Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 4/ 04 E 12,–
Verzeichnis
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Verzeichnis
Inhalt
Candida Höfer „Riesenrundgemälde Innsbruck 2004“
1
M-Preis
2/3
Ferdinand Schmatz „Meine Titelei“* Inhalt
4 5
Die Masse will den schlechten Geschmack. Alfred Komarek polemisiert
7/9
Grenze zum Glück. Anmerkungen zu einem Paznauner Kraftakt
11
Diesmal: Schutzhütten. Fünf Entwürfe von Othmar Barth, Margarethe Heubacher-Sentobe, riccione architekten, Wolfgang Tschapeller und Erich Wucherer 119–129 Der Moralist und die Tänzerin. Georg Diez schaut mit Markus Wilhelm auf die andere Talseite
131–137
Abos geschenkt!
138/ 139
Wer schrieb das Kufsteiner Lied? Eine Art Kriminaltango von Thomas Nußbaumer 141–149
Der Schnee und sein Betrachter. Andreas Maiers Reisebericht aus Galtür
13 – 21
Ruedi Baur: Überstrahlung, Schatten
22– 41
Tirols Architekten und Ingenieurkonsulenten Zukunftszentrum Tirol
174 175
Im Stillen. Alessandro Solbiati porträtiert den Komponisten Niccolò Castiglioni
43– 51
RLB Kunstbrücke Athesia-Tyrolia Druck
176 177
„Das ist der Leib Christi …“ – Hans Danner über Kirchenkrankheiten
53– 63
Stiftung Südtiroler Sparkasse Alpinarium Galtür
178 179
Raum, Geheimnis. Candida Höfer fotografiert Innsbruck
64– 85
Freie Universität Bozen Alpbacher Architekturgespräche, Pupille Optik Schwaz
180
Wo er nicht ist. Sabine Gruber [für Candida Höfer]
Rund um Kultur. Rens Veltmans Phänomenologie der Kultursäle
181
87/89 Besetzung, Impressum
Landvermessung No. 1, Sequenz 4 Stefanie Holzer und Walter Klier über Radio Horeb und andere Tatsachen
90–103
Hans Weigand: Originalbeilage Nr. 4
104/105
Leben lernen. Hans Weigand und die Zeit vor und nach dem jüngsten Gericht. Von Sebastian Huber 107–117 4/5
151–173
182/183
* Ferdinand Schmatz hat dankenswerterweise die Einladung angenommen, auf den meisten linken Seiten dieses Heftes seine literarischen Spuren als erster Leser zu hinterlassen.
LadenhĂźter
Masse und Licht. Eine Installation aus der Tiefebene.
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Die Masse will den schlechten Geschmack.
Das sieht ihr wieder einmal ähnlich, der Masse. Aber so ist sie eben, besonders die breite Masse. Eine schmale Masse hätte ja schon wieder etwas Elitäres. Von Alfred Komarek Also, ich kenne sie nur vom Hörensagen, die breite Masse. Allabendlich, wenn die Stunde der prime time schlägt, umwabert sie zum Beispiel gespenstisch die Bildschirme, will erregt, verführt und belogen werden. Die Masse liebt es grell, laut und widerwärtig. Dem gehorchen die Medien, weil sie ja sonst keine Massenmedien wären. Aber sie tun es unter schweren Seufzern, mit schlechtem Gewissen und mühsam hinunter gewürgtem Ekel. Wer von Berufs oder der Berufung wegen die Masse befriedigen muss, wird nicht umhin kommen, sich zum massenweise gewünschten Tiefpunkt zu erniedrigen. Da übt sich fein ziselierter Intellekt in Vertrottelung, verliert sich das scharf geschnittene Profil in öder Banalität und verlischt funkelnder Witz in matter Humorigkeit. Vom Diktat der Masse erlöst, wäre Daniel Kübelböck vermutlich ein scheu bewunderter Countertenor, DJ Ötzi beim Concentus Musicus und Jeannine Schiller zitierte im Treffpunkt Kultur aus dem Wittgenstein’schen Traktat. Öffentlich rechtliche Sendeanstalten würden sich wohlig erregt in bedingungsloser Ausschließlichkeit und Treue ihrem Kulturauftrag hingeben, die Privaten hätten ohne Unterlass lustvolle Höhepunkte edelster Ästhetik und gediegenster Qualität zu feiern, Intendanten, Verleger,
Redakteure und Veranstalter fänden tiefe Befriedigung im ritterlichen Wettstreit um das Gute, Wahre und Schöne. So aber schiebt die Masse diese Bedauernswerten vor sich her. Erst im Schutze der späten Nacht, wenn die Masse schläft, darf es von hohlwangigen Rufern in der Wüste gewagt werden, einsam und diskret gegen ihr gräuliches Diktat zu verstoßen. Die Masse ist groß, die Masse ist mächtig, die Masse ist überall. Sie ist gestaltlos und namenlos. Die Masse verrät nicht, wer zur ihr gehört. Und jene, die zu ihr gehören, werden sich davor hüten, es zuzugeben. Zählt man alle zusammen, die es entrüstetet von sich weisen, mit der breiten Masse auch nur irgendetwas gemeinsam zu haben, stellt diese stilsichere, schönheitsdurstige und qualitätsbewusste Gruppe eine Mehrheit dar, die der Gesamtheit verdächtig nahe kommt. Demnach wäre die breite Masse gar nicht breit, sondern eine verschwindend kleine Minderheit, ein Widerspruch in sich.
Ladenhüter
Hitlers Architekt Speer machte seinen Traum von der „lumineszierenden Architektur“ wirklich – schön, wer weiß, gut nicht. 130 Fliegerabwehrscheinwerfer strahlten in den schwarzen Himmel des Nürnberger Parteiaufmarsches 1934 und legten einen Lichtteppich in 1100 m Höhe oben über die staunende Masse unten. Das Nahe so fern – die Aura lebte. Im Führer, der unerreichbaren Lichtgestalt. Ethik und Ästhetik waren nicht eins. Aber schlechtherum doch.
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Wie misst man sie, die Masse? Es gibt keinen Maßstab dafür. Nicht einmal der Umstand, dass schamloser Schwachsinn nicht immer, aber immer öfter hohe Quoten oder Auflagen bringt, lässt auf ihre Ausdehnung schließen. Man schaut einfach zu, um Argumente für vernichtende Kritik zu sammeln, um im Bild zu sein – was immer das bedeuten mag – um Phänomene soziokultureller Banalität zu erforschen, um sich wieder einmal so richtig schön zu ärgern, oder weil einem weltoffenen Geist nichts Menschliches fremd sein sollte. Die Trottel sind jedenfalls immer die anderen. Die, in der Masse. Und die Masse will den schlechten Geschmack. Für jene mit dem guten Geschmack wär’s natürlich schlichtweg eine Katastrophe, gäbe es die Masse nicht, jene Tiefebene, in der alles, was sich nur einigermaßen abhebt, im Lichte der untergehenden Kultursonne einen respektablen Schatten wirft. Die Existenz der Masse mit ihren vulgären Wünschen darf einfach nicht geleugnet werden, weil sonst die Sinnhaftigkeit ihrer kultivierten Gegenwelt gefährdet wäre. Dieses beruhigend ausgewogene Konstrukt ist allerdings leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es kommt nämlich durchaus vor, dass auch guter Geschmack massentauglich ist. Das geschieht immer dann, wenn sich seine Erfinder und Produzenten die Mühe machen, Billy Wilders dreizehntes Gebot zu be-
herzigen: Du sollst nicht langweilen. Wenn sie darüber hinaus Pathos durch Überzeugungskraft ersetzen, Klugscheißerei durch den verständlichen Gebrauch des Verstandes und vordergründige Effekte durch sinnliche Tiefenwirkung, braucht sich niemand zu genieren, ob Anbieter, ob Konsument. Einmal angenommen, die Masse sind wir alle: in jedem von uns guter und schlechter Geschmack so selbstverständlich angelegt wie Gut und Böse. Jeder hat seinen Heiligenschein im Schrank und jeder hat seine Leiche im Keller, respektable wie schmutzige Seiten, selektiv wahrgenommen und individuell unterdrückt oder ausgelebt. Wir alle wären dann Anbieter und Zielgruppe für alles. Und die Propheten der Masse mit dem schlechten Geschmack sind vielleicht nur zu faul, zu habgierig, oder schlichtweg zu blöd dafür, annehmbare Qualität herzuzeigen. Sie klagen über Zwänge und kaschieren damit Unfähigkeit, sie verteilen Zensuren um die eigenen schlechten Zeugnisse nicht präsentieren zu müssen, sie bieten Mist an, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Sie fischen in der Masse nach Mehrheiten, nach Quoten, und sie tun das so effizient und so billig wie möglich. Darum fischen sie mit riesigen Schleppnetzen, mit Licht und Dynamit. Darum dezimieren sie die Vielfalt, rotten Gattungen aus und gefährden letztlich ihre eigene Zukunft. Die Beute ist schuld, weil sie sich so leicht fangen lässt.
Winterspiele
Der Fall. Ein StĂźck Tier. Casanova Kind Frau Wolf Mann
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Grenze zum Glück
Ruedi Baur kam in die Nacht. In den späten Nachmittagsstunden hatte er sich auf Tourenschiern von Ischgl aus Richtung Heidelberger Hütte (2264 m) auf den Weg gemacht.
Der Plan: drei Tage lang das Gelände erkunden, auf der Suche nach weißen überbelichteten Flächen, sich der Überstrahlung aussetzen, schließlich über das Kronenjoch die Jamtalhütte erreichen und nach Galtür abfahren. Das Nachtleben durchstreifen, der Schatten zur Welt in der Höhe. Eine Erkundung am Grat zwischen Tag und Nacht, zwischen hell und dunkel, still und laut – zu sehen ab Seite 22.
Andreas Maier kam ein paar Tage danach und blieb eine Nacht. Sein Reisebericht ist Ruedi Baurs Fotografien vorangestellt.
Winterspiele
Casanova: Ich bin rein. Kind: Mein Herz ist groĂ&#x;.
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Der Schnee und sein Betrachter
Von Andreas Maier Es geht von Innsbruck über Landeck weiter mit dem Bus nach Pians, Pians Gurnau, Pians Silvretta, dann nach Kappl, Kappl Dorf, Kappl Höferau, Ischgl, Ischgl Silvretta bis hin zu Galtür Paznaunerhof, Galtür Edelweiß, Galtür Postamt. Ich notiere ab Landeck: Was zuerst auffällt, ist das Mädchen mit dem Sabberfaden beim Einstieg in den Bus. Lange Haare, verwachsenes Gesicht, der Sabberfaden entsteht langsam, weht nach hinten und legt sich über die Schulter. Wirkt glücklich, bleibt nur bis Pians Abzweigung Silvretta. Der Busfahrer hört: „Nur eine Nacht Liebe / Nur eine Nacht Liebe mit dir“. Die Nachrichten sprechen von der Bürgermeisterstichwahl in Mutters. Es ist Dienstag, der fünfte März. Ab der Station See im Paznaun ist eine deutliche Anballung von Skifahrern und Schulbuben bzw. -mädchen merklich. Zwischen den (deutschen) Skifahrern und den (einheimischen) Schulmädchen kommt es zu den erwartungsgemäßen, einseitigen Interferenzen. Am Straßenrand, im Schnee, steht ein einsamer Tramper mit einem Schild: Innsbruck. Er will raus hier aus dem Tal, wirkt verzweifelt … Die erwartungsgemäßen „Interferenzen“: Die Skifahrer gucken den nach unten guckenden Schulmädchen hemmungslos in die Gesichter, worauf die Mädchen immer mehr nach unten gucken. Mann, rufen zwei beim Einsteigen, wassen das für ne Stimmung hier. Iss ja gar keine Stimmung hier. Iss ja gar nix los hier. Setzen sich und gucken sofort die Mädchen an. Habter grad Schulaus, was, fragt einer grinsend (fickificki), die Antwort bleibt verschüchtert. Solche Demütigungen müssen die jungen Paznaunerinnen im Zuge des Massentourismus also täglich ertragen. (Ich lese ein Ortsschild: Quadratsch.) Ausstieg Postamt. In Galtür ist alles weiß. Ein weißer Ort in der Sonne, umgeben von eher vereinzelt dastehenden weißen Bergen. Man kommt sich vor wie im Tal, ist aber auf etwa eintausendfünfhundert Meter Höhe. Man lernt mit der Karte, indem man sich einmal um die eigene Achse dreht und dabei die Karte in den jeweils richtigen Winkel bringt: Gorfenspitze, Hochnörderer, Gaisspitze, Grieskopf, Fädnerspitze, Ballunspitze. Zur Ballunspitze windet sich etwas hinauf, was auf Entfernung wie eine Spur Dreck aussieht.
Dort also ist das Skigebiet, wo sie alle hinwollen. Nochmal Namen: Klein-Zeinislift, Alpkogellift, Birkhahnbahn, Ballunspitzenbahn. Das ist nur der Südteil. Im Norden kann man hinauf mit der Breitspitzbahn, dem Kopsseelift I und dem Kopsseelift II, nicht zu vergessen den sogenannten „Rückbringerlift“. Das ist die Ballunspitze. In der Tourismusbroschüre heißt es: „Galtür ist anders. Und das war schon immer so. Ein intaktes Dorf in einer intakten Natur – diesem Grundsatz ist man in Galtür immer treu geblieben. Bei uns soll man vom Skilift aus noch Berge ohne Skilift sehen.“ Aha, denkt man und wendet sich von der Ballunspitze ab. Ich suche ein Zimmer. Gebucht ist eines im Haus Cultura. Das Haus Cultura liegt an der Straße. Freilich gibt es Autoverkehr dort. Kennzeichen D. Ich zähle in einer Minute: Maintaunuskreis, Stuttgart, Dannenberg, Hamburg, Fürstenfeldbruck, Kreis Borken, Minden, Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Offenbach, München, Offenburg, Freiburg, Lahndillkreis, Bamberg, Bielefeld. Ich erinnere mich, wie ich dort an der Straße stehe und dem Bielefelder hinterherblicke (drinnen eine Familie in Skianzügen), an das „Bielefelder Gesetz“. Es gibt eine Theorie, die lautet, die Stadt Bielefeld existiere nicht, sondern sei eine Erfindung von Hannoveraner Kunststudenten. Die Stadt bestehe nur aus einer Kulissenzone um den Bahnhof, ansonsten sei sie eine bloß mediale Simulation. Das Bielefelder Gesetz lautet: „Niemand kennt Bielefeld, aber jeder kennt eine Person, die schon einmal in Bielefeld war.“ Also, denke ich, handelt es sich bei den Insassen des Bielefelder Autos möglicherweise um genau jene Hannoveraner Kunststudenten, denen es einen Heidenspaß macht, hier mit diesen absurden Skianzügen herumzufahren und eine Bielefelder Skitourismusfamilie zu mimen. Eine Idealsimulation. Ich frage die Wirtin, warum das Haus „Cultura“ heißt. Ob es neben dem Pensionsbetrieb eine im weitesten Sinne kulturelle Einrichtung sei, eine Art maison de la culture. Sie sagt nein. Sie wisse auch nicht, warum das Haus „Cultura“ heiße. Da ich mein Zim-
Winterspiele
Casanova: Ich seufze nicht mehr. Frau: O, Du – Brücke, Ballon. Ich tanze für dich.
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mer nicht beziehen kann, gehe ich zum Tourismusverein und frage nach einem Zimmer ohne Maintaunuskreisler, Stuttgarter, Hamburger, Bielefelder etcetera. Also rückwärtig gelegen und straßenabgewandt. Die Angestellte sagt: Sie haben aber eigenartige Wünsche. Ich sage: Ja. Übrigens, wissen Sie vielleicht, warum jenes Haus gegenüber der Kirche „Haus Cultura“ heißt? Hat das was mit Kultur zu tun? Sie: Nein. Cultura ist der alte Name für Galtür. Eigentlich heißt das Haus Galtür. Die junge Frau drückt mir einen Hotelplan in die Hand. Ich lerne: Galtür besitzt etwa achtzig Hotels und noch ein oder zwei Dutzend Pensionen („… ein intaktes Dorf in einer intakten Natur …“). Zum Studieren des Hotelplans gehe ich in die nächstgelegene Gaststube: Die „Tiroler Stube“. Ein Hirschkopf an der Wand, ein Adler, der ein Eichhörnchen schlägt, alle tot und ausgestopft (ich mag Einhörnchen). Ein Bild des Jägers aus den Siebziger Jahren, mit der Hirschleiche im Kofferraum seines braunen Audis. Er sitzt auf dem Kofferraumrand und hält den Hirschkopf fotogerecht hoch und Richtung Kamera. (Eines verwirrt mich: Als Kind durfte bzw. mußte ich immer mehrere Wochen im Jahr in einer Pension namens Kranebitt in einem kleinen Südtiroler Ort verbringen, dort hatte es einen spezifischen Geruch, den ich hier, im Eingangsbereich der Tiroler Stube, zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren wieder rieche.) Die Täfelung der Stube stammt wohl ebenfalls aus den Siebziger Jahren, Jägerbilder, seit dreißig Jahren zugerauchte Vorhänge. Galtür bei Tag. Der Ort besteht also fast ausschließlich aus Hotels. Wäre ich nicht durch Ischgl gefahren, eine nach Cinderella-SchloßArt aufgebaute Tiroler Disney-Ski-Stadt mit Discotheken, Funclubs und Tabledance, ein allgemeinsportliches Fickificki (wie hoch aber ist die Koitalrate wirklich in Ischgl bei Nacht?), dann wäre mir Galtür noch viel grotesker erschienen. Jaja, liebe Galtürer, freilich, im Vergleich zu Ischgl habt ihr fast recht. Ein intaktes Dorf. Das heißt, der Tabledance hat die Tiroler Stube noch nicht erreicht. Also Graukäse und ein Viertel Zweigelt! Überall Touristen in Skianzügen, Wander- und Skipistenpläne wälzend. Es gibt: Tiroler Knödel, Tiroler Hauswurst, Tiroler Geselchtes, Nusseler, Waldler. Die Bedienung ist abgehalftert, der einzige Galtürer (mit Käppi und rotem Gesicht) sitzt an der Theke, angetrunken. Man-
che Kunden lassen sogar ihre Sonnenbrillen auf. Weihnachtssterne auf den Fensterbänken, Hosenträger auf den Leibern. Seit Jahrzehnten habe ich keine Hosenträger mehr gesehen. Die halbentblößten Skitouristen zeigen fast alle Hosenträger. Ach, denke ich und schaue aufs Blau und Rot und Gelb und Orange und Pink der Skihosen, wo ist das klare, reine Licht der Bilder Ruedi Baurs, wo ist der Himmel, wo der Schnee, wo ist die Seele dieser Menschen, was ist der geheime Verbund der Knödel und der Gipfel, der Strudel und der Einsamkeit im Licht der Sonne droben über den Spitzen und der Erde, dem man so nahe sein kann – gerade hier in dieser Knödel- und Strudelhölle der bunten Chemofaserleibchen und der stinkenden Holzvertäfelungen, Herr Wirt, einen Schnaps … Da kommt ein zweiter Galtürer herein! Ein Mann wie von Egger-Lienz. Kantet sich an die Theke, schaut schief, glotzt. Ein Original, vollkommen betrunken. Nicht mal die Bedienung geht auf ihn ein. Hernach kommt ein Müllmann in die Stube und entsorgt den Papiermüll. Die Kinder kriegen eine Kinderkarte und bestellen Fischstäbchen oder einen Pinocchiobecher. Zwei Alte werden unter dem Tisch zu Polarbären, sie tragen nämlich weißgraue Zottelstiefel, beide die gleichen. Der eine Alte: Gelber Rolli, Goldkettchen über dem rechten Pullibündchen, eine Uhr (dick) über dem anderen Bündchen, Hosenträger. Ach, die Deitschen! Nachtisch: Pflaumenbrand, Obstbrand, Zweigelt, Topfenstrudel, Kaiserschmarrn. Die Deitschen trinken zumeist Bier und zum Schluß: a kloans Bier. Sie tapsen in der Sprache wie draußen auf der Straße in ihren Skischuhen. Ogottogott. Ich denke immer wieder: Ogottogott. Herr Wirt, einen Schnaps ... Dein Wort sei: Jou jou, naa, naa ... (Matthäus 5,37) Und dann bin ich wieder heraus aus der Tiroler Stube. Das Zimmer, das ich finde, ist das letzte freie. Es ist eine Nebenkammer in einem zur Pension umgebauten ursprünglichen Einfamilienhaus, das Fenster geht auf einen Lichtschacht. Es ist ein Kellerloch, bunkerhaft still, bestens geeignet. Kein Licht, kein Schnee, als Aussicht nur Beton. Hier ist sie, die Wahrheit über das, was Galtür ist, ein intaktes Dorf in einer intakten Landschaft. Kein Skilift zu sehen!
Winterspiele
Kind: Alle sind schon drin. Casanova: Abgeschirmt. KreideweiĂ&#x; wie der Schnee. Geliftet.
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Draußen ist ein strahlend sonniger Tag. Alles ist weiß, Schneehöhe geschätzte zwei Meter, aber sämtliche Straßen sind natürlich frei, Kennzeichen D. Ich laufe Richtung Wirl, also Richtung Ballunspitze, die Dreckspuren im Blick, die sich tatsächlich langsam in Skilifte verwandeln. Westlich von Wirl beginne ich den Aufstieg zwischen Ballunspitze und Fädnerspitze. Es geht ein schneidender Wind, das Atmen fällt schwer. Zwei, drei Windungen die Schlucht entlang, und fort ist dieses Wirl und dieses Galtür, jetzt ist nur noch Schnee und Sonne da, ich denke an das Licht und die Bilder Ruedi Baurs und frage mich, ob er die menschenleeren Bilder wählen wird, die Bilder ohne Menschen, wie hier, denn hier sind keine Menschen (abgesehen von mir, aber ich zähle nicht, ich trage keine Skihosen und keine Skischuhe, ich trage einen Stutzer, dunkelgrau). Nur hin und wieder kommt mir ein Trupp demonstrativ ausgelassener Touristen entgegen, und einmal versucht ein Langläufer zu mir, dem Fußgänger, aufzuschließen, kapituliert aber vor der Steigung und läßt sich wieder zurückfallen. Ich bin allein. Ich notiere: Nur wenige Nadelbäume halten die Abgänge aus. So wirkt der Schnee fast kahl. Mitten im Aufstieg ragt etwas aus der ansonsten reinen, weißen Fläche des Schnees. Ich stapfe hin und beginne es freizulegen. Es kommt ein Schild zum Vorschein, ich wische den Schnee ab. „Fischen verboten“. Hm. Erst ein Blick auf die Karte belehrt einen: Man ist in der Zeinisbachli-Schlucht. Im Sommer sind hier also Brunellen, Thymian, Kuhschellen, Veilchen, Gundermann, Ehrenpreis, Glockenblumen, Hauhechelbläulinge, Admiralfalter, jetzt ist hier nur Schnee. Der Schnee und sein Betrachter. Es geht in den späten Nachmittag hinein, die weißen Wände der Spitzen werden röter und röter, manche gehen in Wolken über. Die Schatten der Hüttchen werden länger wie die von Wichtelzwergen am Abend. Von oben aber ist alles weiß. Die Häuser halb im Schnee versunken, die Menschen noch nicht. Aber irgendwie doch … Vielleicht liegen sie alle hier unter dem Schnee, die Touristen der letzten einhundertzwanzig Jahre, seitdem das Paznaun ein Skiparadies für auswärtige Gäste ist. Man wartet auf einen ewigen Schnee, auf einen Abgang für ewig ... Und immer menschenleerer wird es hier oben, auch im Kopf. Der Betrachter löscht sich zusehends aus in diesem Schnee und diesem Licht. Oben die Silvretta:
Die Landschaft wird immer kleiner, die Berge auch, wie Scheinriesen, der Schnee wirkt nun fast zärtlich. Das Land liegt da wie ein zerknittertes Papier auf dem Tisch eines Giganten. Man selbst ist ein Gigant, ein winziger. Man steht der Welt auf der Schulter und lugt über sie hinaus. Man ist zu hoch für die Menschen und die Häuser, man sieht nichts mehr davon. Hier oben ist das schiere Nichts: die Welt. Indem ich später wieder ins Tal gehe, werde ich größer, ja, ich werde größer, indem ich wieder kleiner werde, und etwa bei Höhe zweitausend Meter bin ich wieder vorhanden, entlöscht, wieder ein Mensch, und es kommen mir auch die ersten Menschen entgegen, hinaufwärts, sie winken, ich winke zurück und denke: diese Silvrettaschopenhauers. Ich habe einen Augenblick über der Welt geschwebt, eine reine Anschauung, ein bloßes Auge, wie die da wohl auch, wie Ruedi Baur, wie eben alle hier, alle lieben sie die Gipfel und die Berge und wollen hoch hinaus und wedelnd wieder hinunter. Zurück ins Tal, nach Wirl, nach Galtür. Es ist doch nicht alles weiß hier. Die weißen Häuser wirken gegen den Schnee verschmutzt. Es wird Abend. Ein Langläufer fotografiert in der Loipe seinen Hund beim „Mach Sitz!“. Der Hund ist brav und macht Sitz. Der Hund ist schwarz. Was er wohl von den Bergen weiß? Von den Knödeln? Immerhin: er kann wedeln, Wedeln ohne Schnee. Wedeln im Schnee ohne Schnee. Das kann kein Mensch hier. Cheese! Vor der Nacht informiert man sich in der heimatkundlichen Literatur, die in der Pension ausliegt. 1875: Galtür besteht aus einer Kirche, einem schlechten Gasthaus und sieben bis acht elenden Bauernhütten. Damals also noch kein „intaktes Dorf in einer intakten Natur“. Die Trisanna entsteht in Galtür aus dem Jambach und dem Vermuntbach … Schlucht = Gfäll … Seehöhe 1580 Meter. + 3 Grad Celsius Jahresmittel. 164 Tage durchschnittliche Schneebedeckung. Wintermitteltemperatur: – 5, 6 Grad Celsius Walddichte: 3 %. Es heißt: „Der größte Reichtum von Galtür sind die Steine“.
Winterspiele
Frau: Talk with me. Kind: Der Schneeball ist ein Stern. Die Treppe rollt auch?
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Fehlen des Waldes = Lawinen (Abgänge). Geschichte: Grundherrschaft der Marienberger, im 15 JH Niemandsland, als Allmende genutzt. Bebautes Land – Cultura – Cultüra. Das berühmte Zeugnis: eine Zinsanweisung aus dem Jahre dreizehnhundertzwanzig: „Homines dicti de Cultaur“. Ballun – val – Tal. Man lernt Paznaunerisch. Lateinisch vallis. Talspitze. „Auch das kleinste Tal mündet irgendwo in die weite Welt.“
dreeeaaaaamer, dreaming my life away … Jetzt erst erinnere ich mich und notiere, was in Wirl war. Dort war Udo Jürgens, superlaut, die ganze Loipe hoch. Und hier bei Sabine? Nein, die Musik ist immerhin leise. Überall höre ich hessisch hier im Paznaun und bei Sabine. Eine der Schwestern: Und wo übernachten Sie? Ich: Im Montania. Sie: Bestimmt schön! Ich: Nun ja. (Vom Lichtschacht sage ich lieber nichts.)
Der Ort Galtür ist jedem bekannt seit dem dreiundzwanzigsten Februar neunzehnhundertneunundneunzig. Jeder Tag in der weiten Welt ist einer zuviel, wie immer.
Zweite Station der Nacht: Café Günther. Dort sind die älteren Damen und Herren bereits beim Absacker. Rhythmisierter Toilettengang, die einen gehen ab, die anderen kommen wieder. Der Wirt (er trägt Filzpantoffel) rührt Topfen für einen Strudel, aber bloß als Beschäftigungstherapie, denn er rührt immer nur wenige Sekunden, dann redet er weiter mit einem Bekannten und lehnt dabei den Arm an den Tresen wie sein eigener Kunde. Auf dem Schrank ein Bierkrug mit zwei Henkeln, der wie eine Brezel aussieht. Oder das Emaille-Schild: „Wo eine Wille ist … ist auch ein Bier.“ Im Radio wird die Ernst-Mosch-Gold-Edition beworben („in bester Tonqualität“).
Ich habe einmal eine Familie Wacholderdrosseln gesehen; eines der Jungen wurde von einem Raubvogel geholt. Zwei Minuten war die Familie in hellster Aufregung, Warnrufe, Warnflüge, dann allgemeine Beruhigung. Kurze Zeit später war nichts mehr zu merken. Alles sah aus wie immer. In die Köpfe der Drosseln schaut niemand hinein. Wäre ich zwei Minuten später vorbeigekommen, wäre nichts zu ahnen gewesen. Ich hätte eine Wacholderdrosselfamilie gesehen, friedlich auf einer Wiese … Einfach da, wie Bielefeld … Wer schaut da hinein? Galtür sieht aus wie immer, und jetzt ist es schon Nacht. Erste Station: Hotelrestaurant Sabine, Familie Kathrein. Ich notiere: Die Schlange am Salatbuffet, überall diese Ski-Hintern, jetzt in Jeans. Überhaupt dieser Kleiderordnungswechsel ab achtzehn Uhr abends, die alten Damen und Herren sind jetzt wieder alte Damen und Herren, letztere in Kordhosen und immer diese kleine Spur zu ausgelassen, wie in leichtem Fieber. Nur das Gesicht ist noch wie am Mittag, unausgewechselt, rot. Man ißt: Paznauner Käsespätzle, abgeschmelzt, mit gerösteten Zwiebeln. Sie erinnern an das Nationalgericht der armen Slowaken, Haluzni. Wie war das hier vor dem Beginn des Tourismus? Aus dieser Zeit müssen diese Spätzle stammen. Früher kam man von der Arbeit. Heute vom Skifahren. An der Theke zwei Schwestern, sie kämpfen am Hahn, als das Bierfaß leer ist. Da alle Plätze belegt sind, speise ich am Tresen. Radio. I’m just a
Ein Paar (A): „Wir kommen schon einundzwanzig Jahre hierher. Nur dreimal waren wir nicht hier.“ Das Nachbarspaar (B): „Dann fahren Sie von Bochum?“ A: „Nein, von Duisburg.“ B: „Wir kommen mit dem Bus, von Landeck.“ A: „Bekannte von uns haben das auch immer gemacht. Die Sauerlandlinie war bis Würzburg frei, aber wir haben trotzdem acht Stunden gebraucht. Immerhin haben wir keinen Stau gehabt.“ Im Café Günther trinkt man Fohrenburger Bier. Irgendwo im Raum höre ich den Satz: „Mein Mann ist auch schon drei Jahre zu Hause.“ (Im Augenblick ist er wahrscheinlich auf der Toilette.) B: „Wir fahren am dreißigsten März jetzt nach Japan. Vier Wochen Japan und noch zwei Wochen Bangkok. Jaja. Unsere Schwiegertochter hat uns zwei Tickets geschenkt. Die Kanaren waren bei uns bislang das weiteste.“ A: „Kreta, Syrien, Tunesien, Mazedonien, bald haben wir alles durch. Unten wie oben und links wie rechts.“
Winterspiele
Casanova: Klar. Eis. Der Friede als Hof. Frau: Du bist blau. Wolf: Ich war einmal allein. Mann: Kreuz und quer fahren wir ab.
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Ein weiteres Paar (C): „Wir waren auch überall! Honduras, Mexiko, China, Norwegen. Zwanzig Jahre sind wir nach Jugoslawien gefahren. Wir sind das letzte Mal … also da war gerade der Krieg ausgebrochen, da sind wir nicht mehr hin.“ A: „Und wir mußten über Bulgarien fliegen. Kennen Sie das? Wir waren mal drei Wochen da. Total einsam. Deprimierend. Verrostete Telefonmasten. Da wird man tot von. Bulgarien ist ab acta.“ A, ab, e, ex, de, cum, sine, pro und prae haben stets den Ablativ. Deklinieren in Galtür. Gibt es, analog zu Bielefeld, ein Galtürer Gesetz? Wo ein Wille ist, ist auch ein Ablativ. Quadratsch, praktsch, gutsch. Ich glaube, ich sitze vor meinem fünften Viertel. Wo ein Wille ist, ist auch ein Schlund. Der anämische, ziegenbärtige Wirt ruft ein zackiges Auf Wiedersehn!, als sein Kamerad geht. In der Ecke sitzen jetzt Würfelspieler. Polkavolksmusik bei Günther. Mit dem Finger testet der Wirt die Frischheit des Kuchens in der Vitrine, läßt auch einen weiteren Kameraden testen, dann stellt er den Kuchen zurück. Er wird wohl wissen, wie viele Tage der alte Kamerad (Topfenstrudel) in der Vitrine auf dem Buckel hat. Hier enden meine Notizen. Die dritte Station. Faßdaubenrennen um Mitternacht. Man steht an einer ausgeleuchteten Piste, nachts ist es wie immer am hellsten. Hier ist das Licht, das kein Fotograf je aufnimmt, das Licht des Glücks, das Licht der Seele, das Licht der Nacht. Man wechsle nur den einen Konsonanten, man mache aus dem Hauchlaut einen Explosivlaut, und aus Nacht wird Nackt. Aber soweit sind wir nicht. Noch köchelt die Stimmung. Nachts ist es wie immer am lautesten. Ein Animateur stellt die Rennteilnehmer vor. Und nun kommt der Toni (Doni), der Toni hat heuer zum ersten (erschten) Mal (Mol) auf den Skiern gestanden, und nun kommt er schon zum ersten Tor, da ist er schon der Toni (Doni) am ersten Tor (Dor) etcetera etcetera. Aufgabe dieses Rennens bzw. Inhalt dieses Amusements ist es, daß der Doni oder der Schorschi oder die Gisela möglichst bald und lustig auf dem Hintern liegen und die Menge johlt und sich freut, denn freilich hat man schon den ein oder anderen Frozen Daiquierie oder Caipirinha oder Jägermeister oder die ersten vier Liter Bier getrunken. Ich in meinem dunkelgrauen Stutzer wir-
ke unter all diesen lustigen und ausgelassenen Leuten wahrscheinlich wie ein Blockwart. Aber ich bin nicht zum Skifahren hier, sondern zum Schreiben, und Schreiben hat etwas, im Gegensatz zu Skifahren, mit Wahrheit zu tun. Skifahren ist wahrheitsresistent. Und die Wahrheit ist kein Sport, so wenig wie das Leben. Also, kurz: Statt Skier haben sie Faßdauben unter die Füße geschnallt, wie früher. Ein Retro. Man ist ja urtümlich. Spätzle, wie damals, wie die Paznauner Bauern, und die Schnäpse, jaja. Die heißen nicht Astro-Beere oder Fun-Korn oder Mega-Apfel, sondern Paznauner Obstgeist oder Urgeist oder Alter Edelgeist bis hin zu Mirabellenbauerngeist etcetera. Es scheint mir, daß die meisten für diesen Event wieder ihre Tagesklamotten angelegt haben, nur die Jacken stehen jetzt offen, denn man ist erhitzt. Die Jungen und die Sportlichen geben sich dabei, es ist ja Nacht, eine zunehmend laszive Note, kurze Tops unter Skijacken, aber das geht für hier schon wirklich weit, die betreffenden Damen sind mehr als nur naturbraun, selbst für Skihaserln, und sie hüpfen und hüpfen, als der Schorschi sich in den Schnee und auf den Hintern legt, sie hüpfen alle ein wenig demonstrativ. Was für Sehnsüchte liegen hier blank! Und was für Erfüllungen hat dieser Ort parat? Später nur noch einzelne Beobachtungen: Nicht wirklich viele Leute kotzen in diesen Nächten in Galtür, nicht wirklich hemmungslos werden die Gäste, nicht wirklich orgiastisch wird es in Galtür, dem intakten Dorf in intakter Natur, wo man vom Skilift aus noch nicht lauter Skilifte sieht. Nur im Hotel Giselle stehen zwei Mädchen auf den Bänken und entkleiden sich zu rhythmischem Biergegröhle … Nun ist es wirklich Nacht und schwarz, die Lichter aus, nun sieht man gar nichts mehr. Die einen sind nach Ischgl gefahren, die anderen haben sich neben ihre Ehebären ins Bett gelegt, und in den Hotelzimmern mit Fernseher werden die einen schlafen und die anderen Blue Movies schauen und onanieren. Ich schaue auf den Luftschacht. Auch dort ist es schwarz, wie überall. Am Ende nehme ich noch einmal die Notizen vor und formuliere endlich das Galtürer Gesetz, das Gesetz der Intaktheit dieses Galtür. Dann kann ich schlafen. Galtürer Gesetz: Jeder, der nach Galtür kommt, weiß, daß es in Ischgl noch viel schlimmer ist.
Bekanntschaften
x = Natur – Kunst oder
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Im Stillen
Der Mailänder Komponist Niccolò Castiglioni (1932–1996) hatte Mitte der achtziger Jahre eine Wohnung im Zentrum von Brixen bezogen. In der Stadt kannten ihn alle als den „Professor“ – wenige waren sich seines geistigen Horizonts bewusst, der weit über die Wipfel und Kuppen der geliebten Provinz hinausragte. Von Alessandro Solbiati Niccolò Castiglioni war einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Jeder, der seine Werke hören konnte und sich des komplexen Entwicklungsweges der europäischen Musik in der Nachkriegszeit bewusst ist, weiß dies mit Bestimmtheit. Warum also scheint sein Name, acht Jahre nach seinem Tod im September 1996, so selten in Konzertprogrammen auf? Trotz der allgemeinen Ächtung, unter der die sogenannte „zeitgenössische Musik“ zu leiden hat (ein wenig tauglicher Terminus für das Musikschaffen der letzten 60 Jahre), gibt es Komponisten, deren Namen öffentlich bekannt sind – zumindest jenen, die sich für kulturelle Belange interessieren. Ich denke dabei insbesondere an Luciano Berio, Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen. Für Niccolò Castiglioni gilt das bislang nicht, wiewohl er ähnlich „bedeutsame“ Musik geschrieben hat. Dabei zeichnet sie sich, wie wir noch sehen werden, durch Frische und Natürlichkeit aus, womit es ihr gelingen sollte, die bekannten Barrieren des Misstrauens gegen nicht-tonale Musik zu überwinden. In der Tat wäre dieses leidenschaftliche Plädoyer für Castiglioni gänzlich überflüssig, könnte der Leser einige Beispiele aus seinen Werken hören, von den Tropi (1959) über Inverno in ver ( 1971) bis zu Cantus planus (1990). Die „verspätete Breitenwirkung“ teilt Castiglioni mit einigen jüngeren und älteren Komponisten, die er sehr schätzte. Ich nenne hier in rückläufiger chronologischer Folge: Bruno Maderna, Gustav Mahler und Franz Schubert. Diese Namen habe ich nicht zufällig gewählt. Viele Musiker sind erst nach ihrem Tod in den Olymp der Berühmtheit aufgestiegen, aber die genannten haben
viele Gemeinsamkeiten, die auch auf Castiglioni zutreffen. Zuallererst verbindet sie ihre kulturelle Beheimatung, sei sie nun österreichisch-ungarisch oder deutsch-österreichisch. Von Schubert und Mahler einmal abgesehen möchte ich daran erinnern, dass Bruno Maderna wohl ein Venezianer war, wie er im Buche steht, jedoch 1920 in einem Venedig voller österreichischer Prägungen geboren wurde, den Großteil seines Lebens in Mailand und Darmstadt (wo er auch starb) zubrachte und viele seiner Manuskripte mit deutschsprachigen Eintragungen versah. So verhält es sich – wie es der Zufall will – auch mit einigen Partituren Niccolò Castiglionis, und dieses Detail ist insofern bemerkenswert, als es sich nicht einem biografischen Automatismus (familiäre Herkunft, längere Auslandsaufenthalte o.ä.) verdankt, sondern einer echten „Wahlverwandschaft“ mit Österreich, insbesondere mit Tirol. Zahllose Hinweise darauf finden sich in der kurzen und überaus sympathischen Autobiografie (veröffentlicht als Einleitung zu einer vom Musikwissenschaftler Renzo Cresti verfassten und Castiglioni gewidmeten Studie): „Meine erste Klavierlehrerin war Wienerin, verheiratet mit einem Dalmatier italienischen Namens (…) Sie erinnerte sich sehr gut daran, Gustav Mahler als Dirigent gehört und gesehen zu haben. Ihr Gatte war ein exzellenter Maler, den letzten Ausläufern der Klimt-Ära zugeneigt. (…) Ihr Geschmack war typisch wienerisch“. In einem anderen Text, der von Alef handelt, einem Werk für Oboe solo, schreibt er diesem Instrument ländliche Charakteristika zu, das „Holz einer Bergglocke oder die Ornamentik einer handgewebten Decke aus dem Trentino“. Mahler und Schubert stehen für ein leidenschaftliches Naturempfinden, eine Natur, die unwiderrruflich auf
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Bestimmtheit des Unbestimmten
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sich selbst zurückweist und dabei die Sehnsucht nach einem verlorenen Zustand der Reinheit, Ursprünglichkeit und elementaren Unschuld weckt, wobei die eigene Kindheit und jene der ganzen Welt einander durchdringen. Dazu findet sich in der bereits erwähnten Autobiografie von Castiglioni ein erhellender Satz. Mit Bezug auf seinen besten Freund schreibt er: „Uns verbindet eine große Liebe zur Ordnung (aus meiner Sicht eine grundlegende Eigenschaft musikalischer Kunst), zur antiken Kunst (vor allem zur Malerei), zur Natur, zur Bergwelt, zu Südtirol. Ihm verdanke ich die Entdeckung eines wunderbaren Südtiroler Ortes: Tiers, am Fuße des Rosengartens gelegen, ein Dorf, das noch nicht durch den Tourismus korrumpiert worden ist“. Wenn wir uns diese „Vorlieben“ nun vor Augen halten, wird begreiflich, dass ein ideelles Band Castiglionis Leben zusammenhält: Österreich/Südtirol – die Bergwelt (Schnee, Unschuld, Reinheit) – Natur – Ordnung. Von Ordnung ist die Rede, nicht etwa von Pedanterie, wohl aber von Wesentlichkeit und Notwendigkeit, von den unverzichtbaren Voraussetzungen künstlerischen Schaffens, die von weiten Räumen und dem Schweigen der Berge trefflich symbolisiert werden. Lesen wir in diesem Zusammenhang noch einen letzten Satz: „Vor Jahren, als ich das Tierser Tal spazierend und wandernd durchstreifte, schien es mir, als würde aus dem Bett des musikalisch flüsternden Baches – wunderbar im Schweigen der Wälder und der Bergjöcher – und aus der Talsohle, einer Ausströmung oder einem geheimnisvollen Nebel gleich, die Stimme der großen Mystiker des Mittelalters emporsteigen: Sankt Anselm, Sankt Bonaventura, Heinrich Seuse, Sankt Bernhard usw.“ An dieser Stelle wäre ein neues und umfassendes Kapitel aufzuschlagen, das hier freilich nicht erschöpfend behandelt werden kann: die tiefe Religiosität und die außergewöhnliche Bildung des Autodidakten Niccolò Castiglioni. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, die Castiglioni mit den erwähnten großen Komponisten teilt und die für die „verspätete Würdigung“ seines Werkes entscheidend verantwortlich sein dürfte: Im
Laufe der Geschichte haben sich Künstler in unterschiedlicher Weise zu ihrer zeitgenössischen Kultur, zu ihren Tendenzen und Strömungen verhalten. – Beginnen wir mit der uninteressantesten Kategorie: Künstler, die sich ohne Zögern jeder Strömung anschließen, um ihre innere Ausdrucksleere „modisch“ zu kaschieren; man hat sie schon tags darauf vergessen, Beispiele anzuführen scheint mir entbehrlich. Oder solche, die jedwede „Gefahr“ der Innovation meiden und sich gern als Verteidiger althergebrachter Werte ausgeben. Tatsächlich sind sie lediglich steife Akademiker von mäßiger Bedeutung. Auch hierzu muss man keine Namen nennen. Es gibt noch zwei weitere Kategorien von Künstlern: Zunächst solche, die als echte Revolutionäre nicht nur neue Strömungen verkörpern und verfechten, sondern auch den Mut aufbringen, Ballast abzuwerfen und die dürren Äste der Tradition abzuschneiden; sie tragen das Risiko und haben das Verdienst, unerforschte Territorien zu erschließen. Es handelt sich dabei im Allgemeinen um starke Persönlichkeiten, die sofort „für Schlagzeilen sorgen“ – das aber nicht ohne Gefahr. Einerseits treten sie mit heiligem Ernst die „Flucht nach vorne“ an und begeben sich damit in eine prophetische Isolation ohne Entkommen. Andererseits, und das ist ungünstiger, werden sie mit der von ihnen begründeten und definierten neuen Strömung so sehr identifiziert, dass sie teilweise rasch altern und somit unversehens als „überholt“ erscheinen. Denken wir beispielsweise – freilich mit dem gebührenden Respekt – an John Cage: Seine genialen Kontroversen mit dem Strukturalismus haben eine neue Ära eröffnet, die niemand übersehen konnte. Zugleich aber tragen viele seiner Werke die Züge der „60er Jahre“ und altern mit den Jahren. Man dürfte nun die letzte Kategorie erahnen, die sich in meinen Augen durch noch größere Weitsicht auszeichnet. Es handelt sich um Künstler, die sich im vollen Bewusstsein ihrer Zeitläufte nicht darauf beschränken, den „Zeitgeist“ zu repräsentieren, sondern sich durch und nicht gegen ihn soweit vorwagen, dass sie ihn aus olympischem Blickwinkel, gewissermaßen „von oben“ betrachten können. Sie verweigern sich modischen Tendenzen und erahnen je-
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x=x oder
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ne zukunftsträchtigen Entwicklungsstränge, die womöglich unmittelbar wenig nachvollziehbar sind, jedoch „universellen“ Charakter tragen. Solchen Künstlern ist es gelungen, sich im Stillen, fernab vom Geschwätz über Neuigkeiten, eine persönliche und zugleich universale Welt zu schaffen, gestärkt durch ihre absolute Aufrichtigkeit. Hierzu nun einige Beispiele: Das Schubertlied musste im Wien des 19. Jahrhunderts klein erscheinen, oder aber unnötig komplex (auf harmonischer wie auch auf einer tieferen Bedeutungsebene), wenn man es der Musik der neuen Wiener Walzerkönige gegenüberstellte. Viel später erst wurde erkannt, dass die tiefe und universelle Wahrheit des romantischen Menschen gerade im Liedschaffen Schuberts beheimatet ist. Desgleichen dürften die Gassenhauer und die volkstümlichen Rhythmen und Klangfarben in Mahlers Symphonien nur schwer mit der großen deutschösterreichischen Symphonik zu vereinbaren gewesen sein. Nur ein „Sommerfrisch-Komponist“, dessen „eigentlicher Beruf das Dirigieren war“, konnte sich erlauben, den kulturellen Auflösungsprozess, den dramatischen Facettenreichtum des beginnenden 20. Jahrhunderts musikalisch in Szene zu setzen. All dies wurde erst viele Jahre später begreiflich. Schließlich konnte ein weiterer großer Dirigent, aber unbeständiger Komponist wie Bruno Maderna (ich gebe hier eine bis vor kurzem gängige Meinung wieder) jenseits aller strukturell-seriellen Zwänge und mit sehr viel Geschmack eine klar konturierte Orchestralität entwickeln und sich mit Stücken wie Aura oder Quadrivium den Wunschtraum eines neuen Melos erfüllen. Das sind Werke von großer Ausdruckskraft, die bei ihrem Erscheinen allerdings als etwas „einfach“ und kompositorisch oberflächlich erachtet wurden. Ich bin der Ansicht, dass Niccolò Castiglioni dieser letzten Kategorie zuzuordnen ist und dass die Prägnanz seines Schaffens in voller Größe erst dann zu Tage treten wird, wenn es gelingt, die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts etwas mehr aus der Vogelperspektive zu betrachten.
Sein kompositorischer Werdegang lässt sich ohne große Mühe in vier Phasen unterteilen: Frühwerk Wie viele andere – vor allem italienische – Komponisten seiner Generation (er wurde 1932 geboren) erhielt er eine grundsolide akademische Ausbildung. Castiglioni schloss seine Klavier- und Kompositionsstudien am Mailänder Konservatorium in den Jahren 1952/1953 ab, im selben Jahr und am selben Konservatorium wie Luciano Berio. Dabei fällt auf, dass er um einige Jahre jünger als die anderen aufstrebenden Komponisten des In- und Auslands war, so etwa 12 Jahre jünger als Maderna, acht Jahre jünger als Nono, sieben Jahre jünger als Berio und Boulez, fünf Jahre jünger als Donatoni, vier Jahre jünger als Stockhausen. Das bedeutet, dass seine akademische Ausbildung nicht als zwingende Konsequenz der kulturellen Abschottung in der Zeit des Faschismus zu begreifen ist. (Als direkte Folge hatten viele junge Komponisten, darunter Berio, die Werke der Zweiten Wiener Schule erst nach Kriegsende kennen gelernt.) Castiglionis Ausbildung hingegen ging eine klare Richtungsentscheidung voraus, getroffen aus der eigenen Notwendigkeit einer inneren Ordnung („… Ordnung, aus meiner Sicht eine grundlegende Eigenschaft musikalischer Kunst …“). Unübersehbar ist auch die Frühreife des Studenten und Komponisten. Seine ersten Werke, das Concertino per la notte di Natale (1952) oder die beiden Sinfonie aus den Jahren 1956 und 1957, von denen sich ihr Autor in den nachfolgenden Jahren distanzierte, waren keine belanglosen Übungsstücke eines Schülers. Ihre stilistische Prägung erinnert im ersten Fall an Strawinsky und im zweiten zuweilen an die Spätromantik (an Zemlinsky, wie Castiglioni selbst bekannte). Es handelt sich dabei nicht um Ergebnisse eines noch nicht abgeschlossenen Lernprozesses, sondern um klare künstlerische Entscheidungen. Sie zeugen von einem nicht konfliktuellen, sondern bereichernden und fruchtbaren Zugang zur modal-tonalen Tradition, der sich viele Jahre später noch einmal manifestieren sollte, was mit allgemeinem Unverständnis quittiert wurde. Bemerkenswert ist, dass die angeführten Jugendwerke rasch an bedeutenden Stätten und von bedeu-
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das Material spricht (stimmt).
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tenden Interpreten uraufgeführt wurden (Biennale von Venedig, RAI Rom, Salzburger Festspiele …). Castiglioni war somit ein frühreifer Komponist, der frühzeitig „verstanden“ wurde. Darmstadt usw. Im Jahre 1957 besuchte er erstmals die Darmstädter Ferienkurse, den Tempel der Avantgarde, eine Pflichtetappe jedes jungen Komponisten. Auch dort feierte er als Jüngster seiner Gruppe rasche und beachtliche Erfolge, mit Arbeiten wie Cangianti (1959) für Klavier, Tropi (1959) für sechs Instrumente, oder Synchromie (1962 – 63), einem bedeutenden Auftragswerk des Westdeutschen Rundfunks Köln. Aber gerade in diesen Jahren des blitzartigen Erfolgs beim Publikum wie auch beim Establishment der Darmstädter Schule entwickelt Castiglioni seine Befähigung, „über den Dingen“ zu stehen, sich von kämpferischen Attitüden nicht allzusehr beeindrucken zu lassen („… denn es steht außer Zweifel, dass die Avantgarde zu Zeiten des Kalten Krieges und des Neokapitalismus Gefahr lief, aufgrund des persönlichen Ehrgeizes ihrer Vorkämpfer in kindischem Akademismus oder konsumistischem Hedonismus zu erstarren – Symptom einer – o weh – beinahe unglaublichen Dosis an Dummheit.“). Seine Musik in Tropi und Cangianti klingt frisch und kristallin. Ihre Neigung für hohe Tonlagen, ihre Gegenreaktion auf den herrschenden gestrengen Pointillismus mittels der Erfindung von Arabesken voller Atem und Verspieltheit, jedoch bar jeglicher oberflächlichen Ornamentik, ihr verloren geglaubter formaler Erzählcharakter, die Rückeroberung des Staunens über musikalische Momente von purer Klangfarbenschönheit (etwa im zentralen Teil der Tropi, die von anderen Komponisten aus Angst vor „neoimpressionistischen Rückfällen“ gemieden wurden) – all dies irritiert in Darmstadt, und es wirkt zugleich anziehend. Einige Jahre lang steht Castiglioni tatsächlich auf dem Gipfel des Erfolgs. Amerika Zwischen 1966 und 1979 lehrt Castiglioni an einigen US-amerikanischen Universitäten und entfernt
sich dabei vom europäischen Ambiente. Nach seiner Rückkehr beginnt er mit der Aufarbeitung tonaler Materialien (Materialien, nicht Systeme), die seiner Musik zu noch größerer Transparenz verhelfen, ohne dabei Einbußen an Präzision und Stringenz zu verursachen. Aus dieser Auseinandersetzung geht sein Meisterwerk „Inverno in ver“ (1972) für Orchester hervor, wie auch andere Arbeiten, die die „siebziger Jahre“ als seine dritte Phase erkennbar werden lassen. Sie ist von hoher kompositorischer Reife geprägt, wendet sich aber zunehmend vom aktuellen musikalischen Zeitgeist ab. Castiglioni lebt und arbeitet nun in größerer Abgeschiedenheit. An der Schwelle zu den achtziger Jahren, als sich in Mailand die Erben der Avantgarde und junge neotonale Komponisten hitzige und zuweilen unerquickliche Gefechte liefern, ist er einerseits zu musikalisch, um die Ausweglosigkeit einiger intellektueller Fallen zu übersehen, in die er schon zwanzig Jahre zuvor nicht getappt war. Andererseits ist er zu hellhörig und zu gebildet, um seine diatonische Kultur mit einer oberflächlichen und wiederum militanten Neotonalität zu vermengen. So hält er beide Strömungen auf Distanz. Wahre Einfachheit Seine Musik bewegt sich währenddessen auf eine extreme Vereinfachung zu, ähnlich den vielen kurzen Gedichten Hölderlins aus den „Jahren im Turm“ oder auch dem Werdegang eines weiteren großen, wenig älteren und ebenfalls zurückgezogenen europäischen Komponisten: György Kurtág. Castiglionis Handschrift (nicht nur die musikalische) wandelt sich zu einer Kinderhandschrift, auch die Titel seiner Stücke klingen kindlich verspielt: Musichetta (1988), Romanzetta (1990), Filastrocca (1990) usw. Vielen war es ein Leichtes, voreilig daraus zu schließen, Castiglionis Schaffen habe sich auf verstörende Weise zurückentwickelt. Ich selbst war während dieser Jahre ein junger, ebenfalls etwas militanter Komponist. Wiewohl meine Übereinstimmung mit dem Menschen Castiglioni ungetrübt und unvergesslich war, irritierten einige seiner jüngeren Werke auch mich. Es bedurfte einiger Jahre und einer neuen Urteilsperspektive, um zu erkennen, dass diese Simplifizierung tatsächlich wahre
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Was ist die Verkleinerungsform von Land? *
* siehe: Seite 51, 2. Spalte, Zeile 15 50/51
Einfachheit darstellt, die Wahrhaftigkeit eines Menschen, der nichts und niemandem mehr etwas beweisen muss, dass einige seiner Stücke, wie Cantus planus oder Momenti musicali (1991) zeitlose Meisterwerke sind. Da ich meine persönliche Beziehung zu Niccolò Castiglioni bereits angesprochen habe, drängt es mich abschließend zu einigen Anmerkungen zu seiner Person, die in gewisser Hinsicht mit seinem Werk untrennbar verbunden ist. Der hohe Wuchs, der starre Blick, manchmal durchdringend, manchmal abwesend oder in unergründlichen Gedanken versunken, seine bedächtige und hohe Stimme, die an seine bassschlüsselarmen Partituren erinnert, jene unergründliche Mischung aus entwaffnender Naivität (eines Menschen von ganz außerordentlicher musikalischer und philosophischer Bildung) und fulminanter Intuition, die Güte des reinen Menschen, gepaart mit dem Schalk eines Lausbuben, die „russische“ Unschuld, der ganz unerwartet eine spitze Bemerkung folgen konnte – dies alles entspricht dem klaren Klang seines späten Schaffens wie auch dem transparenten Erzählcharakter seiner Jugendwerke. Zwei Anekdoten, die mir am Herzen liegen, sollen das Bild vervollständigen. Im Juni 1996, drei Monate vor seinem Tod, befand ich mich im merkwürdigen, südtirolerisch anmutenden Wohnzimmer Castiglionis in Mailand, um Informationen aus erster Hand über sein berühmtestes Klavierstück Cangianti zu sammeln. Ich war mit Bleistift und Notenblättern ausgerüstet, zumal ich einige technische Auskünfte zum kompositorischen Verlauf des Stückes erwartete, über den ich später an einem Fachinstitut zu berichten hatte. Ich ging davon aus, dass Niccolò meine Frage nach der Klavierliteratur, die ihn damals, in jungen Jahren, beeinflusst hatte, mit Verweisen auf Boulez oder Stockhausen beantworten würde. Doch seine Antwort verblüffte mich vollends: „Damals liebte ich Mendelssohn sehr, und ich bezog mich auf seine ‚Lieder ohne Worte‘“. Wenig später, als ich ihn darauf hinwies, dass eine wiederkehrende pianistische Passage Reprisencharakter trage, entgegnete er mit dem Gesichtsausdruck eines Kindes, das mit dem Finger im Marmeladenglas überrascht wird: „Warum, darf man das nicht?“
Zwei Jahre zuvor, ebenfalls im Juni, war ich Mitglied einer Prüfungskommission für die Unterstufe des Kompositionsstudiums am Mailänder Konservatorium. Es galt, die Versuche eines jungen Kandidaten im historischen Stil zu beurteilen, die er im Laufe eines Jahres verfasst hatte. In dieser Kommission saß an jenem Morgen, völlig abwesend, auch Niccolò. Irgendwann setzte er sich demonstrativ in die letzte Reihe der Aula, um Zeitung zu lesen, wobei ihn die Anwesenheit des Kandidaten nicht zu kümmern schien. Dieser sprach, während er seine Arbeiten aufzählte, das Wort „Ländler“ aus. Auf diesen magischen, österreichisch-schubertschen Zuruf hin senkte sich die Zeitung und Niccolò sagte, wohl vor allem zu sich selbst: „Ländler?“ Dann erhob er sich, begab sich zum Klavier und hielt vor dem verdutzten Kandidaten einen wunderbaren Vortrag über die Schubertschen Kurzformen. Als die Situation nach etwa einer Viertelstunde etwas unangenehm zu werden drohte, näherte ich mich Niccolò und flüsterte ihm zu, dass es sich hier immerhin um eine Prüfung handle und weitere Kandidaten … Da sah er mich etwas entgeistert an und sprach: „Ach ja?“, stand auf und kehrte definitiv zur Zeitungslektüre zurück. Möglicherweise habe ich mit meinem Einschreiten eine unwiederholbare Vorlesung unterbrochen. Am 15. Juli 1996, 50 Tage vor seinem plötzlichen Tod, erhielt ich einen völlig unerwarteten Brief von Niccolò, und er hinterließ mir eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, um mich darauf aufmerksam zu machen. Es ist ein langer Brief, in großen Lettern geschrieben, und mit jedem Satz wechselt das Thema. Auf Seite fünf steht ganz unvermittelt folgender Satz: „Alle erlauben sich, mich zu beleidigen, indem sie mich den ‚ großen Niccolò‘ nennen.“ Ich habe ihn zu Beginn dieses Aufsatzes „groß“ genannt, das wird mir jetzt bewusst; aber genauso ist es nun einmal.
(Übersetzung: Andreas Pfeifer)
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„x ist schön.“ (die Rose)
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„Das ist der Leib Christi, und wenn ihr ihn beißt, tut ihm das weh.“
Hans Danner auf der Suche nach ekklesiogenen Krankheiten. – Wie bitte? Vorbereitungsgebet: Laß mich Deine Leiden singen, / Dir des Mitleids Opfer bringen, / Unverschuld’tes Gotteslamm, / Das von mir die Sünden nahm. / Jesu, drücke Deine Schmerzen / Tief in aller Christen Herzen! / Laß mir deines Todes Pein / Trost in meinem Tode sein! Erste Station „Wie bitte … ?! Ekkles… was?! Einen Moment …“ Ich entschuldige mich bei meiner Abendmahlsgesellschaft, stehe vom Küchentisch auf und gehe ins Nebenzimmer, in der Hand mein Telefon. Ich solle eine Reportage schreiben, inzwischen habe ich den Auftrag zumindest akustisch verstanden: „Ekklesiogene Neurosen.“ – „Ist das ansteckend?“ Meine Frage kommt wie ein Reflex. Ich sage zu. Erst nachdem man sich über Abgabetermin und erste Recherchen verständigt hat und ich schon längst wieder nachdenklich am Tisch sitze, wird mir klar, worauf ich mich da eingelassen habe. Vor meinem inneren Auge ersteht ein skurriles Pandämonium: alte Frauen, die sich vor dem Schlafengehen mit Weihwasser einreiben, um böse Geister fern zu halten, unscheinbare Pensionisten, die vorzugsweise in Särgen übernachten, junge Mädchen, denen abwechselnd weiße Lichtgestalten und schlangengliedrige Ungeheuer erscheinen. Eingebettet in diese Vorstellungswelt verlasse ich meine feste Burg und mache mich auf die Suche nach den Neurosen. Zweite Station „Es sind nicht die besonders braven Töchter, die als Jungfrauen in die Ehe gehen, sondern die hormonell unterbelichteten.“ Berlin 1955. Der Gynäkologe und Psychotherapeut Eberhard Schaetzing sitzt an
seinem Schreibtisch und arbeitet gerade an einem Aufsatz für die Zeitschrift „Wege zum Menschen“. Immer wieder waren in den letzten Jahren Männer und Frauen in seine Praxis gekommen, die über Impotenz oder Frigidität klagten oder an der Unvereinbarkeit ihrer Homosexualität mit christlichen Leitlinien litten. Andere praktizierten Selbstbefriedigung und lebten nun in Angstzuständen in der Sündenlandschaft, in die sie sich damit begeben hatten. Endlich konnte Schaetzing die Ursache für viele dieser Leiden festmachen: Diese Neurosen waren von der Kirche verursacht, „ekklesiogen“! „Manch feinnerviger Jüngling, der auf die üble Suggestion so maßlos übertriebener Onaniefolgen hereingefallen ist, versagt als Ehemann mit vorzeitigem Samenerguss bis zur totalen Impotenz mehr oder weniger vollkommen.“ Samuel Pfeifer, Chefarzt an der psychiatrischen Klinik in Basel sieht heute in Schaetzings Artikel eine „sehr einseitige Sicht der Entstehung sexueller Störungen“. Doch auch wenn Schaetzings Schlussfolgerungen die Zeit nicht überdauern konnten, der Begriff der „ekklesiogenen Neurose“ ist bestehen geblieben und hat sich auch jenseits von sexuellen Versagensängsten durchsetzen können. Durch die Kirche verursachte Angstzustände und Neurosen wurden über die Jahrzehnte hinweg bis heute immer wieder festgestellt und diagnostiziert. Besonders anfällig für derartige psychische Störungen sind Priester, denen der Zölibat die Beschäftigung mit geschlechtlichen Dingen vorerst einmal untersagt. So berichtet der Berliner Pfarrer und Arzt Klaus Thomas im „Handbuch für Selbstmordverhütung“ bereits 1964 von 322 kirchlichen Amtsträgern, die sich aufgrund von ekklesiogenen Neurosen einer Behandlung unterzogen hätten – allein in der Lebensmüdenbetreuung Berlin.
Kreuzfahrt
„Ich habe es erfahren. Haben es wir erfahren?“ (die lauten Rosen)
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Dritte Station Soviel zu meinen Recherchen. Ich sitze am Schreibtisch, lese mir die letzten Absätze noch einmal durch und denke nach. Lässt sich dieses Thema auf diese Weise in die Hand nehmen? Wo liegen meine Neurosen und sind ekklesiogene darunter? Könnte ich sie überhaupt erkennen, wenn sie mir begegneten beim abendlichen Spaziergang durch meine Seelenlandschaft? Und dann fällt mir ein, welche Ängste ich als Kind auszustehen hatte, wenn die Hostie nach der Kommunion trotz aller von mir verwandten Vorsicht meine Zähne berührt hatte. „Das ist der Leib Christi“, war uns eingeschärft worden, „und wenn ihr ihn beißt, tut ihm das weh“. Und das wollte ich auf keinen Fall. Oder die fieberhafte Suche nach Sünden in der Pause vor der Schulbeichte, Gott sei Dank hatte man uns einen kopierten Zettel mit möglichen Verfehlungen gegeben. Und dann mein schlechtes Gewissen, als die Beichte nicht mehr verpflichtend, sondern in Eigenverantwortung zu besuchen war, und ich mich deshalb nicht mehr hinzugehen traute, weil meine Angst vor dem Satz „Meine letzte Beichte war am …“ von Tag zu Tag gewachsen war. Und warum kann ich immer noch nicht offen über meinen Glauben, meine Religion sprechen? Reicht das schon für eine Neurose? Und wer kann mir das beantworten? Vierte Station Pater Dr. Andreas Resch ist Angehöriger des Redemptoristenordens, war lange Zeit als Psychotherapeut tätig und gründete 1978 das „Institut für Grenzgebiete der Wissenschaft“ (IGW) in Innsbruck. Im Augenblick arbeitet er an einem Lexikon der Paranormologie. Dieser Mann muss der Experte sein, nach dem ich suche. Ich überfliege noch einmal die Homepage des IGW: „Gemeinsam mit der Internationalen Interessengemeinschaft Imago Mundi befasst sich das IGW mit den Phänomenen, Verhal-
tensformen und Kenntnissen in den Grenzbereichen von Physis, Bios, Psyche und Pneuma, von Beweis und Lebenserfahrung, von Gesetzmäßigkeit und Spontaneität, von Immanenz und Transzendenz und versucht diese durch Interpretation, Publikation, Information und Dokumentation einem wahrheitsgerechten Welt- und Menschenbild einzugliedern.“ Ich bin gespannt. Fünfte Station Das einfache Holztor neben der Herz-Jesu Kirche in der Innsbrucker Maximilianstraße fällt kaum auf im Schatten des benachbarten Kirchenportals. Auf einem einfachen Messingschild steht: IGW, Institut für Grenzgebiete der Wissenschaft, darunter zwei Klingelknöpfe: P. Andreas Resch und Resch-Verlag. Wie telefonisch vereinbart, klingle ich bei beiden. Hinter der Tür finde ich mich auf einem unerwartet großen, sonnendurchfluteten Innenhof wieder. Die Kirche, kleiner als von der Straße aus vermutet, zeigt mir ihre sympathisch baufällige Rückseite, ein bunter Kinderball liegt da unter einer Teppichstange im Gras. Doch da ruft schon in der Ferne eine Frau nach mir und winkt. Hierher solle ich kommen, hier sei das Institut. Erst jetzt fällt mir das flache, lang gestreckte Gebäude am Ende des Innenhofs auf. Abgetrennt durch einen mannshohen Maschendrahtzaun wirkt es ein wenig wie ein Versuchslabor für streng geheime militärische Forschungen, und als mir Pater Resch im Eingangsbereich die Hand schüttelt und erklärt, er komme gerade von einem Gespräch mit zwei Physikern, die für die NASA arbeiten, wird meine Ahnung zur Gewissheit. Jeden Moment bin ich darauf gefasst, einer Alien-Leiche auf einem Seziertisch zu begegnen. „Ich halte ja nicht viel von diesen Kirchenhetzern!“, verkündet Pater Resch in meine Richtung und führt mich durch seine Bibliothek, die mehr Thronsaal als Arbeitsraum zu sein scheint, nach oben in sein Privatbüro. Wir setzen uns. Resch, jetzt ganz Wissen-
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„x ist gut.“ Die verwandelte Wahrheit. „Schön und gut, aber.“ (lauter neue Rosen)
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schafter, lehnt sich zurück, verschränkt seine Arme und wartet. „Sie fragen, ich antworte!“ Sechste Station „Nun gar die Rhodocephalen! Ihr Haar ist straff und brennrot, sie sind mager und bleich, mit stechendem, unwirschem Blicke. Es ist dies der Blick des religiösen Schwärmers, der nach Protestantenblut lechzt und nach der siebenten Maß und dem sechsten ‚Viertele‘ visionäre Erscheinungen himmlischer Gestalten bekommt oder den Teufel durch Schlucken von warmem Kuhmist aus der Seele vertreibt.“ Diese bekannte Analyse einer bestimmten Tiroler Schädelform stammt von Karl Techet, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Pseudonym Sepp Schluiferer in „Fern von Europa. Tirol ohne Maske“ seine Wahrnehmungen aufzeichnete. Freilich ist das Literatur, doch nicht umsonst wurde Techet seiner Stellung als Hauptschullehrer in Kufstein enthoben und aus dem Land gejagt. Siebente Station Inzwischen weiht mich Pater Resch in die Grundbegriffe der Psychotherapie ein. „Eine Neurose ist immer ein Konflikt zwischen Intellekt und Gefühl“, erklärt er, jedes seiner Worte genau abwägend. „Das Gefühl will etwas, was der Verstand nicht gut heißt. Der Nährboden der Neurose sind die Emotionen.“ Auf meine Frage, wie es um den ekklesiogenen Anteil dieser Erkrankungen stünde, wehrt Resch ab. Er sehe keinen wirklichen Zusammenhang zwischen Kirche und Neurotisierung, ausschlaggebend sei vielmehr das von Individuum zu Individuum verschiedene Maß der Verarbeitungsfähigkeit von Einflüssen. Jeder Mensch verfüge über ein unterschiedlich ausgeprägtes Manipulationsbedürfnis. Freilich beschneide der Zölibat gewisse naturdynamische Regungen, was sich durchaus auch psychosomatisch auswirken könne. Aber dazu seien Normen in der Regel auch gedacht: um Emotionen im Zaum zu halten. „Der Primat des Intellekts beginnt schon mit Platon und Aristoteles.
Frauen wurde der Verstand überhaupt abgesprochen, man betrachtete sie als emotionale und deshalb minderwertige Wesen.“ Während er spricht, fixiert Pater Resch durch seine feine randlose Brille einen imaginären Horizont hinter den Bücherstapeln auf seinem Schreibtisch. Nur manchmal würdigt er mich eines misstrauischen Blickes von der Seite her. „Und was halten Sie von Menschen, die von sich behaupten, Visionen oder religiösen Erscheinungen ausgesetzt zu sein?“ Pater Resch zögert kurz, seine gepflegten Hände verschwinden in den Taschen seines weißen Arbeitsmantels. „Sofern diese Menschen an die Öffentlichkeit gehen, handelt es sich meistens um ein Minderwertigkeitsgefühl, das kompensiert werden soll.“ Er glaube zwar an Menschen mit heilenden Fähigkeiten, diesen rate er aber dringend, ihre Kenntnisse für sich zu behalten. „Vor allem in Fällen, in denen man nicht helfen kann, ist man schnell als Verrückter oder Hexe abgestempelt.“ Von so einer „Hexe“ hatte ich schon gehört. Von einer eigentümlichen Frau in den Fünfzigern, die von Tür zu Tür zieht, um körperliche und seelische Leiden mit Heilkräutern zu kurieren. Außerdem soll sie in direktem Kontakt zu den Verstorbenen stehen. Pater Resch begleitet mich hinaus: Zum zweiten Mal durchschreiten wir den Thronsaal, hinter einer massiven Holztüre vernehme ich das Gespräch der beiden NASA-Physiker wie fernes Murmeln. Am Ende gibt mir Resch noch einen Rat mit auf den Weg, einen Satz eines Mystikers, der auch ihm immer als Lebensmotto gedient habe: „Nur so weit hineingehen, wie man wieder aus eigener Kraft herauskommt.“ Achte Station Am Donnerstag, dem 10. Februar 2000, ist Elisabeth zum letzten Mal mit ihrem Auto unterwegs. Vielleicht ist der Himmel nebelverhangen und ein Niesel- oder Sprühregen liegt in der Luft, die Scheibenwischer quietschen bei jeder Bewegung ein wenig. Oder es
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„Schön wie gut.“ „Das <Wie> ist absolut, verstehst du?!“ (neu, Rose)
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schüttet, und ein vorbeifahrender LKW wirft eine Wasserfontäne gegen die Windschutzscheibe, die Gischt einer nahenden Brandung, hunderte Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Vielleicht liegt aber auch ein Sonnentag über den oberösterreichischen Hügeln, viel zu warm zwar für die Jahreszeit und doch weht ein kühler Wind, und hemdsärmlig holt man sich am Ausgang des Winters noch eine letzte Erkältung. Dabei ist das Wetter eigentlich nebensächlich an diesem Nachmittag. Elisabeth parkt ihr Auto und macht sich auf den Weg. Die letzten drei Kilometer will sie zu Fuß gehen. Unterwegs telefoniert sie noch mit ihrer Mutter. „Ich komme jetzt für immer heim.“ Die Mutter freut sich, hat sie ihre Tochter in den letzten Jahren, die sie im oberösterreichischen Kirchberg verbracht hatte, doch vermisst. Kurze Zeit später ist Elisabeth tot, von einem Personenzug überrollt. In der einen Hand hält sie ein Heiligenbild, in der anderen einen Kristall, einen Amethyst, das Symbol der göttlichen Weisheit. Mehrere Stunden wird es dauern, bis man ihn aus der geschlossenen Faust der Toten entfernen kann. So oder ähnlich erzählt man sich diese Geschichte, die auch ich zum ersten Mal am Telefon aus dritter Hand gehört habe. Ich bin losgefahren, um dem Ganzen nachzugehen. Berta W., die Mutter Elisabeths, sitzt mir gegenüber. Sie ist die „Hexe“, die sich selbst „Kräuterberta“ nennt, und seit dem Selbstmord ihrer Tochter als Heilpraktikerin durch die Lande zieht. Ihre langen geflochtenen Haare sind unter dem Haarnetz zu einem Kranz arrangiert. Unter der braunen ärmellosen Walkjacke trägt sie ein schwarzes T-Shirt mit glitzernden Strasssteinen. Auf den ersten Blick ist nichts Auffälliges an ihr, eine Osttiroler Bäuerin, der man die zehn Kinder, die sie zur Welt gebracht hat, nur ein wenig um die Hüften herum ansieht. Nur ihr Gesicht mit den wasserhellen Augen hinterlässt einen seltsam unentschiedenen Eindruck, so als sei alles noch in der Schwebe, als stünde noch nichts fest.
Neunte Station Das Gebiet der ekklesiogenen Neurosen ist weitläufig. Sind es zum einen vor allem kirchliche Amtsträger, die darunter leiden, so wächst zum anderen die Anzahl der Menschen, die an die Öffentlichkeit gehen, weil sie von ekklesiogen Neurotisierten misshandelt oder missbraucht wurden. Seit Mai 2002 betreibt der Verein „Bürger beobachten Kirchen e.V.“ eine Anlaufstelle für Opfer kirchlicher Gewalt. „Vom Pfarrer missbraucht? Sie erhalten Hilfe von erfahrenen Therapeuten. Alle Gespräche und Informationen werden natürlich streng vertraulich behandelt“, heißt es da in einem Aufruf mit dazugehöriger Telefonnummer im Internet. Am Telefon, so verspricht die Anzeige, meldet sich dann „der Beauftragte für die Opfer kirchlicher Gewalt“. Auch die Initiative „ein mahnmal für die millionen opfer der kirche“ informiert auf ihrer Homepage „www.kirchenopfer.de“ regelmäßig über aktuelle Missbrauchsfälle und seelische Störungen. Immer wieder ist da auch von katholischen Heimen und Orden die Rede. So wird „Hilfe für einen Aussteiger“ aus einem katholischen Orden gesucht, den man jetzt „mürbe machen“ wolle: „Kennt ihr Selbsthilfegruppen von ‚Kirchenaussteigern‘ oder habt ihr irgendeinen Rat, was wir tun können? Wir sind sehr verzweifelt und in Angst.“ Zehnte Station Berta W. spricht von der heilenden Kraft der Natur, die sie in einer eigenen Kräuterstube in Tiegelchen und Fläschchen füllt, und von der langen Tradition der Heilkunst in ihrer Familie und in den längst entschwundenen Generationen Osttiroler Bäuerinnen. „Unsere Großmutter gab uns jede Woche einen Löffel Sand zu essen … zur Reinigung der Darme.“ Ihre Tochter erwähnt sie erst nach einer halben Stunde. Und auch wenn sie die Geschichte inzwischen
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Der Vergleich ist kein Vergleich. (Kirche)
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schon so oft erzählt hat, dass unweigerlich etwas Routiniertes an ihr haftet, hält sie kurz inne, als sie vom letzten Anruf ihrer Tochter erzählt. 1998 hatte Elisabeth ihre Stellung als Kellnerin aufgegeben, um im Naturhaus Hildegard von Bingen im oberösterreichischen Kirchberg Heilpraktikerin zu werden. Ihre heilenden Fähigkeiten hätten sich schon bald weit über das gewöhnliche Maß hinaus entwickelt. Im Jänner 2000 sei Elisabeth nach langer Zeit zum ersten Mal wieder nach Osttirol gekommen. „Doch ihr Wissen wurde im Tal nicht angenommen. Ihr Inneres, ihre Seele zerbrach.“ Der Geist ihrer Tochter, erklärt Berta, sei nach deren Tod in sie eingefahren. Elisabeth wirke und spreche in ihr und bei der Herstellung von Salben führe sie ihr die Hand. Ihr ganzer Wissensschatz sei plötzlich auf sie übergegangen. Andreas, derjenige von Bertas Söhnen, der Elisabeth am nächsten gestanden war, hat den Selbstmord seiner Schwester nicht so leicht verkraftet. Während der zwei Stunden, die ich mich in der Stube mit seiner Mutter unterhalte, sitzt er, der seine Mutter auf ihren Hausbesuchen als Chauffeur begleitet, draußen im Regen im Auto. Er geht nicht mehr unter Menschen. „Der Böse hat in ihm die Macht ergriffen.“ Berta weiht mich ein: Manchmal sitze er am Küchentisch und deklamiere Kriegserinnerungen seines Großonkels, Dinge, die er nicht wissen könne. „Er braucht einfach Zeit.“ Einen Besessenen jedoch habe sie mit ihren Kräutern bereits geheilt, einen gewissen Igor in Corvara, einem Ort im Südtiroler Gadertal. Der führe jetzt selbst eine Kräuterstube dort. Elfte Station Gewisse Orte verfügen über besondere Kräfte und Eigenschaften. So berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin vom 5. 2. 1999 vom so genannten „Jerusalem-Syndrom“, das der israelische Psychiater Bar El in Kfar Shaul seit nunmehr über 20 Jahren
untersuche und therapiere. Immer wieder würden vorwiegend protestantische Pilger angesichts der Heiligen Stadt ihren Verstand verlieren. Im Zuge der letzten zwei Jahrzehnte habe der israelische Mediziner 470 Touristen behandelt und untersucht, die meisten von ihnen, so Bar El, hätten schon vor ihrer Reise Probleme gehabt. „Meist suchen sie Stätten aus dem Leben Jesu auf, dort führen sie magische Zeremonien durch, mit viel Halleluja und noch mehr Abrakadabra.“ Schließlich würden sie sich selbst für „Apostel“ oder „Erlöser“ oder für eine konkrete biblische Gestalt halten. Zwölfte Station „Nein, wirklich nicht! Da haben Sie bei uns kein Glück! Wir haben schon so schlechte Erfahrungen gemacht …“ Die Frau im Türrahmen macht eine abwehrende Geste. Ich bekräftige noch einmal, dass ich nichts verkaufen wolle, sondern nur gekommen sei, um ein wenig mit ihrem Mann zu sprechen. „Hauskapelle statt Sauna“ hatte der ORF-Tirol einen Beitrag für die Sendung „Tirol heute“ übertitelt. Es ging darin um Oswald Strasser aus der Osttiroler Gemeinde Kartitsch, der sich im Keller seines Einfamilienhauses, vor dem ich jetzt stehe, einen Hausaltar mit Betstuhl eingerichtet hat. Ich erkläre, dass ich zwar von der „Tirol heute“-Sendung gehört, sie aber leider selbst nie gesehen hätte. „Wenn es nur das ist … Die können wir Ihnen zeigen.“ Da ich nun schon einmal da bin, bekomme ich auch Kaffee und Ribiselkuchen. Oswald Strasser, ein hochgewachsener, weißhaariger Mann mit ruhiger Stimme, legt die Videokassette ein und schon sehe ich das Ehepaar, das mit mir am Küchentisch sitzt, im Fernsehen. Nach der Hauskapellenreportage folgt noch ein älterer Beitrag über eine selbst gebaute Fastenkrippe, die ich zuvor im Hausgang bewundern durfte. Sichtlich stolz lächeln die beiden am Ende der Vorführung. „Eigentlich wäre ich ja gerne Pfarrer geworden“, erinnert sich Oswald Strasser, „aber mein Vater ist
Kreuzfahrt
Das Bild des Vergleichs, die Metapher ist absolut. Wirklich. „Schön ist gut, nicht zu, zugleich.“ (lauter neue Rosen durch die Kirche)
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schon früh gestorben und so mussten wir zu Hause arbeiten.“ Schließlich kam Oswald zur Lehre nach Sillian in einen kleinen Installateurbetrieb, dem er bis zu seiner Pensionierung treu blieb. Und dabei wäre Kartitsch der ideale Boden für eine Priesterkarriere gewesen: „Vor gar nicht langer Zeit hat es noch sechzehn aktive Pfarrer aus Kartitsch gegeben, und das bei tausend Einwohnern!“ Und dann zeigt mir seine Frau Fotos vom Priesterjubiläum, das drei Pfarrer vor ein paar Jahren gemeinsam in Kartitsch gefeiert haben. Oswald Strasser hat zu diesem Anlass überdimensionale Porträts der drei aus Sperrholz und Seidenpapier gefertigt und von hinten beleuchtet in seinem Garten aufgestellt. Für die Hauskapelle gibt es eine einfache Erklärung: „Der Hausaltar im Keller ist ein Erbstück und der Betstuhl ist nach einer Kapellenrenovierung in Sillian nicht mehr gebraucht worden.“ Er sei eben immer schon ein Sammler und Bastler gewesen, fügt Oswald mit leuchtenden Augen hinzu. Dann klingelt es und die Krippenfreunde stehen vor der Tür. Mit einem vollkommen unneurotischen Händedruck bedanke ich mich für den Kaffee und mache mich wieder auf die Suche. Dreizehnte Station Corvara („die Rabenhafte“) liegt bereits hinter mir. Igor ist mir nicht begegnet. Er sei gerade mit seiner Mutter in Bruneck, man wisse nicht, wann er zurückkomme, hat man mir bei einem Cappuccino im Hotel Diamant erklärt. So bin ich jetzt auf dem Weg in das kleine Bergdorf Welschellen, wo ich Giuseppe Crafonara treffen will, einen religiösen Schwärmer, wie man mir glaubhaft versichert hat. Eine alte Frau mit Kopftuch steht am Wegrand, verwundert ob des fremden Fahrzeugs, ein Mann mit sonnengegerbtem Gesicht und einer monströsen Axt über der Schulter erklärt mir freundlicher als vermutet den Weg zum „Giuseppe de Joche“, wie man ihn hier nennt. Die enge Asphaltstraße wird zu einem schlecht befestigten Pfad mit Schlaglöchern, ehe man zu zwei allein stehenden Gebäuden gelangt, einem
Einfamilienhaus und einem alten Hof. Ein Schwarm Hühner stiebt auseinander. Giuseppes Frau Sarah öffnet mir die Tür. Eine Viertelstunde später sitzen wir am Stubentisch, Giuseppe, vielleicht fünfundvierzigjährig, im Wollpullover, noch etwas zerknautscht. Er leide ab und zu an Migräne und habe sich eben ein wenig hingelegt, erklärt er mit ruhiger Stimme und streicht sich dabei die Haare glatt. Und dann findet in der dunklen Stube eine zögerliche Unterhaltung statt, mit vielen Nachdenkpausen und stillen Momenten. Giuseppe erzählt, wie er seine Frau kennen gelernt hat, von der Situation am Hof, den fünf Kindern, der Bedeutung von Glauben und Religion. „Irgendwann bin ich an den Punkt gekommen, dass ich Sarah sagen musste, dass nicht mehr sie das Wichtigste in meinem Leben ist, sondern Jesus.“ Sein Blick wandert über den Tisch zu seiner Frau, die erwidert ihn mit einem traurigen Lächeln. Auf meine Frage, wie sie damit umgehe, schweigt Sarah einen Moment. Am Anfang sei es schwer gewesen, sie habe sich nicht ausgekannt, sie habe ihn, ihren Mann, nicht mehr wiedererkannt. Inzwischen habe sie jedoch begriffen, dass es auf die Freiheit des einzelnen ankomme. Und dann ist es wieder gespenstisch still im Raum, nur die beiden sehen einander in die Augen. Vierzehnte Station Und so habe ich mich auf den Weg gemacht. Ich sitze wieder am Küchentisch, dieses Mal allein. Ein Gedanke von Pater Resch kommt mir in den Sinn. Er meinte, unser Leben sei geprägt von zwei gegensätzlichen Kräften: von der Sehnsucht nach Freiheit und größtmöglicher Individualität einerseits und dem Verlangen nach Sich-Auflösen und Geborgenheit andererseits. Der Unabhängigste sei auch der Einsamste. Demnach müsse Gott sehr einsam sein, gab ich zu bedenken. „Ja“, meinte er darauf, „wenn er nicht Gott wäre, schon.“
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Riesenrundgemälde Innsbruck I 2004
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Riesenrundgemälde Innsbruck II 2004
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Kunstraum Innsbruck I 2004
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Kunstraum Innsbruck II 2004
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Tiroler Landestheater Innsbruck I 2004
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Schloss Ambras Innsbruck I 2004
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Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck III 2004
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Schloss Ambras Innsbruck IV 2004
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Universitätsbibliothek Innsbruck I 2004
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Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck 2004
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Schloss Ambras Innsbruck VII 2004
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Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck IV 2004
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Schloss Ambras Innsbruck V 2004
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Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck I 2004
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Schloss Ambras Innsbruck III 2004
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Kaiserliche Hofburg Innsbruck I 2004
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Tiroler Landestheater Innsbruck III 2004
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Tiroler Landestheater Innsbruck IV 2004
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Schloss Ambrass Innsbruck IX 2004
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Dank an Ralph Müller, die Architekten Kühn /Malvezzi und alle Personen, die die Aufnahmen ermöglicht haben. 64/65
Raum, Geheimnis
„Ich komme Ende März /Anfang April nach Innsbruck und würde gerne fotografieren: 1. Riesenrundgemälde, 2. Kunstraum, 3. Landestheater, 4. Schloss Ambras, 5. Landesmuseum Ferdinandeum, 6. Hofburg. Wie sieht es mit Bibliotheken aus?“ – Die Freude in der Redaktion war groß, als das Fax aus Köln eintraf, inzwischen ist es evident: Candida Höfer, die spätestens seit der Präsentation ihrer Arbeiten im deutschen Pavillon bei der 50. Biennale in Venedig zu den wichtigsten Gegenwartskünstlern zählt, hat für das vorliegende Heft die Titelseite gestaltet und legt im Innenteil weitere 19 Fotografien vor.
„Eine kalte, klare Distanz herrscht in ihren Bildern, es gibt nichts Unscharfes und nichts Vorbeihuschendes darin, die Farben und Proportionen sind so streng und präzise gesetzt wie auf einem altmeisterlichen Gemälde. Seit Jahren fotografiert sie leere Innenräume, Bibliotheken, Museen, Rundfunkanstalten, Orte der Forschung, der Begegnung, des Wissens. Fast nie sind Menschen auf diesen Bildern zu sehen – und fast jedes dieser Bilder wirkt wie ein Blick in das kollektive Gehirn, in den Maschinenraum der Zivilisation.“ (Niklas Maak)
So auch hier. –
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Das Panorama blickt dich an (Raum – Foto – Zeit): Eine spielt einen. Das nervt. (Gertrude Steins Landschaftstheater) Der Charakter will erkannt werden. (Die Wahrheit verwandelt – Rolle wie Mensch.) Darsteller und Dargestellte werden unter einem Hut, Raum, eine Zeit gebracht.
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Wo er nicht ist
Von Sabine Gruber Ich kann über unsere letzte Begegnung nicht schreiben, noch weniger vermag ich darüber zu sprechen. Andere schreiben über einen Toten, weil sie überzeugt sind, daß das Erzählen hilft, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Diese Art von Verbindung habe ich nie angestrebt. Die Photos, die ich von ihm besitze, liegen in einem Karton. Ich nehme sie nicht in die Hand. Ein Bild, weiß ich, ist Erinnerung. Doch das Portraitphoto friert den Abgelichteten ein. Den Unfaßbaren, Bedeutungsvollen gibt es mir einmalig zurück. Auf dem Papier ist nur ein Lächeln, ein Gesichtsausdruck, eine Handbewegung zu erkennen. Einmaligkeit ist verletzend, weil sie dem Toten nicht gerecht wird. Auch tausend Photos ein und derselben Person sind nichts als tausend Einmaligkeiten. Jedes einzelne Bild lenkt das Erinnerungsvermögen in eine bestimmte Richtung, manipuliert die Gedanken, zwingt das Gedächtnis in ein Korsett, das dem Toten in meinem Kopf die Bewegungsfreiheit nimmt. Der in Bildern Gefesselte hat wenig mit dem ehemals Geliebten gemein. Solange er lebte, konnte er nicht Teil meiner Texte werden, weil er Teil meines Lebens war. Und wie soll ich jetzt über ihn schreiben können, da er nicht mehr existiert? Wenn ich seiner gedenke, ihn mir absichtsvoll vorstelle, wie er sein Nackenhaar um den rechten Zei-
gefinger wickelte, wenn ich ihn mir bewußt ins Gedächtnis rufe, in welcher Art er sich zu äußern pflegte, dazu Arme und Hände bewegte, wenn ich mir unsere gemeinsamen Jahre vergegenwärtige, verblassen die Erinnerungen nach kürzester Zeit. So sehr ich gegen sein Verschwinden andenke, es gelingt mir nicht, ihn augenblicklich in meinen Kopf zurückzuholen. Andererseits werden die Vorstellungen, die ich von ihm habe, längst von jenen Photos zugedeckt, die ich von ihm kenne. Sie stehen eingerahmt auf den Kommoden und Kästen der gemeinsamen Freunde. Es sind nicht einmal meine eigenen. Und sie sind aus anderen Zeiten. Mein Sprachbergwerk ist überall. Was ich abtrage, ist nicht nur in mir. Ich betrete die Stollen der anderen, auch Fremden, grabe in Büchern, zertrümmere, was ich mühsam aus den inneren Lagerstätten ins Freie getragen habe, um es neu zusammenzusetzen. Ich lasse den Blick schweifen, wähle aus, bestimme, was bemerkenswert ist. Treffe ich unsere Freunde, sehe ich Menschen, die er verlassen hat. Unfreiwillig. Für immer. Ich fühle mich verpflichtet, sie ihm in Gedanken zu beschreiben. Was er nicht mehr sieht, sehe ich für ihn. Was er nicht mehr wissen kann, will ich für ihn in Erfahrung bringen. Dem Unwiderbringlichen versuche ich mich zu nähern. Zum Trost. Ich schreibe fort, was an ihm abgebrochen wurde, und ich weiß: es würde ihn interessieren.
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Die Säule ist keine Tafel. Der Boden ist keine Decke. Rot ist nicht weiß ist nicht schwarz. Ambras ist nicht Ferdinand. Der Ritter ist kein Foyer. Im einzelnen nicht. Im Panorama fast immer: Das Foyer ein Altar. Der Ritter eine Waffe. Die Zahlen ein Text. Das Foto ein Wort – Fotografieverbot. Die Versammlung löst sich auf.
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In dem, was er nicht mehr erlebt, ist bereits das, was ich selbst in unbestimmter Zukunft nicht mehr erfahren werde, vorweggenommen. Das andere Gedenken, das sich dem Schreiben erst recht entzieht, weil es sich nicht begreifen läßt, geschieht ohne mein Zutun. Es bricht über mich herein, im Traum, an einer Straßenecke, beim Befühlen eines Stoffes, in der Betrachtung der nächtlichen Gestirne oder in einer kurzen Bemerkung, die von einer beliebigen Person in einem Bus fallengelassen wird – dieses abrupte, unvorhergesehene, ungeahnte Erinnern schmerzt, weil es mich für Bruchteile einer Sekunde glauben läßt, er wäre da, faßbar, und ich hörte seine Stimme, blickte in sein Gesicht. Als wollte ich ihm beweisen, daß er mich berührt hat, weine ich. Wo er nicht ist, nichts auf seine Anwesenheit deutet, breitet er sich unvermutet aus, zeigt keinerlei Ähnlichkeiten mit den Photos auf den Kommoden, den Kästen, im Karton. Er schafft sich Raum in menschenleeren Bildern. Unerwarteter Weise sitzt er in der verlassenen Bibliothek, steht allein zwischen den Exponaten des Landesmuseums, geht durch die Hofkirche und nichts, kein einziges Bild, entspricht den verwahrten Aufnahmen. Er ist da und ist es nicht. Er kann sich in den Räumen, die er selbst einmal betreten hat, ständig verändern. Er erstarrt nicht, entzieht sich den eindeutigen Aussagen über seine Person, indem er sich aus dem Nichts heraus und ohne die geringste Vorankündigung ins Blickfeld schiebt. Ich kann nichts dafür, habe diese alles übertreffende Präsenz nicht erzwungen, nicht einmal herbeigesehnt.
Ich möchte mich an diesem die Verdrängung unterminierenden Bild festhalten können, doch der Tote, der soeben noch lebensnahe vor mir gestanden hat, ist plötzlich verschwunden, hat die Bibliothek verlassen, die Tür des Museums hinter sich zugezogen. Manchmal, wenn ich keine Bilder habe, in denen er für eine kurze Weile lebendig zu werden vermag, weil in den darauf dargestellten Räumen, Plätzen und Straßen niemand anwesend ist, nur Form und Licht, flüchte ich in Tagträume, die längst nicht mehr unbestimmt sind, nichts unerwartet Schönes beinhalten können, sondern das Nichtmehrzuerwartende in Erwartbares verwandeln. Doch das Bewußtsein über seine endgültige Abwesenheit zerstört auch diese Art der Einbildung mit den ihr eigenen Mitteln des Bildes, das krampfhaft festhält, was nicht festzuhalten ist. Noch immer schicken mir Freunde unaufgefordert alte Aufnahmen zu und fragen, ob ich mich erinnern könne. Weißt Du noch, damals? Sie zeigen ihn mir über ein Buch gebeugt, auf einem Fußballplatz, mitten unter Kindern und ahnen nicht, daß das vordergründig Sichtbare keinerlei Bedeutung hat. Das Gedenken und Schreiben in Gedanken erfordert klare, leere Räume; nur so werde ich nicht vergessen haben, wie er aussah, nur so werde ich auch sehen, was ich nicht weiß.
[ für Candida Höfer ]
Heft 1/03
Heft 2/03
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„Gegrüßet-seist-du“
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Landvermessung No.1, Sequenz 4 Reisen auf Linie Pfunders–Mühlwald–Sand in Taufers–Rein
Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: Stefanie Holzer und Walter Klier folgen südlich des Alpenhauptkammes einer pfeifgeraden Linie, die vom äußersten Winkel des Südtiroler Vinschgaus zur Wallfahrtskirche von Obermauern im Osttiroler Virgental führt. Hier das vierte Teilstück: über Steckdosen an Außenwänden von Kirchen, den englischen Gruß und weshalb man ab und zu bei Radio Horeb reinhören sollte. – „‚So geht Südtirol‘, sagt die Kellnerin im Ledermini.“ Südtirol ist ein wunderbares Land. Bei jedem Besuch dort erweist sich zumindest eines der vielen Klischees, die sich um dieses Land ranken, als voll gültig, sozusagen als Willkommensgruß und ganz ohne daß man danach suchen müßte. Diesmal stand das Klischee an der Bushaltestelle knapp hinter Weitental im Tal von Pfunders in Gestalt einer Dame mit formvollendeter Gretlfrisur und Kleiderschürze. Eine Konzession an die Tatsache, daß die Zeit auch in einer so außerweltlichen, um nicht zu sagen extraterrestrischen Gegend wie dem Pfunderer Tal nicht stehengeblieben ist, war die Hose, die die Dame unter der Kleiderschürze trug. Pfunders ist ein wundersamer Ort. Lang bevor man die Ortstafel passiert, sieht man schon das Kirchlein mit dem roten Zwiebelturm auf dem Hügel thronen. Kaum betritt man den Ort, verschwindet die Kirche aus dem Blickfeld; ein Schild weist Richtung „Centro“: Die Straße beschreibt eine großzügig entschlossene Linkskurve durch weite Wiesen, die um den Hügel herum wiederum zur Kirche hinführt. Es gibt direkt bei der Kirche zwar kein Gasthaus, dafür gibt es ein Geschäft. „Gemischtwaren Toni Huber“ konstituieren zusammen mit der Volksschule das weltliche Ortszentrum. In Toni Hubers Regalen macht sich das moderne Leben unter anderem in Form von Adelholzener Mineralwasser in verschiedensten Ge-
schmacksrichtungen bemerkbar. Wer keinen Geschmack will, der muß immerhin ein Wasser nehmen, das mit Sauerstoff angereichert ist. Man hätte im Chemieunterricht besser aufpassen sollen: Was tut ein Sauerstoffmolekül, wenn alle H2 schon ein O haben? Beim Öffnen der Flasche klang es jedenfalls so, als ob die überzähligen Sauerstoffmoleküle einfach in die Pfunderer Umgebungsluft abgezischt wären. Oder war das der ebenfalls beigegebene Anteil an Kohlensäure? Das traditionelle Pfunderer Leben nimmt bei „Gemischtwaren Toni Huber“ zumindest gleich viel Platz im Regal wie das moderne Wasser ein. Die Firma Haunold aus Innichen liefert Sohlen für Filzpatschen in den Größen 20 bis 43, und zwar in den Farben dunkelgranitgrau und schafweiß. Daneben lagern Einlegesohlen zum Selberausschneiden. Ein Paar Filzsohlen kostet zwischen drei und fünf Euro. Die im Umgang mit neugierigen Fremden geübte Verkäuferin klärt uns auf, daß die Pfunderer ihre Patschen selber machen. Wer liefert ihnen den oberen Teil der Patschen? „Da nehmen sie irgendeinen Stoff, den sie daheim haben.“ Wenn man von der Bevorratung auf die Nachfrage schließen kann, dann verkaufen sich die Sohlen rasend; unchristlicherweise hofft man, daß sich das bayerische Mineralwasser als Ladenhüter erweisen möge. Das Herumkutschieren von Wasser hat
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Cave canem
1 „Und traf. Ein Traumtor. Und dann rannte die Nummer neun zum Fanblock der ,Ultras‘, von wo aus ihm via Internet nahegelegt worden war, er möge es doch, bitteschön, mal einige Spielklassen tiefer versuchen. So ist Thomas Bachlechner: Ein introvertierter, junger Mann, der viel in sich hineinschluckt, der aber andererseits nicht an der Kritik verzweifelt, sondern daraus neue, positive Energien schöpft.“ (Life, 01/ 04, p. 35) 94/95
angesichts des generellen Jammers über den zunehmenden Transitverkehr etwas Verrücktes: In Innsbruck kriegt man Wasser aus den Vogesen, in Pfunders welches aus Bayern, und in Bayern trinken sie wahrscheinlich Plose. Die Scuola Elementare hielt gerade Mittagspause. Nach etwa drei Minuten war der Ball beim ersten schärferen Schuß aus dem ebenen Pausenhof in den terrassenartig nach unten versetzten Gemüsegarten verschwunden. Daß auch in Gegenden, wo es kaum ein flaches Wiesenstück gibt, tatsächlich richtige Fußballer heranwachsen, davon berichtet voller Stolz die erste Ausgabe des neuesten Südtiroler Presseprodukts Life. Dort wird unter dem Titel „Die Bach-Story“ der Pusterer Fußballer Thomas Bachlechner (FC Südtirol) porträtiert.1 Ansonst widmet sich Life allem, „was aktive Menschen in Südtirol interessiert, beschäftigt oder erfreut“. Deutlicher formuliert geht es um „Sport, Gesundheit, Reisen & Abenteuer, aber auch um Gesellschaft, Mode und Lifestyle“. Vielleicht sollte der Sportverantwortliche von Life den Pausenhof der Scuola Elementare in Pfunders in Augenschein nehmen. Uns würde es nicht wundern, wenn es sich dabei um eine noch unerkannte Kaderschmiede handelte. Strolcho heißt jener Pfunderer Kampfhund, der den Zugang zur Kirche bewacht. An einer ausziehbaren Leine hängend vertreibt sich der dreikatergroße goldbraune Strolcho die Zeit, indem er mit Fremden parliert. Ob er rein deutsch oder teils zweisprachig bellt, konnten wir mangels Expertise nicht feststellen. Den offenkundig gut bekannten Postler ließ er einfach passieren, uns hat er großtuerisch angeheult wie ein Wolf bei Vollmond. Hätte man nicht einen unleidlichen Kater zu Hause, man hätte den liebreizenden Strolcho glatt entführen wollen.
Friedhöfe sind Orte, wo Geschichte in ihrer Kürzestfassung aufgeschrieben steht. In der ganzen Region ist es üblich, auf den Grabkreuzen nicht nur Namen und Geburts- und Sterbedatum zu verzeichnen, sondern stets den Hof- oder Hausnamen des/der Verstorbenen. Was man im Leben und später im Alter war, wird klar: Neuhaus-Mali, Porscht-Hansl, Hauervater, Lehrermutter, Lindnervater. Gott tritt auf diesen Grabkreuzen nicht als barmherzig, tröstlich oder sonstwie hilfreich auf. Sein Wirken wird vielmehr hingenommen wie eine Naturkatastrophe oder ein blutrünstiger Drache am Eingang des Tals: „An der tiefsten Stelle unseres Lebens steht Gott und wartet auf uns.“ Nach einem Autounfall, bei dem im Jahr 1995 offenkundig vier junge Burschen umkamen und in einer Grabreihe beerdigt wurden (Ewald Ebner ✝ 6.1.1995, Armin Paul Weissteiner ✝ 6. 1. 1995, Florian Huber ✝ 10. 1. 1995, Florian Gabloner ✝ 16. 1. 1995), heißt es lapidar „Gott ist der Herr über Leben und Tod“. Vollends gruselig wird es, wenn auf dem Grabstein eines vier Jahre alt gewordenen Kindes der holpernde Reim zu lesen steht: „Als Gott die Englein zählte, sah er daß ihm eines fehlte, er sah dich und wählte.“ Gott ist in Pfunders eine Art gefräßige Schicksalsgöttin, mit der zu rechten reine Zeitverschwendung wäre. Mit „Gott“ meint man hier jene unbegreifliche Macht, der nur mit Fatalismus begegnet werden kann. Gott vergnügte sich in historischer Zeit häufig damit, mithilfe von Lawinen und Muren Bauernhöfe und ganze Weiler auszuradieren. Die Pfunderer Gemeindeanschlagtafel informiert, daß die Südtiroler Schützen im Jahre 1998, also 80 Jahre nach der „Zerreißung Tirols“, die vertraglich eigentlich erst 1919 fixiert wurde, den 11. November zum Aktionstag ausgerufen haben. Die Losung für diesen Tag lautet „Das Land Tirol in Trauer“. Zu
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d. O. R. F.
2 Ein landeszerreißungsbedingtes Trauerspiel anderer Art ereignete sich 1957 in Pfunders. Im Gefolge eines Wirtshausstreits zwischen Pfunderer Burschen und einem italienischen Finanzwachebeamten kam es zu einer Rauferei, und am nächsten Tag wurde der Italiener tot im Bachbett aufgefunden. Die Umstände konnten nicht aufgeklärt werden, dennoch wurden die Hauptbeteiligten sämtlich wegen Mordes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, was in Südtirol zurecht als reine Politjustiz verstanden wurde, als einer der letzten Tropfen, der das Faß schließlich 1961 zum Überlaufen brachte. 96/97
diesem Zweck, lasen wir, wird in Südtirol die mit Trauerflor versehene Tiroler Fahne gehißt. Wiewohl die Landeseinheit immer erwähnt wird, wenn sich ein Tiroler aus dem Norden und ein solcher aus dem Süden treffen, so hat sie wenig Auswirkung auf das Leben derjenigen, die zu Hause bleiben: Daß wir von dem Aktionstag bis dato nichts mitbekommen haben, können wir verschmerzen; daß aber die Südtiroler Kunst des Vinschger-Backens sich so hartnäckig dem Transfer nach Norden widersetzt, ist ein Trauerspiel.2 Im Talschluß oder doch am Ende der Welt, nach einer Schlucht mit „Eisschlag / Caduta ghiaccio“ und engen Kurven auf enger Straße liegt der Weiler Dun, ein paar Häuser zwischen Schlucht und Steilhang. Dort hat sich in der Heuschupfe, auf etwa 1500 m, ein kleines Wellness-Zentrum entwickelt. Heublumenbad heißt auf Italienisch Bagno di Fieno, und offenkundig ist es im April noch nicht in Betrieb. Wann nimmt man ein Heublumenbad? Im Sommer? Ist es da nicht zu heiß dafür? In der Wiese vor dem Haus steht ein künstlerischer Stein, in den dessen Schöpfer die unbegreifliche Behauptung „Schatten lehrt, Licht klärt“ eingemeißelt hat. Da machten wir kehrt und strebten wieder in die Welt der Menschen zurück. Bei der Annäherung an Pfunders von Norden sieht man die Postkartenansicht des Ortes: Die Kirche ist leicht aus der Bildmitte nach rechts verschoben vorzustellen. Sie bringt, wie schon gesagt, mit ihrem Zwiebelturm den fotografisch notwendigen, aber stets sparsam einzusetzenden Tupfen Rot ins Bild. Links ebenfalls aus der Mitte verschoben dominiert die 2738 m hohe Eidechsspitze das Bild. Die schneeige Flanke des Berges wirkt wie eine Rutschbahn ins Tal. Nicht ganz, aber ziemlich weit ins Tal gerutscht ist Kammerschien, ein für seine außergewöhnliche Einödigkeit berühmter und entsprechend sagenumwobener Einödhof.
Der nächste Punkt auf unserer Linie war die Marktgemeinde Sand in Taufers. Um dorthin zu gelangen, gilt es von der Linie ein Trumm nach Süden ins Pustertal abzuweichen und dann erst wieder nördlich ins Ahrntal zu biegen. Der gerade Weg führt in Tirol immer über ein hohes Joch, wenn überhaupt. Auf dem ungeraden Weg stocherten wir zum Zeitvertreib im berühmten italienischen Wellensalat herum und fanden eine Radiostation, deren Namen man sich merken muß. An klerikalen Radiosendern gibt es nicht nur Radio Vatikan und Radio Maria, sondern insbesondere Radio Horeb. Horeb ist bekanntlich der Berg, auf dem Moses die Gesetzestafeln aus einer Wolke übermittelt bekam. Bekannter ist der Berg Horeb unter dem Namen Sinai. „Pfarrer Kocher“, ein am ehesten aus dem Schwäbischen stammender Herr mit entnervender Konzilianz im Umgang mit den ausschließlich weiblichen Gläubigen, nahm gerade Hörerinnenanrufe entgegen: Eine Dame beschwerte sich über liturgische Versäumnisse im Zuge der auf Radio Horeb übertragenen Karfreitagsfeierlichkeiten. Die darauffolgende Hörerin dankte – Wem? Hört Gott Radio? –, daß es Radio Horeb gibt und wies, weil sie schon einmal dran war, auf das Martyrologium Germanicum hin, eine Liste all jener, die in Diktaturen („Nationalsozialismus, Kommunismus und andere Systeme“) den Märtyrertod erlitten haben, offenbar ein Standardwerk, das man immer wieder einmal durchblättern sollte, da sich darin lauter „mächtige Fürsprecher bei Gott“ finden. Zwischendurch wies der Pfarrer Kocher auch darauf hin, daß man seinen Sender in gewissen Gegenden via Kabel empfangen könne. Es sei deswegen keine „Elektrosmogverseuchung“ zu befürchten. Im Raum Bruneck dringt Horeb jedenfalls deutlicher durch den Wellensalat als RAI. Die letzte Dame, der wir nördlich von Bruneck in Richtung Sand in Taufers fahrend unser Ohr liehen, litt unter innerkirchlichen Auffas-
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„My home is my castle“ (Kastelruther Spatzen)
3 Zum Problem des interesselosen Mißfallens siehe auch Konrad Paul Liessmann, Reiz und Rührung. Über ästhetische Empfindungen. WUV, Wien 2004. 190 Seiten. 98/99
sungsunterschieden: „Es ist schon fast ein Schimpfwort, wenn man als vorkonziliar gilt.“ Sie wollte wissen, was mit diesem Vorwurf genau gemeint sei. Aber wahrscheinlich seien die Konzilstexte viel zu schwierig für Laien? Der Pfarrer wiegelte ab. Das Kleine Konzilskompendium, ein etwa 700, 800 Seiten dickes Buch, sei „ganz leicht“ zu lesen. So ging das ein Weilchen hin und her, bis wir sozusagen den Not-AusKnopf drücken mußten. Es ist erstaunlich, wie schnell man, auch bei Reden, die gar nicht an einen persönlich gerichtet sind, physische Reaktionen zeigt. Schallwellen dringen ins Ohr (Hammer, Amboß, Steigbügel, Trommelfell etc.) ein und werden im Gehirn in Bedeutung übersetzt. Bald darauf muß man tief Atem holen, Schweiß bricht aus und Panik macht sich breit.3 Im Gasthof Sonne in der Marktgemeinde Sand in Taufers hatten sich alle Hungrigen der Region zum Mittagessen eingefunden. Rund hundert Gäste kommen jeden Mittag, um in der „Sonne“ zu speisen. Die „Sonne“ scheint das in dieser Zwischensaison einzige offene Gasthaus weit und breit zu sein. Sand in Taufers war einst eine beliebte Sommerfrische, man reiste per Eisenbahn von Bruneck an. Der Tauferer Tourist von heute muß eine Vorliebe für geschnitzte und zum Teil bemalte Wurzelmännchen haben. In der Größe ist er flexibel: Zwischen fünf Zentimeter und zwei Meter sind die in einem Souvenir-Depot ausgestellten Figuren hoch. Wie dem auch sei, er kommt wohl erst im Sommer. Uns begegneten nur vier etwas angejahrte Exemplare aus dem Ruhrgebiet. Bleich und ziemlich letschert saßen sie auf einer Bank und blinzelten in die Frühlingssonne. Sie wirkten, als ob sie, nur oberflächlich getrocknet, längere Zeit im Wasser gelegen wären. Der Weg zur imposanten Burg hinauf, zehn Minuten im lockeren Schlendergang, war eindeutig außerhalb ihrer Reichweite.
Sand i.T. hat 4500 Einwohner. Woher kommen all diese Mittagsgäste in der „Sonne“? Hundert Mittagessen! In der Gegend tätige Baufirmen – es werden zurzeit gerade fast alle vorhandenen Straßen verbreitert oder begradigt, sodaß Staubwolken durch die Gegend wogen – bekommen einen Spezialpreis. Außerdem gibt es noch eine erhebliche Menge an Landesangestellten: „Die zahlen selber nur ein oder zwei Euro.“ Sie haben eigene Karten, wie Bankomatkarten, mit denen das Mittagessen über eine kleine Maschine direkt abgebucht wird. „So geht Südtirol“, sagt die Kellnerin im Ledermini. Beim Rundgang im Ort sahen wir gleich, daß vor uns schon zwei wichtige Innsbrucker da gewesen waren: Christian Bartenbach hat eine seiner Lampen zurückgelassen, die mit Hilfe einer mehrfach abgeteilten Spiegelfläche das nach oben gestrahlte Licht wieder auf den Boden wirft. Unweit dieser Lampe fand sich in Form von drei Bronze-Gänsen, die Wasser in einen Brunnen speien, der eindeutige Beweis, daß auch der größte Höttinger Tierbildhauer, Helmut Millonig, Sand i.T. einen Besuch abgestattet, ja geradezu seinen Stempel aufgedrückt hat. Im Rathaus ist die Talstation des Nationalparks Rieserfernergruppe untergebracht. So früh im Jahr, von den erwähnten Bergen strahlte es dick weiß ins Tal, interessiert sich offenbar niemand für Nationalparks, also bleibt das Hauptquartier bis Mai geschlossen. An „Dr. Mutschlechners Kräuterpromenade“ vorbei stiegen wir noch zur Burg hinauf, die allerdings an diesem Tag ebenfalls geschlossen war, weswegen uns nicht nur die Besichtigung der bedeutsamen Altertümer verwehrt war, sondern auch der „vieldiskutierten“ Fresken von Lydia Roppolt (1967), wozu unser unübertrefflicher Cicerone Josef Rampold, die Dicke Berta der Südtiroler Heimatkunde, schreibt, man habe sie „als ‚Schutzmantelmuttergottes mit
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Efeu, Eiche, Distel, Föhrenzweige = Kunst + x
4 Den alten Talweg, der leider nicht mehr vorhanden ist, hatte noch der Teufel höchstpersönlich wegen einer gegen den Heiligen Wolfgang verlorenen Wette pflastern müssen; beim Neubau der Straße 1907 gingen leider die Fußabdrücke des Heiligen verloren, die noch in einem Felsblock zu erkennen waren. So bringt der Fortschritt auch Verluste, teils unwiederbringliche, mit sich. 5 „Der Hof liegt etwa 1485 m hoch auf einer Hangstufe zwischen senkrechten Felswänden. Vor dem Ersten Weltkrieg war er bereits zu Alm und Wald geworden, doch hat ihn der Vater des heutigen Bauern damals gekauft und wieder urbar gemacht; das Geld verdiente er vorwiegend als Lastenträger am Krimmler Tauern, wobei er es verstand, die Finanzsoldaten über den Inhalt seiner Buckelkraxe meist im unklaren zu lassen. Der 100/101
Hof hat gegen Ahornach einen schmalen in den Fels gehauenen Kirch- und Schulweg, auf dem man im Winter oft bis zur Hüfte im Schnee versinkt. Die geringste Unachtsamkeit wird hier zum Verhängnis – wie sich erst kürzlich durch den tödlichen Absturz einer Magd im Frühjahr 1972 erwiesen hat. Die direkte Verbindung hinunter zur Straße ist so steil, daß sie zum Teil über an den Fels gelehnte Holzleitern führt. […] Der Kofler hält an die zehn Stück schönes Vieh und ist jung verheiratet. Das zweitjüngste Mädchen ist nicht auf dem Hof und nicht im Tal geboren; als sich die verfrühte Entbindung ankündigte, wollte die Bäurin noch schnell über den steilen Steig zur Straße – aber es war bereits zu spät. So ist das Mädchen mit Hilfe seines Vaters zwischen den Wänden zur Welt gekommen.“ (Josef Rampold, Pustertal, 1975, S. 279)
Totentanz‘ zu verstehen, sofern dies gelingt. Das Urteil der Besucher reicht im allgemeinen von hilfloser Zustimmung bis zu scharfer Ablehnung …“ Das hätten wir schon gerne selber gesehen; einer von vielen Gründen, wieso wir nicht das letztemal in Taufers gewesen sind. Hurtig ging es weiter in Richtung Rein in Taufers. Hier, schon wieder an ein Ende der Welt gelangt, stehen drei Ikonen der Moderne im Gelände herum. Ein vereinzeltes riesiges weißes Windrad, dem man spontan mehr Wind wünscht, damit es nicht so sinnlos wirkt, eine gigantomanische weiße Satellitenschüssel und unten in der weiten nassen Wiese des Talschlusses ein mit weißen Plachen verhängtes Gerüst aus Teilen von einem Kran, Baustahlgitter und zwei Baumstämmen. Wenn etwas nicht Energie erzeugt und auch nicht der Kommunikation dient, dann kann es in einem tirolischen Bergdorf auf 1600 Metern Seehöhe nur mit dem Tourismus zusammenhängen. Bei näherem Besehen wurde klar: Es handelte sich um eine noch nicht fertig abgetaute Eiskletteranlage. 4
In das entlegene Bergbauernnest Rein kam gegen 1900 der Alpinismus. Die Bevölkerung wuchs an, und da zu jener Zeit auch Bergsteiger noch in die Sonntagsmesse gingen, mußte eine neue Kirche her. Dem verdanken wir ein Juwel des späten Historismus, in den sich schon der Jugendstil mischt: der grandiose Emanuel Raffeiner (1881–1923), dem wir schon am anderen Ende der verlorenen Heimat, in Mals, überraschend begegnet waren, hat hier den Triumphbogen ausgemalt: Erhöht sitzt Jesus Christus, rechts von ihm der Kirchenpatron, der Hl. Wolfgang, und links, mit dem typisch raffeinerischen langen Lockenhaar, die Mutter Gottes (ebenso wie die Engel mit einem Stich ins Rötliche, so richtig fin de siècle). Rechts flankieren betende Männer im Festtagsgewand die Sache, links die Reiner Damenwelt, in die der Maler seine
Frau mit zwei Raffeiner-Kindern hineingeschmuggelt hat. Reizend sind die neugotischen „floralen Elemente“ in den Zwickeln zwischen den Gewölberippen von der Hand des Innsbrucker Malers Ludwig Sturm: Efeu, Eiche, Distel, Föhrenzweige. Als sehenswert preisen die Tourismusverantwortlichen hierorts den höchstgelgenen Zirbenbestand der Ostalpen an. Daran kann man sehen, daß, gleich nach den Bergen, der wichtigste touristische Trumpf das ist, was der Engländer „a useless bit of information“ nennt. Die meisten, die durch Tourismus-Werbung über diesen Zirbenbestand in 2465 m Höhe informiert werden, wissen höchstwahrscheinlich nicht, was Zirben sind. Zu Hause im Wohnzimmer, wo die Entscheidung fällt, ob im Sommer nach Rein oder sonstwohin auf Urlaub gefahren wird, ist der Zirbenbestand dennoch eine bedeutsame, beinahe mystische Information. Die Zirben geben Rein das, was es zusätzlich zur Grundausstattung Berg braucht: die Aura des Besonderen. Die meisten Sommerfrischler schaffen es gar nicht auf das Tristennöckl hinauf. Aber sie sind zufrieden, weil die Zirben oben ihren Urlaubsort unten zu einem unverwechselbaren machen. Sie weilen an einem Ort, über den sie der Nachbarin dann weitererzählen können, daß in Rein der höchste Zirbenbestand der Ostalpen zu finden ist. Zurück talaus, einen kurzen Blick senkrecht empor zum entlegensten Südtiroler Einödhof, dem sinnig benannten „Kofler zwischen den Wänden“5, und kurz hinauf in das von weiteren Straßenbaustellen und den zugehörigen Staubwolken fast schon hermetisch abgeriegelte Ahornach. Es ist der Heimatort des Südtiroler Bergsteigers Hans Kammerlander, der es trotz Weltruhm noch nicht zu Ortstafelehren gebracht hat, im Gegensatz etwa zu weiland Leonhard Stock in Finkenberg. Ahornach liegt auf etwa 1300 m, auf steilen Wiesen über dem Tal und ist in den letzten zwan-
Bezirksblätter
„Good bye“
6 Aber vielleicht verstand sie bloß die Frage nicht richtig, sie wirkte reichlich harthörig, und sie redete eine Art von Deutsch, das einen daran zweifeln ließ, ob es sich hiebei um ihre Muttersprache handelte. War sie Italienerin, die vor langem hierher geheiratet hatte und nur den Dialekt konnte, sodaß „Deutsch“ von ihr wie eine rudimentär beherrschte Verkehrssprache gehandhabt wurde? Oder war es dieses infinitivische Tourismus-PidginBundesdeutsch, in das auch in Nordtirol spontan verfallen wird, sobald der Einheimische merkt, daß man kein Einheimischer ist, wobei er zwischen Innsbrucker, Restösterreicher und Bundesdeutschem keinen Unterschied macht oder kennt? Oder war sie die letzte Überlebende der keltischen Urbevölkerung, jenes Rumpelstilzchens der Altertumskunde, das an jedem zweiten Eck überraschend hervorspringt, wenn man einen Ortsnamen nicht recht zu deuten weiß? Die Kelten, einerseits längstverweht, sind andererseits in Namensgut und Gebräuchen ja überraschend präsent. Den Namen des Pustertals etwa leitet der Tiroler Namensforschungs-Papst Karl Finsterwalder von einem keltischen Eigennamen Busturus ab, allerdings nicht unwidersprochen. Der Slawist Franz Miklosich vermutet das slawische „pustu“ (öde) 102/103
dahinter, Cesare Battisti, der sich neben der Irredenta auch für Etymologie interessierte, fand das baskische „bustia“ für Weide. Wir würden hier for good measure, ganz unvorgreiflich und ohne allzu sehr auf Doktor Wadlers Theorie von der Urverwandtschaft aller Sprachen herumzureiten, denn doch noch auf die ungarische „Puszta“, den lateinischen „pastor“ für den Hirten sowie auf die ägyptische Katzengöttin Bastet als möglichen Ursprung des Namens Pustertal verweisen. Auch der alte, neuerdings aus Amerika rückeingeschleppte keltische Brauch Halloween stammt eindeutig aus dem Pustertaler Raum. Friedrich Haider berichtet in seinem Standardwerk Tiroler Brauch im Jahreslauf: Im Tauferer und Ahrntal pflegte man seit alters her das Pitschilesingen: Verhüllte und durch Larven unkenntlich gemachte Gestalten ziehen am Abend vor Allerheiligen von einem Bauern zum anderen, voran der Korbträger. Sie singen ein Arme-Seelen-Lied und bitten im Namen der Armen Seelen um Gaben für die Armen. Der Korbträger neigt den Korb der geöffneten Haustüre zu und nimmt die Gaben im Empfang; er dankt mit verstellter Stimme, meist in hohem Fistelton …
zig Jahren fast vollständig neu errichtet worden. Jedes einzelne Haus ist so gebaut, wie man in Südtirol Häuser baut: Irgendwie traditionell, aber ganz sicher ohne jenes Gefühl für Ebenmaß, das die Alten hatten und das heute verloren scheint. So bleiben die Kirchen als einzige ästhetisch befriedigende Gebäude in diesen Tälern übrig. Die von Ahornach bestach außer durch ihr spätgotisches Gepräge durch eine Steckdose, die außen (!) an der Kirchenwand angebracht war, so als könnten die Manderleut, die unrasiert zur Messe erschienen, hier schnell noch den Philishave anstecken. Die Kirche von St. Moritzen war an diesem Mittwoch um 16 Uhr 40 nicht zugänglich, weil gerade gebetet wurde. Die Kapelle von Bad Winkel war verschlossen. Auch die Quelle, die sich beim Gasthof Bad Winkel in einen Brunnen ergießen soll, rann nicht. Um 1700 half das Wasser gegen „faules Geplüet und aufgeblasene Leibsgestalt“, später soll es „dicke Leute mager“ gemacht haben. Die alte Wirtin wußte nichts von einem ehemaligen Bad, das allerdings dem Gasthof den Namen gegeben hat. Sie bestätigte jedoch, daß ihre Gäste im Sommer oft Wasser vom Brunnen (der nur im Sommer rinnt) an den Tisch holen.6 Die Kirche in Kematen schmücken Schlußsteine, die mit dem Namen Pacher in Verbindung gebracht werden. Direkt über der Eingangstür ist ein besonders eigenwilliger: Nicht nur deutet der Haarschopf zugleich eine dunkle Mondsichel an, nein, der dargestellte Mann streckt auch noch die Zunge heraus. Was das bedeutet? Wer ist das und vor allem, wem zeigt er die Zunge? Und dann noch die große gotische Pfarrkirche von Taufers. Es ist schon so dämmrig, daß wir etwa die Details der Decke nicht mehr erkennen können, doch dafür entschädigt ein riesiges Ostergrab mit vielen ku-
gelförmigen Glasbehältern, in die farbige Flüssigkeiten wie Badeöle gefüllt worden sind. Von hinten leuchtet eine Glühbirne, und das Badeöl strahlt in einem überirdischen Gelb, Rosa, Orange, Blau, Rot … Kurios an der Darstellung des letzten Abendmahls ist ein kleines rosa Lamm auf einem Teller, das die Stelle einnimmt, wo sonst das Brot zum Verzehr bereitliegt. An der Außenwand der benachbarten Michaelskapelle wird eine detaillierte Anleitung zum Beichten gegeben, und Herr Thomas Freiherr von Zephyries, Domherr zu Brixen und Pfarrer in Taufers, hat 1775 aufgelistet, „was ein jeder Christ beten soll können“: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Das heilige Kreuz machen. Das heilige Vater unser. Den englischen Gruß. Den christlichen Gl(a)uben. Die sieben heiligen Sakramente. Die zehn Gebote Gottes. Die fünf Gebote der Kirche. Den Engl des Herrn. Die offene Schuld. Den Glauben, die Hoffnung und die Liebe erwecken.
Der englische Gruß hat nichts mit Großbritannien zu tun, vielmehr mit dem „Ave Maria“: Aus dem Gruß des Engels – englischer Gruß! – an Maria (Luk. 1,28) leitet sich das Gebet „Gegrüßet seist Du, Maria…“ ab. In Mühlwald ging schon die Sonne unter und es war saukalt, sodaß wir den Abschlußcappuccino draußen in Mühlen tranken. Der Wirt brachte ihn uns mit einem niedlichen Streukakaoherzen auf dem Schaum, fast so gelungen wie damals im Café am Platz in Cividale, aber nur fast.
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Hans Weigand Originalbeilage Nr. 4
Jedem Exemplar dieser Ausgabe von Quart liegt eine Edition des in Wien lebenden Künstlers Hans Weigand bei. Jeder dieser Drucke auf Deco Print im Format 27,1 x 20,83 cm entspricht einem Dreißigstel des reprografischen Nachdrucks von Weigands Montage Crinkum Crankum (Öldruck auf Leinwand und Mixed Media, 2004): die Mitglieder der Band Crinkum Crankum, fotografiert von Elfi Semotan, mit Szenen von Hieronymus Bosch und Marvels Silver Surfer-Comic.
Nach dem Prinzip des beliebten „Starschnitts“ aus Zeitschriften unserer Jugend lässt sich das Gesamtbild also durch den Kauf von 30 Exemplaren dieser Quart-Nummer rekonstruieren. Damit es dabei nicht zu Dubletten kommt, ist der Bauchbinde des jeweiligen Heftes zu entnehmen, welcher Ausschnitt des Gesamtbildes sich in ihm befindet.
Mit ein bisschen Glück und Ausdauer ergibt sich somit die Möglichkeit, ein vollständiges, unnummeriertes Exemplar von Hans Weigands Crinkum Crankum im Format 135,5 x 125 cm für preiswerte € 360,– zu erwerben.
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Du nimmst.
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Leben lernen
Hans Weigand: Ein Porträt des Künstlers als glücklicher Stromgitarrist. Von Sebastian Huber Fehler verfolgen Das FLUC am Wiener Praterstern wirkt auf den ersten Blick wie der Schauplatz eines Rangierunfalls. In eine Wand des ehemaligen Ladenlokals ist ein Container gerammt, als hätte der Fahrer nach einem unglücklichen Manöver die Zugmaschine abgekoppelt, ein paar Bierkisten untergestellt und das Weite gesucht. Im Container werden, neben dem Musikprogramm, das den Ruf des Ortes begründet hat, seit März Video- und Soundinstallationen gezeigt, regelmäßig finden Ausstellungseröffnungen statt. Der Zusammenprall von Ausstellungsraum und Musikclub, von Ambition und Bierkneipe, von Start-up und Verfall entwickelt einige Anziehungskraft. Der winzige Laden ist gestopft voll, aber draußen auf dem Vorplatz hört man auch noch genug und es ist schon fast Frühling. Auch das Programm hat etwas von einem Auffahrunfall. Auf Hans Weigands Band Crinkum Crankum mit ihrer rau aber herzlichen Hard RockAttitüde folgt der Einser-Schüler-Kunst-Punk von colore blind. Weigand hat eigens für dieses Konzert einen Aufenthalt in Innsbruck unterbrochen, wo er tags darauf sein neuestes Kunst am Bau-Projekt eröffnet. Sein Schlagzeuger Albert Mayr hatte auf dem Auftritt bestanden, der Bassistin wegen, die neuerdings bei colore blind spielt. Das kann man verstehen. Weigand scheint sich in diesem fluktuierenden Raum aus Kunst, Rock ’n’ Roll und wirklichem Leben besonders wohl zu fühlen. „Dadurch, dass die Jungen (neben Mayr noch Johann Neumeister am Bass) so eine Grundpower mitbringen, bin auch ich entspannter. Wenn ein Fehler passiert, ist das egal, im Gegenteil, den verfolgen wir und bauen ihn aus, bis er niedergekämpft ist.“ Damit ist nebenher ein künstlerisches Grundprinzip in der Arbeit von Weigand be-
nannt, die einem ausgeklügelten Rhythmus aus Aktivität und Passivität zu folgen scheint. Die Fehler verfolgen, den Zufällen nachgehen. Die Offenheit, das bisweilen schwer Greifbare von Weigands Werk hat sicher mit diesem aleatorischen Moment zu tun. In der Nähe der Fehler liegen die Wirkungen. Vielleicht muss man einen wie ihn regelrecht umstellen, einkreisen, um sich ihm zu nähern. Gewährsleute befragen, Meinungen hören, Perspektiven wechseln. Er sieht dabei ruhig zu, verfolgt die Bewegungen um ihn herum und fragt am Ende mit leicht spöttischem Unterton: „Und, rundet sich das Bild?“ Diesen Gewährsleuten, Zeugen, Auskunftspersonen verdankt der vorliegende Text weit mehr, als aus den einzelnen Erwähnungen hervorgehen kann. Immer ging es in den Gesprächen mit der Galeristin Gabriele Senn, dem Künstler, Studienkollegen und Freund Heimo Zobernig, dem Kritiker Christian Höller, dem Künstler und zeitweiligen Schüler Marco Lulic und Tochter Katharina auf die eine oder andere Weise um das komplizierte Verhältnis von Leben und Kunst, um die absichtsvolle Verwischung der Grenzen zwischen beiden, die zu Weigands bevorzugten künstlerischen Strategien zu gehören scheint, um die Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten, die er sich damit eröffnet, und die Gefährdungen, die sich daraus bisweilen ergeben können. Disco Boys Einer fehlt an diesem Abend im FLUC: Raymond Pettibon. Auftritte der Band ohne ihn bezeichnet Weigand als „Sparprogramm“: „Raymond ist ein Vollblut-Entertainer. Der redet zwar sonst kein Wort, aber auf der Bühne ist er ein Berserker. Der schmeißt ei-
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Elektrische Kraft aus der Wand.
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nen ganzen Abend.“ Pettibon, früher Heroe der PunkSzene von Los Angeles und mittlerweile einer der führenden amerikanischen Künstler seiner Generation, liefert die Texte für Crinkum Crankum und fügt jeweils Anweisungen zu Genre und Stil der einzelnen Nummern bei. Auf der gemeinsamen CD The Throat of Citizen Just von 2001 ist der daraus entstehende Stilmix aus Punk, Blues, Folk und Country noch deutlicher ablesbar als bei diesem Konzert im Wiener Vorfrühling. Der Anteil an Improvisation, sagt Weigand, ist bei den Konzerten mit Pettibon denn auch wesentlich höher: „Raymond und ich haben schon in Los Angeles immer miteinander musiziert und es war sehr schnell klar, dass man sich versteht, da brauchten wir nicht lange reden. Die Kunst wie auch die Musik von Pettibon funktioniert wie ein Code, wie eine Sprache voller kultureller und subkultureller Informationen und Anspielungen.“ Dieses Spiel mit unterschiedlichen Stilen, der Bezug auf die Musik der 60er und 70er Jahre und die radikalen, utopischen Momente von Underground (mitunter auch eine gewisse Wehmut im Rückbezug auf die Revolte), Pettibons Aggressivität und Weigands Blues machen das Pathos und den Witz der Zusammenarbeit auf The Throat of Citizen Just aus. „If you say I love you / I will kick your face / But if you kick my ass / I will love you too.“ Alte musikalische Schwertkämpfer sind der Kalifornier und der Tiroler gleichermaßen. Mit sechzehn Jahren ist Weigand in Diskotheken im Zillertal erstmals mit einer Band auf der Bühne gestanden, die Cover-Versionen von den Beach Boys, Rolling Stones und Small Faces im Repertoire hatte. Musikalische Reinheit war seine Sache nie, weshalb er nur bei den schnelleren Nummern zugelassen war. Vom Skigymnasium in Stams, das Weigand Ende der 60er Jahre besuchte, fuhr man oft Wochen und Monate lang nicht nach Hause, damit die Haare Gelegenheit hatten zu wachsen. Geschich-
ten aus einer untergegangenen Zeit, als sich Stilfragen noch wie Lebensentscheidungen ausnahmen. Für Weigands Art, die Welt zu betrachten, sind die Einflüsse aus dieser Lebensphase (damals hätte man gesagt „seine Sozialisation“) ständiger Gegenstand der Verklärung, Selbstvergewisserung und kritischer Befragung. Die Auseinandersetzung mit der eigenen gegenkulturellen Existenz spielt für seine Kunstproduktion von Anfang an eine entscheidende Rolle, ist womöglich einer der ursprünglichen Impulse seiner Arbeit. Sein enormes Wissen über die Subkulturen der 60er und 70er Jahre, von dem jeder höchst beeindruckt berichtet, den man nach Weigand fragt, erscheint nicht sonderlich systematisiert. Vielmehr speist sich der Reichtum und die Lebendigkeit seines Wissens zu einem Gutteil aus seiner eminenten Begabung zum Geschichtenerzählen. Als „wandelndes, sehr subjektives Lexikon“ bezeichnet Marco Lulic diese Form von Wissen und Vermittlung seines ehemaligen Lehrers, dem er Mitte der neunziger Jahre als Gastprofessor an der Hochschule für Angewandte Kunst erstmals begegnete und als Förderer in seinen Anfängen viel verdankt. „Der Hans hat uns Junge nie belehrt. Er hat uns wichtige Hinweise gegeben, aber in einer fast beiläufigen, unhierarchischen, nie belehrenden Art. Er ist mit seinem immensen Wissen geradezu verschwenderisch umgegangen.“ Schon in Weigands erster großer Arbeit, der 30-teiligen Fotoserie „Disco Boys“, die 1978 in einer von Oswald Oberhuber veranstalteten Ausstellung in Wien gezeigt wurde, steht die Reflexion über popkulturelle Phänomene als Momente der Lebens-Gestaltung im Zentrum. In unterschiedlichen Outfits und differenziertem körpersprachlichen Vokabular inszeniert Weigand am eigenen Körper Lebensstile und Images, die gleichermaßen distinkt und austauschbar wirken. „Disco Boys“ zeigt dreißig mög-
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Du biegst sie
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liche Posen und Positionen, dreißig mögliche Erzählungen über die eigene Erfahrung von Welt und die damit verbundenen politischen Haltungen in aller Detailtreue und mit dem Ernst der wohlgemeinten Nacherzählung. Gleichzeitig ironisiert und entwertet die Anhäufung von Projektionen – mithin die Tatsache, dass all diese Lebenshaltungen von ein und demselben Körper gleichzeitig und mit der gleichen Überzeugung eingenommen werden können – die jeweils einzelne, auf Authentizität der Erfahrung gerichtete Darstellung. „Disco Boys“ konfrontiert den Betrachter mit ausdrucksstarken Körperbildern und zieht deren Expressivität zugleich in Zweifel. Z „Ich glaube, er hat sich selber immer auch ein bisschen als Musiker gesehen“, sagt Weigands Tochter Katharina, die mittlerweile selber Platten sammelt und sonntags im „Donau“ in Wien Dub und Reggae auflegt. Musik durchzieht als künstlerische Praxis alle Phasen von Weigands Schaffen. Sie ist Anlass und Vehikel für viele seiner Kooperationen mit anderen Künstlern und scheint die Verständigung untereinander über den eigenen Standort immer sehr erleichtert zu haben. Dabei handelt es sich stets um „Musik über Musik“, wie Heimo Zobernig das nennt, um Versuche, den popkulturellen Stand der Dinge zu erfassen, Vorlieben zu pflegen und das als gut Erkannte über sich selbst hinaus zu treiben. In den 80er Jahren macht Weigand mit Pas Paravent „Musik, die so ‚no wave‘ war, dass keine verbindliche Aufnahme oder Tonkonserve sie hätte einfangen können“ (Christian Höller). Anfang der 90er Jahre tut er sich zur Einspielung der LP Avoidance mit seinen Künstlerkollegen Heimo Zobernig, Martin Guttmann und Marcus Geiger zusammen, einer Formation, in der Weigands Gitarre als der „musikalische Traktor“ (Zobernig) wirkt. Die Arbeit im Studio wird
von Zobernig auf einem Video dokumentiert, das sich ironisch auf One and One bezieht, Jean-Luc Godards Dokumentarfilm über die Aufnahmen der Rolling Stones zu Sympathy for the devil. In den zahlreichen Gemeinschaftsprojekten mit Heimo Zobernig seit Ende der 80er Jahre spielt Musik stets eine entscheidende Rolle. Im ersten Teil von Zobernigs Video für Martin Kippenberger nähert sich Weigand mit seiner Gitarre auf großen Umwegen dem berühmten Zithermotiv aus Orson Welles’ Film Der dritte Mann, bevor im zweiten Teil Aufnahmen vom Begräbnis Kippenbergers folgen. In dem Video eS C H EIS Es sieht man im starren Blick der Kamera auf Weigands Gitarre, wie er Zobernigs Komposition aus den Tönen es, c, h, eis, es bearbeitet – in Anlehnung an Johann Sebastian Bachs berühmte Fuge über die Tonfolge b, a, c, h . Für den Andy Warhol-Film von Otto Mühl stehen Zobernig und Weigand in der Galerie Hubert Klocker als Velvet Underground vor der Kamera. Für Weigand ist die Aufgabenverteilung klar: „Ich war Lou Reed und er war John Cale.“ Das seltsam Heroische, das im gezielten Angriff auf die großen musikalischen Vorlagen besteht, charakterisiert in unterschiedlichen Brechungen viele Arbeiten Weigands. In Z, einer Fortschreibung von John Boormans Film Zardoz, reitet Albert Mayr in Sean Connerys martialischem Badehosen-Kostüm auf einem Araberhengst durch eine österreichische Wiesenlandschaft und schwingt eine Gitarre über dem Kopf wie ein Gewehr. Die Szene beruft sich einerseits auf die Gleichsetzung beider Instrumente in der Pop-Geschichte – von Bob Dylans Satz „Ich habe immer geglaubt, dass ein einzelner Mann mit seiner Gitarre eine ganze Armee von der Bühne jagen könnte, wenn er wüsste, was er tut“ bis zu Jimi Hendrix’ Machine Gun. Gleichzeitig markiert Boormans Film so etwas wie das Ende der Hippie-Kultur, indem er
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und formst sie.
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die Utopie einer kommunitaristischen Gesellschaft verwirklicht und in die katatonische Starre vollständiger Konfliktlosigkeit ohne Liebe und Tod überführt. „I have seen the future, and it doesn’t work.” Da hilft nur noch das Eindringen der Barbaren unter der Führung Sean Connerys oder die Rückkehr zur reproduktiven Kleinfamilie in der Ur-Höhle. Die beiden zentralen Glaubenssätze des Gottes Zardoz – „The gun is good. The penis is evil“ – werden in Weigands Ersetzung des Gewehrs durch die Gitarre synthetisiert zu einer ironisch gebrochenen Rock ’n’ RollErlösungsphantasie. Die Gitarre als Erinnerung an die Hoffnung auf eine gegenkulturelle Revolte trägt in der Bearbeitung des historischen Science-Fiction Films noch einmal den Sieg davon. Als ob Weigand in einer irrwitzig trotzigen Volte den Werbeslogan von Zardoz in sein Gegenteil verkehrte: „I won’t believe that the past didn’t work.“ In der ebenfalls Z betitelten Performance mit Jonathan Meese im Münchner Marstall schlüpft Weigand höchstselbst in die Rolle des späten Messias, indem er für seinen Auftritt mit der Gitarre das Kostüm und die Perücke des barbarischen Exterminators anlegt. Eine kurze, ruckartig geloopte Video-Sequenz aus dieser Performance bildet unter dem Titel Z II das aktuelle Gegenstück zu Z und wird mit diesem zusammen auf zwei nebeneinander hängenden Videoschirmen gezeigt. Das Großartige, das darin liegt, sich heute nicht mit den Niederlagen von 1974 abzufinden, geht über simple Vergangenheitsseligkeit und modische Wiederaneignung weit hinaus und besteht auf dem utopischen Gehalt, der in den Bildern des Scheiterns aufgehoben zu sein scheint.
überlegt, ein Rennpferd zu kaufen, aber das erschien uns zu teuer und so beschlossen wir, ein Boot zu kaufen. Raymond war noch nie in Catalina, ich wusste nicht allzu viel über Boote und Hans wollte noch ein bisschen Zeit in Los Angeles verbringen. Bei dem Projekt handelt es sich nicht wirklich um ein Projekt, sondern um drei Leute, die sich zusammengetan haben, um ein Boot zu kaufen, sich darum zu kümmern, es zu erhalten, bestimmte Veränderungen daran vorzunehmen, zu angeln und nach Catalina zu fahren. Es beginnt oder endet nicht mit dieser Ausstellung (im Schindler House in Los Angeles, Anm.), es beschäftigt sich vielmehr mit unserem Leben, unseren Interaktionen und dem Handwerk, das damit verbunden ist.“ (Jason Rhoades) Sich freizuschwimmen von gängigen Kategorisierungen und dabei bis an die Grenzen dessen vorzudringen, was als Kunst noch wahrnehmbar (und verkäuflich) ist, ist die zentrale Strategie von Life/Boat, das Weigand im Jahr 2000 gemeinsam mit Jason Rhoades und Raymond Pettibon in Los Angeles zu Wasser ließ. Ist ein ausgedehnter Angelausflug dreier Freunde schon allein deshalb Kunst, weil es sich bei allen dreien um namhafte Künstler handelt? Bereits im Titel Life/Boat ist die Beziehung zwischen Kunst und Leben in ihrer Vieldeutigkeit beschrieben. Die Klangassoziation „Lifeboat“ gibt dem Unternehmen eine Aura von Lebensrettung und Zwangsgemeinschaft wie in Alfred Hitchcocks gleichnamigen Film, auf den im Verlauf des Projektes mehrfach angespielt wird. Gleichzeitig scheint der Schrägstrich auf eine und/oder-Beziehung zwischen den beiden Einzelbestandteilen hinzuweisen, die auf der klaren Trennung der Begriffe von Leben und Kunst beruht.
Life / Boat „Die Idee kam auf, dass ich und Raymond Pettibon und Hans Weigand ein Boot kaufen. Erst haben wir
Wenn man im Gespräch mit Weigand auf diese Fragen zu sprechen kommt, beschreibt er häufig biografische Unterströmungen, aus denen sich die gro-
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Diese Kraft ist.
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ßen erzählerischen Linien in seinem Werk subjektiv zusammensetzen. Auf der Suche nach einem erfahrenen Kapitän für das mehrfach auf offener See in Bedrängnis geratene Life/Boat geriet Weigand im Hafen an einen Freund von George Nader, dem Hauptdarsteller der acht Jerry-Cotton-Filme, die in den 60er Jahren um die Figur des Groschenheftchen-Helden gedreht wurden. Aus dieser Begegnung habe sich eine Anregung zu der im Kölner Museum Ludwig und der Wiener Secession gezeigten Installation Cotton 2001 ergeben. Muss man das wissen, um diese Arbeiten angemessen würdigen zu können? Wahrscheinlich nicht. Und doch gerät der deutlich zur Schau getragene Machismo beider Produktionen in eine etwas andere Beleuchtung, wenn ihr heimliches Verbindungsglied ein vergessener, schwuler B-Picture-Schauspieler in seiner Westküsten-Villa ist. Heimo Zobernig warnt: „Den Hans und mich verbindet eigentlich die Haltung, dass die eigene Geschichte nicht so wichtig ist, dass wir nichts zu tun haben wollen mit dem Beuysschen Eindringen der Biografie, wo Leben und Werk sich zu einem Gesamtkunstwerk als Organismus verbinden. Das hat ja auch etwas Reaktionäres. Für die Betrachtung eines Kunstwerks ist es doch gleichgültig, wann jemand geheiratet oder Drogen genommen hat, entscheidend ist, wie ein Werk in den zu seiner Zeit aktuellen Kunstdiskurs eingebettet ist.“ Vielleicht muss man tatsächlich immer wieder gedanklich trennen, was gerade bei Weigand auf den ersten Blick so nahtlos zusammen zu gehören scheint, weil persönliche Erfahrungen, Freundschaften, gelebtes Leben an jeder Ecke in seine Kunst hineinragen, sie dynamisieren und durchlässig machen. Schließlich ist bei Life/Boat doch noch ein Werk entstanden, das den über Bord gegangenen Kunstbegriff zu retten verspricht: der Assaver (zusammengezogen aus Ass-Saver) ist ein Schwimmbehelf für den Aller-
wertesten, in dem eine, von den drei Künstlern gemeinsam hergestellte Collage wasserdicht verstaut ist. Auf einem übermalten Druck, der zeigt, wie der Assaver an Weigands Tochter Katharina getestet wird, ist das Ergebnis eindrucksvoll belegt: Die Trägerperson treibt mit um die Körpermitte geschnalltem Assaver scheinbar leblos kopfunter im Wasser. Die Rettung des Lebens durch Kunst, eine mögliche Lesart von Life/Boat, verkehrt sich so im äußersten Notfall in die Rettung der Kunst auf Kosten des Lebens. Vor und nach dem jüngsten Gericht In den neuesten Arbeiten nimmt denn auch erstmals ein deutlicher Bezug auf kanonisierte Kunstgeschichte die zentrale Stellung ein. Verschiedenformatige Collagen und Malereien nach Gemälden von Hieronymus Bosch (Das jüngste Gericht, Der Garten der Lüste) werden ergänzt durch CD-Roms, die die Werke aus dem frühen 16. Jahrhundert in ein interaktives Spiel um popkulturelle Analogien und Referenzen verwickeln und so beide historischen Ebenen einem Prozess gegenseitiger Aufladung und Abwertung aussetzen. Auf „Before And After The Last Judgement“, das mittlerweile in fünf Versionen existiert, werden popkulturelle Bilder, Plattencovers, Comics, dokumentarische Kriegsfotografien, private Schnappschüsse montiert und in einen Bildaufbau integriert, der die Struktur von Boschs Original-Triptychon aufnimmt. Die auf den Bildgrund aufgedruckten und mit Acryl über- und ummalten Bildmontagen entfalten ihre starken Wirkungen nicht zuletzt aufgrund ihres malerischen Charakters, der die auseinanderstrebenden Elemente und bewusst trivialen Analogiebildungen zusammenhält. Das berühmte in eine Decke gehüllte Liebespärchen aus Woodstock und der psychedelische Comic-Held Silver Surfer im Paradies, das Plakat zu
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Etwas Wunderbares.
[ Der Starschnitt aus 30 Streifen wird in etwa 1,35 x 1,25 m groĂ&#x; sein .]
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Gunter von Hagens Körperwelten-Ausstellung, brennende Ölquellen und Atombombenabwürfe in der Hölle, und wo man Gott zu Gericht sitzend erwarten würde, verhindert Superman ein Zugunglück. Die CD-Rom, die parallel zur malerischen Produktion gemeinsam mit Christian Höller und Alexandra Seibel entstanden ist, bietet die Möglichkeit, Boschs Das jüngste Gericht mit dem Cursor abzufahren und an bestimmten Stellen des Gemäldes Fenster mit kurzen Filmausschnitten zu öffnen. Diese Arbeit wurde erstmals neben Boschs Original in der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste in Wien präsentiert. Der verblüffende anfängliche Effekt ist, dass sich die Wahrnehmung des Bildes von Bosch durch den vergrößerten Ausschnitt in der digitalen Darstellung und die Bewegung (mit der Maus) über das Bild verändert. Durch die maschinelle Steuerung und Verlangsamung des Blicks wird gewissermaßen eine „Wanderung“ durch die apokalyptische Landschaft inszeniert. Das Verfahren der „Nahaufnahme“ intensiviert bei gleichzeitiger Entkörperlichung und Verflachung einen bestimmten Aspekt der Wahrnehmung des Bildes: die einzelne Folterszene wird weitestgehend aus der formalen Sinnstiftung der Gesamtkomposition des Bildes gelöst, das Düstere, Grelle, Alptraumhafte dadurch noch stärker in den Blick gerückt. Die Filmausschnitte, die sich an bestimmten Stellen des Bildes abspielen lassen, konfrontieren, häufig auf der Basis formaler Entsprechungen, den solcherart verstärkten „Horror“ des Hieronymus Bosch mit Samples aus dem Kino der 60er und 70er Jahre bis zu aktuellen Musik-Videos. Dabei entsteht keine durchgängige Gegen- oder Parallelerzählung, allenfalls existiert eine Verweisstruktur zwischen einzelnen Clips. So beziehen sich eine 1969 entstandene Dokumentaraufnahme des singenden Charles Manson, ein Ausschnitt aus Kenneth Angers „Invocation of my demon brother“ mit Bob-
by Beausoleil, der zu Mansons Clan gehörte, und das Video von Floria Sigismondi zu „Beautiful People“ von Marilyn Manson (1997) aufeinander. Gleichzeitig konstruieren die Arbeiten, zu dem WeltgerichtsTriptychon in ihrer Gesamtschau so etwas wie eine jüngere Kulturgeschichte des medial produzierten Schreckens und ordnen sie zu einer neuartigen Rezeptionsgeschichte der Werke Hieronymus Boschs. Die Anverwandlung des Malers duch die Rock-Bohème der 60er und frühen 70er Jahre im Namen von Drogen, Bewusstseinserweiterung und Transgression – am prominentesten auf dem Cover des Albums „Deep Purple“ aus dem Jahr 1969 – bilden den Hintergrund und Ausgangspunkt für das Unternehmen. Vielleicht, gibt Christian Höller zu bedenken, seien die Erfolge, die Weigands Arbeiten nach Bosch derzeit in den USA feierten, auch ein Signal dafür, dass man dort mittlerweile der kühl kalkulierten, minimalistischen Ästhetik der 90er Jahre überdrüssig geworden ist. „Weigands Arbeiten zeichnen sich durch eine gewisse Fülle und Üppigkeit aus, sind barocker, theatraler, bewegen sich bisweilen auch an den Grenzen des guten Geschmacks. Das ist ein bisschen wie die derzeitige Rückkehr der Bandkultur mit ihren volleren, psychedelischen Klängen nach der Hoch-Zeit der elektronischen Musik in den letzten Jahren.“ Und ganz zuletzt wirken die Arbeiten auch wie ein riesiges geheimes Selbstporträt, voller Bezüge auf die eigene künstlerische und persönliche Biografie, Referenzen an kulturelle (Vor-)Bilder, gute Freunde und nahe Verwandte – das ganze große Weigand-Universum in der Zwischenzeit nach dem Jüngsten Gericht von Hieronymus Bosch und vor dem jüngsten Tag der Popgeschichte, an dem Weigand jedenfalls zur Rechten des Herrn sitzen wird, als der Große Glückliche Stromgitarrist.
Gutachten
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Hier der Beginn einer neuen Serie: Unter der Rubrik „Gutachten“ werden jeweils mehrere Vertreter einer Berufsgruppe eingeladen, auf einer einzigen Heftseite kompakte Bestimmungen einer zeittypischen Erscheinung zu entwerfen.
Diesmal: Schutzhütten
Berufsgruppe: Architekten Zeittypische Erscheinung: Sicherheit Reizwörter: Killerviren, Computerwürmer, Terrorismus, Überfremdung, Rentenklau, Beziehungsangst (…) Aufgabenstellung: Entwerfen Sie bitte auf einer Quartseite eine Schutzhütte! Fünf Beiträge von Othmar Barth, Margarethe Heubacher-Sentobe, riccione architekten, Wolfgang Tschapeller und Erich Wucherer
Gutachten
den Schutt hĂźten oder den Schutz schĂźtten
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Ragusa/Sizilien Jänner 2004
riccione architekten
Gutachten
Das Wort sticht (Zitat): „O, Wildnis, o Schuh auf ihr“
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… einen Raum zu wissen und zu haben, um sich absetzen und zurückziehen zu können, zum Arbeiten, zum alternativen Wohnen, in eine Schutz-Hütte, z.B. 2,26 x 2,26 x 2,26 m, oben am Hang oder unten am Meer, innen wie außen wohnlich, gezimmert oder gemauert, aber eben kaum die Landschaft berührend, luftig und frei. In der Stadt sind sie zu Tausenden auch da, aber ganz anders eingekleidet, sie schauen uns aus den Augen der Stadt an. Seit 50 Jahren gehe ich an solchen Augen vorbei, z.B. in Bozen, man sieht die schönen, weitgespannten Gewölbe der Bauleute des 19. Jahrhunderts dahinter. Darunter haben sie die Menschen immer wieder anders eingerichtet, für einen Laden, für ein Restaurant, eine Bank usw. Das Wohnen findet weiter oben – darüber – statt, das Arbeiten dazwischen. Nach langen heißen Tagen und Nächten kommt häufig der Wunsch nach der Hütte wieder auf, oben am Berg – als „Sommerfrischhaus“ , eine der sieben „Bozner Seligkeiten“ – oder unten am Wasser, am See – für sehr viele auch nur im Auto, den fahrenden Augen, den stetig suchenden; der eigentlichen Schutz-Hütte von heute, der seriellen …
Othmar Barth
Gutachten
Natur = Wort â&#x20AC;&#x201C; Schutz
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Nachdem Häute, Gebäudehüllen, Skelette und Barrieren aufgelöst sind, beginnt man verschieden verdichtete Atmosphärenzustände zu erzeugen. Materialität verzieht sich in molekulare Größen. Luftraum wird direkt nutz- und brauchbar. Schlafende sinken mehr oder weniger schnell zum Schwerpunktszentrum. Die Nacht lässt fremde Körper sanft aneinander stoßen, sich gegenseitig beschleunigen, aus der Bahn werfen, sinken, am Morgen die Erdoberfläche touchieren. Geöffnete Membranen, freier Teilchenfluss – Positionen des Schlafs, skin resolve, protection go, flow open, edge go, boundary go, upside down go, fear go, liquids flow.
Wolfgang Tschapeller
Gutachten
(Das Foto bildet eine Wirklichkeit ab, die noch nicht gebaut worden ist.)
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Erich Wucherer
Gutachten
SĂźd Nord tirol West Ost
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Margarethe Heubacher-Sentobe
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Katalogmanifest: Der Fรถhn ist nicht schรถn. Die Welle tut gut.
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Der Moralist und die Tänzerin
Markus Wilhelm war einer anderer, früher, als er mit seiner Zeitschrift „Föhn“ Österreich praktisch im Alleingang wieder auf den richtigen Weg bringen wollte. Heute führt er eine Fremdenpension in Sölden. Georg Diez hat ihn besucht. Wenn Markus Wilhelm auf der Wiese neben seinem Haus steht, dann verschränkt er die Arme vor der Brust und schaut hinunter auf Sölden. Sehr gerade steht er da, in seinen verwaschenen Hosen und dem grauen Pullover, der ein wenig ausgeleiert ist, als habe ihn vor ihm schon lange jemand anderer getragen. Markus Wilhelm sieht darin aus wie sein eigener jüngerer Bruder. Er blickt fast unbeteiligt, in seinen Augen liegt etwas Helles, sein Gesicht ist ruhig und entspannt und hat die gesunde Farbe eines Mannes, der sein Leben mehr hier draußen verbringt, wo die Luft frisch ist, wo die Schafe sind und die Ziegen, wo die Bäume sind und die Berge, die hinter seinem Haus aufwachsen. Vor ihm fällt der Hang steil ab, hinunter zur Ötztaler Ache, die in ein Bett aus Beton gefasst ist, damit die Natur nicht über den Menschen siegt. Manchmal scheint ihm die Sonne ins Gesicht, wenn er so da steht, vor allem am Nachmittag, wenn drüben auf der anderen Seite des Tals die Skifahrer auf dem schmalen Streifen entlang rutschen, der mit Kunstschnee auf den frühlingsbraunen Hang gepappt wurde. Markus Wilhelm kneift in solchen Momenten die Augen zusammen. Die Welt, die er sieht, wenn er auf der Wiese neben seinem Haus steht, ist nicht seine Welt. Die Menschen, die er von hier oben betrachtet, sind klein, sie sind schwach, sie denken an sich und an das Vergnügen und an den nächsten Smirnoff Ice. Sie tragen bunte Anoraks, sie singen „Cantare ohohoho“ oder „Dancingsinginghallelujah“, sie steigen in ihre Autos und fahren betrunken gegen einen Baum. Markus Wilhelm hätte allen Grund, wütend zu sein auf
diese Leute. Aber er ist nicht wütend. „Das geht so schleichend“, sagt er, „so schleichend“. Damit meint er alles. Das Leben, die Moral, den Konsum. Schleichend, ganz schleichend, so rutscht der Mensch langsam ab, rutscht ins Tal wie der Schnee im Frühling, rutscht in die Behäbigkeit, in die Selbstzufriedenheit, in die Zerstörung der Natur und des Friedens und des Planeten. Markus Wilhelm war einmal ein Revolutionär. Heute ist er nur noch Zuschauer. Von seinem Haus aus, das am Hang klebt wie all die anderen Häuser, wie auf einem großen Tablett, von dem sie jederzeit herunter kippen können, von diesem Haus aus sieht er rechts die Gondeln, die die Skifahrer hinauf zum Giggijoch bringen, er sieht die Häuser, die an der Straße entlang gebaut sind und aussehen, als seien sie zur dreifachen Größe aufgebläht, er sieht die Neonschilder und die Busse, und wenn er weiter nach links schaut, dann sieht er ein kleines braunes Haus, das sich wie verlegen an den Hang duckt. Es steht direkt an der Straße, und am späten Nachmittag parkt hier nur selten ein Auto; nachts hält dafür öfter mal ein Taxi, aus dem dann ein paar Männer steigen. In Sölden ist es schließlich so: Um 18 Uhr stehen die Männer mit ihren Skischuhen, den Hosen, Pullis und Brillen auf den Tischen und tanzen. Und um zwei Uhr früh stehen die Frauen auf den Tischen und tanzen und haben praktisch gar nichts an. Das eine passiert zum Beispiel in der „Schirmbar Liebe Sonne“ mitten im Dorf; das andere passiert zum Beispiel in der „Rodelhütte“ am Rand des Dorfes, in jenem kleinen braunen Haus, das Markus Wilhelm von seinem Haus aus sieht, wenn er nur genau hinschaut. Irgendwann kurz vor zehn am Abend geht
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Erfahrungsbericht: Das Kreuz ist ein Kreuz. Die Fรถhnwelle der Christin wirkt gut gelegt.
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hier Kristina über den Parkplatz und verschwindet in der Tür. Dann ist sie nicht mehr Kristina, sondern Claudia, und wenn sie nackt auf dem Tisch tanzen und dabei an ihrer Kollegin Mandy herumlecken soll, dann kostet das 80 Euro. Kristina ist aus Ungarn, sie ist Go-Go-Tänzerin, sie ist die andere Wahrheit zur Wahrheit von Markus Wilhelm. Zusammen ergeben sie die Wahrheit von Sölden. Kristina hat blonde Haare, weil in der „Rodelhütte“ alle Frauen blonde Haare haben. Sie trägt ein Kreuz um den Hals, sie zeigt ihre Brüste jeweils beim zweiten Tanz, sie wechselt ihr Kostüm meistens nach jedem Auftritt. Dann verschwindet sie hinter der Spiegeltür, die an der Rückwand der kleinen Bühne angebracht ist, auf der auch eine Stange steht, an der sich die Frauen drehen und reiben und festhalten, wenn sie nicht gerade an einem Finger lutschen. Mal taucht sie in einem goldenen Nichts wieder auf, mal in einem silbernen Nichts, mal in einem glitzernden Nichts. Dann geht sie entweder zu den anderen Frauen, die vorne rechts sitzen und Britney Spears oder Madonna oder sonstwas zuhören, während eine andere von ihnen tanzt, Kristinas Cousine Tina etwa oder ihre Freundin Michelle, die beide auch aus der kleinen ungarischen Stadt Mogyoród kommen, wo einmal im Jahr Michael Schuhmacher und die anderen Formel-1-Fahrer im Kreis fahren, oder sie geht zu einem der Männer, die an der Bar sitzen oder an einem der wenigen Tische in diesem engen Raum, sie fragt sie, ob sie sich einen Piccolo bestellen darf, der hier 22 Euro kostet, und wenn der Piccolo vor ihr steht, dann rührt sie darin mit einer Zuckerstange herum, damit es nicht so sprudelt. Daheim in Ungarn war Kristina Krankenschwester und verdiente 200 Euro im Monat; jetzt verdient sie 2000 Euro und hat sich zwei Grundstücke in Mogyoród gekauft, für später. Sie ist 25 Jahre alt, und wenn man will, dass sie für einen im Separée tanzt, dann kostet das 280 Euro. Ihr Manager, sagt sie, sei der beste. Den Winter über ist sie in Österreich, den Sommer über in Ungarn.
Dort macht sie Nacktfotos. Früher, ja früher sei das manchmal anders gewesen, schwieriger, schmieriger; früher habe eine Freundin von ihr einmal mit fünf Männern Sex gehabt. Das war das schlimmste, was sie je erlebt hat. Heute sagt sie: „Ich mag das gern, Männer geil machen“. Und natürlich ist so ein Satz vielleicht falsch, vielleicht ehrlich, vielleicht verlogen, vielleicht kalkuliert. Kristina ist eine Tänzerin, nichts anderes; sie verkauft sich, sie verkauft ihren Körper, sie ist die Frau, die sich auszieht, und die Frau, die bezahlt wird. Wenn man so will, dann steht sie für Ausbeutung, weil sie die Ausgebeutete ist, die doch davon profitiert. Sie steht für Verfügbarkeit, Käuflichkeit, den Markt. Sie hat ihre Ehre, sie ist nur eine Tänzerin, nichts anderes. Im Grunde steht Kristina für all das, was Markus Wilhelm hasst. Kristina ist die Welt, wie er sie nicht akzeptieren will. Sie ist der Spiegel, in den er blicken muss, jeden Tag, direkt vor seiner Tür. Auch Sölden ist so ein Spiegel, mit zwei Millionen Übernachtungen im Jahr, mehr hat in Österreich nur Wien. Und auch die Alpentransitgegner, die die Autobahn blockieren, sind ein Spiegel, so wie die Parteien, die Berge, der Himmel. Kristina bestätigt sein Bild von der Welt und sie widerlegt es. Sie ist die Ausgebeutete und die Profiteurin. Sie ist freiwillig hier und ist es nicht. Sie wollte ein anderes Leben und hat dieses gewählt. Lauter Widersprüche. Es gab eine Zeit, da war in Markus Wilhelms Welt kaum Platz für Widersprüche. Widersprüche schaden nur der Wahrheit des Moralisten. Kristina schaut die Männer manchmal mit ihren großen Augen an, dann sagt sie: „Ich hasse Ungarn, ich hasse Ungarn dafür, dass ich dort nicht bleiben konnte, dass ich dort so wenig verdient habe, dass ich gehen musste.“ Kristina hasst Ungarn für den Sozialismus. Markus Wilhelm, könnte man sagen, hasste Österreich für den Kapitalismus.
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Diagnose: Uns hat der Fรถhn angeweht.
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Es gibt da zum Beispiel jenen Wutausbruch aus dem Jahr 1991. „Der Grund für den Massentourismus hierzulande“, schrieb Markus Wilhelm damals, „sind nicht unsere weiten Schigebiete. Gäbe es den niederstreckenden Kapitalismus in Deutschland nicht, der die Menschen so zurichtet, so gäbe es diesen Auswurf in Österreich nicht. Ihr Urlaub ist die schärfste Kritik, faktisch – nicht schriftstellerisch, an den Verhältnissen, die sie hervorbringen. Hier sind sie auf Entschädigung aus, die Kapitalismus-Krüppel. Auf Teufel komm raus. Hier bricht es los aus ihnen, am Hang, in der Diskothek. Wohin mit der gequälten Sexualität? Die Kleingemachten lassen den Herrenmenschen heraus.“ Was muss dieser Markus Wilhelm heute denken, wenn er vor seinem Haus steht, in dem er Zimmer an Touristen vermietet; sein Haus oberhalb und etwas am Rande von Sölden, wo sich höhere Töchter und Testosteronjungs vergnügen, tief in der Nacht ihren Après-Ski feiern, zu Techno tanzen. „Materiell geht es den Leuten hier immer besser“, sagt Wilhelm und schaut hinunter auf den Fluß, die Ötztaler Ache, die vom Gletscher herunter kommt und Steinbrocken und Geröll vor sich her treibt, so wie heute der globalisierte Kapitalismus die Menschen vor sich her treibt. „Aber psychisch“, sagt er, „psychisch“. Er war ein anderer, in den Achtzigern und Anfang der neunziger Jahre, als er mit seiner Zeitschrift „Föhn“ Österreich praktisch im Alleingang wieder auf den richtigen Weg bringen wollte. Und er ist natürlich der gleiche geblieben. Von der Medienmeute war damals die Rede, die den herrschenden Kapitalismus gerade in ihrer vorgeblichen Kritik doch nur stütze; von der Stromindustrie berichtete er, die ihr restfaschistisches Erbe und die Schuld der als Arbeiter eingesetzten Kriegsgefangenen bis in die Gegenwart trage; von Lügen, Verstrickungen und Entfremdung erzählte er, von den Menschen, die das tun, von den Menschen, die nichts davon wissen, von den Menschen, die nichts davon wissen wollen. Es ist das Schicksal des Moralisten, dass er auf eine Welt trifft, die sich nicht für seine Wahrheit interessiert.
„Schau länger hinein in ein Gesicht, ganz, das eigene vielleicht! Wir spüren etwas sich regen und decken es mit Kartoffel-Chips zu. Es tut uns etwas weh und wir knipsen den Fernseher an. Von innen her tritt ein irritierender Gedanke über unser Leben auf uns zu und wir schnappen nach einem Bierglas.“ Auch diese Sätze stammen aus dem Frühjahr 1991, sie stehen im Heft 15 des „Föhn“, Markus Wilhelms Zeitschrift, die sich die „Zuspitzung“ zur Aufgabe gemacht hatte, wie das Impressum angibt. Föhn ist etwas, das Kopfweh macht. Bei Föhn droht einem das Hirn zu zerspringen, dann wieder gleitet alles ab in eine Matschigkeit, die schon fast wieder metaphysisch ist. Manche sehen bei Föhn auch klarer. Sitz der Zeitschrift war Innsbruck. Markus Wilhelm ging die Welt frontal an. Dann war er wieder daheim in Sölden. Heute ist Markus Wilhelm 48 Jahre alt und mit Journalisten spricht er immer noch am liebsten gar nicht. Er ist wohl weniger resignativ, als vielmehr realistisch geworden. „Die Geschichte des Leidens unter dem Kapitalismus“, hat er einmal geschrieben, „ist erst dann zuende, wenn der Kapitalismus zuende ist.“ Markus Wilhelm ist schlank, fast hager, ein bisschen asketisch vielleicht. Falls er leidet, so trägt er es jedenfalls nicht nach außen. Wahrscheinlich ist er klug genug, nicht zu leiden. In den besten Zeiten verkaufte er vom „Föhn“, einem kleinen roten Heft auf grauem, billigem Papier gedruckt, mehrere tausend Stück, zu 40 Schilling das Exemplar. Wer wollte, konnte den Heftpreis auch auf 1000 Schilling aufrunden. Vom Land Tirol erhielt der „Föhn“ einen Zuschuß von 40000 Schilling, vom Bund noch einmal 20000 Schilling. Aber auch der Umstand, dass, wie er es sah, der Staat Kritik subventioniert, um sie als Feigenblatt zu benutzen – auch dieser Umstand passte wohl sehr gut in sein Denken, das immer zwischen Aufklärung und Verbohrtheit schwankte. „Wir sind programmiert“, schrieb er 1992 in Heft 17. „Die Medien haben die Aufgabe, uns dorthin zu bringen und dort zu halten, wo uns die Mächtigen haben wollen.“ Eine große Lügen-
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Resümee: Wind oder Frisör – was kommt aus dem richtigen Leben, dem Berufsleben, nämlich. (Natur = Kunst + x)
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maschine ist das also – oder in seinen Worten: „Eine jede Zeitung, die eingeht, ist eine weniger, die uns belügen kann.“
„Literatur ist, wenn man einer Sache gerecht wird.“ Sein Werk war, der Welt klar zu machen, dass sie in der Lüge lebt.
Sein Glaube daran, wie verderbt das System sei, kannte in dieser Zeit kaum Grenzen. „Ist es das Glatteis, das das Auto schleudern gemacht hat, oder die Hetze in dieser Zeit-ist-Geld-Ordnung?“ Und in missionarischer Strenge geht es weiter: „In Wahrheit ist es nicht der Discobesuch, der den 18jährigen auf den nächsten Baum donnern läßt, sondern die wohlbegründete Angst, das Leben im Leben zu versäumen, so wie es nicht der Alkohol ist, der den Skitoten fabriziert, sondern sein Fluchtzwang aus dem ihm feindlichen Alltag.“ Noch die Todesanzeigen, so schreibt er, seien gelogen: „Nicht der Herr hat die 46jährige ,zu sich‘ genommen, sie ist auch nicht am Krebs krepiert, sondern an den unerträglichen Zuständen.“ Und unten, im Tal, auf der anderen Seite der Ötztaler Ache, sitzt heute Kristina, die die Widersprüche des Kapitalismus lebt, und denkt an einen Mann, den sie heiraten könnte, um mit ihm glücklich zu sein und um mit ihm ein Haus zu bauen.
Die Zeitungen zum Beispiel. Ein Artikel, schrieb er, „das sagt schon der Name, ist etwas, was man kaufen kann“. So funktioniert sein Gehirn. Wenn er von seinem Engagement gegen den EU-Beitritt Österreichs 1994 erzählt und von der Volksabstimmung, die damals stattfand, dann zerteilt er das Wort in zwei Teile, in Volk und Abstimmung – um klar zu machen, dass abstimmen auch gleichschalten heißen kann. Markus Wilhelm tastet die Welt nach den Lügen ab, die im Wesentlichen durch das Geld, den Konsum, den Kapitalismus entstehen; dass es das Wesen des Menschen sein könnte, so zu leben, das will er lieber nicht glauben. „Der Kapitalismus deformiert uns alle und macht uns damit ausplünderbar nach Strich und Faden“, schrieb er einmal. Er hat eine Vision, und darin ist der Mensch gut. Er hat eine Realität, und darin ist der Mensch schlecht.
„Bauen“, sagt Markus Wilhelm, „bauen, bauen, bauen, das ist hier fast wie eine Ideologie.“ Er steht am Zaun, der den Wanderweg begrenzt, der an seinem Haus entlang führt, und schaut auf die wuchtigen Häuser im Tal. In der Hand hält er eine alte Zaunlatte, die er wiegt, als wolle er seine Vergangenheit wiegen. Eine Zeitschrift mit dem Namen „Föhn“ hatte er bereits Ende der siebziger Jahre gegründet, zusammen mit Felix Mitterer und anderen, eine vierteljährliche Kulturzeitschrift, die stark literarisch geprägt war. Zwei Jahre machte er das, dann zog er sich zurück, schrieb viel, für das Radio, für das Theater, Lyrik, aber er veröffentlichte wenig. Er erhielt mehrere kleine Literaturpreise und zwei Bundesstipendien, blieb aber, wie damals jemand sagte, ein „Dichter ohne Werk“. Ab 1984 gab er dann den „Föhn“ alleine heraus. Von da an gab es gar keine Dichtung mehr, nur noch das Werk. „Was ist Literatur?“, fragte er einmal in einem der wenigen Zeitungsinterviews.
Das Haus, in dem er heute wohnt, haben früher seine Eltern bewohnt. In den Eingangsbereich ist wie eine Talsperre eine braune Holzwand gebaut, dahinter liegt die Wohnung von Markus Wilhelm. Es bleibt bei jemand wie ihm immer nur bei einer Annäherung. Auf dem steilen Hang vor dem Haus grasen die Schafe. Markus Wilhelm steht im Gehege bei den Ziegen, er prüft den Metallzaun, indem er mit dem Fuß leicht dagegen tritt, dann kontrolliert er den Holzpflock, rüttelt mit der Hand daran. Alles hat seinen Platz, alles hat seine Ordnung. Schließlich kniet er sich hin und lässt sich leicht von einer der Ziegen anboxen, die um ihn herum streichen. Manchmal kommt ein Wanderer an seinem Haus vorbei. Dann nickt er kurz, die Arme hält er verschränkt vor der Brust, der Welt ein Bollwerk.
Viertelfinale
Ein ganz und gar unĂśsterreichisches Produkt, Ăźbrigens.
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02 Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 1/ 03 E 12,–
03 Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 2/ 03 E 12,–
04 Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 3/ 04 E 12,–
Über die Frau, die einen Tag lang berühmt war. Johannes Maria Staud über Schall und Rauch. Zentrale Vomperberg, eine Durchleuchtung. Egyd Gstättners Spritzfahrt in die Besamungsanstalt. Pergine: Geschichte eines Narrenhauses. Kipferl, Krapfen, Wunder. Max Reinhardt stinkt ab. Originalbeilage als Überraschung. Joseph von Westphalen ist dagegen. Die neue Kulturzeitschrift
➔ Lois Weinberger: Perfekt provisorische Gebiete. Ein Kellner hört sich Cage an. Bert Breit und die Tonart der Würde. Die Nudelsuppe und der Aktienmarkt. Marina Abramovic in Franzensfeste. Tod eines Begräbnisses. Walter Niedermayr defloriert Ben van Berkels Gelben Raum. Blasmusikarchive, quergelesen. Originalbeilage von Wolfgang Mitterer und Erdem Tunakan.
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Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 4/ 04 E 12,–
Kriminaltango
„Das ist ein Lied, welches steht schief. Wer es zerbricht, fräget mich nicht.“
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Wer schrieb das Kufsteiner Lied?
Ein Buschauffeur oder ein Gastwirt? Welchen Stellenwert hat der Bierdeckel in der Musikgeschichte? Und wer ist der Vater des musikalischen Dauerbrenners? Ein Münchner Tausendsassa oder doch der Postbusfahrer? Oder der Wirt mit Polizeivergangenheit? Von Thomas Nußbaumer „Karl Ganzer wurde im städtischen Friedhof von Kufstein beigesetzt. Das letzte Geleit gaben ihm eine Menschenmenge von über 1000 Personen, der Bürgermeister Dr. Siegfried Dillersberger, die Künstler Maria und Margot Hellwig, Jodlerkönig Franzl Lang, Tekeo Ishii und German Hoffmann, der Leiter der Ochsenfurter Blasmusik, sowie Producer E.L. Frauenberger mit Gattin. Eine Abordnung der Tiroler Kaiserjäger erwies Karl Ganzer die letzte Ehre. Als sich die Kaiserjägerfahne über das Grab senkte, spielte Elmar Neulinger von der Kufsteiner Blasmusik in ergreifender Weise das zu einem Choral umgearbeitete Kufsteiner-Lied mit einem Bläserquintett. Das Rathaus von Kufstein wurde […] auf Beschluß des Gemeinderates schwarz beflaggt“ (Lustige Musikanten, 15. Jg., Nr. 1, Jan./Feb. 1988) Im Jänner 1988 wurde Karl Ganzer, der Schöpfer des Kufsteiner Liedes „Die Perle Tirols“, Träger des Ehrenzeichens der Stadt Kufstein, ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen von RTL, Inhaber der HermannLöns-Medaille für seine Verdienste um die Volksmusik und anderer Auszeichnungen, unter beachtlichen Ehrbezeugungen zu Grabe getragen. Heute erinnert an Ganzer eine vom Rotary Club errichtete Gedenkstätte im Kufsteiner Weinhaus „Auracher Löchl“, von wo aus das Lied seinen Anfang nahm. Das sei in Anbetracht dieses Musikers zu wenig, befindet Egon Ludwig Frauenberger – jener Musikverleger aus München, der dem Lied, in welchem Kufsteins Schönheiten besungen werden, den Erfolgsweg ebnete. Ganzers Verdienste um Kufstein seien unschätzbar groß. Man solle ihm zu Ehren eine Kapelle errichten, vor der jährlich zu seinem Todestag das Kufsteiner Lied als Trauerchoral erklinge. Leider finde sich für ein derartiges Projekt niemand in Kufstein. In der Tat scheiden sich an der berühmtesten Perle Tirols im Land selbst ein wenig die Geister. Es geht um Fragen der Identität und der Fremdwahrnehmung. Der musikalische Feldforscher findet das Kufsteiner Lied im Repertoire beinahe jeder Volkssängerin und
jedes Volkssängers landauf und landab. Man singt es nach wie vor in geselliger Runde im Gasthaus, auf der Alm oder in der Schihütte – dort ist es schlicht ein „Volkslied“, Teil einer ehrwürdigen musikalischen Volkskultur. In den einschlägigen Internet-„Volksliedarchiven“ scheint es unter den „beliebtesten Volksliedern“ auf. Die heimischen Volksmusikexperten hingegen – orientiert am alten Volksliederschatz, wie er anno 1899 vom Urvater der Tiroler Volksliedpflege, Franz Friedrich Kohl, aufgezeichnet worden war – lehnen die Bezeichnung „Volkslied“ für das Kufsteiner Lied rundweg ab: zu empfindsam für den Tiroler Charakter, zu untypisch der in Chromatik schwelgende Melodieverlauf (gemessen am „bodenständigen“, d.h. älteren heimischen Liedrepertoire). Es passe besser die Bezeichnung „volkstümliches Lied“ zu ihm – womit es (wertend) unter die Rubrik der kommerziellen „Folklore“ fällt. Und für manche ist das Kufsteiner Lied auch nicht mehr als ein zu „Kitsch“ geronnenes Klischee vom heilen Tourismusland Tirol, ein alter Zopf, eine schon glanzlose Perle aus einer Zeit, als noch die „Tirolerabende“ boomten und man nach den Schuhplattlereinlagen ergriffen ein Heimatlied anstimmte. Ungeachtet ästhetischer Vorbehalte kritischer Geister, werben Kufsteins Tourismusanbieter im Internet durchwegs mit der zum Steher gewordenen Formulierung: „Kufstein, die Perle Tirols …“. Außerhalb Tirols steht es um die Popularität des Liedes noch besser. Max Ladinser, Stadtrat für Kultur in Kufstein, ist stolz auf das Heimatlied. Er hörte es zu seiner Überraschung in Ceylon, Thailand und Kenia. In Ostasien spielt man es unentwegt. Und folgt man den Listen der deutschen Urheberrechtsgesellschaft GEMA, so ist das Kufsteiner Lied in Deutschland nach wie vor ein quotenträchtiger Evergreen. Von 1985–89 rangierte es im Bereich der Unterhaltungsmusik stets unter den Top Drei – zum Teil vor Hits wie „Strangers in the night“ und dem damals aktuellen Stevie Wonder-Schlager „I just called to say I love you“ –, seit den neunziger Jahren findet man es
Kriminaltango
â&#x20AC;&#x17E;Still sank ich ins Haus der Lust, wusstâ&#x20AC;&#x2122; nicht noch, doch kroch es hoch, lau verfiel ich stiel dem Stil, allzuviel der Worte kĂźhl,
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in der Auflistung der beliebtesten U-Musik-Nummern Deutschlands meist unter den ersten Zehn. Man singt und spielt es in den verschiedensten Besetzungen, vom Ziehharmonikasolo bis zum instrumentalbegleiteten Sololied, vom Klavierlied bis zum Blasmusikarrangement. Vielleicht wird es im nördlichen Nachbarland nach wie vor als eine Art musikalische „Signation“ für das Traumurlaubsland Tirol wahrgenommen – doch fehlen diesbezüglich verlässliche Untersuchungen –, oder, und das wäre auch eine Erklärung: Der genialste Wurf unter den Hunderten von Tiroler Heimatliedern, die zwischen den fünfziger und siebziger Jahren produziert wurden und die großteils heute niemand mehr kennt, gefällt den Menschen einfach noch immer. Im Anfang war ein „Tangolied“ Die Entstehungsgeschichte des Kufsteiner Liedes im Jahre 1947 ist rührend und lehrreich hinsichtlich der Funktionalität von Unterhaltungsmusik in unseren Breiten, historisch gesehen setzt sie an jener Bruchstelle ein, in der das ältere, stark im Traditionellen wurzelnde Tanzmusikrepertoire immer mehr von neueren, international beeinflussten Musikströmungen zurück gedrängt wird. Karl Ganzer, geboren 1920, ist diesbezüglich ein Kind seiner Zeit. Eigentlich hätte der gebürtige Brixlegger Geige spielen sollen, doch als er sich bei einem Unfall ein Stück von einem Finger abzwickte, griff er zur „Zugin“ – zur diatonischen Knopfharmonika. Auf ihr hatte er schon als Schulbub ein paar Griffe erlernt, aber niemals die Noten, denn Musikschulen gab es in der Zwischenkriegszeit nur wenige. Ganzer war ein Vollblutmusikant und musizierte alles nach dem Gehör. Im Krieg hatte er selbst an der Front die Ziehharmonika mit dabei. Nach einer abenteuerlichen Heimkehr aus dem Krieg (per Fahrrad von Modena nach Kufstein) ließ er sich mit seiner Frau Traudl (Gertraud), die er schon während des Krieges geheiratet hatte, in Kufstein nieder. Er bekam eine Anstellung bei der Post und kurvte nun als Postbusfahrer durch Kufstein und die angrenzenden Ortschaften. Da es vier Kinder zu ernähren galt, nützte er sein musikantisches Talent, um eine zusätzliche Erwerbsquelle aufzutun. Zusammen mit vier Kollegen gründete er 1946 die Tanzkapelle „Pendlstoana“, ihr Stammlokal wurde das „Auracher Löchl“. Unmittelbar nach Kriegsende herrschte in Kufstein, wie sich der damals in der Festungsstadt
lebende Volksmusikforscher Walter Deutsch erinnert, eine förmliche „Tanzwut“, der brennende Wunsch nach Unterhaltung und Abwechslung. Dementsprechend setzte sich das Publikum überwiegend aus der örtlichen Bevölkerung zusammen sowie einigen französischen Besatzungssoldaten, die sich für die Mädels interessierten. Touristen traf man noch kaum. Im kleinen Kufstein existierten mehrere Kapellen und Alleinunterhalter nebeneinander, die regelmäßig konzertierten. Man spielte alles, was neu und vorher unter den Nazis zum Teil auch verboten war: amerikanische und neue deutsche Schlager, Bigbandnummern, etwas Jazz. In diesem Milieu entstand das Kufsteiner Lied, eigentlich ganz so, wie viele Volkslieder entstehen. Da Ganzer bald bemerkt hatte, dass er auf der diatonischen Ziehharmonika die moderne Tanzmusik, nach der sein Publikum verlangte, nicht spielen konnte, stieg er auf das chromatische Akkordeon um. Beim „Herumimprovisieren“ auf dem neuen Instrument fiel ihm, wie er erzählte, die Melodie zum Kufsteiner Lied ein. Sie lag gut in der Hand, allmählich verbesserte und verfeinerte er sie, und es entstand nach und nach der Text: die erste Strophe, als Ganzer am Steuer des Linienbusses die idyllische Altstadt Kufsteins betrachtete, die zweite und dritte Strophe bei Beobachtung des Publikums. Das war 1947. Erst zwei Jahre später spielte er mit seinen Pendlstoana-Kollegen „Die Perle Tirols“ öffentlich, und zwar im Gasthaus Waltl. Auf drei Bierdeckeln wurde der Text festgehalten. Ganzer wurde, wie sich Walter Deutsch, der selbst eine Tanzkapelle leitete, erinnert, insofern herausragend, als er, anders als die meisten Unterhaltungsmusikanten in Kufstein, nicht bloß Neues, Modernes spielte, sondern auch eigene Lieder und Stücke, die dem Traditionellen verpflichtet blieben und darum auch populär werden konnten. Heimatlieder, Bergsteigerlieder u.ä. gab es auch vor dem Kufsteiner Lied schon im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Und so gründet die rasch steigende Beliebtheit des Kufsteiner Liedes darin, dass Ganzer, wiewohl sein Lied eine bemerkenswert originelle, persönliche Schöpfung ist, unbewusst zwar, aber mit dem Instinkt eines mit der Tradition vertrauten Vollblutmusikanten ausgestattet, auf musikalische und textliche Modelle zurückgriff, die dem heimischen Publikum vertraut waren.
Kriminaltango
schweifen wir mitsam hinob, glĂźhend garst ein innen Tob, aussen langte Tod galt Not,
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Die Frühform des Liedes entsprach aber noch nicht dem heute so gängigen Jodellied im Walzerrhythmus. Dem glücklichen Umstand, dass das „Auracher Löchl“ 1952 eine Werbe-Faltpostkarte drucken ließ und als „Werbeträger“ akkurat das Kufsteiner Lied seiner Stammkapelle verwendete, verdanken wir seine schriftliche Überlieferung im Vierachteltakt, niedergeschrieben vom Musikanten Franz Friedl auf Ganzers Veranlassung, da er selbst die Notenschrift nicht beherrschte. Hier scheint auch schon die korrekte Urheberangabe auf: „Text und Musik: von Karl Ganzer. Bearbeitet von Franz Friedl“. Das Kufsteiner Lied im geradtaktigen Metrum wurde als „Tangolied“ bezeichnet, wenngleich es mit dem argentinischen Tango – sieht man vom Vierachteltakt und den Synkopen ab – nichts gemeinsam hat und wohl eher als Marschlied umgesetzt wurde (im 4/4Takt, womit die Synkopen wegfallen). Die Bezeichnung „Tango“ verwendete man, wie wir aus der jüngeren Tiroler Tanzmusikpraxis wissen, gerne, um anzuzeigen, dass der Charakter eines Stücks „modern“ ist. Was – abgesehen vom Fehlen des Dreivierteltaktes – die Urfassung ferner von der heute bekannten Fassung unterscheidet, ist das Fehlen des signifikanten Jodlers. Der Dreivierteltakt und der Jodler: sie wurden gut zwanzig Jahre später Gegenstand eines unerquicklichen Urheberrechtsstreites. Münchner Perlentaucher „Ein Lied wird oft dann erst zur Erfolgsgeschichte, wenn es zur richtigen Zeit den richtigen Interpreten findet“, erklärt Egon L. Frauenberger, Jahrgang 1931, in seinem Urlaubsdomizil Aschau /Brandenberg. Der aus München stammende Musikproduzent urlaubt, so oft er kann, in Tirol. Tirol ist ihm zur zweiten Heimat geworden, das Kufsteiner Lied ist sein Heimatlied, denn er hat diese Perle entdeckt und aufpoliert. Sie bescherte ihm finanziellen Gewinn, die enge Freundschaft mit der Familie Ganzer, doch auch so manche Mühsal, etwa die Verwicklung in einen jahrelangen Urheberrechtsstreit. Und da ist man besonders sensibel, wenn einer daher kommt und auch etwas über diese unerfreuliche G’schicht wissen will. „Schreib mir ja nix übers Geld,“ sagt er beschwörend, „denn das macht nur böses Blut“. Bei der informellen Frage, was denn das Lied seinem Verfasser Karl Ganzer so an Tantiemen eingebracht haben könnte, wird es fast unge-
mütlich. Er beantwortet sie auch nur vage in der Form, dass man den Gerüchten, das Lied habe Ganzer „irrsinnig reich gemacht“, nicht Glauben schenken dürfe. Und er erläutert die bekannte Tatsache, dass bei Tantiemeneinnahmen die vielen kleinen Pfennigbeträge erst über die Jahre hinweg zu größeren Erträgen führen. Frauenberger, in der volkstümlichen Szene nach seinen Initialen auch liebevoll „Elf“ genannt, ist ein sprühender, einnehmender Gesprächspartner. Ein Geschäftsmann der Musik- und Tonträgerbranche durch und durch, „ein Musikmarkt-Mitarbeiter der ersten Stunde“, wie es in einer Lebensbeschreibung heißt, und mit vielen Talenten gesegnet, die wohl kaum ein anderer in sich vereint: Liederdichter und Produzent, gelernter Büromaschinentechniker, ehemaliger Student der Künste (Schauspiel, Dramaturgie, Sprechphonetik, klassischer Gesang), später Gebrauchsgrafiker, daneben Amateurboxer, Trainer, eine Zeitlang Sportreporter, Radiomoderator, Werbetexter, Spieleerfinder. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Edition Roland, Verlagsleiter der Edition Montana, Gründer und Geschäftsführer der edition-effelmusic, Inhaber der Dennerlein Musikverlage und des Neuen Münchner Musikverlags, seit 36 Jahren Vertragsproduzent der Firmengruppe Philips / Mercury / Deutsche Grammophon / Polygram / Universal Music / Karussell, er errang mehr als 50 Goldene Schallplatten und CDs. Etwa 250 Hörspiele (vor allem für Kinder), ebenso viele Kinderlieder und gut tausend „Gebrauchssongs“ hat er entweder getextet, komponiert oder produziert. Nicht erst mit Eintritt dieser schillernden Persönlichkeit in die Geschichte des Kufsteiner Liedes im Jahre 1964, sondern schon etwas früher, kommt eine neue Qualität ins Spiel: der organisierte, professionelle Musikmarkt, die „Musikindustrie“, und die Problematik des Urheberrechts. Jahrelang war das Kufsteiner Lied in der Region gesungen worden, zunächst als Tango- bzw. Marschlied, dann immer mehr im Dreivierteltakt. Nicht nur Ganzer sang das Lied, sondern viele andere Musikanten auch, wie ein Volkslied in mündlicher Überlieferung wurde es „zurecht“ gesungen. Der heute bekannte Jodler schien anfänglich das am wenigsten konstitutive Element des Liedes gewesen zu sein, denn es existierten, parallel zu ihm, zumindest zwei weitere Jodler als Refrains.
Kriminaltango
ach der Musen stolze Pein lockte, dachte, rief so nein!
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1956 nun geschah für Ganzer etwas Unerfreuliches: Das Kufsteiner Jodlerduo Stadlmayr/Gasser veröffentlichte das Lied auf einer Single (produziert vom holländischen Schallplattenkonzern Philips), die aufgrund ihrer anfänglich überraschend guten Verkaufszahlen in Österreich mit der „Goldenen Schallplatte“ prämiert wurde. Im Anschluss an die Einspielung erfolgte der Vertrieb eines Notenblattes – der Zweitdruck des Liedes – durch den Wiener EberleVerlag. Erstmals sah Ganzer sich genötigt, seine Urheberrechte juristisch auszufechten. Das brachte ihm aber nur Scherereien ein und mehr Ausgaben als Einnahmen. Ganzers eigene Versuche, das Lied bei der Plattenfirma Ariola heraus zu bringen, scheiterten: Man hielt die Perle Tirols nicht für glanzvoll genug. Anders beurteilte das Lied acht Jahre später der damals 33-jährige Egon L. Frauenberger. Er produzierte gerade mit seiner „edition-effel-music-münchen“ den bayerischen „Jodlerkönig“ Franzl Lang und hatte somit den schon zitierten „richtigen Interpreten zur richtigen Zeit“ bei der Hand. Von Philips in Hamburg aufgefordert, sich „in Richtung alpenländischer Musik etwas einfallen zu lassen“, begab er sich nun nicht auf die Suche nach erfolgversprechenden Komponisten (wie in dieser Branche auch heute noch üblich), sondern nach schon bestehenden markttauglichen Liedern. Und dabei stieß er auf „Die Perle Tirols“, wichtiger noch: Er erkannte, dass sie eine Perle ist. Bei den Copyrightermittlungen stellte er fest, dass Ganzer sein Lied weder bei der österreichischen Urheberrechtsgesellschaft AKM noch bei der deutschen GEMA angemeldet hatte. Über das Kufsteiner Meldeamt eruierte er Ganzers Adresse und wandte sich an ihn mit der Bitte, das Lied produzieren zu dürfen. „Låsst’s ma mei Ruah!“, soll Ganzer, der von dem ganzen juristischen Zeug zunächst nichts wissen wollte, dem Münchner geantwortet haben. Doch Frauenberger ließ nicht locker und „erarbeitete“ sich förmlich das Vertrauen dieses „Tiroler Sturschädels“ – mit dem Erfolg, dass Ganzer ihm am 18. 11. 1967 in seiner kleinen Kufsteiner Wohnung „die Auswertungsrechte in verlegerischer Hinsicht für Deutschland“ übertrug sowie die Berechtigung, ihn bei der GEMA anzumelden und dort zu vertreten. Der Vertrag wurde handschriftlich und sinnigerweise auf einer Postkarte mit dem Text des Kufsteiner Liedes festgehal-
ten. Kurz darauf meldete Frauenberger Ganzers Lied bei den Urheberrechtsgesellschaften an, was dem Musikanten bei den späteren Rechtsstreitigkeiten entscheidende Vorteile einbrachte. Die Rechte für Österreich hatte sich um 1957 bereits der Wiener Eberle-Verlag gesichert, die Weltrechte übertrug Ganzer in der Folge Frauenbergers edition-effel-musicmünchen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. 1969/70 ging Frauenberger nun an die Produktion des Liedes und legte es dem Franzl Lang vor. „Du musst es so schlicht wie möglich singen, ohne Firlefanz, damit jeder Mensch mitsingen kann“, schärfte er dem „Jodlerkönig“ ein, der den Refrain gerne etwas akrobatischer gestaltet hätte. Bei Philips erschien die erste Single-Produktion mit Lang, und sie schlug ein. Zielstrebig produzierte Frauenberger das Lied mit weiteren volkstümlichen Stars und veröffentlichte zugleich Notenhefte für das musizierende Publikum: „Die Perle Tirols“ für Akkordeon und Gesang, für Steirische Harmonika, für Klavier und Gesang, für Heimorgel und Gesang, für Zither, selbstverständlich für Blasmusik und in diversen Liederheften. 1973 konnte der Verleger der Presse eine Viertelmillion verkaufter Schallplatten vermelden. „… denn das macht nur böses Blut“ Bis dato wird in der Region Kufstein gesprächsweise immer wieder die Urheberschaft Ganzers am Kufsteiner Lied – wohl auch in mangelnder Kenntnis historischer Fakten – etwas angezweifelt. Die verschiedensten Namen kursieren, fragt man konkret nach, will sich niemand festlegen lassen. Anders Paula Baumgartner aus Kufstein. „Ich bin davon überzeugt, dass meinem Mann damals Unrecht geschehen ist“, erklärt sie mit unerschütterlicher Stimme und übergibt dem Fragesteller einen Aktenordner mit Unterlagen zu einem heute fast nicht mehr bekannten Rechtsstreit. Die Rede ist von Hans Baumgartner (1920–1992), von Beruf Polizeibeamter, später Gastwirt in Hopfgarten im Brixental und einer der vielen ehemaligen Musikerkollegen Karl Ganzers. Er wandte sich 1973, als das Lied immer bekannter wurde, an effel-music und behauptete, die Umformung des Liedes vom Vierachtel- zum Dreivierteltakt sei sein Werk, er habe also eine entscheidende, urheberrechtlich zu schützende Bearbeitung an dem Lied geleistet. Auch sei er der Komponist des Jodlers. Er und
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Was weiß ich ob Schweiß des Trunkes Lohn – diese Frage schließt das Lied, traurig aber schaurig es mich zieht eines neigen Abschieds Fried!“
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seine Frau hätten im August 1952 bei einer Sendung des „Austro Funk“, aufgezeichnet im Kolpingsaal von Kufstein, das Lied erstmals in der heute bekannten Dreiviertel-Fassung mit Jodler vorgetragen. (Die Tonaufzeichnungen sind seit 1954 verschollen.) Ganzer habe das gewusst, er sei ihm zunächst böse gewesen, habe aber dann, überzeugt vom Erfolg beim Publikum, das Lied ebenfalls so gesungen. Ohne Dreivierteltakt und Jodler wäre das Lied nie erfolgreich geworden, darum beanspruche er, Baumgartner, die Hälfte der Tantiemen. Folgt man den Unterlagen und den Urteilen des Landesgerichts Innsbruck (5 Cg 1005/ 74 vom 29. 7. 1976) und des Oberlandesgerichts Innsbruck (5 R 388/ 81 vom 17. 6. 1981 bzw. 20. 1.1982), so sah es zunächst danach aus, als könnten sich die Streitparteien einigen. Egon L. Frauenberger fuhr mit seinem Bruder und damaligen Partner Erich sowie dem Ehepaar Ganzer zum Ehepaar Baumgartner nach Hopfgarten. Nach „stundenlangen Auseinandersetzungen“ im Gasthaus der Baumgartners wurde eine Vereinbarung getroffen. Man zückte ein Blatt Papier, Frauenberger formulierte einen Text, alle, auch die Baumgartners, setzten ihre Unterschrift darunter, jeder war zufrieden. Die Brüder Frauenberger nahmen die Vereinbarung, deren Original dann nie mehr auftauchte, nach München mit, und als Baumgartner schließlich die Fotokopie erhielt, gab es nach dessen Darstellung eine böse Überraschung: Man habe, so Baumgartner vor Gericht, den Vereinbarungstext durch die Anfügung sinnentstellender Wörter und Textteile nachträglich derart verändert, dass ihm bloß die finanziell wenig interessante „Bearbeitung“ des Jodlers zugesprochen worden sei. Er reklamierte den Tatbestand der Urkundenfälschung. Ein vom Gericht beauftragter grafologischer Gutachter kam zum Schluss, dass eine Veränderung des Originals anhand der Fotokopie nicht nachgewiesen werden könne. Im Verlauf des Verfahrens, das sich bis 1982 hinzog, wurden ehemalige Musikerkollegen Ganzers und Baumgartners sowie die Verleger in den Zeugenstand geladen. Ebenso wurde ein musikwissenschaftliches Gutachten zur Klärung der (letztlich unklärbaren) Frage, ob Lied und Jodler das Werk zweier Personen oder ein- und derselben Person seien, eingeholt. Auch im Berufungsverfahren fand schließlich das Ersturteil seine Bestätigung: Baumgartner könne den Nachweis, an der Komposition des Kufsteiner Liedes mitgewirkt
zu haben, nicht erbringen, somit gilt Karl Ganzer weiterhin als der Urheber des gesamten Liedes mit Jodler. Was Baumgartners Chancen von Vorneherein geschmälert hatte, war natürlich der Umstand, dass er erst zwanzig Jahre nach Entstehung des Liedes seine Urheberanteile reklamierte – erst als das Lied „lukrativ“ geworden war, vermutete die Gegenseite; weil er vom Urheberrecht „lange keine Ahnung hatte“, sagt seine Frau. Was die Beurteilung der Streitfrage nicht erleichterte, war das Fehlen schriftlicher Quellen. Das Lied war ein Produkt der „oral tradition“, außer der Faltpostkarte gab es nichts, was man „Schwarz auf Weiß“ vorlegen konnte, es gab keine „Autographe“, da weder Ganzer noch Baumgartner der Notenschrift kundig waren. Der Streitwert des Verfahrens übrigens nimmt sich (entgegen anders lautenden Gerüchten) überraschend gering aus: Es ging um einen Betrag von 20.000 Schillingen – allerdings mit der Option (und dies legt eine Notiz in Baumgartners Unterlagen nahe) – bei gewonnenem Verfahren eventuell um höhere Summen zu streiten. Der Münchner Rechtsanwalt Ottmar Simon, der 1983 den mittlerweile des Streitens müde gewordenen und in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Baumgartner dazu bewegen wollte, den Prozess in Deutschland erneut aufzunehmen, war der Meinung, Ganzer habe von 1973–82 an Tantiemen jährlich 40.000 DM eingenommen. Inwieweit diese Schätzung aber zutrifft, ist nicht zu beurteilen. Übers Geld redet man nicht, „denn das macht nur böses Blut.“ Zweifellos bot „Die Perle Tirols“ ihrem Urheber ausreichenden materiellen Rückhalt. Zusammen mit seiner Frau Traudl (verstorben im Oktober 2001) baute Ganzer am Ortsrand von Schwoich eine Gästepension auf und setzte zugleich seinem einzigen erfolgreichen Lied ein Denkmal: Der Name des Hauses lautet – wie könnte es anders sein – „Perle Tirols“. Kurzbeschreibung auf der Homepage: „Dort, wo das ‚Kufsteiner Lied‘ seinen Komponisten fand …“.
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Rund um Kultur
Rens Veltman reiste im Auftrag von Quart quer durch Nord-, Ost- und Südtirol, um Kultursäle auf Panoramafotografien festzuhalten. Die Erkennungsmerkmale von derartigen, einander oft zum Verwechseln ähnlichen Veranstaltungsorten sind: 1 Bühne, viele Stühle (meistens stapelbar), das Ganze häufig multifunktional und – der Saal gehört der Gemeinde.
O-Ton Veltman: „Immer ist man kooperativ, manchmal spürt man den Stolz, dass man einen schönen, großen Saal vorzuweisen hat, manchmal schämt sich jemand, wenn nicht perfekt bestuhlt ist oder noch Utensilien von Proben ‚herum‘ sind, zwei mal wird gerade gebohnert. Immer beharre ich darauf, alles so sein zu lassen, wie ich es vorgefunden habe. Bitte: Vorhänge zu, Licht an. Ich mache meine Aufnahmen bei genormter Stativhöhe. Gehört zur phänomenologischen Methode.“
Auf den nächsten 10 Blättern ist das Ergebnis zu sehen: Panoramafotografien – ausgebreitet wie ein Gesimsstreifen. Die beste Sicht hat man, indem man die Einzelseite im rechten Winkel zur Leseunterlage hält und einmal rund ums Heft geht.
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Kultursäle (abc-lich, in der Reihenfolge der Abbildung) Forum Brixen Ragenhaus Bruneck Gemeindesaal Innervillgraten Veranstaltungszentrum Jenbach Gemeindesaal Kundl Kinosaal Matrei in Osttirol Theatersaal Matrei am Brenner Welcome Center St. Anton Wipptal Center Steinach am Brenner Kleiner Rathaussaal Telfs
Besetzung
Othmar Barth, Brixen → Brixen: Architekt. Studium an den Technischen Universitäten Graz und Rom. Seit 1955 eigenes Büro in Brixen. 1975–94 Lehrtätigkeit an der TU Innsbruck. Bauten: 1960 – 62 Cusanus-Akademie Brixen; 1970–73 Seehotel Ambach Kaltern; 1977– 82 Skigymnasium Stams; 1984–88 DiözesanVerwaltungszentrum, Museum, Archiv und Bibliothek in Pordenone; 1991–95 Pastoralzentrum Bozen Ruedi Baur, Zürich → Zürich: Designer. Studium an der Schule für Gestaltung in Zürich. 1983 Gründung von „BBV“ (Lyon – Milano – Zürich) mit Michael Baviera und Peter Vetter, 1989 Entwicklung des interdisziplinären Netzwerkes „Intégral Concept“, Büros in Paris und Zürich. Seit 1995 Professor für Corporate Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, seit April 2004 Leitung des neu gegründeten Instituts für Design der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ). Wichtige Projekte: Corporate Identity und Signaletik des Centre Pompidou, Signaletik der Schweizer Landesausstellung Expo.02, Corporate Identity des Flughafens Köln/Bonn. Gewann kürzlich den Wettbewerb zur Erstellung eines Leitsystems für den Eiffelturm. Hans Danner, Kufstein → Innsbruck: derzeit Zivildiener beim Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband. Studium Germanistik, Politikwissenschaft, Theologie. 1999–2003 Schauspieler an der Elisabethbühne/Schauspielhaus Salzburg. Georg Diez, München → Berlin: Autor und Kolummnist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 2002 ist im Residenzverlag seine Hommage an den Regisseur Martin Kušej erschienen (= Band IV der Edition Burgtheater). Zuletzt erschienen: „Hier spricht Berlin – Geschichten aus einer barbarischen Stadt“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2003). Sabine Gruber, Meran → Wien: Schriftstellerin. 1982–88 Studium der Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Innsbruck und Wien. Stipendien und Preise (u. a. Förderungspreis zum Österreichischen Staatspreis für Literatur 2000, Heinrich-HeineStipendium der Stadt Lüneburg 2002). Zuletzt unter großem Beifall des Feuilletons erschienen: „Die Zumutung“ (Roman, H.C. Beck 2003). Margarethe Heubacher-Sentobe, Schwaz → Schwaz: Architektin. Studium der Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien (Meisterschule Prof. Roland Rainer). Seit 1978 eigenes Architekturatelier in Schwaz, seit 1991 Lehrbeauftragte für Entwerfen an der Universität Innsbruck. Wichtige Bauten: Musikstudio Larcher in Weerberg 1995–96 (Architekturpreis der österr. Zementindustrie und Auszeichnung „Neues Bauen in den Alpen“), Neubau „Karmelkloster“ in Innsbruck – Mühlau 1999– 2003. Tiroler Landespreis für Kunst 2003. Candida Höfer, Eberswalde → Köln: Fotografin. Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Ab 1976 Photographie bei Bernd & Hilla Becher. Professur an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe 1997–2000. Ihre Arbeiten sind in den Sammlungen bedeutender Museen vertreten (u.a. Centre Pompidou Paris, Museum of Modern Art New York, Kunsthalle Basel), Einzelausstellungen sonder Zahl (Kassel, Osaka, Turin, Madrid, Chicago, Stuttgart, Hamburg, Basel, Krakau …). 2003 offizielle Vertreterin Deutschlands bei der Biennale in Venedig gemeinsam mit Martin Kippenberger. Stefanie Holzer, Ostermiething → Innsbruck: Schriftstellerin. 1989–97 Herausgeberin der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Walter Klier). Ihr Dorfroman „Gumping“ wird demnächst im Mandelbaum-Verlag/Wien neu aufgelegt. 182/183
Sebastian Huber, Freiburg/Brsg. → Wien: Dramaturg. Engagements: Bayerisches Staatsschauspiel München, Vereinigte Bühnen Graz, Thalia Theater Hamburg, Staatstheater Stuttgart, Salzburger Festspiele, Burgtheater Wien (seit 2002). Lehraufträge an der Universität Hamburg (Schauspielregie) und der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Bühnenbildklasse). Co-Kurator der Ausstellungen „Mise en Scène. Theater und Kunst“ und „REpublic. Zur Wahrnehmung des Öffentlichen als Öffentliches“ für den Grazer Kunstverein. Walter Klier, Innsbruck → Innsbruck: Schriftsteller, Literaturkritiker, Essayist und Übersetzer. 1989–97 Herausgeber der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Stefanie Holzer). Demnächst: „Der Fall Shakespeare. Zur Autorschaftsdebatte“ (Verlag Uwe Laugwitz) Alfred Komarek, Bad Aussee → Wien/Bad Aussee: Schriftsteller. Sein Kriminalheld Polt (u.a. „Polt muß weinen“, „Polterabend“, alle bei Haymon, Innsbruck) bescherte dem Autor hohe Auflagen, zahlreiche Preise (u.a. den Friedrich-Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Krimi) und kam ins Fernsehen (mit Erwin Steinhauer als Polt). Andreas Maier, Bad Nauheim → Bad Nauheim, Frankfurt, Brixen: Schriftsteller. Für seinen im Jahr 2000 bei Suhrkamp erschienenen Debutroman „Wäldchestag“ erhielt er u.a. den „aspekte“Literaturpreis. 2002 erschien „Klausen“, ebenfalls mehrfach ausgezeichnet. Im Juli 2004 publiziert der Suhrkamp-Verlag Maiers Studie über Thomas Bernhard. Thomas Nußbaumer, Hall → Telfs: Volksmusikforscher, Musikwissenschaftler. Seit 1995 am Institut für Musikalische Volkskunde der Universität Mozarteum Salzburg in Innsbruck. Publikationen, u. a. „Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen 1940– 42. Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus“ (Studienverlag, Innsbruck 2001). Andreas Pfeifer, Bozen → Rom: Journalist. Studium der Germanistik und Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck, Lehrbefähigungsprüfung am Konservatorium Innsbruck (Hauptfach Zither). Derzeit ORF-Auslandskorrespondent in Rom. riccione architekten: Clemens Bortolotti, Innsbruck → Innsbruck, Silwin Cede, Innsbruck → Innsbruck, Mario Ramoni, Salzburg → Innsbruck: Architekten. Architekturstudium in Innsbruck, 1997 Gründung des Büros riccione-architekten. Bauten (Auswahl): Wohn- und Bürohaus Technikerstraße Innsbruck (mit Helmut Reitter und Michael Pfleger), Eis- und Veranstaltungshallen Tivoli neu, Wohn- und Bürohaus Herzog-Siegmund-Ufer. Ferdinand Schmatz, Korneuburg → Wien: Schriftsteller und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien. Verwalter und Herausgeber der Werke und des Nachlasses von Reinhard Priessnitz. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen – u.a. Österreichischer Staatspreis für Literatur (Förderpreis) 2001, Anton-Wildgans-Preis 2002. Literarische Veröffentlichungen seit 1975, u. a. „das grosse babel,n“, Gedicht (2000); „portierisch“, Roman (2001). Ganz frisch: „Tokyo, Echo“ (alle erschienen im Haymon-Verlag, Innsbruck) Alessandro Solbiati, Busto Arsizio → Mailand: Komponist. Ausbildung am Konservatorium in Mailand bei Eli Perrotta (Klavier) und Sandro Gorli (Komposition). Kompositionsaufträge u. a. für die Festivals von Sydney, Lille und Avignon, die Mailänder Scala und S. Cecilia in Rom, für die Biennale von Venedig, das Holland Festival, für BBC, Radio France, das IRCAM Paris sowie das Mozarteum Salzburg.
Wolfgang Tschapeller, Dölsach → Wien: Architekt. Tischlerlehre, Gesellenprüfung, Architekturstudium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und Cornell University, Ithaca / USA. Seit 1993 Büro in Wien. Mc Hale Fellow an der State University of New York, Buffalo (2004). Metamorph, Biennale Venedig (2004). 2003/ 09 Architekturbiennale Sao Paolo, Brasilien. Bauten: Bezirkshauptmannschaft Murau, Sigmund Freud Museum Wien. Rens Veltman, Schwaz → Schwaz: Bildender Künstler. 1972 – 78 Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, am Mozarteum in Salzburg und an der Hochschule für industrielle Gestaltung in Linz.
Hans Weigand, Hall → Wien: Bildender Künstler. Ausstellungen: Galerie Senn, Wien (2003); „Before And After The Last Judgement“ – Akademie der bildenden Künste Wien (2003); „Jerry Cotton 2002“ – Museum Ludwig Köln (2002); „Cotton 2001“ – Secession Wien (2001); „Life / Boat“ (mit Raymond Pettibon, Jason Rhoades), MAK-Schindler House, Los Angeles (2000) usw. Erich Wucherer, Zams → Innsbruck: Architekt. Ab 1979 Architekturstudium in Innsbruck, Mitarbeit im Architekturbüro HeinzMathoi-Streli, seit 1991 gemeinsames Büro mit Thomas Giner in Innsbruck. Dzt. Adaption des Adambäu-Gebäudes für das Architekturforum Tirol (mit Thomas Giner und Rainer Köberl). Sehr bemerkenswert (u. a.): „Solo Vino“ (Vinothek, Innsbruck).
Quart Heft für Kultur Tirol
Herausgeber: Kulturabteilung des Landes Tirol Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, A-6020 Innsbruck, office@circus.at Abobestellungen und Anzeigen: Skarabaeus c /o Studienverlag, A-6020 Innsbruck, Amraser Straße 118 T 0043-(0)512 / 39 50 45, F 0043-(0)512 / 39 50 45-15, order@studienverlag.at, www.skarabaeus.at oder Skarabaeus c/o Studienverlag, I-39010 Frangart, Pillhof 25 T 0039-0471 / 63 39 29, studienverlag@tin.it Chefredakteur: Andreas Schett Stv. Chefredakteurin: Heidi Hackl Geschäftsführer/Verleger: Markus Hatzer Redaktionssekretariat: Carmen Ferrada Mitarbeiter dieser Ausgabe: Othmar Barth, Ruedi Baur, Hans Danner, Georg Diez, Sabine Gruber, Margarethe Heubacher-Sentobe, Candida Höfer, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Walter Klier, Alfred Komarek, Andreas Maier, Thomas Nußbaumer, Andreas Pfeifer, riccione architekten, Ferdinand Schmatz, Alessandro Solbiati, Wolfgang Tschapeller, Rens Veltman, Hans Weigand, Erich Wucherer Kuratoren: Bert Breit, Tito Ceccherini, Othmar Costa, Eduard Demetz, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Robert Renk, Arno Ritter, Helmut Reinalter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Roman Urbaner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u.a. Übersetzung: Andreas Pfeifer (S. 43–51) Konzeption und Gestaltung der linken Seiten: Ferdinand Schmatz Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Michaela Wurzer / Circus Druckvorstufe: Laserpoint, Innsbruck Druck: Athesia-Tyrolia Druck GmbH, Innsbruck Verwendung der Karte „Tirol – Vorarlberg 1:200.000“ auf den Seiten 90 / 91 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen.