeit rückwärts hinken, sagte ich. Jedenfalls würde ich, erzählte Eike schon weiter, nach dem zweiten Tag meiner Wanderung, während derer mir die Kälte in die Knochen gekrochen sei, im Stechritt in ein Sportgeschäft marschieren und mir wie zum Hohn des Martyriums in Toblach eine 200 Euro teure Wanderjacke kaufen, als ließe sich dadurch alles relativieren – der Meniskus, der Schnee, die mangelnde Erlebnislandschaft durch das Scheitern meines Vorhabens, nach Cortina zu kommen. Das war genug: Der springende Punkt, fuhr ich ihm in die Parade, sei noch immer derselbe und durch unser Gesülze nicht einmal berührt. Jacke hin oder her: Überlebte ich, ja oder nein, solle ich den Schluderbach nun meiden, ja oder nein, stürbe ich denn nun, ja oder nein, vor allem aber, brächte ich einen Text fertig oder nicht? Das Problem war ja eben, dieses, sagte ich: Dann aber schneit es, eines morgens ist alles weiß vor der Hütte. Der Winter liegt noch lange tief und hart über dem Lande von Eden, also wie wandern, wie schreiben? Wie Waggerl auffinden, in dieser Antiheimat?, fragte ich. Aber das war doch gerade bereits Waggerl, sagte Eike vollkommen richtig und in diesem Moment wurde es mir klar: Hatte ich vielleicht – ich stockte – überlebt und die Montagen doch verfasst? Aber was ist mit den Orakelversen?, fragte ich und zitierte: Wo der Wind die Bäume niederzwingt Und der Almrausch zu wachsen beginnt Wo der Schnee im Sommer schon runterlacht Der Blitz und Donner runterkracht Ach das, sagte Eike und winkte ab, das war ein Liedtext von Gabalier, für deinen Antiheimatreisebericht, sagte er.
Ich war noch nicht vollends überzeugt: Doch Eike hatte auch diesen Zweifel vorausgeahnt, wie es schien, und dozierte weiter: Jetzt, da der Text nahezu fertig sei, stieß er aus, müsse ich nur mehr mein Ableben aus dem bereits Geschriebenen über die Wanderung schlichtweg herausverbessern, müsse den Todeshöhepunkt der Narration in kleinen, zunächst kaum für den Leser merkbaren Schritten weglektorieren, wobei mir im Notfall die Chefredakteurin von Quart sicherlich behilflich sein könne. Den Rest verstand ich nicht, denn in seine Worte hinein hatte die Kellnerin das Fenster aufgerissen, durch das nun ein Schneeschwall hereingedrückt wurde. Und womit werde ich die aufgrund des Schneefalls nicht stattfindenden Erlebnisse ersetzen?, fragte ich. Mit Zeitschleifen, mit Rekursion, mit literarischen Tricks, sagte er, so wie du das in deinem Leben immer gemacht hast. Also ist er doch ein Prophet, dachte ich nun, sprach es aber nicht aus, denn schon im nächsten Moment kam mir eine zweite, plausiblere Idee: Oder hast du den Text, den ich geschrieben habe, einfach schon gelesen?, fragte ich, und Eike, leicht errötend, nickte nun unter heftigen Schlucken aus seinem Weinglas. Mehr noch als das, murmelte ich – das hier IST der Text, den ich geschrieben habe, oder? Eike bejahte und dachte nach. Den Text zu lesen ist das Eine, sagte er schließlich – aber woher wusstest du denn schon vor Beginn der Wanderung, wie sie enden würde, und konntest diesen Text überhaupt schreiben? Jetzt war es an mir zu lächeln, weil endlich ich einen Wissensvorsprung hatte – und er begriff schließlich atemlos: Weil es mittlerweile schon vier Tage später ist und du mich erst im Nachhinein in den Text eingebaut hast, oder? Ich bin eine ehrliche Autorin, nur chronologisch verwirrt, bestätigte ich. Dann wanderte ich los.
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Claudia Hirtl Originalbeilage Nr. 32
ABBILDUNG – ORIGINAL – TEMPERA / LEINWAND – E 995 / 996 – 2 × 250 × 200 × 3 cm – 2015
Heldenorgel
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Geschichten vom Alpenkrieg
Der Filmer und Schriftsteller Alexander Kluge hat für Quart alpine Kriegsgeschichten zusammengetragen: Sie handeln von Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland, die Andreas-Hofer-Reden auswendig können, von Schiffen, die bergauf über die Alpen die Poebene erreichen, und von der Entstehung des Schönheitssinnes aus dem Eis.
Die Heldenorgel im Bürgerturm der Burg Kufstein war von 1931 bis 2010 in Betrieb. Auf dieser Orgel wurde jeden Tag um zwölf mittags das Lied „Alte Kameraden“ gespielt. Kufsteiner Veteranen hatten von 1918 bis 1931 Geld für das „tönende Denkmal“ gesammelt. Das war die größte „Außenorgel“ Europas. Es ging ihnen darum, ihre toten Kameraden zu ehren.
Berg Isel in Innsbruck (wenigstens den Anfang davon) in freier Rede wiedergeben. Ich sprach mit Enzensberger darüber. Auch für ihn existieren „unwirkliche“, stark assoziativ besetzte und dadurch im poetischen Sinne „gegenwärtige“ Bilder, wenn es um die Worte „Alpen“ und „Krieg“ geht.
Der Künstler Thomas Demand hat (nach der besonderen Methode seiner Kunstwerke) diese Orgel installativ in seinem Atelier nachgebaut. Aus dem Nachbau entstand sein Werk Heldenorgel. In der neuen Nationalgalerie in Berlin stellte der Kurator Udo Kittelmann die Heldenorgel erstmals aus.
Erfahrungszuschuss aus der Alpenfestung für Frankreich
Abb. links: Heldenorgel von Thomas Demand, 2009
Wintereinbruch im schönen Mai in Alpennähe Schloss Elmau am 4. Mai 2019. Am Fuße der Alpen gelegen. Die Frühlingslandschaft, die den Tag beherrschte, ist mit einbrechender Dämmerung einer dichten Schneedecke gewichen. Wetterumschwung. Im Großen Saal findet eine Lesung des Poeten Hans Magnus Enzensberger statt, der im Jahre 1929 geboren wurde. Menschen wie er oder ich sind „Zeitzeugen“. Unsere Erfahrung – auch wenn es sich nur um die von Schülern und Kindern handelt – reicht in die Zeit des Jahres 1945 zurück. Wir Domgymnasiasten in Halberstadt nahmen damals an, dass der Krieg in der „Alpenfestung“ (das war für uns Tirol) fortgeführt würde. „Zu Mantua in Banden Andreas Hofer lag …“ – wir kannten das Gedicht auswendig. Auch konnten wir die Ansprache Andreas Hofers an seine Kämpfer auf dem
Glatteis in der Früh auf allen Straßen, die in die Alpen hineinführen. Mit zwei Kompanien seiner Gebirgsjäger brach Oberst Rittmeyer aus den Kasernen in Mittenwald in Richtung Seefeld auf. Er sollte die Pässe fachgerecht „verkorken“, die nach Seefeld und nach Innsbruck führten. Wie er das unternahm, war schon nicht mehr als Kriegshandlung zu verstehen. Es ging um ein Projekt zur „Berichterstattung nach oben“. Er platzierte nach ermüdendem Marsch die zwei Kompanien in einer Hangstellung, welche die Straße beherrschte und wo die Soldaten vor Umgehungen sicher waren. Dort konnten sie, reich proviantiert, im nassen Gelände ausharren; es war das Wasser von fünf Zentimeter Schnee in den Boden eingesickert. Sie sollten auf eine Gelegenheit warten, sagte Oberst Rittmeyer dem befehlshabenden Hauptmann, bei welcher sie mit Anstand kapitulieren könnten. Er selbst fuhr nochmals zurück in die Mittenwalder Kaserne, weil er dort über die Nachrichtenverbindungen verfügte, die auch die Empfangsstellen des Gegners erreichten. Schon seit einigen Tagen plänkelte er mit französischen Stabsoffizieren, von denen er den einen oder anderen noch aus der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs kannte. Deren Telefonnummern hatte er im bereits besetzten Lindau durch Anruf bei
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einer Angestellten des Bürgermeisteramtes herausgefunden. Die Offiziere hatten ihr Telefonverzeichnis (mit Namen, Rang und Betätigungsfeld) bei der deutschen Zentrale deponiert. Sie wollten rasch erreichbar sein. Der deutsche Oberst hatte dem französischen Kollegen während der Besatzungszeit in Frankreich Skiunterricht und Unterricht im Gebirgskampf erteilt. Seine Kontaktsuche am 30. April hatte Erfolg. Bereits im Juni bezog er – ohne je in Kriegsgefangenschaft zu geraten – im Sonderauftrag von Frankreichs Gebirgstruppen sein altes Quartier in Grenoble. In gewissem Sinne entsprang hier Europa. Er unterrichtete den französischen Nachwuchs der alpinen Truppe Frankreichs im „Gebirgskrieg für Fortgeschrittene“. Dazu hatte sein Kader in Mittenwald alles an Erfahrungen zusammengezogen, was sich im Kampf- und Übungsgelände Norwegens und was sich im Feldzug im Kaukasus sowie an der Murmansk-Front angesammelt hatte. Hinzu kam, was erst kürzlich im Karwendelgebirge übungsmäßig erforscht worden war: ein Erfahrungszuwachs in Sachen „Ernstfall“, den es angesichts der Endkatastrophe nur für die deutsche Seite gab. Anders gesagt: Alle Generalstäbe der Welt hätten gern gewusst, was und wie in der „Alpenfestung“ geführt worden wäre. Es wäre der perfektionierte Alpenkrieg gewesen. Die französischen Kollegen und Obristen hätten gern einen Platzvorteil in dieser Diskussion gegenüber den im Gebirgskampf uninformierten Briten oder Amerikanern gehabt, und daher schien ihnen nichts zu teuer, um Oberst Rittmeyer zur Kooperation zu gewinnen.
Die Bahnen östlich des Brenners arbeiteten auf Hochtouren Die US-Planer des Luftkriegs nannten das gegen Ende immer mehr verfeinerte Verfahren „to interdict“. Die Bahntrassen, die das einer Schlucht ähnelnde Terrain des Brenner-Passes ausfüllten, waren durch Luftangriffe zermalmt. Auf den durch Trichter unterbrochenen Gleisen standen die zerstörten Züge, einige von ihnen verfügten über ausgebrannte Flakstände. Lokomotiven und Waggons waren durch die Gewalt der Explosi-
onen aber auch quer gestellt. Der Taldurchgang war versperrt von einer Masse aus Eisenteilen. Hier kann für einige Zeit kein Verkehr mehr stattfinden, sagte Oberbahnrat Schmitt, der noch über einen Funktrupp verfügte und so die nachgeordneten Stellen in Richtung Italien und Innsbruck unterrichten konnte, selbst aber noch nicht wusste, wie er diesen „Ort der Verheerung“ verlassen sollte. Auch zu Fuß schien das schwer zu sein. Die Rücktransporte der Heeresgruppe Italien stockten ab Fortezza und Brixen. Die Stäbe erkundeten Routen und Nebenlinien, wie man aus dem Schlauch des Tales Gerät und Truppe (notfalls auch nur die Leute) zum Abtransport ins Reich über die Kärntner Strecke bringen konnte. – An sich ist es doch gleich, ob die Truppe sich in Norditalien oder auf Reichsgebiet in Gefangenschaft begab? – Trotzdem bestand die Vorstellung, dass die Kameraden nach Hause wollten. Es ging darum, das Vertrauen in die Führung zu retten. Die Bahnen östlich des Brenners arbeiteten auf Hochtouren.
Drei russische Offensiven in den Ostalpen und donauaufwärts Der Sonderkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung hatte Süddeutschland bereist, war dann nach Zürich zurückgekehrt und hatte in Österreich telefonisch Auskünfte gesammelt. In seinem Bericht heißt es: „Marschall Tolbuchin erreichte die Einkreisung von Wien mit der gleichen Taktik wie 15 Wochen früher die Einschließung von Budapest. Nach einem Aufmarsch im Süden umgingen seine Truppen die Stadt im Westen, bis sie die Donau erreichten. Die letzten Personen, die Wien im Automobil verlassen konnten, flüchteten über die Donau nach Osten, um auf Umwegen nach Linz oder Budweis zu entkommen. Eine beachtenswerte Leistung Tolbuchins bildete die rasche Durchquerung des Wienerwaldes westlich von Baden. Der Vorstoß folgt jetzt in drei Richtungen. Nördlich der Donau bewegt sich die Armee Malinow-
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ski direkt nach Westen, um das Hügelland an der böhmischen Grenze zu erreichen. Südlich der Donau hat die Armee Tolbuchin, die über die Flüsse Traisen und Ybbs der Enns zustrebt, einen ziemlichen Vorsprung. Zwischen den Flüssen Leitha und Salzach liegen zahlreiche Lager, in denen im Herbst ein großer Teil der von den Deutschen deportierten ungarischen Juden interniert war.“ „Die ungarische Honvéd, die Hitler aus der Front zurückziehen mußte, weil sie nach der Kriegserklärung des Kabinetts Miklós an Deutschland nur auf eine Gelegenheit zum Übertritt in das Lager der Alliierten wartet, steht in Oberösterreich und Bayern, so daß sich bei ihrem Zusammentreffen mit amerikanischen und französischen Truppen große Überraschungen ergeben können. Obwohl die Berge an der Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark, besonders das Massiv des Hochschwab (2278 Meter), ein Hindernis darstellen, gibt es für Tolbuchin über Mariazell einen leichten Übergang in das Mürztal. Da alle Versuche, südlich des Semmering nach Mürzzuschlag vorzudringen, bisher gescheitert sind, folgt der dritte russische Weg der oberen Raab und der Eisenbahn von Steinamanger nach der mittleren Mur. Der ,eiserne Ring der S. S. um Berchtesgaden‘ beginnt aber erst beim Dachstein (2992 Meter) und der Hochalmspitze (3355 Meter).“ „Während Kärnten, wo die Vereinigten Staaten seit mehr als dreißig Jahren große Kapitalinteressen besitzen, angeblich zur britischen oder amerikanischen Zone gehört, fallen Niederösterreich und die nördliche Steiermark nach dem Plan von Jalta in die russische Besatzungszone. Das russische Interesse an einem neuen Österreich wird ohne Zweifel auch durch industriepolitische Erwägungen gestützt.“
Das Spreng-Dispositiv im Gotthardtunnel Oberst Flierz, Direktor des technischen Rüstungsamts der Eidgenossenschaft, ließ den deutschen Militärattaché bei einer Besichtigung des Gotthardtunnels in einem der Nebenstollen einen Blick auf das Spreng-Dis-
positiv werfen, das im Fall einer Besetzung der Schweiz durch deutsche Truppen gezündet werden sollte. Dass Deutschland gewiss sein konnte, die Eidgenossenschaft werde die Transittunnel zerstören, würde sie angegriffen, verhinderte eine Okkupation und nach 1943 einen Wirtschaftskrieg des Reiches gegen die Schweiz, der aussichtsreich gewesen wäre, da erstmals alle Außengrenzen der Eidgenossenschaft (also auch zu Italien und Vichy-Frankreich) von Deutschland kontrolliert wurden. – Wären Gotthard und Simplon tatsächlich gesprengt worden? – Vielleicht nicht. – Weil man den Schaden später nicht hätte beheben können? – Eine so gewaltige Sprengung ist technisches Neuland. Wir hätten es vielleicht an einem kleineren Objekt erst ausprobieren sollen. – Es genügte, dass die Deutschen an die eidgenössische Entschlossenheit glaubten? – Offenbar war das ausreichend. Die Gefahr eines solchen Spreng-Dispositivs bestand darin, dass eine Kette von Zufällen es zur unzeitigen Wirkung hätte bringen können. Das Gespräch mit Oberst Flierz war vertraulich und konnte auch deshalb in dem Züricher Hotel offener geführt werden, weil jetzt, Ende April 1945, es für das Reich kaum noch relevant gewesen wäre, Schweizer Geheimnisse zu durchschauen. Der Oberst, der so lange Zeit alle Informationen für sich behalten hatte, schien sich in einer Art von Stau zu befinden. Er wollte endlich einmal über das Können sprechen, das er in Form seiner tüchtigen Mitarbeiter kommandierte. Ein Problem, berichtete er, bestand darin, dass der Oberst der Pionierwaffe, der das Wunderwerk des Spreng-Dispositivs eingerichtet und verdrahtet hatte, wenig später starb. Die Sache war so geheim, dass keine Aufzeichnungen angefertigt worden waren. So konnte lange Zeit (und auch zum gegenwärtigen Moment des Kriegsendes, fügt Flierz hinzu) niemand diesen „vergrabenen Schatz“, der die Sicherheit der Eidgenossenschaft garantierte,
Die Einfahrt in den Alpen-Sperrriegel Schiffe fuhren die Hochgebirge hinauf
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heben und zunichtemachen. Man könnte, ergänzte der Oberst, die zwölf Räume, von denen aus die Sprengung ausgelöst werden sollte, zumauern. Das werde sein Nachfolger klären müssen, da er zum Jahresende aus dem Dienst ausscheide. Gerda hatte, als der Westwall gebaut wurde, vierzehn herrliche Tage mit einem Herrn von der Organisation Todt in der Eifel verbracht. Dieser Herr fuhr ein Cabriolet. Das heißt, man konnte im offenen Wagen die kühlen Berge der Schnee-Eifel von Vulkantrichter zu Vulkantrichter, praktisch Bergseen, durcheilen. Von ihm hatte sie den Ausdruck: Alles bloß Organisation. Er zeigte ihr Pläne, auf denen Schiffe bergauf über die Alpen die Poebene erreichten. Das war Organisation als Kanalbau, ingenieursberechnet. Man kann es malen. Abb. links: Die Einfahrt in den Alpen-Sperrriegel Abb. links: Schiffe fuhren die Hochgebirge hinauf über die Pässe und Gipfel nach Italien und zurück. Von der Nordsee zur Adria. Unten eine der Schleusen. Weiter oberhalb: Tunnels. Planschiffe von 1938.
Tatsächlich glaube ich nicht an die „Macht der Kinobilder“. Schön wäre es, würde in einem Dunkelraum von vielen Seiten erzählt. Wir sitzen zusammen. Das ist das Kino. Auch täuschen die Bilder, wie ich es ja durch meine Erfahrung mit dem Reklamebild von 1938 erlebt hatte. Das Festival selbst zeigte eine Filmauswahl der Gegenwart. Nur etwa zwanzig Kilometer entfernt lebte der Filmpionier Hans Richter. Kein Film von ihm war auf dem Festival zu sehen. Bilder, die sich noch in seinem Besitz befanden, sahen wir, als wir ihn besuchten. In Nebenzimmern standen sie herum, die Bildfläche zur Wand gekehrt. Keines seiner Bilder konnten wir betrachten, während der „Prophet des Auges“ mit uns redete. Ich trug abwechselnd auf dem linken und auf dem rechten Auge meine Augenklappe. Blinzelte, um nirgends anzustoßen.
Entzündete Augen
Rückkehr der Wölfe als politisches Problem im Wallis
Ich hatte von Kindheit an ein Bild im Kopf: Einfahren in einem Auto mit offenem Verdeck in die Alpen. Der Wind weht durch die Haare und über das Gesicht. Ich stehe aufrecht, damit viel Fläche dem Sturm, der aus dem Gebirge herabweht, zur Verfügung steht. Heute weiß ich, dass dies auf eine Reklame von 1938 zurückgeht, welche das noch gar nicht im Handel erhältliche VW-Cabriolet propagierte. Es war aber, gerade weil ich es nie erproben konnte, mein Idol von Freiheit und Lust. Dann fuhr ich unter einem ganz anderen Regime, in einer anderen Wirtschaftsordnung und nach langem Krieg, tatsächlich in einem Citroën mit offenem Dach durch das Engadin. Über den Malojapass und über weitere Straßen zu den Filmfestspielen in Locarno. Stehend im Wagen, Wind in den Augen. Meine Freundin steuerte. Augenentzündung. Fast blind kam ich in der Festspielstadt an. Die Heilung, sagte der Arzt, dauert nicht unter drei Wochen. Der Vorwurf der Altbranche gegen uns Autorenfilmer lautete: Ihr macht Filme für die Blindenanstalt. Dafür war ich aufgrund meiner Auto-Eskapade gerüstet.
Zwei Wölfe sind von Osten über die Grenze hinweg in die Schweiz gelangt. Vor hundert Jahren waren Wölfe in der Schweiz bereits einmal ausgerottet. Die Nutztierhaltung in den Alpen wucherte in den folgenden Jahren aus. Die Wildtiere waren, nach Ausfall des höchstrangigen Raubtiers in der Nahrungskette, weniger diszipliniert, schreibt Kurt Eichenberger von der Gruppe Biodiversität beim WWF SCHWEIZ. Sie werden dann ihrer Art entfremdet, bleiben nicht scheu. Es hat in der Presse ein erregendes Foto gegeben von den Resten eines Schafes, von einem Wolf gerissen. Eichenberger hat dagegen zahlreiche Bilder gesammelt, auf denen gestürzte Tiere zu sehen sind, von den Umständen der Natur grausam hingerichtete Lebewesen, gestürzt in Schluchten, tagelang zwischen Felsen leidend. Jedes Jahr, schreibt Eichenberger, gibt es zehntausend Schafsopfer durch Unfälle. Dem stehen bis zu 300 Nutztiere gegenüber, die in einer mehrjährigen Periode von Wölfen gerissen werden. Das Problem sind nicht die Wölfe; vielmehr ist die Tatsache gravierend, dass zahlreiche Schafe auf den Bergen nicht behirtet sind.
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Der Bund gibt ja, fährt Eichenberger fort, 43 Millionen Franken für die Schafhaltung in der Gesamtschweiz aus, für den Herdenschutz nur 830.000 Franken. Mittel müssen bereitgestellt werden, die eine Koexistenz von Wolf und Nutztierhaltung ermöglichen. Stattdessen versucht die Schweizer Politik, das medienwirksame Thema der Wolfsgefahr für sich zu nutzen. Im Nationalrat in Bern werden Traktanden entwickelt, die den Schutz der seltenen Wolfstiere lockern und das Abschießen künftig begünstigen sollen! Damit der Wolf bei uns eine Zukunft hat, so Eichenberger, braucht es dreierlei: eine Neuausrichtung der Nutztierhaltung, nicht 250.000 Schafe in den Bergen, sondern die Hälfte davon; den konsequenten Ausbau des Herdenschutzes, was vor allem bedeutet: bessere Ausbildung des Hirtenpersonals in Wolfsgebieten, also Ausstattung mit Herdenschutzanleitungen und Fortbildungskursen, und schließlich wie in Frankreich eine „vorausschauende Planung“. Mit vorausschauend und mit Planung meint Eichenberger eine Betrachtung der Wechselwirkung zwischen den Tieren untereinander und den Eingriffen der Menschen. Eichenberger fordert einen RUNDEN TISCH zum Thema Wolf.
Kriegsglück als Krankheitsursache „Vorn möchte ich stehen wie in einem Ruhme / Groß und wie eine Fahne aufgerollt / Dunkel, aber mit einem Helm von Gold / Der unruhig glänzt“ „Der Abkömmling eines ersten Hauses, Quirin Graf S., genannt Quinquin, war in den Gefechten östlich von Lemberg im Herbst 1914 als Anführer einer Reiterabteilung in eine Reihe aufgeregter Taten verwickelt worden. Er galt als jugendlicher Held. Das wäre seiner Abstammung nach kein Erfordernis gewesen, vielmehr kam es darauf an, daß ein luxuriöses Lebewesen wie er überhaupt existierte in einem armseligen verwalteten Krieg.“ R. M. Rilke
Dann, im Frühling 1916, geriet die Reiterschar, jetzt abgesessen, mit ihren Karabinern, mit denen man nichts Entferntes trifft, vor einer Artilleriestellung in den Felsen der Alpen in die Verzweiflung. Sie flüchteten über eine Schneefläche. Sie lagen, von Rebellen beschossen, unter einer Felsklippe. Wenige von dieser Truppe überlebten. Graf S. wurde mit Lähmungserscheinungen der Arme und einer Störung des Schließmuskels sowie einer Paraphrase-Hysterie in das Militärhospital Innsbruck eingeliefert; die Hysterie war dadurch gekennzeichnet, dass der Graf Fluchtphantasien äußerte. Die sexuelle Herkunft dieser Vorstellungen war dem Analytiker Dr. B. sogleich deutlich. Was hatten eine überhängende Felsnase und ein nächtliches Licht (bestehend aus Finsternis und Artillerie-Explosionen), die den Junggrafen an „Fittiche“ erinnerten, mit dessen stärkstem Erlebnis aus der Jugendzeit zu tun? Das panikartige Durchlassen der Fäkalien, so dass dieser Adlige zu jener Zeit nicht in Gesellschaften auftreten oder vor einem Vorgesetzten Vortrag halten konnte, ließ sich, erklärte Dr. B., nur an den Hebeln und Maschinerien des sexuellen Frühlebens ab- oder umstellen, nicht aber aus dem Schockerlebnis jener Winterkampfnacht deuten, die diese Motorik ausgelöst hatte. Der Arzt musste sich zunächst von der Annahme freimachen, dass die Reaktion des Grafen (oder das Versagen seines Körpers oder seiner Reden) mit dem Verlust der Kameraden zu tun hätte. Die Vorstellung „hier unter der Felsnase holt uns jetzt niemand mehr heraus“, sagte Dr. B., hätte für den tapferen Offizier nichts bedeutet. Was ihn als Schrecken anrührte, war die Empfindung, es seien „Fittiche“ um ihn, offensichtlich die eines unerwarteten Helfers. Es habe ihn erschreckt: dass etwas unterwegs war, ihn zu retten oder zu erschlagen. Die Rettung des jungen Enkels großer Vorfahren vor Schmach und gesellschaftlicher Ächtung wäre in früheren Zeiten allenfalls durch lebenslängliche Einsperrung oder seinen Tod möglich gewesen. Die rasche Heilung des kranken Grafen durch die Zauberer, die sich am Militärhospital in Innsbruck konzentrierten, warf Glanz auf „die Sache“1. Alle Junghelden Österreichs gemeinsam vermochten indessen das Vaterland nicht zu retten. Sie erhofften
Fünfjährig
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sich nichts von ihren Taten. Andernfalls hätten sie den Landesfeind zu Paaren getrieben, sie hätten ihn gezwungen, sich auf den Status simpler Paarung zurückzuziehen, die mit Schande oder Sünde besetzt ist.
Unterscheidungsvermögen, das in den Jahren der Kälte entstanden war, verschloss sich in den Herzen. Es wird dort, behauptet Bruno Taut, oft mit dem Schönheitssinn verwechselt.
„Ich möchte einmal werden so wie die / Die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren …“
Abb. links: Fünfjährig. Den Tiroler Janker hat meine Mutter aus Salzburg mitgebracht. Kinderstahlhelme hatten wir alle. Wenn ich heute mit Helge Schneider filme, trägt er einen solchen Helm und eine ähnliche Uniformimitation. Mein Vater sieht auf dem Bild martialischer aus, als er ist. Er ist Stabsarzt der Reserve, jedes Jahr absolviert er also drei Wochen lang einen Lehrgang für Militärärzte, eine sogenannte „Übung“. Wir kommen von einer Parade im April 1937. Auf dem Arm meines Vaters meine Schwester, zwei Wochen alt.
Entstehung des Schönheitssinns aus dem Eis Bei dem Entwurf seiner Alpen-Architektur („die Natur der Gebirge hat ihre künstlerische Form noch nicht erhalten“) behauptete Bruno Taut, auf URERLEBNISSE DER MENSCHLICHEN EINBILDUNGSKRAFT zurückgehen zu können. Ursprünglich sei nicht der Schönheitssinn, sondern die Einbildungskraft. Sie sei in die kollektive menschliche Erinnerung eingebrannt. Das sei geschehen, als die Züge der Tiere und der ihnen folgenden Menschen an den gewaltigen Hürden der Gletscher entlanggezogen jahrzehntelang über Ebenen gewandert seien, die schon unter der Einwirkung des vorrückenden Eises zu Wüsten wurden. Das waren schlimme hoffnungslose Jahre, und nur im Inneren blieb Mensch und Tier eine Art von Glimmen aus früherer Zeit, das Wärme versprach. Zuletzt nur noch Erzählung. Bis dann die Übriggebliebenen (alle miteinander verwandt, weil 90 % untergingen, aus den restlichen die Nachkommen) die Meere erreichten. Hier fanden sich auch Höhlen. Nach entbehrungsreichen Zeiten hatte der Erdball seine Ausrichtung zur Sonne verändert. Ein Teil der Wolkenmassen, die das Licht der Sonne zum Kosmos zurückspiegelten, senkte sich zur Erde. Offenes Wasser speichert Wärme. Die Erinnerung an das geschärfte
1 „Unsere Sache“ oder „die Sache“ war der Ausdruck, mit dem die psychoanalytische Bewegung ihre besondere Stellung in der Heilkunst charakterisierte. Zu dieser Sachlichkeit gehörte, dass die Deutung der Heilung nicht durch den einzelnen Zauberer selbst erfolgen sollte. So gab es mehrere Erklärungsversuche, die von Kollegen des Dr. B. stammten. Erklärungsbedürftig schien vor allem die Raschheit des Heilungsprozesses. Die pathologische Erscheinung,
Alpenarchitektur In 25 Kilometer Luftlinie Abstand vom Mont Blanc hätte Bruno Taut gern eine Bergkuppe – wie mit einer DURCHSICHTBLENDE – mit einer Serie von in den unterschiedlichen Farben des Tages leuchtenden Gläsern ausgerüstet. Sah man vom nächstliegenden Berg im Norden Richtung Rhone, zeigte sich die Reihe von acht Glasflächen als „durchsichtiger als Luft“ und auch als „Schatzgräber des Lichts“. Für einen, der es nicht selbst sah, war die Wirkung schwer zu beschreiben. Keine Vergrößerung! Keine Hinzufügung von irgendetwas: absolutes Licht. Dafür hätte Bruno Taut aber die Adresse der Werkstatt haben müssen, die für das Toyoshima-Projekt das Glas anfertigte.
die sich bei dem jungen Grafen gezeigt habe, zeige einen Bruch im Charakterpanzer (einer Art gesellschaftlichem Korsett, das zwei Sphären der Libido, wie Herren und Sklaven, voneinander abschließe). Ihm wurde entgegnet: Das, was dem jungen Grafen geschehen sei, würde jedem von uns passieren, wenn wir uns von den Fittichen eines Engels oder Adlers berührt fühlen, der uns aus aussichtsloser Lage rettet.
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Marginaltext (6): Mutter, Vater, Gott Mit dem Wort Marginalie wird gewöhnlich Nebensächliches bezeichnet, etwas am Rande oder an der Grenze einer Sache Liegendes. In Quart werden unter diesem Titel zentrale Texte über das Leben an der Peripherie neu veröffentlicht, die längst vergriffen oder nur schwer zugänglich sind, an entlegenen Orten aufbewahrt oder gar in Archiven verschwunden. Folge 6: Prosa von Peter Wallner, 1950 in Flirsch am Arlberg geboren, verstorben 37-jährig an den Folgen eines Darmverschlusses in Innsbruck.
Mama ist alles! Genossin Mutter: ein Ort, in dem Leiden entsteht, ungewiß und dunkel. Reich, das an die Vernunft grenzt, in dem zu bewegen ich mich bewege. Unbefangen, emanzipierte Frau der Jahre, ein erduldeter Lebenssinn. Geschwätzig ernst, umschmeichelt, dumpf, gefangen, alltäglich. Alltäglich Gattin und Mutter, Geliebte und Frau. Verdichteter Leitstern: Geschichte und Partei, Arbeiterin: Kuß gegen die Mauer gelehnt, im Hof. Du, Konglomerat von Gefühlen, die Kirche, die Verführer von zu Hause. Die Berge steigen spitz auf, und ein Streifen Bläuliches flattert im Hintergrund. Mutters Brust ist weich und hügelig. Auf den Almhütten, in den hintersten Tälern, wo es bekanntlich keine Sünde gibt, die gelben Butterstollen geformt werden, verbringt das Lachen den Sommer. Mutter ist alles: Aufwecken in der Früh, die Brennsuppe, die Milch, das Spielen und die Erzählung, die über die Lippen kommt, die Geschichte. Heuer schenkte ich meiner Frau einen Stern, der brennt. Einen Stern, der strahlt im Dunkeln. Es zehrt jahraus, jahrein an ihrer Kraft. Stark und kräftig sind die Mütter! Sie formen Gemüt und das Haus; ohne Mutter wäre ich einsam und leer. Mutter aber ist alles, sie mag Routine, Hierarchie, Haus und Heim, Rechte und Pflichten, den sogenannten Ernst des Lebens. Mütter sympathisieren. Die metaphysischen Probleme bringen sie zum Achselzucken. Alle die Mütter, das sind soziale und politische Fragen und wir haben doch Sinn für Frauen, unsere Mütter: Oh Mutter komm, – oh Mutter geh. Die Mutter ist eine Romanze aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Eine schöne Helena, ein Blumenstrauch – der Almrausch; leistet den innigsten Müttern Widerstand! An der überkommenen Mutter haftet das Konventionelle, Schwestern. Die Küche, die Kirche und teuerste Gefühle, immer! Ohne Mutter wäre ich einsam
und leer. Ein geplagtes Waisenkind vielleicht, mit einer gelernten Mutter; keine Schwester, ohne Geliebte. „Keine Frau erlebt ungestraft den Kontakt mit Männern.“ Mama horch, Mama schaug. Mutter ist alles für das Kind. Sterntalermärchen. Das ist Mutter alles. Alles ausgezeichnet mit Orden. Aber Mütter sind viel mehr! Unsere Mutter ist über den Bergen, allen Mutter, im Himmel zu Hause. Von dort grüßt unsere Mutter: Ausgezeichnete, Jungfräuliche, ein Geheimnis des Glaubens. Sie geht voraus und wir folgen ihr? Das Mutterherz schlägt enorm im Takt, vermittelt den Rhythmus eines Lebens. Aber die Frau muß erst heiraten und dann Mutter werden! Und dann! Und dann die Enttäuschungen schlucken. Ich bin eure Frohbotschaft. Das Kinderkriegen – ein Kind zur, auf, in die Welt bringen. Das ist die Mutter, eine Beziehung zur Einzelperson, plötzlich die große Familienidylle. Aber was macht ein Retortenbaby in einer Familie? Es ist der Schmerz der Herzen. Es durchbohrt das Herz der Erzieherin Mutter. Eine Tatsache, kein Verwurf. „Eine gesunde Schwangerschaft setzt ein gesundes Kind voraus.“ So könnte es ein Assistent der Tiefenpsychologie meinen: Vom Babyboom zur Doppelbelastung. Der Gynäkologe ist als ein Phänomen weit in der Gesellschaft anerkannt. Es kommt zur Karrieregeilen, die Sehnsucht nach Wärme und Zuwendung sucht. In der Idylle wird angepaßt und konsumistisch erzogen, das bedeutet mehr als eine Rolle einzunehmen, und die Mutter kommt von der einen Krise in die andere. Nach Aussagen des Katholischen Familienverband kommt die Frau von einer Krise, von einer Krise in die andere. Was aber bedeutet für die Mutter die Empfängnisverhütung, eine Flucht, vor dem Bedürfnis auf den eigenen, unerfüllten Wunsch?
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Muttersein ist im Gebäude der Elternliebe, so fragil für das junge Kinderleben. Etwas zaghaft Zärtliches zur Schwelle des Jahrhunderts. Ist Mutter eine Selbstverwirklichungsideologie, eine Daseinsdeutung oder eine Fehlleistung? Der Ideenvorrat in der Natur bietet Rollen an, Mutterrollen. Welche Mutter ist für sich alleine eine Herrschaftsstruktur? Entsteht durch Beischlaf, Unterschlaf und Empfängnis eine neue Haltung gegen Gewalt und Umweltzerstörung? Seltene Reden. Ach Mutter, Mütterlein, heimlich und süß, dich überfallen die gepflegten, konsumerzwungenen Gefühle der Privatwirtschaft in ungebrochenen Wellen. Du wirst erobert in weitausgeholten Wünschen, wie Streicheln die Wörter in Musik verpackt. Deine Mühen und Plagen, alles, ohne zu klagen. Geschundener Körper. Mutters Sorgen sind riesig, sie strecken sich über Berge auf Ebenen in Täler und auf die hohe See, in das Erdinnerste und in die Lüfte. Soll es dir doch schmalzig um den Busen rinnen, Frau. Weib und Liebe, liebst Zärtlichkeit, Stille und Freude, meidest Kummer und Schmerz. An dir bleibt’s hängen. Hängt’s doch von dir ab! Verlogen schieben sie es in dir beiseite: Talente als Organisatorin, den Postendirektor beim Familienbetrieb Fabrik, den Hofrat, Professor, die Frau, den Wunsch. Mutter, du bist ohne Leidenschaft, ohne Lohn, Anerkennung und Lobpreisung. Was versprichst du dir von deiner Befreiung? Das Band zwischen den Menschen, die einander lieben, soll die Liebe sein. Der Kreis: Mädchen, Frau, Mutter, Metropole, er ist eine Sackgasse. Du spürst Unruhe in dir? Bist du noch Mutter? Urfrau, kraftvolles Weib, greif über das Ziel hinaus. Sei Kameradin deines Lebensentwurfes, Keimzelle der Zukunft. „Und Liebe meint die Menschenwürde.“ Die Medienrevolution ist nicht aufzuhalten: „Wo Liebe ist, da ist ein Kind.“ Wenn Erbarmungslosigkeit herrscht, kein Lehrmeister in Politik und Wirtschaft, dann wird die Mutter präsentiert mit ihrer Lauheit und Freude; ein Lernprogramm von Lebensnächten (Mächten). Die Mutter ist ein „liebes Paar“ für die Entwicklung einer funktionalen pluralistischdemokratischen Gesellschaft. Schutz! – das Glück hat sich verkleidet. „Die ehrliche Betroffenheit hat tiefschürfende Gespräche geführt.“ Aber so sind sie nun einmal, Brot + Rosen. ***
Vater, Unser? Hurra, ich bin ein Vater der vaterlosen Gesellschaft. Der repräsentierenden Macht. Der Übermacht. Der Papa, ein Paps. Ein Rabenvater. Der Ziehvater und Ahn, Familienvater der reformierten Kapitalismen. Der Erzeuger der Linientreuen, Gründer des Ekelempfindens. Ein Luftumwälzer oder Ventilator. Sehe aber auch den geglückten Vaterfreuden entgegen. Bin Partikel der Gründer und endloser Vater, verabreiche Injektionen. Oberhaupt des Frosts und versammle im Namen des Vaters die Planeten um mich. Vaterstaat und Teil der Eltern. Und diene im Namen des Vaters dem Vaterland. Last Generation National sowie vaterländisch. Stiefvater, Alter, werde Vater beim Herumzigeunern. Strolche ins Parlament. Vater des Sieges und Urahn der Niederlage. Ein Mann. War immer so mannsgenug beim Wegstecken. Stellte meinen Mann den Dingen gegenüber so der Hoffnung, der Liebe, dem 2. Fall. Vater unser, sei gepriesen, du Schelm. Der Kampf das Prinzip der Entwicklung, der Stolz des Manns. Der Vater werkt an der Schreibmaschine als Philosoph, der Priester der Nacht und Vollstrecker der Wahrheit. Oberstes Maß, aber auch Herr ihres Daseins ist die Persönlichkeit. Der Raum, die innere Erfüllung. Der Träger des kulturellen Ideals. Es kommt nicht darauf an, daß der Mensch sein Leben lebt, sondern darauf, es gut zu leben. Alles in sich aufnehmen, auch das persönlich Gute. Das Leben, der Mensch, die Wurzel des unrationalisierten Genusses. Die private Harmonie innerhalb der allgemeinen Anarchie. Ich bin der Vater, der Papa, der Strahl Roms in das Dunkel der Welt. Apostel der Arbeitsfähigkeit, eine Wirkung des Scheins. Der Vater eine kulturelle Umorganisation vom Führer zum Marxisten, vom Geist des Abenteuertums zur Gemeinschaft. Hoch über den Gegensätzen – der Wille. Das Bild der heroischen Gesellschaft, Versorger und Nimmersatt. Der Vater kehrt heim aus dem Krieg zurück und saust durch die Wohnung. Er schneidet seinen Bart, stutzt den Kindern die Flügel zurecht. Er ist eine Großaufnahme im Film. Der Rhythmus der Welt: eine rührende Einbildung. Ein weißgetünchter Raum in Brusthöhe. Der Verkehr, eine Züchtigung der Mutter durch den Vater. Der Haß, der Überwindung. Hatte mein Vater Charme? V-ater! Der, wenn er ihn eingesetzt hätte beim schwachen Geschlecht. Erfolg gebracht hätte. Aber mein Vater ist weder das eine noch das andere. Was beginnt mit dem Aufruf des Parteivorstandes? Ein Terrorakt. Unver-
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gleichlich hart. Wie ein General. Der rote Stoßtrupp durchbohrt den Pappkameraden. Es kommt der Herbst in ein Land, das sich sommers abgestoßen hat. Der Manager ist der, der andere managt, das heißt: wie Pferde antreibt. E. Bornemann. Er raucht Haschisch und trinkt Perlwein. Als Mann muß man sich rechtfertigen. Ein Mann tut etwas, er weint nicht. Er trinkt. Der Vater ist der Eingang zur Wohnung in der Witzlebengasse 1. Er löscht große Worte mit Bier und brüllt animiert leere Phrasen. In der Dachorganisation Familie spielt er den Zimmermann mit seiner endlosen Axt. Unter seiner Schirmherrschaft wächst das bellende Gelächter der aufwachsenden Kinder. Hinter seinem Schreibtisch formuliert er Pläne für den Straßenbau und regelt die Ordnung in der Wohnung. Durchschlagskräftig im Ortsverband legt er die Eisenstange über das Schluchzen der Mutter. Ich hörte, wie mein Vater mit Kopf und Herz wortgewaltig die Stützpfeiler in der Küche aufrichtete oder einzog. Kurz nach seiner alltäglichen Ankunft am Abend schleppt er als Wegweiser in der Erinnerung Könige und Kaiser auf den Thron. Immer wieder schiebt er würdige Worte in den glühenden Backofen und brät im Eiltempo Licht aus. Kinder, das ist ein Vater. V-ater. Wahrscheinlich ein Fürst im Palast, Hütte. Oh, Vater, unser starker Landwirt und Motor des Einbaums. Es fällt mir schwer Hoffnung und Verbundenheit abzuschälen von seiner Armut und seinem konkreten Hunger. Sekt, Kaviar und erbärmliche Demütigungen widerfahren ihm in seiner Ignoranz. Vater. VATER . *** Trüge Gott doch wieder weiße, seidene Strümpfe Hat sich einer mit seinem Namen erfrecht, während der Predigt das Ave Maria zu vermissen. Aber der Pfarrer, ein Pfaff, hat nicht verstanden. Dem wäre nicht so, wenn die Vorfahren nicht versagt hätten. Jagd nach Büchern, die verboten waren, und der Telex vom Fürstbischof von Brixen, na ja, Sie wissen schon, an den Fürstbischof von Salzburg, den ich auch nicht kenne, bitte was, ach ja, euer Gnaden devotester Suffraganeus. Hallo, nein danke. Im März schrieb da einer und es war ein kleiner, fiel noch viel tiefer, großer Schnee. Viel Erbarmnis. Ey, so sind denn alle verworfen … Donau-himmel-abwärts.
Im sommerprächtigen Juli wiegen die Wiesen sich im seidenen Wind und schaukeln mein noch ungeborenes Mädchen. Der Himmel quillt aus ihren geschlossenen Augen und ihr Adernetz umspannt schon die Liebe. So prächtig ist das Ganze, wenn es auch noch nicht zu Ende ist. Wenn es erst halb geschrieben ist. Muß ich zu einem Ende kommen. Noch hab ich Zeit. Zeit, die mir ein weiß seiden Strümpfe tragender Gott, so er sey, geschenkt hat. Sey er doch! Sie wird nicht nach den schönen Mädchenbeinen schauen. Nein, mein Mädchen nicht. Sie wird eine MaDamme (MaDonne). Und schenkt uns meine Frau kein Mädchen, was wird’s dann wohl sein. Keine Maria, die die Füße spreizt. Um das in Liebe Begonnene zu vertilgen. Aber alles Unglück kommt doch von den Juden. Nein, von den Radfahrern, warum von den Radfahrern? Warum von den Juden? Diese Möve kommt direkt aus Grönland. So eiskalt. Alles ein totaler blöder Sinn, einfach ein lächerlicher Rückfall. In die Seiden-Strümpfe-Zeit. In ein dotterfrisches Maochina. Aber ey Gott, wo gerate ich denn hin, China und Nicaragua. Das sey denn doch in Nauders by einer staatsgefährdenden Rede unterbunden worden. Aber im März, als noch halbseidener Schnee fiel, für den Fremdenverkehr natürlich und mein Mädchen Maria dann, die meistens mit Eva im Süden weilt und etc. … Alle Dämme brechen in Italien. Ey Gott, trägst weiße Strümpfe auch die Herren wie die, Gott, hab sie selig. Er hat sie ja. Schützen. Die Unschuld soll weiße, seidene Strümpfe tragen mit Straps. Wenn ich die weißen, seidenen Strümpfe meiner Frau an das Nylon-Wäscheseil knüpfe, blicke ich schnurgerade (stracks) gegen den mir offenen Himmel und sehe ich, weiß Gott, er trägt weiße, seidene Kniestrümpf. Damit wär ich dort schon am Ende, das ich erbarmt habe. So schreibend. Schon wäre ich dann donau-himmel-abwärts in den Walzer gestürzt oder geglitten und hineinkompromittiert worden, wenn es himmelblau sein muß. Der Wein, das Mädchen und Maria getragen. Da grollt mir aber der Donner hervor mit aufgerollten Strümpfen und zieht den klatschnassen Regen hinterdrein. Ich schau aber gelassen auf die starke Kirchturmuhr, die mitten im Dorf in mich hineinragt und sage A-men. Erstveröffentlichung in: Sturzflüge Nr. 13, 1985; Wiederveröffentlichung in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut BrennerArchiv der Universität Innsbruck
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Koexistenzen
Im Fleimstal (Val di Fiemme) in den Dolomiten organisieren sich seit mehr als 1000 Jahren elf Dörfer, in denen drei Sprachen gesprochen werden, in einer Talgemeinschaft. Die „Magnifica Comunità della Val di Fiemme“ („Generalgemeinde Fleims“) aus dem 12. Jahrhundert regelt bis heute den gemeinschaftlichen Umgang mit Ressourcen wie Holz und Weideland sowie die Nutzung des öffentlichen Raumes. Der Fotograf Walter Niedermayr besuchte über mehrere Jahre das Tal an der Grenze zwischen Südtirol und dem Trentino und veröffentlichte seine Dokumentation über die Fleimstaler Architektur unter dem Titel „Koexistenzen“ – ein gewichtiger Beitrag zum bei Städteplanern, Architekten und Kommunalpolitikern aktuellen Diskurs über das Funktionieren kollektiver Räume. Als schließlich im Sommer 2018 Niedermayrs Arbeiten in einer räumlichen Anordnung der PAUHOF Architekten wieder ins Fleimstal hätten kommen sollen, scheiterte das Unterfangen „aus letztlich nicht einsehbaren Gründen“. Ersatzweise gibt es nun dafür eine zweidimensionale Präsentation der geplanten Ausstellung exklusiv in Quart. Ein Tondokument, das Interviewpassagen mit Bewohnern des Fleimstales enthält, kann unter www.quart.at/ fleimstal heruntergeladen werden (Collage: Stefano Bernardi).
KOEXISTENZEN
präzise dargestellte Alltagsurbanität in seiner oft von außen
Eine Interaktion von Kunst und Architektur
als anarchisch empfundenen, radikalen Überlagerung individueller Formgebungen – aber immer als Teil eines Gan-
Walter Niedermayr
zen, mit Rücksicht auf die Allmende. Man braucht in den
Michael Hofstätter, Wolfgang Pauzenberger – PAUHOF
Ausstellungsräumen nur aus dem Fenster zu schauen und
Architekten
versteht sofort den narrativen Kontext, nicht unbedingt den künstlerischen. Ein explizit artifizielles Ausstellungsdisplay
Zwei im Inhalt, auch im Umfang nahezu identische Ausstel-
erlaubt das Haus in Cavalese gar nicht und wäre den dor-
lungen zum Kunstprojekt Koexistenzen von Walter Nieder-
tigen räumlichen Gegebenheiten nicht angemessen. Aller-
mayr haben fast gegensätzliche Wahrnehmungsbedingun-
dings bedarf es auch hier gezielter baulicher Maßnahmen,
gen für die Betrachter. Das hat einerseits mit dem jeweili-
um die Abfolgen von repräsentativ gerahmten Bildern und
gen Ausstellungshaus – ein abstrakt modernes mit einer
den auf Naturkarton gepinnten kleinformatigen Fotografien
zueinander offenen Raumstruktur im aut_Innsbruck und ein
überzeugend in interessante Sequenzen zu setzen und für
für zeitgenössische Kunst adaptierter Palazzo in Cavalese –,
das Publikum in deren Unmittelbarkeit erlebbar zu präsen-
andererseits mit den differenten Ausgangsbedingungen
tieren. Eine gewisse Kontinuität zu Innsbruck im Ablauf und
der Rezipienten am jeweiligen Ort zu tun.
der Positionierung der Werkgruppen, die sich schon aus der Logik des künstlerischen Materials ergibt, schien daher
Im aut_Innsbruck kannten fast alle Besucher bereits das
als erstrebenswerte Zielsetzung bei der architektonischen
Werk des Künstlers mit seiner Relation zu alpinen Land-
Konditionierung der Ausstellungsräume in Cavalese.
schaften, zur Architektur, zu urbanen Raumstrukturen … seinen Hang zur fotografischen Abstraktion, zur seriellen
Trotz der fast zwei Jahre währenden Vorbereitungsarbeiten,
Bildkomposition. Fast niemand aber war vertraut mit dem
der bereits in Kisten verpackten fertigen Bildproduktion und
neuen Bildgehalt, der fotografisch/künstlerischen Erkun-
eines vereinbarten Eröffnungstermins mit dem Centro Arte
dung der sehr spezifischen baulichen Gegebenheiten der
Contemporanea Cavalese kam es, aus letztendlich nicht
Fleimstalansiedlungen, alle getragen von der Idee einer
wirklich einsehbaren Gründen, zur Abwendung. Koexisten-
lange tradierten Allmendelebensweise in elf Dörfern mit
zen: Walter Niedermayr blieb als Ausstellung der Fleimstaler
drei verschiedenen Sprachen. Als fremd empfanden die so
Bevölkerung vorenthalten. Eine mögliche Ursache:
genannten Kenner die nun von einer langen Kontinuität in
„Im Rahmen des Kunst-Raums manifestiert die Architektur,
Niedermayrs Werk abweichende Bildproduktion und eine
was sie uns draußen, in der architektonischen Landschaft
damit korrelierende, leicht abgeänderte Präsentationsform.
vorenthält. … Die Fotografie reagiert in diesem Zusammen-
Diese Art des Fremden generierte, im Kontext der archi-
hang als Kunst:“ (Sigrid Hauser)
tektonischen Konditionierung der Ausstellungsräume von PAUHOF, ein ganz spezifisches Spannungsfeld.
Vielleicht muss man erst den sehr spezifischen sozial-urbanen Kontext besser verstehen, um künstlerische Prozesse
Ein Jahr später sollte die Niedermayr-Schau Koexistenzen
von außen wieder re-implantieren zu dürfen.
an deren inhaltlichen Ausgangspunkt zurück, dem Fleims-
Die Ansiedlungen der Talgemeinschaft bilden als Gesamt-
tal, konkret ins Centro Arte Contemporanea Cavalese, im
heit schon etwa eintausend Jahre eine weitgehend auto-
zentral liegenden Palazzo Firmian. Viele Bilder der Ausstel-
nome Bauernrepublik. Als Lebensgrundlage bewährte sich
lung zeigen urbane Situationen von Cavalese, also von der
für die Talbewohner die familiäre Selbstversorgung, auf-
unmittelbaren Umgebung des Präsentationsortes. Auch alle
geteilt in so genannte Herdgemeinschaften mit Grund in
anderen mit dem Auge des Künstlers betrachteten Wirk-
Eigenverantwortung, kombiniert mit einer gemeinsam be-
lichkeiten aus den elf Fleimstalgemeinden glaubt man
triebenen Alm- und Waldbewirtschaftung. Aus diesen zwei
zu kennen, beiläufig, im Alltag kaum beachtet. Die sicher
Grundparametern des Zusammenlebens, den isolierenden
meist einheimischen Besucher der Ausstellung in Cavalese
topografischen Gegebenheiten, aber auch den 1613 festge-
werden sich vielleicht zuerst wundern, warum ihre, oft als
schriebenen, also für alle verbindlichen Gewohnheitsrech-
völlig normal wahrgenommene Umgebung durch einen
ten und einem, dem Allmendeprinzip folgenden, katholisch
lang währenden künstlerischen Beobachtungsprozess eine
ritualisierten Gemeinschaftsverhalten resultieren die urban
Verrückung von Deutungshoheiten erfährt. Das Fremde ist
bemerkenswerten Dorftexturen. Nicht das einzelne Haus
hier die aus der Distanz betrachtete und gleichzeitig sehr
definiert in den elf Dörfern das räumliche Siedlungsgefü-
ge, sondern das Ineinanderbauen, Überlagern solcher aus
cierten Eindringens baumarktkompatibler Bautechniken in
verschiedenen Epochen führt zu bemerkenswerten Agglo-
das Tal mit all den ortsfremden, glatten Industrieprodukten
merationen. Noch bis zur Moderne gültig blieben die klare,
gewährleistet die noch immer angewandte, traditionelle
weithin sichtbare Abgrenzung des jeweilig geschlossenen
Bricolage-Baumethode in Verbindung mit den urbanen
Dorfes, eines oft grotesk-anarchisch anmutenden Orga-
Überlagerungen auch in der Gegenwart den fleimstale-
nismus, von der intensiv genutzten, kleinbäuerlich gepräg-
rischen Sonderstatus in all seinen architektonisch aus-
ten Umgebungslandschaft und, weiter weg, der Wald, die
geformten Ungleichzeitigkeiten. Über viele Generationen
Berge.
hinweg schafften es die dort lebenden Menschen ihr von
Bezeichnend für das komplexe Beziehungsgeflecht der
der Allmende geleitetes Lebensgefühl in ein charakteris-
Erschließungsräume sind die vielen, quer zu den Straßen
tisches Environment zu verdichten, Natur und Zivilisation
geführten, in die Häuser integrierten Durchgänge ins Freie
als Gesamtheit in der spezifischen geografischen Situation
– früher für Tier und Mensch eine Notwendigkeit, jetzt als
zu einem unverwechselbaren räumlichen Ausdruck zu for-
erlebnisreiche Sequenzen erfahrbar. Typus, Konstruktion,
mieren. Chapeau!
Form und Materialität des Gebauten verweisen auf eine lang währende Kontinuität der Lebensbedingungen für
Die Ausstellung Koexistenzen: Walter Niedermayr zeigt uns
alle Bewohner, auf die lokalen Materialverarbeitungsmög-
diese Welt aus der subjektiven Perspektive des Künstlers,
lichkeiten, auf die handwerklichen Fertigkeiten, auf eine
vordergründig sehr alltäglich, bei genauerer Betrachtung
fast anarchische Lust zur gestalterischen Improvisation,
voller Überraschungen. Bleiben werden die autonomen Fo-
die offensichtlich nur in gegenseitiger Toleranz oder all-
toarbeiten als eigenständige Kunstwerke und das gleichna-
gemeinem Vertrauen so explizit zum Ausdruck kommt. Eine
mige Buch als Dokument der siebenjährigen künstlerischen
Erklärung dafür wäre auch das ständige Weiterbauen am
Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Urbanität im
Ganzen, eine kultivierte Gabe zum wilden Denken/Gestalten
Fleimstal. Und ganz sicher eine um Kunstaspekte erweiterte
ohne Vorschriften, nur aus einer jeweiligen Notwendigkeit
Wahrnehmung des Betrachtungsfeldes. Leute, die die Aus-
heraus, aber mit einer gewissen Leidenschaft zur individu-
stellung sahen oder das Buch Koexistenzen genauer stu-
ellen Formfindung. Ergänzend dazu gibt es noch die meist
dierten, werden mit anderem Blick die abgebildeten Orte
bizarren Applikationen an den Häusern mit oft religiösen
begehen, werden Sensibilitäten für bestimmte Situationen
Motiven oder anderen Zeichen, die auf die Vergänglichkeit
entwickeln, werden die dortigen Wirklichkeiten vielleicht
hinweisen. Nur unsere Zeit beglückt uns mit normierten ra-
auch in deren Alltäglichkeit als Artefakte erfahren.
tionalen Infotafeln – Verboten, Hinweisen, Bezeichnungen. Alle Zeiten überdauerten die für die Fleimstalgemeinden
Zweifelsohne sind die Fragestellungen von Walter Nie-
charakteristischen Kommunikationszonen im öffentlichen
dermayr im Projekt Koexistenzen essenziell in einer Zeit,
Raum: die zentralen Waschplätze mit den zweckmäßigen,
in der die „Ressource Land“ immer mehr zum Konfliktfeld
wunderbaren Wassertrögen aus Granit und die zentralen
gegensätzlicher Ansprüche wird. Das generiert kulturelle
Hausgartenfelder, aufgeteilt in unzählige private Nutzgär-
Widersprüche, die sich dann – ungelöst – sowohl im Land-
ten, die sich nur wenig voneinander unterscheiden – eine
schaftsraum als auch in den Siedlungsstrukturen als Prob-
sichtbar poetische Erzählung über die Gewohnheiten der
leme der Form artikulieren, damit auf eine Fragmentierung
Bewohner.
des örtlichen Zusammenlebens verweisen und ökologische
Die bäuerliche Kultur im entlegenen Tal wandelte sich
Fehlentwicklungen sichtbar werden lassen.
in den letzten Jahrzehnten sukzessive zur gut vernetzten Dienstleistungsregion mit Potenzial im Fremdenverkehr.
Koexistenzen als interaktiver Ausstellungsessay in Quart re-
Doch trotz des Eindringens der globalisierten Welt bleiben
flektiert nicht nur die Konzeptarbeit der Protagonisten vor
die meisten FleimstalerInnen: Sie feiern so ihre bizarre kul-
Ort im Fleimstal, sondern bringt diese nun auch in eine an-
turelle Eigenständigkeit, leben allerdings kaum mehr von
dere, erweiterte Form der Darstellung von Kunst und Archi-
der Landwirtschaft, transformieren ihre ehemaligen Ställe,
tektur – sozusagen in ein zweidimensionales Ausstellungs-
anstatt diese zu demolieren, ergänzen ihre alten Baube-
format, in dem Fotografie und Display zu sich ergänzenden
stände und Dorfplätze mit den Möglichkeiten von heute.
Darstellungsmitteln werden.
Das befördert Identität und Gemeinschaftssinn, vielleicht gerade auch wegen der drei Sprachgruppen, und scheint nicht zuletzt ökonomisch nachhaltig zu sein. Trotz des for-
Koexistenzen als konzeptuelle PAUHOF Intervention
(ladinisch) die sprachlich bedingten Abweichungen. Diese Idee folgt den
in den Dorftexturen
im Fleimstal traditionell üblichen Zeichensetzungen im öffentlichen Raum. Je nach Gebrauchswert der Hintergrundbestände und der Befindlichkeit
Nur die beabsichtigten konkreten Schriftinterventionen im öffentlichen
der Eigentümer sollte der jeweilige Schriftzug entweder stehen bleiben,
Raum der einzelnen Fleimstalgemeinden verweisen auf die Sonderstel-
allmählich verwittern oder wieder ganz verschwinden. So könnten die
lung einer möglichen Ausstellung im Environment des künstlerischen
Ausstellungsmotive eine Bedeutungsverschiebung erfahren, einen frem-
Entstehungsprozesses.
den Blick auf das Vertraute befördern. Das Projekt Koexistenzen: Walter Niedermayr wird auf diese Weise integriert in die sichtbare Grammatik der
Ausgangsidee für die örtlichen Interventionen wäre die für Juli 2018 ge-
Fleimstalkultur – auch ohne die Wirklichkeit der Schau in Cavalese, eher
plant gewesene Eröffnung der Ausstellung im Centro Arte Contempora-
als Imagination einer Betrachtung von Wirklichkeiten.
nea Cavalese. Der schwarze Schriftzug Coesistenze (italienisch) wäre eine Woche davor im weißen Feld über dem Portal des Palazzo Firmian gemalt
Die Generalgemeinde Fleims umfasst die Ortschaften Truden, Carano,
worden und danach an ausgewählten Stellen in den übrigen Fleimstal-
Daiano, Varena, Castello-Molina di Fiemme, Cavalese, Tesero, Ziano,
gemeinden, die alle in der Ausstellung bzw. im Buch präsent sind. Nur in
Panchià, Predazzo, Moena.
Truden gäbe es mit Koexistenzen (deutsch) und in Moena mit Coesistënzes
Die Arbeit an diesem Projekt wurde gefördert von barth innenausbau KG, LEITNER AG, STRABAG Kunstforum, Autonome Provinz Bozen – Südtirol.
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Der Sprache Selbstentzündlichkeit oder im Zwiebelzwerg keimt Kling1
Archiv-Achievements von Markus Köhle
Das brennende Archiv ist ein Buch von Thomas Kling. Das Brenner-Archiv beherbergt das Literaturhaus am Inn. Ludwig Wittgensteins Nachlass ist teilweise im Brenner-Archiv daheim. Marcel Beyer ist im brennenden Archiv daheim, das aus Texten und Fotos aus dem Nachlass von Thomas Kling besteht. Ludwig Wittgenstein ist Sprachphilosoph. Thomas Kling ist Sprachschichtarbeiter. Marcel Beyer hat ein Nachwort für Das brennende Archiv verfasst, das – bevor es als Buch bei Suhrkamp2 erschien – als Nummer 76 der Literaturzeitschrift Schreibheft herauskam. Das BrennerArchiv wiederum entstand 1964 aus dem Archiv der Literatur- und Kulturzeitschrift Der Brenner. Norbert Wehr und Ute Langanky haben das Schreibheft-Dossier zusammengestellt. Norbert Wehr ist der Herausgeber vom Schreibheft. Ute Langanky ist Künstlerin und war die Frau von Thomas Kling. Ludwig Wittgenstein hatte nie eine Mätresse, schreibt David Foster Wallace im Nachwort von Wittgensteins Mätresse 3, einem Roman von David Markson (übersetzt von Sissi Tax; Elfriede Jelinek hat ebenso ein Nachwort beigesteuert). David Foster Wallace ist Unendlicher Spaß, Der Besen im System und Der bleiche König 4. David Markson ist Wittgensteins Mätresse, ist Wittgensteins Tractatus umgesetzt in einer Romanwelt mit einer Heldin, die in Museen wohnt, mit Bildern heizt und jede gelesene Seite verbrennt. Ludwig Wittgenstein ist für immer in Tirol. Thomas Kling war mal in Tirol5. Marcel Beyer, Ute Langanky, Norbert Wehr, Sissi Tax und Elfriede Jelinek leben noch und können jederzeit nach Tirol eingeladen werden. Waren David Foster Wallace und David Markson je in Tirol? Was verbindet Ludwig Wittgenstein und Thomas Kling und wie kommen Virginia Woolf und Gertrude Stein in dieses Tirol-Spiel? Der Recherchierende als Archivschnüffelhund, der die Nase in den Wind der Vergangenheit hängt, der Witterung aufnimmt und der Karotte der Erkenntnis, die sich der Archivschnüffelhund freilich eher als Wurst vorstellt, hinterherhechelt. Diese Imagination erweist sich als künstlerisch wertvoll, da die Wurst viele Augen und
nicht nur ein Ende hat. Es folgen Fährten und Finten im Kling’schen Sinn und postmodernem Möglichkeitssinn à la David Foster Wallace und David Markson. Ludwig Wittgenstein liefert die Sprachskepsis und Elfriede Jelinek wird gleich mal bepreist. Da die in Mürzzuschlag geborene Elfriede Jelinek in Wien und München lebt, war sie sicher, obwohl sie nicht gerne reist, schon öfter in Tirol. Jedenfalls aber war sie 1969 bei den Jugendkulturwochen in Innsbruck, weiß das Innsbrucker Subkulturarchiv6. Dort erhielt sie für das Prosafragment Aus einem Illustriertenroman 7 einen, wenn nicht gar ihren ersten, Literaturpreis. Die Presse hatte das Werk als pornografisch verteufelt. Aber das ist nichts Besonderes hierzulande. Das widerfuhr auch dem Stück Das Liebeskonzil von Oskar Panizza aus dem Jahre 1894, das 1982 verfilmt wurde. Die Tiroler Landesregierung hat den Film im Jahre 1985 sogar verboten, weil er – so die Begründung – die christliche Religion beleidige und die religiösen Gefühle der katholischen Mehrheitsbevölkerung Tirols verletze. Als das Otto-Preminger-Institut für audiovisuelle Mediengestaltung (OPI) das Liebeskonzil sechs Abende im Cinematograph in Innsbruck zeigen wollte, erstattete die Diözese Innsbruck Anzeige gegen den Direktor des OPI, Dietmar Zingl, und fand die Unterstützung des Staatsanwalts. Trotz harscher Reaktionen der österreichischen Presse wurde der Film, wie kurze Zeit vorher Das Gespenst von Herbert Achternbusch, in Tirol verboten (entnehme ich dazu dem Internet-Archiv Wikipedia 8). Auch noch zehn Jahre später, als der Schweizer Dominique Mentha die Intendanz am Landestheater 1 Titelalternative: Schrunsen mit Pastior und Kling. 2 Thomas Kling: Das brennende Archiv, Suhrkamp-Verlag 2012 3 David Markson: Wittgensteins Mätresse, Berlin-Verlag 2014 4 David Foster Wallace ist auch ein großer Fußnotenfan. 5 Was es noch zu beweisen gilt. 6 https://subkulturarchiv.at/jugendkulturwochen.php 7 1970 erscheint der Roman dann mit dem Titel wir sind lockvögel baby! im Rowohlt-Verlag. 8 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Liebeskonzil
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Innsbruck antrat und Panizzas Stück auf den Spielplan setzte, machte die Kirche wieder mobil. Menthas Aufführungen in Innsbruck wurden von der internationalen Fachkritik gelobt, im Land erreichte er 1.500 Abonnementkündigungen. Dominique Mentha war vermutlich gleich gerne in Tirol wie der Bayer Herbert Achternbusch in Bayern: „In Bayern mag ich nicht mal gestorben sein“, ließ er schon 1977 wissen. Mentha ging 1999 nach Wien und übernahm die Volksoper, heute lebt er in Biel, Graz und auf einer Insel vor Seattle. Achternbusch ging schon vor fünf Jahren nicht mehr gern irgendwohin: „Ich mach gar nix mehr, geh nur noch zum Essen und Scheißen“9. Achternbusch lebt in München und in einem Haus im Waldviertel. Das Waldviertel ist gewissermaßen das Tirol Niederösterreichs. Sissi Tax ist im Tirol der Steiermark, in den Lavanttaler Alpen, in Köflach geboren, lebt und arbeitet in Berlin und Graz und hat nicht nur David Markson, sondern auch Gertrude Stein übersetzt und (gemeinsam mit Herbert Wiesner) 1987 die Nacht Zettel 10 von Wolfgang Bauer herausgegeben. Herbert Wiesner gilt als Erfinder der Institution Literaturhaus. Wolfgang Bauer gilt als ewige Skandalnudel im Literaturbetrieb. Gertrude Stein zählt (wie auch Virginia Woolf) zu den ersten Autorinnen der klassischen literarischen Moderne. David Markson zählt (wie auch David Foster Wallace) zu den Klassikern der literarischen Postmoderne. Ein Buch Mit Da Hat Der Topf Ein Loch Am Ende Eine Liebesgeschichte 11 lautet der Titel des Buches von Gertrude Stein, das Sissi Tax übersetzt hat. Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte: David Foster Wallace. Ein Leben. wiederum lautet der Titel der Biografie von David Foster Wallace12 (von Daniel Max, aus dem Englischen von Eva Kemper). Eva Kemper studierte in Düsseldorf, als Thomas Kling dort lebte. Daniel Max schaut auf dem Foto von Flash Rosenberg auf der Kiwi-Verlagshomepage Thomas Kling tatsächlich ähnlich. Sissi Tax hat Ein Buch Mit Da Hat Der Topf Ein Loch Am Ende Eine Liebesgeschichte übrigens gemeinsam mit Oskar Pastior übersetzt. Oskar Pastior war in Tirol13, hat 2004 im Literaturhaus am Inn gelesen und auch in Das brennende Archiv von Thomas Kling Einlass gefunden14. Er zitiert darin wie-
derum ein Nachwort Oskar Pastiors und bezeichnet seine Nachwörter als „dementistarke Labyrinth-Wegweiser“, nach denen man sich in seinen Büchern noch herrlicher verlaufen könne. Oskar Pastior schreibt, schreibt Thomas Kling: „Meine Halden sind natürlich Abraumhalden, taubes Gestein, Ausgeschwemmtes (wie jede Übersetzung). In der Nacht, wenn die Selbstentzündung in den Stoffen sichtbar wird, glühen die Halden von innen.“ Pastiors Gedichte glühende Halden. Klings Poesie Funken schlagend. Und nochmal Pastior: „Heute ist ein Feiertag. Euer Feuerlöscher15 schäumt Poesie, ei wie fein deutsch wir schreiben, Anlaut, Umlaut, Ablaut.“ Kling spricht von Mount Oskar und Pik Pastior, wirft seine Erinnerungsmaschine an und ist plötzlich bei einem anderen Massiv – im Montafon. „Da hielt ich mich einmal in den 80ern auf; der Blick-Berg war die Zimba, der Ort hieß Schruns; alles dort protokeltische oder präromanische Namen, könnte man vermuten. Eine Ansichtskarte der Zimba ging an Pastior, der unter Beifügung eines Sonderdrucks spornstreichs zurückschrieb: ,Die ZIMBA-LIMBA – so hieß bei uns in Hermannstadt die 1. Grundschulklasse. Ich geh immer noch in die Zimba-Limba, wie diese Produkte Dir zeigen. Jetzt schrunsen sie zu Dir.‘“ Schrunsen mit Pastior und Kling. Das ist eine Spur, der es zu folgen lohnt. Schruns, Tschagguns, Bittschweil – Ortsnamen, die knistern. Kling war also in den 1980ern in Schruns. Darüber hat er sicher ein Gedicht geschrieben, zumal
9 Tiroler Tageszeitung Onlineausgabe vom 16.11.2018 10 Nacht Zettel. Sieben Theatertexte nach William Shakespeares Ein Sommernachtstraum. Wolfgang Bauer, Ingomar Kieseritzky, Jürg Laederach, Jutta Schutting, Ginka Steinwachs, Urs Widmer, Paul Wühr; Literaturhaus Berlin 1987 11 Gertrude Stein: Ein Buch Mit Da Hat Der Topf Ein Loch Am Ende Eine Liebesgeschichte, Friedenauer Presse 1987 12 Daniel Max: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte: David Foster Wallace. Ein Leben. Kiepenheuer & Witsch Verlag 2014 13 Erstmals 1993 auf Einladung des Literaturvereins 37KOMMA8 gemeinsam mit Pinguin Moschner (Tuba) im Bogen13 14 Mount Oskar, Pik Pastior. Ein Rezept mit 12 Eiern. S. 127ff 15 Ob sich der SPÖ-Politiker Andreas Schieder am Tag der Arbeit (neulich am Wiener Rathausplatz) auf Pastior bezog, als er ausrief: „Wir brauchen einen Feuerlöscher – und der ist rot“?
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er ja schon als Jugendlicher gerne in die Berge ging. Seine allererste Veröffentlichung16 dürfte ein Tourenbericht in der Zeitschrift Der Berg17 aus dem Jahre 1974 gewesen sein, mutmaßt Marcel Beyer. Flugs also den 1980er-Jahre-Kling gezückt und geblättert – erprobung herzstärkender mittel 18 und geschmacksverstärker 19 überflogen und angekommen und fündig geworden in brennstabm (Gedichte 1988–1990)20. GEMÄLDEGEDICHT , SCHRUNS – ein Teil von TIROLTYROL . 23-teilige landschafts-photographie. Augenblicklich werden wir in den 1. Weltkrieg katapultiert: „(,… geb. 1894, / als Einj. Freiw. Untjgr. ALS / EINJÄHRIGFREIWILLIGER UNTER- / JÄGER am Pasubio für das Vater- / land gefallen 1916‘); (…) , gedt hin ier vermaledeite‘, / auf schub-, auf leichnkarren führt / beschwingt ein teufel das sitzende das / bremsnwollende, halbnackte menschliche / lamento dem feuer zu; von ungeheuern an- / gespien, die hände hoch! (...)“21 Hier zeichnet wer ein Vergangenheitspanorama; hier montiert wer Grabinschriften mit Landschaftskolorit; hier zerschießt wer die Sprache; hier verschwimmen geografische und chronologische Grenzen; hier wird sich Geschichte im Gedicht erwandert. Nicht überraschend, dass es im Gedichte-Zyklus TIROLTYROL 22 auch ein Gedicht mit dem Titel mühlau, † gibt. Natürlich war Thomas Kling am Grab von Georg Trakl. Der Friedhof in Mühlau ist Innsbrucks Père-Lachaise. Zur letzten Ruhestätte Trakls schreibt der Herausgeber der Kulturzeitschrift Der Brenner Ludwig von Ficker (an den Herausgeber des Salzburg-Jahrbuchs 1963): „So hat sie [die Stadt Innsbruck] seit Jahren sein Grab auf dem benachbarten Mühlauer Friedhof (hier hatte der Dichter einst zu ruhen gewünscht) in Schutz und Pflege übernommen. Man kann von dort auch gut hinaufsehen zur Klamm, die Trakl bei Nacht, längs des tosenden Wildbachs, förmlich getrieben schon von den drohenden Weltbränden, die er im Geist voraussah, zuletzt so häufig herabstieg, um im Banne gewaltig auf ihn eindringender Naturgesichte noch des Wortlauts jener vorletzten Gedichte mächtig zu werden, die mit
ihren bestimmten Artikeln (Das Herz, Der Schlaf, Das Gewitter, Die Schwermut, Die Heimkehr, Der Abend, Die Nacht) dem Gesang des Abgeschiedenen folgen und an deren erhelltem Ausgang er den ,einsamen‘ Friedhof winken sah – eben diesen, der heute viel, und von überallher, besucht wird.“23 Ludwig Wittgenstein lernte Trakls Werk durch den Brenner-Kreis kennen. Im Juli 1914 beschloss Wittgenstein, laut Wikipedia24, einen Teil seines Erbes für wohltätige Zwecke zu verwenden, und übergab Ficker 100.000 Kronen mit der Bitte, das Geld nach Gutdünken an bedürftige österreichische Künstler zu verteilen. Gefördert wurde unter anderem Trakl mit einer einmaligen Summe von 20.000 Kronen.25 Wittgenstein war überdies indirekt in das Geschehen um den Tod Georg Trakls involviert. Auf Bitten Trakls, der sich nach einem Selbstmordversuch in einem Krakauer Garnisonsspital befand, reiste Wittgenstein am 5. November 1914 nach Krakau, um Trakl zu besuchen. Dieser war jedoch zwei Tage vor Wittgensteins Eintreffen in Krakau gestorben. Auf Anregung Ludwig von Fickers wurde der Leichnam Trakls, der am 6. November 1914 in Krakau beigesetzt worden war, 1925 nach Innsbruck überführt und am 7. Oktober am Mühlauer Friedhof beerdigt.
16 Sein erster Gedichtband erschien 1977 im Kunstverlag Schell und Scheerenberg, dem Zwiebelzwerg-Verlag und trug den Titel: Der Zustand vor dem Untergang. 17 unsere erste eifelfahrt in Der Berg. Mitteilungen der Sektion Düsseldorf e. V. Im Deutschen Alpenverein. September 1974 18 Thomas Kling: erprobung herzstärkender mittel. EremitenPresse 1986 19 Thomas Kling: geschmacksverstärker. Suhrkamp-Verlag 1989 20 Thomas Kling: brennstabm. Suhrkamp-Verlag 1991 21 Zitiert nach: Thomas Kling: erprobung herzstärkender mittel geschmachsverstärker. brennstabm. nacht.sicht.gerät. Ausgewählte Gedichte 1981–1993. Suhrkamp-Verlag 1994, S. 142 22 TIROLTYROL gibt es auch als „Hörstükk“ auf CD von Thomas Kling und Jörg Ritzenhoff, Pendragon-Verlag 2002. 23 In: Ludwig von Ficker: Denkzettel und Danksagungen. Aufsätze, Reden. Hrsg. von Franz Seyr. München: Kösel 1967. 282–289 Zitiert nach: https://orawww.uibk.ac.at/apex/uprod/f?p=LLW:3:0:: NO::P3_ID:1550 24 https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Wittgenstein 25 Mehr dazu von Mirko Bonné im Beitrag Die Zwischenräume im Schweigen. Annäherung an Georg Trakls Innsbrucker Jahre. In Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 27/16, S. 43ff
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Thomas Kling setzt in den späten 1980er oder frühen 1990er Jahren dem Mühlauer Friedhof (und Georg Trakl) folgendes Gedicht-Denkmal26. mühlau, † was wir besprachn grauschießnd, untn, der inn; obn (untn) ein grobes plattngrau: seine abdekkun’, über polnisch überführter staubklebe hochziehende nebel, hellzte line-düsternis über innsbruck; da, ein gehen dahingehn und flanierte konzentration (gespräch) einer lebendn aus wien mit einem aus In einem Nachruf über Thomas Kling schreibt Der Standard: „Der 1957 in Bingen geborene Autor hatte sich vor allem mit dem Klang von Sprache beschäftigt. 1986 war er mit seinem ersten Gedichtband erprobung herzstärkender mittel hervorgetreten, lebte immer wieder längere Zeit in Wien und fand auch eine besondere Beziehung zur tirolischen bäuerlichen Mundart.“27 In Wien war das Café Anzengruber sein Lieblingsort. In Tirol war Thomas Kling mindestens noch in Kitzbühel, winters. kitzbühel. panoramafenster 28 fickwahn!, knalligste monturen!, was da zur tür reinmoonbootet und -schneit! londoner stadtadel mai länder fabrikantntöchter münchner & wie ner wiener-und-tempo-mischpoche („der da“, „die da“) bei laffm schnee, hingepustetm kunzschnee (…); rollsplittschritte, ein hingestapf zu glühwein drinks malakofftorte; pelzjäckchn geplustert, fickwahn, pistnröte von gestern nacht, aus gelbn knallgelbn boots staksig der ihre wadn da raus; hahnenkämme! In seiner nische verlöschnd sankt florian Während Thomas Kling durch das winterliche Kitzbühel stapfte, erschien in Amerika bei Dalkey Archi-
ve Press Wittgenstein’s Mistress (1988) und beendete David Foster Wallace seinen ersten Roman mit dem Titel The Broom of the System, der erst 2004 als Der Besen im System auf Deutsch erscheinen sollte. Die FAZ schreibt darüber am 6. November 200429 unter dem Titel Wittgensteins Oma Folgendes: „Vorsicht! Das ist kein Roman, sondern eine Romanmaschine. Eine gläserne Romanfabrik sozusagen, in der man zuschauen kann, wie eine Geschichte entsteht, wie Erfindungen, sich zur Erzählwirklichkeit verdichten und wie die Realität immer wieder als Fiktion erscheint.“ David Foster Wallace war nie physisch in Kitzbühel, aber oft beim Tennisturnier dabei, das zu seiner starken Fernsehzeit noch Head Cup und dann Generali Open hieß. Wie Thomas Kling30 bekannte sich auch David Foster Wallace zum Medium Fernsehen. Als Alberto Costa gegen Thomas Muster 1995 am Center Court in Kitzbühel in fünf Sätzen gewinnt, schreibt David Foster Wallace folgenden Satz: „Glaub doch, was du willst. Ich weiß, dass ich das, was du glaubst, nicht beeinflussen kann.“31 David Foster Wallace verstarb 46-, Thomas Kling 47jährig. David Markson war nie in Tirol und natürlich gibt es auch ein Thomas-Kling-Archiv und zwar in seinen ehemaligen Arbeitsräumen in der Raketenstation der Stiftung Insel Hombroich bei Neuss. Hombroich ist der Brenner von Neuss. Dort Insel und einst Raketen, da Pass und immer noch Züge32. Grenzen bilden beide. Es gibt natürliche und gezogene Grenzen. Nein, es gibt keine Grenzen, außer man zieht welche.33
26 Zitiert nach: Kling (s. Anm. 21), S. 138 27 Der Standard Printausgabe vom 4.4.2005 28 Zitiert nach: Kling (s. Anm. 21), S. 139 29 Zitiert nach: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/ rezensionen/belletristik/wittgensteins-oma-1197372.html 30 „Und wenn man mich fragt, ob ich beim Schreiben Musik höre, so muß ich antworten, selbstverständlich höre ich beim Schreiben Musik, schließlich bin ich Dichter; wenn ich auch keine Tonträgersammlung besitze, kein Radio höre, viel Fernsehen kucke, aber eben mit einer Bibliothek aufgewachsen bin. Ich schlage Bücher auf und zu und sehe mich als Lexikonkritiker an.“ (Kling, s. Anm. 21, S. 10) 31 David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach, Kiepenheuer & Witsch Verlag 2009, S. 776 32 Es gibt Regenraketen und Löschzüge. 33 Song zum Text: Alles wird in Flammen stehen von Tocotronic.
<!DOCTYPE html> <html> <head> <title>Quart Heft für Kultur Tirol</title> <meta charset=“iso-8859-1“> <link rel=“stylesheet“ type=“text/css“ href=“inc/css/style.css“> <script src=“inc/js/main.js“ type=“text/javascript“></script> </head> <body> <header> <div class=“header“> <h1>www.quart.at</h1> </div> </header> <div class=“content“> <p>Endlich im Netz: alle Hefte, alle Autoren, alle Beiträge. 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class=“gridImage“><img src=“pics/titel_quart_28.jpg“ alt=“Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 28/17“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/titel_quart_29.jpg“ alt=“Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 29/17“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/titel_quart_30.jpg“ alt=“Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 30/18“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/titel_quart_31.jpg“ alt=“Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 31/18“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/titel_quart_32.jpg“ alt=“Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 32/18“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/quartessenz.jpg“ alt=“Quartessenz-Anthologie“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“gridImage“><img src=“pics/quartessenz.jpg“ alt=“Quartessenz-Lesebuch“></div> </div> <div class=“gridElement“> <div class=“newsletterIcon“><img 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Besetzung
Ann Cotton, Iowa Wien / Berlin: Schriftstellerin und Übersetzerin. Bei Suhrkamp erschienen von ihr bislang „Fremdwörterbuchsonette“ (2007), „Florida-Räume“ (2011), „Der schaudernde Fächer“ (2013) und „Verbannt!“ (2016). Ihre literarische Arbeit wird nicht nur in der Literaturszene, sondern auch in den Bereichen der Bildenden Kunst und der Theorie geschätzt und wurde zuletzt mit dem Klopstock-Preis und dem Hugo-Ball-Preis ausgezeichnet. Alexander Maria Dhom, München Rosenheim: Kulturmanager. 1988 geboren, Studium des Kulturmanagements (München) und der Musikwissenschaft (Barcelona). Beschäftigt sich seit seinem Studium mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt und steht in engem Kontakt mit dem Arvo Pärt Centre, Tallinn. Nach einigen Jahren in München in der Werbebranche sowie bei Sony Music arbeitet er aktuell im Marketing der Tiroler Festspiele Erl. Raphaela Edelbauer, Wien Wien: Performerin und Autorin. Studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst unter Robert Schindel. Ab 2009 Veröffentlichungen in Literaturmagazinen, Anthologien sowie Lesetätigkeit und Auftritte bei Literaturfestivals. Im Februar 2017 Veröffentlichung ihres Debüts „Entdecker“ bei Klever, illustriert von Simon Goritschnig, dafür Gewinn des Hauptpreises der Rauriser Literaturtage für das beste deutschsprachige Prosadebüt. Sie war 2017 Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds. 2018 Teilnahme am Bachmannpreis und Gewinn des Publikumspreises. Ihr Roman „Das Flüssige Land“ erscheint 2019 bei Klett-Cotta. www.raphaelaedelbauer.com Paris / Berlin: Bildende KünstValérie Favre, Evilard / Schweiz lerin. Professur für Malerei in der Universität der Künste Berlin seit 2006. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen. Repräsentiert von der Galerie Peter Kilchmann Zürich und der Galerie Barbara Thumm Berlin. Demnächst zu sehen: „Haltung & Fall“ im Museum Marta Herford / Deutschland und „Actually, the Dead are not Dead“ Triennal Bergen / Norwegen. www.valeriefavre.net Werner Feiersinger, Brixlegg Wien: Bildhauer und Fotograf. Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und an der Jan van Eyck Akademie in Maastricht. Lehrtätigkeit an der École nationale supérieure des beaux-arts de Lyon, an der TU Wien und an der Universität für angewandte Kunst, Wien. Projekte im öffentlichen Raum in den Niederlanden, in der Schweiz und in Österreich – zuletzt eine Skulptur für das neu errichtete Haus der Musik in Innsbruck (2018). Zahlreiche Ausstellungen, u. a. 2018 Belvedere 21, Wien; 2016 Kunsthalle Wien; 2011 Fundació Antoni Tàpies, Barcelona; 2008 Secession, Wien; 1996 De Appel Foundation, Amsterdam. Wien: Journalistin und Autorin. Marlene Groihofer, Kleinzell Studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und war zuletzt u. a. für radio klassik Stephansdom tätig. Ihre Sendungen wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a.: Journalistenpreis Integration, Prälat Leopold Ungar Preis, Dr. Karl Renner Publizistikpreis, New York Festivals International Radio Awards (Gold). 2018 veröffentlichte Groihofer im Zsolnay Verlag ihr erstes Buch: „Gelebt, erlebt, überlebt“, die Biografie der HolocaustÜberlebenden Gertrude Pressburger. Patricia Grzonka, St. Gallen / Schweiz Wien: Kunst- und Architekturhistorikerin, arbeitet als Kritikerin und Autorin in Wien. Studium der Kunstgeschichte, Kirchengeschichte und Ethnologie in Zürich und Rom. Seit 2017 Critical Advisor an der Universität für angewandte Kunst, Wien. Seit 2005 Korrespondentin für Kunstbulletin, Zürich; seit 2008 Kunst- und Architekturkritikerin 126 / 127
für die Neue Zürcher Zeitung; seit 2015 Wien-Korrespondenz für Monopol, Berlin; regelmäßige Mitarbeit für springerin / Hefte für Gegenwartskunst und Texte zur Kunst, Berlin. patriciagrzonka.net Claudia Hirtl, Wörgl Wien: Diplom, Akademie der Bildenden Künste Wien (1976–80); M. A., Tokyo Geijutsu Daigaku – Tokyo National University of Arts and Music (1985–1988); Lehrtätigkeit an der Akademie der Bildenden Künste (1988–1997); Gastlehrtätigkeit an zahlreichen internationalen Einrichtungen (z. B. Cooper Union, NY; Central Saint Martin’s, London; Zokey Daigaku, Tokio). Diverse Preise, u. a. Tiroler Landespreis für Zeitgenössische Kunst (2016). Einzelausstellungen und permanente Installationen (Auswahl): Rabalderhaus Schwaz (2018); Italienisches Kulturinstitut Bozen (2017); Galerie Susan Boutwell, München / Sydney (2017); Galerie Ulysses (2011); Galerie Schloss Parz (2007); Galerie Artmark (2006); Okamura Sammlung, Tokio (2003). Porträtfilme: „Claudia Hirtl“ von Daniel Zanetti (2017); „HIRTL. ZEIT-WEISEN“ von Christine Ljubanovic (2013). Alexander Kluge, Halberstadt München: Wurde in den 1960er und 1970er Jahren als Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt. Er ist außerdem Fernsehproduzent, Drehbuchautor, Philosoph, Jurist und Schriftsteller. Wien: Sprachinstallateur, LiteraturMarkus Köhle, Innsbruck zeitschriftenaktivist und Papa Slam Österreichs. Er studierte in Innsbruck und Rom Germanistik und Romanistik. Seit 2001 ist er literarisch, literaturkritisch, literaturwissenschaftlich und auch als Literaturveranstalter aktiv. Seit 2002 veranstaltet er Poetry Slams. Er macht Lesungen, Vorträge und Workshops in Schulen, Universitäten und diversen Kulturveranstaltungsorten im In- und Ausland (z. B. Österreich Bibliothek Jerewan, Goethe Institut Alexandria, Taschkent, Österreich Institut Kairo, Ljubljana, Sommerakademie Zakynthos, Universität Maribor, Skopje, Tetovo, Prag, Stellenbosch, Grahamstown …). Zuletzt erhielt er den Otto Grünmandl Literaturpreis 2018. mkoehle.backlab.at Lukas Kummer, Innsbruck Kassel: freischaffender Illustrator und Comiczeichner. Studiert an der Kunsthochschule Illustration und Comic. 2014 Studienabschluss und anschließendes Jahr als Meisterschüler bei Hendrik Dorgathen. Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Fanzines. Seine erste Graphic Novel „Die Verwerfung“ erschien 2015, „Die Gotteskrieger“ 2017. Zuletzt bei Residenz erschienen: „Die Ursache“ (2018) und „Der Keller“ (2019). Walter Niedermayr, Bozen Bozen: Fotograf, Künstler. Seit 1985 arbeitet er an Projekten, in denen er den Raum als von Menschen besetzte und gestaltete Realität untersucht – wie auch die scheinbar sekundären Bezüge von Raumatmosphäre und Raumwahrnehmung. In seinen fotografischen Arbeiten und den Videos sind alpine Regionen und urbane Orte, Architekturen und Industrien wie auch Gefängnisse und Krankenhäuser kontinuierlich wiederkehrende Themen. Anschaulich wird das in seinen Werkgruppen „Alpine Landschaften“ (seit 1987), „Raumfolgen“ (seit 1991), „Rohbauten“ (seit 1997), „Artefakte“ (seit 1992), „Bildraum“ (seit 2001), „Portraits“ (seit 2012). Zwischen 2005 und 2008 sind Bildserien im Iran entstanden, ab 2009 bis 2014 folgten „The Aspen Series“. 2015 und 2016 Beschäftigung mit der Alpinen Landschaft um Lech am Arlberg, entstanden ist die Werkgruppe „Raumaneignungen“. Zwischen 2011 und 2014 war er Dozent für künstlerische Fotografie an der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen. Entstanden sind zahlreiche Monografien, dazu gehören: „Die bleichen Berge“, „Reservate des
Augenblicks“, „Zivile Operationen“, „Raumaneignungen“ und zuletzt „Koexistenzen“. www.walterniedermayr.com PAUHOF – Michael Hofstätter / Wolfgang Pauzenberger, Gramstetten / Linz Wien: Gründeten 1986 PAUHOF Architekten in Wien, Linz und Berlin. PAUHOF entwerfen Stadtszenarien, wagen architektonische Experimente, bearbeiten Ausstellungen sowie die Gestaltung ebendieser. Sie bauen Architekturen. „PAUHOF zieht es über die Grenzen der Architektur – wie sie zumeist betrieben wird – hinaus. Im Kontakt mit dem Phänomen Stadt, das als Ganzes nicht einholbar ist, das sich zu schnell entwickelt, um beschrieben zu werden, das ein Involviertsein der ForscherInnen einfordert, wird für PAUHOF die Suche nach einer neuen Form von Stadtforschung dringend.“ (Florentina Hausknotz) Wien: Performance- und SprachkünstEsther Strauß, Tarrenz lerin. In ihren Taten und Texten untersucht Strauß die Möglichkeiten des poetischen Handelns im öffentlichen und privaten
Raum. Mit der Vergeblichkeit der Wiederholung spielend setzt die Künstlerin in der Nacherzählung ihrer Performances gezielt Lücken und Geheimnisse ein. Das, was ihre Kunstwerke verbergen, ist ebenso wichtig wie das, was sie preisgeben. 2015 schläft und träumt Strauß auf Anna Freuds psychoanalytischer Couch im Freud Museum London. Seit 2015 lehrt sie Schreiben für Bildende Künstler*innen an der Kunstuniversität Linz. www.estherstrauss.info Innsbruck: Schriftsteller und Peter Wallner, Flirsch am Arlberg Journalist. Studierte ab 1971 Publizistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien, kam 1977 zum ersten Mal in psychiatrische Behandlung. 1979 freier Mitarbeiter bei der „Neuen Tiroler Zeitung“, 1980 bei der „Oberländer Rundschau“, 1981 bei der „Tiroler Tageszeitung“. 1982 Fortsetzung des Studiums in Salzburg (Mag. phil. 1986). Er starb am 9.1.1987 in der Innsbrucker Klinik an den Folgen eines Darmverschlusses. Wallner hinterließ seine Frau Margareth und zwei Kinder.
Quart Heft für Kultur Tirol
Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 22,– · Einzelheft: € 16,– · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Stefano Bernardi, Ann Cotton, Alexander Maria Dhom, Raphaela Edelbauer, Valérie Favre, Werner Feiersinger, Marlene Groihofer, Patricia Grzonka, Claudia Hirtl, Alexander Kluge, Markus Köhle, Lukas Kummer, Walter Niedermayr, PAUHOF – Michael Hofstätter / Wolfgang Pauzenberger, Esther Strauß, Peter Wallner Linke Seiten: Lukas Kummer Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Neutral BP Seite 72: Thomas Demand: Heldenorgel, 2009; C-Print / Diasec; 240 × 380 cm; © VG Bild-Kunst, Bonn / SIAE, Rome; Photo © Thomas Demand Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 56 / 66 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt und Artaria KG, Kartographische Anstalt, Brunner Straße 69, 1231 Wien (A) Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-3466-1 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2019 · Alle Rechte vorbehalten. Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung und der Abteilung Deutsche Kultur der Südtiroler Landesregierung.