Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 7/ 06 E 12,–
Fotografie: Günter Richard Wett
HALOTECH L I C H T F A B R I K
B u c h h a n d l u n g
W i e d e r i n
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S p a r k a s s e n p l a t z
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I n n s b r u c k
I N N S B R U C K
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Inhalt
Erwin Wurm „Die Jause“ (2005) Halotech Lichtfabrik Peter Senoner Inhalt Erwin Wurm „Habsburg“ (2005) „Venezianischer Barock“ (2005) Frühstück – Mittag – Abendessen (und dazwischen Jause) Bernhard Studlar denkt an Erwin Wurm Flaniermeile Brenner-Archiv Krista Hauser über die Wittgenstein-WG
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Downtown Neuhintertux Entertainment am Talschluss. Von Martin Fritz Eva Schlegel Orginalbeilage Nr. 7
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Eigenwerbung
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Landvermessung No. 2, Sequenz 2: Niedere Munde Der Schauspieler und Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat Wandertag
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Hecken schützen Das Einfamilienhaus als Weltmodell mit 168 Abb. Von Bernhard Kathan
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„Spielen wir wieder C-Dur, oder wie ist das?“ Ist Neue Musik schön? Ist schöne Musik neu? Helmut Jasbar trifft Helmut Lachenmann 26–35 Gutachten. Diesmal: 0% Fett Vier fettfreie Seiten von Peter Scheer, Martin Sieberer, Barbara Matuszczak und Heinz Winkler
Herr Luft sorgt vor Andreas Altmann besucht Innsbruck und macht ein Experiment
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Tirols Architekten und Ingenieurkonsulenten Mi-Magazine zu Gast
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HIG Binder Holz
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Alpina Druck ART Internationale Kunstmesse
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Haymon Verlag Aguntum – Museum, Archäologischer Park
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Tirol Werbung Swarovski Kristallwelten, Circus Prod.
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Hypo Tirol Bank M-Preis
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46–51 52/53 Besetzung, Impressum
Der Prettauer Faust Eine eigenständige Fassung aus dem Ahrntal, Neu-Edition von Bernhard Mertelseder 54–83 Faust aufs Herz. Von Christoph W. Bauer
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35 % Magenta, 95 % Yellow
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Frühstück – Mittag – Abendessen (und dazwischen Jause) Erwin Wurm hat das Cover und die vorhergehende Doppelseite dieses Heftes gestaltet („Die Jause“, „Habsburg“, „Venezianischer Barock“). Bernhard Studlar wurde beauftragt, sich mit Wurm zu treffen, um über ihn zu schreiben. Danach hat Studlar diesen Text geschickt. Anmerkung: „Lesen Sie diesen Text und denken Sie an Erwin Wurm.“ 1. Frühstück Die erste Möglichkeit zu sprechen nach dem Erwachen ist das Lachen über das Gebrechen der eigenen Sachen, die Rache der Technik am schwachen Menschen. Zum Beispiel, wenn sich die Kaffeemaschine aus unerfindlichen Gründen (Fehleranzeige F3, bitte drücken Sie Reset. – Danke. – Fehleranzeige F3, bitte … und so weiter) weigert zu funktionieren, und die zu diesem Zwecke gut versteckte, aber dann doch gefundene Ersatzmaschine (Filter) hinterfotzig Hitzen erzeugt, um mir die Finger zu verbrennen. – Aua. Na dann schon lieber beim Bäcker in der Schlange stehen und nicht wissen, was man nehmen soll. Auch eine Art von Panik. Roggen pur oder Dinkel? Sesam vielleicht? Ja gern. Und was ist das? Viel- oder Mehrkorn? Mohnstriezerl? Fitnessweckerl? Darf es sonst noch was sein? – Bitte nicht. Danke und auf Wiedersehen. Kurzer Exkurs zum Thema: Frühstücksphilosophie Wer 20 Minuten angelt, verbrennt die Kalorien eines französischen Buttercroissants. Wussten Sie das? – Also. Wieder was Interessantes dazugelernt. Klamme, fettige Finger umklammern die Angelrute. Der Oberkörper schwingt, die Angelschnur zischt vorne weg. Banges Warten an einem frühen Morgen. Der Haken verfängt sich, hakt sich fest. Die fettigen Finger zittern, die Arme zerren und ziehen. Ein Kampf auf Augenhöhe. Und nach zwanzig Minuten ist alles vorbei. Zurück in meiner Wohnung liegt ein frisches, französisches Buttercroissant auf meinem Teller. Aber wer angelt schon früh morgens in seiner Küche? – Ich höchstens nach der Zeitung, die vor meiner Wohnungstür liegt. (Oder aber nach dem nächsten Stichwort. – Gefunden!) Wie bürgerlich meine Existenz geworden ist, habe ich an meinem bezahlten Tageszeitungsabo bemerkt. Un-
glaublich, jetzt hat es dich richtig eingeholt, habe ich mir gedacht, wie ich mich gebückt habe, um sie aufzuheben. Und auf der Titelseite schon wieder ein abgestürztes Flugzeug. Aber zurück zu der Milch, von der ich schon die ganze Zeit erzählen möchte. Eine tickende Zeitbombe, so eine Milchpackung. Die Milch an diesem Morgen war nämlich geronnen. Sie war übersehen worden und hatte einen ganzen Tag unbeachtet in der Wohnung verbracht. Mal hierhin geschlendert, mal da reingeschaut, dort einen Blick drunter geworfen etc. Kurz gesagt, die Milch hatte einen verdammt guten Tag verbracht und war danach umgekippt. Ich fand die Milchleiche und … egal. Wir waren beide sauer. Punkt. Und noch einmal zurück zum Bäcker war einfach unmöglich. Ich möchte Ihnen und mir jetzt ersparen, den Geruch zu beschreiben, der mir an diesem Morgen beim Öffnen der Milch in die Nase gestiegen ist, jeder kennt so was, und ich will auch um Himmels Willen kein Mitleid mit diesen Worten erregen, wie deprimierend das war, den Kaffee an diesem Morgen schwarz und mit Ursüße (Zucker war auch unauffindbar) zu trinken, aber irgendwie hat das schon etwas zu bedeuten. Nicht, dass ich jetzt besonders aber- oder sogar übergläubisch wäre, aber ich muss doch meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass meine Biofrischmilch aus dem Waldviertel sich selbst umgebracht hat. Die war doch gesund! Wem passiert so etwas schon? Noch dazu an einem Mittwoch? Für gewöhnlich sind eher Wochenenden für Katastrophen zuständig. Oder Montage. Oder so genannte verlängerte Wochenenden. Und ab und zu ein Feiertag. Aber Mittwoch? – Eben. An einem Mittwoch geht man zur Arbeit, wenn man eine hat. Oder man bleibt schön brav zu Hause und versucht, nicht zu verzweifeln. Man verhält sich in jedem Falle unauffällig. Ich wohne in einer schlecht gelüfteten Wohnung, hinter Fenstern ohne Jalousien. Vis-à-vis meiner Wohnung befindet sich ebenfalls eine Wohnung. Um ge-
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nau zu sein, befindet sich da ein Wohnhaus. Und dieses Wohnhaus hat zwei Stockwerke weniger als mein Haus. Was den Vorteil mit sich bringt, dass ich sozusagen freie Sicht habe. Auf ein paar Bäume und einen dahinter liegenden Kirchturm. Wenn ich die Augen zusammenkneife, den Blick schärfe, kann ich an der Kirchturmuhr die Zeit ablesen. 9 Uhr 32. Das Frühstück war vorbei, das Telefon läutete: „Ja hallo! Du, ich wollt nur schauen, wie’s dir so geht und so...“ Oh, oh. „Alles in Ordnung?“ Und dann kam auch schon das Anliegen. Ich schmiss die Milchtüte in den Müll, putzte mir die Zähne und ging los. Kurzer Exkurs zum Thema: Dentalphilosophie (der literarische Werbeblock) Wie man weiß, bedeuten Träume, in denen Zähne vorkommen, nichts Gutes. Träume von Zahnbürsten haben allerdings noch niemandem geschadet. Und genau so einen Traum von Zahnbürste besitze ich. Eine sogenannte „Schall-Zahnbürste“, die mit dreistufiger Geschwindigkeitsregulierung meinen Zähnen jeden Tag ein unvergleichliches Erlebnis beschert. Gründliche Reinigung – Schonende Pflege – Sanfte Stimulation. Ich überlege gelegentlich, sie an anderen Körperstellen einzusetzen. Ich beschloss also, in den Tag hinaus zu gehen und einer Freundin beim Umzug zu helfen. Auf dem Weg dahin wurde ich von einem Menschen gegrüßt, den ich garantiert noch nie gesehen hatte. Seltsam genug. Da wir aber beide so überzeugend einander zugenickt hatten, blieb auch keiner stehen. Und schon war alles Vergangenheit. Ich entschied mich für den etwas längeren Weg durch den kleinen Park, weil ich da auch noch an der Bank vorbeikam, um sie kurz zu überfallen. Mit einem Sack voller Präsente trat ich nach nur 5 Minuten wieder auf die Straße. Ich liebe den Weltspartag. Seit meiner Kindheit. Konsum macht eben doch glücklich, auch wenn er, wie wir alle wissen, gelegentlich in Konkurs geht. Vor einer Galerie hielt ich kurz an und fragte mich, ob die ihre Mitarbeiter eigentlich danach auswählen, inwieweit sie zur laufenden Ausstellung passen? Oder muss man einfach nur schön sein? Die beiden Prachtexemplare vor meinen Augen trugen gerade eine Holzkiste über den Gehsteig. Sieht ziemlich schwer aus, dachte ich. Sie lächelten trotzdem und wirkten zuvorkommend und kompetent. Wie aus dem Katalog
sozusagen. Und obwohl ich schon längst bei meiner Freundin sein sollte, fragte ich dennoch: Was ist in der Kiste? Und der junge Schöne antwortete: Ein fettes Auto. Ich schenkte beiden einen Schlüsselanhänger der Bank und ging weiter. Zwischenspiel/Jause Habsburg. Habsgern. Habssatt. In der schon fast leer geräumten Wohnung saß ein Grüppchen guter und weniger bekannter Menschen auf dem Boden und machte Pause. Gutes Timing, dachte ich, behielt es allerdings für mich. Gabelfrühstück. Brettljause. So deftig kommen wir nie mehr zusammen, begrüßte mich die Freundin und hielt mir eine Wurstsemmel entgegen. Lecker, mit Gurkerl. Wer gut schläft, hat mehr vom Leben, sagte ein Bekannter der Freundin, den ich erst einmal gesehen hatte. Er schien mir enorm zugenommen zu haben und gab ihr gleich noch den Rat, ihr Futon möglichst gleich nach dem Einzug wieder gegenzurollen. Da hatte keiner was dagegen. Aber auch niemand etwas dazu zu sagen. Also Themenwechsel: Mein Freund B. (er war dünn wie immer) meinte schmatzend, es gebe grundsätzlich zwei Möglichkeiten, eine Bombe zu transportieren. Am Körper und in einer Tasche oder sonst einem Gepäckstück. Wieso er jetzt darauf kommt, wollte ich wissen, und er sagte: Denk mal an die ganzen Kisten, die jetzt draußen auf der Straße stehen. In einem anderen Land wäre die Polizei schon längst vorgefahren. Die Freundin sagte, dass sie den gemieteten Lkw für jede angebrochene Stunde extra zahlen müsse. Also wurde hastig alles aufgegessen (ich sage nur: der Bekannte) und weiter zusammengepackt. Die Mäntel musst du so zusammenlegen, sagte die Freundin und reichte mir ein Blatt Papier. Mantel flach auflegen und beide Schultern mit den Ärmeln einklappen, zusammenrollen und in die Schachtel legen. Mantel an der Oberfläche glätten. Ich nickte und machte mich an die Arbeit. Mantel flach auflegen und beide Schultern mit den Ärmeln einklappen, zusammenrollen und in die Schachtel legen. Mantel an der Oberfläche glätten. Beim zweiten ging es schon viel besser. Kurzer Exkurs zum Thema: Schwierigkeitsgrade
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Es gibt sehr einfache Menschen, und es gibt sehr komplizierte. Von der dazwischen liegenden Grauzone einmal ganz zu schweigen. Wer zu welcher Kategorie gehört, ist davon abhängig, aus welcher Perspektive er oder sie oder sie oder er betrachtet wird. Ich denke, ich bin eher nicht so kompliziert, denke aber auch, dass meine Freundin eher kompliziert ist. Was sie darüber denkt, weiß ich nicht. Nachdem ich auch noch die Pullover nach Anleitung verpackt hatte, wechselte ich zu den Büchern. (Ohne Anleitung.) Beim Ein(t)räumen der Bücher fiel mir eine dicke Schwarte in die Hände. „Das Leben Gebrauchsanweisung“ von Georges Perec. (Also doch Anleitung.) Ich schlug das Buch auf, fand es dann aber doch unpassend, zu lesen. Also weiter. Buch auf Buch auf Buch. Deckel drauf. Zugeklebt. Ich könnte mir das Buch natürlich ausleihen, dachte ich kurze Zeit später und räumte die eben gefüllte Kiste wieder aus. Mir war das selbstverständlich unangenehm, aber keiner schien davon Notiz zu nehmen. Die anderen Helfer waren permanent zwischen den Zimmern beziehungsweise zwischen der Wohnung und der Straße unterwegs. Fleißig wie die Bienen. Ich summte auch vor mich hin, und als die Kiste ein zweites Mal fertig gepackt war, stand außer mir nur noch ein monströser Kasten, besser Schrank, im Wohnzimmer. Soll ich helfen? Meine Frage wurde mit keiner Antwort gewürdigt. Also schaute ich zu. Ein Schauspiel der besonderen Art: Sechs Personen versuchen, einen Kleiderschrank aus dem Wohnzimmer zu tragen. Zuerst neigen sie ihn, dann kippt er hin. Allgemeines Aufschreien. Kollektives Nachdenken. Alle schwitzen. Pause. Ratlosigkeit. Schweigen. Das Schauspiel hatte ziemliche Längen. Also trug ich mein zentrales Werk, die gepackte Bücherkiste, die Stiegen hinunter, hievte sie in den Lkw und kehrte in die Wohnung zurück. Der Kasten, besser Schrank, lehnte immer noch seitlich neben der Tür an der Wand. Aber die Menschen waren weg. Ich suchte in allen Zimmern, aber keiner war zu sehen. Zurück beim Kasten hatte ich den Eindruck, als würde er auf eine seltsame Art schweben. In seiner Schieflage wirkte er wie eine Eingangstür zu einer anderen Welt. Ich öffnete und traute meinen Augen nicht nur nicht, sondern schloss sie und danach auch die Tür des Kastens, besser Schranks.
Um in der nächsten Sekunde „Alice-im-Wunderlandmäßig“ einzusteigen. Kurzer Exkurs zum Thema: Tagträumen Ich erwachte und dachte: Ich lebe in einem Magazin. Alles glänzte. Alle Menschen hatten weißere Zähne, alles roch nach Myrthe, die du zwischen den Fingern zerreibst. Meine Verwirrung war überdimensional. Aber ich wusste: Je perfekter die Oberfläche, desto grausamer die Überraschungen der Tiefe. Ist das mein neues Leben? Fragte ich. Und erhielt keine Antwort. Dann ertönt eine sanfte, freundliche Stimme: Die ganze Welt ist schlaglobalisiert. Lass dich fallen. Lass los. Lass alles … Und an dieser Stelle stoppe ich auch schon wieder, weil ich nicht mehr bin, was ich eben noch fühlte. Und … Ich hatte übergenug. Und außerdem Hunger. Also ließ ich den Kasten, besser Schrank, angelehnt und ging. 2. Mittag Beim Asiaten um die Ecke sitzen. Ich nehme ein Paar Stäbchen und denke, dass das Leben vielleicht einfacher wäre, wenn überall die Handhabung vorgegeben wäre wie auf den Ess-Stäbchen. Überleben in drei Schritten. Auseinandernehmen, Einklemmen, Aufessen. Aufreißen, Drüberstülpen, Abrollen. Schütteln, Aufdrehen, Trinken. Leben wie ein Menü. Suppe, Hauptspeise, Dessert. – Danke. Da kommt sie schon, die Suppe. Ich erlebe ein aufregendes Mundgefühl. Meine Umwelt spricht mit mir. Sie haben eine neue Nachricht. Eingezwängt an einem kleinen Tisch unter der Dunst- und Lärmglocke des Mittags höre ich, dass sich meine Verabredung um ein paar Minuten verspätet. Ich sehe mich um, sehe viele einzelne Menschen an kleinen Tischen sitzen, dazwischen vereinzelt Geschäftspartner und ähnliche Konstellationen. Keine Paare. Die Suppe schmeckt, die anderen Menschen sprechen mit sich selber oder kommunizieren über Gefäße. Computer zum Beispiel. Viele meiner Freunde kenne ich nur noch als ihre Online-Ausgabe. Dann kommt D. und erzählt, dass man ihr Fahrrad abgeschleppt hat. Sie bestellt sehr schnell dasselbe Menü, und so können wir das Hauptgericht zusammen einnehmen als das einzige Paar. Wonach schmeckt das überhaupt? D.s Frage überrascht mich einigermaßen, und ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Sie hat auch ihre Schwierigkeiten, aber
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zusammen kommen wir auf ein paar Komponenten, die in diesem Gericht zu Geltung kommen. Hat geschmeckt? fragt die Kellnerin. Ja, danke. Und abserviert. Überhaupt, sagt D., man sollte ab und zu das Begriffliche eines Gegenstands von dem Gegenstand trennen, von dem Stuhl nicht mehr als Stuhl sprechen, sondern als … Als Sessel? Unterbreche ich sie, und sie findet das gar nicht komisch, weil ihr diese Haarspaltereien mit der Sprache immer schon auf die Nerven gegangen sind. Schon in der Schule. Dieser Stuhl, auf dem ich hier sitze, ist nämlich ein verdammter Design-Klassiker, sagt sie, und deshalb reüssiert der auch so. Der Stuhl. Als ein Stück Vergangenheit. Geschichte und so weiter. Verstehst du? Ich nicke und frage, welche Vergangenheit? Und sie schnappt den Stuhl und trägt ihn weg. Und damit ist er Vergangenheit. Zum soundsovielten Male. Und was repräsentiert unsere Vergangenheit? frage ich D., als sie wieder zurück ist. Der Münzfernsprecher, antwortet sie trocken und setzt sich zu mir auf die Bank. Ich versuche, die Reste meines gebratenen Gemüses mit Hilfe der zwei Stäbchen zu meinen Lippen zu balancieren. Das gelingt ganz prima. Der Begriff der gelösten Begrifflichkeit arbeitet in mir, und als man uns das kleine Dessert vor die Nase knallt, habe ich es: Mein Schreibtisch ist kein Schreibtisch sondern eine Plattform. D. nickt anerkennend und sogar die Rechnung hat auch noch einen Lebenshilfe-Tipp für mich. Enjoy life. Dine here often. Vielen Dank. Wir verlassen das Lokal. Ich bin total verschwitzt. Auf dem Nachhauseweg sprechen wir nicht mehr. Alles ist gesagt. Keine Antworten gefunden. An der gewohnten Kreuzung trennen sich unsere Wege. Wie üblich. Ich schalte auf schalldicht und senke den Blick auf den Asphalt.
3. Abend(essen) W. sagt, die Deutschen sind viel zu ernst. Nein falsch. W. sagt, die deutsche Kunst ist so ernst. Aber schön langsam wird das besser. Ich zeige einem Deutschen „Die Jause“ und er lacht. Es geht also aufwärts. Der Deutsche und ich stehen an der Bar eines Cafés. Der Typ neben uns blättert in der Kronenzeitung. Abendausgabe. Ich zeige auch ihm „Die Jause“ und er mir den Vogel. Er trägt einen dunkelroten Altherren-Rollkragenpullover und sieht sich misstrauisch um. Dann bohrt er in der Nase. Lange und ausgiebig. – Ich frage mich, was er wirklich will. Warum vertrauen, nein glauben wir Vorstellungen von Leben mehr als dem Istzustand, den wir als unser Leben tatsächlich leben? – Der Deutsche schweigt. Wir bestellen noch zwei Bier und der Deutsche sagt: Als gelte es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Immer. – Ich frage mich, was er wirklich will. Ihn frage ich das nicht, dazu kennen wir uns zu wenig. Wir bleiben länger, als wir beide wollten, an der Bar stehen. Solange es geht. Er erzählt: In den Sommermonaten werfen sich deutlich weniger Menschen vor die U-Bahn. Ich erzähle: Die blinden Flecken auf den Landkarten unserer Körper. An die glaube ich. Dann erdrückt uns die Luft, irgendwann, drückt uns zu Boden, mit dem Gesicht nach oben, knebelt uns mit heißer Luft, und puff! – außer Tresen nichts gewesen. Wir gehen nach Hause. Er nimmt das Rad, ich gehe zu Fuß. (Folgen Sie der Instruktion und denken Sie an nichts.)
Zwischenspiel Go, write your message on the pavement. (MESSAGE(s) IN A CIRCLE) STOP LOSING TIME! – START A NEW LIFE! – ANSWER! – INVEST! – HOLD ON! – ORDER CHAMPAGNE! – FORGET ABOUT THE PAST! – HELP THEM AND YOU! – STOP LOSING TIME! … (fade out)
So vergeht ein Tag. Frühstück – Mittag – Abendessen. Ich habe irgendwann zwischen dem vorigen Jahrhundert und jetzt vergessen, wie man sonst noch leben kann.
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Flaniermeile Brenner-Archiv
Wer das Innsbrucker Brenner-Archiv betritt, begegnet Ficker, Kraus, Loos, Rilke, Trakl, Wittgenstein, … Hausherr Johann Holzner führt Krista Hauser durch die Wohngemeinschaft großer Geister. Flanieren? Aber wo? Vorbei an den Totenmasken von Ludwig von Ficker und Karl Kraus, die den Besucher einstimmen oder verschrecken? Vorbei an den bekannten Fotos, die das Entree und den kleinen Saal im zehnten Stockwerk des luftigen Neubaues in der Josef-Hirn-Straße in ein kleines Museum verwandeln? Sie zeigen die legendären Jahre der Zeitschrift „Brenner“: Ludwig von Ficker, ihr Gründer im Alter von 32 Jahren, zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Schon damals ein Zuhörender, so wie ihn Oskar Kokoschka dann 1915 auf Vorschlag von Adolf Loos porträtierte? Georg Trakl in Uniform, 1914: eine der letzten Aufnahmen vor seinem Sterben an einer Überdosis Kokain im Garnisonsspital Krakau. Kopien der Gedichte „Klage“ und „Grodek“, die er in seinem letzten Brief am 27. Oktober 1914 an Ficker schickte. Amüsante Impressionen aus der Zeit davor: Karl Kraus und Peter Altenberg in keuschem Badedress 1913 in Venedig; auch Adolf Loos und seine Gefährtin Elizabeth Bruce, genannt Bessie Loos am Lido; Georg Trakl, solo, Blick zum Meer. Namen, Zeichnungen, Malereien. Ein Winterbild Max von Esterles in melancholischen Blau- und Grüntönen. Die einsame Gestalt, die aus der Landschaft kommt, könnte Trakl sein. Weiters an den Wänden: ein Foto der Lyrikerin Else LaskerSchüler, die dem „Ritter Georg Trakl“ Gedichte und eine poetische Buntstiftzeichnung widmete; dann Österreichs bedeutendster Philosoph, Ludwig Wittgenstein, 1918 aufgenommen, noch in Uniform; schließlich der Südtiroler Denker Carl Dallago, für den Ficker den „Brenner“ gegründet hatte. Dazwischen ein Aufruf Kaiser Franz Josephs „An meine Völker“, datiert 1914/15 … Flanieren: Das klingt so leichtfüßig, beiläufig. Kann ich das, wenn ich an die Stille in der Wohnung Ludwig von Fickers und seiner Tochter Ulla Wiesmann in den 60er Jahren in der Kirchgasse in Innsbruck, auch an die kleinen Feste mit den Enkelinnen Sigrid und Jutta Wiesmann denke? Oder an die kostbaren
Autographen, die „Brenner“-Hefte, die Walter Methlagl, der „Urvater“ des Archivs, damals für seine Dissertation durchstöberte und die ihn süchtig machten. Vierzig Jahre lang forschen, publizieren, „Brenner“-Spuren bis in die USA und nach Israel verfolgen. Spazieren also vorerst statt flanieren: der vertraute Weg den Inn entlang nach Mühlau. Ein Trakl-Herbsttag mit „goldnem Wein und Frucht der Gärten“, passend zur Führung durch den Neuen Mühlauer Friedhof. Gräberbesuch ohne Allerheiligen-Pflicht. Am 7. Oktober 1925 wurden Trakls Gebeine hier bestattet. Gedächtnisfeier am 7. Oktober 2005 mit vielen Studenten und Literaturfreunden. Johann Holzner zitiert aus dem Nachruf, den Ludwig von Ficker vor 50 Jahren an diesem Ort im kleinen Kreis gehalten hatte. „O Geist des toten Freundes, der da sprach! Sieh hier den alten Stein – versenkt in unsere Herzen: ein Denk-, ein Dankmal, aufgerichtet“, hieß es da. Auch wenn dem aufgeklärten Zeitgenossen von heute Pathos fremd ist: „Der Brenner“ und die Autoren, die Ficker darin publizierte, symbolisieren noch immer dieses „andere“, fragmentarisch überlieferte, geistig weltoffene Tirol. Direkt neben dem „alten Stein“ für Georg Trakl das Grab Ludwig von Fickers, in umittelbarer Nähe sind Ulla und Sigrid Wiesmann bestattet, auch der katholische Publizist und späte „Brenner“-Autor Ignaz Zangerle. Ein paar Gräberreihen entfernt erinnern Johann Holzner und Anton Unterkircher, Germanist und „Brenner“-Experte, an den Tiroler Dichter Josef Leitgeb, dessen ausgewählte Werke, zuletzt der vielschichtige Roman „Christian und Brigitte“, neu aufgelegt wurden. Hinweise auf aktuellen Forschungsstand und Publikationen vermischen sich auch am Grab Carl Dallagos mit Pietät ohne Sentimentalität. Der eigenwillige Querdenker, der sich nach der katholischen „Wende“ des „Brenner“ radikal von Ficker trennte, eignet sich auch schwer dafür.
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Nach dieser „Einübung“ in das „Brenner“-Gedächtnis Besuch im Archiv, das sich längst zu einem bedeutenden überregionalen Forschungszentrum der Universität gemausert hat. Nicht nur die Nachlässe von Dichtern und Philosophen werden verwahrt, erforscht, publiziert und digitalisiert, auch Schriftliches von Künstlern, Musikern, Architekten – Bücher, Notenhefte und Fotos – sind gelagert. Hier also doch ein bisschen flanieren, gedanklich, nicht räumlich. Stichworte, Assoziationen, keine chronologische Lektion. Johann Holzner, Germanist, als Nachfolger von Walter Methlagl seit 2001 Hüter der 160 Nachlässe und – dem Trend der Zeit folgend – stets um die Präsentation des Archivs nach außen bemüht, „residiert“ im Ambiente Ludwig von Fickers: die weiße Standuhr, in der die Zeit still steht, weil das Uhrwerk fehlt, die Tische aus der alten Rauch-Villa, ein paar Sitzmöbel. Nebenan hinter der gesicherten Türe graue Schränke mit hunderten Kassetten, dazu die vollständigen Nummern der 1910 erstmals erschienenen Zeitschrift „Der Brenner“, die Ludwig von Ficker zu einem Spektrum neuer Literatur, auch zu einem Herd der Unruhe weit über Tirol hinaus gemacht hatte. Neben den „Brenner“-Heften Karl Kraus’ „Fackel“ in leuchtendem Rot. Ein Zitat drängt sich auf: „… dass die einzige ehrliche Revue Österreichs in Innsbruck erscheint“, schrieb Kraus, „sollte man, wenn schon nicht in Österreich, so doch in Deutschland wissen, dessen einzige, ehrliche Revue gleichfalls in Innsbruck erscheint“. Hauptbestand des Archivs: die Korrespondenz, die Ficker über Jahrzehnte mit – für die Nachwelt – bedeutenden Persönlickeiten führte. Holzner öffnet das „Allerheiligste“, den Panzerschrank mit den „Glanzstücken“: Blatt für Blatt, geschützt zwischen säurefestem Papier. „Hier etwa ein Brief von Hermann Broch, der früh im Brenner publizierte. Ein Schlüssel zum Verständnis seines Werkes. Dies gilt für alle Briefe an Ficker, in denen es nie um Beiläufiges, Zufälliges ging, sondern immer um poetologische Fragen, um Essentielles. Die Autoren haben Ficker auch ihr Herz ausgeschüttet“. Weiters im „Allerheiligsten“: „Briefe von Hermann Hesse, sogar eine Postkarte aus dem Tessin, die er selbst gezeichnet hat. Die aus-
führlichen Briefe zeigen, wie sehr Hesse Ficker schätzte“. Und dann: „Briefe von Adolf Loos, dessen berühmte Schriften ‚Trotzdem‘ und ‚Ins Leere gesprochen‘ im Brenner-Verlag herauskamen … Da ist noch ein Brief von Thomas Mann, der nicht nur inhaltlich interessant ist. Ein Blick darauf: die beiden Wörter, die Mann am größten schrieb: Thomas Mann“. Für mich persönlich ist immer noch ein Blatt geradezu aufregend, das auch der sonst recht sachliche Wissenschaftler fast ehrfürchtig aus dem Schutzumschlag nimmt: Trakls letzter Brief, sein Testament. Auf der Rückseite, neben dem Gedicht „Klage“, das Gedicht „Grodek“. Die ersten Zeilen in lateinischer Schrift, die übrigen in Trakls typischer Kurrentschrift. 17 Zeilen, die verstören. Beinahe Herzklopfen wie als Germanistikstudentin in den 60er Jahren, als ich das erste Mal Trakls „Grodek“ im Original sah. „Am Abend tönen die herbstlichen Wälder / Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen / Und blauen Seen, darüber die Sonne / Düstrer hinrollt, umfängt die Nacht / Sterbende Krieger, die wilde Klage / Ihrer zerbrochenen Münder …“ Holzner kennt die Faszination, die Autographen ausüben: „Es kommen nicht nur Studenten, es kommen Wissenschafter und Autoren aus der ganzen Welt zu uns. Zuletzt waren Gruppen aus der Slowakei und aus dem arabischen Raum da. Sie wollten zum TraklGrab und dann durch das Archiv geführt werden. Als sie die ‚Grodek‘-Handschrift sahen, waren sie tief gerührt. Für eine andere Gruppe, Studenten der Universität Genf, war die Begegnung mit Trakl-Handschriften das schönste Erlebnis ihres Aufenthaltes in Innsbruck. Ähnlich ergeht es Rilke-Forschern. Die Wertschätzung, die Rilke Ficker entgegenbrachte, zeigt sich schon im Schriftbild. Der Dichter hat immer schön geschrieben, aber die Briefe an Ludwig von Ficker sind ganz außerordentlich schön. Und wenn man so einen Brief zum ersten Mal in die Hand bekommt, ist das ein Erlebnis.“ Euphorie wird auch spürbar, wenn Holzner von anderen „Glanzstücken“ spricht, wenn er eines der kostbarsten vorsichtig zur Seite legt: den legendären Brief Ludwig Wittgensteins an Ludwig von Ficker, ge-
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schrieben am 14. Juli 1914. Wer sich ohne das nebulose Klischee von „Traum und Wirklichkeit“ mit dem kulturellen Klima der untergehenden Monarchie beschäftigt hat, ist irgendwann auf diesen seltsamen Brief gestoßen und damit auf den Namen des Adressaten. Ficker war vom Inhalt des Briefes so überrascht, dass er sich zunächst fast gefoppt fühlte und am Wahrheitsgehalt zweifelte. Der Anfang des kurzen Schreibens: „Sehr geehrter Herr! Verzeihen Sie, daß ich Sie mit einer großen Bitte belästige. Ich möchte Ihnen eine Summe von 100 000 Kronen überweisen und Sie bitten, dieselbe an unbemittelte österreichische Künstler nach Ihrem Gutdünken zu verteilen …“ Doch die „Belästigung“ war ernst gemeint, Wittgensteins Kronen, Teil seines Erbes nach dem Tod des Vaters, trafen tatsächlich ein. Ficker verteilte sie – mit Wittgensteins Einverständnis – nicht nur an Brenner-Autoren, u.a. an Georg Trakl, Carl Dallago, Adolf Loos, Theodor Haecker, Theodor Däubler und Josef Georg Oberkofler, sondern auch an Rainer Maria Rilke, Oskar Kokoschka, Franz Kranewitter und Karl Hauer. Persönliche Begegnungen, Briefe zwischen Wien und Innsbruck, Feldpostkarten folgten, eine Zusammenarbeit kündigte sich an. Sein später weltberühmtes Werk „Tractatus Logico-Philosophicus“ wollte der Philosoph im Brenner-Verlag herausbringen. Doch die Kriegsjahre und die persönliche finanzielle Notlage Fickers gefährdeten die Existenz des Verlages und der Zeitschrift. Dazu kamen grundsätzliche Differenzen über die Auffassung von Sprache und den Grenzen der Sprache. Dass Ficker das Risiko scheute und das Manuskript am Ende zurückschickte, wird ihm bis heute angekreidet. Jahrzehnte später leistete Fickers geistiger „Ziehsohn“, Walter Methlagl, Wiedergutmachung. Im ersten Bändchen der Reihe Brenner-Studien durfte er als 32-jähriger an der Seite des prominenten finnischen Wissenschafters Georg Henrik von Wright an der Herausgabe von Wittgensteins Briefen an Ludwig von Ficker und der Dokumentation über die Entstehung des „Tractatus“ mitarbeiten. Heute ist das BrennerArchiv ein wichtiges Zentrum der Wittgenstein-Forschung, wobei die eigenen Bestände – neben Briefen
auch die in zwei Bänden publizierten Tagebücher – weltweit zugänglich sind. Das gilt auch für die Wittgenstein-Bestände aus Bergen. Eine amerikanisch-kanadische Internet-Firma macht es gegen Bezahlung möglich. Der berühmte, oft missverstandene und zum philosophischen Gassenhauer mutierte Satz kann also nicht nur von Experten im Kontext gelesen werden: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“. Kurzes Flanieren, Standortwechsel zu Nachlässen, die „nur“ in Kasetten lagern, im Vergleich zu Rilke- oder Trakl-Gedichten kaum internationale Bedeutung haben. Doch für die regionale Forschung kann auch der Nachlass eines heimischen, zu Lebzeiten überall aneckenden Rebellen Neues bringen, das Image seiner Persönlichkeit zurechtrücken. Holzner verweist auf das umfangreiche Material des scheinbar personifizierten „Antitirolers“ Norbert C. Kaser, der 1978 im Alter von 31 Jahren starb. Briefe, Manuskripte, ein Stapel von Kalendern: „Da sieht man, wie Kaser beispielsweise in einem frühen Kalender in allerschönster Schrift ganz persönliche Notizen machte, gleich daneben stehen Gedichte, gestochen geschrieben. Hier zwei typische Notizen zum Tag: ‚Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge beendet. Mariedl getroffen.‘ Auf einer anderen Seite eine Eintragung in Altgriechisch.“ Als fragmentarische Tagebücher könnte man diese Kalender bezeichnen, die Kaser allerdings oft nur über Tage oder ein paar Wochen führte, dann wieder aufnahm oder auch bald beendete. Was einen Kaser-Forscher daran interessieren könnte: „Die Art, wie der Poet seine Texte höchst sorgfältig strukturierte, wie er darüber reflektierte. Selten, dass er etwas durchstrich, etwas korrigierte. Fast druckfertig sind diese Texte, die er zeitweise auch sofort ins Italienische übersetzte. Jedes Gedicht ist mit Datum versehen. Diese korrekte Arbeit passt so gar nicht zum Mythos des unsteten, chaotischen Genies. Bemerkenswert sind die Ereignisse, die ihn bewegten, die er für notierungswürdig fand. Auch kleine Extras hat er in den grünen und roten Kalendern verwahrt: Theaterkarten, eine Karte vom Tiroler Ball.“ Gerührt wirkt Johann Holzner, wenn er vom Nachlass Christoph Zanons erzählt: „Da fand ich doch vor kurzer Zeit einen Brief, den ich an ihn schrieb.“ Als
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„stillen Außenseiter“ schildert er den Osttiroler Poeten, für den das Schreiben nicht Hauptberuf sein konnte. Er war Lateinprofessor in Lienz, dank der Freundschaft mit Holzner im Brenner-Archiv verankert, Germanisten vertraut. Für eine Vorlesung über „Antike Mythen in der modernen Literatur“ schuf er in einer einzigen Nacht eine wunderbare neue Übersetzung von Passagen aus Ovids „Metamorphosen“, in einer anderen Nacht konnte er aber einfach in diversen Lokalen „abtauchen“. In Lienz kümmerte sich Zanon um junge Autoren, war Gründungsmitglied der „Lienzer Wandzeitung“, ohne selbst ein Kulturbetriebler zu werden. Auf sich selbst und das eigene Schreiben machte er kaum aufmerksam. Dennoch brachte der Innsbrucker Haymon-Verlag seine Bücher heraus: 1988 „Die blaue Leiter“, 1992 „Schattenkampf. Texte von der Heimat“. Im Wieser-Verlag erschien die kurze Prosa „Abseits“. Die eigentümliche Geschichte handelt von einem Kartografen, der ein bisher unbekanntes Tal entdeckt, dieses aber nicht in seine Landkarte aufnimmt, weil es unbekannt bleiben soll. Im Nachlass finden sich dazu Notizen, die der Autor bei seinen Bergwanderungen machte, Beobachtungen, die er im Text verarbeitete. Sie sind – nach Ansicht Holzners – „fast interessanter als der endgültige Text, weil völlig authentisch, sprachlich nicht geglättet“. Zanon, der 1997 im Alter von 46 Jahren starb, führte auch noch Tagebücher. Eine „altmodische“ Beschäftigung, fern vom Zeitgeistklima, die Selbstreflexion und Distanz schafft. Die Balance zwischen regionaler Kultur und Werken von internationalem Rang zu halten, hängt für Holzner immer von Qualitätskriterien ab: „Das BrennerArchiv ist zwar auch das Archiv der Nord- und Südtiroler Literatur, doch die Autoren müssen hierher passen. So wie eben Kaser und Zanon, Friedrich Punt, Johannes E. Trojer und der Vorarlberger Max von Riccabona. Oder die zahlreichen Dokumente zur Österreichischen Jugendkulturwoche, die für den geistigen Aufbruch bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Innsbruck sprechen. Auch der Nachlass Lilly von Sauters, die enge Kontakte zur Kunst und Literatur Frankreichs pflegte, mit Ingeborg Bachmann, Hertha Kräftner und Ernst Gombrich korrespondierte, gehört ins Archiv.“
Zurück zum „Allerheiligsten“, zu den Briefen, die Karl Kraus an Sidonie Nádherný von Borutin schrieb: „1065 Briefe in 23 Jahren! Da lernt man einen anderen Kraus kennen“, sagt Holzner. 1974 hatten Friedrich Pfäfflin, Lektor im Kösel-Verlag, und Walter Methlagl diese lange gehüteten, höchst privaten Briefe herausgegeben. Eine Sensation selbst für KrausKenner. „In diesen Briefen haben wir einen anderen Karl Kraus, einen unerwarteten, vielleicht einen neuen. Sie können uns mit dem Menschen Karl Kraus, der soviel gehasst hat, bekannt machen und am Ende versöhnen“, urteilte der Literaturexperte Carl Hohoff. Und Nobelpreisträger Elias Canetti wies in seiner berühmten Berliner Rede über Kraus und dessen Schauspiel „Die letzten Tage der Menschheit“ auf die großen Verdienste der Forschungen am Brenner-Archiv um den „neuen Kraus“ hin. Durch einen glücklichen Zufall waren die Briefe aus Prag – über Umwege in die USA – schließlich nach Innsbruck gelangt. Auch ein Konvolut wunderbarer Fotos, Dokumente eines nur ausnahmsweise gemeinsamen Lebens. Neben Porträts Sidonies, der schönen Herrin auf Schloss Janowitz nahe Prag, und Fotos von Karl Kraus in verschiedenen Posen finden sich viele Aufnahmen vom Schloss samt seinem großzügigen Park. Bei Dreharbeiten für ein Porträt des Prager KafkaForschers Eduard Goldstücker auf Janowitz habe ich die „Fotomotive“ entdeckt, die Plätze, wo Kraus mit Gästen saß, den Steingarten, wo die begeisterte Gärtnerin Sidonie arbeitete. Ihr hatte Kraus noch drei Jahre vor seinem Tod das eher holprige Gedicht „Immergrün“ gewidmet. Goldstücker wusste fast alles über die deutschsprachige Literatur der frühen Moderne, er zitierte Kafka, Trakl und Rilke, Werfel und Else Lasker-Schüler, lange Passagen aus der „Fackel“. Er kannte die erwähnten Kraus-Briefe, die „Liebestodesangst“, die der Satiriker durchlebte. Wir plauderten über die ungewöhnliche Beziehung, die Leidenschaft, die Kraus vielleicht mehr auf dem Papier als in der Realität auslebte. „Da war nichts, er war impotent“, meinte der damals fast 70-jährige Goldstücker trocken und berief sich auf Anekdoten. Von derartigen Anekdoten, „Unterstellungen“ weiß Johann Holzner nichts. „Karl Kraus und Sidonie Nád-
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herný waren schon eher ein Liebespaar. Da gibt es Hinweise im spärlichen Nachlass Sidonies, die Rückschlüsse zulassen.“ Für ihn ist die Intimsphäre von Menschen für die Forschung ohnehin tabu, denn „da geriete man doch in Richtung Boulevardpresse“. Das gilt auch für die Spekulationen um Georg Trakl und dessen oft zitierte inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Margarethe, worüber sogar im Archiv ein Forscherstreit entbrannt war. Ist mit dem Begriff „Schwester“, den Trakl in seinen Gedichten oft verwendet, tatsächlich die echte Schwester Margarethe gemeint? Kaum verschlüsselt sind indes Wittgensteins Notizen über seine homoerotischen Neigungen in den „Geheimen Tagebüchern“, die vor einigen Jahren entdeckt wurden. Dass sich darüber selbst seriöse Magazine ausbreiteten, bleibt für Holzner ein Ärgernis. „Das ist eine prinzipielle Frage für jedes Archiv. Wir besitzen Nachlässe mit Materialien, die das Privateste und Intimste über Schriftsteller und Künstler verraten. Für uns ist es eine Verpflichtung, diese Schriftstücke unter Verschluss zu halten, sofern sie nicht für die Interpretation der Werke von entscheidender Bedeutung sind. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass wir immer wieder Nachlässe bekommen, die von den Besitzern nicht extra durchgesehen werden, ob da irgendwelche verfänglichen Stücke dabei sind. Sie vertrauen uns, dass wir nicht mit irgendwelchen Enthüllungen an die Öffentlichkeit gehen.“
freundes Raoul H. Strand zahlreiche Gedichte Theodor Kramers, die der Dichter in den Nachkriegsjahren für eine mögliche Radiosendung nach Tirol schickte. Ob sie tatsächlich realisiert wurde, lässt sich nicht mehr eruieren. Auf dem Schreibtisch Anton Unterkirchers, der seit 20 Jahren wie ein Wissenschaftsdetektiv recherchiert und fast alles über den „Brenner“ weiß, liegt sein jüngster Fund: Briefe und Manuskripte rund um die Berliner Zeitschrift „Der Sumpf“ aus einer deutschen Privatsammlung, in der sich u.a. Materialien zu Carl Dallago und Josef Leitgeb finden. Der Tiroler Literat hatte ein Gedicht gegen Hitler eingesandt. Die Zeitschrift wurde von den Nazis verboten.
Wer dennoch Intimes, Erotisches unverblümt in allen Variationen sucht – inmitten der Gedankenflut, zwischen all den legendären Autographen findet er sie: skurrile Zeichnungen Fritz von Herzmanovsky-Orlandos, die in den 70er Jahren einen Ausstellungsboom ausgelöst hatten und von Museen immer noch entlehnt werden. Fantasievolle Sexspiele, oft derb, wenn auch sensibel gezeichnet. Lustvolles aus Kakanien. Doch die große Herzmanovsky-Renaissance scheint passee. Die Gesamtausgabe der literarischen Werke, die im Brenner-Archiv erarbeitet wurde, ist vergriffen. Auf den Spielplänen fehlen Herzmanovskys Stücke. Ein Ende der Nostalgie. Für Holzner und andere Forscher kein großes Malheur. Ihr Interesse gilt neuen Beständen, Entdeckungen, die mit Spürsinn und Glück gemacht werden. So fanden sich etwa im Nachlass des Innsbrucker Literatur-
Die Publikation eines Nachlasses, der dem Archiv aber bisher nur leihweise zur Verfügung steht, sorgte gerade wegen der erwähnten „Verflechtung“ für internationales Aufsehen. Tagebücher der gebürtigen Vorarlbergerin Grete Gulbransson spiegeln das bunte Münchner Kulturleben der Jahrhundertwende bis zu den 20er Jahren. Als Frau des norwegischen Grafikers Olaf Gulbranssen, des wichtigsten Mitarbeiters des „Simplicissimus“, war sie Münchens „SzeneMadame“. Sie kannte alle Geistesgrößen und notierte sachlich-kompetent, was die Nachwelt immer noch interessiert, auch amüsiert. Ein Nachlass, der durchaus auf Dauer ins meist gedankenschwere „Brenner“Archiv passen würde.
Die enge Verflechtung von Literatur und Politik, das Mit- und Gegeneinander verschiedener Disziplinen, von Kunst, Musik, Architektur, Philosophie und Religionen herauszuarbeiten: Dies sind seit Jahren wichtigste Forschungsziele am Brenner-Archiv, ohne deshalb die „Glanzstücke“ zu vernachlässigen. Nur mit interdisziplinärer Arbeit kann man zu einem kulturellen Gesamtbild bestimmter Epochen beitragen. Eine Chance, die heute so oft verketzerten Geisteswissenschaften vom Vorwurf ihres Elfenbeinturm-Daseins zu befreien. Walter Methlagl ist dies zuletzt mit einer Biographie Erich Lechleitners, einem Künstler aus dem Brenner-Kreis, gelungen.
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„Spielen wir wieder C-Dur, oder wie ist das?“
Leidensmienen, das dunkle Herz der Moderne und die Provokation als Dienstleistung im Entertainment: Helmut Jasbar traf den Komponisten Helmut Lachenmann. Ein Gespräch und einige Anmerkungen zur Unverdaulichkeit Neuer Musik. Prolog Für ein Interview zu Besuch bei einer winzigen Fernsehstation in New York State: Ich betrete das bescheidene, schlecht ausgeleuchtete Studio, in dem sich eine kleine Zahl älterer Herrschaften versammelt hat, die, wie mir gesagt worden war, verschiedene ehrenamtliche Funktionen im Bereich der Kultur und vor allem der zeitgenössischen Musik ausüben. Wir sitzen im Halbkreis um einen sichtlich erschöpften Moderator, einem Mann in den Siebzigern, dem man trotz Solariumsbräune das harte Geschäft des Fernsehmachens ansieht. Er kennt die Gäste (meine Person, den Musiker auf der Durchreise, ausgenommen), sie sind ein eingespieltes Team. Nach einem kurzen Blick auf sein Manuskript eröffnet er das Gespräch im Ton der Wohlgelauntheit eines Fernsehmenschen mit den Worten: „Ladies and Gentlemen, what will be the topic of the next 20 minutes?“ Er blickt mit einem abgeklärten Lächeln in die Kamera und sagt: „I guess I only have to say three words: „music, music, music!“ Seine immer noch animierende Moderatorenstimme bringt das Wort „music!“ hoch über unseren Köpfen zum Glitzern, dadurch verschärft er allerdings auch den Kontrast zu seinen Gästen, die wir nichts anderes als dürre Worte zu bieten haben. Seine Au-
gen gleiten müde über uns hinweg, wir warten mit hängenden Schultern auf seine Fragen. „Music, music, music!“, wiederholt er zerstreut, vielleicht, um Zeit zu gewinnen. … Auftritt Lachenmann … Luigi Nono sagte zu mir: Wenn du einen Triller schreibst, dann benimmst du dich wie Francois Couperin. Musik, die dekorativ ist, nichts weiter als geistvolle Unterhaltung. Nichts gegen den Geist aber viel gegen die Unterhaltung … die Unterhaltung – das war es, was Nono ablehnte. Zumal nach zwei Weltkriegen diese bürgerliche Kunst als Ausdruck eines deutlich abgewirtschafteten und entlarvten Denkens überwunden werden musste.1 Seit den Zeiten, in denen Nono seine Utopien formulierte, hat sich die Welt der Musik bis zur Unkenntlichkeit verändert. Könnte es sein, dass wir, die wir uns für Neue Musik interessieren, in einer endlosen Schleife der gegenseitigen Beteuerungen festsitzen? In einer Art „Twilight Zone“ der Musik? Wir halten uns für innovativ, ideenreich und undogmatisch, in Wahrheit sind wir vielleicht altertümlichen Ideen verfallen2 – wie jener, dass das Schiff der Zivi-
1 Alle folgenden (kursiv gesetzten) Zitate stammen aus meinem Interview mit dem Komponisten Helmut Lachenmann anlässlich seiner Werkschau in Tirol bei den „Klangspuren Schwaz“ im September 2005. 2 Was bedeutet „Fortschritt“ in der Musik? Bedeutende Köpfe der Philosophie und der Kunst meinen: Keine Epoche der Geschichte hat jemals ein Ende gefunden, sowie: keine Epoche, sei sie auch noch so ferne, hat sich weiter von uns entfernt als eine andere. Damit ist ein großer Gedanke aufgetaucht: Die Geschichte ist nicht eine lange Reihe von Ereignissen, die am Horizont unserer Zeitrechnung verschwinden, vielmehr wirkt jedes Geschehen immer noch in uns, wie der Nachklang des „Big Bang“ immer noch als Hintergrundstrahlung im Universum nachweisbar ist. Dem bis Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten europäischen Zeitbegriff eines Hürdenlaufs über eine unaufhaltsam auf uns eindrängende Zeit ist die Kugelform entgegengesetzt worden. Die Geschichte umgibt uns wie eine Kugel, mit unserem Bewusstsein im Mittelpunkt.
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lisation ein Vorne und ein Hinten, ein Oben und ein Unten kenne. Dass es einen Fortschritt in der Musik gebe. Dass es etwas Neues in die Welt zu bringen gelte. Dass wir alle die Eingeweihten seien, die oben und vorne wären, unverstanden und daher einsam. Kennen Sie die „Musikalische Hölle“3 von Hieronymus Bosch? Eine in viele Teile zerfallende Welt ohne Raum, Zeit und Ort; Splitter, die sich niemals wieder zusammenfügen lassen. Ich weiß nicht, ob man das so sehen kann … worüber ich mich hingegen mehr und mehr ärgere, sind die Schlaumeier. Da gibt es diesen Supermarkt der Faszinosa in der sogenannten Avantgarde, dazu gehören bestimmte klangliche Requisiten – ob das nun Geräuschhaftes oder Virtuoses oder sonstwas ist –, dazu gehört auch das „Strukturelle“ – als Tugend … und da kann man sich dann natürlich bedienen! … Grenzen, brüchig … Hören wir auf die ratlose Wohlgesonnenheit interessierter Zuhörer und hochspezialisierter Kritiker nach ihren alljährlichen Donaueschingen- und DarmstadtPflichtfahrten, wo sie immer wieder verwechselbare, unter Innovationszwang stehende Geräuschkonfigurationen als „neu“ vorgesetzt bekommen, begleitet von Programmtexten voll kryptischer Wortkaskaden, in denen erbarmungslos und seit Jahrzehnten von „Grenzüberschreitungen“ die Rede ist.4 Sprechen wir
von der Einschüchterung durch Modernität. Wer es noch nicht bemerkt hat: All die Untugenden der Schwarzpädagogik5 haben durch die Hintertüre längst wieder Eingang gefunden in die Welt der Neuen Musik: Bildungsdünkel, autoritäre Strukturen, verqueres Elitedenken6, kleinliche Intoleranz gegenüber sog. Gebrauchsmusik.7 Die Vokabeln der Sechziger Jahre sind mittlerweile nichts weiter als Bedeutungskitsch des ewig „Brüchigen, Unversöhnlichen, Intransingenten, Unerbittlichen, Verweigernden, Unnachgiebigen“. Zum zigmillionsten Mal mit diesen Worhülsen konfrontiert8, möchte ich aufspringen und rufen: „Es ist uns längst schon allen schlecht und auch langweilig genug, ihr könnt jetzt damit aufhören!“ … Fragment, Schein … Ich bin ja nach Meinung mancher Kollegen der letzte Saurier der Avantgarde, nämlich einer, der auf die Beobachtung des musikalischen Materials Wert legt. Das meiste in der Postmoderne interessiert mich überhaupt nicht. Was für mich zählt, ist die Moderne in ihren verschiedenen Aggregatzuständen. Und was wir Postmoderne nennen, ist eine Moderne, in der die Verweigerung verweigert wird. Wer wissen will, was damit gemeint ist, muss zuerst verstehen, was die erste Moderne will oder wollte. Dieses „Verstehen“ würde aber voraussetzen, dass der historische Abstand zu ihr bereits groß genug ist,
3 Eine von Boschs bekanntesten Darstellungen der Unterwelt, ihr Titel „Musikalische Hölle“ rührt daher, dass ein unübersehbarer Schwerpunkt auf Musikinstrumente gelegt ist, die als Folterwerkzeuge gegen wehrlose Menschen eingesetzt werden. 4 Mittlerweile gibt es schon mehr dieser „Überschreitungen“ als Grenzen. Der Innovationszwang Anfang des 21. Jahrhunderts besteht scheinbar vor allem darin, immer neue „Grenzen“ zu konstruieren. 5 vgl. Alice Miller, Am Anfang war Erziehung, Frankfurt am Main 1980 6 Luigi Nono warf in einer Probe einen seiner schweren Militärstiefel (!) auf die Stimmführerin der ersten Geigen, weil ihn etwas an ihrer Spielweise aufregte … 7 Zeitlebens betrachtete Theodor W. Adorno Jazz als Musikform, die „zum faschistischen Gebrauch gut sich schicken will“ wegen seiner „Wirksamkeit als Marschprinzip“. Zwischen „autoritärer Rebellion“ und „konformer Auflehnung“ war für Adorno Jazz nichts als ein „Stück schlechtes Kunstgewerbe“. Selbstverständlich wird diese Einschätzung von den meisten Vertretern der Neuen Musik nicht mehr geteilt. 8 Das pseudoreligiöse Gemurmel der „negativen Theologie“ in den Ghettos der „Neuen Musik“, in: Peter Sloterdijk, Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, Frankfurt am Main 1987
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um sinnvolle Aussagen über deren Wesen treffen zu können.9 Wie schwierig das auch immer sein mag, diese Auseinandersetzung ist unumgänglich, denn die Tabus der abgewohnten Moderne schwelen noch und beeinträchtigen unseren Blick. Die Modernen? Sie sprachen sehr deutlich über die Probleme, man kann sie immer wieder mit Gewinn befragen. Aber die Erkenntnisse stammen zum großen Teil aus einer Zeit, als sie noch nicht im Erbsenzählzwang der Epigonen erstickt wurden. Hier z.B. die Legitimation des in der Neuen Musik üppig zelebrierten Hanges zum „Fragment“: „Das geschlossene Kunstwerk erkannte nicht, sondern ließ in sich Erkenntnis verschwinden. Es machte sich zum Gegenstand bloßer ‚Anschauung‘ und verhüllte alle die Brüche, durch welche Denken der unmittelbaren Gegebenheit des ästhetischen Objekts entweichen könnte. (...) Die Anschaulichkeit der Kunst selber ist ihr Schein.“10 … ungehört, ohne Echo … Theodor W. Adornos Schriften führen uns ohne Umwege in das dunkle Herz der Moderne, das die Kunst für so viele Jahrzehnte geprägt hat. „Die Schocks des Unverständlichen (...) schlagen um. Sie erhellen die sinnlose Welt. Dem opfert sich die Neue Musik. Alle Dunkelheit und Schuld hat sie auf sich genommen. All ihr Glück hat sie daran, ihr Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen.“11 – Die Musik wird zu einer Ersatzreligion mit Adorno als oberstem Priester degradiert. Und als würde das nicht reichen, legt
der Meister noch etwas nach: „Keiner will mit (der Neuen Musik) etwas zu tun haben … Sie verhallt ungehört, ohne Echo.“ Ich habe mich nie mit Adornos Auslegung identifizieren können. Das Beklagen des schlechten Weltlaufs durch asinnliche, frustlüsterne Klänge und Provokation durch hässliche Musik … diesen Schuh habe ich mir nie angezogen. Das setzt ja einfach das alte Denken fort! Die Welt ist schlecht, also kratzen wir mit dem Bogen hinter dem Steg. Das würde aber bedeuten, wenn die Welt gut ist, dann spielen wir wieder C-Dur, oder wie ist das? So wird einiges klar. Jedes Rätseln über mögliche Gründe, warum Neue Musik keinerlei soziale oder öffentliche Bedeutung hat, wird überflüssig: Neue Musik will leiden. … Notwehr, schutzlos … Und was nun, oh!, ihr Jungen, die ihr ein so unerträglich leichtes, so wohlbehütetes Leben führen dürft? Ihr, die ihr eure Zeit genießt ohne die Schrecken der Kriege und des Mordens am eigenen Leib erfahren zu müssen, was nun, ihr alle, die ihr keine Celans, Adornos und Nonos seid? Es gibt heute eine Generation der Designer … Die Komponisten der jüngeren Zeit haben sich gewissermaßen in ein gemachtes Bett gelegt, eine ganz schwierige Herausforderung für die, zu arbeiten in einer Zeit, wo das Rebellieren schon zum Volkssport geworden ist. Mich beschäftigt der Begriff der „Schutzlosigkeit“. Provokation ist längst ein Markenartikel geworden,
9 Einige Denker – wie Konrad Paul Liessmann in einem Podiumsgespräch über Ernst Krenek – widersprechen der Idee, die Moderne sei bereits zu Ende gegangen, und behaupten, sie dauere in Wahrheit noch an und die Idee einer Postmoderne sei reine Schimäre. 10 Theodor W. Adorno, Philosophie der Neuen Musik, Frankfurt am Main 1968 11 Die Schocks des Unverständlichen … überwältigten auch Herrn Dr. Theodor Wiesengrund Adorno, als er, ein „Freund großer Brüste“ (wie er anbiedernd vor seinen reichen, konservativ-bürgerlichen Freunden betonte), selbige von 68er–bewegten Studentinnen im Hörsaal präsentiert bekam. Der große Denker schritt erhobenen Hauptes an den Katheder um seine Vorlesung zu beginnen, als wäre nichts geschehen …
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Sie können auf der Bühne die schlimmsten Sachen verrichten, das ist dann „Provokation“ und man lacht. Irgendein Tabu wird halt ein wenig angekratzt und man findet das dann mutig. Man findet es „geil, ein Arschloch zu sein“, wie es in einem sehr schönen Schlager lautet. In unserer heutigen Situation ist provozieren auch nichts anderes als eine Dienstleistung im Entertainment. Also: Was bleibt übrig? Ich sage: Schutzlosigkeit. So zu sein, wie man ist. Kunst ist Streit nur insofern, als sie zur Befeuerung der Inspiration dient, sie ist weder Vehikel für Ideologie noch Krieg gegen abweichende Meinung. Aber Streit fehlt! Den Vertretern der Postmoderne12, zu denen auch ich selbst mich – in Ermangelung einer Alternative – rechne, wird ja des öfteren Diskursverweigerung unterstellt, eine Gelegenheit, sich mit folgender Behauptung einmal so richtig unbeliebt zu machen: Postmoderne ist Notwehr! Ich empfinde die Sprache der Moderne als eine historische und als eine unter vielen (wie jene der Klassik oder des Barock). Spezialeffekte für Instrumente sind das, was sie sind: Spezialeffekte für Instrumente. Weiters kommt ihnen keine besondere Bedeutung zu. Musik ist Musik ist Musik. Lasst endlich die ideologische Luft aus der Musik heraus! Die Kunst stirbt sonst unter schrecklichen Winden! Ich sehe ein großes Problem in der sogenannten „Vitalität“. Die Neue Musik ist oft eine Ansammlung von Ausdruckshülsen. Da ein gerissener Gitarrenklang und dort – auch bei mir (äfft typische Neue Musik-Geräusche nach) irgendwo – eine völlig leere Form der Vitalität. Donaueschingen ist manchmal ein Friedhof der Vitalisten. Alle sind vital. Wozu eigentlich? Sie haben Angst, sich einfach mal so zu zeigen, wie man eben ist. Der gemeinsame Nenner lautet: „Es muss was abgehen!“
… Stahlbad, Andacht … Neue Musik ist immer bedeutsam. Das Problem mit der Bedeutsamkeit besteht darin, dass – selbst wenn der Komponist versuchen sollte, seine Musik zu „entladen“ – damit nur das Gegenteil erreicht werden kann. Ein Kind, das seine Augen verbirgt, weil es glaubt, dadurch unsichtbar zu sein, wird dennoch gesehen; seine Haltung unterstreicht sogar seine Absicht. Die Bedeutsamkeit liegt weder in der Musik, noch im Interpreten oder gar im Zuhörer, es ist das Spannungsfeld des Rituals, das Bedeutsamkeit produziert. Die Symptome dieser säkularisierten Andacht in und um Neue Musik werden umso deutlicher, je mehr das eingespielte Team (bestehend aus Komponisten, Interpreten, professionellen Zuhörern und Kuratoren) unter sich ist. Mein Misstrauen [gegenüber dem Musikbetrieb] kam im Grunde in den späten 60er Jahren. Die Gesellschaft war reich genug und konnte sich Neue Musik leisten und in einem staatlich subventionierten Ghetto stattfinden lassen und da ging man dann hin … Nach Donaueschingen, um eine Art Stahlbad zu nehmen, und danach hat man sich in Salzburg Mozart auf der Zunge zergehen lassen. … Leidensmiene, Gegenwart … Hört zischende Schlagzeugrhythmen über große Kopfhörer bei einem Vortrag über Nonos Musik! Stülpt Boulez eine braune Tüte über den Kopf, auf dem seine Brahms-Dirigenten-Abendgage geschrieben steht! Spielt Wolfgang Rihm mit Zirkusdirektoren-Zylinder auf dem Kopf! Lest Zeitung in Lachenmann-Konzerten! Vatermord tut gut! Und, wer weiß, vielleicht passiert das Unerwartete: Vielleicht brechen sie in schallendes Gelächter aus, die Solitäre der Neuen Musik, die Lachenmanns, Henzes, Stockhausens und Rihms, steigen herab von ihrem Podest, auf das
12 Ich folge Boris Groys: Hier wird unter der Postmoderne ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit von geschichtlich Neuem verstanden; Postmoderne bedeutet dabei nicht das Ende oder die Überwindung der Moderne, sondern ihre Unmöglichkeit.
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ihre Apostel sie verbannt haben, und klopfen sich den Staub von den Hosen! Und danach sperren wir gemeinsam dieses deutsch-österreichische Wachskabinett der Leidensmienen zu, das wir solange mit der Musik der Gegenwart verwechselt und um jeden Preis verteidigt haben. Später, am Abend erreichen wir gemeinsam das Freie, und – ja, betrachten gemeinsam den Mond, bergen unsere Köpfe in unseren Händen und dann … ja und dann vielleicht … Die Utopie ist eigentlich die: Freiheit und Angstlosigkeit. Epilog: Kleine Fibel für Komponisten auf dem langen Weg zur Unsterblichkeit auf Lebenszeit 1. Sie können in zusammenhängenden, verständlichen Sätzen reden? Verunstalten sie diese durch lange Nachdenkpausen und gleichsam dekonstruktivistische Wortgebilde. 2. Schreiben Sie niemals leicht spiel- oder hörbar, die auf Neue Musik spezialisierten Musiker sind unspielbare Partituren gewöhnt und mögen es nicht, wenn man ihre Anstrengungen und die Gesten ihrer Selbstaufopferung unterläuft. 3. Werkpräsentationen für Juroren: Komponieren Sie hochkomplexe Instrumentalmusik mit fraktalen Klangvorkommnissen für großes Orchester samt einer erklecklichen Anzahl an Schlaginstrumenten und vereinzelten grafischen Strecken, die Sie als „events“ bezeichnen. Vermeiden Sie gleiche Notenwerte bei nebeneinander stehenden Noten! Zerhacken Sie Ihre Quint- und Septolen mit winzigen Pausen, bevorzugt im schnellen Tempo. Die Juroren schreiben selber solche Sachen und sind froh, wenn sie nicht die einzigen sind. Und sollte das Werk evtl. zur Aufführung kommen: Die Musiker sind unspielbare Parti-
turen gewohnt (s.o.) und spielen (weil kein Geld vorhanden) nach zu wenigen Proben ohnehin was sie wollen. 4. Unbedingt viel Elektronik anbieten! Was Sie damit machen, ist unerheblich. Sie können auch einfach eine CD laufen lassen. Verlegen Sie mehr Kabel als notwendig und räumen sie so viele Keyboards und Monitore wie möglich auf die Bühne. Unverzichtbar: Der VJ!13 Dessen Videokreationen sollen in keinem Zusammenhang mit der Musik stehen, das erreichen Sie am leichtesten, indem Sie ihn nur über die Länge Ihres Werks informieren und ansonsten keine weiteren Informationen liefern. Vertrösten Sie ihn und treffen Sie ihn nicht vor dem ersten Konzertabend. Entschuldigen Sie sich mit Terminschwierigkeiten, sagen Sie, Sie wären mit der Partitur erst gestern fertig geworden. 5. Kleiden Sie sich wie die Leute auf den FM4-Werbeplakaten und sagen Sie in Interviews Dinge wie: „Ich steh’ ziemlich auf die White Stripes.“ Lesen Sie Wallpaper. 6. Sofern Sie aus Österreich, Deutschland, der Schweiz oder aus den USA stammen, verachten Sie Ihr Herkunftsland, verachten Sie die dort jeweils Regierenden, verachten Sie die Opernhäuser (wenn Sie alt sind, werden Sie dort ohnehin RICHTIGE Musik dirigieren dürfen). Verachten Sie Ihr Publikum. Verachten Sie sich selbst, sonst tun das die Musiker, für die Sie schreiben. 7. Als Werktitel eignen sich weit hergeholte Vokabeln aus dem Altgriechischen oder dem Lateinischen (Pneumos, Marodiaikion II, Ploteusfragmente, Orbit Hyperstringenzium), auch drei Pünktchen in Kombination mit dem Wort „verlöschend“ sind zu empfehlen. Wie etwa in: „… verlöschend bis zum Selbstverlust …“
13 Visual Jockey … produziert Bilder auf eine „Video Wall“, meistens hinter den Musikern. Dessen natürlicher Lebensraum ist vor allem die Clubszene. Seit einiger Zeit auch in edlen Konzertsälen bei Uraufführungen unverzichtbar. Der Konzertsaal ist nicht der natürliche Lebensraum des VJ, daher besitzt er dort auch keine natürlichen Feinde (außer mir) und vermehrt sich mit rasanter Geschwindigkeit.
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Hier die Fortsetzung der Serie „Gutachten“: In dieser Rubrik werden Vertreter verschiedener Berufsgruppen eingeladen, auf einer einzigen Heftseite kompakte Bestimmungen einer zeittypischen Erscheinung zu entwerfen.
Diesmal: 0% Fett
Zeittypische Erscheinung: Maß halten Reizwörter: Idealfigur, Risikofaktor, Nahrungsmittelindustrie, functional food, Geschmacksträger, Ernährungsplan, Essstörung, Nahrungsergänzungsmittel, Gewichtskontrolle, light Aufgabestellung: Halten Sie 1 Quartseite fettfrei! 4 Beiträge von Peter Scheer (Kinderarzt, Psychotherapeut), Martin Sieberer (Spitzenkoch, „Trofana Royal“), Barbara Matuszczak (Chemikerin) und Heinz Winkler (Spitzenkoch, „Residenz Winkler“)
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Maß halten Von Peter Scheer Jeder will Maß halten, angeblich. Keinem gelingt’s, angeblich. Warum überhaupt? Wer hat diese Idee in die Köpfe gesetzt, dass es gut und anständig sei, Maß zu halten, wenn es endlich genug zu essen, zu schlafen und zu lieben gibt? Jahrtausende des Hungers, der Not, des frühen Sterbens, des der Natur Ausgesetztseins mit Sturm, Wetter, Regen, Wind und Kälte – endlich besiegt. Essen aus dem Supermarkt, der Fastfood-Kette, dem erschwinglichen Markt; Schlafen auf den feinsten Betten, die sich biegen und bewegen, fast ein Eigenleben haben, wie das Bett Parzivals in Klingsors Schloss; Medizin, wohin man schaut: Prothesen statt schmerzender Hüften und Kniegelenke, Bypassoperationen verstopfter Herzkranzgefäße und Antibiotika allerorten, jeder Infekt gebannt, Tuberkulose ohne Schrecken und Krebs befällt fast nur mehr die, deren Lebensuhr abgelaufen ist. Und dann die Häuser: Sicher, warm, solide – den Schlössern der Adeligen von seinerzeit an Komfort weit überlegen. Und jetzt Maß halten? Plötzlich wird am Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts schlank modern. Endlich wäre das Ideal der busigen Frau – wie es Anita Ekberg und Marilyn Monroe verkörpern – für alle erreichbar. Und dann Twiggy. Oder: Endlich gäbe es mehr als nur Burenwurst mit einer latschigen Semmel für zwischendurch und überhaupt und dann soll McDonalds schlecht und ungesund sein. Und endlich macht Wohnen Spaß und die Bildtapete bringt südliche Ansichten in den Raum und dann soll die Selbstversorgerhütte auf der Alm besser sein. Was ist geschehen? Der Mensch strebt immer das an, was schwer zu erreichen ist: Er will dick sein, wenn nur schlank leicht geht; er will schlecht schlafen, wenn der soziale Wohnbau allen gutes Schlafen ermöglicht; er will gesund leben, wenn die Krankheitsvorsorge endlich für alle erreichbar ist. Komischerweise sind diese Ziele ohnehin für die meisten nicht zu erreichen: Jenseits aller Diätratschläge sind die Menschen so dick wie nie zuvor und erleiden die Krankheiten, die damit vergesellschaftet sind. Wenn auch 10 % der Leute Ausdauersportarten praktizieren, so ist die Masse derer, die am Rande stehen und lächeln, immer noch größer. Und die Almhütten spielen im touristischen Angebot im Gegensatz zu den All-inklusiveAngeboten fast keine Rolle. Wozu dann die Idee des Maßhaltens? Positiv gesagt: Um ein Ziel vor Augen zu haben – wie das sündenfreie Leben, um ins Himmelreich aufgenommen zu werden. Pessimistischer: Um Schuldgefühle zu haben, immer sagen zu können, dass man es besser machen will, aber versagt hat. Und um die, die es richtig machen sollen (früher Priester, heute Fernsehmoderatoren), daran messen zu können, ob sie die „eigentlichen“ Ziele erreichen: Daher müssen die schlank sein, Symptome des Ausdauersports aufweisen und so weiter. Erreichen sie das nicht, müssen sie zumindest so tun als ob und wenn’s sein muss, dann mit Hilfe von Drogen. Jetzt ist es klar: Maß halten ist ein Ziel und kann für Schuldgefühle oder für die eigene Ausrichtung genutzt werden. Maß gehalten wird selten.
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Von Martin Sieberer 0 % Fett ist eigentlich nicht möglich, denn das Eigenfett in sämtlichen Produkten kann man nicht einfach weglassen. Ernährungswissenschaftlich ist es jedoch gesund und wichtig, das Fett der Speisen zu berücksichtigen, um dauerhafte gesundheitliche Schäden zu vermeiden und bestimmten Zivilisationskrankheiten vorzubeugen.
Marillenknödel Z U TAT E N 4 reife Marillen TEIG 125 g Magertopfen 3 EL Weizengrieß 1 EL Olivenöl 1 Ei Selleriesalz Vanille, Rum 25 g Vollkornbrösel 15 g Margarine ZUBEREITUNG Die Marillen entkernen. Die Zutaten für den Teig zusammenmengen. Bevor man die Marillen darin einschlägt, sollte der Teig 6 bis 12 Stunden rasten – es arbeitet sich danach viel leichter damit. Die Knödel in leicht gesalzenem Wasser ca. 10 Minuten pochieren – je nach Größe der Marillen. Für die Vollkornbrösel hartes Vollkornbrot reiben und durch ein feines Sieb sieben. Die Vollkornbrösel mit etwas Margarine rösten, die Knödel darin wälzen und mit diesen anrichten.
Viel wichtiger als fettfreies Kochen ist, auf das richtige Zusammenspiel von Fett und Zucker zu achten, da ja der Wohlfühlfaktor des Menschen in erster Linie von der Höhe seines Blutzuckerspiegels abhängt und man diesen Zuckerspiegel nicht damit belastet, wenn man Fett zu sich nimmt, sondern wenn die Nahrung ein Zuviel an Kohlenhydraten und Zucker enthält. Grundsätzlich ist für mich in der Ernährung alles abzulehnen, was ins Extrem abdriftet. Mit diesem „0 %Fett-Wahn“ ist das natürlich der Fall. Als Beispiel für richtige fett- und zuckerarme Ernährung schicke ich ein Rezept von einer Süßspeise mit.
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Fette – Charakteristika einer Substanzklasse Von Barbara Matuszczak Fette – im chemischen Sinne handelt es sich um Ester des dreiwertigen Alkohols Glycerol mit verschiedenen langkettigen Fettsäuren. Die Charakterisierung der Fettsäuren erfolgt einerseits aufgrund der Kettenlänge, d.h. der Anzahl ihrer Kohlenstoffatome, und andererseits der Anzahl sowie Position ggfs. vorliegender Doppelbindungen. Bei den ungesättigten Fettsäuren erfolgt eine Unterscheidung zwischen einfach und mehrfach ungesättigten; zu Letzteren gehören die viel beschriebenen so genannten Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren. Fette zählen – ebenso wie Kohlenhydrate und Proteine – zu den Grundbausteinen des Lebens. Zudem erfüllen sie diverse Aufgaben, so stellen sie u.a. Bestandteile der Zellmembranen dar, schützen Organe vor mechanischen Einflüssen und Wärmeverlust, dienen als effektive Energielieferanten und -speicher sowie als Ausgangsmaterialien für verschiedenste Verbindungen. Fette in der Nahrung werden darüber hinaus benötigt, um eine Versorgung mit lebensnotwendigen Bestandteilen wie essentiellen (i.e. mehrfach ungesättigten) Fettsäuren sowie fettlöslichen Vitaminen zu gewährleisten.
Angesichts dieser vielfältigen Funktionen stellt sich die Frage, welches Risiko von Fetten ausgeht und wie der viel beworbene Trend zu „fettfreien Nahrungsmitteln“ zu bewerten ist. Übergewicht wird für vermehrtes Auftreten der unterschiedlichsten Zivilisationskrankheiten wie Herz-KreislaufErkrankungen, Schlaganfall, Diabetes mellitus, Krebserkrankungen, Morbus Alzheimer etc. verantwortlich gemacht. Auslöser sind jedoch nicht die Fette, sondern vielmehr der – im Vergleich zur zugeführten Energie – zu geringe Energieverbrauch! Demzufolge sollte auch hier der primäre Ansatzpunkt der Therapie liegen: körperliche Betätigung! Erst an zweiter Stelle steht eine fettarme Diät, wobei unbedingt zu beachten ist, dass trotz Fettreduktion eine ausreichende Versorgung mit fettlöslichen Vitaminen sowie essentiellen Fettsäuren sichergestellt wird. Dieser Umstand wurde bislang zu wenig beachtet, Folge waren teils schwere Beeinträchtigungen der Gehirnfunktion. Inwieweit die Fette zusätzlich auch gesundheitliche Probleme auslösen können, lässt sich nicht grundsätzlich beantworten, das ist von der Struktur der Fettsäure-Komponente abhängig. Generell gilt, dass beim Vorliegen von gesättigten Fettsäuren eher eine Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgeht, ungesättigte weisen hingegen eher eine Schutzwirkung auf. Infolgedessen ist zusätzlich eine Ernährungsumstellung zugunsten ungesättigter Fettsäuren anzustreben. Abschließend etwas Kurioses: Bekanntlich sind Fette aufgrund des hydrophoben Charakters nicht mit Wasser mischbar. Durch Behandlung der Fette mit Lauge resultieren jedoch Seifen! Diese können bekanntlich als Lösungsvermittler dazu beitragen, dass „Fettfreiheit“ erreicht wird.
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La vie en pudding: Rosenrot und frei von Fett.
Seit Juli 2004 trägt eine dunkelrote Rose Heinz Winklers Namen. Unter den zahllosen Auszeichnungen, die der Dreisternekoch in zwei Jahrzehnten gesammelt hat, ist sie Sinnbild für seine Liebe zum Schönen und zu Einfachheit in der Opulenz.
Von Heinz Winkler Das klassische Dessert ist oft auch die klassische Fettfalle. Dabei gibt es ein süßes Danach, das ganz ohne Sahne und Crème Double auskommt.
Geschmacksträger: Gute Laune. Nun folgen Sie einfach den Angaben in meinem Rezept, am besten im Juni, wegen der Holunderblüten … Sie werden sehen, es fehlt an nichts. Auf Fett als Geschmacksträger kann also getrost verzichtet werden. Für gute Laune sorgen das im Sorbet enthaltene Anthocyan und andere Roseninhaltsstoffe. Sie wirken stimulierend, aufs Hormonsystem und auf die Libido … Ich wünsche guten Appetit!
Sorbet von Teerosen und Holunder Z U TAT E N 70 g Holunderblüten (ohne Stängel) 270 g Palmzucker alternativ: 160 ml Holunderblütensirup 1/2 l Weißwein 1/2 l Sekt 1/2 l Mineralwasser Saft von 3 Zitronen 2 Gewürznelken 5 Blatt Zitronell 2 Hand voll duftender Rosenblätter 4 EL Erdbeermark 2 EL Tequila 200 ml Liqueure de Rose ZUBEREITUNG Weißwein, Sekt und Mineralwasser mit dem Palmzucker in einen Topf (ca. 30 cm Durchmesser) aufkochen. Holunderblüten waschen*. Zitronensaft, Nelken, Holunderblüten, Zitronellblätter und Rosenblätter dazugeben. 10 Minuten ziehen lassen, abgießen und vollständig erkalten lassen. Später Erdbeermark, Tequila und den Liqueure de Rose dazugeben und das Ganze zugedeckt 2–3 Stunden in den Kühlschrank stellen. In der Sorbetière gefrieren lassen. (Keine Sorbetière: Eiswasser mit Salz versetzen, die Masse in diesem Bad mit dem Schneebesen bis zum Festwerden schlagen. Danach in den Kühl- oder Eisschrank stellen, ggf. vor dem Portionieren nochmals durchrühren.) * MEIN TIPP: Holunderblüten gibt es leider nur im Juni. Die Dolden müssen voll geöffnet sein, sollten nur bei Sonnenschein gepflückt werden und dürfen erst kurz vor der Verarbeitung gewaschen werden. Ersatzweise empfehle ich Holunderblütensirup, am besten von Darbo aus Tirol. Das Zitronellblatt erhalten Sie in Indien-Shops, manchmal auch in der ExotenAbteilung von Kaufhäusern.
© bika 2005
Man nehme: Einen Rosenstock. Aber nicht irgendeinen. Am besten eine klassische Teehybride, in voller Blüte. Selbstverständlich naturbelassen. Chemische Kampfstoffe gegen Laus und Milbe gehören nicht in ein Sorbet. Die nötigen Blütenblätter „ernten“ Sie idealerweise am frühen Morgen, denn Sonnenlicht entzieht der Pflanze im Tagesverlauf die Aromastoffe. Je stärker das „Parfum“, desto intensiver der Geschmack. Es enthält die ätherischen Öle, die fürs Gaumenerlebnis zuständig sind. Der weißliche Blütenansatz hingegen sollte entfernt werden, er enthält Bitterstoffe.
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Downtown Neuhintertux „Der Trend geht immer mehr in Richtung Show“: Wer hier Authentizität und Schlichtheit sucht, liegt ebenso falsch wie jemand, der in Las Vegas indianische Wurzeln vermisst. Von Martin Fritz Nach Neuhintertux kann nichts mehr kommen. Hier ist „lands end“. Das Tal ist aus. Hat das Dorf Hintertux noch einen knappen Kilometer Abstand gehalten vom eigentlichen Talende, ist Neuhintertux direkt am Fuß der das Tal begrenzenden Berge entstanden. Neuhintertux besteht aus sechs Gebäuden: Der alten und der neuen Talstation der Seilbahn, die zum Hintertuxer Gletscher führt, dem Hotel Vier Jahreszeiten, dem Hotel Rindererhof, dem Hotel Neuhintertux und – als neueste Ergänzung – der Hohenhaus Tenne. Der „Siedlung“ vorgelagert liegt der Parkplatz. Es stellt sich schnell heraus, dass alles, was man auf der Straßenebene als getrennte Einheiten wahrnimmt, zu einem der Gebäudekomplexe gehört. So sind der Intersport-Shop, die Bar Almhit, der Mini-Supermarkt (das Kaufhäus’l) und das Café Kaiserbründl ebenso Teile des Hotel Neuhintertux wie das Kaiserbründlbad, der öffentliche Internetterminal und ein kleiner Freiluftimbiss (die Sandlerbar) an der Südseite. Zum Komplex der Hohenhaus Tenne gehören das eigentliche Lokal, das Fast Food Restaurant Mäc Tux und das Balkoncafé, sowie die Stehtische, der Eisautomat und der Bankomat vor der Tür. Der Ski-Verleih und ein kleines Sportgeschäft sind in die Talstation integriert; das Hotel Vier Jahreszeiten beherbergt ein separiertes Café und das Hotel Rindererhof betreibt zwei Terrassen mit Bar und Café. Eine hochverdichtete – nahezu urbane – Situation, in der versucht wird, auf wenigen Quadratmetern ein Maximum an Angeboten vorzuweisen und damit Wertschöpfung zu erzielen. Die Dichte hat ihren Grund. Die 70 Meter lange Wegstrecke zwischen Parkplatz und Gletscherbahn wird an Spitzentagen von 5.000 bis 15.000 Gletscherbesuchern, Skifahrern und Wanderern zurückgelegt. Die Zillertaler Gletscherbahnen operieren 365 Tage im Jahr und rühmen sich einer „Gesamtförderleistung“ von 35.000 Menschen pro Stunde auf allen ihren Liften. Sobald diese am Parkplatz aus ihren Autos oder aus den im Minutentakt ankommenden Bussen steigen, beginnt das Buhlen um diese Klientel, die hoffentlich die Sonnenbrillen vergessen oder das Frühstück versäumt hat. Wenn dieselben Gäste nach einem Tag am Berg wieder herunterkommen, kann noch einmal zugeschlagen werden. Sobald sie abfahren, sind sie für die Geschäfte vor Ort verloren.
Uns begegnet eine Zone konzentrierter Ballung der Angebote des ganzen Tales auf der Fläche von vier Fußballfeldern. Bei den „Outlets“ an dieser neuralgischen Schnittstelle zwischen Ankunft und Aufstieg handelt es sich um die „Außenposten“ der großen Hintertuxer Betriebe, die im Laufe der späten siebziger Jahre begonnen haben, sich hier ein „Downtown“ näher am Lift und am Parkplatz zu schaffen. Gerade die Distanz zwischen dem alten Ortskern und den Gebäudekomplexen am Talende macht Neuhintertux zu einem idealen Beobachtungspunkt für Entwicklungen in touristisch erschlossenen Gebieten. Neuhintertux ist die Essenz aktueller touristischer Realitäten im alpinen Raum. S(t)imulationsarchitektur Neuhintertux ist Las Vegas. Die Eklektik seiner Bauten und Stile mag zwar lokale Vorbilder suggerieren, ist jedoch viel mehr im Einklang mit globalen Hyperrealitäten, als ihren Machern vielleicht bewusst ist. Alle Gebäude außer der Talstation folgen einem mittlerweile globalen Stil, der als S(t)imulationsarchitektur bezeichnet werden kann. Interessanterweise ist das Zentralgebäude das schlichteste: Die neue Talstation der Gletscherbahnen wurde als einstöckiger, horizontaler Eckriegel mit rotbrauner Holzverschalung zurückhaltend gestaltet und von der eigentlichen Seilbahn abgesetzt. Im Alpenraum haben sich bemerkenswerterweise gerade die Zentralbauten der touristischen Erschließung, die Seilbahnstationen, oft einer ruralen Camouflage widersetzt. Hier genügt Funktionalität und Information: Preise, Abfahrtszeiten, eine schematische Karte und topmoderne Zutritts- und Chipkartensysteme. Wäre die Talstation der Gletscherbahn das einzige Gebäude geblieben, das Zillertal hätte einen würdig schlichten Abschluss gefunden, so ganz nach dem Geschmack eines „neuen Bauens in den Alpen“, der negiert, dass gerade die hier Lebenden ökonomisch viel zu abhängig davon sind, ihren Part in der Freizeitindustrie zu spielen, als dass sie es sich leisten könnten, eine attraktive Leerstelle nicht mit theatralischen Angeboten zu füllen. Neuestes Beispiel für diese Theatralik ist die Hohenhaus Tenne, laut Eigenwerbung „eines der sehens-
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wertesten Lokale in den Alpen“. Die Hohenhaus Tenne versucht – von außen betrachtet – eine große Almhütte auf den Talboden zu übertragen. Im Gegensatz zu dem simulierten Bild stehen die stimulierenden Leuchtschilder, welche die Hohenhaus Tenne deutlich markieren. Endgültig konterkariert, aber damit auch richtig gestellt, wird der erste Eindruck durch das neu eröffnete Schnellrestaurant Mäc Tux im räumlichen Verbund. Verweist die Tenne noch auf agrarische Vergangenheit, so wurde mit dem Mäc Tux Klarheit geschaffen. Hier besteht kein Bedarf nach langer Einkehr in ruhiger Bergatmosphäre, sondern nach funktionaler Versorgung in der kurzen Zeit vor oder nach einem sportlichen Tag. Die Wahl des global verständlichen Markennamens garantiert die erwünschte Assoziation und stellt klar, dass hier auch diejenigen versorgt werden, die sich nicht zu einem dreigängigen Menü niederlassen wollen oder können. Das dafür notwendige Geld kann dem direkt neben dem Eingang platzierten Geldautomaten entnommen werden.
Der Bereichsleiter eines anderen „Erlebnislokals“ derselben Eigentümer bestätigt, dass „der Trend immer mehr in Richtung Show geht“, und erzählt das interessante Detail, dass diesem Trend folgend das frühere „moderne“ mit Stahl-, Glas- und Chromelementen ausgeführte Paperla Pub zum jetzigen „urigeren“ Erlebnistanzlokal Tux 1 mit historischen Themenbezügen umgebaut wurde. Trump Tower
Kann man bei gutem Willen von außen noch von dem Versuch sprechen, eine in Dimension und „look“ angepasste Struktur zu schaffen, so deutlich wird im Inneren die S(t)imulationsmaschinerie: Almhütte, Diskothek, Bar, Fast-Food und Animation sind in einem Raum kombiniert, der nicht mehr analytisch beschrieben werden kann, sondern nur mehr als Gesamtbild funktioniert. Heugabeln, Diskokugeln, Holzreliefs mit tradierten Szenen, Großbildmonitore, angekettete Aschenbecher aus Holz, Show-Lichter und leistungsstarke Boxen schaffen die Voraussetzungen für ekstatische Après-Ski-Parties. Großzügige Barbereiche optimieren die Service-Möglichkeiten. So können nach Angaben eines örtlichen Kellners bis zu 50 Bierfässer gleichzeitig angezapft und ausgeschenkt werden. Hier wird primär zwischen Liftbetriebsschluss und (vorausbezahltem) Abendessen im Hotel Geld verdient und ausgegeben. Real und symbolisch liegt die Hohenhaus Tenne am Schnittpunkt von Berg und Tal, Tag und Nacht, Sport und Fun.
Bemüht sich die Hohenhaus Tenne um die Inszenierung des Ländlichen in dieser Hochfrequenzzone, so setzt der Neuhintertuxer Hof auf Grandeur und Shopping. Im Volumen die Talstation um locker das Fünffache übersteigend, wirkt der Neuhintertuxer Hof vorerst einmal überdimensioniert. Wer an die Existenz von Raumplanung und Ortsbildkommissionen glaubt, sieht sich durch diesen Komplex verraten. Doch wieder sehen wir uns mit einem Trugschluss konfrontiert: Neuhintertux ist keine Ortschaft, sondern eine Sonderwirtschaftszone mit einer temporären Einwohnerzahl von Zehntausenden pro Woche. Dementsprechend folgen die Gebäude und Servicestrukturen urbanen Logiken. Der Neuhintertuxerhof alleine ist eine Ortschaft. Die Besitzer müssten sich nur noch dazu entschließen, eine Kirche in das Angebot zu integrieren, und alles wäre in einem Haus vorhanden, was kleine Dörfer normalerweise auch nur einmal zu bieten haben: Ein Gasthaus, ein Sportgeschäft mit angrenzender Boutique, ein Supermarkt, ein Café, ein Freiluftimbiss und das eigentliche Hotel mit Hallenbad und dem heute unverzichtbaren Wellnessbereich. Abgerundet wird dieses Zentrum durch Internetterminal, Ski-Verleih und die Autobusstation direkt vor der Tür. Wie so oft in Tirol lassen sich auch hier mindestens zwei aufeinanderfolgende Zu-, Um- und Ausbauten ablesen. Die Ansicht von Norden prägen ein Kirchturmkuppelzitat ebenso wie moderne Skylights am Dach des ansonsten in einer Mischung aus postmoderner Grandhotelarchitektur und (hierzulande vorgeschriebenen) Holzverplankungen errichteten Gebäudes.
Wer hier Authentizität und Schlichtheit sucht, liegt ebenso falsch wie jemand, der in Las Vegas indianische Wurzeln vermisst. Die Unterhaltungs- und Erlebniszentren der Alpen haben längst ihre eigene Form kreiert. Der Stilmix ist kein missglückter Ausrutscher, sondern präzise Inszenierung einer speziellen Form von Entertainment, die aus dem Aufeinandertreffen von rustikaler Unterhaltung und den Partykulturen verschiedener Gästeherkunftsländer entstanden ist.
Ästhetische Verirrung? Bauskandal? Verschandelung? So leicht diese Vorwürfe auch von den Lippen kommen, übersehen sie doch den wesentlichsten Punkt: Ein derartiger Komplex am Abschluss eines noch vor 50 Jahren armen Alpentales steht im Eigentum lokaler Familien. Der Neuhintertuxer Hof ist der Trump-Tower in Downtown Neuhintertux und zeugt vom Aufstieg örtlicher Bauern zu Großunternehmern im dritten Sektor. Die beliebte Alternative für den
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städtischen Urlauber, der karge Hof mit „authentischer“, landwirtschaftlicher Nutzung war gerade unter diesen geographischen Bedingungen primär eine prekäre, nur durch Schwerstarbeit aufrechtzuerhaltende Existenz. Tourismus und die mit ihm verbundene Wertschöpfung war in vielen Alpentälern dafür verantwortlich, dass diese nicht zu entleerten und/oder verarmten Landstrichen wurden. Den Unternehmern im Zillertal gelang es, jene Natur zu kapitalisieren, die ihnen bisher alles abverlangte. In dem Ausmaß, wie diese für Besucher attraktiv und durch technische Möglichkeiten beherrschbar wurde, konnte man ihr zivile Denkmäler und Großbauten entgegensetzen und beginnen, die frühere Existenz zu idyllisieren, um sie zugleich baulich zu überwinden. Dass diese Bauten nicht den Geist diskreter und geduckter Unauffälligkeit bezeugen, sondern konsequent verfolgten ökonomischen Strategien entspringen, ist folgerichtig. Wir sind Zeugen einer professionellen „Inszenierung des Rustikalen“ durch selbstbewusste Unternehmer, die die Attraktivität ihrer Ressourcen erkannt haben.
sucher den Umweg über den Rindererhof wohl machen? Auch die Wandmalerei mit Schi- und Sportmotiven im Bereich der – im Sommer stillgelegten – Schneebar könnte aufgefrischt werden. Wieder eine Analogie zu Urban-Entertainment-Centern und Las Vegas: Zwanzig Jahre sind eine Ewigkeit und so steht der Rindererhof schon fast etwas verblasst neben seinen top-aktuellen Konkurrenten. Das Hotel Vier Jahreszeiten scheint eine leichte Gegenposition einzunehmen. Ohne direkten Anschluss an die Goldader (50 m entfernt!) spielt es eher die Prinzessin, die sich vom Trubel abwendet. Die dezenten Schloss- und Burgassoziationen der Architektur unterstreichen diesen Effekt. Türmchen und Erker sorgen in Verbindung mit dem „noblen“ – aus München und Hamburg bekannten – Namen für Distinktionsgewinn. Wenig lädt den vorbeistiefelnden Tagestouristen ein, und es kann vermutet werden, dass dieser hier zugunsten des „guten Gastes“ vernachlässigt wird. Das Vier Jahreszeiten sorgt für die auch in Zonen höchster Verdichtung (oder gerade in diesen) notwendige Möglichkeit zur sozialen Schichtung.
Abseits der Main Street Ewas versetzt und entscheidende Meter entfernt von der neuen Main Street – jenem goldenen Streifen zwischen Parkplatz und Talstation – stehen der Rindererhof und das Hotel Vier Jahreszeiten. Der Rindererhof ist ein weiteres Beispiel für das hier auf jedem Quadratmeter ausgetragene Match um die Passanten. Ursprünglich in der Pole-position direkt an der alten Talstation des Vierer-Sesselliftes, hat ihn die neueste Entwicklung etwas ins Abseits gedrängt. Als Außenstelle eines der örtlichen Großhotels hatte es einmal die Nase vorn, bis die ewigen Konkurrenten durch die Neuausrichtung der Liftstation die Wende erzwangen und damit die entscheidende Achse um einen Block nach Osten verschoben. Der Oberkellner eines anderen Betriebes bestätigt, dass das direkt der alten Talstation zugewandte Terrassenrestaurant seither sehr oft leer steht. Die Gestaltung des Rindererhofes könnte im Vergleich zu den Nachbarn als „klassisch“ bezeichnet werden. Genau so wurde in der Konjunktur der späten siebziger- und achtziger Jahre schnell ein weiteres Hotel gebaut. Zimmertrakt, Terrassencafé, einfacher Giebel und die oberen Stockwerke mit Holz verplankt. Es war die Zeit, bevor an alle Sehenswürdigkeiten und Freizeitangebote das Wort „Erlebnis“ angehängt wurde. Heute scheint dem Bau der Magnet für die Passanten zu fehlen. Wofür sollte der anvisierte Be-
Auch dafür ist Neuhintertux ein Modell: Alle Ebenen und Paradigmen modernen alpinen Urlaubsangebotes werden auf kleinstem Raum abgehandelt: In Neuhintertux ist alles parallel vorhanden: Mäc Tux, Nobelwellness, Hüttenzauber, Shops, ebenerdige Schnellimbissstationen, die ein Stockwerk höher in ruhigere Cafés mit Bedienung münden, Qualitätsrestaurants und dennoch die Möglichkeit, bis 4 Uhr früh im AlmHit zu versacken. Natürlich nicht ohne zwischendurch E-mails abzurufen, Geld abzuheben oder mit den Wanderschuhen die Financial Times zu kaufen. Und alles auf den letzten verbliebenen Metern zwischen Parkplatz und Talabschluss. Nach Neuhintertux kommt nur mehr der Berg. Und auf den wollen alle hinauf. Und vor allem müssen sie um 16 Uhr von diesem wieder herunter. Danach geht es ins Auto oder in den Bus. Doch dazwischen sind sie noch einmal zu haben. Verheißungen liegen in der Luft. Schlager säuseln aus den Außenboxen und es wimmelt von Menschen. Der ganze „strip“ kulminiert symbolisch in einem sprechenden und singenden Eisautomaten, der seine Wirkung auch auf die abgebrühten Städter nicht verfehlt und der gegen das Wetter durch eine eigene Mini-Almhütte geschützt wird: Bleiben die Gebäude gerade noch stumm, spricht er es aus: „Hallo, ich bin dein Eisautomat, willst du mich probieren?“ Dann fängt er an zu singen und die ersten Euros sind schon weg.
Eva Schlegel Orginalbeilage Nr. 7
Jedes Heft von Quart erscheint mit einem Kunstwerk. Exklusiv für diese Ausgabe hat Eva Schlegel eine Bleifolie bedruckt: „Es handelt sich um ein bei einer Problemstoffsammelstelle gefundenes Amateur-Foto. Siebdruck auf Blei, Schwarz auf Grau, wenig Kontrast, keine Farbe. Das Motiv: eine Frau, die dem Betrachter bewusst in die Augen schaut, sehr freier Blick, trotz ihrer Nacktheit. Das Motiv rekurriert auf die nackten Damen in den Boulevard-Zeitungen … allein das Material verhält sich nicht erwartungsgemäß; will man das Bild aus der Zeitung heben, biegt es sich um die Hand, schmiegt sich an, folgt der Schwerkraft.“
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Der Prettauer Faust
Im Bergbauort Prettau im hintersten Ahrntal ist eine eigenständige Fassung vom Leben und Sterben des Doktor Faust überliefert. Sie schlummert seit Jahrzehnten in Archiven und wird hier zum ersten Mal wieder veröffentlicht – transkribiert und mit einer Einleitung versehen von Bernhard Mertelseder; Epilog in der Hölle von Christoph W. Bauer (Seiten 84 bis 87). Es gibt wohl wenige Figuren in der gesamten deutschen Literaturgeschichte, die über die Jahrhunderte hinweg – nicht erst seit Goethe – derart faszinierten, wie die des Gelehrten Doktor Faust. Auch in Tirol wurde bis ins beginnende 20. Jahrhundert in Prettau/Südtirol regelmäßig ein Fauststück aufgeführt. Die wenig bekannte Fassung, die aufgrund seiner Eigenheiten und zugeschriebenen Herkunft als „Prettauer Faust“ bezeichnet wurde, konnte zum Zeitpunkt des Erlöschens der Spieltradition von Volkskundlern neben einer ins Zillertal gelangten Variante dieses Fausts publiziert werden.1 1967 wurde von Norbert Hölzl für die Tiroler Volksschauspiele auf Schloss Bruck eine neue Bühnenfassung erarbeitet und mehrmals erfolgreich aufgeführt, jedoch nicht publiziert.2 Da die vor 100 Jahren angefertigten Editionen in heute nur noch schwer zugänglichen volkskundlichen Fachzeitschriften publiziert wurden und in Teilen der ältesten überlieferten Originalhandschrift abweichen, wurde nunmehr die folgende Neuedition des Stückes angefertigt. Ausgangspunkt aller Überlieferungsstränge des Fauststoffes – und somit auch der Prettauer Variante – ist
der Arzt und Alchemist Georg Faust (ca. 1480–1540), der u. a. in Erfurt, Ingolstadt und Nürnberg nachweisbar lebte und wirkte.3 Nicht lange nach seinem Tod setzte die mündliche Überlieferung seiner Taten ein, wobei sich der verbürgte Bericht über tatsächliche Handlungen der realen Person bald mit sagenhaften Erzählungen und Anekdoten verband und immer stärker ins Magisch-ketzerische rückte.4 Die älteste bekannte literarische Fassung, die „Historia von D. Johann Fausten“, erschien anonym 1587 in der für lutherische Kampfschriften bekannten Druckerei Spies in Frankfurt/M.5 Danach wurde der Fauststoff bald in außerdeutschen Ländern rezipiert und ins Englische, Niederländische, Französische und Tschechische übersetzt. Englische Komödianten brachten das Stück in den Alpenraum, wo es 1608 zum ersten Mal in Graz gespielt wurde.6 Hier übernahmen wieder regionale Spielleute die Faustthematik, und sie wurde je nach Fantasie der (Puppen-)Spielleiter mit Figuren ergänzt oder zu einem Stück ohne jegliche ideologische Brisanz gewandelt und verbreitet. Diese uneinheitlichen Volks- und Puppentheaterbearbeitungen sind als die breitenwirksamsten Aufführungsvarianten der Faustthematik anzusehen.
1 Wilhelm Hein, Das Prettauer Faustus-Spiel, in: Das Wissen für Alle 1 (1901), 861–878; Alexander Tille, Das katholische Fauststück, die Faustkomödienballade und das Zillertaler Doktor-Faustus-Spiel, in: Zeitschrift für Bücherfreunde 10 (1906/1907), 129– 174, vor allem 157–174. 2 Norbert Hölzl, Prettauer Faust. Die katholische Version der Historie vom Doktor Faustus in Südtirol, in: Der Schlern 42 (1968), 53–63. Siehe auch die zahlreichen in diesem Aufsatz angeführten Berichte und Mitteilungen in der regionalen Tagespresse. Ebenso den Artikel: Ders., Welttheater in der Bauernstube, in: Tiroler Tageszeitung Nr. 222/1970, 14. 3 Zur Lebensbeschreibung des historischen Faust siehe: Hans Henning, Faust als historische Gestalt, in: Ders., Faust-Variationen, Beiträge zur Editionsgeschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, München – London –New York – Paris 1993, 11– 43; Ders., Nach 500 Jahren – unsere Kenntnisse vom historischen Faust, in: Ebda., 45–50; Horst Hartmann, Faustgestalten – Faustsaga – Faustdichtung, Aachen 1998, 11–17. 4 Hans Henning, Noch einmal: Von Faust zu Marlowe. Zur Geschichte eines Faust-Motivs im 16. Jahrhundert, in: Ders., FaustVariationen, 143–151. 5 Über den historischen Kontext des ausgehenden 16. Jahrhunderts und die Absichten der Autorenschaft und Verleger siehe: Gerald Strauss, How to Read a Volksbuch: The Faust Book of 1587, in: Peter Boerner/Sidney Johnson, Faust through Four Centuries. Retrospect and Analysis, Tübingen 1989, 26–39 und Hans Henning, Das Faust-Buch von 1587. Seine Entstehung, seine Quellen, seine Wirkung, in: Ders., Faust-Variationen, 51–82; und Hartmann, Faustgestalten, 18. 6 Hartmann, Faustgestalten, 27.
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Die Prettauer Faustfassung ist vermutlich – ob nun mit Böhmischen und Schwazer Bergknappen im 17. Jahrhundert oder auf anderem Wege – spätestens gegen Ende des 18. Jahrhundert nach Prettau gelangt. Dort wurde sie bald zum festen Repertoire von Bauern- und Stubenspielen und erfuhr eine spezifisch katholische Umformung, die der Lebenswelt der Talbewohner eher entsprach als jene Varianten in den protestantischen Ländern, die der Aufklärung oder später der Sturm-und-Drang-Literatur nahe standen.7 Wenn auch die Wege, wie das Drama ins hintere Talende des Ahrntales gelangte, nicht mehr klar nachvollziehbar sind, so dürfte es sich jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach einer Reihe von Umformungen in der erhaltenen Fassung verfestigt haben. Die Bewahrung dieser Faustvariante verdanken wir den Laiendarstellern aus der Prettauer Familie Steger, die das Stück jährlich um den Nikolaustag und zur Fasnacht aufführten und für Aufsehen erregende Inszenierungen sorgten. Allen voran Gregor Steger (1807–1875), der nicht nur eine Reihe von Stücken selbst verfasste, sondern auch Theaterstücke sammelte und bearbeitete. Dessen Sohn Friedrich (1859–1922) schrieb schließlich die in seiner Familie tradierten Stücke in den 1890er Jahren im so genannten Steger’schen Theaterbuch, das sich heute als Leihgabe im Bergbaumuseum „Kornkasten“ (Steinhaus/Südtirol) befindet,8 nieder. Der Stegerbauer, der, wie damals üblich, die einklassige Volksschule in Prettau besuchte, war nicht nur Laienschauspieler und Dorfdichter, sondern galt, wenn man der Überlieferung Glauben schenkt,9 geradezu als Dorfgenie, das im Laufe seines Lebens sagenhaften Ruf weit über seine Heimat hinaus erlangte: Er reimte, redete oft lange in Versen und Sprüchen, notierte seine literarischen Einfälle, wo er sich gerade befand, auch auf Wänden, und verarbeitete sie am
Abend zu Theaterstücken. Darüber hinaus verbreitete der Stegerbauer auch die Geschichte, dass seine Familie von einem uralten bayerischen Raubrittergeschlecht abstamme, die seinen Nimbus zusätzlich zu steigern vermochte. Der Volkskundler und Literaturwissenschaftler Anton Dörrer, der vermutlich noch Prettauer befragen konnte, die Steger persönlich kannten, beschreibt Gregor Steger als „richtigen Teufelskerl“, der „allerlei Hokuspokus“ verstand, aber auch sensibel für Volkssagen war und Teile daraus aufnahm und literarisch verarbeitete.10 In der Aufführungspraxis gestalteten sich die Spiele recht unkompliziert. In Stuben und Hausfluren wurde meist ohne großen Aufwand und ohne Kulisse gespielt. Es reichte ein Stuhl oder vorhandener Hausrat, der als Hilfsmittel für die ausschließlich männlichen Schauspieler diente. Das wesentlichste Element waren (abgesehen vom gesprochenen Wort) die selbst geschnitzten Masken.11 Dem Hauptspiel folgte meist ein kürzeres Nachspiel. Oft wurden auch, wie allgemein üblich, moralisierende Lieder zwischen den Akten gesungen oder Texte rezitiert. Gregor Steger behielt sich immer die Rolle des Teufels selbst vor. Es ist überliefert, dass die Furcht erregende Teufelsmaske nur er tragen durfte, denn „ihn vertrage sie noch ein wenig, einen anderen vertrüge sie ganz“.12 Eine derart grässliche Maske wie der Steger besaß sonst niemand im Tal. Man behauptete, nicht einmal er dürfe mit ihr alleine nach Hause gehen, denn sonst sähe er den Leibhaftigen selbst an seiner Seite. So übertrieben diese Geschichte auch sein mag, sie zeigt deutlich, dass nicht nur die Zuschauer von der
7 Zur Rezeption des Fauststoffes in der genannten Zeitspanne siehe: Hans Henning, Die Faust-Tradition im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ders., Faust-Variationen, 153–191; Dieter Borchmeyer, Gerettet und wieder gerichtet: Fausts Wege im 19. Jahrhundert, in: Boerner/Johnson, 169–184; Hartmann, Faustgestalten, 99–109. 8 http://www.prettau.it (Abfrage: 18. Oktober 2005) 9 Anton Dörrer, Die Prettauer Volksschauspielbücher, ihre Besitzer und ihre Aufführungen. Ein Kapitel aus der Geschichte der Stuben- und Puppentheaterspiele der Ostalpenländer, in: Beiträge zur Volkskunde Tirols. Festschrift zu Ehren Hermann Wopfners (SchlernSchriften 53), Innsbruck 1948, 35–55, hier 46 f. Ebenso ders., Die Prettauer Spiele. Südtiroler Spielkultur vor Hans Sachs, in: Der Schlern 22 (1948), 301–303, hier 301 f. 10 Dörrer, Die Prettauer Spiele, 302. 11 Einzelne Beispiele für Prettauer Masken sind beschrieben und mit Abbildungen versehen bei: Hein, Das Prettauer Faustus-Spiel, 681 f. 12 Dörrer, Die Prettauer Spiele, 302.
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Performance auf der Bühne über das natürliche Maß hinaus hingerissen gewesen sein dürften. Auch die Darsteller selbst gaben vermutlich nicht ungern vor, das Spiel nicht mehr von der Realität unterscheiden zu können, was wohl wesentlich zur Mythenbildung um die Steger’sche Theatertruppe beitrug. Das Prettauer Doktor Faustspiel besteht aus fünf Aufzügen. Es beginnt mit einem Selbstgespräch über die Geldbedrängnis Fausts. Er wählt anstatt des zur Alternative stehenden Selbstmordes den Pakt mit dem Teufel. Der Bajatz, der Diener Fausts, tritt auf und schimpft über den Gestank, den der Teufel hinterlassen hat. Der zweite Aufzug wird mit der Beschreibung der großartigen Lebenssituation eingeleitet, die Faust, mittlerweile finanziell gut ausgestattet, begeistert. Er überlegt übermütig den Teufel zu ärgern, indem er ihn den Gekreuzigten herbeischaffen lässt, was der Teufel nur unter Protest stöhnend erfüllt. Einem Klausner, der als Kräuterlieferant tätig ist, gesteht Faust seinen Bund mit dem Teufel, worauf der Klausner versucht, Faust auf den rechten Glauben zurückzuführen (dritter Aufzug). Faust kündigt den Vertrag mit dem Teufel (vierter Aufzug). Dieser bringt wiederum die aus der griechischen Mythologie bekannte, betörende Helena zu Faust, der ihrer Liebeserklärung erliegt: im Bewusstsein, alle Möglichkeiten auf ein himmlisches Leben nach dem Tod zu verspielen. Im finalen Aufzug, der in den letzten Stunden seines Lebens einsetzt, erkennt Faust, dass Helena ihn verachtet und der Diener nicht einmal seine Kleider erben will. Mit dem letzten Glockenschlag zur Mitternacht wird er – verbittert und zu stolz, sich noch in letzter Minute zu bekehren – vom Teufel in die ewige Verdammnis abgeführt. Das Stück endet mit dem Auftritt des Bajatz, der aus den Büchern Fausts einige Rezepte von Mixturen zum Besten gibt. Das Prettauer Faustspiel unterscheidet sich ebenso wie der nahezu textgleiche so genannte Zillertaler Faust inhaltlich in wesentlichen Punkten von den übrigen bekannten Faustspielen: Faust erscheint hier nicht als weltgewandter Intellektueller, sondern als realistisch gezeichneter kräuterkundiger Arzt, der innerhalb der Dorfgemeinschaft nach Anerkennung strebt. Das spezifisch Katholische an dieser Faustbearbeitung ist die Darstellung eines von Faust in seinem Übermut gepeinigten Teufels, der ihn zwingt, etwas für ihn schier Unmögliches zu erfüllen: Das Heranschaffen des lebensgroßen Gekreuzigten. In dieser
Schlüsselszene tritt Faust dem stummen Christus gegenüber. Der Gelehrte, der keinen „Holzpflock“ zu verehren gedenkt, wird von der Kraft des regungslosen Leichnams Christi zusehends angezogen. Diese Szene muss gerade durch die Nähe des Publikums zum Spielgeschehen und das lebensgroße Kruzifix in den engen Stuben besonders wirkungsvoll gewesen sein. Der Versuch Fausts, durch den ihm verweigerten Dialog mit dem Gekreuzigten Glaubensgewissheit zu erlangen, gibt diesem Teil des Stückes neben den beschriebenen dramaturgischen Mitteln besonderes Gewicht. Dennoch gelingt es dem Teufel durch das Herbeizaubern der sagenhaft schönen Helena, dem bereits reuigen, aber den weltlichen Genüssen schlussendlich unterlegenen Faust seiner Seele zu berauben. Der Bajatz, der mitunter direkt zum Publikum spricht, zeigt in jedem Aufzug und in schonungsloser Weise (glaubenskonform) die Fehler in den Handlungen seines Herrn auf und spiegelt in freimütiger Weise die Volksmeinung wider, die nach heutiger Auffassung u.a. frauenfeindliche Züge trägt. Die auf den folgenden Seiten abgedruckte Edition des „Doktor Johann Faustspieles“ folgt der Fassung des bereits erwähnten Steger’schen Theaterbuches.13 Der Text wurde mitsamt seinen orthografischen Eigenheiten (wie z.B. der für den Dialekt typisch ausgeprägten Dativschwäche) übernommen. Lediglich die fortlaufende Zählung der Repliken sowie Zeilen- und Seitenumbrüche werden zu Gunsten der besseren Lesbarkeit des Textes nicht wiedergegeben. Wenn sich auch die von Friedrich Steger aufgezeichneten Verse nicht immer reimen, so ist doch davon auszugehen, dass die Spieler den Text mehr als Vorlage betrachtet und je nach eigenem Sprachgefühl und vorherrschendem Dialekt variiert haben.
13 Als Vorlage zur Transkription wurde das im Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck aufbewahrte xerokopische Exemplar des Steger’schen Originals benutzt, das von Lothar von Sternbach in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Landesmuseum Ferdinandeum gemeinsam mit Kopien der übrigen im Steger’schen Theaterbuch verzeichneten Stücke übergeben wurde.
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JOHANN DOKTOR FAUSTUSSPIEL
Erster Aufzug FAUSTUS 1 Gulden 2 fl. 3fl. 4fl. 5fl. Teufel mit diesen Gulden, bezahle ich nicht einmal meine Schnupftawakschulden Ist doch ein drauriges Leben auf der Welt, den Kopf voller Sorgen und im Beitel kein Gelt. Was nitzt mir mein Studieren was nitzt mir mein Talent, Wen mich auf den Rücken der Betelsack verbränt. Als die Göttin Fotuna ihre Güter verteilt, hat sie mich übersehen und ist vorübergeeilt, Morgen ist Kirchtag ist Musig und Danz, und ich hab zur Unterhaltung den Nachtrosenkranz Aber was nitzt mir mein Klagen, das thut mir in Beitel kein Kreizer tragen, Ich werde meinen Bedienten rufen geschwind, das er mir die Grillen aus den Kopfe bringt Bajaz Kaprizinius, Kaprizius können Sie heut gar nöt köm BAIJAZ Woll woll ich werde balt kömm, laß mich amerst die Hosen aufa heng Hier bin ich was soll es sein Das ich so spät noch muß erschein. FAUSTUS Kleiner Schlängel weißt du was, eine saubere Bedienung das. büs es dir gefallt zuerscheien, darf ich mir die Lunge aus den halse schrein. Du laufst den ganzen Tag die Gassen auf und ab, Und ich mag froh sein, wenn ich dich beim Essen hab Jetzt sag mir geschwind was sich in der Stadt neies zu getragen hat. BAIJAZ Neies weiß ich gar nich viel, als das dich der dicke Miller klagen will. FAUSTUS Still davon, Das weiß ich vor hin schon BAIJAZ Der Wirth zur rothen Naasen, wirt dir den Mantel pfänden lasen. FAUSTUS Schweig das ist mir keine Neiigkeit. BAIJAZ Das reiche Mädchen des Herrn Ehrest, feiert heit ihr Hochzeitsfest. FAUSTUS Laß sie feiern ich winsch Glick dazu, den Mädchen gibt es noch genug,
BAIJAZ Der kurze Schneider macht ein langes Gsicht, weil er die letzten Hosen vergessen nicht. FAUSTUS Den Schneider zock den kenn ich schon, was gehen dich solche Sachen an. BAIJAZ Beim krummen Metzger grunzt ein Schwein, möcht auch gern bezahlet sein. FAUSTUS [Und hier] grunzt ein Affengsicht, schwiege schnell und reizts mich nicht. BAIJAZ Dann mus ich bitten um meinen Lohn meine Wäscherin wird ungeduldig, weil ich die letzte Wäsche bin noch schuldig. FAUSTUS Geh zum Teufel marsch hinaus, oder ich reiß dir deinen beiden Eselohren aus. BAIJAZ Ja ja bei großen Herren, ist nöt gut Gelt begeren. FAUST Was soll ich jetzt machen was soll ich jetzt anfang, nein so kann es nicht mehr gehen nein so kann es nicht mehr lang. Zur arbeiten zur vornehm zu stehlen noch zu gut, zu betteln viel zu Stollz weil man mich überall können tuht. Auch von keiner Hand erwarte ich gar kein Glück, alle reichen Mädchen ziehen sich von mir zurück. Keine Erbschaft nicht zu hofen zu spielen gar kein Glück, zwei Wege sint mir offen zu ändern mein Geschück. Entweder den Teufel mich ergeben das er mir helfen mus, oder mein Leben ändern durch ein Bistolenschuß. Das Erste ist zwar gefährlich doch ist das zweite dum wenn er durch mein Selbstmorth die Seele doch bekombt. Drum Faustus dich ermahnn und zieh den Zauberkreis, Verzweiflung könt keine Furcht wenns auch zum Teufel heist. Der Zürkel ist nun ferdig der Anfang ist gemacht, nun will ich vortfahren büs es ist vollbracht. Ich werd mich setzen und stehen nicht mehr auf, büs ich geschlossen habe einen guten Kauf Höllenzwang herausgegeben von Friedrich von Galgenleben. TEUFEL Nun was soll heunt dieses heisen, zurück oder ich werde dich dausend Fetzen zerreisen. Was soll hier die ganze Spöterei sag schnell was dein begehren sei. FAUSTUS Herr ist so deine Manier So kannst du weichen fort von hier ich werde mit dir nicht weiter sprechen ich werde ein andern höllischen Geist anträfen TEUFEL Nun so sag mir an womit ich dir heunt dienen kann du hast deine Beschörung gut gmacht, sonst hät ich dich heunt noch umgebracht.
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FAUSTUS Hab Dank Herr Schwarzl für das Koplament, ich hof es geht noch gut am End. Willst du meinen Wunsch erfüllen so mach ich dir auch deinen willen. TEUFEL Nun wie oft muß ich den fragen an was du von mir willst haben, manch es kurz ich hab nicht lange Zeit ich hab noch mehr Geschäfte heunt. FAUSTUS Ich verlange Guth und Geld die schönsten Mädchen auf der Welt kurz als was mein Herz begehrt und dann meine Seele dein gehört. TEUFEL Junger Mann was denkst du dran für solche dienst ein schlechten Lohn, Wir dörfen nicht mehr Seelen kaufen, weil sie uns umsonst zulaufen. FAUSTUS Wenn dir an meiner Seele nichts gelegen, beseres kann ich dir freulich nicht geben. Es ist unser Handel aus, und du kannst verlassen dieses Haus. TEUFEL Hallt Brausekopf hallt, auf einen Streich kein Baum mir fallt. Drum sag mir wohl, wie lang ich dir dienen soll. FAUSTUS Wann verflossen zwanzig Jahr, dann kannst du mich holen sambt Haut und Haar den dort fangt mein Alter an, wo ich die Welt ohnehin nicht mehr brauchen kann. TEUFEL Nun gut so soll es sein, auf dieses geh ich ein. Bei diesen Handel soll es bleiben laßt uns den Kontrakt aufschrieben Der Kontrakt der ist nun gut, unterzeichen ihn mit deinen Blut Ferdig ist das Dokument, nun schwöre den Eid in meine Händ. Höb die drei Finger zur der Erden, auf das wir ballt ferdig werden Spröch mir nach. Ich Johannes Faust Hab mein Seele um Gelt vertauscht drum schwöre ich den Himmel ab, Weil ich mein Herrn dort unter hab. Wann zwanzig Jahre sind herum dann bin ich sein Eigenthum. FAUSTUS Nun bist du mein Unterthan mein dienstbarer Geist Sag wie ich dich rufen kann und wie dein Namen heist. TEUFEL Mephistofulus der dreizehnete bin ich genant, Wenn du mich willst rufen an klopf dreimal an diese Wand
FAUSTUS Das erste Geschäft ist dringend vor allem brauch ich Gelt, damit ich kann genießen die Jugend und die Welt. TEUFEL Habe keine Sorgen Morgen in der Früh, Hast du in deinen Truhen und Taschen Gelt genug. FAUSTUS Für heute sint wir ferdig der Handel ist gemacht, nun kannst du mich verlassen lebe wohl eine gute Nacht. TEUFEL Faustus lebe wohl und schlafe recht gesund, genüße alle freiden und hallte unsern Bund. Betänk was du geschworen wehe dir wenn du untrei bist, so drähe ich dir den Kragen um ehe die Zeit verflossen ist. Odio eine gute Nacht FAUSTUS Kaum ist der Schrit gemacht weg ist der Zentnerlast, das es so leicht thut gehen hab ich gezweifelt fast. Es wird mich nicht gereien dieser gute Kauf, als armer Schlucker lieg ich nieder und als reichen steh ich auf. Und nach zwanzig Jahren ist fast eine lange Zeit, wehr weiß wohl wie es Jehnseits aussiet obwohl eine Ewigkeit. Ja fast alle Gelerten glauben nicht an eine Höll, und zu dehn ist niemant gekommen um es uns zu erzähl. Aber sei wie ihm wolle Mir wäxt kein graues Haar, ich werde mir nicht verbitern meine freidenjahr. Nun will ich gern Schlafen gehn, und morgen däs Leuten langen Gesichter sehn. BAIJAZ Jui lustig ist das ein Gschmachn, Als wen man ein faules Kitz hat in Ofen braten. Oder als wenn der Herr Doktor eine neie Mädizin browirt, und alle alten Weiber auslaxirt Meine hochweise Naasen die könt sich nicht aus, was das für ein Geruch oder für ein Gestank in den Haus. Heimlich thu ich den Doktor zeuchen. er will mit dem Geruche die Gelder vertreiben. Der Doktor ist decht ein gespassiger Narr, das ich mi lei gar nöt auskönnen kann. Er gibts krot vornehm nobel und hoch dann ist der Mantel zerrüssen und die Hosen ein loch. Dan heist es adelich adelich vornehm geboren weil seine Mutter adelich ist auferzochen worden. Aber wie hallt die Welt und die Leute verkehrt, den Loden verachten die Somat verehrt, Begegnet man auf den Straßen, einen ehrlichen Mann, so halltet mann ihn für ein Sklafen, und schaugt ihn kaum an, Begegnet man aber einen Spitzbubn in seidenen Gebant, so macht man ein Krazfuß den Hut in der Hand. Aber mir ist es sonst gleuch ich bin Arm geboren und werde gewiß nimmer reuch.
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Zweiter Aufzug FAUSTUS Ein unglaubliches Wunder ein ungeheire Macht, was besützts doch das Gelt bei den Menschen für eine Kraft. Wie bei Magnet das Eisen so ist bei den Menschen das Gelt, alles ist dir dienstbar alles ist dir hold. früher wenn es geheisen jetzt kommbt der Doktor Faust, so hat man gleich das Weinglaß mit den Wasserkrug vertauscht. Nun jetzt heist es willkommen ist mir eine Ehr, das mann den Herrn Doktor besucht einmal mehr früher wen ich wollte drüken der Mädchen die Hand, so wurden sie schamroth und wahr für sie eine Schand. Und jetzt, wenn ich sie Kisse, so gibt sie mir ihn zurük, und wenn ich sie umarme so hallten sie es fürs größte Glück. früher wenn ich wollte streken meine Beine hinter einen främden Thische, so wurde die Tafel zeitig umgehoben das ich nicht zuviel erwische, Und jetzt heist es Herr Doktor wünsch guten Apetit, greifen sie nur braf zu verschmähen sie es nöt, Die Köchin und die Kelerin die stehn mir zu befähl, Noch hat es mich nie gereut was ich hab getan, das ich von einen armen Schlucker bin komm zum reuchen Mann. Mein Geist das mus ich sagen der hallt den Handel gut, weil der noch allzeit nach meinen Willen thut. Ich hät noch gute Lust mir fällt noch etwas ein ihn was aufzutragen das ihn sehr schwer mächt sein. Nun gut ich will ihn rufen und befählen das, Und wenn er sich recht ergärt so ist es für mich ein Gespaß. (dreimal zu klopfen) TEUFELL Faustus ein guten Tag, was steht zu befähl, hat der Geltbeitel schon die Schwintsucht das ist a büssel geschnell. FAUSTUS Nein Gelt brauch ich keins hab sonst in Überfluß, bloß neigirig was ich heit verlangen muß. TEUFEL Neigirig bin ich auch was für ein Bestant, er noch zu fünden so den Faustus nicht bekannt. FAUSTUS Vor allen mus ich fragen ob du im Stande bist, mir alles herzuschafen und ob dir es möglich ist. TEUFEL Es lautet der Kontrakt das kein Ausnahme sei, Vertrau auf meine Macht ich schafe dir alles herbei. FAUSTUS Nun so gehe hin und bring mir Jesus Krist in der nehmlichen Gestallt, wie er auf den Kalfarienperge gestorben ist. TEUFEL Faustus bist du von Sinnen das dir dieses fällt ein, aber du dreibst nur einen Schmerz dein Ehrnst kann es nicht sein. FAUSTUS Es ist mir voller Ehrnst bring her was ich verlang, sonst kenn ich ein Mitel, das dich Zwingen kann. TEUFEL Unmöglich kann ich glauben, das dir Ernst ist, das du willst diese Dumheit und du so närisch bist.
FAUSTUS Auch mit schlechten Speisen wird der Hunger oft gestillt, drum ist es ein Vergnügen wen man den Naaren spielt. TEUFEL Den Naaren kannst du spielen aber nicht in dieser Sach, zu deinen vielen Sünden fiegt sich nicht noch diese Schmach. FAUSTUS Wie der Kontrakt laudet bei dem soll es bleiben was ich verlang laß ich mir nicht verschreiben TEUFEL Kontrakt hin Kontrakt her dieses thu ich nimmer mehr das ist eine Sache, die nicht nitzs zu was willst du das Kruzifix FAUSTUS Dieser Streit hat aufgehört, geh hin und bring was ich begehr. was ich damit machen kann, dieses geht dich gar [nichts] an. TEUFEL Faustus doch besünne dich du machst dich ja nur lächerlich begere sonst was dir fällt ein, in allen will ich folgsam sein. FAUSTUS Dies ist immer der alte Gesang, mir wirt dabei die Zeit zulang. Die Gedult geht mir jetzts aus ich sag mach dich schnell hinaus. TEUFEL Faustus erbarme dich über mich, bedänck was ich getan für dich. Ich war dir Allzeit unterthan, verlange nicht was ich nicht kann. FAUSTUS Wenn du es nicht kannst, so will ich dich schon lern du wirst es fünden und bringen schon gern. TEUFEL Lieber Doktor hallt, bevor du brauchst Gewallt Wenn du es würklich magst, hier hast du den Kontrakt. FAUSTUS Den Kontrakt den brauch ich nicht, den man mus halten, was man verspricht. Klaub ihn auf und stöck ihm ein, wenn du nicht willst ein Liegner sein. TEUFEL Faustus doch bedänke, ich dir alle büsher geleisteten Dienste schänke. Alles was ich für dich zu gut getan, verlange ich gar keinen Lohn. FAUSTUS Warum lei ein Schwäzerei, es ist ein Wort und bleibt dabei. jetzts sag ichs dir zum letztenmal ich will es so auf jeden fall.
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TEUFEL Wenn alles nicht nitzs so soll es so sein, aber Doktor du wirst es kommen ein Wenn mein Dinstzeit is verflossen. dann will ich dirs entgelten lassen. Eine gute Nacht gib nur Acht Das Dich dein Wunsch nicht warm macht FAUSTUS Geh nur hin mir ist es ein Ding, Wenn ich dich schon in Harnisch bring. Wenn es Gibt einen Höll, darf man auf einen Freindschaft zöhl. Was nutzs mir der Kontrakt aufzugeben, so müßt ich frühren ein anders Leben. Buße thun die Sind bereuen, das kann einmal gar nicht sein ich glaub es ist ganz einerlei [ob] ich den Teufel verschrieben sei Oder vor den Augen der Menschen from. und zuletzt zum Teufel komm. Mein Gewüsen sag mir wohl Das mein Sindenmas schon übervoll, Drum gehts so lang es geht, das ist mein früh und Nachtgebett. Ich bin ein Naar und überthum, das ich alleweil auf meine langweiligen Gedanken komm. Mein Baijatz ist schon im Stannt, das er fie sie vertreiben kann. BAIJAZ Heite kim ich auf den Schmaz was gibt es Herr von der Faust hast du den Ganger ausgeblauscht. FAUSTUS Hallt was gehen dich solche Sachen an, die mann dir gar nicht anvertrauen kann. Deine Blautersucht ist schon bekannt, du machst ein altes Weib zur Schand. BAIJAZ Faust Faust ich hab bei der Thir gelauscht Da hab ich gehört allerhand Sachen, die mich leucht könnten zum Naarn machen. FAUSTUS Was man zu vor könnt das ist keine Gefahr, wenn man ein Tölpel ist so wirt man kein Naar. Drum rede lieber von andern Sachen, und geh nicht als Esel zum Parade machen. BAIJAZ Ja von was soll ich den reden schaf nur an es wird geschechen Wir scheint in der letzen zeit was ich sag ist gefehlt weit. FAUSTUS Sag mir was die Leute sagen, wie ihn gefällt mein Betragen. Was sie hallten von mein thun und lassen, ob sie mich lieben oder haßen. BAIJAZ Ja die Leite thun halt sagen der Faust kann Gelt schlagen oder es hat ihn der Teufel beim Kragen. Ich aber sage allen es ist nicht war, er ist mit ihm im Bunde gar.
FAUSTUS Schweig sag ich verfluchter Hund, was weißt du von meinem Bund. Sag mir das Wort noch einmal, so werde ich dich mit meinen Steken zahl. BAIJAZ Das alte Gelt das kön ich schon früher hat es dir gute dienste getan Aber jetzt ist es im Überfluß weil man nicht mehr verspielen mus FAUSTUS fangt man mit ein Tölpel an so muß man auch aufhören schon Drum will ich mich jetzt entfern, und nicht mehr dein dumes geschwätz anhörn. BAIJAZ Also jetzt ist er fort, mir scheint es gefallen ihn nicht meine Wort. Wen man großen Herrn will die Wahrheit sagen, so wirt einen gewödlich der Fidelbogen um das Maul geschlagen. Ich will nicht sagen von großen Herrn, den die Wahrheit hört kein Betelloter gehrn. das Herz und die Zunge die komm oft in den Streit, das erste will Wahrheit beim andern fähllts weit. Sein thuts decht ein gspassige Welt alles will gscheider sein alles will Gelt Ein jeder hat zu wenig um nobel zu Leben, der Baur wirt gezwungen wenn es es gern nöt wollt geben der Baur ist ein Lastthir er greift wohl in Sack, büs seine blutigen Nägel den letzten Kreizer gebackt Will er was reden ist alles umsonst, da heist es, sei zufrieden wenn du zahlen kannst Aber hallt es dir für eine Ehr und Vorzug auch, den deine bludigen Kreizer kommen in unseren vornehmen Bauch. Aber genug davon, ich möchte zuviehl schon. Ich möcht es erfahren zu spat, daß das Reden auch bei den Baijaz auch seine Gränzen hat.
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Driter Aufzug FAUSTUS Wie herrlich ist das Leben wie groß ist meine Macht, Ich bezwinge die Geister und könn die Kräuterkraft. Von der großen Zeder der auf dem Libanon wäxt, büs zum kleinen Isob der aus den Mauern riecht. Von Diamant am Karfunkel büs zum grauen Granit, erkönn ich ihre Wirkung und ihren Unterchied. Menschen bewundert die Geisterschaft, kein sterblicher hat es nie so weit gebracht. Jetzt ruf ich meinen Mephistofolus das er erscheint, was ich gestern verlanget habe das mus er bringen heit. (3 mal zu klopfen) TEUFEL Faustus mach nur auf die Thir, was du verlangst das bring ich hür. Ganz zerdrückt komm ich daher, Himmel und Erde wer nicht so schwer. Drum sag geschwind wo soll es sein, es drückt mir fast den Rücken ein. FAUSTUS Weil ich mir dir zufrieden bin, so stell es dort zum Fenster hin. Dann kannst du wieder reißen ab, weil ich sonst nicht nötig hab. TEUFEL Faustus gib nur acht nicht das Bilt betracht Behallt das Bilt nicht zu lang in Haus, sonst wirt die gröste Dumheit draus. FAUSTUS Behallt das Bilt nicht zu lang in Haus sonst wirt die größte Dumheit draus. Ich weis nicht was der Geist damit meint und warum ihn dieses so verdächdich scheint Ich bin Studirt und hoch gelert, der einen Holzblock nicht verehrt. Ich bin auch nicht von jehner Zahl, die hin und wieder fall. Kurakterfest ist mein Nathur, und ich allein sie könn nur, Und für das Bilt was sagt es mir, etwa Faustus ich verzeihe dir. Nein so sagt es nicht, zornig ist sein Angesicht. Ach die Welt hat vielmehr reize, als dieser Gottmensch dort an Kreuze Nein ein solcher Tausch ist weit davon, nur schade das ich die Welt nicht länger genießen kann. Aber das versteh ich nicht, das ein Gottmensch so grausam hingerücht. Sein ganzer Leib ist so voll wunden, das kein einziges Glied mehr gesund. das Meiste macht sowohl mein Leben, kann kein anderer Aufschluß geben. Doch schrecklich ists wenn man bedänkt, wie vieleucht ihn mein Leben kränckt. Was ich büsher hab getan ich jetzt nicht mehr ändern kann Ihn und den Himmel abgeschworen, ist soviel wie schon verloren. Doch loß wer kommbt den heit durch den Gang herein, wirt gewüß der alte Klausner mit seinen Kreitern sein. (herein)
Guten Abent Bruder wie schaugt es aus, Bring sie mir neie Kräuter in mein Haus. Habt ihr sie drofen alle an, dann werde ich sie gut auszahlen schon. KLAUSNER Herr Doktor betrachte hür die Waare mein, ich hof du wirst zufrieden sein. Für heit die Kräuter und die Wurzen, die ihr mir gezeuchnet habt vor kurzen. FAUSTUS Ist alles richdich was wollt ihr für ein Lohn, was betragt die Rechnung damit ich zahlen kann. KLAUSNER Kein Gelt kann ich nicht brauchen das ist für mich kein Wert, wenn sie mir sonst was geben so sint sie von mir geehrt. Ach Gott was seh ich hür, bin ich verzaubert heint. dies ist kein rechts Gemälde nein das ist doch Wirklichkeit. O du mein Erlößer Jesu Christ, der du für mich gestorben bist. Nun Herr Doktor um das bitt ich dich, was mir das liebste ist. Mein Herr und mein alles mein Drost und meine Zuflucht, allhier in diesen Zimmer hät ich dich nicht gesucht. FAUSTUS Begere sonst was du immer willst, ausgenommen der es stühlt denn dieses besützt eine magnetische Kraft, das ich mich drennen kann ummöglich fast. KLAUSNER Härter als ein Kiselstein mus das Herz im Leibe sein Wenn mann dieses Bilt bedracht und denoch kein Eindruck mach Kein Mensch ist ausgenommen der nicht ist zum erlösung gekommen Er ladet uns alle ein, alle Menschen wollen wir glücklich sein. FAUSTUS Wie kombt es aber lieber Freund, das doch so viele verloren sein. Der erschafer Himmel und Erde der könnte ja leucht machen, das alle Menschen selig werden. KLAUSNER Den Menschen steht der Wille frei, ob er selig oder verloren sei. Gott lägt zwang nicht an, der Mensch ist selber Schuld daran. FAUSTUS Wie ist der Mensch im Stande mit seinen schwachen Willen, den Himmel einhallt zu thun um der Hölle zu entrinnen KLAUSNER Weil der Mensch erschafen nach Gottes Ebenbilt, so ist ihm das gute und böse freigeställt. FAUSTUS Ganz in gleuchen Stande wirt der Mensch geboren, einer wirt dann selig und hundert gehen verlohren. Gott sieht sein Zukunft er sieht es vorhinein Es wehre ja beser nie kein Mensch zu sein.
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KLAUSNER Wie ich dir schon gesagt die schuld liegt nicht an Gott, er hat es selbst gesagt er will nicht des sinders Dodt. Dies ist eine Wahrheit die er selber macht bekannt, obwohl es schwer begreifet der Menschen Verstannt. FAUSTUS Sag mir wie viel Gott verzeihen kann, es mus doch gränzen geben wo sein Gerechtigkeit fangt an. KLAUSNER Solang der Mensch am Leben ist ist keine Sind zu schwer, wenn sie auch so zahlreuch weren wie der Sand am Meer. Wenn der Mensch nur will und das seinige thut, so wirt ihn Gott verzeichen, den dieser Herr ist gut. FAUSTUS Herr Klausner hallte ein, dieses alles kann nicht sein, Dies ist nicht alles wahr, dieses kann glauben nur ein Naar. KLAUSNER Faustus zweifle nicht ich sag Dir die Wahrheit der Sinder mag sein noch so groß, Gott verzeiht ihn doch. FAUSTUS Nehmen wir zum beispiel ein Mensch von jugend auf, ist alles sind und Laster sein ganzer Lebenslauf. Was sich ertänken läßt heift er sind auf sind, ohne einmal fest zu glauben ob Himmel und Hölle sint. Und dann noch seine Boßheit die Kron zu sezen auf, sogar sein eigne Seele den Teufel hat verkauft. Nun sag mir aufrüchdig wie stehts mit diesen Mann, kann er noch selig werden ihn Gott verzeuchen kann. KLAUSNER Gewiß und ohne zweifel wenn er die Sinden bereit, so kann er leucht noch werden ein Kind der seeligkeit FAUSTUS Herr Klausner mich nicht teische ich beschwör dich bei deinen Gott, mach mit mir kein Kurzweil und dreib mit mir kein Spott. Nun gut du sollst es erfahren was kein Mensch erfahren hat, den jehner Mann bin ich den ich vorher hab gesagt. KLAUSNER Ich danke für das Vertrauen Faustus verzage nicht, wenn du dich willst bekehren ich dir Gnad versprich. Allhier sieh ihn an was er für dich getan, Verseime keinen Augeblik, und kehr zu ihm zurück. FAUSTUS Wie ist den dieses möglich oh gib mir einen Rath, wie kann ich noch erlangen Gottes Hult und Gnad. KLAUSNER O dieses ist ein Kinderspiel wenn dir recht Ehrnst ist, wenn du willst führen ein anders Leben und fest entschlossen bist. FAUSTUS Ja ich bin entschlossen von Teufel abzustehn, die Sinden zu bereuen und zu Gott zurück zukehrn.
wie soll ich es beginnen wo soll ich fangen an, damit ich von der Gewalt des Teufel loß werden kann. KLAUSNER Vor allen bete fleißig damit dich Gott erleucht, damit du kannst ablegen eine gerneral Beicht. FAUSTUS Wann dieses ist geschehen wie mus ich nachher leben, damit ich kann erkönnen ob mir Gott hat vergeben. KLAUSNER Habe keinen Kummer das wirst du schon erfahren, das wirt dir alles dein Beichtvater sagen. Ich sage dir nur soviel liebe was du gehaßet hast und haße was du geliebt und was du geehret hast. FAUSTUS Was für eine Veränderung ist heite vorgegang, Welt jetzt lebe wohl ich dien dir nicht mehr lang, Morgen wenn der Tag anbrücht, wirt der Anfang gemacht und jhe die Sonn untergeht, ist es schon vollbracht FAUSTUS Ich sag dausent Danck Herr Klausner lebe wohl, nun ist es mir klar genug wie ich es machen soll. Ich will alles befolgen nach deinen weißen Rath, ich werde gleich anfangen sonst möcht es sein zu spat. KLAUSNER Gott segne das Beginnen und für es glücklich aus heil ist wiederfahren heit in diesen Haus. Der Herr zeigt dir sein angesicht Und leitet deinen Gang, führ es glücklich zu Ende gemacht ist der Anfang. Faustus lebe wohl ich wünsch dir eine gute Nacht, sei standhaft und verzage nicht büs dein Heil vollbracht. FAUSTUS Was für eine Veränderung ist heite vorgegang, Welt jetzt lebe wohl ich dien dir nicht mehr lang. Morgen wen der Tag anbrücht wirt der Anfang gemacht, und ehe die Sonn untergeht hab ich es schon vollbracht. BAIJAZ Juxdum haben die Leute gesung, jetzt bin ich als wie ein Schm[al]zbettler daher sprung. Ich hab mir gefürchdet ich komm zuspat zu sagen, das euch der Herr Doktor für ein Naaren thut haben. Wenn man hallt alt wirt mus mann hallt alles erleben, ich tat um die ganze Bekärung kein Pfiferling geben. Ja ja sobald sich dieser Mensch thut bekeren, dann hat die Hölle wohl Ursach zu rehren. dann bekommt der Teufel gewiß selber zu kallt, weil ihn nicht mehr das nöthige Brennholz wir[t] bezahlt. Soll doch einmal im Himmel der heilige Faust so hat mann den Petrus die Schlißel vertauscht. der Klausner thut mein Herrn noch viel zuwenig könn, sonst tat er ihn nicht vergewens die Finger verbrän. Kömmen andere Leut so ist ein anderer Sinn, sein viele schon kömm seidem ich da gewesen bin. Der Amasauer Anderlä der Hinter Heisl Hons, der mugen melcher Michl der feder fuztler Franz. der Poschen pengel Peter der zolen zaderer Zenz, der buzen beißer Paule der lausige beil Benz. der krötzen kraler Kristl der mäuse mandl Martl, der sticker studer Stöfl der beiche banscher Bartl.
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der Seifen sieder Sepl der nisen nager Nipl, der dopen dölpl Tomann der Luder Leindl Lipl. der huder hosen Hauser der grägen gruber Graz, der jungfrau jager Jandl der malta mandl Maz. der lantl lugner Lugl der heirat hetzer Hoiß, der stier stoßer Niendl der lapen lieber Lois. der blaten bleucher Benedikt der Flöche focher Veit, der doten druchen Dönig der katzen kußer Keit. der kömat körer Karl der Weiber bantscher Wost, der saure supen Simbl der kuchen kricher Kas. der hosen tunger Gaßper der bangen blöscher Jag, der heirat bindel Melcher der schwarze Zireack. Aber ich werde von mein Register decht müssen aufhärn, sonst möchts enk dech die Zeit zulang wehrn dös möcht mich aus den Hause jagen, oder gar mein bäsere Haxe abschlagen drum lebt wohl und sagt mir wenn ich wieder kömm soll.
fürter Aufzug FAUSTUS Das war heint eine Nacht das war heint eine Nacht, gewiß zweihundertmal bin ich wohl auferwacht. Wollte ich die Augen schließen war ich entschlafen kaum. so sah ich dieses Bilt und fuhr dann wiederum auf im Traum. Ich bin heite ganz entkräfdet meine Närven sint ganz schwach, ich mus mich mit etwas zerstreien bis es besser nach und nach. Ich will den Geist noch rufen das ist das letztemal ich werde ihn den dienst aufkünden das wirt ihn gewiß nicht gefall. (klopft dreimal) A der Geist hat eine feine Naase er schmäckt den Braten schon, aber ich will ihn lernen kemmen wenn er sonst nicht kann. TEUFEL Faustus nur geschwind entferne dieses Bild. sonst blagst du mich umsonst mit deiner Zauberkunst, den wo dieses Bild thut sein, darf ich nicht dräten ein. FAUSTUS Nun gut jetzt ist es geschechen, Jetzt darfst du herein gehen. TEUFEL Faustus was soll es sein, das du mich zwüngst er erschein. Drum sag mir nur an, mit was für einer Dumheit ich dir heite dienen kann. FAUSTUS Mir scheint mir sint einander überdrüßig, mehr zusagen überflüßig, Wir thun zusamen nicht mehr Taugen, drum kannst du dir um einen andern Herrn und ich um ein andern Diener schaugen. TEUFEL Herr Doktor Faust das geschied nicht gar was mir vorher treumbt das wirt gewöndlich war. Es ist eine Dumheit nicht allein so wirt auch bei dir die zweite größer als die erste sein. FAUSTUS Aufrüchdich mus ich sagen das ich bin deiner satt. weil mir ein frommer Pater die Augen geöfnet hat Es gibt für mich noch Gnade wen ich lebe from ich kann noch selig werden und in den Himmel kom. TEUFEL O Heiliger Herr Faustus ich wüsch dir viel glück, wenn du einen Tag in Himmel hast erblückt ich hof du wirst erhoben zum Betler Betlerbatron, und währ nicht weiß wo Gelt hernehm der kann dich rufen an. FAUSTUS Spotte immer zu der Vorsatz ist gemacht es läst sich nicht mehr ändern büs es ist vollbracht. TEUFEL Ja wenn du willst in Himmel reisen wirst du wohl den Petrus müssen den Kontrakt aufweißen leider hab ich ihn in den höllischen Wandkastel vergessen mitzunehm und sonst kannst du nicht aufwerzs kömm.
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FAUSTUS Wegen den Kontrakt wexst mir kein graues Haar, Kontrakt ist jede Sinde und hat die gleiche Gefahr. Nur hab ihn sicher auf und sperre fleisig zu Es wirt sich einer zwingen der sterker ist als du. TEUFEL Herr Faustus doch erlaube so das heinte dein begern, das ich soll zeuge sein wie schön du dich thust bekern. Sonst freuen sich die Engel wenn der Sinder buße thut weil diese vieleucht nicht Zeit haben für die Noth bin ich schon gut. FAUSTUS Ich werde auch nicht sagen was ich verlange heit, den du kannst mir bringen, was dich an besten freid. Weil ich dich hab geärgert sogar das letzte mal, in frieden wollen wir scheiden drum laß ich dir die Wahl. TEUFEL A der Doktor Faust der ist ganz spöttisch heit ich weis nicht was bringen das dier eine Neiikeit Alles weißt du vorhin alles ist dir bekannt. wie wehre es wenn ich dir brachte die schöne Helena aus Griechenland. FAUSTUS Mir ist es einerlei bring immer was du willst, den es handelt sich nicht darum ob du mein Wunsch erfillst. Drum wie ich schon gesagt es ist das letztemal, in Frieden wollen wir scheiden drum laß ich dir die Wahl. TEUIFEL Faustus ich bedannke mich für diese große Ehr. ich hof wir sehen einander nimmermehr. Wenn du in den Himmel, mit deiner brister Kron, gedänk zuweilen meiner was ich für dich getan. FAUSTUS Nun jetzt ist er fort und mir scheint ganz vergnügt, mich thuts wundern das er sich so leucht fügt. Er bringt mir die Helena ist zwar ein Überfluß, die kann ich schlecht brauchen zu meiner Reu und Buß. Bringt er was er wolle, mir ist nichts zu schlecht, den ich bin ein Mann und weiß was ling und was rechts. Jetzt will ich anfangen nach des Klausners Rath, recht andächtig zu beten um Gottes Hult und Gnad. Ich weiß nicht wie anfangen das Geschäft ist mir ganz nei, das erstemal in meinen Leben ich auf den Knien sei. HELENA Lieber Faustus ich wünsch ein guten Morgen Es ist zwar ungeschücklich für mich hür in deinen Zimmer aufzusuchen dich. Doch die Liebe könnt kein Anstant und auch kein Schaamgefiel, drum Faustus thu mich nicht verachten da ich dich lieben will. Faustus ich begriße was du dir däncken thust, und was du von mein Betragen heite halten must. Sowar ein Gott in Himmel der mich auch strafen mag, du bist der erste Mann den ich von Liebe sag. gib mir doch einen Blück, dann will ich dich nicht stören dann kehre ich zurück. Mein König von Geisterland, hat meiner oft verlangt. drum bin ich o Faustus eines Blückes doch wohl wert, Faustus lebe wohl und lache mich nicht aus, mit einen verwundeten Herzen geh ich wieder nach Haus.
Verzeuche mir mein Betragen und schlag es aus den Sinn, ich will dich nicht mehr länger blagen weil ich dir lästig bin. FAUSTUS Vor allen mus ich fragen du schöne Kreathur, was dich bewogen hat hirher zukommen nur. HELENA Dein Ruhm und deine Daten erfüllt die ganze Welt, an allen Ort und Enden wirt nur von dir erzähllt. Ich mach mich auf die Reise den weiten Weg hüher, Mich bersöhnlich zu überzeugen ob es würklich so wär. FAUSTUS Und was hast du gesechen ein Menschen aus gemein. ich glaub ich hab keinen Vorzug wie andere Menschen sein. HELENA Wen unser bäster Mahler das schönste Bilt wollt Mahl so wehre es weit übertrofen von dieser Ohriginal Ja Zeitungsberüchte die fehlen Himmelweit wenn mann selbst hat gesechen die liebenswirdigkeit FAUSTUS Helena hallte ein dies ist weit übertrieben es gibt ja der Menner genug die geneugnet sint zu lieben. Es ist sehr gefäh[r]lich die Liebe macht uns b[l]int wir hören es zu gehrn, wen wir geliebet sint. HELENA Wie einst die Königin von Saaba mus ich rufen aus, zu beneiden sei dein Diener gesegnet ist dein Haus. Glücklich ist dein Auganblückt und selig ist das Mädchen das dich an Bußen drückt. FAUSTUS Sag nicht das ich liebenswürdig bin sonst könnt ich dich beim Worte nehm du schöne Schwätzarin. Denn wir haben rasches Blut drum draun wir uns nicht zuviel. und sagen das wir schön sint ist ein gewagtes Spiel. HELENA Herr Doktor mir verzeuche, wenn ich zuviel gesagt, mein Herz ist auf der Zunge, drum hab ich es gewagt. In meinen ganzen Leben bist du der erste Mann, den ich meine Achdung liebe ich nicht mehr länger verbergen kann. FAUSTUS Helena doch bedänke was ich bitten kann, du wehrest wert zu zieren einen Königlichen Thron. Und ich von gemeinen Stande der keinen Vorzug hat, es wirde dich gereien wenn es wer zu spat. HELENA Suche keine Ausflucht ich könne deinen Sinn Faustus lebe wohl weil ich dir lästig bin. Gedänke zueilen meiner die du hast veracht, so mus dich verlassen adio ein gute Nacht. FAUSTUS Liebes Mädchen hallt und bleibe noch bei mir, es scheint mir fast unmöglich zu scheiden so von dir. Du hast mein Herz verwundet du kanst es heilen auch, ich kisse dier die Hand was sonst nicht ist mein Brauch. HELENA Ich kann nicht länger bleiben sag mir mein Ehrgefiel, ich habe schon gesprochen mit dir zu lang und zu viel.
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Je länger das ich bleibe je härter das ich geh, der Korb den Krob den ich zu tragen thut meinen Rücken weh. FAUSTUS Helena liebes Mädchen ich versteh dich nicht. was bedeiten deine Dränen in deinen schönen Angesicht. Sage mir aufrichtig was dich am Heren drückt, jeh länger ich dich sehe je mehr bin ich enzückt. HELENA Unselig ist die Stunde unglücklich ist der Tag, da ich mein Land verlassen und dich gesechen hab. hät ich dich nie gesechen hät ich dich nie gekannt. so hät ich mir erspart diese Spott und Schand. FAUSTUS Nein es [ist] unmöglich der Kampf der ist zu groß es müßten Engel fallen und nicht nur Menschen blos drum büß auch ich den Himmel und meine Seele ein, ich kann nicht wiederstehen Helena du bist mein. HELENA Ist dieses würklich Wahrheit geliebter leigne nicht, kombt es auch von Herzen, was dein Mund jetzt sprücht. FAUSTUS Liebes holdes Mädchen läg an deine Draurigkeit, an meiner Hand sollst du genüssen auf der Welt alle Freud. Wir wollen blumen pflücken den Dornen weuchen aus, gehts dann wie es wolle wir machen und nicht draus. HELENA Gleuch wie durch dunkle Wollken die Sonne auch oft blückt. So ist mein Herz nach Driebsahl nun umsomehr beglückt. Geliebter meines Herzens sei dausentmal willkomm, das Glück das ist gegrü[n]det und wirt nicht mehr genohm. FAUSTUS Der Bund der ist geschlossen Helena folge mir, ich will dir anweißen dein Schlafquatir FAUSTUS Es ist doch lächerlich es ist doch sonderbar, wie des Menschen Sinne veränderlich so gar. Was man heite will ist Morgen ein Abschei, was man heite verspricht wirt man Morgen untrei. Doch ist es nur ein armer Klausner den ichs versprochen hab, drum brauch ich mich nicht schäuen wenn ich es nicht gehallten hab. der Klausner gegen das Mädchen da ist die Wahl nicht schwer, wenn er in meiner Lage wehr so fiel gewüß auch er. Warum hat Gott erschafen ein so schöne Kreathur, und da zuwiederstehen brauchts Engelstatur. Darum will ich anfangen wo ichs gelassen hab, die Welt recht zu[ge]nüßen, die Drau[er] zu legen ab. Die Zeit will ich benützen mit Freid und Lust zubrin, wemn ich auch muß büßen das ist mir ein Ding. Ich geh zu meiner geliebten geht es wie es will, mich thuts nicht gereuen dieses fromme Naarenspiel. BAIJAZ Allso sein thuts decht lustig, wirt schon wieder eimal von an Stapolir ein Weiberbrustig. Weil man in der ein Hand thut die Beten hallten, zählt man mit der andern die Kitelfalden. Wehrent die Zände völlig nagel von Gebet und Buß Spitzt mann das Maul zum Weiberkuß. Werent die Engel ein Mußig anstimm
daweil thun der Faustus die Saten abspring. Und wie sein Kopf in den Himmel gegug, reißt ihn ein Weib bei der Achsel zurug. Die Weiberleut ist decht a gspassiges Kunter, die brauch der Teufel zu Höllkuchenzunter. Wie schöner die Augen wie feiner das Gesicht, die glänzenden Augen haben schon oft ein Unheil angericht. Wie Gott das erste Weib Eva gemacht, so hat er gewardet büs Adam entschlaft. Der Schöpfer hat ihn schon vieleucht damals gedacht, das ein wachender Mann einsprüche macht Aber bei ihren einzigen Mann war ihr die Zeit viel zu lang drum ist sie zu der Schlange an Heimgarten gang Sie büs in der Apfel gab auch ihren Mann, und zu spat hab ihn die Zände ergan getan. Und wie es die Weibergestallt dort hat gemacht, So wirt man auch jetzt noch zum falle gebracht. Wer schon behafdet ist damit, der Bete im Vaterunser recht fleißig Und die letzte Bitt. wer noch befreit ist davon, der rufe alle gemarterte Mäner an und macht es so wie ichs getan.
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fünfter Aufzug FAUSTUS Die Tage sind vorüber die Jahre sint vorbei, es dauert nur noch wenig Stunden das ich allhür noch sei. Wenn ich zurück gedänke an meine Lebenszeit, so mus ich mir gestehen das alles Eutelkeit. Ich hab alles genossen was die Welt nur geben kann war ich damit zufrieden o nein das ist weit davon. Reichtum Ehr und Güter hab ich in Überfluß, mann wirt daran gewönet bekombt davon Verdruß. Ich könnte alle Kreiter und Wirkung der Natur, alle Stein und Kreiter brauchte ich zu fragen nur. Und wenn ich überblücke mein ganzes langes Leben, so schaudere ich zurück und fange an zu beben. Alles ist verschwunden alles ist wie ein Draum, der Vorhang ist gefallen das ist geschechen kaum. Aus ist das Weltgeschnater vorbei ist alle Lust, die Roll die ich gespielet die bresset meine Brust. So schnell hat es sich geändert wie es gekommen war, der Reichtum ist verschwunden und auch die Freundschaft gar. Früher war mein Zimmer voll Freunden angefüllt, solang ich ihnen Hunger und Durst hab gestüllt. Jetz ziehen sie sich zurück und schütel ihre Köpf, aber mir ist noch drei ein einziges Geschöpf Helena Meine geliebte Helena die verlaßt mich nicht, und weil ich sie verlassen mus mir das Herz fast bricht. Nun gut ich will sie drösten so gut ich immer kann, das heit mein letzter Abend sei von dehm sag ich nichts davon Meine Helena liebster Schatz nim hür auf diesen Stuhl blatz. hör mich an in aller eill Ich hab dir viele neie Sachen mitzutheil. HELENA Sage nur geschwind was du zu sagen hast, den wenn man hür mich thut treffen an ich mich schäme fast. FAUSTUS Liebe setz dich nieder und mache dich gefaßt, ich mus dir etwas sagen das du nicht vermudet hast. HELENA Mache keine Umstänt ich hab nicht lange Zeit, es wardet mein Geliebter ich mus zu ihn noch heit. FAUSTUS Helena was ist das ich kann dich nicht verstehen, ich bin ja dein Geliebter du darffst nicht weiter gehn. HELENA Wie mein Geliebter Alter noch von der Liebe spricht, Geliebte kann man ja wexel aber Männer nicht. FAUSTUS Sage mir Helena wie ich das verstehen soll, wirst du mich verlassen so ist mein Unglück voll. HELENA Zu was war noch zu brauchen dein ausgedorter Leib, höchstens zu dänteln mit einen alten Weib. FAUSTUS Was soll ich anfangen wenn Alles mich verlaßt, ich habe keine Freunde mehr die ganze Welt mich haßt. HELENA Der Welt kannst du nur dienen solang sie dich brauchen kann, dann wirft sie dich in einen Winkel und schaut dich nicht mehr an.
FAUSTUS Ich habe dich geliebet, geehret Allezeit, ich habe dir versprochen meine Seele und die Seligkeit. HELENA Ich habe dich geliebet solang es mir gefallt, sei damit zufrieden das Opfer ist bezahlt. FAUSTUS Helena gute Nacht lebe ewig wohl Ich habe nicht gedacht das das es so kommen soll HELENA Weil du mir erbarmest so gib ich dir einen Rath, begies dich mit kalten Wasser frü Morgens und abents spat. Nim ein Handvoll Näßel und reib sie düchdig ein, laß dich waschen in der Frü wenn du kein Naar willst sein. FAUSTUS Jetzt geht sie hin die Bularin, weil ich ihr nicht mehr nach ihren Muster bin. Sie laßt sich drösten allzugut, weil sie mich jetzt verlassen thut. Ja ja das ist der Welt ihr brauch, wie sie es andärn macht so macht sie es mir auch. Ich will ihr nicht mehr läßtig sein, weil diese Nacht noch mein Recht bezahllt. Jetzt ruf ich meinen Bedinten herbei, dieser ist mir allein noch trei Baijaz Baijaz Kaprizinius wielang ich doch rufen mus. BAIJAZ Weil ich sonst nicht mehr weiß so will ich hallten was ich kann und von meinen Herrn urlaub nehm. FAUSTUS Ich habe dich wollen fragen, was die Leute jetzt von mir sagen. BAIJAZ Ja die Leute thin hallt sagen, es wirt dich balt der Butze vertragen. FAUSTUS Wenn dieses würklich so währ, tät es dich nicht betrieben sehr. BAIJAZ Wie soll mich betrieben das, Wegen deiner wirt mir kein Auge naß. FAUSTUS Thu ich dir erbarmen nicht, wenn jene Stunde anbrücht. BAIJAZ Wie das Kind ist soll mann wiegen, wie mann sich bettet soll mann liegen. FAUSTUS Glaubst du würklich an eine Höll, und das unsterblich ist die Seel. es währe ja leucht möglich Das Kein als er in der Höll, auch seine Seel ihn nichts zerföllt.
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BAIJAZ Dann ist der Teufel auch ein Naar, das er dir solange dienstbar war. und deinen Leib kannst du glauben, nimbt er sich die Mühe ihn aufzuklauben. FAUSTUS Weil du mir sonst gedint so threi, so sag was ich dir schuldig sei. Obschon meine Kleidung wenig ist, so sag ob du zufrieden bist. BAIJAZ Mit deinen Gewande kann ich nicht machen, da wirden mich die Leute nur auslachen. Nun will ich wieder Abschied nehm, ich hof es wirt balt ein andärer köm. FAUSTUS Das ist aber wunderlich keinen Menschen erbarme ich wär hätte dieses jeh gedacht wie es die Welt mir macht ganz verlassem ganz allein, in der Verzweiflung muß ich sein. KLAUSNER Guten Abent lieber Freund, FAUSTUS Was will der Herr Klausner heint. KLAUSNER Faustus was hast du getan. FAUSTUS Dieses geht ich gar nicht an. KLAUSNER Rete deine Seele thu nicht verzweiflen FAUSTUS Diese gehört ohnehin schon den Teufel. KLAUSNER Weil man lebt ist immer Gnad FAUSTUS Nein jetzt ist es schon viel zu spat. KLAUSNER Es ist zwar die Letzte Stund FAUSTUS Die zwölfte werde ich gehen zu Grund. KLAUSNER Wenn du willst geschied es nicht. FAUSTUS Mach dir keine vergebene Mühe nicht. KLAUSNER Ich bitte Fauste geh in dich FAUSTUS Ich bitte geh und lase mich KLAUSNER Ich bitte hör mich an noch ein einzigs Wort.
FAUSTUS Auf der Stelle backt dich fort Ich brauche keine Hilfe mehr für mich ist keine Gnad, weil ich mein Sindenmaaß schon überfüllet hab. Ich mache mich nicht lächerlich mit meiner falschen Buß, auf den Schein die Sinden bereuen ist mehr als Judaßkuß. Bekeren und wiederfallen fallen und bekern das ist ein Komädenspiel und wirt bei mir aufhörn. TEUFEL Herr doktor verzeuche mir meine Zudringlichkeit, ich mus dich ein wenig stören in deiner Andacht heunt. Ich komme ungerufen was sonst nicht ist mein Brauch ich hät ein Wort zu reden wenns dir gefällig auch. FAUSTUS Ich habe dich erwardet ich weiß das diese Nacht, der Zeitbunckt wirt erfüllet wie wir ausgemacht. Aber ich mus dir sagen das du in der letzten Zeit sicher schlächt gestallten hast deine Schudligkeit. TEUFEL Ho ho Faustus wo fählt es dann das ich dir nicht recht getan. FAUSTUS Die Freunde mich verlassen alles zieht sich zurück, ich habe keine Freide mehr kein froher Augenblück. Alles Guth und Gelt ist mir gegangen aus Ich fahre aus der Welt aus wie eine Kirchenmaus. TEUFEL Zuwas brauchst du noch die Freunde zuwas nitzs dir das Gelt, zu beten lassen Meßen stüften lacht ja die ganze Welt. Und an den Begräbnißkosten geht dir ja nicht auf, für diese werd ich sorgen schon die machen wenig aus. FAUSTUS Lieber sag mir wie es sich beställt, wo werdest du mich bringen hin in der andärn Welt. Gibt es wohl ein Ort den mann Hölle nent, gibt es auch ein Feuer das dort ewig bränt. TEUFEL Dieses ist unmöglich das kannst du leucht ersparen, es dauert nur noch zehn Stunden dann wirst du es erfahren. FAUSTUS Wie lang mus ich den leiden wann ändet sich die Bein, ich kann ja nicht begreifen was ewig soll sein. TEUFEL Denk dir einen Ring und fahre um und um, und nach Milionen Jahren wirst du auf kein Ende komm. Und nach Milionen Jahren, da fangst du wieder an die Ewigkeit bleibt gleuch kein Minute fällt davon. FAUSTUS Gibt es auch ein Himmel und eine Seeligkeit, wohin die Frommen kommen wie gros ist dort die Freud. TEUFEL Das laßt sich gar nicht sagen was du von mir begerst, kein Auge hat es gesechen kein Ohre hats gehört. Von allen meinen Leiden da wehre mir nicht bang wenn ich die Freuden könnt genüßen nur eine Minute lang.
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FAUSTUS Oh Thorheit über Thorheit was habe ich getan, ich weiß mir nicht zu helfen was soll ich fangen an. Verflucht ist jehne Stunde verflucht ist jehner Tag wo ich bin geboren die Welt erblücket hab. TEUFEL Spare dir dein Fluchen du hast noch gute Zeit, das Lied kannst du anstimmen in der langen Ewigkeit. bereute dich zur abfart die Zeit ist balt herum, mit den letzten Glockenschlag werde ich wieder komm. FAUSTUS Nun lebet alles wohl und Welt eine gute Nacht, du hast mich schön betrogen du hast es mir recht gemacht. Mit Thränen in den Augen denke ich an dich zurück, kurz ist dein vergnügen dauert nur ein Augenblück. O du schönes Firmament wie hast du mich so oft erfreit, und ich soll dich niemals sehen in alle Ewigkeit. Ihr Freunde und Bekannte nun lebet alle wohl, da ich euch mus verlassen euch niemals sehen soll. spiegelt euch an meiner verfluchet meinen Sinn, gedenkt zuweilen meiner wo ich etwa bin. Werfet euch zur Erde loset auf den Grund, vieleucht hört ihr mein Brillen im diefen Höllenschlund BAIJAZ Merckt auf ihr Herr und laßt euch sagen, der Hammer auf die Uhr wirt balt zwölfuhr schlagen. Allstan wirt der Teufel mein Herr vertragen. Gott sei dank, wird wieder eine lehre Bank. Helft ihn der Strageneg und seine schwarze Frau. Komm nur balt Razipuzs und klaub ihn auf. Back ihn fest beim Kragen, zwölfuhr geschlagen TEUFEL Faustus auf und eulengs komm, nun bist du mein Eigenthum. Ich will dich durch die Lüfte führen nun kannst du die Höll browirn BAIJAZ Supara Supara Sapara Jetzt hon i noch allweil den Zäne Klapara. hat mi das ding a so erschröckt, hab ich mich in der Kuchl in deie Hänsteign verstöckt. Ich bin ganz gütla hineingschlichn aber der Teufels Haane hat mir wohl dechter in ein Ohre gebüßen. Sapara ist das ein Gschmachen als wenn die Höllnadel that Hexen bachen, und von Weiberleuten pfaten, ein enprenner machen. Ich thu sonst la den Doktor die Bicher vißitirn, dann thu ich wieder lings abmarschieren 1. Rezebt ein Pulfer zu machen, das ein die Madlan alle anlachen. Nim K[r]eidenweiß und Morgenroth ein Feugenkranz und Zuckerbrod. Resohlflaschl und Fürtelglas und gewiß thuts helfen das 2. Ein überaus gute Arznei wenn an Montag der Kopf nöt in rechten gerüchte sei. Kombt der Kopfweh von einem Rausch, so grab ihn in einen Amäusenhauf.
Laß ihn dort liegen 24 Stund dann bist du wieder früsch und gesund. 3. Eine gute Schmirbe zu browirn, wenn der Knecht will dantlen mit der Dirne Nim die Dirne und wasch sie rein schmirb sie dann mit Bechöhl ein. Und wenn der Knecht noch will zuchen huken, so mußt du ihn den Stuhl zuken. 4. Ein Überaus gutes Mitel, die Gelder von Haalß zu schütlen. Nim Dukaten und Guldenstik, fünfernothen und Zechnerzipf. und was du nicht hast das kanst du stehl, und gewiß thuts helfen schnell. 5. Ein herrliches Hilfsmitel und köstliches Rezebt, wenn in ein oder andern im Maagen eine Mistgabel steckt. Nim drei handvoll Holzschuchnägel, ein Haarhachel und ein Eisenschlägel. Nim dieses alles fleußig ein, und du wirst balt beser sein. 6. Eine gute Schmirbe zu bereiten das den Weiberleuten die Kitel tol hin und her leiten. Nim Hühndermist und Gänsedräck, Nasenbech und Fensterschwitz. Schmirb die Madl büs ans Knie wenn sie aufgehn in der Früh. 7. Ein gute Arznei für die Jungfrauen, die halbe Nächte in das Fenster schauen. Nim Uhrin von einer Gaiß Keferdarm und Katzenschweis Thu dieses alles zusam und schitl es tol und drünk alle Nacht ein Löfel voll. 8. Ein überaus gutes Mitel, wenn der Bube die Nacht intrambt von ein Kitel. und die Arme aus den Bete reißen, und hernach die Flöhe beisen. Nim ein alte Jungfrauhaut, Hidermist und Gänsekraut. Deck dich damit fleißig zu, so hast du von den Flöhen ein Ruh. Aber ich werde dechten sonst müssen aufhören. sonst könnt dös balt Ärzen lehrnen, und die Doktor brodloß werden und das häten sie dechter auch nöt gehrn. Drum lebt amal wohl ein weil jetzt mus ich auf den Stotzen eill.
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Faust aufs Herz.
Epilog in der Hölle von Christoph W. Bauer 1 zwar weiss er viel doch will er alles wissen und mich zum erkenntnisreigen bitten den kann er haben ich rotier ihn um die eigene mitte den ursprung der lust pflanz ich unter sein haar als rechnung die nur ihm aufgeht schon will er eifrig formeln onanieren um den himmel neu zu vermessen läuft er wie ein hund seinem schwanz hinterher ich tanz ihn mir blutig den falott bis der schwindel kocht in seinen ohren die ohmacht rauscht im kanon mit den meeren sein seelchen ihm aus den gliedern tropft und mir in die arme
4 soll er sich meinetwegen doch verstellen ich führ ihn ein wenig an der langen leine und lass ihn masslosigkeiten bellen runde um runde stärken sie ihm in die beine indes er ihr nachhetzt der wünschelrute o ja das macht er innig gern und ahnt nicht wie der kreis zur schlinge wird der gute dabei wäre gerade dies so leicht zu erhellen wollte er es nur richtig deuten sein bellen nicht ich sondern er ist des pudels kern 5
2 so werden wir ein paar und ziehen über land von einer kirmes zur nächsten steht er seinen mann schlau genug zu erkennen wie schaulust das einkommen steigert lecken seine blicke unter jeden rock greift er flugs zu faulem zauber aus dem lehrbuch der alchemie das gejohle des pöbels bestätigt ihn in seinem treiben ein gaukler ist er doch will er grenzen sprengen und kann die lunte nicht riechen da er die nase zu hoch trägt auf seinem gang zur explosion unter englischen nebeln suhlt er sich im sumpf der vielspracherei steht ihm das wasser des dünkels bis zum hals für ein paar weitere tricks würde alles er geben selbst wenn der teufel ihn ritte wälzt er im saft seiner reden na wart nur du narr das sei mir befehl I’ll suck the soul out of you fuck you dry 3 zu derb war ihm das er möchte die tonlage wechseln und luzifer mit dem belzebub der maskerade provozieren in ehrwürdigem duktus buhlen um den wissensschatz mag er sein verlangen auch verzweigen in versen den inhalt seiner träume kaschieren was ihn treibt verhilft mir so oder anders zum sieg er bemüht sie hart die klassischen gesetze hör ihn aus göttlichem mund seine phrasen dreschen solang er auf der erde lebt zitiert er des firmaments gemeinplatzträchtige sätze was solls es irrt der mensch solang er strebt
seis drum er kann das ohnehin nicht begreifen denn verstehen hiesse sich abwenden von der gier doch wird die frucht der askese niemals in ihm reifen seine lust ist mein garten den mach ich ihm zum turm ohne tür und spreche mit ihm wenns sein muss auch in reimen schau nur da stehst du nun du armer tor ich mach dich klüger als zuvor dies angebot will er nicht verneinen schon hat er angebissen und sich in meine fänge getrieben für das bisschen panorama auf allwissen und glück den pakt mit mir körpersaftig unterschrieben 6 das ist fürwahr ein leichtes gewesen nur seine eitelkeit ist kaum zu ertragen wo will er bloss hin mit all seinen fragen hat er den kontrakt denn nicht gelesen mir scheint er glaubt er kann mir entfliehen in seinem windschatten werde ich mit ihm ziehen mich loszuwerden in rätseln ist ein sinnloses streben ja frag nur frag dich um dein leben 7 schau an der bund mit mir war ernst gemeint eh ich mich verseh hat es sich ausgereimt mit idiomen will er mir nun kommen mit gott verlassenen tälern und lädt mich ein in von grobschlächtigkeit gezimmerte stuben wo stammtischbrüder ihre humpen leer jodeln wie lange der korse wohl die welt noch regiert indessen partisanen sich zum
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freiheitskampf rüsten möchte er mit mir durch die lande promenieren und lächelt viktoria zeichen rund um die uhr ahnt er doch immer noch nicht dass er als autor einer posse fungiert deren muse ich bin auf dem podium seines glücks glaubt er regie zu führen und mit dilettantischer darbietung mich zu düpieren rasch küss ich ihn mir gefügig den geck
schönste die einst mit paris durchbrannte eine augenweide für die so mancher sein leben liess auf den schlachtfeldern des epos ich will ein neues dir schreiben helena sollst du kriegen ich rekrutier sie ins heer deiner sehnsüchte mach dich zum general deiner triebe bin der famulus deiner lust 11
8 schon hör ich ihn seine wünsche deklamieren er bringt sich um die seele und eine neue facette ins spiel nicht wissensdurst treibe ihn sondern leiblicher hunger zaubert die karte der armut aus dem schäbigen ärmel überrascht mich sprichwörtlich bei der erfindungsgabe seiner not verschlägts mir die diabolischen sinne vor seinem anliegen schreck gar ich zurück will er doch dass ich ihm den gekreuzigten ins gelass bringe nie und nimmer kruzifix
schon treibt ers mit der heidin vor den augen des herrn seine anmassende gier gebiert mir ideen in der eigenen stube sollst du hängen und selbst sein das amen im gebet vergiss jesu christ den leporello des himmels jag ihn zur hölle und die apostel gleich mit sie waren schon verraten eh der hahn dreimal krähte dein bajatz will ich sein bis in alle ewigkeit zur verfügung dir stehen du bist hör mich an der wahre messias gewährst du mir nur noch einen letzten reigen das welten schicksal zu wenden das offerier ich dir
9 12 doch macht er vor seiner herkunft einen knicks und die sturheit zum sprachrohr seiner rede pocht auf den kontrakt was bleibt mir anderes übrig als mich seinem starrsinn zu beugen soll er ihn doch haben seinen aufblasbargott in flagellantenträumen ihn himmelwärts zu vögeln wird er sich noch wünschen schnitz ich dem heiland die leidensflügel erst zurecht klopfe den sohn des tischlers ihm ins getäfel der kammer zwischen ächzende zargen und balken auf dass gebete sich täglich aufs neue von der sünde frei nageln und wie sein blick zum hammer gleich wird der rosenkranz zur dornenkrone hab ichs mir doch gedacht
rotiere mich blutig kreisle mich aus den gliedern ich weiss schon zu viel will nichts mehr von mir wissen und mich endlich aus dem veitstanz entlassen in den mich der allweiser einst getrieben als produkt seiner ohnmacht aus der du mich rettest dank deiner heilandigen güte sieh nur wie einfach es ist die rollen zu wechseln wie ich aus mir tropfe dir in die arme es liegt sich so weich im anderen werde ich mich los samt meiner satanischen pflichten sehe den plan aufgehen wie die sonne als stigma des jüngsten tags 13
10 was für ein erbärmliches theater es zwingt ihn in die knie und treibt mich in die enge muss ihn erlösen von seiner qual sonst ist seine seele für immer verloren mein spiel plan verlangt nach einem weiteren akt zum soufflierkasten schreinre ich ihm das ohr will ihn aus dem herrgottswinkel locken mit dem don juan des gemächts lässt sich ein jeder bei der ehre packen sieh da ist sie die
ach was wird es doch hell jetzt ja darf es denn wahr sein wer führt mich vors licht und dessen kathedralen geisselt mich im schnür boden seiner gedanken wechselt einer die kulissen zieht den vorhang hoch zur tragödie x-ten teil auf der bühne der prophezeiung bei allem was gott ist ich bin als wiederspruch sein wiedergänger mephisto der nie schläft muss ich faust aufs herz bekennen ich habe geträumt
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Herr Luft sorgt vor
Andreas Altmann hat als Autor von Reisebüchern die halbe Welt gesehen. Jetzt auch Innsbruck. Fragestellung: Macht Sesshaftigkeit intolerant? Eine Polemik Tatort Manhattan. Nur ein leises Wimmern war zu hören. Es war George F., der hinter seiner Wohnungstür seufzte. Undenkbar für ihn, sie zu erreichen. Der Weg zu ihr war verbarrikadiert, wie die fünf Meter zum Telefon, zum Fenster, zum Balkon. Das Röcheln rettete ihm das Leben, ein Passant kam vorbei und verständigte die Feuerwehr. Mit schwerem Gerät musste George ins Freie gehievt werden. Die Diagnose war ein Kinderspiel, die Krankheit schien weit verbreitet: Der Dicke hortete. Er konnte von nichts lassen, seine Wohnung glich einer Müllhalde, er war ein Weltmeister der Sesshaften geworden, er saß fest, sogar der Katzensprung zur Tür – und hinter jeder Tür wartet die Welt – war ihm verschlossen. Er siechte in der eigenen Unbeweglichkeit. Tage nach der Evakuierung besuchte ihn ein Reporter. Beim Interview erwies sich George, der Anhäufer und Weltverweigerer, als Flachkopf. Millionen Blatt Papier lagen bei ihm herum, alle gelesen und nichts verstanden. Seltsame Sätze über Nicht-Weiße und Nicht-Amerikaner kamen dem Fettfleck über die Lippen. Ganz offensichtlich, auch sein Geist verwitterte. George roch. Nach kleinem Leben, nach immer dem eigenen Bauchnabel. Tatort Innsbruck. Ich besuche das Wüstenrot-Büro. Ich nenne mich ab sofort Thomas Luft und mache mir Sorgen um meinen 14-jährigen Sohn Ferdinand, ich will ihn versorgt wissen. Die liebe Bernadette K.* bittet mich, Platz zu nehmen. Sie sorgt sich gleich mit und lässt seitenweise Versorgungspläne ausdrucken, legt einen Trumpf nach dem anderen vor: Dynamisches Bausparen, 80 %-Jubiläums-Bonus, VorsorgeSparenPlus, CleverBausparen, 4%-Prämiengarantie, Effektivverzinsung, Maximales Guthaben. Lauter Wörter, die Ferdinand die blaueste Zukunft versprechen. Leider spricht Bernadette nie die Wörter Jetzt oder Heute oder Gegenwart aus. Alles, was sie hier verkaufen, ist Zukunft. Für sie sollen wir uns „rüsten“. Für das augenblickliche Leben trainiert hier niemand. Ich frage Bernadette, was ich tun soll. Dem Sohn zum 18. Geburtstag – nach Bestehen der Matura – eine
Weltreise schenken oder ihm einen Grundstock legen zur finanziellen Absicherung? Jetzt schwankt Bernadette, Weltreise klingt schon sexy. Sie schwankt, fällt aber nicht, bleibt allen Ängsten treu: „Nein, unbedingt Sicherheit!“ Okay, nach den ersten sieben Jahren Sparen könne neu über die Welt verhandelt werden, Bernadette, wunderbar kryptisch: „Denn dann hat das Geld einen Wert.“ Die Wüstenrot-Menschen gehören in die umtriebige Berufsgruppe der „Fessler“. Die uns fesseln, anbinden, festzurren, uns zum Sitzen und Sitzenbleiben verführen, verführen suchen. Nun denn: Gebiert Sesshaftigkeit tatsächlich Intoleranz? Nicht unbedingt, aber es schafft das nötige Biotop, die bleierne Temperatur, das muffige Klima. Denn wer sich bewegt, fortbewegt Richtung Fremde, Richtung Fremder, der riskiert, dass seine Urteile und Vorurteile auf der Strecke bleiben und Erfahrungen über ihn kommen, die ihn reicher machen, geistreicher, ja ihn irgendwann dazu überreden, den anderen – was für ein Scheißwort – zu „tolerieren“, zu dulden. Dennoch, angesichts der wild wuchernden Hirnlosigkeit auf Erden wäre das ein Fortschritt. Absurde Träume. Statt einen 14-Jährigen (und seinen Vater) mit der Peitsche zurück auf die Straße zu jagen, richten sie ihn zum Frühgreis ab. Um in einem Wüstenrot-Häuschen – gebuckelt von Hypotheken und Ratenzahlungen – seine Restzeit abzusitzen. Wie soll der Mensch da Zeit finden für die Welt? Für Weltwachheit? Für Bücher? Für Entwürfe jenseits der eigenen Schädeldecke? Wie noch Geld haben fürs Wandern in verborgene Länder? Hin zu Männern und Frauen, die so verdächtig anders sind als er? Ich irre durch Innsbruck, bin immer noch Herr Luft, der seinen Sohn in Sicherheit bringen will. Im Rathaus wachse ich über mich hinaus und schaffe tatsächlich den Satz, dass „Ferdinand Beamter werden wolle“, frage eisern, wo und wie er damit anfangen soll. (Hätte ich im wahren Leben einen Filius, der sich zum Duckmäuser und Aschfahlen züchten lassen will, ich würde ihn meucheln.) Aber die Stadt „verbeamtet“ nicht mehr, hier gäbe es nur noch Angestellte, ich müsse zum Landhaus. Im schönen neuen
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Landhaus 2 bekomme ich eine imposante WebsiteAdresse (www.tirol.gv.at/themen/bildung/bildung/ sch_formulare.shtml), von der ich mir Formulare runterladen könne. Um alles zu wissen über eine Karriere als Tiroler Lehrer. Im alten Landhaus sitzt die schöne Emilie H.*, sie hat das Formular gleich in der Schublade. Schwarz auf weiß und ungetröstet kann es jeder mitnehmen. Noch untröstlicher wohl für jene, die dabei erfahren müssen, dass laut Emilie auch das Land „immer weniger Beamte einstellt“. Sie sagt den unschuldig-verräterischen Satz, dass sie „der Regierung zu teuer kommen.“ (Wie lange doch ein Staat braucht, um die einfachsten Tatsachen ausfindig zu machen.) Da Emilie Beamtin ist, träumt sie immer nur von A nach B, sprich, sie träumt von einer „sicheren Basis“. Von einer Weltreise für einen 18-Jährigen will sie nichts wissen. Sie widerspricht mit Nachdruck. Günter Grass wurde einmal gefragt, was er als Diktator unternehmen würde. Zwei Taten, meinte der Meister: das Beamtenrecht abschaffen und hinterher mich als Diktator. Ein Freudenschrei für jeden, der mir jetzt über den Weg liefe und seine Phantasien und Eroberungen ausbreitete, mir stundenlang redete von seiner Sucht nach „woanders“, nach anderen Gedanken und Entwürfen, einer eben, der andere nicht duldet, sondern darauf besteht, sich an ihnen zu bereichern. Und sie zu bereichern. Einer, der aufmacht, nicht zuriegelt, einer, der federt, nicht hockt. Aber ich bin noch immer Herr Luft, der Irrläufer, und verlaufe mich ins Tirol Beisl.* Hier ist es duster und schon – 14.11 Uhr – kleben drei Barflies auf den Kneipenhockern. Sie stieren über den Tresen und wachen alle paar Minuten auf, um ein Bier hinunterzugurgeln. Ich bin frech und unterbreite einem der Glasigen einen Deal (eines meiner Lieblingsspiele): Ich biete ihm dreitausend Euro fürs Saufen und er gibt mir dafür ein Jahr seines Lebens. Das ist ein unsittlicher Antrag, aber der Dicke lässt sich nicht provozieren. Das Jahr will er behalten. „No deal“, sagt er auf Tirolerisch. Die Kaschemme scheint sein zweites Wohnzimmer, hier fühlt er sich sicher vor (geistiger) Frischluft. Wir kommen über zehn Sätze nicht hinaus. Bald übermannt Manfred* das Verlangen nach Stille, nach einen Ort ohne lästige Deutsche. Tot schaut er an mir vorbei.
Das Treffen mit dem Pfarrer streiche ich, obwohl bereits telefonisch mit ihm verabredet. Ich erinnere mich plötzlich an den Katechismus-Unterricht in meiner Jugend, weiß wieder, dass Religionen eine Brutstätte der Intoleranz sind. Zudem plagen mich bisweilen schlechte Manieren. Ich würde Hochwürden ins Wort fahren und mir das Blabla allein seliger machender Wahrheiten verbieten. Ich will einen Held treffen, keinen Aufsager weihrauchranziger Weissagungen. Und Innsbruck schenkt ihn mir, den Kämpen. An einem höchst unerwarteten Ort, mitten im Allianz-Gebäude. Wo mein letzter Versuch stattfinden sollte, die Zukunft meines Sohnes zu organisieren. Ich werde zu „Finanzdienstleistungsspezialisten“ Reinhard S.* geführt und ein Wunder holt aus. Natürlich legt mir der Spezialist die Mappe „BonusLife“ vor, rattert „je früher, desto besser“, „monatlich abrufbar“, „Kapitalgarantie“ und 20 andere schonungslose Wörter herunter. Natürlich. Aber dann hechte ich dazwischen und stelle ihm die Frage aller Fragen: „Weltreise oder Spareinleger?“ Und aus dem Ratterer wird ein sinnlicher Mensch. Was für eine seltsame Alternative, ruft er entzückt, klar reisen, klar weltreisen. „Unbezahlbar“ wäre das, ja die Gelegenheit, „Eigensinn“ zu üben. Der Mann hebt ab, erzählt, wie er als junger Kerl durch die USA radelte, wie er noch heute sich nährt von den damaligen Begegnungen. In der Schule – und in diesem Moment wird S. zum Superstar – müsse das „Pflichtfach Welt“ eingeführt werden. Als Gegengift im Kampf gegen die Scheuklappen-Seuche, „vor der so viele hierzulande infiziert sind.“ Reinhard S. wurde mein Gott. Trotzdem muss ich ihm widersprechen. Beamte mit Recht auf lebenslanges Umbetten, schwadronierende Pfaffen, bedenkenschwere Entwerter und andere Angsthasen, die schon früh das Sterben üben, sie alle sind global zu haben. Auch bei mir ums Eck in Paris. Denn Innsbruck ist München ist San Francisco ist Peking ist Adelaide ist Buenos Aires ist Macondo. Der Mief steingegossener, ewig sesshafter Gedanken, er geht allerorten um. Dabei ist der Unterschied zwischen den blindwütigen, engherzigen Stubenhockern und den Zeitgenossen mit den Flügeln unter den Sohlen und den weit weit durchlüfteten Hirnschalen eher winzig. Nur sieben Buchstaben lang, nur ein Flüstern, nichts als eine Ahnung: Neugier.
* Name geändert
Foto: Günter Richard Wett
01 Lois Weinberger: Perfekt provisorische Gebiete. Ein Kellner hört sich Cage an. Bert Breit und die Tonart der Würde. Die Nudelsuppe und der Aktienmarkt. Marina Abramovic in Franzensfeste. Tod eines Begräbnisses. Walter Niedermayr defloriert Ben van Berkels Gelben Raum. Blasmusikarchive, quergelesen. Originalbeilage von Wolfgang Mitterer und Erdem Tunakan. 02 Über die Frau, die einen Tag lang berühmt war. Johannes Maria Staud über Schall und Rauch. Zentrale Vomperberg, eine Durchleuchtung. Egyd Gstättners Spritzfahrt in die Besamungsanstalt. Pergine: Gschichte eines Narrenhauses. Kipferl, Krapfen, Wunder. Max Reinhardt stinkt ab. Originalbeilage von Richard Hoeck. Joseph von Westphalen ist dagegen. 03 Freiwillig wohnen bei 130 km / h. Martin Gostners fiktive Spurensuche nach John Steinbeck. Kleines Lexikon geläufiger Wörter. Paul Albert Leitner folgt W. G. Sebald. Die Taube im 5/4-Takt. Erika Wimmer in der Eifersuchtsambulanz. Ein Buchbinder aus Reutte in Lima. Händl Klaus schreibt Hundertpfundgedichte. Der Komponist Peter Zwetkoff redet nicht. Landvermessung, Anleitung zur Blutnudelzubereitung inklusive. Reinhold Messner monologisiert. Reise durch die Gedankenwelt des Bruno Taut. Originalbeilage von Julia Bornefeld. Ferdinand Schmatz weit weit vorn. Andrea van der Straeten beweist: Das Medium Ölbild lügt! 04 Candida Höfer fotografiert Innsbruck. Der Moralist und die Tänzerin. Ferdinand Schmatz schreibt linke Seiten. Radio Horeb und andere Tatsachen. Ruedi Baur an der Grenze zum Glück. Wer schrieb das Kufsteiner Lied? Sabine Gruber über leere Räume. Fünf Architekturbüros entwerfen Schutzhütten. Andreas Maier fährt nach Galtür. Kirche als Krankheitserreger. Alfred Komarek und das Diktat der Masse. Kultursäle im Breitbildformat. Hören Sie Castiglioni! 05 Walter Obholzer: Fragezeichen, Rufezeichen. Ulrich Ladurner und die Fünf vom Brunnenplatz. Der Komponist (Beat Furrer), sein Interpret (Gerald Preinfalk), ein Gespräch. Musil als Schriftführer der Soldatenzeitung. Hans Platzgumer über Ornamente und Otakus. Nikolaus Schletterer fotografiert Wasserspeicher. Die Ton-Architektur des Bernhard Leitner. Paul Thuile zeichnet im Zollhaus am Brenner. Heinz D. Heisl über das Wörtereinatmen an Abrißbaustellen. Stefanie Holzer und Walter Klier auf Landvermessung. Originalbeilage von Martin Walde. Augenblick: Gutachten von Gebhard Grübl, the next ENTERprise, Rudolf Taschner und Bernhard Lang. 06 Ernst Trawöger Arbeiten. Nur noch 15 Fragen bis zur Million. Fabian Kanz liest aus Knochen, Haaren, Zähnen. Der Tiroler Dirigent und die DDR. Bernhard Kathan beschreibt Architekturbeschreibung. Christoph Simon steigt auf den Hohen Fricken und findet eine Erzählroute. Irene Prugger hatte Glück. Ulrich Ladurner war am Reschensee. Dorit Margreiter ganz im Westen. Und am Horizont die Gefahr, sich zu verlieben. Fünf Einfriedungen inklusive: Anton Würth, Rolf Glittenberg, Moser Kleon Architekten, Maria Brunner, freilich landschaftsarchitektur.
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Die Kulturzeitschrift für den Dauergebrauch!
Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 2/ 03 E 12,–
Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 1/ 03 E 12,–
Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 3/ 04 E 12,–
Über die Frau, die einen Tag lang berühmt war. Johannes Maria Staud über Schall und Rauch. Zentrale Vomperberg, eine Durchleuchtung. Egyd Gstättners Spritzfahrt in die Besamungsanstalt. Pergine: Geschichte eines Narrenhauses. Kipferl, Krapfen, Wunder. Max Reinhardt stinkt ab. Originalbeilage als Überraschung. Joseph von Westphalen ist dagegen. Die neue Kulturzeitschrift
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© Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien
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„Ich bin, wo ich immer war.“ Landvermessung No. 2, Sequenz 2 Durchs Gaistal bis Wildermieming
Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Derzeit befinden wir uns auf einer Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen Richtung Oberes Vinschgau führt. In der aktuellen Folge ist Schauspieler und Regisseur Sven-Eric Bechtolf in seiner schwersten Rolle zu bewundern: die Bewältigung einer Bergwanderung über die Niedere Munde. Ein Triumph, ein Tatsachenbericht. Nie im Leben bin ich wandern gegangen … halt, doch, natürlich bin ich: am Wandertag! Der Wandertag diente dazu, den Klassenlehrer sich mit seiner Klasse in der schönen Natur vertrauter machen zu sollen. Der Mann hieß Stowasser und meines Wissens ist ihm dies nie gelungen. (Mich, der ich ein notorischer Störenfried und Nichtsnutz war, verdonnerte er zu unzähligen Strafdiensten; so musste ich einmal, für den Nachmittagsunterricht einer oberen Klasse, Rinderaugen mit ihm präparieren, in kleine orangefarbene Plastikschüsseln hineinglitschen lassen und auf den Tischen verteilen. Noch heute starrt mich das blaue Gallert dieser Augen in meinen Alpträumen an. So viel zu Stowasser.) Ich jedenfalls hasste die Schule, die Lehrer und das Wandern. Endlos ging es über staubige Wege, vorwärts getrieben von der unbegreiflichen Marschlust meiner Mitsklaven. Bald hasste ich auch die Schüler. Es wurde gesungen. Ich hasste das Singen, „wem Gott will rechte Gunst erweisen …“. Ich trödelte missmutig hinterdrein und holte nur auf, um Proviant zu schnorren. Der sehr hoch gewachsene Stowasser indes musterte, einen Grashalm im Mundwinkel, die weizenfarbenen Scheitel seiner Schutzbefohlenen. Blumen, Bäume und Berge waren grünstichige Fotografien, Kulissen, in denen nur die Insekten lebendig schienen und an denen ich achtlos vorbeistapfte. Während ich hier alle meine Volksschulwandertage auf einen Haufen werfe, sehe ich unter meinen Lidern meine marschierenden Kinderbeine: kurze Lederho-
sen, graue Socken und geflochtene Sommersandalen. Außerdem besaß ich einen Rucksack und eine Feldflasche, die mit Himbeersaft gefüllt war. Diese Requisiten gefielen mir allerdings. So träumte ich mich als Held eines Strafbataillons in die Steppen einer feindlichen Fremde, getrieben von dem despotischen General Stowasser, der grauenvoll dürr und lang wie ein zielstrebiger Storch uns voraus stelzte. Verhasst waren mir auch meine Schulwege. Hin – das hieß mit schlechtem Gewissen einem unentrinnbaren Schrecken entgegengedrängt zu werden –, zurück – die neuesten Berichte meiner Schande ins Elternhaus tragen. Bald hatte ich eine mönchische Technik der Selbstvergessenheit erlernt. Meine Beine mochten wohl gehen, ich selbst aber war nicht mit dabei. Ich hatte mich in Sicherheit gebracht. Ritt Pferde in Argentinien zu, war abwechselnd Goldgräber, Romancier, Lottomillionär oder Großkünstler. Erreichte ich endlich die Schule oder das Elternhaus, wusste ich oft nicht, wie ich dorthin gelangt war. Diese täglichen Wanderschaften sind mir ihres unwirklichen Traumcharakters wegen und der rauchhaften Ahnung meines Ungenügens in bedrückender Erinnerung. Als ich schließlich – meine Zeugnisse waren immer desolater geworden – von den Eltern in ein Internat ausgelagert wurde, verdichtete sich meine Wanderabneigung zur Wanderfeindschaft. Einer der Erzieher, ein vierkantköpfiges Scheusal, von uns „Klotz“ genannt, hatte sich seine Treue zum Führer bewahrt. Er trug paramilitärische Uniformen, re-
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parierte Borgward-Geländewagen, die er bei Bundeswehrauktionen erstanden hatte, und spielte auf seiner „Klampfe“ abscheuliche Piratenlieder. Klotz war ein Wandervogel und die Wandervögelei war wohl auch der Zweck seiner Erziehungsmaßnahmen …, denn natürlich habe ich ihn im Verdacht, dass er im Scheine des Lagerfeuers dem Jungvolk gerne mal den Allerwertesten getätschelt hat. An einem regnerischen und absolut ereignislosen Internatsnachmittag jedenfalls gefiel ich mir darin, meinem gähnenden und schwer pubertierenden Zimmermitbewohner Kai W. die Schönheiten des Zirkuslebens zu schildern. Eben illustrierte ich auf ebenso drastische wie packende Weise die Kunst des Messerwerfens, und zwar mit Hilfe eines riesigen Dolches, den ich, lässig am Fenster stehend, mit Gewalt Richtung Tür warf, wo er zitternd stecken blieb, als Klotz dieselbe öffnete … Die demolierte Türe müsse zum Tischler in die Stadt. Wie ich dort hingelangen solle? Zu Fuß! Der W., ein ebenso missratenes Subjekt wie ich es sei, habe ja immerhin dämlich lachend zugeschaut, daher hätten wir beide die Türe eigenhändig hinzutragen. Wäre Klotz eine Sekunde vorher hereingekommen, hätte ihm das Messer die Stirne gespalten und die Türe würde heute noch in ihren Angeln hängen … Nun ja, die Wege des Herrn sind unergründlich; unserer wurde zumindest lang, denn die Stadt war etwa 15 Kilometer entfernt. Hin- und Rücktransport der Tür, bei Hitze, auf Landstraßen, an Raps- und Zuckerrübenfeldern entlang, immer mit dem protestierenden W. im Bund – das alles gehört zum Erniedrigendsten, Mühseligsten und Idiotischsten, was ich je getan habe. Vermutlich waren wir pro Wegstrecke sechs Stunden mit dem schweren, unhandlichen Trumm unterwegs. Das Beschämendste daran war allerdings das Gefühl, zu Recht von diesem Arschloch bestraft worden zu sein. Was das alles mit der Mieminger Kette, der Niederen Munde und dem lieblichen Gaistal zu tun hat? Das wird sich gleich weisen. Nur der Reihe nach. Vor einigen Monaten und 33 Jahren nach dem Türtransport hatte ich über längere Zeit mit anonym blei-
ben wollenden Tirolern zu tun. Im Einzelnen zu beschreiben, womit diese gemeinsame Zeit verbracht wurde, würde uns wieder vom Weg abbringen, den wir noch gar nicht eingeschlagen haben. Jedenfalls wurden die Tiroler zu Initiatoren dieser Wanderung. Und das kam so: Ich erzählte von meinem Besuch in einem Fußpflegeinstitut in Hamburg-Eppendorf und meiner Abneigung gegen meine eigenen und gegen fremde Füße, die ich immer als missratene Runkelrüben und wurzelähnliche und damit zu Recht in ledernen Behältnissen versteckte Missgeburten ansah. Es gibt keine schönen Füße, wie es etwa sehr wohl schöne Hände gibt. Ein Fuß bleibt immer ein in seiner Schande leicht schwitzendes, milchiges oder hornhartes Ding. Basta. Die Tiroler lachten. Allen voran der, den ich aus Gründen der Diskretion Sherpa Reblaus nennen will. Von den Füßen aus war es kein langer Weg zum Wandern und von dort nur noch zwei Gläser Grauburgunder von meiner Zusage entfernt, mit dem Sherpa Reblaus irgendwann im Oktober die Niedere Munde zu besteigen und darüber Zeugnis abzulegen. Mein Analytiker ist überzeugt, dass die toten Kuhaugen von Stowasser, die Wandertage, das Schulversagen, der surrealistische Film, in dem ich eine nationalsozialistische Eichentüre durch die Landschaft trage, dass diese traumatische Melange letztlich zu meiner Berufswahl, Schauspieler und Regisseur, und zu meiner pathologischen Fußfeindschaft geführt haben müsse. Der darstellende Künstler sei immer aus einem Defizit heraus tätig, das kein Lob und keine Anerkennung dieser Welt zu heilen tauglich sei, daher sei diese Wanderung eine therapeutische, die seine ganze Unterstützung fände und mir die Möglichkeit böte, mich mit meinen Füßen, dem Wandern, diktatorischen Lehrern und einer nur aus der Verdrängung meines Versagens herrührenden Fantasie zu versöhnen. Kurzum, ich flog mitten aus meinem besinnungslosen Theaterleben in Wien nach Innsbruck. Ich kam spät am Abend an und Sherpa Reblaus und der Philharmoniker, kurz Phil genannt, holten mich
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ab. Das Hotel war schön, das Badezimmer sah aus wie Mussolinis Büro, alles in braunem Marmor und 200 Quadratmeter groß. Zur Einstimmung begaben wir uns noch in eine Vinothek, wo der Sherpa seinem Namen gerecht wurde: Wir verköstigten das beste, was Tirol zu bieten hat, aßen geräucherten Schinken, während die Landkarte ausgebreitet wurde, um mich mit den Plänen des morgigen Tages vertraut zu machen. Jawoll! So stelle ich mir eine zünftige Wanderung vor! Wein, Schinken, und den Finger auf der Landkarte! Mehr brauche ich nicht! Inzwischen war es spät geworden, aber wir zogen noch für ein Fläschchen Roten in die Wohnung von Phil und gingen die Sache nochmals durch. Gegen drei Uhr morgens lieh mir Phil seine Wanderstöcke, mit denen ich feixend im sich langsam drehenden Hausflur stand, um wie auf Skiern die zwei Stockwerke herunter zu wedeln. Zeit fürs Bett, Phil würde uns um halb zehn abholen und nach Leutasch fahren und dort den Sherpa und mich unserem Schicksal überlassen. So geschah es. Bei strahlendem Wetter nach einem hastig verschlungenen Frühstück kommt Phil munter und unverkatert („der Wein war guat“) mich abholen. Was für eine Kondition haben diese Naturburschen! Teufel, Teufel. Also lasse ich mir meine Alkoholvergiftung nicht anmerken und wir fahren zu Sherpas Quartier. Der hat unseren Reiseproviant vorbereitet, steigt tatenfroh ins Auto und hat auch keinen Kater. Wie wunderbar ist eine Landkarte. Man sieht auf die wild gefältelte Natur und fühlt sich wie die beiden Blondinen auf der Parkbank. Die eine: „Was ist eigentlich weiter weg, der Mond oder London?“ Die andere: „Hallo!!???!!! Hallo!!??!! Kannst Du London sehen?“ Ich jedenfalls sah erst auf dem Parkplatz, von dem aus der Ganghoferweg durchs Gaistal führt, die Hohe Munde, die Niedere Munde, Karkopf und Hochwand. „Da müsst ihr dann hinauf“, bemerkte Phil mit sardonischem Grinsen, das ich kaltblütig erwiderte, mir sicher, dass es sich um einen typischen
Tiroler Scherz handeln müsse. Der Sherpa setzte eine undurchdringliche Miene auf und führte mich ins Gaistal hinein, Phil entschwebte auf der sanft schnurrenden Wolke seines Volvos Richtung Deutschland. Das Gaistal ist schön. So schön, so überirdisch schön, dass ich, wie in den längst vergangenen Kindertagen, dass Gefühl hatte, es könne nur eine Kulisse sein. Oder Einbildung. Hätte ich eine große, scharfe Schere bei mir gehabt, so hätte ich versucht, den blauen Himmel wie eine Folie aufzuschneiden. Der fast weiße Sandweg führt sanft geschwungen durch den herbstlichen Wald. Ein Bach strömt friedlich von der Höhe, es geht über eine Holzbrücke weiter immer den Ganghoferweg entlang. Es öffnet sich bald beidseitig der Blick auf die Berge, die in den türkisfarbenen Himmel ragen. Zugspitze und Wettersteingebirge rechter Hand (Teufelsgrat, Hundsstallköpfe, Hochwanner, davor Predigtstein, Schönberg, Hochwannigkopf … wie mir doch diese Namen von der Zunge gehen), linker Hand die Mieminger Kette … mit dem majestätischen bzw. mit der majestätischen Niederen Munde. Im Moment halte ich es noch für Tiroler Hintersinn, dass wir da hinaufwollen. Während des Weges, auf dem ich scheinbar mit dem Sherpa Konversation pflege, horche ich unentwegt in mich hinein. In den letzten zehn Jahren bin ich maximal 400 Meter am Stück gegangen, und das ohne irgendwelche Erhebungen seitens des Fußbodens. Vermutlich war das im Frankfurter Flughafen. Mit meiner Kondition steht es also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Besten. Was, wenn ich nach 45 Minuten mit einem Kreislaufkollaps ins Unterholz sinke? Ruhig atmen, Sven. Es geht nur ein Stückchen bergauf! Ich behandle mich wie ein rohes Ei: Wie fühlt sich die Wade? Was sagt das Knie? Wunderbarer Weise schweigt der Körper still und trägt meine Besorgnisse geduldig spazieren. Nach eineinhalb Stunden beschwingten Wanderns kommen wir zur Gaistalalm. Es riecht nach Holz und Sonne. Wir bekommen Kaffee und Wasser. Die Rentner neben uns vertilgen unglaubliche Mengen: Suppen, Salate und Schnitzel werden gut gelaunt und in großer Menge geordert! Rechts von uns genießt schweigend und sehr traulich anmutend ein etwa 60-jähriges Ehepaar irgendetwas
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honigfarben Paniertes. Ich wage kaum, auf ihre Teller zu schielen. Es riecht wie süße Sünde. Gelegentlich unterbrechen sie den Genuss, fassen sich an den Händen und beratschlagen leisen Tones mögliche Routen zum Weitergehen. Sie kennen sich offensichtlich aus. Während ich mit schlechtem Gewissen an meine Frau denke, die seit 100 Jahren mit mir Wandern will, sage ich tartüffisch zu Sherpa R.: „Schön, in dem Alter so etwas zu unternehmen, so miteinander zu sein.“ Reblaus, der kein schlechtes Gewissen hat, stimmt dem gerührt zu. Das mit dem nagenden Hunger und den Wienerschnitzeln verschweige ich ihm. Es könnte doch ein Aufsatz über eine gescheiterte Wanderung werden, nein? Ich hasse mich bereits für meine windelweiche Faulheit, als der Sherpa zum Aufbruch mahnt. Die Sonne sei noch auf der anderen Seite und der Aufstieg liege im Schatten, jetzt sei es grad ideal. Wenigstens habe ich noch drei Zigaretten geraucht und das erste Tütchen Magnesium geschluckt. Ich bin Hypochonder, was soll ich machen. Wir gehen also wackeren Schrittes auf die nahezu lotrecht ansteigende, mit Föhren, Fichten und Latschen behaarte Wand der Niederen Munde zu. Oben tut sich auch noch eine veritable Felswand auf. Ich schlucke trocken. Entweder wird der Sherpa mich gleich durch einen Tunnel führen, um auf die andere Seite zu gelangen, oder er kennt eine Furt … (Furt? So etwas gibt es nur bei Flüssen!) … dann eine gnädig verlaufende Serpentine vielleicht, die sich im flachstmöglichen Winkel den Berg hinauf schlängelt? Es sieht nicht so aus. Senkrecht, in der direkten Linie steigen wir hinauf, zunächst durch einen von einer Lawine zerfetzten Wald. Silbern stechen die Baumruinen ihre Splitterreste in die Luft. Dann heißt es immer wieder, die Wegmarkierung, einen roten Farbkleckser auf Steinen und Bäumen, suchen. Einen Weg gibt es eigentlich nicht, halbgefrorene Erde, Wurzeln, Schotter, Fels, uneben und mühsam zu gehen. Im Routenführer steht als Wertung: Einfach! Einfach für wen? Für den Sherpa und Gämsen vielleicht. Nicht aber für einen leicht übergewichtigen Schauspieler und Kettenraucher mittleren Alters. Habe ich schlechte Laune? Plötzlich wird mir klar, warum ich nicht weiter
will. Tief in meinem Unterbewusstsein nistet die Überzeugung, dass man nicht, nie und in keiner Beziehung VORAN kommt. Dass alles gleich bleibt, dass ich mich bewege, aber ohne irgendwelche inneren oder äußeren Strecken zurückzulegen. Dass Gehen eine Illusion ist! Ich habe mich sogar im Verdacht zu glauben, dass beim Fliegen die Städte einfach unter mir ineinander und übereinander geschoben werden. Ich bin, wo ich immer war. Nur halt woanders. Ist das die dünner werdende Luft? Fange ich an zu spinnen? Gehen ist keine Illusion. Denn nach etwa 20 Minuten verbissenen Kraxelns, in der ich wenig gesprochen, aber mächtig geatmet habe, bleiben wir stehen und blicken hinab. Donnerknispel! Die Wienerschnitzeltalalmgaisdings liegt schon ziemlich weit und beunruhigend steil unter uns. Bäume gibt es keine mehr. Nur verkrüppelte Latschen. Und mein Herz. Wusste bislang nicht, dass es so schnell schlagen kann, ich glaube, das Blut kann nicht so schnell fließen wie mein Herz schlägt, die weißen, undurchbluteten Herzkammern werden gleich leer gepumpt sein und zusammenkleben und ich werde hier auf der Niederen Munde, an einen halb gefrorenen Tannenbaum gelehnt, noch zweimal japsen und sterben. Unsinn, Schauspieler sterben in Badezimmern. Oder auf Tournee. In Lokalen, die „Jägerstube“ heißen. Nicht draußen. Nicht in der Natur! Das Herz beruhigt sich schnell. Ich habe gehört, dass das ein gutes Zeichen sei. Der Sherpa ist 15 Jahre jünger als ich und schnauft auch! Also weiter. Nach wiederum 20 Minuten denke ich mir, dass wir nun doch wohl knapp unter dem Gipfel sein müssten. Nach unten zu schauen macht bereits schwindlig – und nach oben? Gehen ist eindeutig eine Illusion. Ich hatte Recht! Der Sherpa bemerkt kenntnisreich, dass ihn das selbst immer wieder erstaune. Am Berg dächte man immer, man sei weiter, als man sei. Den auf der Hand liegenden Aphorismus erspare ich mir. Stattdessen sage ich, im Wissen um meine Pflicht, diesen Aufsatz hier verfassen zu müssen: „Sherpa, streng genommen ist ein Berg kein Sujet! Meine Hüfte ist ein Sujet und mein Meniskus und diese Scheißturnschuhe hier an meinen Füßen … das sind Sujets!“ Ich unterbreche mich, weil ich mich auf einer steil abfallenden Felsnase befinde, die ich wackligen Fußes überquere. „Sherpa?“ – „Ja?“ – „Meinst
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du wirklich, dass ich hier raufkomme?“ – „Na, logisch!“ Warum glaube ich ihm? Der Sherpa hat trotz seiner jungen Jahre etwas sehr Vertrauen Erweckendes. Wenn er meint, ich kann’s, werde ich’s wohl auch können. Zwei Stunden später und unglaubliche 2069 Meter hoch kriecht die Sonne über die Munde und wir ihr entgegen auf den „Gipfel“, sagt man so? DREIEINHALB STUNDEN!!! Ich bin euphorisch! Wenn ich euphorisch bin, neige ich dazu, mich dauernd für meine übermenschlichen Leistungen zu loben, aber die Aussicht verschlägt selbst einem narzisstischen Ungeheuer wie mir die Stimme. Pastellfarben öffnet sich die Welt. Von den Stubaier Gletschern bis London, mindestens. Das Mieminger Plateau und Berggipfel um Berggipfel schwimmen im Hauch irgendeines überirdischen Herbstsonnenscheines. Hosianna. Kein Schwein kann das beschreiben. Auch Adalbert Stifter nicht. Ich fotografiere es immerhin. Schwitzend, keuchend, gläubig. Wie gut, dass wir hier heraufgekommen sind. Ganz deutlich habe ich das Gefühl, dass etwas Wesentliches sich mir darbietet. Etwas Gewaltiges, Vollkommenes, das ich weder verstehen noch erfassen noch schildern noch fühlen kann. Etwa wie die Fliege, die auf der Windschutzscheibe eines geparkten Wagens sitzt und versucht, den Tacho abzulesen. Da sind noch Leute. Rote Pullover stehen in der Aussicht und ich werde hungrig. Die Leute sind freundlich. Sie duzen sich und uns und alle. Griaß enk! Ich mag Tiroler. Griaß enk. Griaß enk. Der Sherpa hat Proviant die Menge. Ich esse 1. ein gekochtes Ei mit Salz, 2. Brot (die Menge), 3. Wurst (die Menge), 4. eine Birne, 5. vier Schokoladenkekse abzüglich drei Krümel für die Dohlen, 5. trinke ich einen Almdudler, 6. eine Cola, 7. klares Wasser, davon aber vorsichtig, weil ich kein Sherpakameradenschwein werden will. An der Stempelstation stemple ich mich mit dem festen Vorsatz, nie mehr ein Stück Seife in die Hand zu nehmen. Ich muss zwanghaft weiterfotografieren. Dann geht es abwärts Richtung Wildermieming bzw. zur Strassberghütte. Der Schotter treibt mich in den Wahnsinn, dauernd rutsche ich aus. Ich komme mir
tölpelhaft vor und wütere. Der Sherpa, vorweg tänzelnd, lacht ein buddhistisches Lachen. Zwei Stunden später, auf der Lichtung eines Laubwaldes, stoßen wir auf die verkohlten Reste menschlicher Zivilisation. „Schätze, das waren Komantschen. Oder Irokesen …“ Der Sherpa lacht und wir prüfen das Echo. „Ich kann ihre verdammten Ponys atmen hören!“ Bis zur Strassberghütte bleiben wir im Wilden Westen, waten durch den Yukon, selbst gewaschenes Gold im Rucksack, um es endlich im Saloon zu versetzen. Doc und der Reverend reiten in die Stadt. Das Bier in der Strassberghütte war das beste, was ich je getrunken habe. Wirklich. Kalt, würzig, erfrischend! Fast hätte ich nach dem Rezept gefragt, aber dann war es doch ein Franziskaner … Weiter, noch mal talwärts und dann kommen wir aus dem Wald tatsächlich auf eine Straße. Kühe, Kirchtürme und über den Felsen der Mond. Mir werden die Knie weich. Pflaumenblauer Abendhimmel, ein Vollmond für Wölfe. Und das Ziel erreicht. Ich fotografiere den Sherpa, der mir vorweg, unseren Rucksack auf den Schultern, in den Abend geht. Hat ihn doch die ganze Zeit allein getragen. Da schäme ich mich ein bisschen. Drehe mich nochmals um und fotografiere den Mond. Jetzt glüht er als mein Bildschirmschoner. Am nächsten Tag nämlich war ich schon wieder in Wien. Theater und Proben und dies und das und tralala. Wenn ich Heimweh nach dem letzten Sommertag habe oder von mir aus nach dem fünften Tag des Herbstes, schau ich mir die Bilder an. Wenn ich Heimweh habe nach „draußen“, schaue ich mir die Bilder an. Fotos … na ja! Aber den Mond hab ich noch und die Irokesen. Und den Blick ins Tal. Und den Sherpa auch. Danke Sherpa Reblaus. Füße gehen doch in Ordnung. Wandern auch. Griaß enk Gott.
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Das Einfamilienhaus als Weltmodell: Bernhard Kathan schreibt die Mentalitätsgeschichte eines Landstrichs. Mit 168 Abbildungen (Seiten 106 bis 111) 1 Viele der in den fünfziger Jahren errichteten Einfamilienhäuser sind längst abgerissen oder so umgebaut worden, dass das ursprüngliche Bauwerk nur mehr schwer zu erkennen ist. Bereits in wenigen Jahrzehnten wird man Mühe haben, ein Einfamilienhaus aus den siebziger Jahren zu finden, das unverändert erhalten geblieben ist. Während die moderne Zweckarchitektur in sehr kurzen Zeiträumen denkt, wird für das Einfamilienhaus von seinen Erbauern eine Bestandsdauer angenommen, die weit über das eigene Leben hinausreicht. Das Häusl lebt vom Versprechen, für die eigene Familie eine sichere Behausung – und zwar über Generationen hinaus – zu schaffen. Wer sich ein Häusl baut, tut dies im Wissen, dass die letzten Schulden erst in Jahrzehnten abbezahlt sein werden. Tatsächlich steht die Realität in einem krassen Widerspruch zu solchen Vorstellungen. Häusln altern schnell. Der in den fünfziger Jahren verlegte Stragula war bald abgetreten, Spannteppiche wurden durch Parkettböden verdrängt, die Kunststeinfliesen, die damals in keinem Stiegenhaus fehlen durften, galten bald als hässlich, die Waschbetonplatten oder Waschbetontröge auf Terrassen nicht weniger. Im Häuslbau werden den Unwägbarkeiten des Lebens (wie gesellschaftlichen Veränderungen) die Behauptungen von Küche, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Keller, Dachboden und offenem Kamin entgegengesetzt. Der offene Kamin verspricht zeitlose Gesellig- und Behaglichkeit. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Feuerstellen nur selten benutzt werden, dass sich davor nur selten Menschen zu einem gemütlichen Beisammensein einfinden. Alexander Mitscherlich schreibt angesichts von Rundbögen, vorkragenden Blumenfenstern, mosaikumrandeten Entrées, getriebenen kupfernen Dachrinnen und schmiedeeiserner Künstlichkeit, dem Bauherrn sei es gestattet, seine Wunschträume mit seiner Identität zu ver-
wechseln. Ein teuer bezahlter Irrtum. Umbauten sind notwendig, soll die eigene Wunschproduktion nicht ins Wanken geraten. Zu den beliebtesten Motiven an den Wänden von Einfamilienhäusern zählt das Familienwappen. Nicht zufällig fand das Wappen – dass es sich durchwegs um Fantasiewappen handelt, muss nicht eigens erwähnt werden – in den sechziger Jahren Eingang in die Repräsentationsbebilderung des Einfamilienhauses. Geschichte wird immer behauptet, wenn ihre Tradierung zu erodieren beginnt, Familiengeschichte dann, wenn sich familiäre Bindungen aufzulösen beginnen. Was lange währt, wird lange halten. Tatsächlich sagt das auf die Hauswand gemalte Wappen das Gegenteil. Ironischerweise zeigen solche Wappen oft eiserne Harnische mit engen Sehschlitzen, die eine buchstäblich eingeengte Sicht auf die Welt erlauben. Das Wappen behauptet Geschichte, ist aber nichts als eine Konstruktion gegen den drohenden Verlust von Geschichte. Müllers und Meiers sind nicht die Nachfahren von Rittern. Vielmehr haben sie sich Attitüden und Zeichen Privilegierter zu Eigen gemacht, ohne jedoch zu den Privilegierten der Gesellschaft zu zählen. Sie leben weder in einem Schloss noch in einer Villa. Sie bewohnen ein Häusl. Würde man Bewohner eines Häusls nach dem unter dem Wappen angeführten 12. Oktober 1435 fragen, sie wüssten nicht, wer damals Kaiser war, noch weniger, dass an diesem Tag Agnes Bernauer in der Donau ertränkt wurde. 2 Das Familienwappen an der Wand verspricht Geschichte, tatsächlich ist das Häusl vor allem eine Behauptung gegen die Geschichte. Dass das Häusl in der Nachkriegszeit zum Prototyp neuen Wohnens wurde, ist neben ökonomischen Voraussetzungen vor allem seiner ideologischen Aufladung zu verdanken. Die nationale Idee schrumpfte buchstäblich auf Häuslformat zusammen. In den fünfziger Jahren wurde das Häusl, mochte es noch so bescheiden sein, zum In-
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begriff der Vorstellung von Heimat, die undenkbar gewesen wäre ohne die freiwillige oder erzwungene Mobilität während der NS-Zeit und in den Folgejahren – unter den Häuslbauern fanden sich Optanten und Vertriebene. „Daheim“, „Waldheimat“ oder ähnliche Aufschriften zeugen davon. Dolf Sternberger merkte bereits in den fünfziger Jahren an, dass die Vorstellung von Heimat untrennbar mit Mobilität verbunden sei. Bezeichnenderweise wurden in der Nachkriegszeit die ersten Häusln vornehmlich im Einzugsgebiet von Bahnhöfen errichtet. Nicht zufällig zählt zu den prominentesten Motiven damaliger Wandmalereien der Blick in die (nahe) Ferne, vor allem in die Gebirgslandschaft. Ob Serles oder Tschirgant, der Gebirgsstock versprach im Gegensatz zu den Unwägbarkeiten des Lebens Stabilität. Wir neigen dazu, damalige Wandmalereien, die etwa röhrende Hirsche oder balzende Auerhähne zeigen, oder die in den Vorgärten platzierten Gartenzwerge dem Kitsch zuzuordnen. Der Kitsch beginnt jedoch beim Häusl selbst. Birgit R. Erdle spricht über Kitsch von einem tief greifenden Vergessen, welches sich im Sprechen, nicht im Schweigen vollziehe. Häuslbau ist ein Akt des Sprechens. Kitsch, so Erdle, lösche die Dimensionen des nicht-harmonisierbaren Anderen aus – und damit das Vorhandensein jeglicher Antinomien, Kitsch verschmelze „komplexe Realität in ein Bild, in dem alle Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit gelöscht“ sei. „Häusl“ meint nicht nur Einfamilienhaus, sondern auch Abort, also das in der Natur frei stehende Häuschen, welches der Ausscheidung dient. Metaphorisch ist das Häusl buchstäblich zum Abort der Geschichte geworden. 3 „Sie wurden beim Fotografieren beobachtet.“ – „Ist es verboten, Häusln zu fotografieren, die ihre Bewohner als schön betrachten?“ – „Nein, aber Sie haben sich verdächtig gemacht. Die Menschen in der Siedlung sind misstrauisch geworden.“ Das Einfamilienhaus, ist es einmal errichtet, verspricht Sicherheit, einen paradiesähnlichen Zustand in einer Welt, die so nicht ist. „Paradies“ leitet sich aus dem Altiranischen „pairi-dae’za“ ab, was so viel wie „Um-
wallung“ bedeutet. Das Häusl ist weniger über seinen Baukörper als über Demarkationslinien zu begreifen. Einhegungen, gleichgültig, ob es sich um Zäune, Mauern oder beschnittene Hecken handelt, belegen deutlich, dass das Häusl in Abgrenzung zur Nachbarschaft gedacht wird. Das „Geviert“, von dem Martin Heidegger in seinem 1952 vor Architekten gehaltenen Vortrag Bauen Wohnen Denken spricht, endet für die Häuslbauer an den eigenen Grundstücksgrenzen, obwohl das von ihnen errichtete Gebäude zwangsläufig über diese Grenzen hinaus wirkt. Überblickt man die Geschichte des Häuslbaus der letzten fünf Jahrzehnte, dann fällt auf, dass die Einhegungen zunehmend hermetischer geworden sind. Während in den fünfziger Jahren Zäune dazu dienten, das Grundstück (oft nur symbolisch) abzugrenzen, dienen lebende Zäune, die an die Stelle von Maschendraht oder schmiedeeisernen Gittern getreten sind, dazu, die eigene Welt von der Außenwelt buchstäblich abzuschirmen. Loben Häuslbauer den freien Blick, dann meinen sie den Blick in die Ferne. Das Gebäude des Nachbarn wird zur Störung wie das eigene zur Störung für diesen wird. Sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Der Blick in die Ferne wird zur projektiven Fläche. Man beklagt den Lärm von Rasenmähern oder anderer Geräte, ohne daran zu denken, dass der eigene Rasenmäher für andere gleichfalls zur Störung werden kann. Mitscherlich schreibt, so entstehe ein Zustand der Gereiztheit, in dem alle möglichen Verstimmungen vom bösen Nachbarn hergeleitet würden, obgleich sie ganz andere Ursachen hätten. In Baumärkten finden sich zahllose Angebote, die dazu dienen, der als unangenehm erlebten Nähe anderer entgegenzuwirken. Dazu zählen auch Alarmanlagen. Steht das Haus leer, lässt sich mit Hilfe von Lichtsystemen die Anwesenheit von Bewohnern simulieren. Bewegungsmelder lassen Lampen aufleuchten, nähert sich jemand dem Haus. Das Klima in Häuslsiedlungen ist von Misstrauen geprägt. Man sieht zwar nur selten Menschen, fühlt sich aber ständig beobachtet. Verdächtig ist bereits der Unbekannte, der fotografiert. Auch in entlegenen Siedlungen ist die Polizei erstaunlich schnell zur Stelle. Die Bewohner
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phantasieren, man würde ihre Häuser auskundschaften, um dann wiederzukehren und einzubrechen. Dass sich kein Einbrecher so verhält, zählt dabei wenig. Ein Polizist meint, in der Siedlung, in der ich fotografiert habe, sei schon öfters eingebrochen worden, das Misstrauen der Menschen sei verständlich. Tatsächlich nehmen aber die meisten Gewaltdelikte in Häusln ihren Ausgang im Inneren. 4 Die Häusln der Nachkriegszeit waren kompakte, einfache Baukörper. Meist hatten sie ein Steildach. Sie wurden nach Standardgrundrissen errichtet. Kühlschränke und Waschmaschinen fehlten, dafür verfügten sie über Keller und Wirtschaftsräume. Eingeschnittene Balkone, Blumenfenster und NatursteinTerrassen bestimmten den Häuslbau der sechziger Jahre. Flache Satteldächer lösten das Steildach ab. An die Stelle der als schmutzig geltenden Beheizung des Hauses mit Holz oder Kohlen trat die „saubere“ Ölheizung. Nicht länger wurden im Garten Kartoffeln, Kraut oder Erbsen angepflanzt, Hühner und Kaninchen gehalten, um den Eiweißbedarf zu decken. Der Nutzgarten wandelte sich zum Ziergarten, der vor allem über eine Rasenfläche verfügen musste. Wer es sich leisten konnte, hatte einen Swimmingpool. Eine Hollywood-Schaukel durfte nicht fehlen. Es war die Zeit der ersten Baumärkte, deren Angebote den Charakter der Einfamilienhäuser ebenso zu bestimmen begannen wie Bilder vom neuen Wohnen, welche Film und Fernsehen lieferten. Heutige Häuslsiedlungen sind, sofern örtliche Baubehörden nicht restriktiv durch Auflagen den Gestaltungswünschen von Häuslbauern entgegentreten, Ansammlungen von höchst unterschiedlichen Hausformen. Dies macht deutlich, dass es heute so gut wie keine einheitliche Vorstellung von einem „schönen“ Haus mehr gibt. Im Häuslbau spiegelt sich die Zersplitterung und Individualisierung unserer Gesellschaft in beklemmender Weise. All diese Siedlungen sind keine wirklichen Orte. Wir haben es mit einer Ansammlung von Gebäuden zu tun, mit einem Gefüge von Menschen, die mehr oder weniger zufällig in höchst disparate Nachbarschaften geraten sind. All diese Siedlungen sind nicht organisch, sondern seriell organisiert. Spätestens hier verkehrt sich das Versprechen des Häusls, nämlich Hei-
mat zu sein, endgültig in sein Gegenteil. Statt Heimat bestenfalls Enklaven in einer als feindlich, zumindest als störend erlebten Umwelt. Mögen die Häuslbauer viele Wünsche und Erfahrungen teilen, Siedlungen im Umfeld urbaner Zentren sind Agglomerate, die äußerst dissoziierend auf nachbarschaftliche Kontakte wirken. Die Menschen finden etwa nur dann zusammen, wenn es gilt, Lärmschutzwände zu fordern, wenn sie sich von außen bedroht fühlen. Dies ist nicht zuletzt Folge des Mangels an öffentlich zugänglichen Einrichtungen, überhaupt an öffentlichem Raum. Das traditionell bäuerliche Dorf kannte im Gegensatz zu heutigen Siedlungen den öffentlichen wie halböffentlichen Raum, unscharfe Übergänge zwischen dem Haus und der Straße, zwischen dem eigenen Haus und dem des Nachbarn. Mochten die Grenzziehungen zwischen den einzelnen Häusern auch argwöhnisch beobachtet werden, die Übergänge zum Straßenbereich waren äußerst unscharf. Hier wurde gearbeitet, getratscht, immer war sichtbar, womit andere gerade beschäftigt waren. Noch finden sich in manchen Tiroler Dörfern Beispiele dafür, kann man Alte sehen, die völlig unabgeschirmt durch Hecken vor dem Haus auf einer Bank sitzen und das Treiben auf der Straße beobachten. Trotz allen Futterneids waren sich die Menschen bewusst, unter ähnlichen Bedingungen zu leben, aufeinander angewiesen zu sein. Nicht zufällig wurde der öffentliche Raum in den traditionellen Dörfern zu jenem Zeitpunkt neu definiert, als die ersten Bauern zu Fabriksarbeitern wurden oder in anderen Bereichen ihren Lebensunterhalt verdienten. Wurden Straßen geteert, sprach man davon, die Wege „staubfrei“ zu machen. Tatsächlich wurde das soziale Gefüge des Dorfes neu definiert, strikt zwischen öffentlichem und privatem Raum, Eigenem und Fremdem geschieden. 5 Überblickt man den Häuslbau der letzten Jahrzehnte, dann wird schnell deutlich, dass all diese Objekte dem Geschmack und den Moden ihrer Zeit unterliegen. Darin ist auch der entscheidende Grund zu sehen, warum die meisten dieser Bauwerke bereits nach wenigen Jahren alt erscheinen, als habe man es mit abgetragenen Kleidern zu tun. Kleider lassen sich
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leichter wechseln als Gebäude. Die Mode kommt – wie Georg Simmel schrieb – dem Bedürfnis nach „sozialer Anlehnung“ entgegen, dem Wunsch, in einer Gemeinschaft aufgehoben zu sein. Gleichzeitig befriedigt sie „das Unterscheidungsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sichabheben“. Darin liegt auch der Grund für die Kurzlebigkeit aller Moden. Silbertanne, Birke, Essigbaum oder Flieder, Modebäume der Nachkriegszeit, sind längst Opfer ihres Rufes geworden, nämlich abgestanden zu sein. Nicht zufällig sind im Häuslbau gerade die Repräsentationsflächen von Bedeutung. Ob Tapeten, blumengeschmückte Fenster oder Balkone, Malereien an der Hauswand, das eigene Heim wird durch die Augen anderer betrachtet. Ist das Neue zur Gewohnheit geworden, so ist es schnell entzaubert und dem Überholten zugeordnet. Der offene Kamin, einmal selbstverständlich geworden, eignet sich nicht länger dazu, sich von den anderen abzuheben. Häuslbauer sind vor allem darum bemüht, ihrem Haus eine „persönliche Note“ zu verleihen, sich mit Hilfe seiner Gestaltung abzugrenzen, das Häusl buchstäblich zu „umschmacken“. Dies ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der sich jeder behaupten, letztlich selbst erfinden muss. Die „persönliche Note“ macht die Not zur Tugend, kaschiert das eigentliche Problem als produktive Leistung. Paradoxerweise hat das Bemühen um Eigenart das Gegenteil zur Folge. Auf eigentümliche Art und Weise erscheinen die Häusln in Siedlungen als gleichförmig. Mag das Individuelle noch so sehr behauptet werden, so erweist sich alles als Manifestation von Geschmack, der durch eine breite Industrie bedient wird. Wirkliche Differenz verdankt sich nicht der „persönlichen Note“, sondern der Einordnung in objektive Gegebenheiten oder dem Erleben des Eingebettetseins. So betrachtet hat das Misstrauen gegenüber einem Fotografen, der sich für Häusln interessiert, nicht allein mit der Angst zu tun, jemand könnte das Haus auskundschaften, um später einzubrechen. Es spiegelt auch tief sitzende Zweifel gegenüber dem, was als schön und als Ausdruck der Persönlichkeit behauptet wird. Warum gerade unser Haus? Vielleicht ist es von einer Art Aussatz befallen, den wir nicht sehen.
Es ist kein Zufall, dass wir Gebäude, deren Struktur sich jahrhundertelanger Erfahrung verdankt und die fast keine individuelle Ausgestaltung kennen, trotz ihrer Einfachheit schön finden. Dies gilt nicht nur für das von Adolf Loos, Martin Heidegger oder anderen bemühte Bauernhaus, sondern selbst für so einfache Gebäude wie sie etwa von Indianern in den Tiefen des Amazonasgebietes errichtet werden. Der Häuslbau macht auch deutlich, dass sich die Schönheit des Bauernhauses nicht dadurch tradieren lässt, wenn Zitate aus der bäuerlichen Architektur an die Wand gepappt werden. Auf Struktur und Funktionalität kommt es an, auf den Verzicht von allem Überflüssigen. Beim Häusl ist immer etwas zu viel. Der Mangel, auf den dieses Mehr verweist, bleibt unausgesprochen. Gäbe es eine Sprache für ihn, Häusln sähen anders aus, und zweifellos wären viele von ihnen auch dann noch schön, wären sie abgewohnt. Loos plädierte für die Verbannung allen unnützen Zierrats aus der Architektur. In seinen Schriften, die heute noch anregend zu lesen sind, geht er von einem breiten Architekturverständnis aus. Er dachte nicht allein an Gebäude und ihre Ausgestaltung. Er konnte sich auch mit Regenschirmständern, Unterwäsche, Schuhen oder Hüten beschäftigen. Loos dachte, ein Haus solle nicht auffallen, sondern nach außen schweigen und seinen Reichtum nur im Inneren offenbaren. Für Loos ist der modern gekleidet, der am wenigsten auffällt. Angesichts von Siedlungen mit ihren oft hässlichen Häusln wünscht man sich mehr Einfamilienhäuser, die von Architekten geplant werden. Zweifellos bauen Architekten besser als Baumeister oder Häuslbauer. Dafür lassen sich auch gute Beispiele nennen. Allerdings steht zu befürchten, dass sich das Problem so nicht lösen lässt. Bezogen auf den Wunsch nach einem besonderen Haus haben wir es dabei oftmals nur mit einer Steigerungsform des Strebens nach Distinktion zu tun. Es ist weniger eine Frage der Architektur als der Gesellschaft. Gelingt es nicht, die Betonung des Baukörpers zugunsten jener Bereiche zu verschieben, die zwischen den einzelnen Häusln liegen, dann vermag auch die beste Architektur am Wesen solcher Siedlungen nichts zu ändern. Aber wie sollte das gelingen?
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6 In den fünfziger Jahren war es noch möglich, ein Häusl nahezu in Eigenregie zu bauen. Das Decken des Daches, Spenglerarbeiten bildeten wie die Herstellung von Fenstern und Türen eine der wenigen Ausnahmen. Inzwischen gibt es den Häuslbauer in dieser Form nicht mehr. Einfamilienhäuser sind nicht allein wesentlich aufwändiger geworden, es sind auch viele handwerkliche Fähigkeiten wie soziale Ressourcen verloren gegangen, über die die damalige Generation noch verfügte. Eigenleistungen beschränken sich heute weitgehend auf den Innenausbau oder den Garten. Die wenigsten verfügen heute noch über die nötige Zeit. Auch ist es billiger, sich ein Fertighaus zu kaufen. Das Häusl, einst eine Behauptung gegen alle Mobilität, ist selbst mobil geworden. Heutige Fertighäuser, oft an weit entfernten Orten hergestellt, lassen sich innerhalb weniger Tage errichten. Sie sind billiger, gewähren Kostensicherheit, machen den Häuslbauer zu einem Bauherrn. Heutige Fertighäuser – unter ihnen solche, die von besten Architekten entworfen wurden – sind hinsichtlich unterschiedlichster Ansprüche wie auch sich ändernder Wohnbedürfnisse höchst variabel.
sich wünscht. Viele dieser Siedlungen sind Schlaforte. Wichtige Bereiche wie Arbeit oder Teilnahme am öffentlichen Leben finden an anderen Orten statt. Zudem ist man meist auf ein Auto angewiesen, entgegen allen Behauptungen von Häuslichkeit zur Mobilität gezwungen. Solche Siedlungen wurden zwar in der „Natur“ errichtet, aber von der Naturlandschaft ist oft nur noch wenig geblieben. Ironischerweise hat man in vielen Städten weniger Mühe, ins Grüne zu gelangen. Nicht selten sind solche Siedlungen von Gewerbegebieten und Industriezonen umgeben. Es handelt sich buchstäblich um Ab-Orte. Dazu kommt noch, dass heutige Lebensentwürfe den Festschreibungen des Häusls entgegenstehen. Dies ist nicht allein Frage einer gewollten oder erzwungenen Mobilität. Wer es sich leisten kann, passt die Wohnform den jeweiligen Bedürfnissen oder dem Alter an. Heutige Ehen werden vorbehaltlich geschlossen. Auch dies steht im Widerspruch zum traditionellen Häuslbau, der sich entscheidend familialen Konstrukten verdankt. Noch schwerer wiegen die Kosten, die von der öffentlichen Hand zu tragen sind, für die aber die Häuslbauer über kurz oder lang zu einem wesentlich größeren Teil aufkommen werden müssen.
Mag das Häusl nach wie vor ein Wunschtraum vieler sein, so ist doch anzunehmen, dass sich die Konjunktur des Eigenheims abzukühlen beginnt. Verglichen mit anderen Wohnformen ist ein Häusl teuer, und dies selbst dann, wenn es mit sehr viel Eigenleistung errichtet wird. Bereits in absehbarer Zeit werden viele Häusln nur noch schwer zu verkaufen sein. Schon heute werden vielfach nicht mehr die Häuser verkauft, sondern die Grundstücke, auf denen sie errichtet wurden. Urbanes Wohnen hat gegenüber dem Leben in einer Siedlung an der Peripherie viele Vorzüge. Man kann eintauchen in die Anonymität, verfügt aber doch über Orte, die von Freunden oder Bekannten frequentiert werden. Zwangsläufig finden Kontakte in Siedlungen fast ausschließlich in privatem Umfeld statt. In der Stadt ist es möglich, ein Lokal wie ein ausgelagertes Wohnzimmer zu benutzen. In Siedlungen mangelt es an kulturellen Angeboten, Kinderbetreuungseinrichtungen, oft sogar an einem Lebensmittelgeschäft. Im besten Fall findet sich eine Arztpraxis, aber meist ist es nicht der Arzt, den man
Zweifellos werden weiterhin Häusln gebaut werden. Zweifellos wird es auch in Zukunft Menschen geben, die das Häusl mit dem Versprechen verknüpfen, mit der erbrachten Anstrengung und dem einmal errichteten Baukörper sei das Leben in eine sichere Form gegossen. Man müsste Führungen durch solche Siedlungen anbieten, von enttäuschten Hoffnungen ebenso erzählen wie von Schulden, Konkursen oder Familienkonflikten, man müsste von Menschen berichten, deren Lebenswerk verödet liegt, Häusln zeigen, in denen die erwachsen gewordenen Kinder nicht leben wollen oder die niemand kaufen will. Es sollen aber auch jene Geschichten nicht verschwiegen sein, in denen Menschen ihr Häusl als Inbegriff glücklichen Lebens erfahren. Ein guter Führer wüsste dies wohl oft bereits am Garten abzulesen.
Besetzung
Andreas Altmann, Hamburg → Paris: Reporter, Autor. Psychologiestudium, Jurastudium abgebrochen. Nebenbei Privatchauffeur, Anlageberater, Straßenbauarbeiter, Buchclubvertreter, Dressman, Postsortierer, Parkwächter usw. Dreijähriges Studium mit Abschluss am Mozarteum Salzburg. Engagements am Bayerischen Staatsschauspiel in München und am Schauspielhaus in Wien. Lange Reisen durch Asien, Afrika und Südamerika. Reportagen für: ZEIT-Magazin, GEO, Tempo, FAZ-Magazin, Stern, Playboy, Merian, Hustler, SZ-Magazin, Sports, Focus, Mare, … Preise: Egon Erwin Kisch-Preis (1992), Auszeichnung durch die Deutsche Aids-Stiftung für die Reportage „Prabat Nampu“ (2003), Weltentdecker-Preis und Seume-Literatur-Preis (2005). Christoph W. Bauer, Kolbnitz → Innsbruck: Schriftsteller. Lebt als Autor und Chefredakteur der Zeitschrift „Wagnis“ in Innsbruck. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und im Hörfunk, diverse Preise, Stipendien. Letzte Buchpublikationen: „Aufstummen“ (Roman, Haymon 2004), „supersonic“ (Gedichte, Edition Korrespondenzen 2005). Weitere Informationen unter www.cewebe.com. Sven-Eric Bechtolf, Darmstadt → Wien, Hamburg: Schauspieler, Regisseur, Autor. Ausbildung am Mozarteum Salzburg. Engagements als Schauspieler: Schauspielhaus Zürich, Schauspielhaus Bochum, Hamburger Thalia-Theater, Salzburger Festspiele, Almeida Theatre/London. Seit 1999 im Ensemble des Wiener Burgtheaters. 2001 und 2002 Nestroy-Preis für die beste darstellerische Leistung des Jahres. Inszenierte Schauspiel u.a. am Thalia Theater Hamburg und am Burgtheater Wien, Musiktheater an der Oper Zürich, an der Deutschen Oper Berlin („Les contes d’Hoffmann“) und bei der RuhrTriennale 2005, wo er auch das Libretto für das Singspiel „Steine und Herzen“ schrieb. Wird 2007 mit „Arabella“ von R. Strauss an der Wiener Staatsoper debütieren und ist auch der Regisseur der Wiener Ring-Inszenierung ebendort (2007–2009). Martin Fritz, Klagenfurt → Wien: Kurator, Autor. Studium der Rechtswissenschaften. 1986–96 selbstständige Projektarbeit: bildende Kunst, Theater und Film. Tätigkeiten seit 1996 (u. a.): Director of Operations, P.S.1 – Contemporary Art Center, New York; Generalkoordinator der Manifesta 4, Amsterdam. Seit 2004 Leiter des oberösterreichischen „Festival der Regionen“. Der in diesem Heft abgedruckte Text entstand bei einem Aufenthalt in Hintertux – auf Einladung des von Christian Stock initiierten „Aquarellhappening Tux“. Krista Hauser, Innsbruck → Innsbruck, Wien: Autorin. Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck, Literatur- und Theaterkritikerin für verschiedene Zeitungen und den ORF. Ab 1968 Redakteurin, dann Kulturkorrespondentin für die „Tiroler Tageszeitung“ aus Wien, später Leiterin des Kulturressorts und der kulturpolitischen Blätter „horizont“ der „Tiroler Tageszeitung“ in Innsbruck. Von 1984–2002 Journalistin und Dokumentarfilmerin in der ORFZentrale in Wien. Filme u. a. über Elias Canetti, Karl Kraus, Erich Fried, Eduard Goldstücker, H.C. Artmann, Gustav Klimt, Max Weiler, Günter Brus und Franz West. Zahlreiche Essays und Künstlerporträts. Bücher über Hubert Prachensky und Ruth Drexel. Helmut Jasbar, Wien → Wien: Musiker, Kulturjournalist und Kurator. Arbeitet seit Jahren an einem breiten Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten, die auch die Reflexion von Kultur und ihrer Vermittlung einbeziehen. Dazu gehört seine Konsulenten- und Produzententätigkeit für Radio Ö1: Er ist Begründer des „Pasticcio-Preises“ für interessante musikalische Projekte und des
„Wiener Gitarrenfestivals“, das er für das Radiokulturhaus als künstlerischer Leiter betreut. Mehr unter www.jasbar.at. Bernhard Kathan, Fraxern → Innsbruck: Kulturhistoriker, Autor und Künstler. Arbeitsschwerpunkt: Geschichte der Wahrnehmung unter Beachtung technikgeschichtlicher Entwicklungen. Betreiber des „Hidden Museum“ (www.hiddenmuseum.net). Barbara Matuszczak, Hamburg → Innsbruck: Pharmazeutin. Seit 1991 an der Universität Innsbruck im Bereich der Lehre (u.a. Vorlesung über Diagnostik von Stoffwechsel-Erkrankungen) und Forschung (Synthese neuer Wirkstoffe mit Schwerpunkt Anti-Alzheimer) tätig. Seit 1998 Lehrbefugnis für Pharmazeutische Chemie an der Universität Innsbruck (Ao.Univ.-Prof.). Bernhard Mertelseder, Strass i. Z. → Innsbruck: Historiker und Romanist, Mitarbeiter am Zentrum für Erinnerungskultur und Geschichtsforschung (ZEG) des Instituts für Geschichte der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck. Peter Scheer, Tel-Aviv → Graz: Arzt. Leitet die Station für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche in Graz. Schrieb gemeinsam mit seiner Frau die Bücher: „Meine-Deine-Unsere. Leben in der Patchworkfamilie“, und „Jenseits von Dick und Dünn“ (beide Falter Verlag, Wien). Betreut Babys, Kinder und Jugendliche mit Essproblemen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen theologischen Fakultäten und Laienorganisationen und im Komitee für christlichjüdische Zusammenarbeit arbeitet er an Gemeinsamkeiten und Unterschieden monotheistischer Religionen. Eva Schlegel, Hall → Wien: Bildende Künstlerin. 1979–85 Hochschule für angewandte Kunst (Meisterklasse Oberhuber) Seit 1997 Professorin an der Akademie der bildenden Künste, Wien. Zahlreiche Einzelausstellungen (Auswahl): Shoshana Wayne Gallery, Los Angeles; Galerie Krinzinger, Wien; Galerie Klaus Fischer, Berlin; Galerie Peter Kilchmann, Zürich; Galerie Knoll, Budapest; Galleria Il Ponte, Rom; Galerie Fortlaan, Gent; Galerie Lisa Ungar, München; Streetlevel Gallery, Glasgow; artcore gallery, Toronto; Galerie im Taxispalais, Innsbruck; Secession, Wien. Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl): Biennale Sydney; Kunsthalle Düsseldorf; Bonner Kunstverein; Frankfurter Kunstverein; Biennale Venedig (1990, 1995); The New Museum of Contemporary Art, New York; Museum moderner Kunst, Wien; Centre National de la Photographie, Paris; Kunsthaus Zürich; Gamla Riksarkivet på Riddarholmen, Stockholm; Kunsthalle Wien; Albertina, Wien; Artmuseum Shanghai; Sammlung Essl, Klosterneuburg; Museum der Moderne Salzburg. Peter Senoner, Lajen → Wien: Bildender Künstler. Studium an der Akademie der bildenden Künste, München. Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl): „Skulptur“, Kunsthalle Wien, Wien (2005); „Stretch Sculpture“, Kunsthaus Meran, Meran (2005); „Arttirol“, Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (2004); „stereotyp“, Kunsthalle Wien project space, Wien (2003); „Das absurde Bekannte“, Sammlung Falckenberg, Hamburg (2002); „transition 1-…“ AR/GE Kunst Galerie Museum, Bozen (2001); „INS“, Haus der Kunst, München (2001); Projekte in New York „transition 1-…“ (1997–2000) und Tokyo „Ewige Kinder“ (2002/2003). Auszeichnungen: Stiftung Kunstfonds Bonn (2003), Hilde-Goldschmidt-Förderpreis (2004), Bayerischer Staatsförderpreis (2005). Martin Sieberer, Hopfgarten im Brixental → Ischgl: Koch. Seit November 1996 Küchenchef im Hotel „Trofana Royal“, Ischgl. Seit Jahren von Gault Millau ausgezeichnet mit 3 Hauben/18
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Punkten; Koch des Jahres (1999 / 2000); Autor zahlreicher Kochbücher. Seit 2005 ist Martin Sieberer für die Menüs der Lufthansa-Flüge (First Class und Business Class) verantwortlich. Bernhard Studlar, Wien → Wien: Schriftsteller. Studium an der Universität der Künste Berlin (UdK). Schreibt hauptsächlich Theaterstücke. Entweder allein (z.B. „Transdanubia Dreaming“, „Mariedl Kantine“) oder mit dem Schweizer Andreas Sauter (z.B. „A. ist eine Andere“, „Rote Kometen“). Aktuelle Arbeit: Dramatisierung des Romans „Spieltrieb“ von Juli Zeh für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg (Premiere März 2006). Aktuelle Uraufführung: „Rote Kometen“ am Stadttheater Bern (13. Nov. 2005). Heinz Winkler, Brixen → Aschau/Chiemgau: Koch. Ausbildung im Hotel Laurin in Bozen. Tätigkeiten in internationalen, namhaften Hotels in Deutschland, Schweiz, Italien und Frankreich.
Auswahl: Schlosshotel Pontresina und Kulm (St. Moritz), Paul Bocuse, Tantris (München), Tristan (Mallorca). 1991 Eröffnung eines eigenen Hotels in Aschau im Chiemgau: Die „Residenz Winkler“ zählt zur Spitzenklasse der Restaurants in Europa, ausgezeichnet jeweils mit den Höchstnoten der bekannten GastroTester. Erwin Wurm, Bruck/Mur → Wien: Bildender Künstler. Seit 2002 Professor an der Universität für angewandte Kunst, Wien. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Einzelausstellungen (u.a.): Peggy Guggenheim Collection, Venedig (2005); „Glue your brain“, Museum of Contemporary Art, Sydney (2005); „I love my time, I don’t like my time: Recent works by Erwin Wurm“, Yerba Buena Center for the Arts, San Francisco (2004). Gruppenausstellungen: „Tempo“, Museum of Modern Art, New York (2002); „Azerty“, Centre Pompidou, Paris (2001); „Transformation“, XLVIII. Biennale, Venedig (1999).
Quart Heft für Kultur Tirol
Herausgeber: Kulturabteilung des Landes Tirol Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, A-6020 Innsbruck, office@circus.at Abobestellungen und Anzeigen: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck T 0043 (0) 512 / 57 63 00, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Redaktionssekretariat: Carmen Ferrada Mitarbeiter dieser Ausgabe: Andreas Altmann, Christoph W. Bauer, Sven-Eric Bechtolf, Martin Fritz, Krista Hauser, Helmut Jasbar, Bernhard Kathan, Barbara Matuszczak, Bernhard Mertelseder, Peter Scheer, Eva Schlegel, Peter Senoner, Martin Sieberer, Bernhard Studlar, Heinz Winkler, Erwin Wurm Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominque Perrault, Wolfgang Pöschl, Robert Renk, Arno Ritter, Helmut Reinalter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u.a. Konzeption und Gestaltung der linken Seiten: Peter Senoner Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Werner Deutsch, Michaela Wurzer /Circus Druckvorstufe und Druck: Alpina Druck GmbH, Innsbruck Verwendung der Karte „Tirol – Vorarlberg 1:200.000“ auf den Seiten 94/95 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen.