Quart Nr. 36

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Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 36 / 20 € 16,–



Foto: Günter Richard Wett

Matt Mullican, Galerie Johann Widauer


* hat die linken Seiten dieser Ausgabe gestaltet: „Ausgehend von persönlichen Erfahrungen im künstlerischen Umgang mit Codierungs- bzw. Überschreibungsanwendungen als Schriftsteller sowie als bildender Künstler, sind diverse Arbeiten zur Thematik Decodierung:Recodierung entstanden. All diese Projekte setzen sich mehr oder weniger mit der Frage der ,Auflösung über die Gleichheit in der Leere‘ auseinander. Die Grundidee der vorliegenden Blätter basiert auf einer binären Codierung der jeweiligen Texte auf der rechten Seite. Dieses binär codierte Textmaterial war die Gestaltungsgrundlage verschiedenster Überschreibungsverfahren. Würde man die Codierungsschritte umkehren, käme man wieder zum ursprünglichen Text zurück.“ (Toni Kleinlercher)


Tacita Dean

1

Halotech Lichtfabrik 2–3 Toni Kleinlercher* 4 Inhalt 5 Fließtext Von Lukas Bärfuss Dies alles gab es also Kulturinventur eines Zugereisten. Von Florian Waldvogel Brennergespräch (21) „Mit einem leeren Blatt nochmal anfangen“ Die Komponistin Rebecca Saunders im Gespräch mit Manos Tsangaris

7–9

11–19

21–31

Rolle als Realität Drei Fragmente zur künstlerischen Arbeit von Tacita Dean. Von Raimar Stange

33–35

Tacita Dean

36–45

Hamlet sein Von Stephen Dillane Lange Mondschatten Erika Wimmer Mazohl hat Carl Zuckmayers Roman „Salwàre oder Die Magdalena von Bozen“ neu gelesen. Die Landschaft übernimmt. Landvermessung No. 5, Sequenz 8 Marie Gamillscheg kreist um den Dolomitengipfel Croda da Lago.

47

49–55

56–63

Dinge, die angemessen sind Ein Besuch beim Architekten Bernardo Bader. Von Verena Konrad 65–69 Durchreisebericht Paradoxe Erscheinungsbilder in der Kulturlandschaft, aufgespürt von Jaka Babnik

71–81

Doderer in Hintertux Was suchte der Großdichter im hintersten Zillertal? Von Georg Payr

83–87

Anna-Maria Bogner Originalbeilage Nr. 35

88 / 89

Marginaltext (9): Eben nicht. Drei Texte aus dem Nachlass des noch zu entdeckenden Ahrntaler Schriftstellers Eduard Gartner

91–97

hütten bauen dach über dem kopf Milena Meller untersucht Kleinarchitekturen im Wechselspiel von Fotografie und Malerei. 99–107 La coltivazione di un luogo ideale Nachschau bei den Erben der Einsamkeit. Von Simone Mair / Lisa Mazza und Nicolò Degiorgis

109–119

Eigenwerbung

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Besetzung, Impressum

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Fast niemand weiß mehr, was in zurückliegenden Jahrzehnten in der Kunst los war – auch nicht (oder vor allem nicht?) in der sogenannten Provinz. Oft braucht es den Anstoß von außen, auf dass die Geschichten wieder erzählt werden, an die künstlerisches Schaffen der Gegenwart und Zukunft anknüpfen könnte. Hier also aus gutem Grund die erste kulturelle Inventur eines Zugereisten: Florian Waldvogel mit einer „Liebeserklärung an das wilde Innsbruck“.

Ich habe die letzten zehn Jahre in Hamburg gearbeitet, und als ich im Sommer 2019 als Leiter für die Modernen Sammlungen ans Ferdinandeum berufen wurde, wurde ich immer wieder gefragt, warum ich in die Provinz gehe? Ob London, New York oder Innsbruck – jede dieser Städte ist reich, reich an Kultur und Geschichte. Ich habe noch nie in einer Stadt gearbeitet, in der die Menschen so aufgeschlossen und hilfsbereit sind wie in Innsbruck. Innsbruck ist ein lebendiger Organismus. Jede Stadt repräsentiert eine visuelle Herangehensweise über die Ergebnisse der von der Gesellschaft geschaffenen sozialen Phänomene. Jede und jeder ist an den Vorgängen im öffentlichen Raum beteiligt, und wenn wir annehmen, dass eine Kultur ein notwendiges Vehikel der Öffentlichkeit ist, dann kann den Citoyens ihre Mitwirkung an diesen sozialen Phänomenen und ihren historischen Bedingungen gerade durch die Kunst, die Musik, das Theater etc. über die unmittelbare Realität des Alltagslebens, welches die Menschen betrifft, bewusst gemacht werden. Innsbruck muss sich kulturell nicht verstecken – unzählige hervorragende Künstlerinnen und Künstler stammen von hier, haben hier gearbeitet oder tun es immer noch. Die Ökonomisierung, die ohnehin weite Teile des gesellschaftlichen Lebens dominiert, hat aber auch in Innsbruck die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur fest im Griff. Als zweimaliger Austragungsort der Olympischen Winterspiele dominieren in Innsbruck

der Sport und die Funktionskleidung das öffentliche Bild. Dieser Fokus unter einem Dach aus Gold ist ein Nicht-Verstehen, weil bestimmte kulturelle Praktiken und Kontexte aus unserem Alltagsleben verschwunden sind. Die dafür stehenden Personen, Aktionen, Bilder, Erinnerungen können nicht mehr gelesen werden, weil die damit verbundenen Geschichten nur noch wenigen oder gar nicht mehr bekannt sind. Kulturelle Praxis bleibt eine Abstraktion, bis man eine Geschichte erzählen kann. Diese Geschichten sind nicht der Endpunkt, sondern Momente in einer Kette, die die unterschiedlichen Episoden einer Wegstrecke mehr oder weniger fest verbinden. Die nachfolgenden Zeilen sind meine Liebeserklärung an das wilde Innsbruck. Kreuzigung in der Bergwelt Beginnen möchte ich mit dem ersten kulturellen Konflikt der Nachkriegszeit in Tirol, dem Bilderstreit um die „Hungerburgfresken“ von Max Weiler. Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Tiroler Herz-Jesu-Bundes, den die Landstände 1796 angesichts der Bedrohung durch die napoleonischen Truppen geschlossen hatten, wurde Max Weiler mit der Umsetzung des Herz-JesuZyklus in der Theresienkirche auf der Hungerburg in Innsbruck beauftragt. In den Jahren 1946 und 1947 ausgeführt, lösten Weilers Fresken damals einen so großen Skandal aus, dass der Künstler gezwungen wurde, drei der insgesamt vier Wandbilder zu verhüllen, um einer vom Vatikan verordneten Entfernung zuvorzu-



kommen. Dieser Konflikt mit den geistlichen und weltlichen Vertretern der Kirchengemeinde – sowie der von ihr mobilisierten Öffentlichkeit – entzündete sich am „Lanzenstich“. Max Weiler transportierte die Kreuzigungsszene in die Tiroler Bergwelt der Gegenwart mit bekannten Tiroler Bürgern, Bauern und Schützen in ihren traditionellen Trachten. Der tödliche Lanzenstich wird von einem jungen Bauern ausgeführt, während ein Tiroler Schützenhauptmann die Szene billigend aus nächster Nähe beobachtet und gelangweilte Bürger sich von der Hinrichtung abwenden. Das wollten weder der Klerus noch der Kirchenrat noch die Pfarrgemeinde hinnehmen. So viel Heimatfilm ging allen zu weit. Die Bauernzeitung veröffentlichte eine Protestnote und Weiler wurde schließlich von einem Landwirt wegen „Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre des gesamten Tiroler Bauern- und Landarbeiterstandes“, wegen „Vergehen der religiösen und standesmäßigen Aufreizung“ und schließlich wegen „Verbrechen der Religionsstörung“ angezeigt und verklagt. Im Oktober 1948 forderten zwei Vertreter des Bauernbundes den Bischof auf, Max Weiler zu beauftragen, den Bauern zu entfernen und durch einen römischen Soldaten zu ersetzen. Der Künstler weigerte sich, dieser Forderung nachzukommen. Am 14. Juni 1950 verhängte Weiler als vereinbarte Kompromisslösung die beanstandeten Fresken. Seit 1959 ist der vollständige Zyklus wieder zu sehen. Die Affäre hat Max Weiler aber keinesfalls geschadet, bis zu seinem Tod im Jahre 2001 gestaltete er unzählige Wandmalereien, Mosaikarbeiten und Glasfenster für öffentliche Einrichtungen. Sinn im Sinnlosen Ein entscheidender Moment bei der Entnazifizierung, Resozialisierung und Kulturalisierung der Tiroler Bevölkerung nach dem geistigen Vakuum der Nationalsozialisten war das Institut français in Innsbruck. Die französisch-tirolerischen Beziehungen waren nicht erst seit dem Tiroler Volksaufstand etwas angespannt. Am

8. Juli 1946 wurde das Institut mit der Ausstellung „Chefs d’oeuvre du Museé d’art Moderne de Paris“ eröffnet. Neben dem Ziel einer geistigen Öffnung der Österreicher war die Aufgabe dieser Einrichtung ein umfangreiches kulturelles Programm in Form von Sprachunterricht, Konzerten, Lesungen, Theateraufführungen und Literaturabenden. Eine Sensation war die durch das Institut français vermittelte Ausstellung „École de Paris“ im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum im Januar 1960. Gezeigt wurden 62 Originalarbeiten von Pablo Picasso, Marc Chagall, Fernand Léger, Joan Miró, Max Ernst und anderen in den sechs Sälen des Neubaus. Nie war in einer so konzentrierten Dichte die Entwicklung der Malerei im 20. Jahrhundert von der frühen Abstraktion bis zur ungegenständlich-automatischen Malerei über konstruktivistische Tendenzen hin zur jüngsten Entwicklung in Tirol zu sehen. Durch die Aufteilung in sechs Räumen konnte die westliche Malereigeschichte in Entwicklungs- und Stilstufen erzählt werden und die Einzelwerke hatten genügend Platz, ihre Wirkung zu entfalten. Wie jede Institution, hängt ihre Qualität von jener Person ab, die ihr vorangeht. Ich möchte Pierre Würms hervorheben, der von 1961 bis 1965 das Institut français leitete. Sein Abschiedsgeschenk für Innsbruck war die Matinee „Französische Lyrik von Baudelaire bis zur Gegenwart“ in den Kammerspielen. Für Würms war die kulturelle Praxis an die Gegenwart gebunden und somit Künderin einer neuen Welt. Für ihn ist die Kunst wie die Wissenschaft ein Weg zur Erforschung des Seins. Sie ist immer Ausdruck des Absoluten, das den Menschen zu entgleiten droht. Selbst in der Verklärung des Sinnlosen will sie noch Sinn hineintragen. Künstlerische Praxis ist eine Form des Seins, eine Art, die Dinge zu betrachten. Jeglicher künstlerische Ausdruck spiegelt den Kampfplatz im Menschen. Da die künstlerische Wirklichkeit eine andere ist als die, die wir vor Augen haben, verlieren auch deren logische Gesetze ihre Gültigkeit. Die künstlerische Praxis kennt



keine Kontrolle durch die Vernunft. Und das ist bis heute so. Merci, Monsieur Würms. Hingabe zum Dargestellten Kaum in Innsbruck angekommen, verliebte ich mich in die Arbeiten von Gerhild Diesner. Ihre Porträts, Stillleben und Landschaftsdarstellungen sind auf ihre Grundformen reduziert, kein nebensächliches Beiwerk stört Diesners Entschiedenheit, ihre künstlerische Intensität, die nur die Deutlichkeit des Daseins verklären würde. In ihren Arbeiten gibt es keine Schatten, keine Andeutung, die etwas zukünftig Böses vermuten lässt. Als die meisten Zeitgenossen abstrakt malten, blieb Diesner gegenständlich, eine Anomalie, die mit weiblicher Naivität abschätzig kritisiert wurde. Ich denke, sie war erfüllt von großer Lebensfreude, von Schönheit, einer Stimmung, welche allen unruhigen und streitbaren Menschen eigen ist. Fragmentarisch und ausschnitthaft hält die Künstlerin die Welt und die scheinbaren Nichtigkeiten des Alltags fest und erweist sich auf jeder noch so kleinen Leinwand als große Erzählerin. Diesners Arbeiten jubeln dem Betrachter zu. Sie glänzen mit ihrem Optimismus und ihrer humanistischen Auffassung. Sie schafft es, mit ihren drei Lieblingsfarben Orange, Blau und Gelb das Dargestellte zur Kunst zu verdichten. Es ist ein Irrglaube der Kunstbetrachtung, dass das Leiden, das Hässliche, der Tod, das, was Diesners Werken so fremd ist, immer noch für die substanziellere Kunst gehalten wird. Im Werk von Gerhild Diesner dreht sich alles um die Begeisterung: um das intensive Hinsehen, um das leidenschaftliche Erzählen, um die Hingabe zum Dargestellten und die Neugier für das Leben selbst. Ihre Arbeiten sind wie gute Freunde, unbeschwerte Gesellen, die einem das Gefühl vermitteln, was es heißt, in der Welt zu sein, sie wahrzunehmen und sie zu lieben. Ihre Arbeiten atmen „angehaltenes Leben“ und erweitern unseren Blick auf ein größeres Bild von dieser Welt. Zu schade, dass ich diese fantastische Künstlerin nicht mehr kennenlernen durfte.

Jenseits des Gewöhnlichen Streift man aufmerksam durchs Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, kann man zwei Verwirrung stiftende Arbeiten eines Künstlers namens August Pezzey entdecken. Bei Betrachtung des Labels stellt man fest, dass jener nur 29 Jahre alt wurde, und im Gegensatz zu den meisten Künstlern auf derselben Wand, die künstlerisch noch im 19. Jahrhundert weilten, lieferte Pezzey großartige Vorlagen für eine Monty-Python-Rezeption. Es scheint, als würde der Künstler zu den Mächten des Unbewussten und des Es in einem freieren und kunstreiferen Verhältnis stehen, als es den meisten von uns vergönnt ist, dem in neurotischer Angst und dazugehörigem Hass sich mühenden Menschentum, um Thomas Mann zu paraphrasieren. Pezzey hat eine Disposition des Sehens und Übertragens, die jenseits des Gewöhnlichen liegt und die wir nicht sehen und benennen können. Es geht um die Schwächen und den Übermut der Menschen, um Unzulänglichkeit und gelähmtes Dasein, aber oft auch um kleine Momente der Bewegung und des Glücks. Melancholie und Sehnsucht bestimmen vieler seine Bilder, die er aber durch seinen Humor zu brechen weiß. Und genau das ist die Aufgabe eines Malers. Pezzey war übrigens das einzige Opfer bei den Innsbrucker Unruhen 1904 zwischen deutschen und italienischen Studenten. Er wurde hinterrücks mit dem aufgepflanzten Bajonett des Kaiserjägers Luigi Menotti erstochen. Am 6. November wurde der Künstler auf dem Westfriedhof beigesetzt. Er erhielt ein Ehrengrab der Stadt Innsbruck und unter den 30.000 Trauergästen, die August Pezzey die letzte Ehre erwiesen, war auch sein Hund namens Satan. Tiroler-Sein als Delikt 1989 bezeichnete Gustav Peichl anlässlich der Überreichung des Tiroler Landespreises für Kunst an Josef Lackner den Preisträger als den „Architekturstützpunkt in Tirol“. Lackner war ein begnadeter Baukünstler, der mit dem Gymnasium Ursulinenschule Innsbruck ein architektonisches Denkmal schenkte; berühmt auch



sein Grottenbad für den Zeichner Paul Flora auf der Hungerburg, welches vom neuen Besitzer mittlerweile zerstört wurde, ohne dass sich öffentlicher Protest regte, wenn man von einem Foto im Schaufenster des aut. architektur und tirol absieht. Mein Lieblingsprojekt von Lackner ist sein Vorschlag, die Innsbrucker Altstadt in Bronze zu gießen oder zerfallen zu lassen, da „wir ohnehin nur ein rein ästhetisches Verhältnis zu diesem Teil der Stadt haben“. Er begründet seine Empfehlung damit, dass wir diesen Lebensraum nicht nach unseren Bedürfnissen adaptieren können, sondern ihn wie einen Grabstein verehren. Diese ausschließlich ästhetische Beziehung zu einem Quartier hat keine Lebensqualität, sondern ist ein Denkmal-Dilemma. „Josef Lackner ist Tiroler. Tiroler zu sein ist allein schon ein Delikt“, so Peichl weiter in der eingangs erwähnten Laudatio. Ein Denker nach meinem Geschmack. Oase der Unangepasstheit Erinnern möchte ich auch an eine Kulturinitiative, die von 1985 bis 2000 das Zentrum für alternative Kultur in Innsbruck war: das Utopia. Legendär ihr Berg-Isel-Festival an Pfingsten 1987. Ihr wohl orchestriertes Line-up um Miles Davis, Udo Lindenberg, Ina Deter, John McLaughlin & Paco de Lucia, Lucio Dalla, Tintenfisch u. v. a. sollte alle Besucherrekorde für eine Musikveranstaltung in Innsbruck pulverisieren. Man rechnete für das dreitägige Festival mit 20.000 Besuchern pro Tag. Es kam, wie es kommen musste. Das Festival fiel buchstäblich ins Wasser, Regen und Kälte, Absagen, schlechte Presse und kaum Besucher stürzten die Veranstalter fast in den finanziellen Ruin. Sie machten trotzdem weiter! Mit Konzerten von Musikern, die damals noch unbekannt waren und später zu Weltstars wurden wie zum Beispiel Adam Green. Oder mit legendären Konzerten von The Cure, Pete Doherty, Mother’s Finest beim „Innsbrucker Sommer“ auf dem Fenner-Areal, um nur einige zu nennen. Das kulturelle Angebot reichte von der ersten Gaydisco bis zu Projekten wie die „Kunststraße“ und weiteren Ver-

anstaltungsreihen. Es ist ein Jammer, dass diese Oase der Unangepasstheit nicht mehr existiert. Gefälschte Meister Lange vor Wolfgang Beltracchi hatte Innsbruck einen Kunstfälscher-Skandal. Mittendrin statt nur dabei, jenes Museum, an dem ich arbeiten darf, das Ferdinandeum. Im Juni 1997 beschlagnahmte die Polizei rund 260 Kunstwerke bei einem Innsbrucker Ehepaar. Bilder unbekannter Maler wurden mit gefälschten Signaturen von Kokoschka, Matisse, Picasso, Degas, Cézanne, Egger-Lienz nobilitiert und als Fälschung verkauft. Auch das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum hatte 1996 vom „Sammlerehepaar“ Mudrovcic einen vermeintlichen Theodor von Hörmann für 300.000 Schilling gekauft. Da sich die „Hörmann-Expertin“ Magdalena Hörmann in einer tendenziösen Rede für die Echtheit des vermeintlichen Hörmann-Frühwerks „Kanal in Samois“ verbürgt hatte, kam der Ankauf zustande, trotz massiver Vorbehalte einiger Mitglieder des musealen Kunstausschusses. Erst der Besuch des Kunstsammlers Rudolf Leopold im Ferdinandeum und dessen Zweifel an der Echtheit der Arbeit veranlassten Museumsdirektor Gert Ammann, eine Untersuchung des Bildes beim Schweizer Institut für Kunstwissenschaft in Zürich in Auftrag zu geben. Die technologische Untersuchung ergab, dass es sich bei der eingelieferten Arbeit um eine Fälschung handelt. Die Farbe, mit der das Bild signiert und datiert wurde, wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt, das Bild ist aber mit 1889 datiert. Die Infrarotreflektografie ergab außerdem, dass sich unter der Übermalung die ursprüngliche Signatur „A. Jacob“ befindet. Das Museum legte rechtliche Schritte gegen die Verkäufer ein, das Bild wurde restituiert, der Kaufpreis gestundet zurückbezahlt. Zu den Opfern des Ehepaars zählten auch die Kärntner Landesgalerie und der Alpenverein. Große Kunst im Dorf In meiner Aufzählung darf natürlich ein Tiroler Berg-



dorf nicht fehlen: Alpbach. Diese Hauptstadt der Geranien-bestückten Blumenkästen avancierte 1948 zum Zentrum der geistigen und wissenschaftlichen Begegnungen im Rahmen des Österreichischen Forums. Jede der alljährlichen Hochschulwochen wurde von einer Kunstausstellung begleitet, die retrospektiv einzigartig sind und das Bergdorf in den Fokus der internationalen Kunstrezeption katapultierten. Alpbach schrieb mit seinem Internationalen Kunstforum ein Kapitel Kunstgeschichte der Gegenwart. Eröffnet wurde das Forum 1948 mit einer Ausstellung von Fritz Wotruba. Im folgenden Jahr bildete die „Brücke“-Ausstellung mit Arbeiten von Ernst Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Müller, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff den Übergang in die Internationalität. 1950 stand eine Gegenüberstellung von österreichischen und französischen Positionen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg im Mittelpunkt. Mit dabei waren Oskar Kokoschka, Pablo Picasso, George Braque, Fernand Léger, Henri Matisse. Die Ausstellung im Jahre 1954 entwickelte sich zu einer Weltausstellung des Phantastischen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In den folgenden Jahren gab es immer wieder Ausstellungen mit einem nationalen Schwerpunkt. So wurden junge und zeitgenössische Positionen aus Frankreich (1955), Deutschland (1956), Österreich (1957), Polen (1958), den Niederlanden (1959), England (1960) gezeigt. Die Leistung des Forum Alpbach kann nicht hoch genug bewertet werden, vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass es bis Ende der 1950er Jahre kein österreichisches Museum gab, welches seine Aufmerksamkeit einer zeitgenössischen künstlerischen Praxis widmete, geschweige denn eine Kunstzeitschrift selbigen Formats. Außerdem gab es in Innsbruck die Galerie Krinzinger, bevor sie nach Wien zog, und gibt es die Galerien Elisabeth und Klaus Thoman, Johann Widauer sowie Bernd Kugler, die als internationale Impulsgeber ganz Tirol mit geistiger Nahrung versorgen. Herbert Fuchs

initiierte 1990 und 1995 das Symposium „3 Tage Umhausen“, eine Begegnung zwischen zeitgenössischer Kunst und experimenteller Literatur. Viele der dort Präsentierten – wie Wolfgang Bauer, Cosima von Bonin, Rüdiger Carl, Peter Fischli / David Weiss, Georg Herold, Martin Kippenberger, Otto Kobalek, Peter Kogler, Michael Krebber, Thomas H. Macho, Helmut Middendorf, Oswald Oberhuber, Richard Prince, Tobias Rehberger, Tim Rollins & K. O. S., Andreas Schulze, Rosemarie Trockel, Franz West, Heimo Zobernig – sind Kunstgeschichte und Teil des internationalen Diskurses. Ich muss Stefan Bidner und seine Zeit als Leiter des Kunstraum Innsbruck erwähnen. Nicht zu vergessen Thomas Feuerstein und den Verein medien.kunst.tirol., der erfolgreich von Max Thoman weitergeführt wird. Ich sollte ausführlich über Oswald Oberhuber und Peter Weiermair und ihre kontroversen Ausstellungen im Taxis-Palais berichten. Nicht zu vergessen die Exzesse im KOMM, Bierstindl, Bogen 13, Hafen, MK, Z6 und Prometheus. Das Schwazer Avantgarde-Forum Studio 12 und sein Beat-Abend mit Allen Ginsberg müsste eingehender beschrieben werden und ebenso das ./studio3 der Architekturfakultät, gegründet von Volker Giencke, das bis heute situationistisch im öffentlichen Raum agiert. Die Neujahrsproklamation der Galerie Junge Generation aus Innsbruck ist jederzeit eine Veröffentlichung wert. Die Galerie in der Schule Vomperbach hat eine ausführliche Einordnung verdient, die Jugendkulturwochen ohnehin und die Transformation des Flüchtlingszentrums zum Zentrum 107 in St. Nikolaus sowieso. Darüber hinaus gab es noch den Sängerkrieg DADA im Schloss Starkenberg bei Tarrenz. Max Ernst und seine Frau Luise StrausErnst, Tristan Tzara mit seiner Freundin Maya Chrusecz, André Breton sowie Hans Jean Arp verbrachten die Sommermonate in Tirol und produzierten die achte und letzte Ausgabe der DADA-Zeitung. Dies alles gab es also – und noch viel mehr.



So viele Leute fahren über die Alpen. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause mit Gespräch. Folge 21: die in Berlin lebende britische Komponistin Rebecca Saunders, die 2019 den Ernst von Siemens Musikpreis – oft auch „der Nobelpreis der Musik“ genannt – erhielt. Manos Tsangaris, Professor für Komposition und selbst ebenfalls ein vielgefragter Komponist und Kurator, hat sie interviewt. Ein Werkstattgespräch über das Eintauchen in die Nacht, labile Klänge, die Gefahren zu großer Aufmerksamkeit und das Komponieren als Akt der Hoffnung – das allerdings auf Grund der Corona-Krise nicht neben der Brenner-Autobahn, sondern via Zoom stattgefunden hat.

Manos Tsangaris: Ich wollte mit dem Beginnen beginnen. Wenn ich eine neue Idee verfolge oder ein neues Stück beginne oder Skizzen dazu mache, bereitet es mir den größten Spaß, weil alles wirklich neu und offen ist. Dagegen sind die Tage, an denen ich weiß, ich muss jetzt anfangen, die Partitur zu machen, mit die schwärzesten Tage in meinem Leben. Wie ist das bei dir? Rebecca Saunders: Wir kennen das alle. Bis zu dem Moment, in dem ich anfange, die Partitur zu schreiben, gibt es wie bei dir einen langen Prozess der Vorbereitung – Klangpaletten festlegen, experimentieren, Austausch mit Musikern, eine Notation entwerfen; vielleicht werden daraus auch die ersten Skizzen. Und in dem Moment, in dem ich die Partitur beginne, da spüre ich oft einen enormen Widerstand und der ist total energiegeladen. Dieser Moment des Wartens interessiert mich ungeheuer. Das Warten ist eine Art „operational silence“. Und wenn ich an den Punkt komme, dass ich die Spur finde, die ich verfolgen muss, und das Komponieren beginnen kann, dann bin ich wie in die Musik hineingeschleudert. Die Stille, das Warten vor dem Komponieren ist sehr wichtig. M. T.: Du bist ja eine Komponistin, die extrem intensiv recherchiert und mit Musikern zusammenarbeitet,

bevor du ein Stück schreibst. Das Verhältnis von Induktion und Deduktion ist ja auch ein heikles. Man kann sich in Möglichkeiten verlieren. Wie schaffst du hier die Balance? R. S.: Ja, ich arbeite sehr intensiv mit Musikern, aber das sind kleine, sehr intensive Zeitfenster. Sie sind von großer Bedeutung im kompositorischen Konzept. Wenn man wiederholt mit den gleichen Musikern arbeitet, entsteht über die Jahre ein großes Vertrauen. Das Experimentieren, das Musikmachen, der Prozess selbst steht im Vordergrund. Es ist für mich sehr befruchtend und inspirierend, dass diese jahrzehntelangen Beziehungen eigentlich immer weiter wachsen und dass ich immer mehr in bestimmte Ideen und Klangwelten eintauchen kann. Vielleicht neige ich deshalb dazu, immer wieder mit den gleichen Musikern zu arbeiten, weil das Leben so wahnsinnig kurz ist. Man kann nicht alles machen. Ich finde einen Klang, eine Geste, einen Kern und dann möchte ich da drei, vier Jahre drinbleiben. Das Filtern, den Klang oder die Geste zu identifizieren, den entscheidenden Moment zu erfassen, ist auch ein wichtiger Teil der Kompositionsarbeit, nicht wahr? Das hier ist der Klang. Warum das der Klang ist, weiß ich erstmal nicht. Tatsächlich, es gibt oft eine Reihe von Stücken, die aus nur einem Klangfragment oder



Baustein entwickelt ist. Ein solcher Klang ist zum Beispiel ein doppeltrillerndes Flageolett mit glissando auf einem Abstrich sul ponticello*. Es ist ein Klang, der unheimlich labil und fragil ist. Wenn er laut ist, ist er brutal und direkt, und wenn er leise ist, zerbrechlich und unberechenbar. Und jedes Mal, wenn er gespielt wird, klingt er anders. Der gleiche Spieler, der gleiche Raum, die gleiche Akustik, das gleiche Gewicht der Hände – es wird immer anders klingen. M. T.: Also je präziser du versuchst, dich dem Klang zu nähern, auch zu notieren – desto mehr entzieht sich dieser Klang gleichzeitig – darin liegt die Dialektik. Du versuchst so genau und letztlich auch so liebevoll wie möglich damit zu arbeiten und dich dem Phänomen anzunähern, und im selben Moment lässt es sich nicht wirklich beherrschen. R. S.: Das ist genau richtig. Und ja, eine Art Liebe ist dabei; Achtsamkeit, Fokussiertheit – das sind wichtige Begriffe. Mir geht es darum, einem Klang auf Augenhöhe zu begegnen; dass man in dem Moment umfassend nur ein Ding betrachtet, sich auf das Ding einlässt und es mit absoluter Aufmerksamkeit betrachtet. Eine Notation zu entwerfen, die wirklich sofort verständlich ist, trotz all ihrer Komplexität, und – wichtig für mich persönlich – als kreatives Kompositionsmittel auch weiter fortsetzbar ist. Das Komponieren ist nicht nur hier (zeigt auf die Stirn) und in dem, was wir hören. Das Abstrahieren ist auch wichtig. M. T.: Das bedeutet de facto, sehr nah an Phänomene und ihre Repräsentationen heranzugehen. Aber dann ist ja das Interessante immer wieder, von diesem Bild oder Phänomen weit wegzugehen, um es als Ganzes oder wenigstens diesen Teil als Ganzes betrachten zu können. Das meinte ich vielleicht mit Induktion und Deduktion … R. S.: Ich verstehe jetzt, was du meinst. Natürlich ist es notwendig, immer wieder Abstand zu schaffen und

rauszuzoomen. Es ist selbstverständlich auch beides gleichzeitig möglich, du kannst auch in dem innersten Klangdetail schreiben, dabei völlig in der Musik verlorengehen und trotzdem gleichzeitig das Ganze im Blick behalten. Aber es gibt unterschiedliche Mittel, die dazu dienen, nicht nur Abstand, sondern auch andere Perspektiven zu gewinnen, um das gerade entstehende Stück wirklich umfassend zu verstehen. Ganz banal zum Beispiel das ganze Stück an die Wand zu kleben, sodass man eine grafische Übersicht hat. Oder die Komposition mit dem Metronom mehrmals durchzuhören. Das kann anstrengend sein, tut fast weh, aber es entsteht für einen Moment eine andere Perspektive. Ich habe früher oft auch einzelne Gesten eines Werks auf einzelne Blätter geschrieben. Die Blätter habe ich aber nicht nummeriert und sie nach grafischen Darstellungen an die Wand geklebt. Dadurch konnte ich das Material ganz unterschiedlich betrachten. Das gab mir die Möglichkeit, die verschiedenen Facetten der Gesten oder des Materials besser zu verstehen und den Zusammenhang dieser Gesten anders wahrzunehmen. Denn natürlich – wie du genauso weißt –, der Kontext ist alles. Wie der Klang oder die Geste klingt, was für eine Musik das tatsächlich wird, ist abhängig davon, was vorher und nachher kommt, wie es gerahmt wird. Mit der Reihenfolge zu spielen schafft neue Perspektiven des Klangmaterials und Kompositionsprozesses.

* Anmerkungen: Triller – Verzierung in der Musik; schneller Wechsel des notierten Haupttons mit dem darüber liegende Nebenton (Halbtonschritt oder Ganztonschritt) über die Dauer der Hauptnote hinweg Doppeltriller – Triller auf zwei Tönen desselben Akkords Flageolett – ein meist auf einem Streich- oder Saiteninstrument erzeugter Ton bzw. Oberton, der durch die Anregung einer Oberschwingung als Teilschwingung der Saite entsteht glissando – kontinuierliche (gleitende) Veränderung der Tonhöhe beim Verbinden zweier Töne Abstrich – Streichen des Bogens in der Richtung vom Frosch zur Spitze sul ponticello – Spielanweisung für Streichinstrumente, bei welcher der Bogen möglichst nahe am Steg geführt werden soll



M. T.: Der Philosoph Odo Marquard wurde einmal von Journalisten gefragt, was er am nächsten Tag tun würde, wenn er wüsste, dass er übermorgen sterben müsste? Und er sagte, er würde dann am liebsten schlafen. Er war fast schon berühmt dafür, dass er, um zu arbeiten, unheimlich viel schlief. (Was bei mir übrigens ganz ähnlich ist.) Das Gegenteil wäre die Schauspielerin Corinna Harfouch, die sagt, um arbeiten zu können, müsse sie in den luziden Zustand des Schlafentzugs kommen. Es stellt sich also die Frage, wie man mit sich selbst als Instrument umgeht, als Wesen, hinsichtlich der Möglichkeit zu arbeiten. R. S.: Ich glaube, dass mein Arbeitsrhythmus, mein Schlafrhythmus, meine Beziehung zu meiner Arbeit anders ist als bei dir. Für mich hat es etwas mit Abwechslung zu tun. Abwechslung zwischen dem Komponieren, für mich ganz allein, und der Familie – also ein Teil von einem sozialen Gefüge zu sein. Das ist eigentlich eine Dynamik, ein Gleichgewicht, das wahnsinnig gut funktioniert. Ich kann, wenn ich Zeit habe, überall und immer komponieren. Aber das kommt zum Teil daher, dass ich oft wenig Zeit zum Komponieren habe. Ich habe nicht diesen Luxus des Leidens oder des Wartens oder des Rumschwirrens. Ich setze mich hin und arbeite, weil ich jetzt fünf Stunden für mich habe. Sonst würde ich nie komponieren. Insofern habe ich durch die Familie eine wahnsinnige Arbeitsdisziplin erlernt. M. T.: Du arbeitest am liebsten nachts? R. S.: Ja, aber als meine Kinder klein waren, wäre das niemals möglich gewesen. Da war es ganz anders. Inzwischen bin ich aber zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, nachts zu arbeiten. Ich liebe es, wenn die Welt stillsteht. Ich mag es, in die Nacht einzutauchen. Keine E-Mails, keine Ablenkungen. Ich mag die Dunkelheit. M. T.: Der Ausgleich zum Komponieren, den wir, glaube ich, alle irgendwie brauchen, der ist bei dir also

vor allem sozial determiniert durch Familie, Familienleben, auch Verantwortung. Und da komme ich auf ein Stichwort zurück, über das wir schon gesprochen haben: Auch hier sehe ich eine Form des Widerstands. Wenn du jetzt 27 Stunden am Tag Zeit hättest und dich nur mit der Innenschau und Nabelschau beschäftigen würdest, dann wäre ein ganz anderer Stoffwechsel im Gange, als wenn du weißt, du hast nur so und so viel Zeit. Da wird die Zeit sehr kostbar, die man hat, um dann noch die solitäre Arbeit zu tun. R. S.: Ich glaube, das sind zwei ganz wichtige Begriffe. Das ist natürlich Widerstand im besten und positiven Sinne. Und Kostbarkeit. Es ist doch ein Luxus, morgens aufzustehen und erstens diese Begeisterung zu empfinden, dass ich wieder Kaffee trinken kann, und dann zweitens zu denken: Scheiße, ich kann jetzt komponieren, schon wieder. Ich meine, was für ein Geschenk ist so ein Leben! Es macht mich glücklich, dass ich komponieren kann. Und es ist kostbar. M. T.: Das hört man deiner Musik auch an. Man hört diese Freude, die du gerade beschrieben hast. R. S.: Ich mag diese absolute Fokussiertheit. Sagt man das so, Fokussiertheit? Fokussiert zu sein, in dem Moment sich zu verlieren, diese absolute Aufmerksamkeit aufzubringen, in dem Klang drin zu sein. Ich habe manchmal einen brennenden Hunger auf das Komponieren. M. T.: Gab es einen markanten Impuls für deine Entscheidung, das Leben dem Komponieren zu widmen? Oder war es eher ein schleichender Prozess, also etwas, was sich sukzessive ausgeformt hat? R. S.: Es war keine Entscheidung, es ging schleichend und ziemlich unbewusst. Als ich noch ganz jung war, wusste ich überhaupt nicht, was ich machen sollte. Überlegt war das alles nicht. Ich wählte Komposition als mein Hauptfach, als ich mein Bachelor-Studium



in Edinburgh machte. Als ich fertig war, bekam ich ein Stipendium, um ein Jahr im Ausland zu studieren. Ich hatte vom Goethe-Institut Musik von Wolfgang Rihm auf Kassette bekommen. Die habe ich angehört und gesagt: Wo ist der? Karlsruhe. Wo ist Karlsruhe? Deutschland. Wo ist Deutschland? Okay, rechts von Frankreich; da fahr ich hin. Es war fast instinktiv. Ich hatte sehr großes Glück. Als ich ankam, habe ich gesagt, ich gebe mir ein Jahr. Und wenn ich merke, das wird nichts, fahre ich wieder nach Hause. M. T.: Das klingt so, als sei dann doch diese Zeit bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe eine entscheidende Schwelle gewesen. R. S.: Absolut. Ja, das war für mich eine entscheidende Chance. Ich habe meine Geige weggepackt und von einem Tag auf den anderen aufgehört, aufführende Musikerin zu sein. Ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, sich in eine andere Kultur zu begeben, mit einem leeren Blatt nochmal anzufangen. Bloßgestellt, fast nackt. Man betrachtet die Welt und auch sich selber aus einer völlig neuen Perspektive. Ich stelle mir manchmal vor, dass wir wie eine Art Prisma sind. Es gibt abhängig von unserer Geschichte, den Einflüssen, den Chancen, der Erziehung, den Gesellschaften, in denen wir gelebt haben, nur beschränkte und bestimmte Facetten unserer Persönlichkeit, die sich entwickeln können. Sobald du als junger Mensch außerhalb der eigenen Kultur alles infrage stellen kannst, ist es eine große Chance. M. T.: Da möchte ich mir erlauben, in dem Zusammenhang eine Passage aus Paul Celans Büchner-Preis-Rede aus dem Jahr 1960 zu zitieren: „Die Kunst erweitern? Nein. Sondern gehe mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.“ R. S.: Finde ich super. Ich stimme überein. M. T.: Ich habe das Zitat ausgesucht, weil ich das Gefühl habe, es korrespondiert mit dir und deiner Arbeit,

mit dem, wie ich dich wahrnehme, jedenfalls. Du hast die Geige weggepackt, du hast ein neues Leben begonnen. Und irgendwann kommt dann dieser Moment, in dem man sich sagt: Wenn ich das schon tue, dann versuche ich auch wirklich absolut mein Bestes. Der Versuch, die Praxis und die Notwendigkeit, mit der Kunst in die allereigenste Enge zu gehen – und „setze dich frei“. Das ist das Gegenteil von dieser äußerlichen Vorstellung von Innovation, wie sie uns zum Teil auch oktroyiert wird. Die Vorstellung, du wärest jetzt als Komponist damit beschäftigt, nochmal was Neues zu erfinden. R. S.: Es geht weniger darum, etwas Neues zu erfinden. Wir erfinden ja keine neuen Klänge. Es ist alles bereits da. Wir rahmen, klammern das bereits Existierende aus, ermöglichen, etwas auf eine andere Art und Weise wahrzunehmen. Mir ist oft erst bewusst, wonach ich suche, wenn ich etwas Abstand habe und denke: Womit bin ich gerade beschäftigt? Welche Künstler begeistern mich? Was ist es in ihrer Kunst, das mich so fasziniert … M. T.: Kannst du ein Beispiel nennen? R. S.: Das erste Mal, als ich die Musik von Galina Ustwolskaja gehört habe, war so eine Situation. Das war für mich ein Schlüsselmoment. Es war 1992, als Wolfgang Rihm eine neu erschienene CD vorstellte. Ich habe das Duett für Violine und Klavier das allererste Mal gehört und es hat mich so umgehauen! Es hatte etwas mit dieser skelettartigen Struktur, dieser vollkommenen Reduziertheit zu tun; dass nur das absolut Notwendigste sichtbar und hörbar gemacht wird, dass die Struktur vibriert, so wie man es auch bei Bach erleben kann. Ich fand diesen Mangel an Überflüssigem so direkt und mutig. Ich hatte bis zu diesem Moment noch nie ein Werk gehört, das so über sich hinausgegangen wäre. Es fehlt oft – glaube ich – diese Unmittelbarkeit in der Kunst. Diese Musik hat mich geschlagen in ihrer physischen Direktheit und auch mit



ihrer geistigen Klarheit. Es hat mir sehr imponiert. Als das Stück allerdings zu Ende ging, dachte ich: Scheiße, ist schon gemacht worden! Es hat mir aber auch Mut gemacht und mich bestätigt: Auf diesem Weg muss ich gehen, ein Komponist muss eigentlich so sein. M. T.: Mein Lehrer Mauricio Kagel hat mir gegenüber mindestens zwei-, dreimal gesagt: „Wissen Sie, die anderen haben alle Krisen in ihrem Leben. Ich hatte nie eine Krise, ich hab’ immer weitergeschrieben.“ – Das war mir schon damals, ehrlich gesagt, ein bisschen suspekt. Das Wort Krise selber geht ja auf „krínein“ zurück, im Griechischen heißt das: unterscheiden, sondieren. Ich meine, was wir tun, hängt sehr mit dem Unterscheiden zusammen, der Werdegang eines Komponisten hängt stark damit zusammen: zu unterscheiden und auch sich zu entscheiden. Deshalb die Frage an dich: Wie ist dein Verhältnis zur – nehmen wir mal dieses Wort – „Krise“? Wie klingt das für dich? R. S.: Das hat für mich wenig mit dem Komponieren zu tun. Das Komponieren ist ein lebensbejahender Akt, es ist das Tun, das Erschaffen. Egal ob du scheiterst, egal was du da riskierst – es ist das Machen, das wichtig ist. Es ist ein Akt der Hoffnung. Und dass wir in dieser Zeit trotz aller Widrigkeiten komponieren, das ist immer wieder ein erneuter Versuch, Hoffnung zu bewahren – und das ist wahnsinnig wichtig. Jeder hat seine Krisen, jeder hat immer wieder diese Momente des Umbruchs im Leben. Das Leben ist bekanntlich fragil und äußerst unberechenbar. In einem Augenblick kann es dich umschmeißen. Das passiert jedem irgendwann. Als Komponist erlebst du das auch. Du musst neu anfangen, bist aufgefordert anders zu denken, dich infrage zu stellen, ganz andere Schaffensräume aufzureißen. Es gab für mich Momente, in denen mir bewusst war, dass ich ein Stück schreiben muss, um durch die Wand zu hauen, und dass es höchstwahrscheinlich nicht gelingen kann; aber dass es notwendig war, das zu schreiben, um mich in einen anderen Raum zu begeben, um mich mit einer anderen Ästhetik oder

Form, einem anderen Klang auseinanderzusetzen, ja, um weiterzukommen. Das ist vielleicht meine Art, wie ich eine Krise umsetze. Vielleicht ist das eine Art. Ich habe immer weiter geschrieben, geschrieben und geschrieben und geschrieben. Es ist sehr unangenehm, wenn man nicht arbeiten kann, aber es ist wahrscheinlich auch wichtig, das zuzulassen. M. T.: Du zählst – das kann man ja ruhig in diesem Rahmen sagen – zu den international erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart. Kann Erfolg einen auch … ich will nicht sagen: in eine Krise stürzen … aber kann das auch zum Dämon werden, Prize Winner zu sein? R. S.: Wenn man viel Aufmerksamkeit bekommt, ist es ein Problem. Es ist gefährlich und unangenehm, sich von außen zu betrachten. Es hat nichts mit der Arbeit, mit Kunst zu tun. Ich habe wirklich immer wenig nach links und nach rechts geguckt. Das hat etwas mit meiner Lebenssituation zu tun, ich hab immer einfach gearbeitet und versucht, wenig darüber nachzudenken, was über mich gesagt wird, was andere über mich denken, und einfach mit Beharrlichkeit das gemacht, was ich machen will. Und ich habe versucht, das so gut zu machen, wie ich kann. Das machen wir irgendwie alle, oder? Man darf sich nie in die Situation begeben, dass man sich zu ernst nimmt, dass die eigene Stimme zu laut und wichtig wird. Es ist nicht das, worum es geht. Man muss super bescheiden bleiben, das ist notwendig für unsere Arbeit, man muss einfach aufstehen und sagen: Ach, großartig, Kaffee, und mit dem Komponieren loslegen. M. T.: Was bedeutet Wiederholung für dich? Das ist jetzt der Moment, wo ich das fragen muss. R. S.: Sehr viel. Ich würde das so unterteilen: Meine Pianissimo-Musik – das sind hauptsächlich statische, mobile-artige, räumliche Werke, wo die Einzelmusiker in einem geteilten akustischen Raum in eine Art Dialog



miteinander treten –, diese Musik hat sehr viel mit Wiederholung zu tun. Immer wieder gleiche oder ähnliche Fragmente werden in immer neuen Konstellationen und Überlagerungen wiederholt. Diese kleinen Wiederholungen bilden in verschiedenen Kombinationen eine Gesamtform, es entsteht nach und nach eine Art klingende Skulptur. Aber auch in meinen anderen Werken ist Repetition wahnsinnig wichtig, weil ein Stück oft auf einem einzigen Klangfragment beruht. Organisch, aus der Vielfalt oder aus dem Potenzial dieses Kernklangs, entwickelt sich ein ganzes Werk. Das Ausloten dieses einen Klanges oder der einen Geste ist eigentlich auch eine Art Fragestellung. Es wird wiederholt, immer wieder. Der Klang wird in unterschiedlichen Rahmen, in unterschiedlichen Kontexten verändert und mutiert so weit, dass die neue, mutierte Form eigentlich kaum noch als ursprüngliches Material erkennbar ist, aber organisch immer noch eng damit verbunden ist. Wenn man mein Violinkonzert „Still“ hört – das ist eigentlich Wiederholung pur. Das ist fortlaufend, beharrlich, erschöpfend, immer weiter, immer weiter das Gleiche, das Gleiche, das Gleiche – aber jedes Mal anders. M. T.: Das korrespondiert doch mit dem Leben eines Komponisten – oder? R. S.: Ja, absolut. Immer das Gleiche, aber hoffentlich immer etwas anders. M. T.: Der Kaffee ist auch zwangsläufig immer ein bisschen anders, aber es ist eben Kaffee. Und dann die Hoffnung jeden Tag – und das Fenster, das sich öffnet … Ich bin dir sehr dankbar für das Gespräch. Aber eine letzte Frage finde ich jetzt doch noch notwendig, nämlich: Was lernen wir von den Kindern? R. S.: Von Kindern? Die Welt als ein Wunder zu betrachten, ein Ding wie zum ersten Mal zu erleben, ihm unbeschränkte Aufmerksamkeit zu widmen. Und Kin-

der schenken einem einen Abstand zu sich selbst – man merkt, dass man nicht das Zentrum des Universums ist. M. T.: Was fehlt noch? R. S.: Ich wollte noch etwas über das sogenannte Unbenennbare sagen. Du hast diese Prize-Winner-Frage gestellt – das ist etwas unangenehm. Ich empfinde, dass das gesprochene Wort auch sehr viel kaputtmachen kann. Wir arbeiten mit dem Unbenennbaren. Und das ist so kostbar, so magisch. Musik ist tief in der heutigen Realität verankert, die sie widerspiegelt, sie entspringt ja aus dem here and now. Diese ungeheure Kraft, der Sinn und die Bedeutung, die Musik hat – sie hat die Fähigkeit, unter die Oberfläche zu gehen, sich mit etwas zu beschäftigen und etwas Raum zu geben, das kaum artikulierbar, das verborgen ist. Musik kann etwas enthüllen, es geht über das Normale hinaus und deutet etwas Fragiles und höchst Menschliches an. Und wenn man spricht, habe ich das Gefühl, dass einem diese Dimension entgeht. Mit dem geschriebenen Wort versuche ich manchmal eine Essenz zu erlangen, aber ich komme nie ans Ziel. Mit der Musik aber kommt man unmittelbar an das Ding selbst heran. Man kann zumindest ganz nah herantreten, so dass man auch durch das Schlüsselloch schauen kann.



Tacita Dean hat das Cover und die folgenden Doppelseiten für diese Ausgabe von Quart gestaltet. Hier ein Text von Raimar Stange zu ihrer Kunst:

„Das Gemeine und das Göttlichste, beides muß im Dichter Statt finden. [Aeußerste Ungleichheit in Hamlets Charakter].“ Friedrich Schlegel 1 I. Protagonisten aus der Welt der Kunst und Kultur spielen in Tacita Deans Arbeit immer wieder eine zentrale Rolle. Dabei handelt es sich um reale Personen ebenso wie um fiktive Figuren. In ihrem Film „Craneway Event“ (2009) zum Beispiel setzt die vor allem für ihre Filmarbeiten international bekannte Künstlerin dem legendären Tänzer und Choreographen Merce Cunningham (1919–2009) ein Denkmal. Es handelt sich übrigens um den letzten Film, in dem Merce Cunningham selbst noch mitgewirkt hat. Da Merce Cunningham sich in diesem Film selber „spielt“ und bei Proben mit seinem Tanzensemble zu sehen ist, ist seine Präsenz in dieser Arbeit eine gleichsam potenzierte, denn Authentizität und Rolle verschmelzen untrennbar ineinander. In „Berlin and the Artist“ (2012) hingegen steht der Schriftsteller Robert Walser (1878–1956) im Mittelpunkt des von Tacita Dean collagierten Geschehens. Skizzenhafte Zeichnungen des relativ unbekannten Künstlers Martin Stekker (1878–1962), die das Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Thema haben – also jene Zeit, in der Robert Walser in der Stadt war –, werden da mit alten Postkarten, die Tacita Dean auf Berliner Flohmärkten gefunden hat, auf an der Wand hängenden Tableaus in einen Dialog gebracht. Anders 1 Friedrich Schlegel, Literarische Notizen 1797–1801, ed. Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1980 Notiz 1201, S.131

als bei „Craneway Event“ also ist der eigentliche Protagonist der Arbeit, nämlich Robert Walser, hier nicht sichtlich präsent. Der in Berlin lebenden Künstlerin gelingt es also sowohl mit der Strategie der visuellen Präsenz als auch mit der Strategie der visuellen Abwesenheit über Qualitäten von realen Personen aus der Welt der Kultur künstlerisch zu reflektieren. II. Fiktives Personal tritt nicht zuletzt in Tacita Deans analogem Film „Antigone“ (2018) auf, in dem das gleichnamige Stück des antiken Tragödiendichters Sophokles (496 v. Chr. – 406 v. Chr.) im Zentrum steht, genauer: die Blindheit des Königs Ödipus und wie ihm seine Tochter – und Schwester – Antigone dann als Blindenführerin dient. Blindheit wird hier mit Hilfe von Doppelbelichtungen und Maskierung der Darsteller konkret in filmische Ästhetik übersetzt. Zudem setzt die Künstlerin unter anderem eine gefilmte Sonnenfinsternis, die die Natur in Dunkelheit versetzt, und collagierte Bilder, die Sophokles’ Stück interpretieren, in Szene. Da Tacita Deans ältere Schwester ebenfalls Antigone heißt, kommen zudem noch biographische Momente ins Spiel, so dass sich die eben nur scheinbaren Widersprüche von Rolle und Realität hier wieder ein Stück weit aufheben. Der Film „His Picture in Little“ (2017) spitzt dieses spannende Verhältnis von Rolle und Authentizität, von Spiel und Nichtspiel noch einmal zu. Der Titel der Arbeit ist einerseits ein Zitat aus Shakespeares Stück „Hamlet“, andererseits benennt er den Umstand, dass dieser Film von 45-mm auf 16-mm herunterkopiert



wurde und so als konkrete Miniatur fungiert. „His Picture in Little“ ist nämlich ein im Miniaturformat konzipiertes Porträt dreier Schauspieler, die bekannte Hamlet-Darsteller sind. Gezeigt wurde die Arbeit, und hier schließt sich der Kreis, dann in einem Raum der Londoner National Gallery, in dem gemalte Porträtminiaturen zu sehen sind. Gefilmt hat Tacita Dean die Schauspieler Ben Wishaw, David Warner und Stephen Dillane in einer Art und Weise, die ein wenig an Andy Warhols legendäre „Screen Tests“ (1964–66) erinnert: Die Darsteller werden abgelichtet ohne jedwede Regieanweisung, keine Handlung und kein Text wird von ihnen erwartet. So präsentieren sie sich vor laufender Kamera zwar, wenn man so will, in Posen, allerdings nicht in solchen, die ein fiktiver Rahmen ihnen in irgendeiner Weise vorschreibt. Das fiktive Moment ergibt sich also einerseits durch die Tatsache, dass ihre Präsenz in das Medium Film übersetzt wird, andererseits dadurch, dass alle hier „auftreten“, weil sie Hamlet-Darsteller von Rang sind. Stephen Dillane hat sein Spielen der Hamlet-Rolle übrigens unter anderem folgendermaßen umschrieben: „Manchmal empfindest du wie Hamlet, dass es die Freiheit, Hamlet zu sein, nicht gibt, weil die Obersten Geister der Kultur sein Schicksal im Vorhinein beschlossen haben“. (Der vollständige Text ist auf S. 47 zu lesen, Anm.) Rollenspiele, sei es auf der Bühne, sei es im „richtigen Leben“, sind halt kulturell determiniert und haben daher nicht zuletzt auch eine geschichtliche Dimension. Und dies gilt gerade für einen Charakter wie Hamlet, der – schon Friedrich Schlegel, der Kulturphilosoph der Frühromantik betonte es – sich durch ein besonderes Maß an Widersprüchlichkeit auszeichnet. III. Die hier in Quart erstmals gezeigte Serie „Hamlet“ von Tacita Dean stellt wiederum die Figur Hamlet vor,

dieses Mal auf gedruckten historischen Schauspielerkarten, die ebenfalls Darsteller zeigen, die den Hamlet „gaben“. Im theatralischen Kostüm sind diese jetzt zu sehen, sie scheinen so auf der Bühne zu stehen. Verschiedene Posen werden dabei von den in dieser Arbeit tatsächlich schauspielenden Schauspielern vorgeführt, die vom Betrachter dann schnell mit der eigenen Vorstellung des Hamlet-Dramas in Verbindung gebracht werden. Diese Karten, eine von ihnen weist übrigens eine handschriftliche Beifügung auf, wurden von der Künstlerin in ihren Lithografien dann nachträglich bearbeitet, es wurden ihnen nämlich farbige, amorphe Formen, Farbschlieren und -kleckse beigefügt, die einerseits als fragile, ja poetische Kommentare oder Interpretationen gelesen werden können, andererseits aber auch an das Auflösen der Fotos in Folge einer chemischen Reaktion denken lassen. Dualismen sind es erneut, die hier auf den ästhetischen Masterplan treten: das Schwarzweiß der Fotos versus die von der Künstlerin beigefügte Farbigkeit; das Alter der Fotos versus die Aktualität der Bearbeitung; die Gegenständlichkeit des Fotos versus die Abstraktheit der Farbe; die Fiktionalität der Rolle Hamlet versus das Materiell-Tatsächliche der Farbe; und nicht zuletzt die Statik der still verharrenden Schauspieler versus die offensichtliche Dynamik der künstlerischen Bearbeitung. Das ästhetische Resultat dieser, wenn man so will, „Dialektiken“ sind Zeitbilder, frei nach Gilles Deleuzes Filmtheorie, in denen ein analoger Zeitverlauf inklusive der Tradition der von Stephen Dillane ins Spiel gebrachten „Obersten Geister der Kultur“ sein Recht ebenso behauptet wie eine sich einmischende und aggressiv-schöne Unterbrechung dank individueller Schöpfungsakte.













Hamlet sein Von Stephen Dillane

Wenn du Hamlet spielst, fühlst du dich manchmal wie eine AztekenJungfrau, die ihr Herz einer unterdrückerischen Kultur opfert, um deren Götter gnädig zu stimmen. Manchmal fühlst du dich über die Maßen begünstigt, weil jemand dich dazu bestimmt hat, die höchste Sprache des Stamms zu sprechen. Manchmal glaubst du, du seiest die einzige Person, die Hamlet versteht, ihn je verstanden hat oder je verstehen wird, weil nur du atmest und denkst wie er. Manchmal denkst du, Hamlet zu spielen, zu verkörpern, sei die einzige Art, ihn zu verstehen. Manchmal empfindest du Schmach, dass sich das Stück nicht vermitteln lässt, weil jedes Spielen so unzulänglich ist. Gelegentlich gelingt alles und dann bist du einfach ...

Manchmal empfindest du wie Hamlet, dass es die Freiheit, Hamlet zu sein, nicht gibt, weil die Obersten Geister der Kultur sein Schicksal im Vorhinein beschlossen haben.

Oft möchte ich die Vorführung unterbrechen, die Texte verteilen und „Lies mal“ sagen.

Meist kommst du einfach auf die Bühne, so gut du kannst, lauschst, was gesagt wird, und antwortest, so gut du kannst, mit den Worten, die dir zur Verfügung stehen, und läßt dich (wie auch immer) von diesem Kunstwerk an Kohärenz für einige Stunden forttragen, bevor du nach Hause gehst.

Stephen Dillane spielte den Hamlet 1994 in London in einer Produktion von Peter Hall. (Übersetzung: Marie Luise Knott)



Carl Zuckmayers Roman „Salwàre oder Die Magdalena von Bozen“, für das Jahr 1935 vom S. Fischer-Verlag angekündigt, wurde noch vor Erscheinen vom NS-Propagandaministerium beschlagnahmt und erschien schließlich im Jahr darauf mit großem Erfolg im Exilverlag Bermann Fischer. Wie schon allein der Titel verrät, ist die Handlung in Südtirol angesiedelt und eng mit den ladinischen Mythen aus den Dolomiten verknüpft. Erika Wimmer Mazohl hat das seinerzeit viel beachtete Buch neu gelesen.

Das Buch liegt auf dem Tisch und sieht mich an. Ich habe es gestern schon ausgelesen, doch es lässt mich nicht los … und dann, plötzlich, überstürzen sich die Gedanken, Bilder erscheinen vor meinem inneren Auge, immer mehr Bilder, bewegt und einander überlappend; auch Klänge nähern sich, erst Klavierklimpern, dann mehrere Streicher, kammermusikalische Fetzen, Lautes und Flüsterndes, Stimmen und Gelächter aus dem Off. Die Töne begleiten das Wabern der Bilder, beides steigert sich, und ich denke spontan an eine Art Welttheater. Ich sehe drängende, schillernde Szenen, ein eiskalter Mond lehnt gegen die Brüstung der Schlossterrasse, zwei Menschen im freien Fall, drei Saufende an einem riesigen schweren Holztisch, der plötzlich kippt, Blitze am Himmel, die in die Wälder fahren und Bäume in Flammen aufgehen lassen oder, begleitet von einem ohrenbetäubenden Prasseln, mehrere Stämme spalten; eine bleiche Frau trägt auf den Armen zehn und mehr Tauben, aus ihrem Kopf gurrt es, Frauen und Männer, die sich unter Dach paaren, eine gutmütige Kuh im Zimmer, sie schaut ihnen zu und dampft, während zwischen den Händen der blinden Alten in der Gaststube der Brotteig zerfließt. Wein wird in großen Mengen verschüttet, die Füße der Alten färben sich rot, gleich springen alle in den Schlossteich, um sich zu waschen, während der Einarmige unbeobachtet den Schnaps austrinkt; eine Wolke der Philosophie erhebt sich im schönsten Silbergrau über dem schlafenden Schloss, während der Bruder der Kellnerin mit einem Brotkorb ins Gefängnis geht, um duftende Laibe an die Gefangenen zu verteilen. Bozen, Kaltern und der Latemar werden überflogen, eine geisteskranke Stierführerin fällt zu Boden, der Bräutigam mit dem

Fisch im Gesicht flieht … und immer so weiter noch einige Zeit, bis ich etwas überdrüssig das postmoderne Treiben in meinem Kopf abschalte und mich wieder dem Buch zuwende. Irritation Gar so abstrus wie in meinem Kopftheater werden die Dinge im Buch nicht dargestellt, nur ein wenig zügellos da und dort. Der Autor hat alles Abwegige in eine gewisse Ordnung gefügt und auf allzu Überstiegenes verzichtet. Trotzdem bleibt nach Lektüre der Eindruck gesuchter Phantastik am stärksten zurück. Der Roman „Salwàre oder Die Magdalena von Bozen“ ist stellenweise surreal, theatralisch und bedeutungsschwer. Zu Beginn etwa: Der dem Erzähler seine Erlebnisse berichtet, der Kunstmaler Thomas Stolperer, kommt nicht einfach über den Brenner zu Besuch, er reist geradewegs aus Afrika an. Der Künstler als Weltenbummler – das ist ein Auftakt, der einen zum Sinnieren bringt und Erwartungen auslöst, die allerdings nicht eingelöst werden. Der Stoff ist weitmaschig gesponnen, die Erzählung lässt vieles offen, sie bleibt in einigen entscheidenden Handlungsverläufen rätselhaft. Das Schlussbild ist, wie im Übrigen auch andere Bilder in dem Text, religiös aufgeladen, es ist das Bild einer Frau, die ihren tödlich verunglückten Mann wie einen Christus in den Armen hält – eine Pietà. „[…] Ein Roman kann alles und es sollte auch alles erlaubt sein im Roman.“ (Anna Kim) Eine unserer fabelhaftesten Gegenwartsautorinnen sagt das, und Carl Zuckmayer hat sich schon Mitte der 1930er Jahre daran gehalten. Salwàre, in Henndorf am Wal-



lersee geschrieben (wohin Zuckmayer nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mit seiner Frau von Berlin aus übersiedelt war), sei, wie man im Netz nachlesen kann, frei erfunden; liest man Zuckmayers Autobiografie „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“, findet man darin aber doch Spuren seines eigenen Lebens. So oder so lässt der Roman auf eine unbändige Phantasie seines Erschaffers schließen, nicht was den Plot an sich, aber doch den immer wieder ausufernden Erzählfluss betrifft. Man spürt, dass es dem Autor um das Ausloten und wohl auch Überschreiten herkömmlichen Erzählens geht, wobei er wiederholt an der Grenze des Glaubhaften landet. In einem Roman die Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen, ist riskant, es sei denn, man ist ein experimenteller Autor, der Gedankenspiele oder das Surreale zu seiner Poetik macht. Er darf wirklich alles, er wird nicht mehr an der Wirklichkeit gemessen, hat aber oft mehr über die Wirklichkeit zu sagen als die Realisten. Zuckmayer ist im Prinzip jedoch ein realistischer Erzähler, der sich einer konventionellen Schreibweise bedient. In Salwàre scheint er sich aber mehr als einmal ins Dickicht des Übersinnlichen oder Unbewussten zu verirren und Handlungsstränge zu entwickeln, die irritieren, weil sie den realistischen Boden verlassen. Das mag bewusst geschehen sein, um zu provozieren. Libertinage und Verbot Der Roman spielt in den 1930er Jahren und versammelt im Schloss des Grafen Firmin Stries dej Salwàre eine Gesellschaft sehr unterschiedlicher Frauen und Männer, die einen Sommer lang miteinander musizieren, diskutieren, philosophieren, außerdem gut essen und viel trinken sowie die eine oder andere Wanderung unternehmen. Im Zentrum steht das Geschwisterpaar Firmin und Magdalena, die ein symbiotisches Verhältnis haben; die beinahe neurotische Geschwisterliebe und die Lebensweise auf dem Schloss weisen dekadente Züge auf. Die Gräfin Magdalena schäkert zunächst mit Stolperer, weist diesen aber letztlich ab, denn sie ist mit Mario, ihrem faschistischen Cousin, verlobt. Firmin ist ein erfolgreicher Dramatiker, der an seinem Talent zweifelt, Stolperer lässt sich von seinem

Vorhaben, auf dem Schloss Fresken zu malen, gerne ablenken, Magdalena gerät unter Mondeinfluss immer wieder in einen merkwürdigen Wahn und ihre Mutter, eine begnadete Pianistin, ist blind. Weitere Gäste – der Nachbar Peter, ein Verlegerehepaar mit Tochter sowie eine Schauspielerin – lassen sich mit Begeisterung auf den gehobenen Lebensstil dieser Gesellschaft ein, es wird gefeiert, einen ganzen Sommer lang. Firmins Frau, die zwei Kinder hat und liebevoll „die Kuh“ genannt wird, steht in ihrer Bodenständigkeit abseits. Stolperer, der Nachdenkliche, distanziert sich bald, er mietet ein Zimmer im nahe gelegenen Gasthaus, verführt die junge Kellnerin Mena und pendelt fortan zwischen zwei Welten, dem Schloss oben und der Schänke unten. Er nimmt da wie dort, was ihm gefällt, ohne Verpflichtungen einzugehen. Am Ende wird nach einem Zerwürfnis Magdalenas Verlobung mit dem Faschisten aufgelöst, der reist ab und die drei Freunde unternehmen eine Bergtour auf den Latemar. Doch es gibt Streit und Stolperer verlässt die Geschwister, die am nächsten Tag tödlich abstürzen. Er hat auf „das Fräulein“ nicht aufgepasst, worum der einarmige Schlossdiener ihn ausdrücklich gebeten hatte. Mena ist indes „die Gescheitere“, sie löst trotz ihrer Schwangerschaft das Verhältnis mit Stolperer, weil es keine Zukunft hat. Neben den schwelgenden Naturbeschreibungen, die von der zeitgenössischen Rezeption besonders gelobt wurden, aber aus heutiger Sicht etwas zu romantisch (oft wildromantisch) geraten sind, ist auch die Zeichnung der Mann-Frau-Beziehungen nicht mehr zeitgemäß. Mit Magdalena, Mena und „der Kuh“ werden sehr unterschiedliche Frauentypen gezeichnet – mütterlich und gutmütig ist Cordula, „die Kuh“, zerrissen und überspannt, doch immerhin klug die Gräfin Magdalena, und Mena ist aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung in hohem Maße fremdbestimmt, nur in der Sexualität lebt sie etwas Freiheit aus und bezahlt dafür erwartungsgemäß ganz allein, wobei Zuckmayer auf eine sozialkritische Problematisierung dieses Faktums gänzlich verzichtet. Was allen drei Frauen gleichermaßen zugeschrieben wird, ist ein ,naturhaftes‘, emotionales Wesen und die Abhängigkeit von den Männern; nach der Möglichkeit eines autonomen weiblichen Daseins wird nicht gefragt. Die Männer andererseits



lieben ihre Freiheiten über alles, sie nehmen sich, was sie von den Frauen und vom Leben kriegen können, pflegen z. B. sexuelle Beziehungen, wie es ihnen passt, sind zugleich nicht frei von Besitzdenken, wirken darin aber ganz unschuldig. Stolperer wird einmal gegenüber Mena gewalttätig, nämlich als er erfährt, dass sie verlobt ist; er prügelt seine Freundin, erscheint dabei aber (quasi entschuldigend) eher hilflos und ungeschickt als wirklich roh (S. 115). Die Männer werden von Zuckmayer als schuldlos schuldig gezeichnet und beide Geschlechter folgen bereitwillig den patriarchalen Strukturen. Obwohl der Erzähler ein Mal von der Überlegenheit der Frauen und der dümmlichen Selbstherrlichkeit der Männer spricht (S. 30), sind die in den 1930er Jahren wohl üblichen Rollenbilder auch im Roman ungebrochen – was für heutige Leser mäßig interessant ist. Spannend ist jedoch der überall im Text mitschwingende Gegenentwurf zum Bürgerlichen, zum Geordneten, der hier über die Männer, ein wenig auch über die Charakterisierung der Magdalena (sie ist kindhaft-lasziv, leicht erregbar und von übersinnlichen Kräften bestimmt), transportiert wird. Die Kritik an den philiströsen Sexualtabus der Zeit wird deutlich. Neben der impliziten Kritik am Krieg – niemand in der Runde darf über die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg sprechen (S. 85), das ist so vereinbart und findet außer bei Mario absoluten Konsens ­– dürfte die freizügige und privilegiert-aristokratische Lebensweise, die im Roman ausgebreitet wird, den Nazis keine Freude gemacht haben: Das Buch wurde 1935 vom deutschen S. Fischer-Verlag angekündigt, sogleich aber vom Propagandaministerium beschlagnahmt. Dem Verlag wurde mitgeteilt, dies geschehe „wegen der Vergangenheit des Autors“; Zuckmayer hatte in Deutschland den widerständigen Zusammenschluss „Eiserne Front“ unterstützt und seine oppositionelle Haltung zum Nationalsozialismus hatte ihm mehrmals Schwierigkeiten eingebracht. Daneben dürfte im aktuellen Zensurfall aber auch die Romanhandlung, der expressionistische Erzählstil und bestimmte Äußerungen, die den Figuren in den Mund gelegt werden, zum Verbot geführt haben. Trotz des Verbots erreichte das Buch bald eine große Leserschaft, es konnte 1936 im Exilverlag Bermann

Fischer in Wien erscheinen und wurde umgehend auch ins Englische übersetzt. Zuckmayer hatte zuvor vor allem mit den Dramen „Der fröhliche Weinberg“ und „Der Hauptmann von Köpenick“ große Erfolge gefeiert und war international bekannt. Topografien und Mythen Dem Halbjuden Zuckmayer, der Nazideutschland den Rücken gekehrt und mehrere Jahre in Österreich gelebt hat, waren gewiss auch Tirol und Südtirol nicht ganz unbekannt. Innsbruck, das sei am Rande erwähnt, hat er kurz nach dem Anschluss und zum Zeitpunkt seiner Flucht (zwei Jahre nach dem Erscheinen von Salwàre) als nicht eben freundliches Pflaster kennengelernt: Er, der über Zürich nach London ausreisen wollte, fiel, wie er in seiner Autobiografie schildert, einer Nazikontrolle zum Opfer, weil in seinem Pass stand, dass er Schriftsteller sei. „Unser Führer liebt die Presse nicht“, lautete die Begründung für den Arrest. Zuckmayer wurde mit anderen wie ein Delinquent aus dem Zug geholt und zur Polizeizentrale gebracht, wo er nach Stunden nur knapp weiteren Schikanen entkam und weiterreisen durfte. In Südtirol hat der Autor sich 1934 und 1935 aufgehalten, also kurz bevor er sich unter dem frischen Eindruck von Landschaft und Bevölkerung an das Verfassen des Romans machte. Es spräche alles für eine topografisch genaue Verortung des Geschehens, doch wer herausfinden möchte, wo sich Schloss Salwàre befunden haben könnte, kommt nicht so recht auf einen grünen Zweig. Thomas Stolperer, so die Handlung, ist in Bozen mit dem Zug angekommen und von dort zu Fuß zum Schloss aufgestiegen, durch Weinberge zuerst, durch Wälder dann. Möglicherweise hat ihn der Weg durchs Eggental bis Deutschnofen, Welschnofen und darüber hinaus geführt – das wäre aber ein Fußmarsch, der kaum an einem Tag zu bewältigen ist. Warum das Eggental und weiter, vielleicht hinunter ins Fassatal? Weil der Name der gräflichen Familie auf einen ladinischen Kontext verweist. Das Gasthaus, in dem Stolperer Quartier nimmt und mit der Kellnerin Mena verkehrt, heißt „Latemar“, womit eine topografische Nähe auch des Schlosses zu diesem Bergmassiv in den



südlichen Dolomiten angedeutet ist. Denn Stolperer wandert mehrmals am Tag und auch bei Nacht zwischen Gasthof und Schloss hin und her. Eine reale Existenz des Schlosses ist auszuschließen, das Toponym Graf Salwàr dej Stries ist fiktiv und überdies, wie ich von der Ladinienexpertin Rut Bernardi erfahre, sprachlich nicht korrekt (richtig wäre Salver dla stries). Übersetzt bedeutet das Toponym Der Wilde der Hexen, was in Bezug auf die Figur der Gräfin Magdalena, die mit der historischen Hexenverbrennung in Zusammenhang gebracht wird, aufschlussreich ist. Zuckmayer hat also im Romantitel ein ihm wichtiges Motiv herausgestrichen. Die unklare Verortung der Handlung lässt im Übrigen darauf schließen, dass er nicht nur eine, sondern ganz unterschiedliche Landschaften schildern wollte, von lieblichen Weinbergen über geheimnisvolle Wälder und schroffe Berge bis hin zum Gewässer des Kalterer Sees mit seinem markanten Schilfgürtel (wohin die Protagonisten einen Ausflug machen). Die Natur ist in diesem Roman beinahe schon Protagonistin, ihrer Schönheit, magischen Kraft und auch Tücke wird viel Raum gewidmet, immer wieder werden zauberhafte Naturerscheinungen in den Fokus gerückt, sodass die Landschaft von unsichtbaren Wesen bewohnt, ja belebt erscheint (man denke an das Kapitel „Die gelbe Wolke“ (S. 92 ff) oder führe sich Formulierungen wie diese vor Augen: „[…] als wir gegen Abend in den Fenstern saßen und uns, so schien es mir manchmal, am weichen Euter des Dämmerhimmels mit seiner lichtgrauen Milch volltranken.“ S. 143) Die Hauptakteure des Romans sind bis auf Stolperer ladinischer Abstammung, auch wenn im Schloss offensichtlich nicht Ladinisch gesprochen wird. Dass damit die Mythen der ladinischen Täler ins Spiel kommen, ist nicht überraschend. Doch Zuckmayer bleibt auch darin vage, er nimmt wohl Anleihen aus den SagenÜberlieferungen, fügt sie aber undeutlich zu etwas Eigenem und Rätselhaftem. Möglicherweise hat er die Überlieferungen gar nicht so genau gekannt, vielleicht ist er einfach seiner Intuition gefolgt, um mit gängigen Sagenstoffen und den geläufigen Archetypen ganz frei zu spielen. Es würde zu Konstruktion und Charakteristik dieses Romans passen.

Das Weibliche steht, wie man weiß, mit dem Mond in Verbindung, der Mond und die Frauenfiguren, gesehen aus männlicher Sicht, stehen im Mittelpunkt. Bereits am Beginn des Romans unterhalten sich Firmin und Stolperer über „die Luna“, die eher etwas Gefährliches an sich habe als etwas Weiblich-Beschützendes. Peter, der Nachbar, erinnert in diesem Zusammenhang an die Mondgeschichte „Lis montes pàljes“, „die bleichen Berge“ – gemeinsam schauen die drei Freunde hinüber zum Latemar, „dessen Gezacke nun wirklich wie eine erdnah gesunkene Mondlandschaft“ wirkt. Mit dem Wissen, dass der Roman mit dem Tod der Geschwister auf dem Latemar endet, kommt dieser Szene eine geradezu prophetische Bedeutung zu. Magdalenas Wesen wird im Verlauf der Handlung immer wieder unter dem Einfluss des Mondes verzerrt wirken, gerade so, als nehme etwas Fremdes von ihr Besitz und ziehe sie immer wieder an den Rand eines Abgrunds. Es wird suggeriert, dass es sich bei dieser fremden Macht um eine Ahnin der Familie handle, eine auf dem Scheiterhaufen verbrannte ,Hexe‘. Ob Rachegöttin oder Verkörperung des Urweiblichen in seiner schrecklichen Form: Den übersinnlichem und irrationalen Aspekten der Existenz wird in diesem Roman keineswegs die Berechtigung abgesprochen, im Gegenteil. Und das Organische wird im Vergleich zum Künstlichen höher bewertet. Das kommt auch in einer der vielen philosophischen Diskussionen zum Ausdruck, die die Freunde beim abendlichen Zusammensein im Schloss führen (S. 143 ff). Es geht um die Gegenüberstellung von „Ordnung und Formung“: Während „die ordnenden Mächte“ gegenwärtig „in Kampf und Umschichtung begriffen“ seien (gemeint ist der faschistische Ordnungsdrang), fühle sich der „Menschengeist“ stets anderen Gesetzen verpflichtet, nämlich der Formung als „Wachstum oder Selbstgestaltung“, die „jenseits des Organisierbaren“ stünden. Es ist Firmin, der hier ein Bekenntnis abgibt zum Leben –­ zum Elementaren, das sich ohne Zutun des Menschen, vor allem ohne Zutun politischer Kräfte und Ideologien, entfaltet. Es ist dies ein klares Zeichen dafür, dass der Roman im Kontext der Lebensphilosophie des deutschen Theologen und Philosophen Wilhelm Dilthey zu bewerten ist.



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Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte). Wir befinden uns derzeit auf der Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental Richtung Südtirol und weiter ins Trentino führt. Hier die neueste Folge von Marie Gamillscheg – eine Reiseerzählung, die rund um den Dolomitengipfel Croda da Lago bei Cortina d’Ampezzo führt. Im Mittelpunkt steht der „Anthropos als ein Jemand, der noch an seine Regenjacke glaubt und nach Worten sucht“.

Ich dachte ja, es wird ein Text über das Wetter. Also ein Text über eine ehrgeizige Dolomiten-Wanderung, die dann in drei Regentagen verschwindet. Darüber, dass man im Radio, am Hinweg, erneut, schon wieder, über das Anthropozän gesprochen hatte, dass man dann natürlich gleich die ersten in den Fels gehauenen Tunnel, die Lawinenzäune und die Maschendrahtgitter über den Überhängen ober der Straße, fest über den Berg gezurrt, sah, dass man das alles natürlich gleich anders zu lesen wusste, dass man dann fortwährend über das Anthropozän und sich selbst in diesem Zeitalter nachzudenken hatte, dass sich das alles, 1000 Höhenmeter weiter oben, auf einmal nicht mehr einlöste, als man auf einmal verschwindend klein vor einer Felswand stand und die ersten Regentropfen eine andere Welt ankündigten, oder zumindest den Untergang der ersten, dass man sich dann doch schämte für den eigenen Größenwahn und sich dachte, ja genau, der Anthropos also … Ein Text über Erwartungen (Berge, Murmeltiere, wettervergilbte Bergsteigergesichter), in dem die Klosterneuburgerin im Flixbus Berlin – Wien erst noch „Österreichisches Essen stinkt nicht!“ schreien dürfte. In dem man zumindest kurz, beim Aufstieg, über die Hochlager des Ersten Weltkriegs nachdenkt. Und über Terence Hill mit den eisblauen Augen (oh eisblaue Augen), den es in den 2000ern aus Hollywood in die Dolomiten verschlagen hatte, um als Förster Pietro in Die Bergpolizei – Ganz nah am Himmel Verbrechen

aufzuklären. Man sagt sich, seine einzige Bedingung für die Rolle war, dass Förster Pietro auf einem Pferd zu den Tatorten ritt. Ich reise mit dem Auto an. Oder jemand anderer lenkt das Auto, damit ich aus dem Fenster heraus ins Auto hinein Notizen machen kann: In diesem Text fahre ich das Auto. Ich fahre über Cortina d’Ampezzo in den Kreis auf der Landkarte hinein, bleibe nur einmal für einen Blick auf den Himmel stehen. Ich fahre weiter. Ich werde trotz der abgehangenen Horizonte heute noch zum Rifugio Croda da Lago aufsteigen. Ich werde Murmeltiere, Edelweiß, schroffe Bergwände, ledrige Gesichter sehen. Ich werde zu jemandem sagen: Wir sind auf dem Mond. Ich werde sagen: Wir sind in der Wüste. Jemand antwortet: The Dolomites are otherworldly. Ich werde einen Liter Weißwein im Rifugio trinken und am nächsten Tag kein Kopfweh haben. Ich werde später, am nächsten Tag, Motorradfahrer sehen, die mit Schwindelköpfen einen Dolomiti-Toast nach dem anderen essen, und kleine, dünne Rennradfahrer mit glänzenden Beinen und glänzenden Trikots, die gegen die Serpentinen ankämpfen. Ich werde noch später am Hotel Corona vorbeifahren und eine Weile darüber nachdenken, wie ein Text über veränderte Menschenlandschaften nach einer Pandemie aussähe. Ich werde den Gedanken notieren und mich gleich danach dafür schämen. Ich werde vor Alleghe ganze Hänge voller



Mikado-Bäume sehen, vom letzten Sturm durcheinandergewirbelt, ergraut. Aber zuerst parke ich das Auto drei Kilometer vor dem Giau-Pass, dort beginnt der Wanderweg 437. Bergab, bergauf, ein schmaler Bach. Der Anthropos als ein Jemand, der noch an seine Regenjacke glaubt und nach Worten sucht, er muss ja schreiben, die Bäume abschreiben und in seinen Text übersetzen, immer schreiben, immer schauen, was man noch rausholen kann aus diesem Wind: Aber je länger er geht, desto mehr verkommt er, Schritt für Schritt, zu einer unscheinbaren Nebenfigur, bald nur mehr Beobachter, Schwitzender. Die Landschaft übernimmt. CRODA DA LAGO Gleich auf der anderen Seite des Sees geht eine steile Kalkwand hoch, gerade den Wolken zu, pflanzenlos, glatt gespült vom Urmeer. Tagsüber mühen sich darauf Klettermenschen ab, die Senkrechte zu überwinden, schreien den Fels an, der mit ihnen neckische Spiele spielt, sie anlockt, bezirzt, verführt am Ende, um sie dann doch wieder fallen zu lassen, abzustoßen. Immer wieder probieren sie es. Abends fallen sie gleich nach dem Essen im Rifugio Croda da Lago, am Fuße des Berges, in ihre Betten, in einen festen, traumlosen Schlaf, und der Berg kann nachts seinen eigenen Geschäften nachgehen, nachdem er sich den Tag mit Lohnarbeit im Tourismusgewerbe abgemüht hat. Nachts wird der Berg zweidimensional, flächig grau, bald schwarz vom Tal aus gesehen, und später, wenn der Himmel aufglüht, ist er brennend rot. Wenn doch mal einer der Menschen aufwacht, weil ihm die Sonne des Tages im Schlaf in die Schläfen drückt oder doch der Wein oder die gezerrten Handgelenke, tauschen vor dem Fenster der Himmel und die Landschaft gerade ihre Waren aus und die Felsen feilen bereits ihre Felsen für das Morgengeschäft spitz und glatt. Der Mensch sieht nur ein Aquarell in den Horizont gemalt, in Farben, das wird er dann beim Frühstück erzählen, die es nur in Träumen geben kann.

LAGO FEDARA In seinen Pausen wirft sich der Croda da Lago, müde vom Tagesgeschäft und von der durchwachten Nacht, in den See. Er verzerrt sich zu den Seiten hin, macht sich breit, fett, und nur wer genau hinsieht, merkt, dass in der glatten Oberfläche des Sees seine Konturen zittern. Die Legende sagt, dass ein Drache das Loch des Lago Fedara aushob, um sich dort in den Bergen vor seinen Fress- und Lebefeinden zu verstecken. Mit der Zeit floss aber das Wasser von den Schneefeldern ab und füllte das Erdloch nach und nach auf, bis es auf einmal ein See war. Nur die Zacken, auf die Oberfläche des Sees gemalt, verrieten das Versteck des Drachen. Jedes Jahr, während der ersten kalten Oktobertage, wenn die Klettermenschen schon verschwunden sind und die Skimenschen noch auf den Schnee warten, macht sich der Drache aus dem Wasser in den warmen Süden auf und das Tal steht dann ohne Croda da Lago da; für ein paar Tage leben die Tiere, Pflanzen, Steine ihre anarchischen Fantasien einer Zivilisation ohne Hierarchien. Was sagt die Legende? Legenden erzählen doch nur die Menschen. FORC. D’AMBRIZZOLA Um diese Talseite kümmert sich der Croda da Lago erst ab dem späten Nachmittag, wirft ihr einen Schattenmantel über und lässt sie, vom Vormittag überhitzt und übermüdet, ruhen. Schließlich ist die eitle Landschaft hier in einer Tour mit Aufräumarbeiten beschäftigt, damit den Wandermenschen, wenn sie oben an der Kuppe stehen und zum ersten Mal auf die andere Seite schauen, als Erstes ein Wort einfällt: unberührt. Der Mensch ist der Landschaft hier an sich natürlich ganz gleich, ob er kommt oder nicht, ob und was er denkt und ob er die Gewitter hier überlebt. Es geht ihr vielmehr darum, dass – auch wenn stets höhere Häuser und Türme, giftige Pilze im Tal in die Höhe sprießen und über immer größere Distanzen dünne Fäden die kargen Strommasten wie ein zittriges Spinnennetz verbinden –, dass sich all das von hier nicht erahnen lässt. Es ist ein Witz der Natur. Dem ersten



einfallslosen unberührt folgt nämlich ein Gefühl, für das der Mensch tatsächlich keine Worte findet. Müsste er dafür doch zuerst wissen, dass er sich, da an der Kuppe stehend, von der Talseite kommend, wo man hinter dem Lago Fedara stets nur noch mehr Berge gesehen hat, doch ein Zeichen gewünscht hat, dass dieses unaufhörlich größer und kräftiger und satter werdende Gelände irgendwo endet, dass es irgendwo von Menschenhänden erobert und gezähmt wurde. Aber von der Kuppe sieht er auf keine Stadt, keine Bahngleise, kein Dorf, kein Haus, keinen Turm, keine Strommasten. Er sieht auf ein grünes, weiches Tal. Wie ein Meer rollen dort die Gräser mit dem Wind auf ihn zu und wieder zurück, dahinter kleinere Felszacken, dahinter mehr grünes Meer, dahinter Felsen, Berge, weiterhin drängt sich der Himmel hinein. Und irgendwo, weit weg, schleichen sich Füchse in Hotelzimmer und beißen den Gästen ins Genick. Sie kommen von hier, aus der Forc. d’Ambrizzola.

an. Kritiker meinen, dass der Croda da Lago hier einem Fließbandkapitalismus und der Selbstoptimierung verfallen ist. Die Steine allerdings wissen von Begegnungen mit größeren, älteren Felsen zu berichten, die auf einer Augenhöhe passieren, von denen andere Berge nur träumen können.

CRODA DA LAGO Es gefällt dem Croda da Lago, dass die meisten Wandermenschen sich nicht auf den Weg zu seiner Spitze trauen, sondern sich damit begnügen, in aller Demut um ihn rundherum zu pilgern. Am höchsten Punkt des Rundwegs schickt er sie über eine Geröllpiste, über Steine, zwischen Felsvorsprüngen hindurch. Das Weiß des Steins sticht in den kleinen Augen der Menschen, die ein paar Meter blind herunterstolpern, bis sie wieder an einen Felsen anstoßen oder über eine plötzliche Kante stolpern. Verzweifelt suchen sie nach Anzeichen, dass hier Wandermenschen vor ihnen schon gewesen sind, schließlich ist noch schmerzhafter als der blinde Fleck in den Augen die Vorstellung, dass diese Orte, Wege, Gestalten aus Stein tatsächlich nicht vom Menschen gemacht sind. Hier, wo es keine Gräser, keine Büsche mehr gibt, nur ein paar besonders mutige Moosflecken, gehen die Geschäfte in der Nacht am meisten um. Es ist eine Landschaft, die sich unaufhörlich umgräbt und neu schafft, die Steine, Felsen sind in ständiger Bewegung, ordnen sich jeden Morgen neu

Der Wanderweg 437 endet an der Passstraße. Ich steige ins Auto und fahre hoch zum Giau-Pass, halte an der Raststation dort. Von links treten die Radfahrer hoch, von rechts kommen die Motorradfahrer. Hier oben haben sie den Pass besiegt, die 28 Serpentinen von Alleghe hoch, jetzt essen sie, trinken sie, machen Fotos vor der Tafel Giau-Pass, rufen ihre Verwandten und Freunde an, schreiben Postkarten, pflegen ihre Fahrräder und Motorräder, trinken das erste Bier des Tages. Eine Weile sitze ich in ihrer Mitte auf der Terrasse der Raststation. Ich trinke ein kleines Glas Cola und wundere mich über den Menschen, am meisten über mich selbst.

RIO COSTEANA Es geht bergab, immer weiter bergab, bis die ersten Bäume kommen, Sträucher, Blumen, ein Bach, dann ein ganzer Wald. Die Bäume sind Geschöpfe ohne Ehrgeiz und Neid, alles, was sie suchen, finden sie in der Gemeinschaft. Farben und Formen gibt es im Überfluss, hier ein Licht von einer fernen Planetensonne, ins Hellrosa gehend, dort noch ein Sonnenstrahl von letzter Woche, schon milchiggelb, dieses fünfdimensionale Tannengrün, was will es nur – was will vor allem dieses Grau hinter den Bäumen, das sich bald nicht mehr verbergen lässt?

Erratum: Bei der Zählung der Landvermessungen in den beiden letzten Ausgaben (Nr. 34 und 35) hat sich ein Fehler eingeschlichen. Korrekterweise wäre der Beitrag von Daniel Wisser die Landvermessung No. 5, Sequenz 6, jener von Anna Weidenholzer die Landvermessung No. 5, Sequenz 7 gewesen.



Im Bregenzerwald und darüber hinaus (in einer ausgesprochen ländlichen Region also) gibt es moderne Architektur, die international Beachtung findet. Die Bauten weisen oft eine große Affinität für das Handwerk auf. Nach Bregenzerwälder Art gilt für Architektur wie für Handwerk: Die Hand macht, was der Kopf denkt und das Herz fühlt. Einer der herausragenden Vertreter dieses Architekturdenkens ist der 1974 geborene Bernardo Bader. Verena Konrad hat ihn getroffen und Gesprächsnotizen verfertigt.

Wenn man sich mit der Beziehung der Themen Architektur, Handwerk und Ökologie beschäftigt, kommt man schnell in den Bereich des Dogmatischen. So wichtig ist diese Verzahnung, so hoch der Erwartungsdruck, so dringlich die Aufgabe, so groß die Hoffnung. Wie viel Platz bleibt da noch, um Architektur zu machen, die sich nicht der gängigen Klischees bedient, sich nicht ständig selbst wiederholt, die freudvoll und spannend ist, individuelle Lösungen für das Kollektive wie Persönliche findet, als kultureller Ausdruck unserer Zeit und einer spezifischen Aufgabe. Architektur ist etwas Wunderbares. Besonders dann, wenn sie von Herz gefühlt, von Kopf gedacht und Hand gemacht ist. „Die entscheidende Frage am Beginn eines jeden Entwurfes ist, inwiefern wir es schaffen, offen und unvoreingenommen an eine Aufgabe heranzugehen“, sagt dazu Bernardo Bader. In dieser Phase werden vorgefertigte Bilder über Bord geworfen, plakative Statements verlieren ihren Reiz. „Das Team versucht dann, nah an der Aufgabe zu sein, den Kontext der Aufgabe zu erschließen, sich auf Menschen und Ort einzulassen.“ Das braucht Zeit und viele Gespräche. „Interessant wird es dann, wenn es noch keine Vorstellung und kein

Bild gibt, dem zu folgen wäre, oder die bestehenden Bilder nicht mehr tauglich sind. Wir machen uns dann frei von fremden Leitbildern und fertigen Konzepten und widmen uns ganz der Aufgabe.“ Meist geht es dabei um ein Finden, kein Erfinden. „Wir lassen uns mit allen Sinnen auf den Ort ein und hören zu. Diese Kombination ist die Grundlage für das Begreifen eines Ortes und das ist ein nicht enden wollender Prozess. Wir greifen auf, was schon da ist, und fügen dem etwas möglichst Stimmiges hinzu. Etwas, das wir herausgehört haben, das diesen Kontext ergänzt.“ Die Reflexion vorhandener Typologien verdichtet sich in einem neuen Entwurf, der möglichst eigenständig ist und dennoch Bezug nimmt auf den Alltag der Menschen an einem bestimmten Ort und der Geschichte und Gegenwart zusammenbringt. Trotz des Aufgreifens von Tradition und trotz des Gedankens, die Stadt und das Dorf weiterzubauen, gelingt es Bernardo Bader doch immer wieder auch, zu überraschen und Stereotype beiseitezulassen, auch solche, die seinem Büro mittlerweile selbst angedichtet werden. So jüngst auch geschehen bei seinem Atelier-



haus in Bregenz. Das Gebäude in der Klostergasse beherbergt neben dem Büro Bernardo Bader Architekten auch drei Wohnungen und ist ein Stadtbaustein, eingefügt in ein urbanes Szenario unweit des Bregenzer Bahnhofes, umgeben von mehrstöckigen Gebäuden, alle datiert im zweiten Drittel des letzten Jahrhunderts. Kommen wir gleich zum Punkt: Das Gebäude ist aus Beton gefertigt und dabei ein Werk von Bernardo Bader Architekten. Auf das Klischee des Holzbaus als per se nachhaltige Art zu bauen reagiert Bernardo Bader überraschend offen. „Es kann in anderen Baustoffen ebenso nachhaltig gebaut werden.“ Und weiter: „Der wichtigste Aspekt in punkto Nachhaltigkeit ist die Nutzungsflexibilität. Auch dieses Haus ist ein nutzungsflexibler Bau. Es kann hier gewohnt und gearbeitet werden. Es sind alle Geschoße gleich hoch, die Installationen sind überall verfügbar.“ Auch die Robustheit eines Bauwerkes ist essenziell. Und seine Schönheit. „Ich bin überzeugt, wenn ein Gebäude schön ist, dann ist es auch erhaltungswürdig und damit auch nachhaltig. Es gibt viele Gebäude, die werden von der nächsten Generation als ‚nicht schön‘ betrachtet und deshalb nicht erhalten und irgendwann abgebrochen. Darum bin ich in dieser Frage entspannt. Ja, wir haben hier ein bisschen mehr betoniert als sonst. Wir sind hier in der Stadt, in einem urbanen, dicht verbauten Umfeld, direkt an der Straße und haben ein schönes, robustes, nutzungsflexibles Gebäude errichtet, das hoffentlich sehr lange besteht.“ Das Atelier in der Klostergasse besticht durch seine Körperhaftigkeit und Plastizität. In den Block aus Beton sind die Fenster tief eingedrückt. Und auch drinnen ist es der Beton, an Böden, Decken, im Treppenhaus, der durch seine handwerkliche Bearbeitung sein plastisches und atmosphärisches Potenzial

voll entfaltet. „Es ist eigentlich ein Betonrohbau, der innen ausgekleidet wurde. Es gibt Elemente in Holz, die das ergänzen, aber grundsätzlich ist das Haus ein innen gedämmtes Betonhaus.“ Die Schönheit des Materials ist eine Frage seiner kontextuellen Anwendung. Sein Nutzen ebenso. Schön ist, was zu einer Steigerung eines positiven Lebensgefühls beiträgt. Worin dieses besteht, hängt wiederum vom jeweiligen Lebensentwurf ab. „Wir wollen Dinge machen, die angemessen sind. Die zu den Leuten und dem Ort passen und eine gewisse Selbstverständlichkeit haben. Die sich zurücknehmen und selbst nicht zu wichtig machen, aber natürlich wichtig sind. Am Ende geht es auch um Präzision in den Entscheidungen.“ Die Entspanntheit, mit der Bernardo Bader an viele Aufgaben herangeht, ist Ausdruck einer Haltung und Teil des Arbeitsverständnisses im Büro. „Für mich geht es nicht nur um das Objekt als Resultat, sondern auch um den Prozess und eine Alltagspraxis.“ Die Praxis ist die Baustelle, die Werkstatt, der Ort der Arbeit, die Zeit der Arbeit. In der Zusammenarbeit entsteht Gemeinschaft. Die Gemeinschaft hat ein Ziel. Das Ziel ist das Erzeugen einer spezifischen Qualität, die der oder die Einzelne nicht zu realisieren vermag. So wie das eben ist, im Handwerk. Viele Projekte von Bernardo Bader nehmen ihren Anfang im Bregenzerwald und sind verbunden mit der Herkunft des Architekten, seinen biografischen Wurzeln. In Krumbach, im vorderen Bregenzerwald, wo mehrere Projekte des Büros realisiert sind, ist Bernardo Bader auch zu Hause. Arbeit ist hier mit Verantwortung verbunden. Man zeigt sich über das eigene Handeln und Tun. Man zeigt sich als Person und dann erst



in der Profession. Doch Bauen ist keine Einzelleistung. Die Tätigkeit des Bauens ist verwoben mit dem Ort und seinen Menschen. Sie entsteht im Zusammenspiel mit Auftraggebern, Behörden, Kolleginnen und Kollegen, mit den Ausführenden, im Fall von Bernardo Bader besonders mit den Handwerkern der Region. Diese spielen für das Gelingen eines Projektes eine besondere Rolle als Vertraute und Mitspieler, als Verbündete und als versiertes Gegenüber. Viel vom Architekturverständnis des Büros kommt aus der Affinität für das Handwerk. Gezeigt hat sich das unter anderem in der Kapelle Salgenreute, einem kleinen Andachtsraum, der über einen ausgedehnten Spaziergang zugänglich ist, das letzte Stück über eine Wiese. Der sommerliche Trampelpfad gibt eine Vorstellung über den intensiven Architekturtourismus, den Krumbach nicht erst seit den „Bus Stops“ erlebt. (Anm.: Ebendort bauten international bekannte Architekturbüros vor wenigen Jahren neue Bushaltestellen.) Die Kapelle ist ein Fixum der vielen Gäste auf ihrer Architekturreise. Die Kapelle Salgenreute verbindet innere Stille mit der äußeren Schönheit der Landschaft. Sie ist ein Kooperationsprojekt der Gemeinde und der Anwohner mit Arbeitsleistung von vielen Beteiligten. Diese Beispiele liefern den Stoff für die Geschichten rund um die Baukultur in Vorarlberg und sind Motivation für weniger gute Zeiten. Die Konstruktion in der Architektur von Bernardo Bader nimmt immer Bezug auf den Raum. Sie dient dem, was hier entstehen soll, und wird dementsprechend forschend entwickelt, geprüft und, wenn es sein muss, auch wieder verworfen. „Realisiert wird, was der kritischen Prüfung durch Kolleginnen und Kollegen, Fach-

planer und Handwerker standhält.“ Sie baut auf dem vorhandenen Wissen über Material und Bauweise auf. Und wird so selbst zu einem tragenden Element. In der Architektur von Bernardo Bader nimmt sie einen wichtigen Stellenwert ein. Dabei werden die Möglichkeiten des modernen Holzbaus konsequent ausgeschöpft und wenn möglich weiterentwickelt. „Das Schöne am handwerklichen Bauen ist, sich gemeinsam neue Lösungen ausdenken und diese dann auch ausprobieren zu können.“ Wie können die aus einer lokalen Holzbautradition abgeleiteten Strategien in anderen kulturellen Settings eine ähnlich prägnante Wirkung erzeugen? Hier hilft die Neugier des Büros, sein Anspruch, sich nicht im Eigenen und Gewohnten zu ergehen, und die Lust, Erprobtes mit Erprobtem aus anderem Kontext zu vergleichen, zu kombinieren und neue Kooperationen einzugehen. Kontextuelles Bauen folgt keinem Schema. Seit gut 40 Jahren entwickelt sich in Vorarlberg eine spezifische Form der Baukultur. Die Arbeiten von Bernardo Bader sind auf diesem Humus gewachsen. Sie sind Fortführung einer Entwicklung, die ihre frühen Protagonisten mit der Überschrift „Baukunst“ versehen haben – ein widerständiges, doch gesellschaftlich konstruktives Phänomen. Ein Kulturphänomen, getragen von Querdenkern, Intellektuellen und Praktikern. Mit Akteuren wie Bernardo Bader findet diese Entwicklung eine Fortschreibung. Geblieben ist die Bodenhaftung, das Selbst-Handanlegen, die Lust an der Zusammenarbeit mit anderen und die kritische Reflexion des eigenen Tuns. „Und zu guter Letzt zählt das, was daraus geworden ist und was davon bleibt.“



Dass Humor keinesfalls die Abwesenheit von Seriosität bedeuten muss, zeigen auf den folgenden Doppelseiten die Fotografien von Jaka Babnik, der sich im Auftrag von Quart auf die Suche nach paradoxen Erscheinungsbildern in der Tiroler Kulturlandschaft begab. Der in Slowenien lebende Fotograf spürt in seinen Arbeiten unlogische Momente auf, an denen die meisten von uns wahrscheinlich vorübergegangen wären. Wir sehen temporäre oder permanente architektonische Eingriffe in das Territorium, die irgendwo auf dem Weg ihren ursprünglichen Zweck verloren haben (oder vielleicht noch nie einen hatten), absurde Fremdkörper in einer durchgeplanten Umwelt. Vorweg einige konzeptionelle Überlegungen des Fotografen:

„In den 1970er Jahren formulierte der japanische Künstler Katsuhiko Akasegawa unter dem Pseudonym Akasegawa Genpej die Idee einer Hyperkunst, und um sie zu erklären, verwendete er den Namen Thomasson als Metapher. Dabei bezog er sich auf den amerikanischen Baseball-Spieler Gary Thomasson, der als Star der Major League zum japanischen Club Yomiuri Giants kam, es jedoch während seines Japan-Aufenthaltes beinahe zu einem Fehlschlag-Rekord brachte, bevor eine Knieentzündung seiner Karriere ein Ende setzte, und so nahm Akasegawa einen Baseballschläger und ‚erklärte‘ diesen zur Hyper-Kunst. Der Schläger, dazu gefertigt, Baseballs zu schlagen, war nichts als ein nutzloses Relikt oder Produkt, das sich in seiner Hand in ein Kunstwerk verwandelte. Nachdem er so die Regeln der Hyperkunst aufgestellt hatte, dokumentierte

er fortan gewöhnliche, aber nutzlose street-objects, die zufällig wie Konzeptkunstwerke aussahen, obwohl sie nie als Kunstwerke gedacht waren. Wie bei allen guten und großen Kunstwerken sind auch gute und große Thomassons selten und schwer zu finden. Besonders in Tirol. Sie sagen etwas aus über Tradition, Geschichte und Verhaltensweisen, und so könnte man auch behaupten, dass Hyperkunst in den meisten Teilen der Welt nicht unbedingt auf ursprünglicher Nützlichkeit basiert – und dass sie in Tirol auf einer völlig anderen Ebene stattfindet. Jenseits von Nützlichkeit. Vielmehr untermalen sie alle als Objekte die Bedeutung von Tradition, Geschichte und Verhaltensweisen oder zeigen, besser gesagt, wie stolz die Menschen auf diese sind.“ (Jaka Babnik, Juli 2020, Übersetzung: Marie Luise Knott)













Der Zillertaler Gletscherskilauf als Frucht eines irrtümlichen Besuchs Heimito von Doderers in Hintertux. Von Georg Payr

Jedes Land brauche einen breiten Arsch und Lederhosen, auf dem es solide sitze, deswegen habe Deutschland Bayern und Österreich Tirol. Wer das gesagt hat? Heimito von Doderer. Und woher wir das wissen, hat doch Doderer über Tirol (und, weils halt auch genannt wurde, über Bayern) sonst kaum etwas gesagt? Von Wolfgang Fleischer, Doderers ehemaligem Sekretär. Das Gespräch mit ihm, geführt von Alexandra Kleinlercher, ist auf der Homepage der Heimito-von-Doderer-Gesellschaft nachzulesen. Damit wäre über Doderer und Tirol eigentlich schon alles gesagt. Eigentlich. Uneigentlich nicht. Denn Heimito von Doderer war irrtümlicherweise in Hintertux. Das ist schon eine Weile her und Hintertux war damals wirklich noch Hintertux. Zwar mit einem Gletscher ausgestattet, aber noch nicht mit einem Gletscherskigebiet. Zwar mit Einwohnern ausgestattet, aber noch nicht mit so wohlhabenden wie seit dem Gletscherskigebiet. Zwar abgelegen, aber nicht so abgelegen wie seit dem Gletscherskigebiet. Wer Näheres über Doderers versehentliche Reise nach Hintertux erfahren möchte, lese Georg Payrs Ausführungen dazu in Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 36. Hier und heute kann aus Zeit- und Pietätsgründen nur eine knappe Darstellung des seinerzeitigen Kurzbesuchs des Großschriftstellers in Hintertux geboten werden. Doderer wollte eigentlich mit dem Zug nach Reichenau an der Rax fahren und von dort auf dem Wanderweg nach Prein an der Rax spazieren (keine sehr

lange Strecke, Doderer war kein Geher und erst recht kein guter), wo er ein Haus hatte, in das er sich zum Arbeiten gern zurückzog. Doch es war etwas Unvorhergesehenes und überhaupt Unvorhersehbares eingetreten. Doderer trieb es gern exzessiv, Disziplin wie jene eines Thomas Mann war ihm fremd, sosehr er sie sich manchmal auch für sich wünschte. (Funfact: Doderer war eifersüchtig auf Thomas Mann, trotz seines Erfolges mit der Strudlhofstiege war er eifersüchtig auf den noch viel Erfolgreicheren, weshalb er sich weigerte, von ihm auch nur eine Zeile zu lesen.) Doch wir schweifen ab, wir waren bei Exzessen. Diese konnten gleichermaßen sexuelle (siehe Dorothea Zeemann, Jungfrau und Reptil) wie alkoholische sein. Was ihn letzten Endes nach Hintertux brachte, war ein Exzess alkoholischer Art. Wein, Cognac, Whisky – wir wollen nicht spekulieren, die Dokumentation darüber ist lückenhaft, was bei der Thematik nicht weiter verwundert. Jedenfalls war Doderer am Vormittag nach dem Exzess derart derangiert, dass er den Wiener Südbahnhof mit dem Westbahnhof verwechselte oder umgekehrt. Er stieg im Westbahnhof – ohne dessen Kopfbahnhofdasein auch nur ansatzweise wahrzunehmen – in einen Zug, und wenn er schon im Großen auf nichts achtete, so erst recht nicht im Kleinen, kein Schild auf dem Waggon interessierte ihn, keine Bahnsteignummer, keine Lautsprecherdurchsage. Er war sich sicher, im richtigen Zug zu sitzen. Und in dieser Gewissheit schlief er ein.



Als er aufwachte, war es nicht etwa der Schaffner, der ihn geweckt hatte, sondern ein offenbar langes Stillstehen des Zugs. Doderer schaute aus dem Fenster und fand sich nicht zurecht. Was er sah, sah nicht so aus, wie es hätte aussehen sollen. Keine Silhouette eines vertrauten Rax-Gebirges, nichts Semmeringhaftes, es war ein offensichtlich großer Bahnhof inmitten einer konturlosen Diesigkeit. Er war allein im Abteil und konnte also niemanden fragen. Das hätte er aber ohnehin nie getan, jemanden gefragt, noch dazu etwa so etwas wie „Wo bin ich?“. Aber denken tat er es. Das durfte er. Und jetzt öffnete auch jemand die Tür, es war der Schaffner. „Sie haben aber lang geschlafen“, sagte er. „Und Sie machten den Eindruck, als hätten Sie es nötig. Darum hab ich Sie nicht geweckt. Jetzt aber darf ich Sie um Ihre Fahrkarte bitten.“ Doderer reichte sie ihm (naturgemäß verwirrt), der Schaffner wollte sie schon lochen, stutzte, kratzte sich am Kopf und sagte: „Mein Herr, Sie sitzen im falschen Zug.“ Palaver hin, Palaver her, Doderer war in Rosenheim mitten im Deutschen Eck zum Stehen gekommen mitsamt einem völlig falschen Zug, und aussteigen war unmöglich, weil nicht erlaubt. Nicht nur nicht erlaubt, nicht möglich, der Korridorzug hatte versperrte Türen, auf dem Weg von Österreich nach Österreich durfte in Deutschland niemand aussteigen, niemand zusteigen. Wozu der lange Halt dann gut war, war fraglich, aber nicht die primäre Frage, die Doderer beschäftigte. In Kufstein stieg er aus. Er entsann sich, dass Dorothea von einem Sommeransitz Egon Friedells am Kufsteiner Thierberg erzählt hatte. Nun, Friedell interessierte ihn nicht besonders, Jude halt, aber Dorothea hatte auch von einem Gasthaus in der Nähe von Friedells Villa gesprochen, das sie an Gasthäuser oder überhaupt

an Häuser am Semmering erinnert habe. Und so traf Heimito von Doderer am 12. Juni 1964 im Gasthaus Edschlößl ein, einem wahrhaft semmeringischen Bau, auf dessen Speisekarte (verschollen, seitdem das Haus nicht mehr Gasthaus ist) der Besuch nie vermerkt wurde, weil Doderer zu seinem doch recht großen Erstaunen und Bedauern unerkannt blieb. Bis in den Westen der Republik war sein Ruf offenbar nicht vorgedrungen. Doch der Tafelspitz, auf die Karte gesetzt auf Friedells Anregung hin – er war gern im Edschlößl zu Tische gesessen –, war gut, selbst in Wien hätte man (hier: Doderer) ihn nicht von der Bettkante gestoßen (bei aller Schiefe des Bildes). Wenn er nun schon einmal in Tirol war, wollte Doderer die Gelegenheit nützen und einen weiteren Ort, von dem ihm Dorothea erzählt hatte, aufsuchen: Hintertux. Dort war sie nicht sehr lange geblieben, weil ihr und ihrem Mann Walther (der Philosoph Walther Schneider) nach eigener Aussage bald „die Luft zu dünn“ wurde. Heimito von Doderer reiste also weiter. Kufstein – Jenbach ward rasch erledigt, Jenbach – Mayrhofen weniger rasch, und umso noch weniger rasch, als dem Dichter eine Bahn vor der Nase davonfuhr, was aber nur eine Marginalie sowohl in dieser Geschichte als auch im ganz großen Weltgeläuft darstellt. Die Achenseebahn, die Doderer in der Wartezeit besichtigte, dampfte selbst im Stehen mächtig, mächtiger, als es die Zillertalbahn, die ihm davongefahren war, im Fahren getan hatte. Eigenartig, aber wohl technisch erklärbar. Doderer wartete am Bahnhof, es kamen Züge und es gingen Züge. Sie kamen aus Wien und München und Hamburg und gingen nach Innsbruck und Bregenz und Verona. Ein bisschen Fernweh, ein bisschen Heimweh,



das durfte er sich zugestehen. Doch das Volk, das hier auf den Bahnsteigen verkehrte, beunruhigte ihn. Es war kein vornehmes, es war der Ruass, wie er diese Art von Menschen, die unendlich weit weg von einer Menschwerdung waren, in seinen Dämonen nannte. Die Dialektgrenze überschritten, wie seine Romanfigur Leonhard Kakabsa, hatte hörbar keiner, es war also niemand wert, Gegenstand des Nachdenkens über ihn zu sein. Und Doderer bekam Bedenken, wie das denn dann erst in Hintertux werden würde. Die nächste Garnitur der Zillertalbahn stampfte heran, ihrer Remise entkommen, und nahm den Fahrgast auf, der, nebenbei und der Ordnung halber sei es bemerkt, kaum Reisegepäck mit sich führte, da sein Ziel ja eines war, in dem alles für ein kommodes Leben bereitgestellt war. Das Tal, durch das es ging, mochte zwar ein viel besungenes sein, aber einzunehmen vermochte es Doderer nicht, es bleibt in seinem Repertorium, dem Begreifbuch von höheren und niederen Lebens-Sachen, unerwähnt. Die Unannehmlichkeit des Umsteigens von der Eisenbahn in einen Omnibus der Post in Mayrhofen wird in unserem kleinen, alles raffenden Bericht nur kurz gestreift, die Ankunft in Hintertux nach einer haarsträubend rumpelnden und abenteuerlichen Fahrt durch enge Schluchten und über schwindelnde Eichendorff’sche Felsenschlüfte nahezu ebenso. Und in Hintertux? Es war nicht viel los, außer dünner Luft (wie Recht Dorothea doch gehabt hatte!) gab es kaum etwas. Und doch: Es hatte sich damals eine Theorie der regionalen Ethnologen, von denen die Landesuniversität im nicht gar so fernen und nach dieser Anfahrt doch aus der Welt zu sein scheinenden Innsbruck ein paar wenig Nennenswerte hatte, bemächtigt: Das hintere Zillertal, hieß es, sei von Sizilien

aus besiedelt worden. (Dass sich das Jahrzehnte später als Irrtum herausstellte, sei hier der wissenschaftlichen Ordnung halber erwähnt. Es war das hintere Ötztal, nicht das Zillertal.) Das Dunkle (eigentlich war es für Doderer eher etwas Finsteres als etwas Dunkles) der Haut und der Haare der wenigen Menschen ließ Doderer, der von dieser Theorie gelesen hatte, an dieser nicht zweifeln. Erst recht nicht, als sich ihm zwei Kinder, um ein Almosen bettelnd, in den Weg stellten. Und er notierte etwas, was Dorothea Zeemann später in Jungfrau und Reptil zitieren sollte: „Sie betteln und verneigen sich – kein Stolz in diesem miesen Plebs – statt dass sie Steine nach mir werfen. Dieses Volk hat keine eigene Daseinsberechtigung. Es hat keine schöpferische Disziplin.“ Beziehen tat sich das auf Sizilianer, aber es war auch auf die Leute hier anzuwenden. Es ist unklar, auf welchem Weg diese Bemerkungen den Weg ins Tuxertal gefunden haben. Aber sie haben ihn gefunden. Nur wenige Jahre nach Doderers Besuch wurde in Hintertux die Gletscherbahn eröffnet und der Sommerskilauf aus der Taufe gehoben. Auf einem Transparent über der Eingangspforte der Talstation standen die Worte: „Der schöpferischen Disziplin des hiesigen Menschenschlags verdankt die Welt dies Wunderwerk.“ Wir müssen hier einen harten Schnitt machen, es hilft nichts. Wie enden Die Merowinger? „Verzeihen Sie, aber das Ganze ist doch ein Mordsblödsinn.“ „Ja freilich, freilich Blödsinn!“


Ansicht 1, 1000 Teile. Ansicht 2, (1000) + 100 Teile. Fotos © Johannes Bendzulla, © Bildrecht, Wien


Die vorliegende Originalbeilage ist ein Unikat, gibt es doch jedes Blatt nur ein einziges Mal. Anna-Maria Bogner zerteilte eine Zeichnung in gleichwertige tausend Teile, um sie dieser Ausgabe beizulegen. Somit besitzen alle Quartleserinnen und -leser gemeinsam ein Kunstwerk.

„Der Raum, der uns umgibt, bestimmt sich nicht allein durch seine physische Beschaffenheit. Zwar sind es vornehmlich physikalische Dimensionen, die uns in den Sinn kommen, wenn wir an Raum denken, doch wird unsere Erfahrung von Raum wesentlich durch individuelle und soziale Gegebenheiten bestimmt. So bewegen wir uns letztendlich immer in unseren eigenen Räumen. Die Welt, die wir uns teilen, entsteht erst im gemeinsamen Austausch, im Dialog und in der gemeinsamen Deutung. Zersplittert sie in tausend Teile, müssen wir zusammenfinden, um sie wiederherzustellen. Dass wir nur Splitter eines großen Ganzen erkennen können, gerät in unserem Alltag oftmals in Vergessen-

heit. Sicherlich – wäre uns diese Tatsache ständig bewusst, wir wären kaum in der Lage, unsere Aufgaben, Pläne und Wünsche zu realisieren. Tausend Fragmente eines Abbilds von Raum zerstieben, hinterlassen Spuren, bilden Vernetzungen und sind nur noch durch den Dialog der Betrachtenden zu einem gemeinsamen Ganzen zu rekonstruieren.“ (Anna-Maria Bogner) ohne Titel / 2020 / Anna-Maria Bogner Zeichnung, Bleistift und Zeichenstift auf Papier, Unikat, 1/1000 Teile (+ 100 Teile), à Teil 10 × 10 cm aus gesamt 200 cm × 500 cm (+ 100 cm × 100 cm)



Mit dem Wort Marginalie wird gewöhnlich Nebensächliches bezeichnet, etwas am Rande oder an der Grenze einer Sache Liegendes. In Quart werden unter diesem Titel zentrale Texte über das Leben an der Peripherie neu veröffentlicht, die längst vergriffen oder nur schwer zugänglich sind, an entlegenen Orten aufbewahrt oder gar in Archiven verschwunden. Folge 9: drei Kurzgeschichten des 2009 in Steinhaus im Südtiroler Ahrntal verstorbenen Autors und Obstpflückers Eduard Gartner.

„Eduard Gartner, geboren 1941 im Ahrntal / Südtirol; Pflichtschule dort; darauf drei Jahre bei einem Bauern; Landwirtschaftliche Winterschule in Dietenheim bei Bruneck; Höhere Landw. Lehranstalt in Landshut/ Lech und Reggio Emilia / Oberitalien. Zwei Semester Studium Wirtschaft und Handel in Parma. Ein Jahr Aushilfslehrer an der Hauptschule Sand in Taufers. Besuch des Bundesinstitutes für Heimerziehung in Baden bei Wien. Arbeit in einem Bildungsheim in der Nähe Innsbrucks. Schreibt seit etwa achtzehn Jahren. Sehr unregelmäßig.“ So weit eine Autobiografie Gartners aus dem Nachlass, wohl zu Beginn der 1980er Jahre verfasst. Dort heißt es auch: „Schreibt zur Zeit an einem Roman. Arbeitstitel ‚Apfelernte‘.“ Damit findet das Lebensprojekt des Autors Erwähnung, das er bis zu seinem Tod unbeirrt fortsetzte: die weitläufige Beschreibung des Daseins und der Arbeit von Obstpflückern. Gartner lebte das Jahr über zurückgezogen in Steinhaus Nr. 31 mit seiner Mutter, im Herbst jeden Jahres ging er für zwei Monate ins Etschtal zur Apfelernte, woraufhin er wieder heimkehrte und am Roman der Obstpflücker weiterschrieb. „Aber bald“, so heißt es in einem von Christine Vescoli 2002 in der Zeitschrift Filadressa erschienenen Porträt des Autors, „bevor etwa doch die überdehnte Zeitlichkeit den Roman zum Erschöpfen bringen könnte, will er ihn abschließen und einem der großen deutschen Verlage anbieten.“ Dazu kam es bekanntlich nicht. Zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Gartner nur wenig: drei Kurzgeschichten in der Osttiroler Zeitschrift „Thurntaler“ (1983, 1984) sowie zwischen 1993 und 1996 Auszüge aus „Die Obstpflücker“ in „Das Fenster“ und „Gegen-

wart“ sowie in der von Walter Höllerer begründeten Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“. Die nachfolgenden, nicht dem Obstpflücker-Romankomplex zugehörigen Prosastücke sind unveröffentlicht und wurden der Redaktion von Josef Gartner, dem in Bruneck lebenden Bruder und Nachlassverwalter, übergeben. Wie häufig bei Nachlässen von Autoren, die in einer Zeit der Papierknappheit geboren wurden, weisen die Typoskripte eine Besonderheit auf: Die Texte sind auf die Rückseite bereits bedruckter oder beschriebener Blätter getippt worden. „Entschuldigen Sie die Form: Es fehlt die Übung im Maschineschreiben“, hat Eduard Gartner auf einem Typoskript handschriftlich hinzugesetzt; es war dies wohl die Einreichung zu einem Literaturwettbewerb. Offensichtliche orthographische Fehler wurden ausgebessert, insgesamt wurde die neue deutsche Rechtschreibung verwendet. Die Katzenjagd Auf der grüngestrichenen Holzbank vor dem Hause saßen vier Männer. Die plauderten über das Wetter und über die Viehpreise. Manfred jagte im kahlen Geäst einer nahen Esche eine Katze. Manfreds Vater bezeichnete das Wetter als kühl und unfreundlich. Der Nachbar, ein Jäger und Waldarbeiter, stimmte ihm zu: „Es wird wohl bald Schnee kommen“, meinte er. Die beiden anderen Männer nickten stumm. Einer klemmte eine Pfeife zwischen weißen Zähnen; des anderen Lippen zogen an einer selbstgedrehten Zigarette. Jetzt erhob sich Manfreds Vater von der Bank. „Ich gehe wieder einmal nachsehen“, sagte er. Daraufhin wechselten die drei anderen Männer das Thema: Die Kartoffelpreise befriedigten nicht.



Leicht vornübergebeugt, die Hände warm in den Hosentaschen, ging Manfreds Vater in Richtung Futterhaus mit den Ställen und der Scheune. Manfred fehlte noch eine Armlänge, um die Katze fassen zu können. Das Futterhaus stand auf dicken Grundmauern parallel zum Wohnhaus. Zwischen die Gebäude schob sich eine rechteckige Rasenfläche. Schon kehrte Manfreds Vater wieder über welken, zertrampelten Gräsern zu den Männern zurück. „Es ist so weit“, sagte er. „Gehen wir hinüber.“ Die Männer erhoben sich und gingen langsamen Schrittes zu den Stallungen. Manfred rief ihnen vom Baum herunter die Frage, ob er mitkommen dürfe, nach. „Nein! Geh du nur zur Mutter in die Küche!“, entgegnete Manfreds Vater. „Da hast du noch nichts zu suchen.“ Die Männer wurden von der Stalltüre verschluckt, während Manfred behände den Baum herunterkletterte. Manfred hatte noch nie die Geburt eines Kalbes miterlebt, obwohl er dem Vater jeden Tag bei der Stallarbeit half. Jedes Mal hatte der seine Bitte abgeschlagen. „Du bist noch zu klein“, hatte er zumeist gesagt. „Marsch zur Mutter hinüber!“ Diesmal aber befolgte Manfred seines Vaters Anordnung nicht. Flink erstieg er die Mauer, die den Hofraum von den Wiesen abtrennte. Gekonnt schnellte er sich vom grauen Stein ab. Hart setzte er auf vergilbter Grasnarbe auf. Vorsichtig schlich er die Mauer entlang, vorbei an einem jungen Apfelbaum, an Johannes- und Stachelbeersträuchern. Dann kam er zu einem Gatter; er öffnete es, und nun hatte er nur noch ein paar Schritte bis zur Tür des Schafstalles, in dem auch das Geflügel untergebracht war. Gespannt lauschend und rundum blickend, überschaute Manfred den Hof. Die Luft war rein; drei Sätze, und schon nahmen ihn graue Stallmauern auf. Die Tür, die den Schafstall mit dem Kuhstall verband, schloss schlecht. Die Scharniere waren ausgeleiert und das Holz der Türe und des Türstockes angefault. Unten, knapp über der Schwelle, hatten Kaninchen, denen es im Kuhstall zu eng geworden war, in stetiger Kleinarbeit Holz weggenagt. Manfred legte sich vor der Türe auf den Bauch und spähte durch das Guckloch in den Kuhstall hinein. Und da sah er auch schon das Tier, wie es unruhig hin und her trippelte. Manfred sah auch seinen Vater, der gelassen neben dem Tier stand. Die anderen Männer sah er nicht, da sie wohl auf der Bank drüben neben der alten Truhe saßen. Zwischen

den rauen Holzbalken an den Decken der Ställe spielte der Wind mit verstaubtem Spinngewebe. Weiter hinten im Schafstall scharrten Hühner in geschnittenem Roggenstroh. Das Tier hatte sich nun hingelegt und den Kopf unter den Futterbarren gestreckt; aus seinem Flotzmaul hing die Zunge, feucht und rau. Das Rind zerrte an der Kette, und manchmal, sobald es die Atemluft hörbar ausstieß, spritzte in ihrem Sog Rotz gegen die Bretterwand. Manfred schwitzte. Sein Vater hielt in einer Hand zwei Hanfstricke mit eingeflochtener Schlinge. Eine bläuliche Blase wurde nun sichtbar, und Manfreds Vater bückte sich. Er durchstach mit seinem Taschenmesser die Blase, und dann ergoss es sich schleimig in die Jaucherinne. Manfreds Herz pochte gegen den griffigen Bodenbelag. So hörte er seinen Vater sagen: „Jetzt versuchen wir’s mal.“ Und dann seilte Manfreds Vater beide Füße des Kalbes an, über der Fesselgrube. An den anderen Enden der Stricke befestigte er Querhölzer. Jetzt konnte Manfred alle vier Männer sehen. Jeder ergriff ein Ende eines Holzes, und dann spannten sie die schlüpfrigen Seile. Das Tier hatte alle vier Beine von sich gestreckt und den Kopf noch immer unter den Holzbarren gelegt. Die Lider des einen Auges, das Manfred sehen konnte, zuckten stetig, und nun wühlte es mit einem der Hörner in der feuchten Spreu. Heiß fühlte es Manfred durch den Körper rinnen. Und dann hörte Manfred das Brüllen des Tieres. Die Männer zogen nun kräftig, wobei sie sich mit ihren Beinen gegen den Absatz der Jauchegrube stemmten. Sobald der Kopf heraußen war, verstärkten sie noch den Zug, und schon kam das Kalb nass, schleimig und blauschwarz über die Jauchegrube hinweg auf die Stallgasse heraus. Manfreds Vater fuhr dem Tier mit der Hand in das Maul und streifte den Schleim heraus. Dann beutelte er den Kopf des Kalbes und goss zugleich eine Kanne voll kaltes Wasser darüber. Er beutelte den Kopf weiter ab, und schon gab das Tier die ersten Lebenszeichen. Nun löste Manfreds Vater die Stricke von den Beinen und sah noch nach dem Geschlecht der Neugeburt. Nun stand Manfred auf. Langsam, mit schmerzenden Gliedern und gerötetem Gesicht ging er ins Freie. Er stieg die steile Wiese hinter dem Futterhaus hinan und dann kam er zu einem Erlenbusch. Er brach einen Zweig ab, und dann ließ er sich in feuchtes, welkes Laub fallen.



Auf naher Wiese graste eine Schafherde. Hirten saßen um ein zuckendes Feuer. Rauch warf Schleier bei Nordwind. Am Himmel liefen Wolken lang. Manfred kannte von den Religionsstunden her eine Theorie vom Sinn des Leides und des Schmerzes für den Menschen, es war aber bei einem späteren ähnlichen Erlebnis, als er sich erstmals die Frage stellte, weshalb wohl Tiere Schmerz empfinden mussten. Silvana und die Hölle Die Frau, Roberts Nachbarin, sitzt auf dem hölzernen Melkstuhl neben dem Rind. Fliegen ziehen summend Kreise und Schleifen. Weiß strömt die Milch in den Holzeimer. Mit breitem Flotzmaul zerrt das Tier Heu von der Raufe. Silvana hockt vor dem offenen Stallfenster. Der Schwanz des Tieres wehrt den Fliegen. Ein Kaninchen nagt an einem Grashalm. Silvanas Hände umklammern runde Eisenstäbe. Jetzt trifft der Schweif das Gesicht der Frau. Gib doch Ruhe, sagt die Frau und wischt sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirne. Angespannt beobachtet Silvana die Bewegungen der Frau und des Tieres. Dann löst sie die Finger ihrer rechten Hand vom eisernen Rundstab und zieht krumme Linien in den Sand. Ob sie denn ihr Schaf melke, fragt Silvana die Frau. Ja, das tue ich, entgegnet diese. Robert sitzt auf einem dicken Holzklotz hinter dem raugeputzten Hause. Rechts neben ihm liegen Birkenzweige wirr durcheinander. Roberts rechte Hand umspannt das beinerne Heft eines Taschenmessers. In der Linken hält er ein Birkenreis. Du, Lena, sagt nun Silvana, du hast gelogen! Das ist gar kein Schaf. Das ist eine Kuh! Eine Kuh ist das! Die Frau im Stall sagt nichts. Silvana erhebt sich nun und lässt ihren Blick zu Robert hinüber schweifen. Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab. Dann aber wendet sie sich wieder an die Frau im Stall, für Robert vorerst einmal unverständlich, bis er nach einer Weile hört: Nein, ich hole die Kanne nicht! Lauf nur schnell!, vernimmt er darauf auch die Stimme der Frau. Sonst beginnt das Schutzengelchen zum Weinen; der Teufel aber freut sich und lacht. Silvana ist fünf Jahre alt. Gelassen ignoriert sie diese

Äußerung. Vielmehr geht sie nun mit leichten Schritten auf Robert zu. Immer komme sie mit dem Teufel, sagt sie zu ihm. – Du, Robert, fährt sie dann aber nach einer Weile fort, erzähl mir bitte eine Geschichte von der Hölle. Obwohl Robert einwirft, dass er über die Hölle nicht Bescheid wisse, da er niemals dort gewesen sei, spinnt Silvana den Faden fort: Die großen Leute müssten darüber dennoch was wissen, entgegnet sie. Lena hat mir öfters von der Hölle erzählt. Vorerst müsse man sterben und in die Hölle kommen, klärt Robert Silvana auf. Erst dann wisse man etwas darüber. Aber dann kannst du mir nichts mehr erzählen, erwidert Silvana in bestimmtem Ton. Eben nicht. Mit geübter Hand schneidet Robert Zweig um Zweig zurecht. Der Reiserhaufen rechts neben ihm nimmt im selben Maße ab, wie der Reiserhaufen links neben ihm und der Holzspanhaufen vor ihm zunehmen. Mit nicht minder geübter Hand trennt Silvana nun eine Naht ihres großkarierten Kleides auf. Nein, Silvana, das darfst du nicht, sagt Robert dann, als er es merkt. Das hätte er aber wohl besser nicht sagen sollen, denn schon kommt Silvana wieder auf das vorhin angeschnittene Thema zurück: Robert, erzähl mir bitte eine Geschichte von der Hölle! Mit der Entgegnung, dass ihm sämtliche Höllengeschichten entfallen seien, er aber hoffe, sich alsbald wieder ihrer entsinnen zu können, verweist dieser Silvana auf später. Dann hört er erneut die Stimme der Frau: Schnell aber nun, Silvana, hol mir doch die Kanne! Die soll sie sich selber holen, sagt Silvana zu Robert. Was machst du denn mit diesen Zweigen überhaupt?, fügt sie dann die Frage hinzu. Ich binde einen Besen. Einen Besen aus Birkenzweigen, für den Stall. Mit dem Angebot, ihm immerzu Zweige reichen zu wollen, versucht nun Silvana Robert einen Köder zu legen, da sie zugleich ihre Bitte erneuert, er möge ihr eine Höllengeschichte erzählen. Nicht jetzt, sagt Robert gutmütig. Willst du nicht doch zuerst die Kanne holen, äußert er dann seinen wie auch



den Wunsch der Frau. Ich bin wirklich neugierig, wie lange du brauchst, bis du wieder zurück bist. Schau nur, wie ich laufen kann, entgegnet darauf Silvana sonnig lachend. Und dann trippelt sie mit kurzen, aber schnellen Schritten dem Hauseingang zu. Hühner, die sich lärmend lüften, beleben das Bild. Schwalben stolpern und überschlagen sich im Wind, und Roberts Miene erhellt ein Lächeln. Das Märchen von dem Büffel und dem Weideplatz In jener Gegend waren einmal ein Büffel und ein Weideplatz. Auf dem Weideplatz gab es viele Gräser und Kräuter, und der Büffel weidete häufig und gerne allein darauf, und der Weideplatz sah es gerne, wenn der Büffel alleine kam. Der Büffel fand auf dem Weideplatz alle Gräser und Kräuter, die er sich nur wünschen konnte. Ein Kräutlein aber mochte er besonders gerne. Der Büffel war ein etwas sonderbarer Büffel, ein Büffel, der sich von allen anderen irgendwie abhob, und der Weideplatz war ein etwas sonderbarer Weideplatz; auch er war anders als die anderen Weideplätze, zumindest sie selber, der Büffel und der Weideplatz, fühlten es so. Tatsächlich treten Büffel ja auch gewöhnlich in Herden auf, in weiten baumlosen Graslandschaften. Gerade dieses vom Büffel bevorzugte Kräutlein aber war auf jenem Weideplatz von einem Gürtel von Disteln und Dornengestrüpp umgeben, und sooft und wie sich ihm der Büffel auch zu nähern versuchte, verletzten ihn die Disteln und das Dornengestrüpp derart, dass er sich immer wieder zurückzog. Jedes Mal trottete er in derselben Richtung davon, zu dem dunklen Waldstück am nahen Fluss. Der Weideplatz lebte in jenen Wochen und Monaten wohl in der Annahme, dass sich der Büffel in jenem Waldstück bis zu dem von ihm, dem Weideplatz, genau festgelegten neuen Zeitpunkt für die Weide aufhalten würde, in ausruhender und wiederkäuender Weise, und der Büffel nahm vom Weideplatz Ähnliches an: Dass auf ihm, dem Weideplatz, niemand weiden würde, während er, der Büffel, weg war. Was den Büffel betraf, so hatte er tatsächlich längere Zeit hindurch den Annahmen des Weideplatzes entsprechend gelebt. Eigenartigerweise änderte sich das dann aber im Laufe

der Zeit. Zuerst in langen Abständen, dann aber immer häufiger ging der Büffel nämlich in dieser Zwischenzeit auf andere Weideplätze, wohl vor allem auch auf der Suche nach diesem von ihm so besonders geliebten Kräutlein. Es war auch gar nicht schwierig für ihn, Weideplätze zu finden, wo es dieses relativ frei dastehend gab. Trotzdem aber fand er sich zur festgesetzten Zeit immer wieder an jenem Weideplatz ein. So weit die Geschichte, wie sie sich abspielte, als ich in jener Gegend lebte. Ich zog dann nämlich später fort. Durch reinen Zufall hörte ich aber nach Jahren von einem alten Freund wieder einmal von jenem Weideplatz und jenem Büffel. Auf beinahe mysteriöse Weise sei es dem Büffel an einem guten Tag gelungen, jenes Distel- und Dornengestrüpp auf dem Weideplatz zu durchbrechen und somit von dem von ihm so besonders geliebten Kräutlein zu weiden. Seitdem habe man den Büffel vorläufig einmal auf keinem anderen Weideplatz mehr gesehen. Erst nach längerer Zeit dann wieder, als der Büffel jedes Gräslein und Kräutlein auf dem Weideplatz wirklich sehr genau kannte und es ihm darauf allmählich weniger und weniger gefiel und er zudem noch eines Tages auf unerforschliche Weise zu Ohren bekommen habe, dass auf dem Weideplatz früher auch andere Büffel geweidet hatten in der Zeit, in der ihn dieser im nahen Wald vermutete, und auch der Weideplatz des Büffels allmählich müder und müder wurde und auch er etwa zur selben Zeit auf genauso unerforschliche Weise erfahren habe, dass sich der Büffel auch auf anderen Weideplätzen aufgehalten hatte, habe man den Büffel hin und wieder auf anderen Weideplätzen gesehen, und auch auf dem Weideplatz andere Büffel hin und wieder. Nach Jahrzehnten traf ich jenen alten Freund wieder einmal, eines späten Abends im Bahnhofsrestaurant. Vorerst haben wir einander gar nicht erkannt. Wie sich das oft so ergibt, im Gespräch am Tisch ging es uns dann plötzlich auf. Wir kamen später auch auf jenen Büffel und jenen Weideplatz zu sprechen. Man hatte, so habe man ihm erzählt, erzählte er mir, in den letzten Jahren jenen alten Büffel eigentlich nur mehr auf jenem altbekannten Weideplatz gesehen.



Seit vielen Jahren befasst sich Milena Meller mit Behausungen, Hütten, Unter- und Hochständen und dergleichen anonymen Kleinarchitekturen. Sie hält diese auf Fotografien fest, die sie als Vorlage für Malereien verwendet. Letztere fotografiert sie wiederum, auf den Fotoabzügen malt, zeichnet und schreibt sie weiter. Das Wechselspiel von Fotografie und Malerei prägt ihre Arbeit, „das Verhältnis von Wahrnehmung zu Wirklichkeit / Wirklichkeit zu Kunst“ – und schlussendlich: „das Bild, das wir uns von der Welt machen“. Zu ihrem exklusiv für Quart entstandenen Beitrag schickte uns die Künstlerin den folgenden Text:

„Alte Beichtstühle in kalten Kirchen mit flüsternden Schemen hinter Gittern. Dämmrige, splittrige, aufgeheizte Kabinen, darin man sich blaulippig zitternd aus nassem Badezeug windet. Bootshütten, um deren glitschige Pfähle im sonnengrünverschlierten Wasser bleiche Fische stehen. Knarrige Holzschuppen mit spinnwebig verstaubtem Gerät. Enge Zellen mit auf klebrige Münzfernsprecher hastig gekritzelten Botschaften. Särge mit wächsern-fremden Gesichtern Verstorbener. Plumpsklos in Milch- und Mist-süßer Almluft mit glattgewetztem Sitz überm Abgrund. Kästen, in deren stickigstaubiges Dunkel die gedämpften Stimmen der Suchenden dringen. Trügerisch friedliche Hinterhalte im Dickicht, wo wildes Tier seine Jäger wittert. Wachtürme, aus deren schwarzen Öffnungen Verfolger kaltes Entsetzen in Albträume jagen. Zelte, auf deren schweren Stoff Regen in einen tiefen Schlaf trommelt. Miniaturmöbel im sonntäglichen Licht. Eisiges Erschrecken, auf das man sich nicht vorbereiten kann. Lichtvolle Sehnsucht, die nach Dachboden-gewärmten Decken riecht.

Behausung, Verschlag, Unterschlupf, Versteck, Zuflucht, Obdach, Hinterhalt, Unterstand, Verlies … Auf Streifzügen durch Orte und Gebiete (manchmal auch durch Materialien) fotografiere oder finde ich Bilder, die ich Schicht für Schicht einem Verwandlungsprozess aussetze: Für die erste Seite habe ich als Grundlage für alles Weitere neun Malereien ausgewählt; sie stammen aus einer seit 2015 in Arbeit befindlichen Reihe von Porträts, die ich von themenspezifischen Objekten nach Vorlagen eigener oder historischer Fotografien gemalt habe (Öl auf Leinwand, je 60 × 90 oder 30 × 45 cm). Diese Malereien habe ich dann ausschnittsweise fotografiert, das heißt: fotografisch untersucht. Auf Papier-Ausdrucken einiger dieser Detail-Fotografien habe ich weitergearbeitet: zeichnend, malend, schreibend die Fotografien der Malereien untersucht, neue Ebenen darübergelegt, verschiedene Elemente, darunter auch ikonografische oder literarische Zitate, Fragmente aus der Sprache der Jägerei oder der Kartografie …“











Vor fast 40 Jahren erschien das legendäre Buch „Die Erben der Einsamkeit“, in dem Aldo Gorfer (Text) und Flavio Faganello (Bild) die abgelegensten Bergbauernhöfe Südtirols porträtierten. Quart unternimmt in einer Artikelserie den Versuch, an diesen Orten wieder einmal Nachschau zu halten. – Folge 2: Der Bauernhof als ein Ort für Aussteiger, als Gasthof und als Kunstlabor. Von Simone Mair / Lisa Mazza (Text) und Nicolò Degiorgis (Bild)

Nach Monaten, die wir zuhause verbracht haben, sind wir endlich wieder draußen. Können uns im öffentlichen Raum, der Natur, der Landschaft bewegen. Nach dem endlos scheinenden Verweilen in unseren privaten Räumen machen wir uns auf den Weg, auf eine Entdeckungsreise getrieben von der Neugierde, unterschiedliche Lebensweisen am Berg zu erkunden. Drei Bauernhöfe sind unser Ziel, die in ihrem Erscheinungsbild und dem eigenen Selbstverständnis, das Leben am Berg zu gestalten, wohl nicht unterschiedlicher sein könnten. Es vereint sie die Beschaffenheit der Landschaft, in der sie eingebettet sind: meist steil und karg, schmale kurvige Bergstraßen führen zu den Höfen. Hat man das Ende der Straße erreicht, ist man am Ziel. Ein beruhigendes Gefühl – ganz nahe an der Einengung. Die Erreichbarkeit der Höfe über asphaltierte Straßen ist dank der politischen Maßnahmen, die den Bergbauernhöfen in den letzten Jahrzehnten zugewiesen wurden, eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Distanz zu den Dörfern und Städten in der näheren Umgebung scheint sich so auch im Kopf reduziert zu haben. Die Höfe sind aber nicht als Endpunkte zu begreifen, sondern als Anfangspunkte für ganz unterschiedliche Lebensmodelle, die sich in einen natürlichen Kreislauf der Jahreszeiten und sich verändernde klimatische Bedingungen einbetten. Sie laden zur geschäftigen Langsamkeit ein: Wenn auch das Auto stehen bleiben muss, so können neue und ausgetretene Pfade erkundet werden – sowohl mit dem Körper als auch im Geiste.

Das „landwirtschaftliche Unterproleteriat“, wie es Aldo Gorfer noch Anfang der 1970er Jahre beschrieben hat, scheint der Vergangenheit anzugehören. Wir treffen auf Menschen, die in diesen Orten einen Möglichkeitsraum sehen, ihren eigenen Lebensweg zu gestalten und neue Modelle zu erproben. Das Leben am Berg bedeutet längst nicht mehr ein Leben in der Abgeschiedenheit, Erledigungen im Tal sind Teil des Alltags und, sofern keine meteorologischen Extremsituationen vorherrschen, auch motorisiert machbar. Der Lebensrhythmus ist geprägt durch die Jahreszeiten. Das Leben findet in den warmen Monaten meist außerhalb des Bauernhauses, in kälteren Perioden vor allem drinnen statt. Wirklicher Müßiggang tritt nie ein. Und doch hat, wer auf diesen Höfen lebt, nicht den einfachsten Weg gewählt. Warum sich einen Lebensraum in der Einsamkeit suchen? Wie steht es um die Verwurzelung in der Tradition und im Glauben heute – Grundsätze, die vor 50 Jahren noch unhinterfragt blieben? Welche Lebensmodelle sind für das Bäuerinund Bauer-Sein denkbar? Alle drei Höfe, der Löcher-Hof und Stallwies im Martelltal und der Aspmayr-Hof in Unterwangen, versuchen auf ihre ganz eigene Art, ihren idealen Ort zu gestalten und zu leben. Die Aussteiger und Landschaftserhalter Unseren ersten Halt machen wir im Martelltal, beim Löcher-Hof auf 1.780 Metern. Seit knapp zehn Jahren



wohnt hier das aus Deutschland stammende Ehepaar Scheurer. Der letzte Erbe des Hofes hatte keine direkten Nachfahren, niemand aus dem näheren Umfeld hatte Interesse, sich des schon etwas baufälligen Hofes an steilen Hängen anzunehmen. Die Scheurers haben sich nach einem Leben in der geschäftigen Stadt nach Ruhe und Einsamkeit gesehnt und diese im oberen Martelltal am Löcher-Hof gefunden. Sie sind Aussteiger, haben sich ausgeklinkt aus dem Weltgeschehen und entscheiden selbst, wann und mit welcher Intensität sie mit der Zivilisation in Kontakt treten. Fast immer lag das bisher in ihren Händen. Außer im letzten Winter, als es nicht aufhören wollte zu schneien. Wochenlang waren sie von der Welt abgeschottet. Die Vorratskammer war zum Glück gefüllt und der Weg zu den Schafen im Stall zwar beschwerlich, aber passierbar. Auch wenn sie nicht die natürlichen Erben des Hofes sind und nicht mit der lokalen Tradition verwurzelt sind, haben sie außer den notwendigen Arbeiten, um den Hof zu sichern, keine großen Veränderungen vorgenommen. Großteils ist alles noch so belassen, wie sie es vorgefunden haben; die Decken niedrig, die Schwellen hoch. Die Aufgaben sind zwischen den Eheleuten klar verteilt, oft sehen sie sich nur beim Essen, da die restliche Zeit von einer steten Beschäftigung geprägt ist – im Gemüsegarten, im Stall, an den steilen Hängen oder in der Werkstatt. Wolfgang, der Hausherr, fragt sich immer wieder, welche Aufgabe sie mit dem Beleben und Bewirtschaften dieses Hofes am Berg übernehmen. Mehr als um Erträge aus der Bewirtschaftung – ihre Lebensgrundlage ist die Rente – geht es darum, die Landschaft zu erhalten. Sie sind keine Selbstversorger im engeren Sinn, doch versuchen sie so viel wie möglich am Hof selbst zu produzieren; vor allem Gemüse, ein wenig Fleisch und immer genügend Lebensmittel vorrätig zu haben. Auch Amazon Prime findet immer wieder seinen Weg zu ihnen, da das Leben am Berg nicht bedeutet, dass man nicht mit der neuesten Technologie ausgestattet sein kann.

Vom Bauern zum Gastwirt Nach einer kurzen Autofahrt vom Löcher-Hof bergauf erreicht man Stallwies (1.953 m). Dank der Lage auf einer kleinen Hochebene wirkt die Landschaft etwas freundlicher. Diese geografische Position sowie besondere Rahmenbedingungen (wie die Bergbauernförderung und der Bau von Infrastrukturen) haben es der Familie Gamper erlaubt, sich stetig weiterzuentwickeln, zu vergrößern und verändern. Der junge Bauer Eduard, den Flavio Faganello in den 1970er Jahren in der Stube abgelichtet hat, ist mittlerweile Großvater. Auch wenn sein Sohn den Hof geerbt hat, ist er derjenige, der uns einen Einblick in das Leben am Hof gibt. Vom ursprünglichen Bauernhaus aus dem Jahr 1864 sind nur mehr wenige Elemente sichtbar. Mehr als Bauern sind die Hofbewohner mittlerweile Gastwirte. Der Hoferbe kocht, sein Bruder hat den Service über. Die Frau des heutigen Erben stammt aus Ostdeutschland. Man spürt, dass die Herkunft ein Detail ist, das auch am Berg nicht nebensächlich ist. Ob ein Mädchen aus dem Tal tatsächlich hier oben durchgehalten hätte, ist sich Eduard nicht sicher. Hinter dem Hof befindet sich ein neues Gästehaus im modernen Holzbau inklusive Panoramablick auf den dahinschmelzenden CevedaleGletscher. Der Lebensrhythmus ist den touristischen Saisonen angepasst, der landwirtschaftliche Kreislauf spielt nur mehr bedingt eine Rolle. Was auf dem Feld angebaut wird und im Stall wächst und gedeiht, dient vor allem dafür, die Gäste und die Familie zu versorgen. Es ist die Gastwirtschaft, dank der keinem Nebenerwerb nachgegangen werden muss; damit gibt es auch keine Abhängigkeiten von anderen. Nach den quirligen warmen Monaten scheint sich die Familie regelrecht auf die Ruhe und die wenigen Monate der Einsamkeit und Stille – ohne das enge Zusammenleben mit den Touristen – zu freuen.



Der Anbau eines idealen Ortes Der Aspmayr-Hof liegt knapp 90 km vom Martelltal entfernt in Unterwangen (Ritten) in der Nähe von Bozen. Er befindet sich auf 820 m Meereshöhe, vergleichsweise viel niedriger als die anderen beiden Höfe, ist jedoch eingebettet in eine Berglandschaft und abfallende Wiesen und Weiden. Der Hof wird von einem jungen Paar bewirtschaftet, Margareth und Simon, zu denen sich seit Kurzem ihr gemeinsames Kind Julius gesellt hat. Margareth ist auf dem Hof aufgewachsen und nach dem Studium der Literaturwissenschaften und Performancekunst in Österreich und Belgien mit ihrem österreichischen Partner vor acht Jahren zurückgekehrt auf der Suche nach neuen Wegen, um diesen abgelegenen Ort zu (be)leben. Gelangt man zum Hof, nimmt man gleich wahr, dass hier neue Formen erprobt werden, das Leben am Berg zu begreifen. Neben den landwirtschaftlichen Gerätschaften trifft man auf Spuren künstlerischen Arbeitens am, im und um das Haus. Seit 2012 wird nämlich am Hof eine Künstlerresidenz und ein Veranstaltungsprogramm organisiert, der Hof wird zum „Hotel Amazonas“, einer temporären freien Zone, die zum Experimentieren zwischen den Kunstformen einlädt. Künstlerinnen und Künstler verweilen am Hof, setzen sich mit dem, was sie umgibt, auseinander und lassen Interventionen entstehen, die Materialien neue Bedeutungen zuschreiben und unser Dasein als Teil eines größeren ökologischen Systems begreifen, das eine Trennung zwischen dem Menschlichen und Nicht-Menschlichen zu überwinden versucht. Dann wird Fermentieren als produktiver Prozess und Metapher gesehen oder das Züchten und Zusammenleben unterschiedlichster Hühner-Arten mit Hilfe der Technologie erprobt. Die Rollen der Hofbewohner gehen versatil ineinander über: Bäuerin, Köchin, Performerin, Künstlerin, Mutter oder Gastwirtin. Es gibt Schweine und Kartoffeln, Schafe, Kastanien, Weinreben und verschiedene Obstsorten, die biologisch angebaut werden,

nach dem Prinzip der Permakultur, um so natürliche Kreisläufe zu respektieren. Die Vermietung einer kleinen Wohneinheit im Dachboden und das Aushelfen bei einer benachbarten Tischlerei bilden einen Nebenverdienst; der Buschenschank ist derzeit nicht in Betrieb. Der Aspmayr-Hof, das Hotel Amazonas in den Bergen, ist ein Ort, an dem der Anspruch La coltivazione di un luogo ideale („Anbau eines idealen Ortes“) tagtäglich gelebt wird, losgelöst von Normen und Konventionen; mit der Natur – nicht in der Natur. Er erinnert uns an „Agricola Cornelia SpA“, ein Projekt des italienischen Künstlers Gianfranco Baruchiello, der zwischen 1973–1981 einen landwirtschaftlichen Betrieb außerhalb von Rom betrieb. Getrieben vom Wunsch, seine künstlerische Praxis mit der Landwirtschaft und der Tierhaltung zu vereinen, hat er sich den Kreisläufen von Boden und Erde angenähert, um ihre Verknüpfung mit der Realität tiefer zu durchdringen. Wie kann Kunst, Agrikultur und Kreativität gemeinsam gedacht werden? In der Agricola Cornelia verschwanden die Grenzen zwischen den Produktionsformen, auch was angebaut wurde, um primäre Bedürfnisse zu befriedigen, wurde zur Kunst, zur Utopie, zur politischen Aktion und Poesie. Auch am Aspmayr-Hof ist das Kultivieren und Anbauen von utopischen Ideen auf der Suche nach dem idealen Ort Teil des bäuerlichen Alltags. Kunst, Agrikultur und Kreativität vereinen sich und das Zusammenleben zwischen Mensch, Tier und anderen – mehr als menschlichen – Lebensformen im Hier und Jetzt rückt ins Zentrum. Margareth beschreibt den Hof als „steil, feministisch und experimentell“. Diese drei Adjektive vereinen die Landschaft mit einer gesellschaftspolitischen Geisteshaltung und Herangehensweise, die in die Zukunft blickt.








Nr. 25/15

Cover: Axel Hütte Originalbeilage: Hubert Kostner Linke Seiten: Constantin Luser Beiträge u. a. von: Marcel Beyer, Philipp Blom, Franzobel, Stephan Schulmeister


Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 34/19 € 16,–

Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 34 / 19 € 16,–

Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 35 / 20 € 16,–


Ljubljana: Fotograf. Studium der KulJaka Babnik, Ljubljana tursoziologie und Geschichte an der Kunstfakultät der Universität Ljubljana. Autor und Regisseur mehrerer bekannter slowenischer Skateboard-Filme. Mitbegründer des transbalkanischen Straßenmagazins „Kontejner“. Nähert sich als Fotograf seit 2009 seinen Sujets mit forscherischem Blick an, vor allem auch verschwiegenen Themen der Zeitgeschichte. Babnik ist Mitbegründer und Mitinhaber des „Rostfrei Publishing House“. www.jakababnik.com Zürich: Schriftsteller. Seit 2015 Mitglied Lukas Bärfuss, Thun der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Schweizer Buchpreis 2014. Er schreibt Romane („Koala“, 2014 und „Hagard“, 2017) sowie Theaterstücke (u. a. „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“, 2003; „Frau Schmitz“, 2016), die weltweit gespielt werden. 2015 und 2018 erschienen die Essaybände „Stil und Moral“ und „Krieg und Liebe“. Lukas Bärfuss’ jüngstes Werk, „Der Elefantengeist“, wurde im September 2018 am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Anna-Maria Bogner, Schwaz Düsseldorf, Wien: Bildende Künstlerin. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland (Auswahl): Fondation CAB, Brüssel; Gallery Sokolska 26, Ostrava / Tschechien; Universalmuseum Joanneum, Neue Galerie, Graz; Galerie Lindner, Wien; DENK Gallery, Los Angeles; Chongqing Changjiang Contemporary Art Museum, Chongqing / China; Vasarely Museum, Budapest; Museum Liaunig, Neuhaus; Stichting IK, Oost–Souburg / Niederlande. www.ambogner.com Berlin, Los Angeles: Bildende Tacita Dean, Canterbury (GBR) Künstlerin. Arbeitet mit den Mitteln Film, Fotografie, Malerei, Zeichnung, Klanginstallation und visueller Erzählung und ist eine der weltweit renommiertesten Künstlerinnen der Gegenwart. Einzelausstellungen (Auswahl): Tate Britain, London; MACBA, Barcelona (2001); Solomon R. Guggenheim Museum, New York (2007); Fondazione Nicola Trussardi, Mailand (2009); MUMOK, Wien (2011); New Museum, New York (2012); Australian Centre for Contemporary Art, Melbourne (2013); Statens Museum for Kunst, Kopenhagen (2014); Museo Tamayo, Mexiko-Stadt (2016); National Portrait Gallery, The National Gallery & Royal Academy of Arts, London (2018). Ihre Arbeiten wurden außerdem auf der documenta (13), Kassel (2012), der 55. Biennale in Venedig (2013) sowie bei der Biennale of Sydney (2014) gezeigt. Nicolò Degiorgis, Bozen Bozen: Fotograf. Studium der orientalischen Sprachen in Venedig und Peking. Bekannt ist er vor allem für seine Künstlerbücher, die sich mit sozialpolitischen Thematiken befassen. Sie wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und sind Teil der Sammlungen bedeutender Museen, u. a. Albertina und MUMOK in Wien, Metropolitan Museum und MOMA in New York, Tate Modern in London und Bibliothèque Kandinsky im Centre Pompidou in Paris. Installationen der Bücher wurden in verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Er ist Teil des künstlerischen Beirats des foto-forums Bozen und Gründer des Rorhof-Verlags. Stephen Dillane, London Sussex: Schauspieler. Bekannt geworden vor allem durch seine Theaterrollen, u. a. 1990 als Horatio in Franco Zeffirellis Hamlet und 1994 unter der Regie von Peter Hall als Hamlet. Große Popularität erlangte er durch sein Mitwirken in der Serie „Game of Thrones“ (2012–2015), in der er bis zum Ende der fünften Staffel Stannis Baratheon spielte.

Marie Gamillscheg, Graz Berlin: freie Autorin und Schriftstellerin. Veröffentlichungen in zahlreichen literarischen Zeitschriften und Magazinen. Ihr Roman „Alles was glänzt“ landete auf der ORF-Bestenliste, wurde für den aspekte Literaturpreis nominiert und mit dem Österreichischen Buchpreis für das beste Debüt 2018 ausgezeichnet. Ahrntal: Schriftsteller und ObstpflüEduard Gartner, Ahrntal cker (1941–2009), lebte den Großteil seines Lebens im Ortsteil Steinhaus der Gemeinde Ahrntal / Südtirol. Sein Roman „Die Obstpflücker“, an dem er rund 30 Jahre lang schrieb, blieb unveröffentlicht. Toni Kleinlercher, Schwaz Wien: Dichter, Multimedia-Künstler und Lehrer. Studium der Mathematik und Geographie, der deutschen Literatur, Kunstgeschichte und Ethnologie. Leitung des Literaturdiskussionsforums Schwaz, Initiierung des literarischen Stadtchronisten Schwaz. 2003–2005 Management von kuspace tokyo, einem Künstleraustauschprojekt. 2005–2009 Dozent an der Rikkyo University Tokyo. Mitglied der Grazer Autorenversammlung seit 2000, der IG Bildende Kunst seit 2015, der Künstlervereinigung MAERZ seit 2016. www.toni-kleinlercher.com Dornbirn: KunsthistoVerena Konrad, Aschach an der Donau rikerin und Kuratorin. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Theologie an der Universität Innsbruck. Dort Lehrtätigkeit am Institut für Architekturtheorie und Baugeschichte. Kuratorin u. a. an der Kunsthalle Wien und der Taxisgalerie Innsbruck. 2018 Kommissärin der 16. Architekturbiennale in Venedig. Leitet seit 2013 das Vorarlberger Architektur Institut (vai) in Dornbirn. Simone Mair, Meran Algund bei Meran: Kuratorin und Kunstvermittlerin. MA in Curating der Goldsmiths University of London. Mair ist Mitbegründerin und Ko-Kuratorin der Kulturorganisation BAU (seit 2015). Der Fokus von BAU liegt auf Kunstprojekten, bei denen zeitgenössische Kunst auf Fragen unserer Gegenwart reagiert, Natur und Kultur verbunden gedacht werden und der Mensch mit seiner Umgebung in einem ökologischen Kreislauf verstanden wird. 2013–2018 kuratierte sie „The Walking Reading Group“ in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kunstinstitutionen in London (Gasworks, Iniva, Open School East, The Showroom, Whitechapel Gallery). Bozen: Kuratorin und Kulturproduzentin. Lisa Mazza, Meran MA in Contemporary Art Theory der Goldsmiths University of London. Mazza ist seit 2015 Mitbegründerin und Ko-Kuratorin der Kulturorganisation BAU. (Zu deren Anliegen und Zielen siehe Biographie Simone Mair.) Mazza ist Mitglied des künstlerischen Leitungsteams von Lungomare. 2007–2012 hat sie als Projektkoordinatorin an der europäischen Biennale Manifesta gearbeitet und war 2009–2012 Managing Editor des Manifesta Journals. 2018 leitete sie das Publikationsdepartment der Manifesta 12 in Palermo. Milena Meller, Innsbruck Innsbruck: Bildende Künstlerin, Publizistin. Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen inklusive Publikationen in Österreich, Italien, Belgien, Ukraine. Arbeit an langfristig angelegten Serien, die sich mit dem Thema Ort und Behausung in vielfacher Hinsicht auseinandersetzen sowie das Medium Malerei im Verhältnis zu anderen Medien untersuchen. Als ausgebildete Musikwissenschaftlerin Veröffentlichung zahlreicher Texte mit Schwerpunkt auf zeitgenössischen und experimentellen Ansätzen. Als ausgebildete Musikerin Beschäftigung mit Improvisation und Klangcollage. www.milena-meller.com


Georg Payr, Innsbruck Innsbruck: Schriftsteller. Lehramtsstudium Deutsche Philologie und Geographie an der Universität Innsbruck, Studienabschluss 1983, Lehrer am Bundes-Oberstufenrealgymnasium Innsbruck. Buchveröffentlichungen: „An der Schwelle“ (Erzählung, Haymon), „Die Entmachtung“ (Erzählung, Haymon), „Vom Drücken des Schuhs“ (Roman, Haymon), „Das ewig Päpstliche zieht uns hinan“ (Erzählungen, Kyrene). Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften.

Witten. Seit 2009 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Dresden. Ebenfalls seit 2009 Mitglied der Akademie der Künste Berlin. Seit 2016 künstlerische Leitung der Münchener Biennale gemeinsam mit dem Schweizer Komponisten Daniel Ott.

Raimar Stange, Hannover Berlin: freier Kurator und Kunstpublizist. Er schreibt für die Kunstmagazine Flash Art, Kunst-Bulletin, Artist und Springerin. Zahlreiche Katalog- und Buchpublikationen. Beschäftigt sich vor allem mit (aktivistischer) Kunst zu Problemen wie Klimakatastrophe und neoliberaler Globalisierung.

Florian Waldvogel, Offenburg Innsbruck: Kurator, Kunstvermittler. Studierte Kunstvermittlung an der Städelschule in Frankfurt am Main und war dort Assistent und Meisterschüler von Kasper König. 2001–2003 künstlerischer Leiter der Kokerei Zollverein Essen. 2006–2008 Kurator am Witte de With in Rotterdam und 2009–2013 Direktor des Kunstvereins in Hamburg. Seit Juni 2019 Leiter der Modernen Sammlungen an den Tiroler Landesmuseen. Waldvogel schreibt regelmäßig zu Themen der Gegenwartskunst.

Manos Tsangaris, Düsseldorf Köln, Dresden: Komponist, Musiker, Installations- und Performancekünstler und Lyriker. Studien an der Kölner Musikhochschule bei Mauricio Kagel (Komposition und Neues Musiktheater) und Christoph Caskel (Schlagzeug) sowie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Alfonso Hüppi. Komponierte Werke u. a. im Auftrag des WDR und SWR, der Bayerischen Staatsoper, der Kölner Philharmonie und der Stadt

Erika Wimmer Mazohl, Bozen Innsbruck: Schriftstellerin. Seit 1995 tätig als freie Autorin, außerdem als Literaturwissenschaftlerin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck. Veröffentlichung von Essays, Dramen, Gedichten und Romanen. Zuletzt: „Löwin auf einem Bein“, Roman 2020; „Orte sind“, Gedichte 2019. 2021 erscheint der Band „Das zweite Gesicht“, Gedichte nach Dante-Miniaturen von Markus Vallazza.

Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 22,– · Einzelheft: € 16,– · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Jaka Babnik, Lukas Bärfuss, Anna-Maria Bogner, Tacita Dean, Nicolò Degiorgis, Stephen Dillane, Marie Gamillscheg, Eduard Gartner, Toni Kleinlercher, Verena Konrad, Simone Mair, Lisa Mazza, Milena Meller, Georg Payr, Raimar Stange, Manos Tsangaris, Florian Waldvogel, Erika Wimmer Mazohl Linke Seiten: Toni Kleinlercher Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g / m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Neutral BP Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 56 / 57 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt und Artaria KG, Kartographische Anstalt, Brunner Straße 69, 1231 Wien (A) Zitat auf Seite 105: Aus: William Faulkner: „Als ich im Sterben lag“ (1930), Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2014 (Übersetzung: Maria Carlsson). Reprografien der Seiten 102–107: WEST.fotostudio, Wörgl Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-8121-4 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2020 · Alle Rechte vorbehalten. Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Kultur der Tiroler Landesregierung und der Abteilung Deutsche Kultur der Südtiroler Landesregierung.



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