Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 1/ 03 E 12,–
HALOTECH L I C H T F A B R I K Ferdinand-Weyrer-Straße 5 A-6020 Innsbruck T +43 (0) 512 / 26 90 64 F +43 (0) 512 / 26 90 65 E-mail: ht.lichtfabrik@utanet.at Forum Halotech Bozen Foto: Günther R. Wett Architektur: Rainer Köberl
Verzeichnis
* Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen.
4/5
Inhalt *
Lois Weinberger: Baumfest 1977/ Text 2002 Foto: Friedl Rusch, Foto Rückseite 2002 und graf. Bearbeitung: Gerbert Weinberger 1/140
Wolken ziehen vorüber Vitus H. Weh beschreibt Lois Weinbergers „Käfig“
82–85
Halotech Lichtfabrik
2–3
Inhalt
4–5
Peter Sandbichler: Farbkonzept
6–9
Lois Weinberger: Garten, 1992/1999 Neue Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Universität, Innsbruck Architektur: Henke & Schreieck Fotos 1999–2002: Gerbert Weinberger
86–91
10–11
Freytag&Berndt-Karte
92–93
12–23
Landvermessung No. 1, Sequenz 1 Stefanie Holzer und Walter Klier auf einem Teilstück einer tälerquerenden Reise 94–107
24–29
Rätselhaft, unbedingt Michael Hausenblas über Quantenkryptografie
108–115
Lois Weinberger: Notizen
116–117
Zweckdienliche Werbefahrt im Dienste des Fremdenverkehrs Blasmusikarchive, quergelesen von Milena Meller
118–125
Walter Pamminger: Layoutkonzept Die Nudelsuppe und der Aktienmarkt oder: Der Zorn des Analysten Peter Oberdorfer schreibt aus Bangkok Berichterstattung einer Bestattung „Makaberer Zwischenfall“ in Osttirol, dokumentiert von Benedikt Sauer Die Tonart der Würde Bert Breit und der richtige Zeitpunkt, Fragen zu stellen. Von Christian Seiler; Foto: Lukas Schaller Die gelben Kammern Dipl.Ing. Paul Nagl über das neue Umspannwerk Innsbruck-Mitte Michael Glasmeier über Architekturfotografie Walter Niedermayr: 6 Diptychen aus dem Inneren von Ben van Berkels Bau
30–35
36/38
Sprint in die Ewigkeit Franz Platzer fährt schnell zu Cage nach Halberstadt. Von Heidi Hackl und Andreas Schett Proportionsskizze Orgel/ Burchardikirche Halberstadt Zwei Leben Ernö Zeltner übersetzt in Rettenschöss bei Kufstein Sàndor Màrai. Georg Diez hat ihn besucht
126 127
Edelstahl Technik Kluckner, Stubaier Gletscherbahn RLB Kunstbrücke
128 129
M-Preis Tirols Architekten und Ingenieurkonsulenten
130 131
Athesia-Tyrolia Druck Architekturforum Tirol, Innsbrucker Kommunalbetriebe
132
Binder Holz, Lang Bau Swarovski Kristallwelten, Uniqa
134 135
Besetzung
136
Abos, Originalbeilage
137
Impressum
138
BTV
139
37/39 40–51
„Ich habe die Gefahr auf die Bühne gebracht.“ Werner Heinrichmöller trifft Marina Abramovic in Franzensfeste 52–63 Lois Weinberger: Notizen
Innenausbau Barth wein.kaltern
64–65
66–73
133
74–75
76–81
Hickethier: C: 5_M: 80_Y: 95_K: 0
Monitor: C: 6_M: 85_Y: 94_K: 1 #DA4725
Hickethier: C: 0_M: 35_Y: 95_K: 0
Monitor: C: 4_M: 38_Y: 96_K: 1 #EAAF00
Hickethier: C: 0_M: 5_Y: 85_K: 0
Monitor: C: 0_M: 9_Y: 86_K: 0 #FFFF33
Hickethier: C: 100_M: 100_Y: 20_K: 10
Monitor: C: 97_M: 100_Y: 22_K: 7 #330066
Hickethier: C: 100_K: 50
Monitor: C: 100_M: 94_Y: 24_K: 20 #000066
Hickethier: C: 75_M: 10_Y: 0_K: 0
Monitor: C: 72_M: 33_Y: 0_K: 1 #0099FF
Hickethier: C: 0_M: 100_Y: 0_K: 60
Monitor: C: 53_M: 61_Y: 52_K: 80 #330000
Hickethier: C: 85_M: 100_Y: 100_K: 0
Monitor: C: 25_M: 91_Y: 100_K: 22 #990000
Hickethier: C: 10_M: 90_Y: 0_K: 0
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Hickethier: C: 100_M: 55_Y: 80_K: 20
Monitor: C: 66_M: 38_Y: 69_K: 72 #003300
Hickethier: C: 0_M: 0_Y: 95_K: 55
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Hickethier: C: 40_M: 0_Y: 100_K: 0
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Das Spiel
1 Würfel 12 Farben 6 Außenflächen 6 Innenflächen 4 Farbgruppen 3 Kontraststufen 8191 Variationen Die Aufstellung 12 Farben werden so auf einem Raster verteilt, dass ein gespiegeltes T auf der einen Hälfte mit hellen und auf der anderen Hälfte mit dunklen Farben belegt ist. Der Würfel wird so zusammengesetzt, dass die dunklen Seiten die Außen- und die hellen Seiten die Innenhaut des Würfels bilden. Klappt man eine Seite des Würfels auf, leuchten die hellen Farben kontrastreich aus dem Inneren des dunklen Körpers. Die Regeln Bei Spielbeginn werden alle Regeln aufgehoben. Erlaubt ist jede erdenkliche Kombination der einzelnen Farbflächen. Die Verbindungen des Körpers sind
als flexible Scharniere gedacht, die Drehungen, Faltungen, Windungen und Überlappungen in alle möglichen Positionen und Dimensionen möglich machen. Kalkulierte Strategien, freie Kompositionen, lapidare Zufallskonstellationen bestimmen je nach Spielertypus den Ablauf. Bewertung Das Spiel kann so lange fortgesetzt werden, bis alle Varianten durchgespielt sind. Einen Zwischenstand über den Spielverlauf liefert Quart Heft für Kultur Tirol – halbjährlich. Farbkonzept: Peter Sandbichler 2002
Raumordnung
Subversive Selbstbezüglichkeit
Quart Heft für Kultur Tirol hat eine linke und eine rechte Seite: Das wäre nicht weiter erwähnenswert, stünde dahinter nicht ein besonderes, von Walter Pamminger entwickeltes Layoutkonzept. – Ausschnitte aus seinen konzeptuellen Notizen. Diese Zeitschrift schickt nicht Information nach draußen, um zeitverzögert ein Feedback zu erhalten. Sie präsentiert gleichsam ein Feedback auf der linken Seite. Ein Heft mit den Doppelseiten der Gleichzeitigkeit: Simultanes Magazin.
Ein Raum zwischen dem, was das herkömmliche Magazin anbietet, und dem Leser: der Q-Raum – ein gleichermaßen inhaltliches wie ein gestalterisches Konzept. Design und Editierprozess sind schwer trennbar. Der Q-Raum ist ein Raum der permanenten Reflexion.
Raum der Spiegelung. Schnellspur.
Ein Raum einer immer anderen Nutzung, einer Nutzung, die jedoch innerhalb eines Beitrages kohärent bleibt.
Q ist subversiv, weil es sich auch selbst in Frage stellt.
Ein Zwischenraum der Resonanz, der gewisse Rezeptionsleistungen des Lesers vorwegnimmt.
10/11
Analytical Mapping: Mit verschiedenen Strategien, die gestalterisch oder inhaltlich orientiert sind, wird die benachbarte rechte Seite perspektiviert. Die rechte Seite wird gleichsam geöffnet/reinterpretiert/ kommentiert/parodiert/kritisiert/erklärt/vernetzt.
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Die Nudelsuppe und der Aktienmarkt oder: Der Zorn des Analysten Was haben die chronisch verschnupften Straßen Bangkoks mit den Geldflüssen auf dem Kapitalmarkt gemein und was hat das Ganze wiederum mit dem Wetter beziehungsweise der Wildente von Ibsen zu tun? Inwiefern lassen sich rätselhafte Diagramme von Kursbewegungen mit dem hymnischen Pulsieren eines späten Gedichtes von Hölderlin vergleichen? Welcher Zusammenhang besteht eigentlich zwischen einer Nudelsuppe und dem Wesen der Börse? Ein in Bangkok stationierter indischer Aktienanalyst versucht seinem Verständnis von börsianischen Geheimnissen mit abenteuerlichen Vergleichen eine (un)durchschaubare Form zu geben. Und verliert dabei selbst – die Fassung. Erzählung eines gescheiterten Interviews von Peter Oberdorfer Bangkok. Nachdem der Taxifahrer hilflos und unter Flüchen vom widrigen Verkehrsgetümmel mehrmals am anvisierten Bürogebäude vorbeigespült wurde, ohne wirklich halten zu können, gelang das Stehenbleiben und ich trat auf die Straße. Einer dieser namenlosen Glastürme stand vor mir: dunkel, verspiegelt, vollkommen geheimnislos. In der Empfangshalle eines großen thailändischen Wertpapierhandelshauses lächelte man mich lange an und fragte mich schließlich nach meinem Begehr. „I have an appointment with Mr. Ramachai, the head of the researchdepartment.“ Ich gab meinen Namen an, die Dame versuchte ihn nachzusprechen, aber die Laute schienen für ihren Mund zu grob und klobig. Sie schaute drein, als hätte sie etwas Giftiges gegessen. „Just call me Peter.“ „Okay, Mister Peter, would you like to drink some tea?“ „Yes please, but actually I would like to talk to Mister Ramachai.“ „But Mister Ramachai is so busy.“ „The important man is always busy, I have an appointment with him, now.“ „He has so many appointments.“ „But I am here now and I want to talk to him.“ Ich wurde mit dem zarten Fräulein ein bisschen harscher, sie zuckte zurück und flatterte davon. „Okay Peter, you can come“, sagte sie, als sie wiederkam. Die kleine Unhöflichkeit hatte mich den Mister gekostet.
Wenn man vom Empfangsraum in die tatsächlichen Arbeitsräume eines Unternehmens vordringt, ist das ungefähr so, wie wenn man vom Zuschauersaal eines Theaters hinter die Bühne geht: ziemliche Entzauberung. War draußen noch alles marmorn und glatt und makellos, mit ruhigen Stimmen, sonor klackenden Stöckelschuhen und schönen Damen, so wurde ich jetzt in eine riesige Rumpelkammer geführt. Hinter labyrinthisch verschachtelten Paravents tauchte hier und da ein Kopf zwischen Papieren auf, schaute leer wie ein Fisch und verschwand wieder. Ganz hinten, am tiefsten versteckt, fand ich Herrn Ramachai, den Chefanalysten des Unternehmens. Monitore, Papierstapel und Paravents umgaben ihn wie ein Schneckenhaus. Die Dame ließ mich einfach stehen und ging, der Mann würdigte mich keines Blickes, sagte aber: „Hallo Peter“, als sei ich ein alter Freund. „Setzen Sie sich doch.“ Er schichtete einige Papiere um und schaute auf. Ich war erstaunt, einen Inder zu sehen. Er mochte um die Fünfzig sein, das dichte, tief ansetzende Haar und die Brauen waren weiß, die Stirn dazwischen nahm nur einen schmalen Hautstreifen ein, auf dem sich allerdings eine Unzahl kleinster und schön parallel gezogener Falten in ständiger Bewegung befanden – wie Korallengewächse, dachte ich. Sein Blick fixierte mich mit einer starren Eindringlichkeit, in der etwas Irres lag: „Was kann ich für Sie tun?“ „Ich wollte mit Ihnen über den thailändischen Aktien-
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markt sprechen.“ „Sie sind der unermüdliche Journalist, der so oft angerufen hat.“ „Ja.“ Er seufzte, ich gab ihm meine Karte. „Aus Österreich?“ Er schaute mich listig an, die Stirnfaltenziehharmonika ging in die Breite. „Österreich? Soll ich Ihnen etwas verraten? Ich weiß nicht warum, aber in der Schule geriet ich oft ins Träumen, ich blätterte im Atlas und starrte Österreich an, solange bis mir die verrücktesten Geschichten einfielen, die alle in Österreich spielten.“ „Ist Ihnen denn etwas in Erinnerung?“ „Ja, ja. Ich wunderte mich als Kind immer darüber, dass die Welt so lückenlos regelmäßig ist, dass jeder Baum einen Schatten wirft, dass alle Busse Reifen haben, dass alle Menschen mit Köpfen daherkommen und so weiter. Und Österreich, ich weiß nicht warum, dieses kleine Land mit der Form einer schlecht fabrizierten steinzeitlichen Keule, stellte ich mir als Insel der Ausnahme von allen Normen vor, dort kugelten mehrere Sonnen am Himmel herum und keine leuchtete richtig, dachte ich mir. Dort kann es geschehen, dass du hinter einen Busch schaust und die Welt hat vergessen, diesen Raum auszufüllen, kein Waldboden, die Stelle ist weiß, leer, nacktes Universum, dachte ich mir.“ Er begann zu kichern, zunächst leise, dann immer heftiger und krampfhafter. „Österreich“, stieß er hervor und krümmte sich, schließlich enthemmt lachend. „Sie hatten als Kind eine sonderbare Fantasie, scheint mir.“ „Ich war Einzelkind und meine Eltern schweigsam. Aber andererseits, ist eine nicht sonderbare, das heißt: eine normale Fantasie denkbar?“, fragte er mich. „Fantasie ist doch immer ein Abschweifen und Ausscheren ins … ins … ja nicht einmal das lässt sich bestimmt sagen.“ „Möglich, ich möchte nicht zuviel Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch nehmen und vorsichtig auf mein Anliegen zurückkommen.“ „Den thailändischen Aktienmarkt?“ Ich nickte vorwurfsvoll. „Sie wissen nicht, wie nahe wir diesem Punkt schon gekommen sind. Spielerisch gewissermaßen. Wenn
man den Kapitalmarkt verstehen will, braucht man nämlich viel, unendlich viel Fantasie, ungefähr so viel wie für das Verständnis eines Gedichtes von … eines späten Gedichtes von … sagen wir – Hölderlin.“ „Sie kennen Hölderlin?“ Er schaute drein wie ein störrisches Kleinkind: „Warum nicht?“, und kramte aus den unteren Papiersedimenten in der näheren Umgebung seines Schreibtisches eine alte englische Ausgabe des Hyperion hervor. Ich zuckte mit den Schultern. „Im Gedicht werden logische Zusammenhänge, die in der Prosa breit auseinandergewalzt werden, gewissermaßen zusammengespannt, zusammengelegt, verdichtet, sodass ein großer, anderer Zusammenhang daraus wird: der poetische. Auf dem Kapitalmarkt findet ähnliches statt. Die gesamte Welt, alle ihre Wirklichkeiten und Unwirklichkeiten werden auf eine einzige Linie zusammengepresst, den Index. Ist das nicht unglaublich?“ Langsam wurde mir klar, warum mein Gesprächspartner so grenzenlos beschäftigt war: Bei der Annäherung an einen Gegenstand holte er so weit aus, dass dieser Gegenstand aus dem Blickfeld verschwand. Er schien ein leichtes Unbehagen in meiner Miene zu bemerken. „Wissen Sie, ich bin kein Thai, sondern Inder und ich bin weit herumgekommen, unter anderem arbeitete ich zwei Jahre lang in Wien, jawohl! Und ich wollte einem Herren aus Österreich mit Abschweifungen herzlich entgegenkommen, weil ich mir dachte, das müsste ihrer Barocknatur entsprechen, aber Sie enttäuschen mich. Sie scheinen wirklich nur ein paar Auskünfte über Aktien haben zu wollen.“ Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen. „Diese Auskünfte zu bekommen war tatsächlich der Anlass, aus dem ich zu Ihnen kam. Wir können natürlich gerne abschweifen, nichts lieber als das, allerdings, wenn es geht, hin zum Wesentlichen, zum Eigentlichen, zum Kern der Sache und weg von der Oberfläche der Zahlen und Daten. Ich bin nämlich keine ostösterreichische Barocknatur mit Bierbauch, sondern Tiroler. Wir lieben die klare Sicht und den steilen Weg zum Gipfel, verstehen Sie: Hochgebirgsmenschen.“ Er reichte mir mit pathetischer Geste, von der unklar blieb, ob sie ernst gemeint war oder meine patriotische Anwandlung (manchmal passiert das) ins Lächerliche
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ziehen sollte, die Hand. „Ich bin auch Bergmensch. Kaschmir. Ich verstehe Sie. Wo waren wir?“ „Hölderlin.“ „Ja die gesamte Welt schillert in einem hässlichen Chart nicht anders als in einem konfusen Gedicht. Eine andere interessante Parallele besteht zum Wetter.“ „Reden wir doch übers Wetter.“ „Man sagt, dass das Öffnen eines gewöhnlichen Fensters hier und jetzt theoretisch einen Orkan auslösen kann. Das heißt, das Wetter braut sich aus einem unendlich vielfältigen Gemisch von Kausalfaktoren zusammen. Aber nicht alle Faktoren sind in ihrer Bedeutungsschwere gleich gewichtig, nicht wahr? Einige, vergleichsweise wenige Faktoren treten stark und regelmäßig in Erscheinung, so wie der Monsun etwa in Asien oder der Föhn in Tirol. Diese Faktoren sind in ihrem Erscheinen relativ konstant und berechenbar und führen erfahrungsgemäß zu bestimmten Wetterlagen. Sie bilden gewissermaßen die Grundlage der Wettervorhersage durch die Meteorologie. Würde die Wetterlage ausschließlich vom Öffnen und Schließen aller Fenster dieser Welt und dem weltweiten Zusammenspiel aller dieser Fenster abhängen, so wäre eine Wetterkunde wahrscheinlich unmöglich zu organisieren und wir würden statt der Wetterprognose wahrscheinlich einen Regentänzer im Fernsehen zu sehen kriegen. Ja und ähnlich verhält es sich mit den Kursausschlägen an den Börsen: Es gibt einige dominante Faktoren, die die anderen überlagern, die mit Regelmäßigkeit und Berechenbarkeit auftreten und bestimmte vorhersehbare Wirkungen zeitigen. Sie ermöglichen es, dass ich hier auf einem Stuhl sitze und den Job habe, den thailändischen Aktienmarkt zu analysieren.“ „Sie sagen, sie analysieren den thailändischen Aktienmarkt: Ist es Ihnen denn je gelungen, eine dieser Analysen abzuschließen, in der Form, dass etwas Konkretes daraus hervorging? Ich meine, so etwas wie ein Ergebnis?“ „Schauen Sie, die Welt ist keine Milchmädchenrechnung, aus der ein Ergebnis hervorgeht, und die Börse als Teil dieser Welt folglich auch nicht. Das war jetzt übrigens ein klassischer Syllogismus: Obersatz (‚Die Welt ist keine Milchmädchenrechnung‘), Untersatz (‚Die Börse ist Teil dieser Welt‘) und eine Con-
clusio (‚Auch die Börse ist keine Milchmädchenrechnung‘) als Ergebnis. Aber Ergebnisse dieser Form interessieren mich nicht. Die Conclusio ist in den Prämissen so sonnenklar enthalten, dass nur ein Pedant daraus einen Satz macht und den dann Schlussfolgerung oder Ergebnis nennt. Für so etwas bin ich zu stolz. Ich bin kein Schwindler, sondern Analyst!“ Er verschränkte energisch die Arme und starrte auf einen der Monitore, auf dem sich ein neuer Chart zusammensetzte. Die Zahlen, die rings um uns langsam und unbeirrbar in allen möglichen Formen und Farben über die Bildschirme rieselten, gaben Ramachais Arbeitsplatz den Anschein einer Unterwasserwelt, eines digitalen Aquariums. „Jetzt würde ich gerne ‚Yellow Submarine‘ von den Beatles hören“, sagte ich, um das Schweigen vorsichtig zu brechen. Er schaute nachdenklich und nickte langsam mit dem Kopf. „Sie haben meinen Faden verloren. Wo waren wir stehen geblieben?“ „Dominante Kausalfaktoren“, sagte ich. „Ja, richtig, werden wir konkret. Ganz einfach. Wenn Thailand und Myanmar einen Krieg beginnen, bricht die Börse hier in Bangkok ein. Das kann man zum Beispiel sicher sagen.“ „Das ist zu banal, daraus kann ich keine Geschichte machen.“ „Ist das wirklich so banal? Als der letzte AfghanistanKrieg, der Pakistan unmittelbar involvierte, losging, hob das den pakistanischen Index an und brachte Bewegung in die Börse. Weil Investoren auf starke amerikanische Wirtschaftshilfe hofften, als Dank für die Unterstützung im Antiterrorkrieg, oder wie das verrückte Ding heißt. Aber Sie haben recht: im Allgemeinen wirken Kriege negativ, sie belasten die Volkswirtschaft, erzeugen Unsicherheit und die Investoren verschwinden. Das ist ja auch gerade im Moment das Problem. Der Demagoge Bush verhängte in seiner Konzeptlosigkeit einen Kriegszustand über die gesamte Welt, ohne diesen Kriegszustand klar und präzise zu definieren und auch ohne zu sagen, wodurch dieser Krieg je zu Ende gehen kann. Das ist lähmendes Gift für die Wirtschaft und die Märkte. Undefinierbare Unsicherheit. Angst. Investments, Kaufentscheidungen werden verschoben, Verkäufe dominieren.“
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„Sie sagten doch, wir werden jetzt konkret.“ „Wenn Sie eine konkrete Information haben wollen: Der thailändische Index gewann in der ersten Jahreshälfte 2002 deshalb so stark, weil langsam wieder Vertrauen westlicher Investoren in die hiesigen Verhältnisse zurückkehrte und sich die thailändische Wirtschaft nach der großen Krise 97/98 endgültig stabilisierte. Aber immer noch gelten wir als riskantes Investment, einfach weil wir so weit weg vom Schuss sind. Als die allgemeine Stimmungslage in der Welt sich um die Jahresmitte wieder verschlechterte, durch die aufgeflogenen Betrügereien an der Wallstreet und die so sinnlos vom Zaun gebrochene Irak-Krise und weiß der Teufel wodurch sonst noch, sanken hier die Werte rasch. Schlicht weil keiner im Westen in Zeiten wie diesen Lust auf Risiko hat, oder darauf, was man bei euch für ein Risiko hält. Die Wirtschaftsentwicklung in Thailand spielte plötzlich keine Rolle mehr, die ist so gut wie vor einem halben Jahr. Da geht es um Stimmungslagen, die mit Thailand nichts zu tun haben. Wenn du hier sitzt und das deinen Kunden, die plötzlich ihr Geld verlieren, erklären sollst, ist das ziemlich frustrierend. Ein klarer Zusammenhang zwischen der volkswirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes und dem Klima an der Börse besteht nur dann, wenn die Wirtschaftslage schlecht ist. Da hauen die Anleger schnell ab. Aber eine positive Wirtschaftslage, wie wir sie jetzt haben, kann sehr schnell von anderen globalen Faktoren überlagert und zwischenzeitig belanglos werden. Dann spielt plötzlich die Hauptrolle, auf welchen Kopf Bush gerade seinen Colt gerichtet hält, weil er als populärer Kriegsherr in die Wahlen zum amerikanischen Kongress ziehen will. Allerdings – um noch einmal auf das Wetter zurück und schnell von Bush weg zu kommen – existiert ein gravierender Unterschied zwischen dem Wetter und der Börse: Das Wetter wird nur von realen Umständen beeinflusst. Wenn Sie befürchten, dass es morgen in Bangkok schneien könnte und diese Befürchtung anderen eintrichtern, in so überzeugender Form, dass, sagen wir, alle Bewohner dieser Stadt sie schließlich mit Ihnen teilen, so wird sich trotzdem die objektive Wahrscheinlichkeit, dass es morgen in Bangkok schneit, von der Null nicht wegbewegen. Anders an der Börse: Hier spielt das, was nicht der Fall ist, aber von Leuten geglaubt, gehofft oder befürchtet wird, eine größere Rolle als das, was der Fall ist. Ja,
für den Analysten geht es eigentlich nie um eine quasi objektiv naturwissenschaftlich orientierte Analyse von Fakten und deren Zusammenwirken, sondern darum, was bestimmte Fakten in den Gehirnen von Anlegern vermutlich auslösen werden. Wir sind eigentlich Psychologen, Psychopathologen, wenn Sie so wollen, Fachleute, wenn es um die Mechanik der Gier und des Geizes geht, aber auch und vor allem Experten für – die Dummheit.“ „Die Dummheit?“ „Wussten Sie, dass die sogenannte Asienkrise 97/98 zu einem beträchtlichen Teil auf Dummheit und Massenpanik beruhte? Es gab und gibt bei uns strukturelle Probleme, keine Frage. Fehlinvestitionen, Überschuldung, Korruption, zuviel Intervention durch die Politik. Aber diese Tatsachen waren allen Beteiligten schon vor 97 bekannt und nicht nur das: Die enge Verflechtung von Wirtschaft, Finanz und Politik wurde vor der Krise im Westen als Erfolgsgeheimnis der asiatischen Form des Kapitalismus ausgewiesen, als eine neue Möglichkeit, eine Wirtschaft effektiv und mit vereinten Kräften zu steuern, die dem trägen, transparenten, demokratischen Modell des Westens überlegen sei. Ich habe das hundertmal in Analysen der besten westlichen Zeitungen gelesen. Vor 97. Dann stürzte der thailändische Baht ab und eine rätselhafte Panik überzog die gesamte Region bis nach Südkorea. Wissen Sie, wenn in Italien aufgrund einer hausgemachten Korruptionsaffäre die Börse einbricht, so wird die Wiener Börse davon nicht viel spüren, obwohl Österreich und Italien Nachbarländer sind, nicht wahr? Es gibt einfach zwischen den beiden Kapitalmärkten keine Verflechtungen, die eng genug wären, um die Wiener Börse in die Krise mitzureißen. Und sogar ein amerikanischer Fondsmanager aus Texas, der in Rom und in Wien investiert, wird sein Geld nicht aus Wien abziehen, nur weil er es aus Rom abzieht. Er wird sich denken: Austria is not Italy and Italy is not Austria.“ „So ähnlich.“ „Für Südostasien gilt das nicht. Als die Währungskrise über Thailand hereinbrach, zogen die Investoren das Geld nicht nur aus Thailand ab, sondern schlagartig auch aus Malaysia, Indonesien, den Philippinen, Südkorea und Singapur. Einfach aus Vorsicht, weil man ja nie wissen kann, oder vor allem: weil man nichts
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weiß und nicht weiß, dass es sich bei diesem Geschmeiß mit Schlitzaugen durchaus um unterschiedliche, selbständige Nationen und Märkte handelt. So breitet sich eine Krise aus, verstehen Sie? Und dann schreiben die Blätter von den Strukturproblemen der Tigerstaaten und verordnen uns naseweis Reformprogramme, damit wir das gottverdammte Vertrauen westlicher Investoren wieder zurückgewinnen.“ Er hielt inne und schaute mich wütend an. „Merken Sie eigentlich gar nichts?“, fragte er und steckte, ja eigentlich – rammte sich eine Zigarette in den Mund. „Wie meinen Sie das?“ „Sie warten hier auf eine Einschätzung des thailändischen Aktienmarktes und Sie bekommen sie nicht. Fällt Ihnen das nicht auf?“ „Ich bin geduldig, wie Sie sehen.“ „Sie riefen gestern an und ich sagte, ich hätte keine Zeit, Sie sagten, Sie kämen nur für kurze Zeit, ich sagte, meinetwegen, kommen Sie. Vorhin sagte ich der Sekretärin abermals, ich hätte keine Zeit, aber Sie ließen sich nicht abwimmeln, dann beleidigte ich ihr Heimatland Österreich, wirklich ein verrücktes Land, entschuldigen Sie, aber Sie gingen nicht, dann philosophierte ich kreuz und quer durch die Gegend, nur um nicht auf Ihre Fragen einzugehen, aber Sie blieben geduldig sitzen. Soll ich Ihnen etwas verraten: Ich hasse die Medien, ich hasse die Journalisten, mehr als alles andere auf dieser Welt und Sie können hier auf ein beschissenes Statement über die Börse in Thailand so lange warten, bis Sie so schwarz sind wie ich!“ Ich nahm mir, ohne zu fragen, eine Zigarette. „Ich fand das nicht so uninteressant, was Sie sagten. Als tieferen Grund für den eigentümlichen Gesprächsverlauf nahm ich an, entschuldigen Sie, dass Sie eben verrückt seien wie so viele Leute.“ „Sie sitzen hier wie ein Unschuldslamm und schauen mich groß an. In Wahrheit bedienen Sie eine Dreckschleuder, jawohl! Wir sagten vorhin, dass sich der Kapitalmarkt mit einem Gedicht vergleichen ließe. Der Vergleich hinkt an einer bedeutenden Stelle. Ich weiß nicht, ob es einen Sinn hat zu sagen, dass Dichtung Wahrheit enthält, weil der Begriff der Wahrheit, der eigentlich ein logischer und kein metaphysischer ist, dadurch obskur wird, nicht wahr? Aber es ist so, dass die Lektüre Hölderlins meine Seele reinigt und
glättet und mich froh macht wie ein langes, tiefes Zwiegespräch mit Gott. Es liegt etwas Erhabenes in diesen Gedichten, tatsächlich. Im Kapitalmarkt ist nichts Erhabenes, hier werden Lügen und Gerüchte und Halbwahrheiten und Fehleinschätzungen verdichtet. Und wer ist schuld daran? Zu einem beträchtlichen Teil: ihr Journalisten! Leider ist die Welt so kompliziert geworden, dass ich nicht einfach auf die Straße gehen kann, um mich mit eigenen Augen jener Fakten zu vergewissern, die für mich gerade wichtig sind. Will ich den Zustand dieses oder jenes Unternehmens oder dieser oder jener Volkswirtschaft kennen, so muss ich mich auf dieses oder jenes Medium verlassen, das über dieses oder jenes Unternehmen oder diese oder jene Volkswirtschaft berichtet. Praktisch alle Informationen, die für die Anleger relevant sind, gehen durch den Filter von Medien und Nachrichtendiensten und werden da kräftig verfälscht. Journalisten verstehen meistens von dem, was sie schreiben, gar nichts und sind vollkommen auf ihre Informanten angewiesen. Du rufst bei einem Analysten an und fragst ihn etwas. Der hat eigentlich davon keine profunde Kenntnis, sagt aber etwas, um etwas gesagt zu haben, oder lügt wissentlich, weil das Unternehmen, über das er spricht, vielleicht in irgendeiner Geschäftsbeziehung zu der Bank steht, für die er arbeitet. Der Journalist, der Esel, sitzt da, hört zu, genau wie Sie hier, lässt den größten Unsinn kenntnislos über sich ergehen, trägt alles brav niedergeschrieben nach Hause und zimmert seine Story daraus. Und die Leute glauben selbstverständlich, was in der Zeitung steht. In Wirklichkeit ist aber alles Unsinn, was geschrieben wird, fast alles Unsinn, selbst in den besten Zeitungen!“ Er stand auf. Rachamai war längst zum Schreien übergegangen. Vorübergehende Mitarbeiter nahmen seinen Wutanfall nicht zur Kenntnis, als geschähe nichts Besonderes. „Das gesamte System ist mit Lügen verstopft!“, brüllte er. Er stieß Papiere und Broschüren und Zeitungen und Bücher von seinem Schreibtisch. „Lügen!!! Überall! Sie werden arglos verbreitet oder wissentlich, dann weiterverbreitet und wiedergekaut, bis der Ursprung unklar und die Lüge zur selbstverständlichen Annahme geworden ist. Und darauf werden dann von Leuten wie mir Analysen aufgebaut, die vollkommen falsch sind, falsch sein müssen und
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Glasnudelsuppe Portionen: 1 Rezept Zutaten: 500 g Rinderfleischknochen 250 g Hühnerklein 2 l Wasser Salz 100 g Glasnudeln 30 g getrocknete chin. Morcheln 100 g Karotten 1 Bd. Lauchzwiebeln 2 Knoblauchzehen 1 Stück Ingwerwurzel 100 g Bambussprossen 100 g rote Paprika 50 g Sojabohnenkeimlinge 4 El. Sojasoße Salz, Pfeffer Sambal Oelek Rinderfleischknochen, Hühnerklein, Wasser und Salz zum Kochen bringen, ca. 1 Std. kochen lassen. Glasnudeln, Morcheln jeweils getrennt 10 Minuten in heißem Wasser einweichen lassen. Glasnudeln in ein Sieb schütten, mit klarem Wasser abschrecken und abtropfen lassen. Karotten in Scheiben schneiden, Lauchzwiebeln in feine Ringe schneiden, Knoblauchzehen fein hacken, Ingwerwurzel schälen, in dünne Scheiben schneiden, Bambussprossen in dünne Scheiben schneiden. Die eingeweichten Morcheln gründlich putzen, entstielen und in dünne Scheiben schneiden. Fleischknochen und Hühnerklein aus der Suppe nehmen. Von den Lauchzwiebeln etwa 2 El. zum Garnieren zurücklassen, sonst alles Gemüse und Sojabohnenkeimlinge in die Brühe geben, 15 Min. köcheln lassen. Fleisch vom Knochen lösen, in dünne Streifen schneiden und in die Brühe geben. Glasnudeln in kleine Stücke schneiden und ebenfalls zufügen. Mit Sojasoße, Sambal Oelek, Salz und Pfeffer abschmecken und restl. Lauchzwiebeln darüberstreuen. 22/23
dann werden Anlegerentscheidungen getroffen, die vielleicht auch falsch sind, aber weil viele sie treffen, stellen sie sich als richtig heraus, weil sie Geld einbringen und die Kurse nach oben treiben, ohne dass es dafür eine realwirtschaftliche Grundlage gibt. Der ganze heillose New-Economy-Boom hat nach diesem Prinzip funktioniert!“ Er hielt inne, setzte sich und wischte sich mit einem altmodischen Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Ramachai atmete heftig und wirkte alt. „Ich sagte, ich komme aus dem Kaschmir, aus dem Hochgebirge. Ich wuchs in einer wundervollen, heilen Welt auf. Mein Vater machte nach 1949, als Indien und Pakistan geteilt wurden, ein kleines Vermögen, weil indische Truppen in unserer Gegend stationiert wurden, deren Lebensmittelversorgung er organisierte. Mit dem Geld ließ er mich Philosophie und Wirtschaft studieren, mit dem Ergebnis, dass ich es hier mit Bergen von Schmutz zu tun habe. Die Lüge hat auf dem Kapitalmarkt eine sonderbare, dämonische Eigendynamik entwickelt. Dass das Ganze funktioniert, ist das Rätselhafte. Kennen Sie die ‚Wildente‘ von Ibsen? In dem Stück wird gezeigt, wie die Existenz eines Menschen zusammenbricht, dem man die Lebenslüge nimmt, indem man ihn über die Wahrheit aufklärt. Die Lüge wird in dem Stück als etwas Lebensnotwendiges dargestellt, das man dem Menschen nicht einfach scheinheilig entreißen darf. Mich hat diese Vorstellung der Funktionstüchtigkeit, ja der Notwendigkeit der Lüge in meiner hochherzigen Jugend, als ich dieses Stück las, zutiefst angewidert. Aber auf dem Kapitalmarkt habe ich sie bestätigt gefunden. Ja, Ibsen hatte recht! Denn wenn alle Leute auf dieser Welt wüssten, was in unserer Branche gelogen und geschoben und betrogen wird, würden alle Börsen und Banken und das gesamte Finanzsystem schlagartig zusammenbrechen, weil keiner mehr einen Cent in dieses Drecksloch stecken würde. Schlagzeile: Vertrauenskrise. Dann können die Medien darüber schreiben, durch welches Fünf- oder Siebenpunkteprogramm das Vertrauen der Anleger wieder zurückgewonnen werden kann! Viel Vergnügen, ihr Arschlöcher!“ Er lachte laut, zerriss einige Papiere und warf die Schnitzel in die Luft. „Nur wird die Lüge nie vollständig aufgeklärt werden können, weil sie nie vollständig nachgewiesen
werden kann beziehungsweise dieser Nachweis niemals allseits akzeptiert würde. Der Betrieb wird nie restlos zusammenbrechen und immer irgendwie weiter gehen. Es ist wie mit dem Straßenverkehr hier in Bangkok. Es gibt wenige Regeln, noch weniger Menschen, die sie kennen, und keiner hält sich an sie. Trotzdem wälzen sich jeden Tag Millionen von Autos durch die Straßen, langsam, ächzend, stotternd, stinkend. Das Ganze funktioniert, schlecht aber doch irgendwie. Eigentlich faszinierend. Apropos Straßenverkehr: Haben Sie Lust auf eine Nudelsuppe? Ich lade Sie ein. Für heute mache ich Schluss.“ „Gut.“ Ich schaltete das Diktiergerät ab. Es war schon Abend geworden, als wir auf die Straße hinaus traten. Die Rushhour war in vollem Gang, die Autos standen und ein vielschichtiges Hupkonzert schallte durch die Straßen. Manche der Beiträge waren rhythmisch so ausgefeilt, dass sie sehr viel Übung verrieten. Ramachai bewegte sich tänzerisch, querfeldein durch die aufgefädelten Kolonnen und hielt an einem kleinen Stand am Straßenrand. Wir setzten uns auf die wackeligen Hocker und bekamen schon nach wenigen Minuten zwei Töpfe mit Nudeln vorgesetzt, dazu bestellte Ramachai eine große Flasche Bier und zwei Gläser. Als ich mit dem Essen beginnen wollte, stoppte mich der Koch aufgeregt und schrie: „Kun! Kun!“ „Er meint, Sie müssen die Suppe umrühren, dann schmeckt sie besser!“ Ich steckte die Chopsticks in die Schüssel und holte zum kräftigen Umrühren aus, als mich diesmal Ramachai unterbrach. „Wie, glauben Sie, verändert sich die Position sämtlicher Nudeln im Topf, wenn Sie einmal mit den Stäbchen im Uhrzeigersinn kräftig umrühren?“ „Die Position der Nudeln wird schon sehr bald unwichtig gewesen sein, weil ich sie aufessen werde, restlos“, entgegnete ich. „Sub specie aeternitatis gilt das gleiche für alle Bewegungen an den Börsen“, sagte Ramachai und begann mit dem Essen. Der Verkehr ringsherum bewegte sich keinen Millimeter.
Randerscheinungen
Makaberer Zwischenfall bei Begräbniszug: Am vergangenen Donnerstag kam es bei einem Begräbnis in der Gemeinde Heinfels zu einem äußerst makaberen Vorfall. Josef L. aus Heinfels hatte die Aufgabe, den Sarg mit der Leiche auf einem Pferdewagen vom Weiler Gschwendt zum Friedhof zu befördern. Um 13 Uhr setzte sich der Zug vom Gehöft des Verstorbenen Richtung Ortszentrum in Bewegung. Knapp oberhalb des Hofes von Josef L. begann das Pferd auf der abschüssigen Straße plötzlich zu scheuen, da es sein im Stall zurückgebliebenes Fohlen wiehern hörte. Mit aller Kraft versuchte der Wagenführer die Stute zurückzuhalten. Das Tier riß aber samt Fuhrwerk, Sarg und Kränzen aus und sprang in ein angrenzendes Feld. Dabei kippte der Wagen um und prallte gegen einen Baum, Josef L. wurde dabei unter das Fahrzeug geschleudert und unbestimmten Grades verletzt. Der Sarg brach in drei Teile, wobei sich auch der Sargdeckel löste. Der Verstorbene mußte in einen von der Bestattung Sillian angelieferten neuen Sarg umgebettet werden. Den restlichen Weg wurde dieser mit einem Handwagen zum Friedhof gezogen, wo schließlich die Beerdigung stattfand. (Osttiroler Bote, 27. Mai 1999)
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Berichterstattung einer Bestattung
Notiert an einem Novembersonntag, drei Jahre nach den Ereignissen. Von Benedikt Sauer Der jüngste Sohn von Josef L., vulgo A., Leichenführer also eben der sarg das stimmt nicht was da steht dass der in drei teile gebrochen ist/ das war so: wir sind oben vom weiler Gschwendt vom hof sind wir mit pferd und leiche weggegangen/ das ist so zirka einen kilometer von uns entfernt/ wir sind so fünfhundert meter herunter gegangen da sieht man dann zum erstenmal unser haus und wir haben beim stall das fenster offen gehabt und das pferd war aufs fohlen ganz narrisch das hat gar nicht weggehen wollen/ es hat sonst eigentlich nie etwas gehabt wir sind damit immer nach Sillian gefahren die schwester abholen vom kindergarten da hats nie etwas gehabt aber da war das fohlen immer mit dabei. dann da oben in der kurve hat das fohlen gewiehert das pferd hat das fohlen gehört dann ist das pferd unruhig geworden wie es wohl natürlich ist der instinkt vom pferd zum fohlen zu kommen weils meint das fohlen ist in gefahr/ dann hat man ein paar huftritte am asphalt gehört und dann ist es los links hinunter ins feld und wir haben probiert zuzubremsen aber da war nichts zu machen/ das pferd ist also vor uns runter der vater hat probiert das pferd zu halten der ist vorn gegangen hat es am kopf geführt ich war beim wagen hinten dann ist es übers feld hinunter da waren zwei zäune dann ists eng geworden/ der papa hat erzählt das pferd hat den kopf hochgerissen er hat sich fest gehalten so fest dass es ihn auf die andere seite geschmissen hat da war dann eine mulde und da ist der wagen mit dem sarg drüberhinaus. er hat sich am fuß wehgetan den hat er sich gebrochen aber wie das genau gegangen ist weiß er nicht mehr. dann gings so weiter: da hört der zaun rechts auf das pferd hat eine rechtskurve gemacht ist über eine wurzel drüber der wagen auf die wurzel der sarg ist in die höhe und an den baum und hat dann eine einkerbung gehabt und ein stück deckel ist weg also nicht der ganze deckel sondern der kleine deckel der oben drauf ist mit dem kreuz der ist runter aber von der leiche selbst hat man nichts gesehen/ dann haben sie drei zaunstecken genommen vom elektrozaun haben die un-
ter den sarg getan sind hinunter und unten bis zum bahndamm beim bahnhof zirka da ist der j. gekommen von der bestattung mit einem neuen sarg und dann sind sie mit dem handwagele weitergefahren. also keine rede dass der in drei teile gebrochen ist die haben oben den kleinen deckel drauf getan und sind weitergegangen/ was die geschrieben haben von der leiche hat man nichts gesehen. da hinterm haus ists passiert da geht der weg vorbei am haus/ ich bin dann zum ross gegangen um es abzuspannen und in den stall zu sperren das ganze ross hat gezittert ein schock kann man sagen/ der papa ist vierzehn tage im krankenhaus gewesen da war die gefahr von trombose/ er ist oben hinter dem begräbniszug ganz normal herunter gegangen und dann herunten da hat der schock nachgelassen hat er gesagt mein fuß fängt an weh tun ich weiß nicht was da ist dann ist er ins haus und jemand von der bergrettung hat gemeint der ist vermutlich gebrochen dann ist der notarzt gekommen. während er im krankenhaus war haben die mutter und ich auf das ross geschaut später hat ers dann verkauft und seither haben wir kein vieh mehr/ er fährt zwar immer wieder rösser schauen aber kauft keines mehr/ wir haben vier rösser gehabt zwei norica-stuten haben wir gekauft die haben beide ein fohlen bekommen eine stute mit fohlen haben wir bei einer versteigerung verkauft und eben die zwei die mina und die riki dann zu einem pferdehändler in Strassen/ der vater hat sich nicht mehr so recht getraut das pferd einzuspannen/ wir sind früher zwar auch schon begräbnis gefahren auch von Heinfels vom berg herunter da hats nichts gehabt nur einmal bei einem faschingswagen da haben wir schilf aufgestellt gehabt da ist der wind hinein da werden die pferde ganz narrisch da ist es wums weg aber da ist nichts passiert. im winter manchmal wenn leute gekommen sind sind wir mit der kutsche schlittengefahren. ja das war auch noch: der dem wirs pferd verkauft haben hat dann einen faschingswagen gemacht da ist drauf gestanden romantische kutschenfahrten mit josef a. und die telefonnummer dabei da haben wir
Randerscheinungen
Um den Trauerzug fortzusetzen, mußte Leiche umgebettet werden: Pferd scheute, Sarg zerbrach. Zwischenfall bei einem Begräbnis in Osttirol: Das Pferd, das den Wagen mit dem Sarg zog, ging durch – der Leichnam fiel zu Boden und mußte neu eingesargt werden. HEINFELS (TT). Der ebenso ungewöhnliche wie unpassende Zwischenfall ereignete sich Donnerstag gegen 13 Uhr in Heinfels: Der Trauerzug war auf dem Weg zum Friedhof von Sillian, an der Spitze das von Josef L. (56) aus Heinfels gelenkte Fuhrwerk mit dem Sarg und den Kränzen. Als das Fohlen im Stall wieherte, war es vorbei mit der Trauerstimmung. Die Mutterstute, die den Wagen mit dem Sarg zog, scheute und ging durch. Kutscher L. konnte das Tier nicht mehr bändigen – das Pferd lief mitsamt dem Fuhrwerk ins angrenzende Feld. Der Wagen kippte, der Sarg landete auf dem Boden, der Kutscher unterm Fuhrwerk. Weder L. noch der Sarg überstanden den Aufprall unbeschadet: Vom Holzsarg hatte sich der Deckel gelöst, der Rest war in drei Teile zerbrochen. Und L. mußte die Nacht im Lienzer Krankenhaus verbringen. Nachdem ein Bestatter aus Sillian den Leichnam in einen neuen Sarg gebettet hatte, konnte sich der Trauerzug – diesmal mit einem Handwagen – wieder in Bewegung setzen. (Tiroler Tageszeitung, 22. Mai 1999)
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uns schon gedacht wieso eigentlich aber das war halt so/ mit einer fackenwanne die er verkehrt drauf gelegt hat da haben wir uns auch gedacht was soll das aber du kannst halt auch nichts tun. die verwandten die hinter uns waren sind auch erschrocken. der sohn des verstorbenen ist hinter mir gegangen und die frau hat zu ihm gerufen hilf peter hilf dem seppl aber da ist das pferd schon gelaufen er hat noch geschrien seppl lass aus aber die haben selber gesagt das kann passieren. ich war einmal im krankenhaus wegen einer operation mit einem anderen im zimmer der hat gefragt woher ich komm und hat die familie gekannt und gewusst dass da ein unfall war mit einem ross und der wollts mir erzählen dann hab ich ihm schon gesagt dass das unser ross war.
gesagt gekauft gehört mir wir haben handschlag gemacht und ich hab gesagt ich hols/ hab gewogen das fohlen auch und bar gezahlt. nach drei tagen kommt er und sagt ich bereus ich geb dir dreihundert schilling reuegeld/ also dreihundert mehr/ hab ich gesagt ich gebs nicht mehr her/ ich hab bei dem ross zwanzigtausend verdient nicht dreihundert/ habs nach deutschland verkauft in Rotholz bei der rossversteigerung/ die bauern haben alle gefragt warum gibst du das gute ross her/ ich hab gesagt weißt du was mit dem ross passiert ist das ross ist beim leichenführen durchgegangen dem fehlt nichts aber das ist halt passiert/ ich hab in die papiere geschrieben ohne garantie/ ein deutscher ist her und hat gefragt was das ross kann und hats gekauft und nach drei vier monaten ruft er an und sagt so ein braves pferd/ ich hätte das ross ja nicht behalten können wenn ich mit dem ross gefahren wäre hätts geheißen der fährt mit dem verrückten ross.
Gottfried W., Fuhrwerksbetreiber nur schade dass ich die zeitungsartikel nicht aufbehalten habe alles hat geredet/ erfahren hab ichs vom nachbarn der ist begräbnis gegangen: weißt du wies dem seppl ergangen ist/ so heißt der leichenführer/ das ross ist ihm durch und der sarg ist runtergefallen und vom sarg ist der deckel runter und so gings dahin/ er hat oben die leiche aufgelegt und ist runter bis kurz vor sein haus das ross hat das fohlen schreien hören und das ross ist immer schneller geworden und der mensch hat das ross nicht mehr halten können und das ross hat begonnen zu laufen mit der leiche drauf und das ross ist glaub ich bei seinem haus vorbei und unten bei der kurve ist alles runter gefallen neben die bäume den sarg hats runter und den deckel runter und dann können sie sich eh denken was passiert ist. dann haben sie den leichenbestatter wieder holen müssen und sofort die leiche in einen eigenen sarg legen und dann weiter. das ross das hab ich gekauft. du der gibt sein ross her ruft mich ein bekannter an/ ein rosshändler hat ihm vierzehn schilling geboten und er will einen schilling mehr haben/ hab ich mir gedacht das passt ganz gut hab ich den bauern angerufen/ hab gehört du gibst das ross her/ ja gibt er her/ kommst du/ ja/ hat er gesagt fünfzehn schilling will er schon haben/ hab ich
ja ich habs beim faschingsumzug nachgemacht da haben sich viele aufgeregt und viele haben gelacht/ dem vom tourismus hab ich gesagt dass ich mit tun will hab aber nicht gesagt was ich mach/ ich hab einen wagen zusammengestellt mit einer fackenwanne wo man facken enthaart wie die bauern früher wenn man absticht ein viereckiger trog den hab ich umgekehrt auf den wagen gelegt das schaut aus wie ein sarg hab ein büschl blumen drauf getan und ein großes plakat romantische kutschenfahrten mit seppl a./ die frechheit hab ich gehabt. mir wärs auch zu blöd wenn mir das passiert wäre deshalb verschrei ich nichts hoffentlich passiert mir das nie/ ich fahr viel mit den gästen schlitten wenn mir das passiert ... der wollt auch geschäft machen mit schlittenfahren ist ihm halt nicht gelungen/ beim leichenführen hat er das fohlen daheim gelassen das ross wollt heim springen das leuchtet mir schon ein/ scheiße für ihn/ in Strassen bei uns ist einer der fährt nur leiche nicht mit gästen sonst fährt keiner mit den rössern er fährt leiche und ich mit den gästen bei uns wird noch viel mit rössern leiche gefahren der aus Strassen fährt auch in Heinfels Sillian/ ich mag das nicht leichenführen ist mir nicht gegeben ich mag hochzeiten wos lustig hergeht da fahr ich/ das andere ist ernsthaft dafür bin ich nicht der mensch da ver-
Randerscheinungen
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zicht ich auf jeden schilling lieber hochzeit ist auch ein gutes geschäft. Pfarrer O. mit dem havarierten sarg sind die herunter aber um 14 uhr pünktlich hat das begräbnis begonnen. von Gschwendt sind sie gekommen dann bei der kurve ists passiert/ das füllen war im stall das muttertier hats gehört wie sie so drei vierhundert meter weg waren dann sind sie bis zur großen kurve so drei vierhundert meter gegangen gewesen vom haus weg dann hat das ross das füllen gehört der besitzer vom ross ist eher schmächtig und das ross ist ihm durch und dann war da ein zaun da musste das ross ausweichen und der sarg ist umgekippt/ seine söhne haben dann den sarg auf große äste gebettet drei äste und dann drei links und drei rechts haben sie ihn getragen bis zum bahndamm da war der bestatter schon mit einem neuen sarg und genau um zwei uhr waren sie da bei der kirche/ die haben kaum zeit verloren so eine viertelstunde werden sie ihn getragen haben. ich habs von dritten erfahren ich hab kein handy aber das begräbnis hat ohne verspätung begonnen/ ich war ja nur in vertretung ich war zuvor 40 jahre in Uganda als josef-missionar und bin gerade zurück gekommen zum dableiben/ ich bin ja auf der gegenüberliegenden seite von Gschwendt aufgewachsen in Sillian Berg da oben Gschwendt ist da drüben das ist der hof wo das ross her ist/ reden muss man mit dem leichenbestatter der hat sicher alles aufgeschrieben weil der ja die rechnung stellen hat müssen. Werner J., Leichenbestatter ich bin angerufen worden nach Heinfels zum weiler Gschwendt gerufen worden und das hat mich verwirrt weil ich ja gewusst habe dass sich gerade mein bruder dort bei einer beerdigung befindet der macht mit mir die leichenbestattung/ wir machen die verabschiedung die organisation des zuges vom haus weg organisieren also wer den kranz trägt wer das kreuz trägt wann der sarg aus dem haus geht und wenn das erledigt ist räumen wir alles auf/ deshalb war mein bruder dort er war dabei die hausaufbahrung wegzuräumen nachdem die trauergesellschaft das haus verlassen hatte.
ich bin angerufen worden und ich hab mir gedacht mein bruder ist ja schon in Gschwendt was soll ich jetzt dort mit einem sarg tun ich hab mich nicht ausgekannt/ mein bruder ist bei einer beerdigung und ich werde auch in diese gegend gerufen mit einem sarg. ich bin los mit dem sarg und sehe dann weiter oben auf dem normalen gemeindeweg die trauergesellschaft herunter kommen mit dem sarg/ ich hab mir gedacht da komm ich nicht weiter weil die ja die straße blockieren und bin wieder zurück gefahren/ dann hab ich zuhause nochmals telefoniert weil ich mich nicht ausgekannt hab/ ich hab nicht gewusst wer mich angerufen hat aber ich hatte mir die nummer notiert und dann hat es nochmals geheißen ja nach Gschwendt mit einem sarg/ dann bin ich wieder los und dann als ich den trauerzug sah bin ich beim gemeindeweg stehen geblieben um zuerst einmal die trauergesellschaft vorbeiziehen zu lassen. komm zu uns wir brauchen einen sarg das war die meldung/ die haben ja wirklich einen sarg gebraucht/ in diesem augenblick fragt man nicht „warum?“/ denn wenn ich den auftrag bekomme einen sarg zu liefern bedeutet das dass jemand verstorben ist sonst brauch ich keinen sarg/ da der aber schon verstorben war und schon in einem sarg hab ich nicht darauf schließen können dass er noch einen braucht/ ich hab mir gedacht da ist noch was passiert es war auch so hektisch und hab mich gleichzeitig nicht ausgekannt/ im gleichen weiler wos nur drei häuser gibt? abgesehen davon war ja mein bruder auch oben also ich war planlos es war nicht nachvollziehbar. dann ist die trauergemeinde näher gekommen da hab ich erst gesehen was eigentlich los ist. es war auf jeden fall notwendig die leiche umzubetten aus pietätsgründen und gesundheitspolizeilich/ wir sind verpflichtet das ordentlich zu machen/ in jedem land gibts verschiedene vorschriften über die sargstärke und so. der sarg war auf jeden fall zerstört der war nur mehr zusammengebunden mit einer schnur der deckel war eingebrochen und mit einem offenen sarg kann man keine verabschiedung machen nicht in die kirche gehen das ist die pietät ich kann nicht mit einer zusammengenagelten kiste … das kann man niemandem zumuten.
Zeitgeist
Erich Hackl
* Bert Breit. Dokumentation und Hommage fĂźr Bert Breit zum 75er, hrsg. von Othmar Costa und Bernhard Triendl, Bestellungen bei M. Breit, Samerweg 18, A-6067 Absam, info@breit.biz, www.breit.biz
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Die Tonart der Würde
Christian Seiler über den Komponisten und Gestalter Bert Breit Bert Breit hat das Fragen nicht verlernt. Das ist vielleicht eine profane Beobachtung, aber ernsthaft, welcher Herr in diesem Alter, der auf eine prallvolle Vita und ein geheimnisvolles, respektiertes Werk zurückblickt, hält sich schon lang mit Fragen auf? Breit fragt. Er ist kein Dozent. Das Geplauder über sich selbst bewältigt er nicht mit der zu erwartenden Routine, eine Anekdote von hier, eine von dort, ein paar Grundsatzweisheiten, fertig das Bild, wie man’s selbst gern von sich sehen möchte. Breit fragt zum Beispiel nach einem guten Titel, fällt Ihnen einer ein? Denn da ist diese Komposition. Ein Jodler, im weitesten Sinn. Nicht so einer, wissen Sie, vom Schützenfest. Sondern ein kleines, für ein paar Streicher arrangiertes Werk, das hübsche Motive aus der Volksmusik aufnimmt, nicht ohne aber den Treibsand mitzuliefern, über den neue Volksmusik wandeln muss, um die nötige Trittsicherheit zu beweisen. Das kann Breit. Er komponiert souverän an allen Moden vorbei, ohne deshalb beliebig zu werden. Aber jetzt wegen dem Titel. Denn Musik, sind wir uns ehrlich, sagt Breit, dient doch allen Herren, sie liefert den Spiegel für die Gefühle, die jemand in ein Musikstück hineinhört, um sie wieder herauszuhören. Es bedarf eines guten Titels, damit die eine oder andere Hörweise, die mir unmöglich erscheint, gar nicht erst möglich wird. Hab ich Recht? Wissen Sie einen guten Titel? Bert Breit, 75 Jahre alt, so ziemlich ein ganzes Leben lang Tiroler, wenn auch zeitweise mit einem Jahresumsatz von 60.000 Kilometern auf der Autobahn, er wohnt in einem hübschen Haus in Absam, ein paar Wegminuten oberhalb von Hall in Tirol Richtung Nordkette. Wer ihn aufsucht, passiert in Absam die Breitgasse, aber die ist, wie Breit mit vor Heiterkeit hoher Stimme sagt, nicht nach mir benannt. Auf Fotos sieht er ziemlich grimmig aus. Auf dem Cover der Doppel-CD „Bert Breit. Eine Dokumentation“ steht er, die Hände in den Hosentaschen, am Ufer eines Flusses, der wohl der Inn sein mag, und lässt unter seiner großen Brille die Mundwinkel hängen. Dieser Schwung, den Breits Mund nimmt, ist eindrucksvoll. Er sieht aus wie das Signet der rastlosen E-mail-Schreiber, die ihre Verstimmung so ausdrücken :-(
Aber falsch. Weil hinter einer scheinbar misanthropischen Äußerlichkeit wartet Breits Lächeln. Es ist kein strahlendes Lächeln, wenigstens nicht nach außen. Es leuchtet den festen, stämmigen Mann eher von innen aus, und, doch, auch seine Mundwinkel können nach oben wandern. Die Heiterkeit aber stammt von tief drinnen, wie die Wärme, die einen Kachelofen aus dem dunklen Innen heizt. Bert Breit ist ein politischer Künstler, was denn. Zwar beherrscht er mehr als ein Handwerk, aber das Ziel, das er auf seine jeweilige Weise verfolgt, ist stets dasselbe: er will ein bisschen was an Gerechtigkeit in die Welt hineinstellen. Das ist altmodisch, gewiss. Der Zeitgeist hat den meisten Künstlern das Politische längst runtergeräumt oder dafür gesorgt, dass politische Überzeugungen zum Marketinginstrument für subalterne Kulturprodukte mutierten. Wenn politisch, dann laut. So fordert das die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Diese Gleichung hat für Bert Breit keine Gültigkeit. Die Politik, die er verfolgt, ist die einer leisen Gründlichkeit, die nicht spektakulär, aber dafür unbeirrbar ist. Im schönen Booklet, das zu Breits 75. Geburtstag erschien, formuliert der Wiener Schriftsteller Erich Hackl, selbst einer der Leisen, Gründlichen, mit entsprechendem Einfühlungsvermögen: „An Bert Breit rühme ich nicht die Innovation, diese billige Kuh im Stall der Kunstwirtschaft, sondern das Beständige, nicht die Schnelligkeit, sondern das Beharrungsvermögen.“* Breits Handwerk: die Komposition. Seine Medien: die Musik; der Film; das Radiofeature. Wobei die Grenzen zwischen dem Komponisten Breit und dem Journalisten Breit nicht gezogen werden können. Er kann gar nicht anders als komponieren, ob er jetzt am Klavier sitzt und eine Schwebung für vier Streicher aufschreibt, ob er für eine Filmsequenz eine 37 Sekunden lange Aufregung erdichtet, oder ob er über den Tonbändern hockt, auf denen nach wochenlanger Arbeit die Resultate ewig langer Gespräche zu hören sind, die danach rufen, aneinandergehängt zu werden wie musikalische Figuren. Tatsächlich sind Breits Radiofeatures Motetten, die menschlichen Stimmen Melodie-Vorschläge, die einem strengen Regelwerk
Zeitgeist
gehorchen müssen, dieses Handwerk hat Breit aus dem Effeff gelernt.
kleinste Schritt zu ihren Freuden hin ist einer zur Verhärtung des Leidens.“
Sein Feature „Hedwig und und Agnes“ Agnes zum Beispiel, das Porträt zweier Schwestern, die als letzte von acht Kindern einer großen Bauernfamilie zusammenleben und, doch, mit ihrem Leben ganz zufrieden sind, auch wenn da, von draußen gesehen, vielleicht einiges gefehlt hat, lässt sich auch vom Zimmer nebenan gut hören. Selbst wenn man nicht versteht, was Hedwig und Agnes sagen, hört man die Lieder, die Melodien, die Strophen, die Refrains, die hier erzählt werden, und man spürt sehr genau die Tonarten, in denen die Erzählungen wohnen.
Vielleicht müssen wir uns den Künstler Bert Breit aber auch nur wie einen Lawinenhund vorstellen, der nach dem allgegenwärtigen Erdbeben, das die Welt täglich in sich zusammenbrechen lässt, am Rand der Erschöpfung durch die Trümmer schnüffelt und hie und da jemanden, an dessen Überleben längst niemand mehr geglaubt hat, ans Freie zerrt.
Im konkreten Fall sprach Breit mehr als 33 Stunden mit Hedwig und Agnes, die meiste Zeit verbrachte er am Tisch in der Küche der beiden alten Frauen, alle tranken Tee und aßen Süßigkeiten, bis nicht mehr allein die Forschere der beiden den Ton angab, sondern auch die Scheuere es wagte, mit ihren Versionen der gemeinsamen Geschichten aus der Deckung zu kommen. Was für eine Intimität. Die eine erzählt, warum ihre Schwester und sie als Jungfrauen alt geworden sind. „Unberührt“ beide, aber nur eine „ungeküsst“. Denn die andere hatte sich in der Besatzungszeit in einen marokkanischen Soldaten verliebt, es fehlte nicht viel, und man hätte Hochzeit gefeiert, aber dann kam es eben doch nicht dazu. Agnes und Hedwig reden über ihre Mutter, die dem Vater nach acht Kindern kein weiteres mehr gebären wollte und deshalb kategorisch ablehnte, ihm zu Willen zu sein, was die beiden Töchter mit unterschiedlich großem Verständnis erörtern. Aus den Dur-Tonarten der Geschichte wechseln die Schwestern ins Moll, in ein heiteres Moll. Sie ziehen Bilanz. Sie bewerten ihre Leben. Ihre Leben seien gut gewesen, kein anderes hätten sie sich gewünscht. Sie ereifern sich, wenn es darum geht, wer von beiden zuerst sterben soll, jede mag sich ein längeres Leben als das der anderen nicht gönnen, das kommt heiter über das Radio, heiter in der Tonart der Würde, in der Bert Breit seine Protagonistinnen auftreten lässt. Eine Theorie für die Einlassungen Bert Breits lieferte Theodor Adorno
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Dann widmet er zum Beispiel sein Konzert für Violine und Kammerorchester mit dem Titel „Impulse“ der Zigeunerin Rosa Winter, „die wie die meisten ihrer Zigeunerschwestern und -brüder von Staat und Gesellschaft um ein menschenwürdiges Dasein betrogen wurde“. Nicht, dass Breit metaphysische Wiedergutmachungsfantasien hätte. Aber er versteht eben doch etwas von der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Wenn ich nach der Aufführung eines meiner Stücke dazu befragt werde, sagt er, kann ich die Widmung memorieren und eine Minute Sendezeit für Rosa Winter herausschlagen. Bei der Uraufführung eines anderen Stücks sprach ich über den Innsbrucker Obdachlosen Wolfgang Tschernutter, der von Jugendlichen zu Tode getreten worden war, ihm ist das Stück gewidmet. Mit diesen Widmungen versuche ich mich zu beruhigen. Sie dienen dazu, dass über Menschen geredet wird, über die sonst nie geredet würde. 1944, ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs, war Breit 17 Jahre alt. Er hatte die Volksschule und das Gymnasium in Innsbruck absolviert, dort traf er den Lehrer Franz Mayr. Mayr ließ seine Schüler über die Zeit, in der sie lebten, nicht im Unklaren. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde die „Widerstandsgruppe Franz Mayr“ ausgehoben und ins Konzentrationslager Reichenau verfrachtet, wo es, wie Breit anmerkt, keine ganz so schlimmen SS-ler mehr gab wie in den Jahren zuvor, die Übelsten befanden sich bereits auf der Flucht vor den Amerikanern. Breit kam schnell frei, er studierte Musik in Innsbruck, schloss seine Studien am Salzburger Mozarteum ab, wurde von Wilhelm Keller in Komposition unterrichtet, nahm Privatunterricht bei Carl Orff
gehorchen müssen, dieses Handwerk hat Breit aus dem Effeff gelernt.
kleinste Schritt zu ihren Freuden hin ist einer zur Verhärtung des Leidens.“
Sein Feature „Hedwig und Agnes“ zum Beispiel, das Porträt zweier Schwestern, die als letzte von acht Kindern einer großen Bauernfamilie zusammenleben und, doch, mit ihrem Leben ganz zufrieden sind, auch wenn da, von draußen gesehen, vielleicht einiges gefehlt hat, lässt sich auch vom Zimmer nebenan gut hören. Selbst wenn man nicht versteht, was Hedwig und Agnes sagen, hört man die Lieder, die Melodien, die Strophen, die Refrains, die hier erzählt werden, und man spürt sehr genau die Tonarten, in denen die Erzählungen wohnen.
Vielleicht müssen wir uns den Künstler Bert Breit aber auch nur wie einen Lawinenhund vorstellen, der nach dem allgegenwärtigen Erdbeben, das die Welt täglich in sich zusammenbrechen lässt, am Rand der Erschöpfung durch die Trümmer schnüffelt und hie und da jemanden, an dessen Überleben längst niemand mehr geglaubt hat, ans Freie zerrt.
Im konkreten Fall sprach Breit mehr als 33 Stunden mit Hedwig und Agnes, die meiste Zeit verbrachte er am Tisch in der Küche der beiden alten Frauen, alle tranken Tee und aßen Süßigkeiten, bis nicht mehr allein die Forschere der beiden den Ton angab, sondern auch die Scheuere es wagte, mit ihren Versionen der gemeinsamen Geschichten aus der Deckung zu kommen. Was für eine Intimität. Die eine erzählt, warum ihre Schwester und sie als Jungfrauen alt geworden sind. „Unberührt“ beide, aber nur eine „ungeküsst“. Denn die andere hatte sich in der Besatzungszeit in einen marokkanischen Soldaten verliebt, es fehlte nicht viel, und man hätte Hochzeit gefeiert, aber dann kam es eben doch nicht dazu. Agnes und Hedwig reden über ihre Mutter, die dem Vater nach acht Kindern kein weiteres mehr gebären wollte und deshalb kategorisch ablehnte, ihm zu Willen zu sein, was die beiden Töchter mit unterschiedlich großem Verständnis erörtern. Aus den Dur-Tonarten der Geschichte wechseln die Schwestern ins Moll, in ein heiteres Moll. Sie ziehen Bilanz. Sie bewerten ihre Leben. Ihre Leben seien gut gewesen, kein anderes hätten sie sich gewünscht. Sie ereifern sich, wenn es darum geht, wer von beiden zuerst sterben soll, jede mag sich ein längeres Leben als das der anderen nicht gönnen, das kommt heiter über das Radio, heiter in der Tonart der Würde, in der Bert Breit seine Protagonistinnen auftreten lässt. Eine Theorie für die Einlassungen Bert Breits lieferte Theodor Adorno in seinen „Minima Moralia“: „Einig sein soll man mit dem Leiden der Menschen: der
Dann widmet er zum Beispiel sein Konzert für Violine und Kammerorchester mit dem Titel „Impulse“ der Zigeunerin Rosa Winter, „die wie die meisten ihrer Zigeunerschwestern und -brüder von Staat und Gesellschaft um ein menschenwürdiges Dasein betrogen wurde“. Nicht, dass Breit metaphysische Wiedergutmachungsfantasien hätte. Aber er versteht eben doch etwas von der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Wenn ich nach der Aufführung eines meiner Stücke dazu befragt werde, sagt er, kann ich die Widmung memorieren und eine Minute Sendezeit für Rosa Winter herausschlagen. Bei der Uraufführung eines anderen Stücks sprach ich über den Innsbrucker Obdachlosen Wolfgang Tschernutter, der von Jugendlichen zu Tode getreten worden war, ihm ist das Stück gewidmet. Mit diesen Widmungen versuche ich mich zu beruhigen. Sie dienen dazu, dass über Menschen geredet wird, über die sonst nie geredet würde. 1944, ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs, war Breit 17 Jahre alt. Er hatte die Volksschule und das Gymnasium in Innsbruck absolviert, dort traf er den Lehrer Franz Mayr. Mayr ließ seine Schüler über die Zeit, in der sie lebten, nicht im Unklaren. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurde die „Widerstandsgruppe Franz Mayr“ ausgehoben und ins Konzentrationslager Reichenau verfrachtet, wo es, wie Breit anmerkt, keine ganz so schlimmen SS-ler mehr gab wie in den Jahren zuvor, die Übelsten befanden sich bereits auf der Flucht vor den Amerikanern. Breit kam schnell frei, er studierte Musik in Innsbruck, schloss seine Studien am Salzburger Mozarteum ab, wurde von Wilhelm Keller in Komposition unterrichtet, nahm Privatunterricht bei Carl Orff. Sein musikalischer Horizont war weit: Breit interessierte sich nicht nur für die klassischen Disziplinen, sondern unternahm auch allerhand Klangexperimente, versuchte die Musik, die in Geräuschen wohnt, zu ent-
Zeitgeist
decken, gründete gleichzeitig den Kammerchor „Walther von der Vogelweide“. Er streckte die Nase in den Wind, interessierte sich für zeitgenössische Musik und Medien, entdeckte das Radio, nahm das Angebot an, die Abteilung „Ernste Musik“ bei Radio Tirol zu leiten, dieser Aufgabe widmete er sich von 1951 bis 1967. Die Figur Franz Mayr
lung von damals. Das sind die Momente, die Bert Breit ansteuert. Er muss sie hören, damit wir sie hören können. Besagtes Feature, das eines der vielen dunklen Kapitel in der Geschichte Österreichs neu beleuchtet, hatte übrigens politische Konsequenzen. Der Gemeinderat von Eisenerz beschloss, auf dem Präbichl, über den im Jahr 1945 tausende Juden Richtung Mauthausen getrieben worden waren, einen Gedenkstein für die hunderten Opfer, viele von der Hand Eisenerzer Volkssturm-Männer ermordet, zu errichten. 1967 kündigte Bert Breit seinen Posten beim ORF und arbeitete fortan frei für Radio, Fernsehen und verschiedene Orchester. Er schrieb Radiophonien, experimentelle Stücke, die im Radio zur Aufführung gelangten, sampelte Geräusche, vertonte Filme, kam über Vermittlung von Claus Gatterer in Traudl Brandstallers „Prisma“-Redaktion beim Fernsehen, vertonte Norbert C. Kaser
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decken, gründete gleichzeitig den Kammerchor „Walther von der Vogelweide“. Er streckte die Nase in den Wind, interessierte sich für zeitgenössische Musik und Medien, entdeckte das Radio, nahm das Angebot an, die Abteilung „Ernste Musik“ bei Radio Tirol zu leiten, dieser Aufgabe widmete er sich von 1951 bis 1967. Die Figur Franz Mayr aber kommt, wo eine noch so kursorische Biographie Bert Breits gedruckt wird, ursächlich vor. Mayr ist Breits Chiffre für Zivilcourage und Geradlinigkeit – diese politischen Fixsterne leuchten auch hell auf Breits Firmament. Sein Antifaschismus ist tief empfunden, seine Empörung über populistische Politik entbehrt jeder zynischen Geschäftigkeit: Breit sucht sich keine großen Gegner aus, um an ihnen zu wachsen; er kümmert sich bis zur Naivität darum, ja nicht in einen falschen Kontext zu geraten (über ein paar neue Stücke sagte er, er möchte auf dem Plattencover verbieten, dass sie zum Beispiel zu Werbezwecken der FPÖ gespielt werden dürfen); er kümmert sich um die, die auf der Strecke geblieben sind, weil sie, wenn er sie ihnen nicht gibt, keine Stimme mehr haben. So will Bert Breit nicht verstehen, wenn in den Debatten der Intellektuellen die Auschwitzkeule geschwungen wird, wenn Philosophen und Politikwissenschafter theoretische Spiegelfechtereien über Wert und Unwert des Erinnerns austragen. Kann denn niemand die Vergessenen hören? Noch einmal Adorno: „Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; noch das unschuldige Wie schön wird zur Ausrede für die Schmach des Daseins, das anders ist, und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewußtsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält.“ Es gibt eine Passage in Bert Breits Feature über den „Todesmarsch 1945 über die Eisenstraße nach Mauthausen“, in der eine Frau, die damals ein Mädchen war, erzählt, wie sie einen jungen, geschundenen Mann auf der Weide ihres Elternhofes sterben sah. Der Frau bricht, als sie sich erinnert, wie sie der Mann, dem sie Milch brachte, ansah, die Stimme, und ihr unhörbares Weinen beschwört beim Hörer einen so heftigen Schmerz herauf, eine Ahnung der Verzweif-
lung von damals. Das sind die Momente, die Bert Breit ansteuert. Er muss sie hören, damit wir sie hören können. Besagtes Feature, das eines der vielen dunklen Kapitel in der Geschichte Österreichs neu beleuchtet, hatte übrigens politische Konsequenzen. Der Gemeinderat von Eisenerz beschloss, auf dem Präbichl, über den im Jahr 1945 tausende Juden Richtung Mauthausen getrieben worden waren, einen Gedenkstein für die hunderten Opfer, viele von der Hand Eisenerzer Volkssturm-Männer ermordet, zu errichten. 1967 kündigte Bert Breit seinen Posten beim ORF und arbeitete fortan frei für Radio, Fernsehen und verschiedene Orchester. Er schrieb Radiophonien, experimentelle Stücke, die im Radio zur Aufführung gelangten, sampelte Geräusche, vertonte Filme, kam über Vermittlung von Claus Gatterer in Traudl Brandstallers „Prisma“-Redaktion beim Fernsehen, vertonte Norbert C. Kaser-Gedichte für die grandiosen Vokalisten des Hillard Ensembles, kümmerte sich im Radio um Alltagsgeschichten auf der Schattenseite des öffentlichen Lebens. Dienstboten. Nachtarbeiter. Prostituierte. Zigeuner. Menschen am Existenzminimum. Sie waren Bert Breits Gesellschaft. In seiner Freizeit arbeitete er ehrenamtlich für die Tiroler Bewährungshilfe. Zuhören. Gestalten. Das beherrschte Breit in allen denkbaren Tonarten. Weil er außerdem einen unverkennbaren Schädel besaß, trabte Bert Breit auch als geheimnisvoller Pfarrer durch einige „Tatort“-Folgen. Das war sein sympathischer Beitrag zur Stärkung der katholischen Kirche. Ich bin kein Glaubenshasser, sagt Breit, aber die Geschichte der katholischen Kirche ist nun doch zu schlimm und blutig. Zwar lobt er den Tiroler Bischof Reinhold Stecher, weil er den Kult um das „Anderl von Rinn“, das angebliche Opfer eines jüdischen Ritualmords, offiziell verurteilt hat. Aber vielleicht trete ich trotzdem noch aus. Es wäre an der Zeit, meinen Sie nicht? Wieder einmal stellt Bert Breit eine große Frage, und wieder einmal ist der Zeitpunkt, wann er sie stellt, viel richtiger als jede zu schnelle Antwort.
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>> Das da ist die 25-KV-Schaltanlage, die auch SF6-Schaltanlage genannt wird. SF6, das heisst: Schwefelhexachlorid. Das ist ein Isoliergas. Hier, auf diesem Schnitt durch die Schaltanlage kann man es sehen: Alles, was gelb ist, ist gasgefuellt.<<
>> Es gibt eine Person, die ueberwacht das ganze Netz in ganz Innsbruck und alle Kraftwerke, Tag und Nacht. Aber immer abwechselnd natuerlich. Im gleichen Moment, wo eine Stoerung auftritt, hat der schon eine Meldung. Der ist Herr ueber den Strom von ganz Innsbruck. <<
>> Es wird ja ziemlich viel hin und her geschaltet, aber es geht nie das Licht aus - oder selten.<< >>Gruen heisst aus und Rot heisst ein.<< 36/37
Die gelben Kammern
Mit dem neuen Umspannwerk Innsbruck-Mitte schuf Ben van Berkels UN Studio (Amsterdam) im Hinterhof der Stadtwerke ein basaltschwarzes Wesen: Unentbehrlich für das tägliche Leben jedes Stadtbewohners, aber vollends verschlossen. Dabei ist das Nervenzentrem eine Augenweide: Wände, Decken, Schränke – alles gelb. Der Fotograf Walter Niedermayr defloriert den „Gelben Raum“, Michael Glasmeier schreibt über die Architektur und deren Ablichtung, Dipl.Ing. Paul Nagl von den Innsbrucker Kommunalbetrieben spricht über die Technik. Was vermag die Fotografie von Architektur? Sie kann uns sachlich von einem Gebäude berichten. Sie kann uns aber auch zu Gedanken ermutigen, die ein Gebäude im eigentlichen Sinn architektonisch, d.h. räumlich werden lassen: von der einmaligen Konkretheit zur Konstruktion von Raumerfahrung. Die neuen Fotoarbeiten, die Walter Niedermayr vom inneren Licht des Umspannwerks in Innsbruck aufgenommen hat, sprechen über eine rätselhafte Präsenz, welche die Kraft besitzt, vom Gebäude wegzugehen, um wieder zu ihm zurückzukommen. Ist und war es doch eine Strategie der architektonischen Moderne, das Geheimnis aus dem öffentlichen Bewusstsein zu vertreiben, Klarheit und Einsehbarkeit herzustellen, die Offenbarung selbst als latente Durchsichtigkeit zu inszenieren. Die architektonische Postmoderne macht hier weiter, indem sie diese Durchsichtigkeit äußerlich umspielt und etwas umtanzt, das vorgibt, geheimnisvoll zu sein, um letztendlich doch in banal funktionalen Grundrissen zu enden. Da ist die Enttäuschung um so größer.
Die Auskoppelung des Geheimnisses bedeutet Verlust an Poesie, Utopie und „Denkraum“ (Aby Warburg). Der Umherschweifende, der wandernd Gehende schreitet von Enttäuschung zu Enttäuschung; denn jenes „Sprechen der verhallenden Schritte“ (Michel de Certeau), jene „Poetik des Raumes“ (Gaston Bachelard) der wechselseitigen Spannung von Geöffnetem und Geschlossenem verlangt nach dem Geheimnis hinter der Mauer, der Wand, dem Ornament. Eine Architektur des Geheimnisses fordert eine Besinnung auf den inneren Kern eines Gebäudes und – ähnlich der Poesie – ein Denken von innen nach außen. Mit den Sakral- aber auch Profanbauten von der Antike bis ins Barock ist diese intellektuelle Dimension wie selbstverständlich anwesend. In nachchristlicher Zeit werden zum Geheimnis das Wohnen selbst (Eugène Sues „Mysterien von Paris“), die Fabrikation (Herstellung von funktionaler Klarheit) und die Transformation (Verwandlung von Stoffen und Energien): insgesamt rätselhafte Vorgänge und Gebräuche, die gesellschaftlich nützlich, aber genau betrachtet sensationell hermetisch sind.
Kraftraum
>> Bei Mouseclick fragt der PC, was du tun willst. Und dann kann man den Leistungsschalter entweder ein- oder ausschalten. Das geht aber nur, wenn du die Schalthoheit hast. (...) Am Computer werden alle Schalthandlungen protokolliert. Also verheimlichen kann man da nichts. Der PC wandelt die Signale um, damit er sie auf die Strecke schicken kann.<<
>> Hier wird 5 oder 10 Jahre nicht gewartet. Das ist so gemacht, dass es nicht notwendig ist. Da kommt nur hin und wieder einer und schaut ein bissl und tut Boden wischen und sonst nichts. Frueher hat man immer Zelle fuer Zelle freischalten und mit dem Staubsauger heraussaugen muessen. Das war ein Mords Aufwand!<< 38/39
>> Das ist der 10-KV-Plan. Wenn wir jetzt schauen: Museumsstrasse ... Adamgasse, da gibt es eine Station. Meinhardstrasse 14 ... Greilstrasse 4 bis zum Landesmuseum ... dann weiter bis zum Hoertnagl. Und da ist Schluss. Der schwarze Strich deutet an, dass in der Station Burggraben 3 das Kabel offen ist. (...) Jede Station versorgt ein Gebiet: 100 oder 200 Haushalte oder einen Betrieb, der soviel braucht. Wenn ein Kabel kaputt ist, schalten wir auf dieses hier um. Wenn es gar nicht anders geht: Umspannwerk Nord, dann speisen wir ueber dieses Kabel. Also, wir haben viele Wege offen.<<
Dem Blick entzogen Doch wo Wohnen und Fabrikation sich noch halböffentlich präsentieren, finden die transformativen Akte sozusagen in aller Stille statt. Chemiefabriken, Atomkraftwerke u.a. sind publikumslose funktionale Wehrbauten, hinter deren Mauern etwas passiert, gänzlich dem Blick entzogen. Weniger abgeschlossen sind jene Umspannwerke, in denen gewaltige, ungebändigte Elektrizität zu Haushaltsstrom umgeformt wird. Mit dem Neubau in Innsbruck gelingt es, dieser Transformation ihr eigentliches Geheimnis zurück zu schenken.
Beton, Glas und Stahl, Primärmaterialien also, die entweder farblich prononciert oder in ihrer Eigensprachlichkeit belassen werden. Was hier im Inneren stattfindet, ist ein komplexes Ereignis, dem Mysterium der Transformation entsprechend. Niedermayrs paarweise organisierte Fotoserie zeigt die Konstruktion dieses Innen als Inszenierung von Licht, von Brechung und gegenseitiger Präzisierung der Materialien. Die Klarheit seiner Fotos temperiert das Gleißende wie das Warme, die technische Wahrheit wie das Anthropologische, vermittelt durch Worte, Zahlen, Kabel oder Feuerlöscher. Poetik des Raums
Ausgangspunkt für dessen herausragende Architektur von UN studio/Ben van Berkel ist eben das technische Mysterium, das sich hinter einer leicht gewölbten und abgerundeten Außenhaut aus matt dunklem Basalt verbirgt, die nachts gelassen ein inneres Licht ausstrahlt. Das Gebäude ist aus einem Guss, unaufgeregt durchbrochen von Lichtschlitzen und Elementen einer äußeren, physiognomischen Bewegtheit. Es ist ein ruhiges Gebäude von unabweisbarer Selbstverständlichkeit. Es verbirgt etwas, weil es von innen her prozesshaft gedacht ist, weil seine Haut nicht einfach die Funktion überlagert, sondern eben jene Berührungsfläche ausbildet, die Innen und Außen unauflöslich miteinander verbindet. Das Gebäude „entbirgt“ drei hohe Transformationsräume, die im Erdgeschoss nebst den Zuleitungsschalträumen von 25.000 V und 110.000 V eng beieinanderliegen. Andere Funktionsräume wie für Tonfrequenzsteuerung und 10.000 V Schaltungen verteilen sich auf weiteren Etagen. Die Materialien sind
So ist Niedermayr wie jeder gute Poet ein Verräter; denn gerade die gelben Kammern, die wir nie betreten dürfen, entschlüsseln zwar den Ort der Transformation, aber an die Wandlung müssen wir glauben. Was bleibt, ist das Gelb, als musikalische Farbe nach Kandinsky, als Farbe der Sonne und der Energie. Gelb bildet das Immaterielle, das Zeigbare, das nicht gezeigt werden kann. Der Verräter hütet das Geheimnis, das strahlt, weil es eingeschlossen ist, und weil es eingeschlossen ist, strahlt es. Inclusum labor illustrat, oder fotohistorisch: von der dunklen Kammer über die helle zur gelben Kammer. Das Geheimnis entkleidet sich nicht. Es präzisiert sich in Zweiseitigkeit, d.h. in Richtungs- und Ansichtswechseln. Das „Sprechen der verhallenden Schritte“ artikuliert sich mit diesen Fotografien ebenso wie eine „Poetik des Raums“, die das Mysterium nicht leugnet, sondern auf ihm besteht, um dem Denken einen Ort zu geben.
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14.9. 2002, 20.30 Uhr Industriezone Brixen Süd, Italien; Programm: George Lopez: Hin zur Flamme! (UA); Marina Abramovic: The composer (UA); Interpreten: basel sinfonietta, Emilio Pomárico (Dirigent), George Lopez (Ton- und Lichtkomposition, künstlerische Leistung), Marina Abramovic (Aktion), Rolf Derrer (Umsetzung der Lichtpartitur, Lichtkonzept der Aktion), Katalina Moldvay (Masken, Objekte); Veranstalter: Klangspuren Schwaz in Zusammenarbeit mit Transart
2002
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„Ich habe die Gefahr auf die Bühne gebracht.“
Marina Abramovic, Grande Dame der Performance-Kunst, gastierte im September 2002 auf Einladung der Klangspuren Schwaz und des Festivals Transart in Südtirol. Die Festung Franzensfeste war Schauplatz eines Gespräches, das der in Berlin lebende Regisseur Werner Heinrichmöller mit der Künstlerin führte: über Schüchternheit und Blöße, Angst und Kontrolle und eine Art, das Schwimmen zu lernen. Werner Heinrichmöller: Sie sprechen oft darüber, wie es ist, Leere zu empfinden. Sie brauchen diese unendliche Leere, diese innere Wüste, sagen Sie, nichts soll festgelegt sein, bevor Sie zu arbeiten beginnen. Ihre Performance gestern war eher statisch, wie eine lebende Skulptur. Heutzutage sind die Leute jedoch an kurze Schnitte, Action, Videoclips gewöhnt. Sie nehmen da eine extrem gegenteilige Position ein, indem Sie mehr oder weniger jede Bewegung verweigern. Ist das nicht gefährlich? Viele Zuschauer werden vielleicht nervös oder langweilen sich, anstatt zur Ruhe zu finden. Das ist die eine Frage. Die andere ist: Welche Methoden entwickeln Sie, um diesen Zustand der kompletten Leere zu erreichen? Marina Abramovic: Der moderne Mensch hat seinen Mittelpunkt verloren. Und zwar vollkommen. Wir leben in einer „Zapping-Kultur“, wir sitzen auf der Couch und schalten von einem Programm auf das andere. Wir zappen durch das Leben und durch den Tag. Wir halten nie inne. In unserer Kultur ist Nichtstun mit enormen Schuldgefühlen verbunden. John Cage war einer meiner wichtigsten Lehrer und er hat gesagt: „Es ist äußerst wichtig, zu dem Punkt zu gelangen, an dem man sich langweilt, und dann über diesen Punkt hinauszugehen. So erreicht man eine andere Dimension.“ Das bedeutet, ruhig sein – nichts tun und der Stille zuhören. Und genau das vermeiden wir immer. Wir wollen den Film in unserem Inneren nicht sehen. Wir wollen nur von dem Film aus der Außenwelt unterhalten werden. Es gibt keine Ent-
wicklung und das Leben wird zum Fragment. Ich habe jetzt mehr und mehr das Bedürfnis, ausgedehnte Performances zu machen. Die gestrige dauerte nur 24 Minuten, doch jetzt werde ich ein Stück in New York machen, das 12 Tage und 12 Nächte lang sein wird. Ohne Unterbrechung. Durch eine solche Long-Process-Performance gelangen wir in eine andere Dimension von Zeit. Und wenn man diese andere Dimension erreichen will, muss man sich wirklich anstrengen. Wissen Sie, ich bin immer wieder in die Wüste gegangen, denn Wüsten sind der beste Ort, um sich mit sich selbst zu konfrontieren. Dort gibt es ein Minimum an Reizen. Das Stück, von dem ich gesprochen habe, wird am 16. November in New York starten, es heißt „A House with Ocean View“. Es gibt aber gar keinen Blick aufs Meer. Das ist eine Metapher. Das Meer ist in unserem Kopf, und diesem Meer müssen wir gegenübertreten. Ich habe drei verschiedene Schachteln, die wie sehr große Schuhkartons aussehen und zum Publikum hin offen sind. In einer Schachtel ist ein Bett, in der anderen ein Stuhl und in der dritten eine Dusche und eine Toilette. Und dann gibt es Leitern, die in den Raum hinunterführen, doch die Tritte der Leitern sind aus Messern gemacht, so dass man nicht hinauf- oder hinuntersteigen kann. Im Raum gibt es ein sehr großes Teleskop. Die Leute können das komplette Bild sehen, sie können aber auch das Teleskop verwenden, um meinen Körper zu vergrößern wie eine Galaxie und jeden Millimeter betrachten zu können. Ich werde die ganze Zeit lang, 12 Tage, nichts essen. Ich werde nur Wasser trinken,
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1980
1989 â&#x20AC;&#x201C;1997 growing my hair buying my own house waiting for an idea i prefer to die from snake bite rather than truck accident war in yugoslavia sadness of my father 54/55
das aus einem kleinen Rohr kommt. Die Idee des Stückes ist, dass ich mich selbst reinige, im puren Sinn des Wortes, und ich möchte zeigen, wie dieses gereinigte Ich meine eigene Energie verändern kann und wie meine Energie die Energie des Raums verändern kann und wie die Energie des Raums das Publikum verändern kann.
Teil des Gehirns völlig loslässt, während der andere Teil absolute Kontrolle ausübt.
H.: Wie lange beherrscht bei einer solchen Performance der Gedanke an Essen Ihr Denken?
A.: Die Grundlage dieses Stücks ist das Vertrauen. Denn wenn einer von uns sich bewegt, bin ich tot. Ulay wurde gefragt: Warum zielen Sie nicht auf Ihr eigenes Herz? Er antwortete, dass er nicht auf sein Herz zielen müsse, weil mein Herz auch seins sei. Das war also wirklich eine gute Antwort.
A.: Höchstens die ersten vier Tage, danach ändert sich das, und dann ist es sehr wichtig, auf die andere Seite zu gelangen. Um dorthin zu kommen, braucht es Zeit. Das Publikum kann mit mir in diesen Bereich vordringen. Der Künstler ist eine Antenne der Gesellschaft, ihr Sauerstoff. Deshalb muss er gewisse Dinge aufzeigen, und das ist meine Funktion. Wissen Sie, was Soziologen herausgefunden haben: Die längste Zeitspanne, innerhalb der wir uns noch konzentrieren können, liegt bei 30 Sekunden – wie ein Werbespot von Coca Cola. Früher waren es 15 Minuten. H.: In den 50er-Jahren lachten die Leute in Deutschland durchschnittlich 12 Minuten am Tag. Wissen Sie, wie lange wir heute lachen? Ungefähr vier Minuten. – Aber wir haben noch eine Frage offen … A.: Richtig. Ihre zweite, eingangs gestellte Frage bezog sich auf meine Vorbereitung. Ich präpariere mich nicht. Ich konzentriere mich nur darauf, am Beginn der Performance in eine andere Dimension einzutreten. Das ist alles. Man tritt aus seinem privaten Ich in das Ich der Performance, weiter nichts. H.: Sie lassen völlig los. A.: Ich denke immer an Maria Callas. Sie hat gesagt: Wenn man auftritt, muss man darauf achten, dass ein
H.: Ich erinnere mich an Ihre Performance „Rest Energy“. Sie hielten den Bogen und Ulay, Ihr damaliger Partner, zog an der Sehne; der Pfeil war auf Ihr Herz gerichtet.
H.: Im Talmud steht etwas über die sogenannte „Gabe der Engel“, womit eine besondere Fähigkeit gemeint ist: zu handeln, bevor man weiß. Sie besitzen offensichtlich diese Gabe. A.: Das ist sehr wichtig, denn ich will in unbekanntes Terrain vordringen. Ich habe die Gefahr auf die Bühne gebracht, die Angst. Ich öffne mich ganz, um diese Erfahrung machen zu können, also weiß man nicht, was passieren wird. Ich habe auch die Performance mit den Schlangen nie geprobt. Das ist verrückt, denn fünf Minuten vor der gestrigen Performance hielt ein Mädchen die Schlange und wurde zwei Mal unter dem Auge in die Wange gebissen. So etwas lässt sich nicht vorhersehen. Und es ist wichtig, dass es nicht vorhersehbar ist. H.: Ist so etwas je bei „Dragon Heads“ passiert? A.: Ich wurde nie gebissen. Es war schlimmer. Ich hatte eine riesige, 20 Kilo schwere Schlange um den Hals. Sie rutschte weg und schlang sich um meine Kehle. Eine sehr gefährliche Situation. Das heißt nicht, dass sie einen töten will, aber sie glaubt, man sei ein Baum oder so etwas.
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1975 meeting ulay strong attraction 30 november 30 november born on the same day i write to him: pour mon cher chien russe he answers: fĂźr meine liebe kleine teufel going to prague red drop of blood white drop of sperm deciding to live and work together
1950 fear of dark bedroom
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H.: Gibt es niemanden mit einer Waffe, der Sie retten könnte? A.: Nein, in einem solchen Moment darf man eine Schlange nicht berühren. Man muss sich total entspannen, aber gleichzeitig ist man in Panik, der Puls rast und die Schlange wird nervös. Also muss man lernen, sich trotz Panik zu entspannen, und das ist interessant. H.: Also könnte man sagen, dass Sie eigentlich gegen Ihre Überzeugung leben: Der vernünftige Mensch konfrontiert sich ja nicht selbst mit Angst. Sie aber katapultieren sich absichtlich in gefährliche Situationen. A.: Ja, aber der Unterschied ist, dass wir im Leben ja wirkliche Unfälle und Tragödien erleben und darauf überhaupt nicht vorbereitet sind. Indem ich die Gefahr auf die Bühne bringe, lerne ich, damit umzugehen. Das ist der große Unterschied. Ich warte nicht darauf, dass mir ein Unfall passiert. Ich habe die Kontrolle. Ich muss Valie Export zitieren. Sie hat gesagt: „Wenn ich mir selbst Schmerzen bereite, um mich von der Angst vor Schmerzen zu befreien, dann ist der Schmerz okay.“ Das ist es. Wir machen das nicht aus masochistischen oder exhibitionistischen Gründen. H.: Es gibt einige Künstler, die versuchen, die Menschen zu schockieren. Haben Sie vor drei Monaten bei der Ausstellung „KUNST-WERKE“ in Berlin auch diese brutale Videoinstallation mit wütenden, beißenden Kampfhunden gesehen? A.: Von dem mexikanischen Künstler? Ja, die habe ich gesehen. H.: Ich war mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist, auf diese Weise zu provozieren.
A.: Das ist eine interessante Frage. In meinem Fall würde ich niemanden – nicht das Publikum, nicht meine Studenten – in diese Lage bringen. Ich muss nur für mich verantwortlich sein. … Aus ethischen Gründen kann ich so etwas nicht erlauben. Wir könnten diese Frage auch Toscani, dem Benetton-Fotografen, stellen. H.: Sie haben nie live auf der Bühne ein Tier geschlachtet wie Otto Mühl in den 60er- und 70er-Jahren? A.: Ich habe 1975 an einer Nitsch-Performance in Prinzendorf teilgenommen, weil es mich interessierte, bei der Arbeit eines anderen dabei zu sein. Das Schaf lag auf einer Bahre, ich hatte fünf Kilo Schafdärme auf meiner Brust und ich weiß nicht wie viele Liter Blut. Das Stück sollte 24 Stunden dauern. Sie wissen schon, all diese Rituale. Doch nach zwölf Stunden hörte ich einfach auf. Ich hatte keine Motivation mehr. H.: Waren Sie in Ihrer Jugend schüchtern? A.: Sehr! Ich konnte nicht einmal eine Straße entlang gehen, wenn jemand hinter mir ging, weil ich Angst hatte hinzufallen. Ich musste stehenbleiben. H.: Also führten Sie ein zweites Leben in Ihrer Phantasie, um durchzukommen. A.: Ich glaube, nicht nur ich bin so. Es gibt viele schüchterne Leute, die sich bewusst extrovertieren und Performances machen, um die Schüchternheit zu überwinden. Ich war extrem schüchtern. Ich weigerte mich zu laufen, bis ich vier Jahre alt war. Ich wollte einfach nicht gehen, ich war immer in der Ecke eines Zimmers. H.: Sind Sie in den Kindergarten gegangen?
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1958 father buying television 1974 singing sad russian songs fights with my mother wish to leave home
1974 reading dostoevski drinking turkish coffee 58/59
A.: Ja, in den französischen Kindergarten. Meine Mutter hat mich hineingesteckt. Ich hatte keine Wahl.
und atmeten so viel Luft ein, wie Sie konnten. Für mich war das, als ob das Gesicht von seiner Befangenheit befreit werden sollte.
H.: Haben Sie sich dort fremd gefühlt? A.: Ich glaube, ich hatte dort nie Freunde. Ich hatte nie Puppen oder etwas zum Spielen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Spielsachen hatte. Ich kroch immer unter eine Decke im Bett und spielte mit dem Schatten, wenn das Licht durch die Decke kam. Auch später blieb das so: Ich konnte nicht vor einer größeren Anzahl von Leuten sprechen. Ich war extrem schüchtern. Ich erinnere mich an eine lustige Geschichte, als ich mit zwölf die Präsidentin des Schachklubs war. Unsere Schule musste simultan gegen viele andere Schulen spielen ... und dann haben wir gewonnen. Ich war Präsidentin und musste auf die Bühne gehen. Als Preis bekamen wir acht Schachbretter. Also ging ich voller Angst auf das Podium, schüttelte die Hand des Rektors und dieses Ekel gab mir acht Schachbretter, die riesengroß waren. Ich umklammerte sie und dann fiel ich einfach mitten auf der Bühne hin! Die Schachbretter lagen überall herum und die ganze Schule lachte wie verrückt. Danach weigerte ich mich einen Monat lang, aus dem Haus zu gehen oder mit Leuten zu reden. H.: Und Sie haben diesen Vorfall später nie in einer Performance verwendet?
A.: Nein, das war nicht die Absicht. Meine Absicht war herauszufinden, wie ich die Performance unter Ausschaltung des Bewusstseins machen kann. Ich wurde tatsächlich bewusstlos. Das Publikum hat das nicht bemerkt, weil durch den Ventilator das Gesicht immer noch bewegt wurde. Meine Idee war also, meinen Körper so weit zu bringen, dass es gleichgültig ist, ob man bei Bewusstsein ist oder nicht – die Performance geht weiter. Noch niemand war wirklich in diesen Bereich vorgedrungen, ich war die erste, glaube ich. Das geschah durch Zufall, denn in einem anderen Stück („Rhythm Five“) bekam ich, als ich am Boden innerhalb des brennenden Sterns lag, zu wenig Sauerstoff und wurde bewusstlos. Die Zuschauer griffen ein, ich war sehr wütend, denn dadurch wurde das Stück unterbrochen. Danach machte ich zwei andere Performances mit psychedelischen Drogen. Ein Teil meines Bewusstsein war sehr klar, doch im anderen Teil war ich sechs Stunden lang völlig weggetreten. Ich grinste nur dumm vor mich hin und war überhaupt nicht da. Trotzdem machte ich weiter. H.: Hatten Sie die Wirkung der Drogen vorher ausprobiert? A.: Nie. Ich bin absolut gegen Drogen.
A.: Noch nicht. H.: Haben Sie je dieses Gefühl von Befangenheit verspürt – in dem Sinn, dass man zu sehr darauf achtet, wie man wirkt? Als ich Ihre Performance mit dem Ventilator sah, ... A.: ... „The Rhythm Four“... H.: … ja, da hielten Sie Ihr Gesicht in den Ventilator
H.: Als Sie damals das Bewusstsein verloren – entstanden da irgendwelche Bilder oder Träume, an die Sie sich später erinnern konnten? A.: Nein, eigentlich nicht. Ich war einfach leer. Ich hatte ein viel stärkeres Erlebnis in Australien bei den Aborigines – ohne Drogen. Denn die Aborigines nehmen keine Drogen. Ich habe ein Jahr bei ihnen gelebt. Es war extrem heiß, 55° C in der australischen Wüs-
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1952 birth of my brother velimir
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te. Die Hitze ist so groß, dass sie dich wie eine heiße Wand umschließt. Diese heiße Wand drosselt das Lebenstempo auf Null. In diesem Zustand sieht man dreidimensionale Bilder, die in der Zukunft passieren werden. Ich habe in nur eine Richtung geschaut, hatte aber ein Blickfeld von 360 Grad. Ich konnte alles sehen, was hinter mir passierte. – Ich bringe meinen Studenten bei, sich innerhalb von einer Stunde in diesen Zustand zu versetzen. Das ist eine Frage der Konzentration.
merkwürdigen Visionen und Bildern seiner Filme kommt. Haben Sie jemals ein Drehbuch für einen Spielfilm geschrieben? A.: Nein, aber ich träume davon. Ich filme ziemlich viel. Eines Tages werde ich mich hinsetzen und das ganze Filmmaterial und all die Landschaften, in denen ich gewesen bin, zu einem gigantischen, bizarren Film zusammenschneiden.
H.: Bei der Hitze in der australischen Wüste fällt mir die Geschichte von Bulgakow ein, die Sie in einem Interview erzählt haben.
H.: In Mozarts Zauberflöte kommt die berühmte Wasser- und Feuerprobe vor. Gesetzt den Fall, Sie würden einen Film drehen: Wie würden Sie die Wasserprobe inszenieren?
A.: Ja, das ist wirklich eine verrückte Geschichte, wie Bulgakow gestorben ist. Er hatte eine der merkwürdigsten Krankheiten, die es gibt. Sein Körper brachte die Körpertemperatur vollkommen durcheinander und er bekam so hohes Fieber, dass sein Gehirn praktisch kochte. Das ist eine der Krankheiten, die von einer Milliarde Menschen nur einer bekommt. Das kann nur einem Russen passieren.
A.: Ich würde wieder auf meine eigene Erfahrung zurückgreifen: wie mein Vater mir das Schwimmen beigebracht hat. Mein Vater ruderte mit einem Boot mitten aufs Meer hinaus und warf mich ins Wasser. Dann ruderte er einfach weiter, ohne zurückzublicken. Ich dachte: Er muss doch zurückschauen! – denn ich war am Ertrinken. Ich tauchte auf und ab, auf und ab. Er blickte nicht zurück.
H.: Praktizieren Sie transzendentale Meditation oder Yoga?
H.: Wie alt waren Sie?
A.: Wissen Sie, ich bin eine der irregulärsten Personen, die Sie je getroffen haben. Ich kenne keine Regelmäßigkeit. Ich mache die Dinge nur im Augenblick. Es gibt Zeiten, in denen ich überhaupt nichts tue, und dann gibt es Phasen, da mache ich alles. Ich fahre jedes Jahr zu einem Ayurveda-Kurort in Sri Lanka oder Indien. Und ich verbringe viel Zeit in einem tibetanischen Kloster. Man lebt dort exakt nach dem vorgegebenen Tagesplan der Mönche. Aufstehen um vier Uhr früh, meditieren usw. H.: Ich habe gelesen, dass David Lynch transzendental meditiert und dass er unter anderem so zu den
A.: Sechs. Ich dachte, er muss doch zurückschauen … ich schrie; aber er ruderte einfach weiter. Schließlich hielt er an, ohne auf mich zu achten. Ich wurde so wütend, dass es mir gelang, bis zum Boot zu schwimmen. Das war eine unglaubliche Erfahrung. H.: Und er hatte Ihnen vorher nicht das Schwimmen beigebracht? A.: Er hatte es versucht, aber ich habe mich geweigert. H.: Sind Sie in einem religiösen Umfeld aufgewachsen?
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1981â&#x20AC;&#x201C;1987 experiments without eating and talking for long periods of time slow motion interest in energy lines of the earth study body positions less is more we move to an old storage house in amsterdam domestic life cleaning, washing, cooking death of ulayâ&#x20AC;&#x2122;s mother more polaroids we stop making love ulay starts drinking everything is going wrong 62/63
Zitate aus: Marina Abramovic Biography. In Zusammenarbeit mit Charles Atlas, Reihe Cantz, 1994
A.: Ja, orthodox. Ich bin – wie Sie wissen – in Jugoslawien groß geworden. Mein Großvater war ein Heiliger, und meine Mutter und mein Vater waren Kommunisten. Ich komme aus einem sehr widersprüchlichen Umfeld. Ich spielte meine ganze Kindheit lang mit meiner Großmutter in der Kirche und meine Eltern waren immer bei Parteiversammlungen. H.: Bedeutet orthodox zu sein, auch zur Beichte zu gehen wie die Römisch-Katholischen? A.: Nein, ich bin nie zur Beichte gegangen. Mir ging es nur um die Gesänge und die Gerüche. Als ich sechs Jahre alt war, habe ich das ganze Weihwasser in der Kirche ausgetrunken. Ich dachte, ich würde heilig werden, wenn ich dieses Wasser trinke. Stattdessen bekam ich aber nur Durchfall. H.: Das war Ihre erste Performance. A.: Ja, das ist richtig. H.: Wenn ich mir die Bilder von Ihrer Performance „Nightsea Crossing“ anschaue und Sie da nackt vor dem Publikum sehe, frage ich mich, wie Sie das schaffen, wo Sie doch schüchtern sind. A.: Privat bin ich wirklich schüchtern, auch in einer Beziehung ist das für mich schwierig. Doch bei einer Performance ist der Körper wie ein Werkzeug; er ist wie der Pinsel für den Maler. Man arbeitet mit seinem Körper, um eine Botschaft zu vermitteln. H.: Es gibt eine Performance mit Ulay: Er liegt auf dem Boden mit einem erigierten Penis, Sie sitzen hinter ihm und haben überhaupt keine Beziehung zu ihm. Daran ist nichts Pornografisches, aber es ist trotzdem schockierend, weil die Atmosphäre so statisch ist. Normalerweise betrachtet man eine Erektion oder die Sexualität als etwas Dynamisches.
A.: Sie haben den ersten Teil vergessen. Die Installation hat zwei Teile. Zuerst geht man in einen Raum und sieht einen riesigen, sich drehenden Propellerflügel, der von einer Seite der Wand zur anderen geht. Also kann man in den Raum nicht hinein, sonst könnten einem die Beine abgeschnitten werden. Hier haben wir eine völlig mechanische Energie, etwas, das immer weiterläuft. Dann geht man auf die nächste Ebene hinauf und man sieht menschliche Energie in einer statischen Position: Man sieht Ulay, der am Boden liegt und an die Decke schaut, und ich sitze da und schaue zur Wand. So entsteht ein Kreuz. Dieser Raum ist von menschlicher Energie erfüllt, der andere von mechanischer. H.: Wir haben über die Erektion gesprochen, jetzt möchte ich über die Resurrektion, die Auferstehung reden. In Ihrem Buch „Cleaning the House“ zitieren Sie einen ethnographischen Artikel, der von der Auferweckung der Toten in Tibet handelt: Der Medizinmann muss auf der Leiche liegen, ihr Atem einhauchen und dann einige magische Formeln sprechen. Dadurch wird die Leiche wieder lebendig und beginnt herumzuspringen, weil sie fliehen will. Um sie wieder in den Tod zurückzuführen, muss ihr der Medizinmann die Zunge abbeißen. A.: Es gibt da auch eine Kurzgeschichte von Albert Camus. Er verirrt sich in der Wüste und kommt in eine Stadt, in der alle Häuser aus Salz sind. Allen Menschen, die dort wohnen, wurde die Zunge abgeschnitten. Dann schneiden sie auch ihm die Zunge ab. Das ist ein seltsames Bild – eine Stadt, in der niemand eine Zunge hat. Es hat mich verfolgt.
Pausenfüller
Zitate aus: John Cage, Silence, Suhrkamp Verlag 1995
„Dies ist eine Situation, die nicht mehr und nicht weniger ernst ist als jede andre Situation auf Leben und Tod.“
„Würstchenparadies“ Es regnet.
„Doch um fortzufahren: was ist Unterhaltung?“
schnelles Fahren
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Sprint in die Ewigkeit
„ASLSP (as slow as possible)“ – die Tempobezeichnung für ein Orgelstück von John Cage – wird im deutschen Halberstadt wortwörtlich genommen: Am 5. September 2001 um 9.36 Uhr fing es an und enden tut es in 639 Jahren. Franz Platzer ist Kellner im Zillertal und hat seit Erwerb des Führerscheins „2.000 Euro, nein mehr“ für das Übertreten von Höchstgeschwindigkeiten ausgegeben. Er fährt schnell nach Halberstadt und hört sich das an. Dokumentation einer Versuchsanordnung von Heidi Hackl und Andreas Schett „Wenn ich mein Leben morgen noch einmal neu anfangen könnte, würde ich in die Formel 1 gehen, das wär mein Traum!“ Franz fährt wie auf Schienen durch die fränkische Schweiz. Es regnet. In den Kasseler Bergen vor ein paar Jahren war auch so ein Wetter. „Ich bin gar nicht so schnell gefahren, 120 vielleicht, und auf einmal, in einer Kurve war ich weg. Da kannst du nichts mehr machen! Ich weiß nicht, wie oft es mich überschlagen hat …“ Sehr beruhigend. Franz ist nachdenklich. Im CD-Wechsler ist jetzt die neueste Platte der Zillertaler Schürzenjäger obenauf: „Jeder kann ein Feigling sein, doch jeder auch ein Held.“ Franz sagt: „Wenn ihr älter wärt, müsste ich jetzt Volksmusik spielen.“ Und: „Passt’s euch mit der Temperatur?“ Franz ist serviceorientiert. Franz ist Kellner. In Kaltenbach führt er ein Gästehaus, das er von der Mutter übernommen hat, und bedient im Café seiner Schwester. Der Vater war übrigens Gendarm. Es ist Nebensaison und das bedeutet: Man liest die Zeitung genauer. „Da stehen oft ganz nette Sachen drin unter Allgemeines.“ Irgendwann Ende Oktober stand da Folgendes zu lesen: „Für Studie gesucht: Leute, die glauben, am meisten Geld für zu schnelles Fahren ausgegeben zu haben.“ Franz zog sein Handy aus der Brusttasche.
Unser Ziel ist Halberstadt in Sachsen, 42.200 Einwohner, vom Zillertal aus gesehen noch weiter oben als Leipzig, fast schon Hannover, „Würstchenparadies“ seit Herr Friedrich Heine, der „Erfinder der Würstchen aus der Dose“, im Jahr 1896 sein „praktisches“ Verfahren patentieren ließ. Aber aus Halberstadt kommen nicht nur Würstchen. Im Jahr 1361 baute ein Mönch namens Faber im Halberstädter Dom St. Stephanus die technisch ausgefeilteste und größte Orgel seiner Zeit. Vom Jahr 2000 aus gesehen lag das 639 Jahre zurück. Und wie kam Cage nach Halberstadt? Im Jahr 1998 trafen der Theologe Klaus Röhring, der Orgelprofessor Christoph Bossert, der Musiktheoretiker Heinz Klaus Metzger, die Komponisten Rainer Riehn und Jakob Ullmann und ein paar andere in Trossingen zusammen. Es war da eine Frage: Wie lange dauert „so langsam wie möglich“? As slow as possible: Diese ungewöhnliche Tempoanweisung hatte der amerikanische Komponist John Cage 1985 über ein Stück für Klavier geschrieben. Zwei Jahre später entstand Organ2 /ASLSP, vier Notenblätter, achtteilig – und damit ein Problem: So langsam wie möglich, am Klavier dauert das so lange wie die Töne eben klingen. Und auf der Orgel? Schwierig. Jakob Ullmann machte Witze: „Sagt mal, was heißt das, so langsam wie möglich: Heißt das, bis der Orga-
Pausenfüller
„Dieses Stück Zeit ist gegliedert (…) “
Innsbruck
„Aber Leben ohne Struktur ist nicht wahrzunehmen.“
„Wir wissen nie wann aber fröhlich sein hilft.“
Raststätte in Bayern
„Doch ruhige Klänge waren wie Einsamkeit, oder Liebe oder Freundschaft.“ 68/69
nist von der Orgelbank kippt oder bis das Publikum eingeschlafen oder gegangen ist oder heißt das ein Tag?“ Einer sagte: Solange wie das Leben eines Organisten dauert. Da rief Hans-Ola Ericsson, ebenfalls Professor für Orgel, aus dem Publikum: „Das heißt: Solange wie eine Orgel lebt!“ Einer kannte einen aus Halberstadt: Johann-Peter Hinz, Bildhauer und Stadtrat. Die Halberstädter gaben eine Kirche her. Und die Ewigkeit hatte eine Dauer: 639 Jahre, so lange war es her, als der Mönch Faber …
„Theoretisch oder praktisch? … nämlich – man macht sich Sorgen um uns.“ „Kein Problem. Ich will ja selber auch heimkommen.“ Gegenfrage: „Warum habt ihr eigentlich mich ausgesucht? Ich meine, wenn ich den Artikel schreiben würde, würde ich selber fahren.“ „Die ganze Sache dauert 639 Jahre. Uns hat gereizt, möglichst schnell dorthin zu gelangen.“ Franz gibt Gas. Die Wirkung von Fliehkraft in der Magengegend.
„Muss ich dann schnell fahren oder wie?“ Franz ist am Telefon. Er hat auch Fragen: Wie lange spielen die das Stückl, 639 Jahre? Das gibt’s ja normalerweise nicht! Und was ist, wenn vorher der Weltuntergang ist? Und tun wir übernachten oder fahren wir am selben Tag zurück? 16 Stunden im Auto? Für mich kein Problem. Aber ich habe schon ein Einzelzimmer? Und fahren wir zu zweit? Aso, zu dritt. Und ist die dritte Person männlich oder weiblich? Weiblich? Aso, weiblich. So ein Aufwand, ha?
Spät am Abend wird Herr Betzle dem Franz die Leviten lesen. Michael Betzle ist Unternehmer und lädt uns als Geschäftsführer der John-Cage-Stiftung Halberstadt zum Essen ins „Parkhotel“. „Ich bin so schnell gefahren in meinem Leben“, sagt er in Richtung Franz, „und irgendwann habe ich beschlossen, das nicht mehr zu tun. Wenn Sie langsamer fahren, kommen Sie viel entspannter und fast genauso schnell am Zielort an. Haben Sie das noch nie festgestellt?“ „Nein, das habe ich noch nie festgestellt.“ „Sie müssten ’ne Therapie machen. Fahren Sie doch mal einen amerikanischen Highway entlang. Da rollen sie höchstens mit 80 km/h dahin, Sie können nebenbei Ihren Kaffee trinken und der Dame neben Ihnen die Hand auf den Schenkel legen. Ist das nicht wunderbar?“ „Da weiß ich mir etwas Besseres: Ich fahr lieber zügiger und die Zeit, die ich hereinbringe, da fahr ich auf den Rastplatz und hab es auch fein – mit der Dame.“
Unter reiseplanung.de steht: Innsbruck – Halberstadt 698 km. In der Kategorie „Fahrer und Fahrzeug“ kann man anwählen: langsamer PKW (braucht 10 Stunden, 26 Minuten), mittlerer PKW (8 Stunden und 2 Minuten), schneller PKW (6 Stunden, 43 Minuten). Franz wird es in 6 Stunden und 24 Minuten schaffen. Trotz Regen. Aber noch sind wir in Wörgl. Wir haben erst 60 Kilometer hinter uns. Franz schnallt sich an. Das Auto hat er extra am Wochenende geputzt. Es ist Dienstag. Das Auto ist ein schwarzer Opel Vectra, Sportausstattung („Muss sein, aber alles mit Maß und Ziel!“), Auspuff Marke Sebring („Wegen dem Sound und optisch, kostet 500 Euro locker!“). Wir kennen uns erst seit 25 Minuten. Fragen stellen beruhigt: „Wie schnell fährt das Auto eigentlich?“ „220 maximal.“
„Haben sich eigentlich andere auch auf das Inserat gemeldet?“ Erste Raststätte in Bayern, Kaffeepause. Natürlich gab es da auch andere. Aber nicht einer, der Franz das Wasser reichen konnte. Was sind schon eine Verfolgungsjagd und zwei mal Führerscheinentzug, die Trümpfe der Konkurrenten? Franz ist jetzt nicht mehr wegzudenken. Franz hat ein Wunsch-
Pausenfüller
„Jedes Etwas ist ein Echo von nichts.“
„SZ A 2000“
im Auto vor uns
ehemaligen DDR
„Mehr und mehr habe ich das Gefühl daß wir nirgendwo hingelangen.“
„ (…) langsam haben wir das Gefühl, wir gelangen nirgendwo hin. Das ist ein Vergnügen das andauern wird.“
Halberstadt
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kennzeichen, auf dem „SZ A 2000“ steht. Franz sagt: „Die 130 auf der Autobahn halte ich sowieso nie ein. Aber schneller wie 160 fahre ich auch nicht, weil ab 160 kostet’s mehr.“ An dieser Stelle hätte John Cage gelacht. Er würde den Mund öffnen wie beim Gähnen und mit dem Kopf wippen wie der Plastikdackel, der im Auto vor uns auf der Hutablage sitzt. Ein Stummfilmlachen. Cage, John, geboren am 5. September 1912, gestorben am 12. August 1992, der „höflichste aller Anarchisten“ (Petra Kipphoff) und einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, den sein Lehrer Arnold Schönberg keinen Komponisten, sondern einen „Erfinder“ nannte. Hier irrte der Tondichter und hatte natürlich recht: Cage erfand das präparierte Klavier, indem er Schrauben, Radiergummis und Geldstücke zwischen die Saiten klemmte. Er inthronisierte die Stille als musikalisches Moment, am stillsten in einer Komposition mit dem Titel „4’33’’“ – zugleich das Zeitmaß für ein Stück, das aus einer einzigen Pause besteht. Das ist nicht nichts. Eigentlich war Cage ja Zen-Buddhist und ein weltweit anerkannter Pilzexperte, der nach dem chinesischen Orakelbuch I Ging und mit Hilfe von Würfeln komponierte, der Sternenkarten auf Notenblätter übertrug und die Unebenheiten auf Papier zum Anlass nahm, Töne zu markieren. Große Leichtigkeit bei gleichzeitigem Ernst. „Ist das noch Musik?“, fragte ein Besucher John Cage nach einem Konzert in Mailand. „Nennen Sie es nicht Musik, wenn Sie das schmerzt“, gab Cage zur Antwort. Bei den Monty Pythons gibt es die folgende Szene: Jemand hält eine Rede, die mit dem Appell endet: „Ihr seid doch alle Individuen!“ Die Masse schreit im Chor: „Ja! Wir sind alle Individuen!“ Nach einer kurzen Pause streckt einer zögerlich den Arm in die Höhe und sagt: „Ich nicht!“ – Cage? Cage erschütterte auf irreparable Weise die Idee, dass
große Musik ausschließlich im großen Kopf eines großen Individuums enstünde. Gleichzeitig mutete er Interpreten wie Zuhörern die größtdenkbare individuelle Freiheit zu. Cage ist der Mann, der aufzeigt: Er hebt die Hand und hebt sich ab, gerade weil er sich nicht abheben will. Einfahrt in das Gebiet der ehemaligen DDR. Es regnet waagrecht. Die Unebenheiten des Straßenbelages gemahnen an ein bis jetzt ignoriertes, individuelles Bedürfnis. Die drei Flaschen Wasser seit Bayern! Jedes am Horizont auftauchende Hinweisschild wird zur Hoffnung („Nächste Raststätte in soundsoviel km“), dessen Entschlüsselung („Privatgewässer“) führt zur Verzweiflung. Zerstreuung mit Cage: Streichquartett in vier Teilen, 1949/50 komponiert, 3. Satz: Winter, Tempoanweisung „nearly stationary“. Lang liegende Töne, im oberen Frequenzbereich und dreifachen piano, verlaufen sich in Boxen, die auf Bässe trainiert sind. Franz überholt einen LKW. „Da weißt du nie: Kommt’s vom LKW oder kommt’s von der CD“, sagt er. Das ist exakt die Idee von Cage: Die Vorstellung, dass alle akustischen Ereignisse unseres Umfeldes als Musik wahrzunehmen sind. Noch immer keine Raststätte. Franz sagt: „Ja, das ist so! Wenn man auf etwas wartet, åftor … –“ Es folgt eine ausgedehnte Pause und nichts weiter. „Åftor“ ist das beliebteste Füllwort des Zillertalers, bedeutet „nachher, dann“ oder auch ganz etwas anderes, kurz: Es ist wie das italienische „allora“ und heißt etwas und nichts. „Gefällt dir die Musik?“ „Geht schon. Aber Goldene hat der keine, ha?“ Vielleicht in 639 Jahren – Nach 6 Stunden und 24 Minuten reiner Fahrzeit Ankunft in Halberstadt. Der Bordcomputer meldet: 128 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. „Trotz Regen“, sagt Franz. Die Burchardikirche liegt etwas außerhalb
Pausenfüller
„Doch Vorsicht vor dem, was atemberaubend schön ist, denn jeden Augenblick kann das Telefon klingeln oder das Flugzeug niedergehen auf unbebautem Gelände.“ So, dieser Blasebalg
„Es ist nicht irritierend, zu sein, wo man ist.“
„Kein einziger Klang fürchtet die Stille die ihn auslöscht.“
Weil – die Dame
„Von dem Nichts, das weitergeht“ 72/73
und ist zu Beginn des 13. Jahrhunderts erbaut worden. 1808 kam hier Jerome, der Bruder Napoleons, ans Ruder: Geldmangel behob er stets durch Verkauf von Kirchen und Klöstern zu Schleuderpreisen, weshalb hier in den vergangenen 200 Jahren ein Schweinestall war. Im Kirchenbauch ist heute wenig Licht, Kies knirscht unter den Sohlen, nervöses Aufflattern im Dachgebälk. Jemand schnauft. Herr Betzle weiß, woher das kommt, führt uns ins Querschiff, zeigt auf das einzige Requisit im Raum, einen Kasten aus Eiche. „So, dieser Blasebalg, den wir hier sehen, der rauscht seit dem 5. September letzten Jahres Tag und Nacht. Nun kann man sagen, das ist Blödsinn, aber das ist schon Musik“, sagt er. „Ja, Franz, jetzt müssen wir Farbe bekennen. Das Orgelstück von Cage beginnt mit einer Viertelpause. Auf 639 Jahre aufgerechnet, heißt das: Die ersten 17 Monate hört man hier keinen Ton. Wir kommen zur Pause.“ – Franz lacht. „Aso, Orgel gibt es jetzt gar keine?“, fragt er. „Nein, wozu? Wir haben ja Pause!“, entgegnet Herr Betzle. „Die Orgel wird im Moment gebaut. Sie sind der kräftigste von uns! Kommen Sie!“ Franz muss auf den Blasebalg. So wie er in die Pedale tritt, hat man es auch vor 639 Jahren getan. Heute läuft ein Elektromotor. „Zur Sicherheit gibt es einen Reservemotor. Bei Stromausfall springt das Notstromaggregat an, so dass sicher gestellt ist, dass die ganze Sache wirklich läuft. Dann wird eine Solaranlage gebaut und für alle Fälle kommt auch noch ein Windrad dazu.“ Seit der Mönch Faber 1361 seine Orgel baute, wurde in der europäischen Musikgeschichte nichts mehr dem Zufall überlassen. Zum ersten mal war die Oktav in zwölf Halbtöne unterteilt und damit entstand
auch die bis heute gültige Klaviertastatur. Der amerikanische Komponist, Instrumentenbauer und Musiktheoretiker Harry Partch bezeichnete 1949 in seinem Buch „The Genesis of a Music“ den Tag der Orgeleinweihung als „fatalen Tag von Halberstadt“. Seiner Meinung nach geriet man mit der Zwölfteilung der Oktave und allen darauffolgenden Entwicklungsstufen (bis hin zur Wohltemperierten Stimmung, der Johann Sebastian Bach zum Durchbruch verhalf) auf einen Irrweg. In der abendländischen Musik wurde alles Denken einer ganz bestimmten Ordnung unterworfen – ein Korsett, das erst Leute wie Cage aufzusprengen vermochten. Die Halberstädter Aufführung von Organ2 /ASLSP ist demnach wie ein Schwungrad, gegenläufig zur traditionellen Musikentwicklung, Katapult mit Zielort Zukunft. Die Zukunft ist übrigens zu haben. Für 1000 Euro kann man die Patenschaft für ein Aufführungsjahr übernehmen, die John-Cage-Stiftung unterstützen und sich eine Ahnung von Unsterblichkeit erkaufen. „Bitte schreiben Sie das unbedingt“, sagt Herr Betzle zwischen Suppe und Hauptgang. Franz hätte Interesse. „Am besten wäre eigentlich, wenn man das letzte Jahr buchen könnte, 2640, ist das schon weg?“ „Die letzten fünf Jahre sind bereits verkauft.“ „Haben die mehr gekostet?“ „Nein.“ „Hätte man sie teurer machen müssen.“ Die ersten Töne kommen im Februar 2003: gis/h/gis. Nach ein paar Monaten kommt das e. Die Buchardikirche ist in den nächsten 639 Jahren grundsätzlich rund um die Uhr zugänglich. Außer montags. „Weil – die Dame, die den Schlüssel hat, braucht ja auch mal ’ne Pause.“
Gästeessen
an der Wand hinter dem Kachelofen ist eine Berglandschaft aufgebaut mit kleinen Kühen, die im Frühjahr auf die Alm laufen, wo sich die Blicke weiten und auch die Stunden und Minuten, und nach dem Sommer wieder herunter. Heute zuckeln sie ins Tal. Der Herbst hat seine Feuchtigkeit geschickt, die Nässe sucht sich ihren Weg. Hinter den Bergen glänzt das Sonnenlicht fahl, oben ist der erste Schnee gefallen, die Bäume stehen kahl an den Wiesen. Der dunkle Inn, Scheunen, Kirchtürme, Hügel. Aus dem Tal windet sich die Straße hinauf, graue Häuser, Nebel hängt über den Wiesen. Eine Kapelle, eng gedrängt an die Volksschule und das Gemeindeamt. Schneereste am Straßenrand; die Wiesen sind noch grün. Ein paar Zeilen von Sándor Márai auf dem Weg: „Morgen muß wieder geheizt werden. Dann muß man sterben. Komm, setzen wir uns in die Sonne hinaus – hörst du die Wespen summen? –, laß uns schweigen, Most trinken, lächle doch, schnell, laß uns leben.“
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Zwei Leben. Dem Sándor-Márai-Übersetzer Ernö Zeltner in Rettenschöss nahe Kufstein seine Aufwartung machen
Vielleicht sind das die Momente, um die es geht; vielleicht sind das die Augenblicke, die zählen; vielleicht tickt auch nur ganz einfach die Uhr zu laut. Von Georg Diez Klonk, macht das Pendel, und wieder klonk. Es schwingt hin und her, hier unten in der Wirtsstube und zur gleichen Zeit auch oben in dem Haus am Rande von Rettenschöss. Das ist unser Wirtshaus, hatte Ernö Zeltner gesagt, als wir aus Rettenschöss hier herunter gefahren waren und vor dem Gasthof geparkt hatten, hier saßen wir damals, hatte er gesagt, und haben uns entschieden, dass wir hier leben wollen. Es sind gerade Wildwochen, wir essen also Hirschbraten mit Kartoffelkroketten und Knödel und Blaukraut und einem weichen Bratapfel an der Seite. Der Wirt setzt sich zu uns an den Tisch, ein dicker, mächtiger Mann, wir reden ein wenig über Politik und bleiben guter Laune, obwohl wir nicht einer Meinung sind. Dann steckt die Frau des Wirts ihren blonden Kopf zur Tür herein, fragt, wie der Mohnkuchen geschmeckt habe, den wir auch noch gegessen haben, und erzählt, dass jemand gestorben sei, den wir aber nicht kennen. Später ist noch Gemeinderatssitzung, sagt der Wirt und Bürgermeister, aber für uns gibt es einen Schnaps. Eine dickliche, braune Flüssigkeit, die nach Kräutern schmeckt und sich gut anfühlt nach dem schweren Essen. Kaiser Franz Joseph habe diesen Schnaps immer besonders gerne getrunken, sagt Ernö Zeltner. Seitdem heißt der Schnaps Unicum. Klonk. Das Pendel teilt die Stille, es gliedert die Zeit. Der Rhythmus ist der gleiche, hier unten im Tal und oben im Dorf; die Zeit ist es nicht. Wir trinken noch einen Schluck Schnaps. Der Schnaps ist der gleiche, damals im Kaiserreich und heute in der Wirtsstube; die Zeit ist es nicht. Auf Ihr Wohl, Herr und Frau Zeltner. Die Stube ist verziert mit alten Holzschnitzereien,
an der Wand hinter dem Kachelofen ist eine Berglandschaft aufgebaut mit kleinen Kühen, die im Frühjahr auf die Alm laufen, wo sich die Blicke weiten und auch die Stunden und Minuten, und nach dem Sommer wieder herunter. Heute zuckeln sie ins Tal. Der Herbst hat seine Feuchtigkeit geschickt, die Nässe sucht sich ihren Weg. Hinter den Bergen glänzt das Sonnenlicht fahl, oben ist der erste Schnee gefallen, die Bäume stehen kahl an den Wiesen. Der dunkle Inn, Scheunen, Kirchtürme, Hügel. Aus dem Tal windet sich die Straße hinauf, graue Häuser, Nebel hängt über den Wiesen. Eine Kapelle, eng gedrängt an die Volksschule und das Gemeindeamt. Schneereste am Straßenrand; die Wiesen sind noch grün. Ein paar Zeilen von Sándor Márai auf dem Weg: „Morgen muß wieder geheizt werden. Dann muß man sterben. Komm, setzen wir uns in die Sonne hinaus – hörst du die Wespen summen? –, laß uns schweigen, Most trinken, lächle doch, schnell, laß uns leben.“ Wir haben tatsächlich Most getrunken, Ernö Zeltner, seine Frau Renate und ich, der Besucher, der etwas über sein Leben wissen wollte, ja, über Sie, Herr Zeltner. Und wie wir unten im Gasthof saßen, da näherten sich die beiden Figuren zum ersten Mal wirklich einander an, Sándor Márai und Ernö Zeltner, der Schriftsteller und sein Übersetzer; zwei in Ungarn Geborene, die ihr Land verließen; zwei, die sich im Leben wohl immer fremd geblieben wären; zwei, die sich in der Literatur getroffen haben. Am Vormittag, oben in Rettenschöss, hatte Ernö Zeltner von Márai gesprochen wie von einem großen Bruder, den er
Gästeessen
genau kennt, ohne ihm je begegnet zu sein, und es hatte den Anschein, dass Übersetzen eben bedeutet, an der Hand eines anderen, älteren durch den Nebel zu laufen, der das Leben ist; hier unten schien es nun so, als würden sie sich gegenseitig stützen, der längst verstorbene Literat und sein Geburtshelfer, als würden sie Schulter an Schulter durch die Landschaft der Imagination stapfen, schwankende Gestalten und dabei doch ihrer Richtung sicher. „Wer bin ich? Was habe ich vor? Gegen wen, für wen will ich sein im Leben? Warum? Mit welchen Fähigkeiten, Instrumentarien, Mitteln, mit welchem geistigen Rüstzeug? Und was das Wichtigste ist: mit welchem Ziel?“ Das notiert Sándor Márai in seinen reflexiven Aufzeichnungen, die später mit dem Titel „Himmel und Erde“ veröffentlicht wurden. Die Wiederentdeckung des Werks des großen ungarischen Schriftstellers Márai ist sicher eine der literarischen Überraschungen der letzten Jahre; und Ernö Zeltner hat daran einen besonderen Anteil. „Das ist der Augenblick im Leben“, so geht der Eintrag von Márai weiter, „da man zu antworten hat. In dem eine Antwort erwartet wird, die Stille ist groß, dramatisch. Doch dann erfährst du, wirst du gewahr, daß man auf solche Fragen nicht mit Worten, sondern nur mit dem Leben antworten kann.“
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elegisch-altersweise Abgesang des damals 42-jährigen Márai auf das k.u.k.-Land seiner Jugend – 1998 in neuer Übersetzung erschienen, von Marcel ReichRanicki bejubelt und seither mehr als eine halbe Million mal verkauft. Eine Welt entsteht dort, die längst verweht war, zwei Leben kreuzen sich erneut, nachdem die Kraft der Lüge das Elend der Wahrheit nicht länger überstrahlen konnte. „Vier Tage blieben sie in der Stadt“, heißt es über die beiden Freunde, deren Leben die Liebe zur gleichen Frau spaltet. „Als sie abreisten, hatten sie zum ersten Mal im Leben das Gefühl, zwischen ihnen sei etwas geschehen. Als ob der eine dem anderen etwas schulde. Es war nicht in Worte zu fassen.“
genau kennt, ohne ihm je begegnet zu sein, und es hatte den Anschein, dass Übersetzen eben bedeutet, an der Hand eines anderen, älteren durch den Nebel zu laufen, der das Leben ist; hier unten schien es nun so, als würden sie sich gegenseitig stützen, der längst verstorbene Literat und sein Geburtshelfer, als würden sie Schulter an Schulter durch die Landschaft der Imagination stapfen, schwankende Gestalten und dabei doch ihrer Richtung sicher. „Wer bin ich? Was habe ich vor? Gegen wen, für wen will ich sein im Leben? Warum? Mit welchen Fähigkeiten, Instrumentarien, Mitteln, mit welchem geistigen Rüstzeug? Und was das Wichtigste ist: mit welchem Ziel?“ Das notiert Sándor Márai in seinen reflexiven Aufzeichnungen, die später mit dem Titel „Himmel und Erde“ veröffentlicht wurden. Die Wiederentdeckung des Werks des großen ungarischen Schriftstellers Márai ist sicher eine der literarischen Überraschungen der letzten Jahre; und Ernö Zeltner hat daran einen besonderen Anteil. „Das ist der Augenblick im Leben“, so geht der Eintrag von Márai weiter, „da man zu antworten hat. In dem eine Antwort erwartet wird, die Stille ist groß, dramatisch. Doch dann erfährst du, wirst du gewahr, daß man auf solche Fragen nicht mit Worten, sondern nur mit dem Leben antworten kann.“ Ernö Zeltner hat diese Zeilen, hat „Himmel und Erde“ übersetzt, das wie die anderen bislang auf Deutsch erschienenen Bücher Márais im Piper Verlag veröffentlicht wurde; er hat den heiter-melancholischen Roman „Ein Hund mit Charakter“ übersetzt und den autobiographisch gefärbten Roman „Die jungen Rebellen“ und außerdem eine Biographie über den bewunderten Landsmann geschrieben. Márais Durchbruch in Deutschland und sein wohl immer noch populärstes Buch hat er nicht übersetzt: „Die Glut“, der
elegisch-altersweise Abgesang des damals 42-jährigen Márai auf das k.u.k.-Land seiner Jugend – 1998 in neuer Übersetzung erschienen, von Marcel ReichRanicki bejubelt und seither mehr als eine halbe Million mal verkauft. Eine Welt entsteht dort, die längst verweht war, zwei Leben kreuzen sich erneut, nachdem die Kraft der Lüge das Elend der Wahrheit nicht länger überstrahlen konnte. „Vier Tage blieben sie in der Stadt“, heißt es über die beiden Freunde, deren Leben die Liebe zur gleichen Frau spaltet. „Als sie abreisten, hatten sie zum ersten Mal im Leben das Gefühl, zwischen ihnen sei etwas geschehen. Als ob der eine dem anderen etwas schulde. Es war nicht in Worte zu fassen.“ Als Ernö Zeltner 1935 geboren wurde, da war Márai längst ein anerkannter Autor. Er war im Jahr 1900 in eine großbürgerliche Familie in Kaschau geboren worden, hatte erste journalistische Verwicklungen im revolutionsgebeutelten Budapest hinter sich, Studienjahre in Hörsälen und Kaffeehäusern in Leipzig, Weimar und Frankfurt, eine kurze Zeit in Berlin, erste Ehejahre mit seiner Frau Lola in Paris und seine Rückkehr nach Budapest 1928, er hatte viele Feuilletons, ein paar Romane und die autobiographischen „Bekenntnisse eines Bürgers“ veröffentlicht, hatte Hitler im Berliner Sportpalast erlebt und Thomas Mann die Hand geschüttelt. Ernö Zeltner ist in Ödenburg aufgewachsen, als Teil der deutschsprachigen Minderheit, die in der Stadt mehr als die Hälfte der Bewohner ausmachte. Seine Mutter konnte viele ungarische Gedichte auswendig, sagt er, „sie wusste etwas, ohne zu wissen, was es bedeutet“. Als der Student Ernö Zeltner 1956 Ungarn verließ, da war der Bohemien und einst gefeierte Großschriftsteller Márai im dritten Stadium seiner Flucht; erst hatte er sich aus Protest gegen die deutsche Be-
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satzung 1944 in sein publizistisches Schweigen zurückgezogen und war mit seiner jüdischen Frau aus Budapest hinaus aufs Land gezogen; 1948 dann bestieg das Symbol der liberal-konservativen Intellektuellen seines Landes den Arlberg-Express, um sich vor der kommunistischen Diktatur in die Emigration in die Schweiz und nach Neapel zu retten; und 1952 folgte schließlich die Schifffahrt, die das Ehepaar Márai mit ihrem Adoptivsohn nach Amerika brachte, wo sie erst in New York und später in San Diego lebten. Ernö Zeltner wurde nur deshalb nicht mit seiner Familie ausgesiedelt wie so viele andere nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sein Vater in der staatseigenen Bergbauindustrie des benachbarten Brennberg arbeitete. Es waren nur ein paar hundert Meter von ihrem Haus zum Eisernen Vorhang, auf dessen anderer Seite, in einem Nachbardorf also und doch eine Welt entfernt, der Großvater lebte. Mit Wein haben sie damals die Grenzsoldaten bestochen, sagt Zeltner, um mit den Verwandten durch den Zaun hindurch zu reden. Der junge Zeltner schien durchaus privilegiert im Kommunismus, erst viel später erfuhr er aus Personalbögen, dass aus ihm in Ungarn wohl nichts geworden wäre. Er war kritisch gegenüber dem Regime dort, er blieb auch kritisch im Westen. Im Herbst 1956 wurde er als Dolmetscher an die Grenze nach Sopron geschickt; als die Panzer kamen, tat auch Ernö Zeltner den Schritt. „Manchmal wird das Werk von außen, von der Welt durchkreuzt“, schreibt Márai. „Verschließe dein Werk und dein Herz, sieh dich mit scharfem Blick um, befrage Herz und Vernunft. Die Welt läßt dich nicht los, mischt sich ein. Wehre dich, wenn du ein Dichter bist, bis ans Ende deiner Tage.“
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an den Wänden hängen Bilder, deutscher Expressionismus und ein paar ungarische Maler. Ernö Zeltner ist ein freundlicher Mann mit leicht grauen Haaren. In Wien hat er nach 1956 Germanistik studiert, er war lange Jahre beim Duden-Verlag in Mannheim, dann bei Bertelsmann in Gütersloh, als der FirmenChef Mohn einen noch mit Handschlag begrüßte, und später in München als Chefredakteur des MosaikVerlages: Sachbücher, Ratgeber, „Das große Gesundheitsbuch“. Ende 1988 gingen er und seine Frau nach Rettenschöss, sie arbeiteten weiter für Bertelsmann, lektorierten, übersetzten. „Als Übersetzer wird man geboren“, sagt Zeltner. Er erfüllte sich damit einen Traum, die Arbeit wurde sein Schlüssel zur Literatur, ein Gegenleben, ein Wunschbild, ein „Dienst auch an der Heimat“ und damit ein Dienst in mehr als einer Hinsicht auch an sich selbst. Das sind die vielen Verschachtelungen im Leben, wo es meistens ein Vorher und ein Nachher gibt; zwei Leben, die immer zugleich eine aberwitzige Fülle anderer Leben in sich bergen. Auf der Kommode liegt ein Manuskript, es ist möglicherweise Zeltners nächstes Projekt. Das neue Buch des Nobelpreisträgers Imre Kertész. Dass er Sándor Márai nie getroffen hat, sagt Ernö Zeltner, bedauert er. Am 22. Februar 1989 nahm sich Márai in San Diego das Leben. „Der Tod ist kein Problem“, schrieb er ein Jahr zuvor in sein Tagebuch. „Aber das Sterben.“ Und als eine seiner letzten Eintragungen: „L. fehlt mir heute sehr. Ihr Adel und die Vornehmheit ihres Körpers. Ihr Lächeln. Ihre Stimme.“
satzung 1944 in sein publizistisches Schweigen zurückgezogen und war mit seiner jüdischen Frau aus Budapest hinaus aufs Land gezogen; 1948 dann bestieg das Symbol der liberal-konservativen Intellektuellen seines Landes den Arlberg-Express, um sich vor der kommunistischen Diktatur in die Emigration in die Schweiz und nach Neapel zu retten; und 1952 folgte schließlich die Schifffahrt, die das Ehepaar Márai mit ihrem Adoptivsohn nach Amerika brachte, wo sie erst in New York und später in San Diego lebten. Ernö Zeltner wurde nur deshalb nicht mit seiner Familie ausgesiedelt wie so viele andere nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sein Vater in der staatseigenen Bergbauindustrie des benachbarten Brennberg arbeitete. Es waren nur ein paar hundert Meter von ihrem Haus zum Eisernen Vorhang, auf dessen anderer Seite, in einem Nachbardorf also und doch eine Welt entfernt, der Großvater lebte. Mit Wein haben sie damals die Grenzsoldaten bestochen, sagt Zeltner, um mit den Verwandten durch den Zaun hindurch zu reden. Der junge Zeltner schien durchaus privilegiert im Kommunismus, erst viel später erfuhr er aus Personalbögen, dass aus ihm in Ungarn wohl nichts geworden wäre. Er war kritisch gegenüber dem Regime dort, er blieb auch kritisch im Westen. Im Herbst 1956 wurde er als Dolmetscher an die Grenze nach Sopron geschickt; als die Panzer kamen, tat auch Ernö Zeltner den Schritt. „Manchmal wird das Werk von außen, von der Welt durchkreuzt“, schreibt Márai. „Verschließe dein Werk und dein Herz, sieh dich mit scharfem Blick um, befrage Herz und Vernunft. Die Welt läßt dich nicht los, mischt sich ein. Wehre dich, wenn du ein Dichter bist, bis ans Ende deiner Tage.“ Klonk. Ernö Zeltner sitzt an dem Tisch in dem großen offenen Wohnzimmer seines Hauses in Rettenschöss, vor sich einige der Bücher, die er übersetzt hat,
an den Wänden hängen Bilder, deutscher Expressionismus und ein paar ungarische Maler. Ernö Zeltner ist ein freundlicher Mann mit leicht grauen Haaren. In Wien hat er nach 1956 Germanistik studiert, er war lange Jahre beim Duden-Verlag in Mannheim, dann bei Bertelsmann in Gütersloh, als der FirmenChef Mohn einen noch mit Handschlag begrüßte, und später in München als Chefredakteur des MosaikVerlages: Sachbücher, Ratgeber, „Das große Gesundheitsbuch“. Ende 1988 gingen er und seine Frau nach Rettenschöss, sie arbeiteten weiter für Bertelsmann, lektorierten, übersetzten. „Als Übersetzer wird man geboren“, sagt Zeltner. Er erfüllte sich damit einen Traum, die Arbeit wurde sein Schlüssel zur Literatur, ein Gegenleben, ein Wunschbild, ein „Dienst auch an der Heimat“ und damit ein Dienst in mehr als einer Hinsicht auch an sich selbst. Das sind die vielen Verschachtelungen im Leben, wo es meistens ein Vorher und ein Nachher gibt; zwei Leben, die immer zugleich eine aberwitzige Fülle anderer Leben in sich bergen. Auf der Kommode liegt ein Manuskript, es ist möglicherweise Zeltners nächstes Projekt. Das neue Buch des Nobelpreisträgers Imre Kertész. Dass er Sándor Márai nie getroffen hat, sagt Ernö Zeltner, bedauert er. Am 22. Februar 1989 nahm sich Márai in San Diego das Leben. „Der Tod ist kein Problem“, schrieb er ein Jahr zuvor in sein Tagebuch. „Aber das Sterben.“ Und als eine seiner letzten Eintragungen: „L. fehlt mir heute sehr. Ihr Adel und die Vornehmheit ihres Körpers. Ihr Lächeln. Ihre Stimme.“ Draußen vor dem Haus der Zeltners in Rettenschöss steht der ungarische Hirtenhund, der vor ein paar Jahren gestorben ist. Es ist eine Erinnerung. Aus Stein.
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Wolken ziehen vorüber
Lois Weinbergers Garten für die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck wird im Volksmund „Käfig“ genannt. Das kam so: Studentenvertreter organisierten Kundgebungen, weil ihnen ein Parkplatz für dasselbe Geld lieber gewesen wäre. Ein Arzt bezog vorübergehend in dem Kunstobjekt Quartier, um die Verfehlungen der Konsumgesellschaft zu geißeln. Vitus H. Weh schrieb die längst fällige Würdigung der Weinberger-Arbeit. Sie ist rau geblieben. Rau und brüsk. Die „Einfriedung“, ein Gebilde aus Armierungseisen, das Lois Weinberger 1998/99 vor die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck (SOWI) setzen ließ, haben auch die wachsenden Pflanzen und die Gewöhnung nicht in die gepflegte Moderne der Umgebung integrieren können. Sie ist zu groß, als dass man sie übersehen, und zu luftig, als dass man sie festmachen könnte. Ihr Äußeres ist so rostig wie manches Spekulationsobjekt in mediterranen Tourismuszentren, und ihr Inneres oszilliert störend zwischen Brachland und Assoziationsfeld. Faktisch ist die Kunst-am-Bau-Arbeit schnell beschrieben: Vor dem von Dieter Henke und Marta Schreieck entworfenen neuen Institutsgebäude hat Lois Weinberger einen Exklusionskäfig errichten lassen, das heißt: Der Käfig sperrt nicht ein, sondern aus. Und dies recht martialisch mittels 3 cm starkem, rohem Armierungseisen, ein Volumen von 548 Ku-
bikmeter (37 m lang, 4 m breit und 3,7 m hoch), vor Passanten, Gärtner und Rasenmäher schützend. Wege führen an diesem Eisernen Vorhang vorbei, kein Tor hinein. Und gleichzeitig ist der Käfig total durchlässig. Es keimt darin, was – vom Wind oder von Vögeln getragen – zufällig hier landet. Mittlerweile ist hinter den Gitterstäben ein Garten entstanden, einer, der sich selbst angelegt hat, ein hortus conclusus im buchstäblichen Sinne. Aber das Treiben in der Einfriedung ist alles andere als friedlich: Die ersten Pionierpflanzen sind bereits wieder verdrängt, mehrjähriges Kraut macht sich breit, Birken und Weiden schießen in die Höhe und ziehen den anderen Bewohnern des Areals die Nährstoffe ab. Die Pflanzenwelt ist nicht so beschaulich, wie es unsere gehegten Parks und Vorgärten meistens suggerieren. Um zu sehen, mit welcher Zähigkeit manche Pflanzensorten selbst widrigsten Bedingungen standhalten, muss man beispielsweise nur ein wenig abseits
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der Rabatten schauen. Lois Weinbergers Arbeiten im öffentlichen Raum haben den Blick schon auf trockene Baustellen, Ruderalgebiete, Müllkippen oder gar blanke Betontische gelenkt. Und überall gedeiht etwas. Im St. Pöltener Kulturbezirk hat er aktuell einen 10 x 20 Meter großen Betonsockel mit 2000 verschiedenfarbigen, mit Erde gefüllten Plastikeimern bestückt. Auf diesem anfangs künstlich bunten Feld wird es ebenfalls bald sprießen. Und keine Hacke wird dem „Unkraut“ Einhalt bieten können. Das Plastik wird über die Jahre spröde werden und brechen. Aber auch wenn von den Eimern nur mehr Stückwerk übrig sein wird, werden dort beständig neue Keimlinge aufgehen. Ohne erst die vielen Assoziationsketten zu diesem Werk auszubreiten – von künstlicher Struktur und Entropie bis Plastikblumen und dem Charme der Vergänglichkeit –, fällt auf, wie schnell in den Gärten von Lois Weinberger die Gedanken über die Pflanzenwelt hinausführen. Wer will, kann zwar jeden Garten und Park als eine gesellschaftliche Metapher lesen – z.B. als unbewusste Manifestation sozialer Ordnungswut –, selten ist solch eine Lesart aber derart erwünscht und führt zu so ungewohnt libertären Ideen wie bei Weinberger. Beim Innsbrucker Garten drängt sich zum Beispiel das Thema „Migration“ auf. Schon die äußere Form der „Einfriedung“ gleicht einem langen Überseecontainer. Solche Stahlcontainer gehören heute zu den gängigsten Austauschformaten der Welt. Sie sind das uniformierte Treibgut
des globalen Handels. Gestapelt oder einzeln stehen sie in den Häfen und Logistiklagern, kommen sie auf Schiffen und Zügen von hier nach dort. Äußerlich ist ihnen nicht anzusehen, was sie enthalten. Sie selbst sind ort- und ziellos. Und wie Aki Kaurismäki in seinem neuesten Film „Der Mann ohne Vergangenheit“ vorgeführt hat, eignen sie sich symbolisch auch gut als Wohnungen für ähnlich entwurzelte oder nomadische Personen. Lois Weinbergers Käfig funktioniert analog: Er ist Zwischenquartier für vagabundierende Samenfracht, Kampfarena rivalisierender Pflanzen-Migranten, die auf der Suche nach neuen Arealen sind, nach Orten mit günstigem Klima und geeigneter Bodenbeschaffenheit. Alle paar Monate kartografiert Weinberger die aktuelle Besiedlungsstruktur, macht gleichsam Volkszählung. Wahrscheinlich agiert er dabei nicht viel anders als die Wissenschaftler im benachbarten Institutsgebäude, wenn diese über Saisonarbeit im Tourismusgewerbe forschen. Oder über Binnenmigration, Landflucht oder Gentrifizierung. Da erscheint es dann fast paradox, dass es gegen Weinbergers „Paralleluniversum“ vor der SOWI gerade von Seiten der Universität anfangs massive Widerstände und Kampagnen gab. So drastisch anschaulich wollte man die eigenen Themen offensichtlich doch nicht an sich heran lassen. Mittlerweile haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Und die Wolken zogen ohnehin immer schon ungerührt vorüber.
Š Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien
Š Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien
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Landvermessung No. 1, Sequenz 1 Beschreibung Tirols entlang der Linie Piz Starlex – Tartsch – Matsch – Rappenspitze – Tascheljöchl – Schnalstal
Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: Stefanie Holzer und Walter Klier folgen südlich des Alpenhauptkammes einer pfeilgeraden Linie, die vom äußersten Winkel des Südtiroler Vinschgaus zur Wallfahrtskirche von Obermauern im Osttiroler Virgental führt. Das erste Teilstück der nicht weniger als 11 Täler durchquerenden Reise birgt erstaunliche Erkenntnisse: Nicht nur Äpfel, auch Engel sind Modetrends unterworfen. Auf Höhenangaben in Landkarten ist wenig Verlass. Und: Ettore Tolomei hat an seinen Fingern gezuzelt. Eingangsbemerkung Einen Schnitt durch das Land zum Zwecke einer unkonventionellen, oder sagen wir besser, unüblichen Beschreibung legen – dazu hat der Auftraggeber der Landvermessung versucht, eine möglichst „interessante Linie“ zu finden. Diese beginnt an der Schweizer Grenze nahe dem Gipfel mit dem schönen Namen Piz Starlex und berührt in seinem Verlauf so bemerkenswerte Punkte wie die Andreas-Hofer-Kapelle bei St. Leonhard in Passeier und Maria Schnee in Obermauern im Osttiroler Virgental. Die Linie verlässt Osttirol knapp südlich des Großglocknergipfels, nachdem sie vorher noch die Stüdlhütte gestreift hat. Wir stimmen mit dem Auftraggeber darin überein, dass die Vorgabe eines quasi abstrakten Formprinzips, hier der gedachten Linie, zu Ergebnissen führen kann, die sonst, über den Zugang, den man den konventionellen nennt, gar nicht erreichbar wären. Man denkt dabei an die Montagetechnik der klassischen Moderne, als man sich gern vorstellte, durch die Kombination von Nichtzusammengehörigem ungewöhnliche Zusammenhänge sichtbar machen zu können.
Wir wollen allerdings nicht so weit gehen, die Begegnung der Nähmaschine und des Regenschirms auf dem Seziertisch – oder wie das einst mit verzücktem Augenaufschlag zitiert wurde – als Grundbedingung für das Zustandekommen von Schönheit aus der wohlverdienten Versenkung nochmals hervorzuholen … Beschreibung der Linie Verlauf in Sequenz 1: Piz Starlex – Tartsch – Matsch – Rappenspitze – Tascheljöchl – Vernagt; von 46˚39’ n.B/10˚24’ ö.L. bis 46˚44’ n.B/10˚ und ein paar Zerquetschte „östlich von Greenwich“. Den Breitengrad als x-Achse betrachtend, verläuft die Linie in einem Winkel von ca. 16˚ nach Osten ansteigend. Tiefster Punkt Laatsch, 967 m, höchster Punkt Rappenspitze, 3184 m. Vollständig erfasst auf dem Blatt WKS 2 Vinschgau – Ötztaler Alpen – Val Vernosta – Alpi Venoste der Freytag&Berndt-Wanderkarte 1:50.000. Aus Gründen größerer Anschaulichkeit wird bei der Beschreibung die Linie bis auf Weiteres als Korridor von einigen Kilometern Breite aufgefasst.
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Scherers Geographie und Geschichte von Tirol und Vorarlberg, 6. Auflage, vollständig neu bearbeitet von Alois Menghin, Innsbruck, Wagner 1903
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Grundsätzlich ist noch Folgendes zu bemerken: „Von der Größe eines Landes kann sich nur der einen richtigen Begriff machen, der den Maßstab versteht. Die Karten werden bekanntlich in einem bestimmten Verhältnisse zur Größe des Landes gezeichnet. Man sagt zum Beispiel, eine Karte ist im Maßstabe von 1 zu 200.000 gezeichnet, das will sagen, eine gerade Linie, vom Nordende zum Südende oder vom Ostende zum Westende des auf der Karte dargestellten Landes gezogen, ist 200.000mal kleiner, als eine solche Linie in der Wirklichkeit wäre. Deshalb sind zwei Orte, die bei genanntem Maßstabe auf der Karte nur 5 mm von einander abstehen, in Wirklichkeit 1 km voneinander entfernt. Auch die wirkliche Größe von Flächen kann man auf der Karte bestimmen. Ein quadratisches Blättchen von 5 mm Seitenlänge verdeckt auf der vorbeschriebenen Karte genau 1 km2 der wirklichen Größe; ein quadratisches Blättchen von 1 cm Seitenlänge deckt somit 4 km2 der Wirklichkeit.“1 Orte. Bericht von einer Reise aus dem Münstertal in den Vinschgau (Juni 2001): Müstair – Taufers im Münstertal – Laatsch – Mals – Tartsch – Glurns Santa Maria ist der Hauptort des Münstertals, das topographisch besser zum Vinschgau passen würde. Direkt an der Grenze zu Italien steht das Kloster St. Johann, das von der UNESCO zum Weltkulturerbe der Menschheit gezählt wird. Während Karl der Große 772 dabei war, im Verlauf von zwei Jahren das Langobardenreich zu erobern, gründete sein Vertreter, der Bischof von Chur, am Ausgang des Ofenpasses ein Herbergskloster. Damals waren die Menschen anscheinend noch ausschließlich mit wichtigen Dingen beschäftigt, also Kriegführen, Klostergründen, Kriegführen und so fort. Der Ortsname Müstair leitet sich von Monasterium, i.e. Kloster, her. Nach ei-
ner wechselvollen Geschichte zogen Benediktinerinnen in das Kloster ein, die bis heute in der karolingischen Kirche St. Johann Gott loben und, wenn dann noch Zeit bleibt, Trachten herstellen. Äbtissinnen haben der Klosterkirche St. Johann in Müstair immer wieder Anbauten hinzufügen lassen, die kompakt wirkende Klosteranlage ist also ohne vorausgehende Gesamtplanung über einen langen Zeitraum hin langsam gewachsen. Besonders hinzuweisen ist neben den romanischen Fresken auf die in einem warmen Rotbraun gehaltenene Fresko-Malerei aus der Entstehungszeit der imposanten Hallenkirche mit den drei Apsiden; nicht alle Bilder sind deutlich zu erkennen. Die Fachwelt diskutiert bis heute, welche künstlerischen Vorbilder die Maler in Müstair für ihre zahlreichen Bilder vor Augen hatten: Der Kirchenführer nennt „byzantinische und apokryphe, spätrömische und frühmittelalterliche Vorbilder, indes keine irischen und merowingischen“, was wohl deshalb bemerkenswert ist, da doch Missionare aus dem Nordwesten Europas das Christentum in diese Gegend gebracht haben sollen. Alfred Tamerl, bekannt für sein Buch über Hrotsvith von Gandersheim, die nach seinen Erkenntnissen eine Fiktion der hochgebildeten Äbtissin der Klarissinnen, Caritas Pirckheimer, war (einer Schwester des Humanisten Willibald Pirckheimer), hat die Giotto-Fresken aus der Scrovegni-Kapelle in Padua als wahrscheinlichstes Vorbild identifiziert. Das Jesus-Kind auf der „Flucht nach Ägypten“ zappelt ähnlich lebhaft wie bei Giotto in den Armen seiner Mutter Maria. Damit würde die Entstehungszeit der Müstairer Fresken ins 12./13. Jahrhundert rücken. Schon im Engadin und im Münstertal hatten wir Wasserzapfstellen am Straßenrand gesehen, die wir nun
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auch im Vinschgau wiederfanden. Bei näherer Betrachtung fanden sich diese merkwürdigen Dinger auch mitten in der Wiese – da fiel der Groschen: In dieser regenarmen Gegend im Inneren der Alpen werden auch die Wiesen bewässert. In diesem Winkel Südtirols findet sich außerhalb von Burgeis das imposante Kloster Marienberg. Majestätisch über dem Tal aufragend verbirgt das im 12. Jahrhundert gegründete Kloster seine Schätze in der Krypta: Wir kamen eine gute halbe Stunde vor der ersten nachmittäglichen Führung an. Eine resolute Dame geleitete uns abwechselnd Deutsch und Italienisch parlierend in die Tiefen des Klosters hinab, wo die wunderbar farbintensiven romanischen Fresken zu bewundern sind. Die Wandmalereien haben sich deshalb so gut erhalten, weil im Barock, als man auch die Marienberger Kirche der landesweit und ziemlich flächendeckend durchgeführten ästhetischen Überarbeitung unterzog, die Krypta Begräbnisstätte für die Mönche war. Die Fresken wurden zum Teil gekalkt, zu einem anderen Teil wurden die Bilder durch Grabmauern verdeckt. Die Wiederentdeckung ging in Stufen vor sich: Als erstes hat Kaiser Joseph II., der sich bekanntlich um alles kümmerte, die Bestattung in Kirchen generell verboten, 1887 wurde der Kalkanstrich entfernt, die damals ans Tageslicht gekommenen Bilder wurden 1927 restauriert. 1980 wurde die Mönchsgruft entfernt, und dahinter fand man die unversehrten Fresken aus romanischer Zeit. Dargestellt ist unter anderem Christus in der Mandorla alias Pantokrator alias Weltenherrscher, eine Darstellungsform, die aus Byzanz stammt. Neben den Aposteln Petrus und Paulus und den vier Evangelisten sind verschiedene Typen von Engeln dargestellt. Wer sich seit Kindheitstagen nicht mehr mit Fragen
des Aussehens von Engeln beschäftigt hat, ist in Marienberg richtig: Seraphim sind in erster Linie mit der Anbetung Gottes beschäftigt. Der Prophet Jesaja beschreibt sie folgendermaßen: „Jeder [Seraph] hatte sechs Flügel: Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zwei bedeckten sie ihre Füße, und mit zwei flogen sie. Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere.“ In den Erläuterungen weist die „Jerusalemer Bibel“ darauf hin, dass „Füße“ als „euphemistische Bezeichnung für Geschlechtsteile“ zu nehmen sei – und das verwundert uns sehr, denn die Engel in unserer Kindheit waren ganz bestimmt geschlechtslose Wesen. In der Offenbarung des Johannes ist zwar auch die Rede von Wesen mit sechs Flügeln, die außen und innen mit Augen bedeckt sind, allerdings drückte sich Johannes auch in diesem Zusammenhang nicht mit letzter Klarheit aus. Die ebenfalls sechsflügeligen Cherubinen (oder: Cherubim) sind Mittler zwischen dem alttestamentarischen Gott und den Menschen. Bekannt sind sie als Wächter des verschlossenen Paradieses. Ihre Flügel sind mit Augen bedeckt, was darauf hindeuten soll, dass ihnen nichts verborgen bleibt. Der Laie macht sich keine Vorstellung, was für ein weites Feld die Engel sind. Das Schutzengelfest wird übrigens am 2. Oktober begangen. Die Marienberger Engel haben als Zeichen ihres Gehorsams gegen Gott gebundene Flügel und sie tragen Haarbänder und florale Hoheitszeichen, die sie den Menschen überordnen. Was die Haarbänder genau besagen, darüber besteht in der Fachwelt keine Einigkeit. Die Deutungen gehen von „einfach nur Haarband“ bis hin zu einer erst zu erforschenden noch komplexeren hierarchischen Bedeutung. Insgesamt sind es 13 Engel, alle blicken auf Christus, nur einer
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schaut grimmig weg. Luzifer? Wer weiß. Und einer ist ganz klein wiedergegeben, so als ob er ein Reservist wäre, der an des Lichtbringers Stelle treten wollte, wenn jener erst Höllenfürst geworden wäre. Wer in Kirchen herauszufinden versucht, was was bedeutet, der merkt schnell, dass die Grundlagen unserer Kultur vielschichtig, rätselhaft und widersprüchlich sind. Engel, um zu unserem Beispiel zurückzukehren, sind keine genuin christliche Idee. Weil unter anderem schon die Assyrer schon engelartige Wesen kannten, stellte das frühe Christentum Engel stets ohne Flügel dar, damit die himmlischen Heerscharen nicht mit den ubiquitären antiken Genien, Eroten oder Siegesgöttinnen verwechselt wurden. Erst im 4. Jahrhundert bekamen Engel Flügel, die in der bildenden Kunst bald unverzichtbar waren. Der Vater der Barockmalerin Artemisia Gentileschi besaß in seiner Malerwerkstatt ein Paar Engelsflügel, die sich Caravaggio immer dann ausgeliehen hat, wenn himmlische Wesen seine Bilder bevölkern sollten. Mals oder auf Italienisch Malles Venosta war unser nächster Halt: Fünf Kirchtürme ragen im Ort auf, die gesuchte romanische Kirche zum Hl. Benedikt war wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen; weil wir schon einmal da waren, machten wir einen Abstecher in die Malser Pfarrkirche; in dieser weiten Hallenkirche fanden wir zu unserer Überraschung ein ziemlich pompöses Werk des Tiroler Jugendstilmeisters Emanuel Raffeiner aus dem Jahr 1914: Besonders bemerkenswert ist die Krönung der langmähnigen rotblonden Maria. Raffeiners Meisterwerk ist die außen klassizistische und innen von ihm in reinem Jugendstil gestaltete Pfarrkirche in Roppen im Tiroler Oberland.
Glurns liegt auf rund 900 Metern Seehöhe am Fuß des Sonnenberges, der sich bis Meran hinüberzieht: Glurns ist ein höchst attraktives Örtchen, das seine Blüte weit zurück in der Vergangenheit erlebt und seither recht verschlafen darauf gewartet hat, dass die Touristen Leben in den Geburtsort des bekannten Zeichners Paul Flora (geb. 1922) bringen. Jeden Tag kommen die Gäste zahlreich, doch gegen Abend kehrt wieder ländlich beschauliche Ruhe ein. Wir schlugen an diesem Abend unser Lager in einer Pension in Schluderns auf; der Ortsname wird übrigens kurioserweise auf der zweiten Silbe betont. Schluderns hat angeblich nichts mit „vergeuden“ im Sinne von verschludern zu tun, sondern leitet sich vom lateinischen Lutum für Kot und Schmutz ab, was mit dem Sumpf der Etschmöser zu tun haben könnte. In Schluderns wurde 1874 die Haflingerzucht begonnen, die nach einem steilen Aufstieg im Zweiten Weltkrieg verlotterte, weil die sonst so sehr auf Rassisches spezialisierte Diktatur bei diesen Pferden mehr auf Menge und weniger auf die Erreichung bestimmter Zuchtziele aus war. Am Morgen des nächsten Tages spazierten wir um die Churburg herum, deren Inneres uns unzugänglich blieb, weil die Burg erst spät am Vormittag für Besucher offen ist. Wir setzten unsere Südtirol-Durchquerung in Richtung Meran und Bozen an Obst- und Weinkulturen vorbei fort. Nach nur zwei Schönwettertagen werden Äpfel und Wein schon bewässert. Wenn, wie im Sommer 2001, insgesamt wenig Regen fällt und dann auch noch der Schnee im Winter spärlich bleibt, dann sinkt der Grundwasserspiegel so dramatisch ab, dass nicht nur die Bauern jammern, die bekanntlich wie Wirte stets Grund zur Klage finden. Der Südtiroler Obstbau ist ein Ärgernis, denn mit den
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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol, Cottaâ&#x20AC;&#x2122;sche Buchhandlung, Stuttgart, 2., vermehrte Aufl. 1871, 2 Bde., 2. Band
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Rampold, Josef: Vinschgau, Athesia, Bozen, 5. Aufl. 1986
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Genüssen unserer Kindheit haben die dort gezogenen Früchte nicht viel gemeinsam: Mit dem intensiven Obstbau verschwindet der Geschmack aus den Früchten. Wir hoffen immer noch, dass das Schicksal der Südtiroler Äpfel wenigstens die Steirer warnt. Den „Kronprinzen Rudolf“ sollte man vor dem Schicksal des Südtiroler Golden Delicious bewahren. Kronprinz Rudolf heißt die gegenwärtig einzige im Handel erhältliche Apfelsorte, die saftig und fest ist und zum Anbeißen ausschaut. Auf den Tartscher Bühel nahe Mals – das Wahrzeichen des oberen Vinschgaus, gekrönt von der uralten Kirche St. Veit, das „geheimnisvolle Zentrum dieser Landschaft“2 – näher einzugehen, würde den Rahmen dieser Veranstaltung leider sprengen, sodass wir gezwungen sind, es bei einer allgemeinen Bemerkung über historische Tiefe, mythologische Bedeutung, ästhetische Vollkommenheit und dergleichen zu belassen. Das Matscher Tal „Es gibt kaum ein Seitenthal in Tirol, was so früh und so oft genannt wird, was durch kirchliche Weihe und Ritterthum so bedeutsam ist, als dieser enge rauhe Winkel, wo isländisch Moos sich um Zirbelbäume schlingt. Hier wurde nach der Legende im siebenten Jahrhundert St. Florinus geboren. Seine Eltern waren aus England und hatten im Matscher Thale sich von einer Pilgerfahrt nach Rom zurückkehrend niedergelassen. Sie übergaben den Knaben dem Pfarrer zu Ramüs im Engadein, wo er noch in jugendlichem Alter Wunder zu wirken begann. In dem Kasten, aus dem er den Armen Brod vertheilte, wuchs Getreide, und wenn er den Tischwein des Pfarrers genommen hatte, Kranke zu erquicken, so wurde aus dem fri-
schen Quellwasser, das er dafür auf die Tafel setzte, der beste Traubensaft [allerdings kein Wein! Anm. d. Landverm.]. Als sein Lehrer, der Pfarrer, verschieden war, wurde Florin der Seelenhirt der Gemeinde und starb jung, aber im Leben schon als Heiliger verehrt. Die Einwohner von Matsch, zu denen er nicht mehr zurückkehrte, errichteten wenigstens ein Kirchlein auf der Stelle seiner Geburt.“3 Wie auch andernorts scheint nach dem 7. Jahrhundert in Matsch nicht viel losgewesen zu sein, erst um 1200 rührt sich wieder etwas, wir haben Zeugnisse, dass Vergangenheit stattgefunden hat: Um 1200 treten die Herren von Matsch als Gebieter des Tales und „weit hinab im Vinschgau und drüben im Engadein“ auf den Plan. „Später kamen dazu noch Güter am Oberrhein und in Schwaben.“ Vermutlich waren die Schwaben verspätet aus dem Urlaub zurückgekommen. „Die Nonnen zu Münster mußten ihre Hunde füttern, und wenn die Gewaltigen mit Jägern und Knechten, Rüden und Rossen auf ihren Jagdzügen in Marienberg übernachteten, so hatte der Abt Futter und Nahrung umsonst zu schaffen.“4 Durch Heirat mit der Tochter des letzten Matschers, Ulrich, kamen die Güter 1504 an die steirischen Grafen von Trapp, die aber die Burgen im Matscher Tal leider verkommen ließen, sodass von ihnen heute nicht mehr viel übrig ist. Der sonst seltene Vorname Gaudenz ist von den Matschern auf die Trapp übergegangen. Berge/Namen: Ramudel, Upi, Taschel und die Toponomastik Die Berge zwischen Matscher und Schnalstal haben schöne Namen: Remsspitze, Litznerspitze, Hochalt, Upiakopf, Rappenspitze, Ramudelspitze, Saldurspitze, dazu das Tascheljöchl …
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Kiene, Hans: Südlich der Weißkugel, Zeitschrift (Jahrbuch) des Deutschen Alpenvereins, 1941
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Steininger, Rolf: Südtirol im 20. Jahrhundert, Studienverlag, Innsbruck 1997
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Hans Kiene beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Südlich der Weißkugel“ auch mit den Namen. Er schreibt darin: „Opi und Upia bedeuten dasselbe, aber man weiß nicht was. Zum Tale wie zum Kopfe, dem das Tal seinen Namen gab, weil es von ihm beherrscht wird, sagen die Einheimischen ausschließlich Upi.“5 Upi hat immerhin den Vorteil, dass es so unheimlich undeutsch klingt, dass nicht einmal Ettore Tolomei sich etwas Italienisches dazu aus den Fingern zu saugen vermochte, die an diesem Tag wahrscheinlich von der Übersetzungsarbeit – Hochalt in Monte Alto und Ramudelkopf in Cima Ramudla (früher auch Punta Ramudla) – ganz ausgezuzelt waren, und es bei „Upikopf“ beließ, zumindest ist die hervorragende Karte 1:25.000 von Tabacco dieser Ansicht. Dass Tolomei tatsächlich auch bei größter Müdigkeit, Abspannung, Kopfweh und Ohrensausen und was eben die Berufskrankheiten des Toponomastikers sind, einen „Kopf“ hätte durchgehen lassen, wird von den Landvermessern allerdings als unwahrscheinlich eingestuft. In Südtirol sich über Namen zu äußern, bedeutet Toponomastik, also: Streit. Toponomastik ist ein Wort, das es nur in Südtirol gibt, und das den Umstand umschreibt, dass jeder Quadratmeter in Südtirol zwei Namen hat, einen deutschen und einen italienischen, und dass in diesem ansonst gesegneten Land alle ständig damit beschäftigt sind, darüber zu streiten. Nicht dass das nicht anderswo auch der Fall wäre, aber man hat doch den Eindruck, dass es hier mit einer besonderen Inbrunst geschieht. Und – die Toponomastik hat einen Namen, einen Erfinder: Ettore Tolomei (1865–1952), in Fachkreisen auch „der Totengräber Südtirols“ genannt, Theoretiker der „natürlichen Grenzen Italiens“ (d.h. am Alpenhauptkamm), besteigt 1904 den Klockerkarkopf im hinteren Ahrn-
tal, erklärt ihn zum nördlichsten Punkt Italiens, bezeichnet sich als Erstbesteiger und tauft ihn „Vetta d’Italia“ (der Gipfel Italiens; dieser Berg war allerdings 1895 von Fritz Koegel mit Führer F. Hofer bereits bestiegen worden), begründet ab den 1890er Jahren die Toponomastik als Wissenschaft von der Umwandlung deutscher in italienische Ortsnamen, zieht 1906 nach Glen bei Neumarkt im Bozner Unterland, gründet das „Archivio per l’Alto Adige“ und betreibt von da an sozusagen an vorderster Front die systematische Italianisierung Südtirols. Die Ausgabe 1935 seines „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ (Handbuch der Ortsnamen …) enthielt bereits ca. 30.000 Ortsnamen in ihrer „italianisierten“ Form, häufig eine wörtliche Übersetzung oder Erfindung. Bei unseren Ramudeln ist es besonders bemerkenswert, wie hier ursprünglich rätoromanische Namen, die niemals „eingedeutscht“ wurden, danach italianisiert werden mussten. Lange Zeit war sich Tolomei übrigens nicht klar, wie er Südtirol taufen sollte. Er nannte es einmal Trentino Superiore, dann Valdadige Superiore und dann 1916, im ersten „Prontuario“, bezeichnete er in Anlehnung an die französische Departements-Nomenklatur aus der Zeit der napoleonischen Besatzung („Haut-Adige“), Südtirol mit Alto Adige. 1943 fand Tolomei, von den Faschisten inzwischen ziemlich kaltgestellt, sich plötzlich unter deutscher Verwaltung wieder, wurde verhaftet und in Thüringen interniert, sein Archiv wurde von den Deutschen abtransportiert und ist seither verschollen, „ein Rätsel der Tiroler Zeitgeschichte“6. Die Berge haben nicht nur die verschiedensten Namen, sondern auch je nach Karte verschiedene Höhenknoten:
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Kiene, Hans: Südlich der Weißkugel Siehe auch: Klaus Stiller, Die Faschisten. Italienische Novellen. Hanser, München-Wien 1976
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Richter, E. (Hrsg.), Erschließung der Ostalpen, Verlag des DÖAV, Berlin 1894, 3 Bde.
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Straßenkarte 1:200.000 – F&B 1:50.000 – Tabacco 1:25.000, Kiene 1941 Ramudelspitze Rappenspitze Remsspitze Hochalt
3292 – 3340 – 3330 – 3340 3181 – 3184 – 3184 – 3187 3204 – 3212 – 3212 – 3205 3267 – 3285 – 3285 – 3294
„(…) gelangen wir zum zierlichen Firnknauf des Hauptgipfels [des Hochalt], den die deutschen Karten mit 3294 m angeben, während die italienische Messung hier ausnahmsweise 10 m billiger ist.“7 Täler/Jöcher: Schnals, Vernagt In der „Erschließung der Ostalpen“, im Abschnitt über die „Oetzthaler Gruppe“ (1894) schreibt Heinrich Hess über die „Pässe aus dem inneren Oetzthale nach dem Süden“ unter anderem: „Dass das Hochjoch und das Niederjoch schon seit Jahrhunderten überschritten werden, ja wahrscheinlich seit so langer Zeit, als überhaupt Menschen das obere Oetzthal bewohnen, wurde schon in der Einleitung erwähnt.“8 So gesehen hätte die Begeisterung über die wundersame Auffindung des Ötzi im Bereich Niederjoch nicht dermaßen über die Stränge schlagen müssen, wie sie es tatsächlich tat und tut. Aber wie Alois Schöpf Anfang 1980 vor Erscheinen von Heft 1 der Satirezeitschrift „Luftballon“ sagte: „Bevor i’s nit siech, glab i’s nit.“ Und so glauben es nicht nur die Leute, sondern vor allem die Wissenschaftler auch erst, seit sie IHN gefunden haben, dass nämlich schon vor längerem Menschen im Gebirg zugange waren, und seit sie es glauben, finden sie auch jede Menge Belege dafür, die ihnen vorher nicht aufgefallen waren, weil sie gar nicht
danach suchen wollten. Das im Anschluss an den „Ötzi-Fund“ gegründete „Forschungsinstitut für Alpine Vorzeit“ hat nicht nur im Fotscher Tal einen steinzeitlichen Rastplatz ausgegraben; vielmehr wird aufgrund von weit im Land verstreuten Funden im Jahresbericht 1995 festgestellt, „daß auch in Nordtirol grundsätzlich mit einer urgeschichtlichen Besiedlungsdichte zu rechnen ist, die – abgesehen von klimatisch begründbaren Unterschieden – vergleichbar mit derjenigen Südtirols ist.“9 Der Führerlohn für den Übergang über das Niederjoch betrug um 1850 „an Tagen drängender Heuarbeit fl. 3.–, sonst fl. 2.30, wobei die Führer auf ein Glas Wein in Unser Frau noch rechnen. Über das Hochjoch wurden fl. 3.– bezahlt, bis Kurzras etwas mehr.“ Seine Beschreibung der Übergänge zum Nutzen der immer zahlreicher werdenden Touristen, der diese Tarife entstammen, schließt Pfarrer Arnold von Vent mit der Bemerkung: „Wenn schliesslich ein oder der andere Reisende mit meinen Bemerkungen nicht ganz einverstanden sein sollte, so bitte ich, zu bedenken, wie viel darauf ankommt, ob man bereits durch frühere Anstrengungen geschwächt ist, oder ob der corpus und besonders Lunge und Füsse für Fernerpartien taugen. Kurz, ich bitte zu bedenken, dass solche Touren nicht für Frauenzimmer sich eignen, besonders bei ungünstigem Wege und Wetter.“10
Fortsetzung folgt.
Schlüsseldienste
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Rätselhaft, unbedingt
Als die Venus von Willendorf zum ersten Mal in ihrem Leben umzog, packten ihr Innsbrucker Forscher die Koffer: Mamsell wurde von einem Gebäude in ein anderes „gebeamt“. Oder stellen Sie sich vor, Sie beamen ein Fax. So war das in etwa. Raumschiff Enterprise? Scotty, der hatte es noch einfach. Heute haben wir Internet und die Gefahr, dass unterwegs alles gelesen wird. Anton Zeilinger und Besatzung erforschen darum, wie man die Eigenschaften von Photonen nützt, um Nachrichten absolut dicht verpacken und übermitteln zu können. Michael Hausenblas hat nachgefragt, wie das geht. Und dabei herausgefunden, dass Botschaften aller Art seit Menschengedenken versteckt, codiert, chiffriert und verschlüsselt werden. Es ist ein kryptischer Nebel, der die Kryptografie umweht, zart aber dicht. Sie ist, zumindest für den Laien, auf den ersten Blick unklar in ihrer Ausdrucksweise oder Darstellung und deshalb schwer zu deuten. Aber genau darin liegt für diese Wissenschaft der Schlüssel zum Erfolg. Und der basiert auf einer erfolgreichen Verschlüsselung von Informationen aller Art. Salopp formuliert liegt des Pudels Kern in der Verpackung, also der Nebelschwade. Diese undurchdringlich zu machen ist Begehr der Kryptografie. Was dahinter liegt, verkommt zur Nebensache. Das Bedürfnis, etwas verbergen zu wollen, ist so alt wie das zu Verbergende selbst. Der Forscher im Dienst der Kryptografie schmiedet den Schlüssel, er feilt an seinen Zacken, formt ihn zur Einzigartigkeit, sicher, unüberwindbar. Sein Werkstoff ist längst nicht mehr greifbar und hat einen langen Weg hinter sich. Eine erste Verschlüsselungstechnik war die Skytale von Sparta aus dem Jahre 500 v. Chr. Sie zeigt einen
länglichen Zylinder, der von einem Papier spiralenförmig umgeben wird. Das Papier wird der Länge des Zylinders nach beschrieben. Liest man das Papier in aufgerolltem Zustand, so können nur Teilstücke des Geschriebenen erkannt werden. Nur wer Herr dieser Technik war, konnte einen Sinn in den Wortstücken erkennen. Julius Cäsar, der Boten durch sein Imperium hetzte wie unsereins E-mails durchs weltweite Netz, war Anhänger einer Verschlüsselungstechnik, die sich bis ins hohe Mittelalter großer Beliebtheit erfreute. Er veränderte die Ordnung der Buchstaben und verschob sie um so viele Stellen im Alphabet, dass er einen anderen an ihrer statt erhielt. Für einen heutigen PC stellt dieses Verfahren lediglich eine Aufwärmübung dar. Berühmt und berüchtigt wurde das Verschlüsselungssystem Enigma, das Nazideutschland zur Chiffrierung geheimer Nachrichten nutzte und nach dem
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TYIGEHBGRZHXNYVOKQLEPSDPTDKCYRSBGRGQGMAZTFFRCWUPSWUBXIYVZWDPTFKUYKIHBJPUVJFAFGDBLRHFSLLWMDHPNOWUUCDIFBGHCVGMIRKYULJDZUKWWWBCHZGOHMSZNKZQZLSSTBLLKCUUMRYJDWBS 110/111
Krieg Grundlage vieler abenteuerlicher Bücher und Filme war. Der Begriff Enigma stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Rätsel. Die Maschine selbst sieht ein wenig einer etwas ungewöhnlich konstruierten Schreibmaschine in einem Holzkästchen ähnlich und wurde in seiner Urform 1919 vom Niederländer Hugo Alexander Koch als „Geheimschreibermaschine“ zum Patent angemeldet. Nach zahlreichen Verbesserungen kam die Enigma vor allem auf deutschen U-Booten zum Einsatz und machte es diesen möglich, ihre Einsätze zu koordinieren und feindliche Schiffe im Rudel anzugreifen. Kenner des Films „Das Boot“ können sich bestimmt daran erinnern, wie Jürgen Prochnow als Kommandant eines deutschen U-Bootes gelegentlich geheimnisvoll und hektisch auf einem Gerätchen herumtippste. 1941, bei der Torpedierung eines deutschen U-Bootes durch die Alliierten, gelang es kurz vor dessen Untergang eine komplette Enigma samt Codebüchern zu bergen. Da die Deutschen annahmen, dass das Boot mit Mann und Maus gesunken sei, wurden die Codes nicht geändert. Mit Hilfe riesiger elektromechanischer Computer schafften es die Alliierten, die Enigma-Einstellungen zu knacken. Die Deutschen waren von ihrer Enigma derart überzeugt, dass sie – nach zunehmender Erfolglosigkeit ihrer Flotte – eher an einen Spion glaubten, als ein Versagen ihres vermeintlich genialen Systems. Die Enigma war eine Rotormaschine zur elektromechanischen Verschlüsselung von Daten. Die Rotoren waren elektrisch isolierte Scheiben mit jeweils 26 Schleifkontakten auf den gegenüberliegenden Flächen. Jeder Kontakt war einem Buchstaben im Alphabet
zugeordnet. Beim Eintippen eines Buchstabens wurde ein Signal an den Kontakt auf der anderen Seite der Rotorenplatte weitergegeben. Dieser war wiederum einem anderen Buchstaben zugeordnet. Daraus folgte, dass mit jedem weiteren Rotor die Verschlüsselung letztendlich um das 26-fache erhöht wurde. Das ganze System verkomplizierte sich durch Reflektoren und Steckfelder. Und dennoch. Das Rätsel wurde gelöst und die Suche nach einer sicheren Verpackung für Informationen ging weiter. Noch vor zehn Jahren war Kryptografie eine Art Geheimwissenschaft, in erster Linie von Militärs oder Konzernen finanziert und betrieben. Aber spätestens seit das Internet Einzug in beinahe jede gute Stube gehalten hat, ist klar, dass in diesem weltweiten Kommunikationswirrwarr bisher kaum ein flächendeckendes Maß an Vertraulichkeit und Sicherheit geschaffen werden konnte. Die Nachfrage nach Schlüsseldiensten aller Art steigt gewaltig. Dabei kommen kryptografische Verfahren mit einer immensen Zahl von Interessengebieten in Berührung, die unter anderem mit nationaler Sicherheit, Schutz der Privatsphäre und dergleichen mehr zu tun haben. Netze haben eben Löcher und die wollen geflickt sein. Widersprüchlich wird Verschlüsselung dabei, wenn es, wie es der FBI-Direktor Louis Freeh formulierte, so weit kommt, dass „unlösbare Verschlüsselung Terroristen erlaubt, sich untereinander über ihre kriminellen Absichten ohne Angst vor Entdeckung auszutauschen“. Aber das liegt wohl in der Natur der Sache und ist Grundlage jeder Verschlüsselung – die „Guten“ verschlüsseln vor den „Bösen“ und umgekehrt. Darum geht’s bei dem ganzen Hokuspokus der Extraklasse.
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[ITC Zapf Dingbats]
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Wer verschlüsselt, will verstecken, wer entschlüsselt, der sucht. Ein Wechselspiel – und ein Suchen nach einem sicheren Schloss ohne Schlüssel. Riesenschritte auf dem Weg zum unknackbaren Siegel gelangen der Quantenkryptografie, über die Erwin Schrödinger in einem Streitgespräch mit Niels Bohr einmal gesagt haben soll: „Wenn es doch bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben soll, so bedaure ich, mich überhaupt jemals mit Quantentheorie abgegeben zu haben.“ Bei allem Schimpfen eines Schrödinger über die Quantenkryptografie bietet sie – und das ist der wahre springende Punkt – angeblich absolute Sicherheit, da jeder Spion, der mitzuhören versucht, unvermeidlich bemerkt wird. Mit der Quantenkryptografie beginnt allerdings bereits im Theoretischen eine sprachliche Verschlüsselung der Verschlüsselung, denn, seien wir einmal offen und ehrlich, wer weiß schon – also so richtig –, was genau die Quantentheorie uns sagen will? Der Duden entschlüsselt den Begriff folgendermaßen: „Theorie über die mikrophysikalischen Erscheinungen, die das Auftreten von Quanten in diesem Bereich berücksichtigt“. Nun gut, das mag zur Auffrischung reichen, aber wie war das noch mit den Quanten? „Das Quant ist ein nicht weiter teilbares Energieteilchen, das verschieden groß sein kann.“ Ebenfalls im Duden nachzulesen. Wie sich diese ominösen Teilchen allerdings im Rudel zu Schlüsseln verbrüdern, davon keine Spur. Um das Geheimnis zu lüften, fragten wir bei Julia Petschinka nach, die sich unter den wissenschaftlichen Fittichen von Professor Anton Zeilinger am Wiener Institut für Experimentalphysik gemeinsam mit dem Forschungszentrum Seibersdorf mit einem Plug &
Play-System im Zusammenhang mit Quantenkryptografie auseinandersetzt. Es ist übrigens unkorrekt, Koryphäen wie sie als Kryptografen zu bezeichnen, denn so werden lediglich Geräte zur Herstellung von Geheimschriften bezeichnet. Und Kryptomane werden blütenlose Pflanzen genannt. Dagegen befindet sich die Wissenschaft der Julia Petschinka in der Hochblüte. Der langen Schreibe kurzer Sinn ist also, dass die Quantenkryptografie eine Methode zur Erzeugung eines Schlüssels bezeichnet, der die Eigenschaften von Photonen, also Lichtteilchen ausnützt. Zum ersten Mal in Österreich funktionierte diese, dem Laien doch magisch erscheinende Versandart, in Innsbruck, als es den Forschern gelang, ein Bild der Venus von Willendorf auf quantenkryptografische Weise von einem Gebäude zum anderen zu senden. Dabei löste sich die pummelige alte Dame kurzer Hand in Licht auf. Bei der Methode, mit der Frau Petschinka und ihre Kollegen arbeiten, wird durch so genannte „Verschränkung“ verschlüsselt. Dabei sendet eine Quelle Teilchen aus, etwa ein funkelnder Kristall, der von einem UV-Laser beschossen wird. Wie durch Zauberhand werden sodann aus einem UV-Lichtteilchen zwei infrarote Lichtteilchen, die, so die Wissenschafterin, über gemeinsame Eigenschaften verfügen, und diese werden wiederum verschränkt. Also: Nehmen wir an, Absender Josef sendet Photonen zu Maria mit zufällig ausgewählten Polarisationsrichtungen. Maria wählt aus, welche der Polarisationen sie messen will. Maria erhält ein geheimes Ergebnis. Sie übermittelt öffentlich die Art der Messung an Josef, nicht aber die Ergebnisse. Josef teilt ebenfalls öffentlich mit, welche Messungen die
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Also: Nehmen wir an, Absender Josef sendet Photonen zu Maria mit zufällig ausgewählten Polarisationsrichtungen. Maria wählt aus, welche der Polarisationen sie messen will. Maria erhält ein geheimes Ergebnis. Sie übermittelt öffentlich die Art der Messung an Josef, nicht aber die Ergebnisse. Josef teilt ebenfalls öffentlich mit, welche Messungen die richtigen sind. Damit haben beide einen geheimen Schlüssel, den sonst niemand kennt. Anders ausgedrückt: Josef und Maria vergleichen Listen von Bits, die sie sich parallel öffentlich sowie verschlüsselt geschickt haben und können so klar jede Intervention von außen erkennen. Ist der Kanal sicher, können sie nun getrennt die mit dem bereits gesendeten Schlüssel codierte Nachricht schicken. Da die Übertragung auf einzelnen Photonen basiert, ist es einem Spion unmöglich, einen kleinen, von Maria nicht bemerkbaren Anteil des optischen Signals abzuzweigen, um seine Messung daran vorzunehmen. Bleiben nur zwei Möglichkeiten: Er kann ein Photon entweder unbeobachtet zu Maria
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richtigen sind. Damit haben beide einen geheimen Schlüssel, den sonst niemand kennt. Anders ausgedrückt: Josef und Maria vergleichen Listen von Bits, die sie sich parallel öffentlich sowie verschlüsselt geschickt haben, und können so klar jede Intervention von außen erkennen. Ist der Kanal sicher, können sie nun getrennt die mit dem bereits gesendeten Schlüssel codierte Nachricht schicken. Da die Übertragung auf einzelnen Photonen basiert, ist es einem Spion unmöglich, einen kleinen, von Maria nicht bemerkbaren Anteil des optischen Signals abzuzweigen, um seine Messung daran vorzunehmen. Bleiben nur zwei Möglichkeiten: Er kann ein Photon entweder unbeobachtet zu Maria passieren lassen (in diesem Fall erhält er allerdings keinerlei Informationen über dessen Zustand), oder dieses als Ganzes messen und ein – entsprechend dem Resultat der Messung – präpariertes Ersatzphoton weiterschicken. Bedingt durch die Verwendung nichtorthogonaler Zustände ist es ihm jedoch unmöglich, den Zustand des Photons korrekt zu übermitteln. Er wird dadurch entdeckt. Versucht ein Spion also, Zugriff zu bekommen, verrät die ankommende Nachricht dem Empfänger durch die quantenmechanischen Besonderheiten des Systems mit absoluter Sicherheit, ob jemand mitgehört hat. Der Knackpunkt ist also der Knackpunkt! Übertragen wird vom Wiener Institut durch Glasfaserkabel, die Münchner Forschungsgruppe sendet Infos über Teleskope und Schweizer Physikern gelang es vergangenen Juli einen Quantencode durch ein Glasfaserkabel über eine Distanz von 67 Kilometern zu übermitteln. Die Forscher der Universität Genf haben eine eigene Firma gegründet, die künftig das von ihnen entwickelte Quantenkryptografie-System vermarkten soll. Julia Petschinka weiß aber von Pro-
blemen, diese Erfindung in bestehenden Systemen unterzubringen. Die Forscherin schätzt, dass die „ganze Sache“ in fünf bis zehn Jahren am Laufen sei. Wie gut, wagt sie allerdings nicht zu sagen. Bis zu diesem Zeitpunkt würden Nachrichten wohl hochsicher übertragbar sein, am „Speed“ könnte es aber, so die Wissenschafterin, noch gehörig hapern. Kryptografie beschäftigt sich aber auch mit weitaus greifbareren, hoch bezahlten Versteckspielchen. Der japanische Kryptografie-Experte Tsutomu Matsumoto präsentierte im Mai an der Yokohama Universität, wie ihm mit einem künstlichen Finger aus Gelatine die Überlistung eines Fingerabdruck-Systems gelungen ist. Den Abdruck hatte er von einem Glas genommen und damit die Kopie produziert. Wenn jetzt unsere aus dem Beispiel mit der Photonenübermittlung Bekannten, Josef und Maria, nicht aufpassen, wo sie überall hintapsen, kann es auch in Zukunft passieren, dass Maria zwar Nachrichten von Josef hochsicher und unabgehört in Empfang nimmt, wer aber sagt ihr, dass Josef auch wirklich Josef ist? Und woher soll Josef wissen, wer da wirklich am Ende der High-Tech-Strippe die Lauscher spitzt und auf ein paar ziemlich schräge Lichtteilchen wartet? Im Prinzip ist seit der Skytale von Sparta und den wackeren Kurieren des Julius Cäsar alles gleich geblieben. Verstecken und versteckt werden. Es wird halt immer schwieriger, Licht in die Sache zu bringen. Trotz, oder gerade wegen der Photonen.
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Schwaiger, Ludwig: Reisetagebuch über d. Südamerikatournee d. Musikkapelle Wilten 1955/56, geschrieben im Auftrag des Chronisten Josef Eiter, der dieses in die Chronik übertragen hat
Anmerkung 1: Der erste Anruf macht mich nachdenklich: Da müsse man schon zuerst Rücksprache halten, ob das möglich sei. Schließlich sei man ein Verein, dessen Aufzeichnungen intern, also nicht für jemanden Außenstehenden bestimmt seien. Ja, verstehe. – Umso erstaunlicher das freundliche Entgegenkommen und Vertrauen in der Folge, wenn ich etwa mit einer Chronik unter dem Arm das Haus verlasse. Aufgesucht wurden St. Anton a. A., Mayrhofen, Virgen, St. Johann i.T., Bozen (MK Algund), Schwaz, Natters, Hall, Rum sowie Besuche abgestattet bei den Wiltenern, Höttingern und Eisenbahnern in Innsbruck. 118/119
Anmerkung 2: Vereinsheim Hötting, Probelokal: Eine Unzahl von Schriftstücken in Mappen, andeutungsweise geordnet. Der neue, junge Chronist erzählt, er habe sich vorgestellt, das sei eine Arbeit für den Winter. Die Zwischenkriegszeit habe er schon gelesen, faszinierend, aber so viel Arbeit, dass man nicht weiß, wo anfangen. Nebenan wird ein Marsch geprobt. Schriftverkehr Musikkapelle Hötting – Hubert Walter (organisiert von Sterzing aus über Jahre Konzertreisen ins Ausland für Kapellen aus gesamtem Tiroler Raum) : „Es ist sonst nicht so leicht herein zu kommen denn die Ital. stellen keine Visum in Innsbr. aus. Man merkts dass heuer keine Sportler mehr hereinkommen wie voriges Jahr.“ (Walter an Obmann Stolz, Juli, 47) „Anbei sende ich Dir die Namenslisten der Musiker versehen mit den oesterr. und franz. Visum zurück. Die Quästur von Bozen erteilt ohne vorhergehende Einvernahme mit dem Innsbrucker Konsul (...) keine Erlaubnis für oesterr. Kapellen oder Vereine zur Einreise nach Südtirol. (...) Hier befürchtet man nur, dass zur Zeit eventuell die Bewilligung nicht erteilt wird – als Grund hievon ist die stark um sich greifende englische Krankheit in Tirol und in Oesterreich!“ (Walter an Obmann Stolz, August 47) „Da vom italienischen Konsul (...) keine Bewilligung zu erhalten ist und auch sonstige Hindernisse aufgetaucht sind, sieht die Musikkapelle Hötting vorläufig von einer Konzertreise nach Bozen und Meran ab.“ (Stolz an Walter, August 47)
Ohne Gewähr. Was geschrieben wird, wenn Musikkapellen verreisen.
„Daß wir ‚Rotjacken‘ mit unserer Musik ihnen ein Stück Heimat brachten, das sah man aus ihren Augen und dem andächtigen zuhören und sie konnten es gar nicht fassen, das eine Original-Tiroler-Musikkapelle die ihnen so vertrauten Weisen zu Gehör bringen. Man sah nur Tränen und wieder Tränen. Das dabei die durstigen Kehlen mit gutem Bier fleißig geschmiert wurden kann man sich denken.“1 Von Milena Meller Derart Spektakuläres wie die Wiltener Musikkapelle, die auf ihrer Südamerikatournee deutschsprachigen Emigranten aufspielt, hatte man über „Auslandsfahrten“ wohl nicht immer zu berichten. Nach Kriegsende besuchen zunächst die Nord- und Osttiroler Kapellen ihre Südtiroler „Kameraden“ und umgekehrt, doch bald hält man in halb Europa Einzug „mit klingendem Spiel“. So marschieren Tiroler Kapellen beim deutschen „Laternenfest“ oder beim „Gausängerfest“ auf, beim französischen „Blumenkorso“ oder beim belgischen „Bierfest“, beim spanischen „Nationenkonzert“, bei der englischen „Neujahrsparade“, beim holländischen Blasmusikwettbewerb.
schneidige, stramme Musikanten, schmissige, flotte, zackige Märsche, blitzsaubere Marketenderinnen, die Straßen säumende, zu Begeisterungsstürmen hingerissene Masse. Auslandsfahrten: Innerhalb der Variantenvielfalt besticht die Einheitlichkeit. Gliederung durch Zeitangaben, die Reiseroute als formale Klammer. Konstanz durch festgelegten Themenkanon und stereotype Motivik: Säulen der Gastfreundschaft – Qualität von Verpflegung und Unterkunft, Empfang und Abschied. Resonanz auf das eigene Auftreten in akustischer und optischer Hinsicht. Ohne Bier
Ohne Ton Was von all dem klingenden Spiel bleibt, ist Papier: Protokolle der jährlichen Generalversammlung, Tätigkeitsberichte mit Auflistung der Ausrückungen, Proben, Kassaberichte, Programmzettel, Fotos, ein wenig Schriftverkehr auf zartem Durchschlagpapier. Was sich an Zeitungsberichten findet, wird großteils vom Schriftführer verfasst, der Presse „zur freundlichen Aufnahme in ihr geschätztes Blatt“ übermittelt und wandert gedruckt wieder in seine Hände zurück. Ob und wie dann geordnet, aufbereitet wird, variiert. Wird eine Chronik erstellt, so kann diese zu einem kollektivem Tagebuch geraten, manchmal fast zu einem persönlichen. Eine Handvoll formelhafter Wendungen beschwört eine scheinbar immer gleiche Szenerie, farbige Bilder einer unveränderlichen Welt: schmucke Trachten,
So steht es geschrieben: „ohne Bier“, doppelt unterstrichen, im Protokollbuch des Schriftführers der Schwazer Stadtmusik betreffend die ersten Ausrückungen nach dem Zweiten Weltkrieg. 14 davon sind für 1945 verzeichnet, von denen mind. 8 eine „trockene Angelegenheit“ sind, wie der Schriftführer an anderer Stelle vermerkt. Man darf wieder Prozessionen begleiten (unter den Nazis waren Prozessionen verboten), bringt ein „Ständchen für die Militärregierung“ oder spielt bei der „Südtiroler Kundgebung in Innsbruck“. Aber selbst bei einem „Konzert im Saale des Hotel Post zu Gunsten der Kriegsopfer von Schwaz“ gibt es kein Bier. Auch 1946 geht es so weiter, bis am 7. Juni eine „Aussprache im Probelokal betreffs des schlechten Probenbesuches“ stattfindet. Der Obmann: „Wir leben in einer schweren Zeit, doch wird man darnach trachten für die Ausrückungen Ver-
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Anmerkung 3: Bundesbahndirektion Innsbruck: Ganz oben unterm Dach hat die Musikkapelle ihr Probelokal. Dass das Gebäude noch zu Kaisers Zeiten gebaut wurde, sieht man: Hohe Fenster im marmornen Treppenhaus mit Blick auf alte Bäume, Flügeltüren mit Ornamenten im Milchglas, ein nachträglich eingebauter kleiner Lift, für dessen Trägheit man sich entschuldigt. An den Wänden der langen Gänge, in denen mir zuweilen jemand freundlich grüßend begegnet, hängen „ÖBB-Lichtbilder“ aus einer anderen Zeit, eines schöner als das andere.
2
Fink, Alois: Chronik d. Stadtmusik Schwaz, 1. Hpt.bd.: S. 203–206
5
Eiter, Josef: Chronik der Musikkapelle Wilten, Bd.1 (1946–51)
3
Tutz,Anton: Chronik der Musikkapelle Natters, Bd. 1, Jahresübersicht 1950/51
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4
Fink, Alois: Chronik der Stadtmusik Schwaz, 1. Hpt.bd.: S. 282–284
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Schwaiger, Ludwig: Reisetagebuch über d. Südamerikatournee d. Musikkapelle Wilten 1955/56, geschrieben im Auftrag des Chronisten Josef Eiter, der dieses in die Chronik übertragen hat
pflegung aufzutreiben. Für Fronleichnam haben wir vom Bürgermeister 20 Stück Fleischkonserven erhalten (…).“ Einer der Musiker, die sich für oftmaliges Fehlen bei den Proben rechtfertigen sollen, meint, dass „derart viele Ausrückungen mit den heutigen Kalorien nicht vereinbar“ seien. Der Chronist, der 1966 die Chronik schreibt, erklärt, dass es „damals überhaupt kein Bier oder nur sehr wenig gab (...) So weit geht die Liebe zur Musik und die Opferbereitschaft denn doch nicht, wenn man bei allen Ausrückungen für die Allgemeinheit auf jede Entschädigung verzichten soll. – Man kann oft genug hören, dass die Musikanten nur ‚fressen und saufen‘ und dieser bestimmt übertriebene Ausdruck wird nur von solchen Leuten angewendet, die entweder neidisch sind oder nicht verstehen, was ein Musiker leisten muss. (...) denn man kann nicht anders sagen, auch bei der Musik geht die Liebe durch den Magen.“2 Hatten die „Kalorien“ nach dem Krieg besondere Bedeutung, so gewannen sie diese noch auf Reisen. Fahrt der Musikkapelle Natters 1951 nach Naturns: „Endlich gehen die Wunschträume der Jugend in Erfüllung u. der köstliche Duft des Südtiroler Weines erfüllte schon die ‚Alten‘ mit stiller Freude“.3 Die Stadtmusik Schwaz 1953 in der Schweiz: In Albisrieden „kredenzen Festdamen Wein in Pokalen“. Am letzten Tag werden der Belegschaft des „Genossenschafts-Unternehmen ‚Migros‘ einige Märsche dargebracht“, worauf man in „den schönen Gefolgschaftsräumen am Küchenschalter ein tadelloses Mittagessen in Empfang nehmen konnte, (...) ein Gericht, das wohl den meisten von uns nicht bekannt war, nämlich eine Portion ‚Pasta asciutta‘.“4 Fahrten der Musikkapelle Wilten: 1946 mit „zwei LkW“ nach Meran: In Klausen gibt es „den ersten Wein“, in Säben „von den Weinbauern aufgehalten“ – „mußten wieder Wein trinken“ – nach Einzug „mit klingendem Spiel durch Meran (…) ein gutes Nachtmahl und sehr viel Wein. Am meisten trank unser Musikkamerad Borchert Franz, der sich gleich 8 große Glä-
ser voll, zu seinen Teller hinschob und nach und nach austrank.“ 1949 in Chur: zum Abendessen „Suppe, Fleisch und Gemüse, sowie Wein. Man konnte sich reichlich satt essen und auch zum trinken war reichlich genug vorhanden, daß er gar nicht aller getrunken werden konnte. Einige Musikkameraden füllten den Wein in Flaschen ab und nahmen ihn einfach mit, was ich nicht für richtig fand.“ 1950 in Schaffhausen: „Als Jause erhielt jeder Musikkamerad Biermarten und Wurstbrot, sowie ein Paket Schweizerzigaretten. (...) Anschließend war Nachtmahl bei den Quartierleuten und man kam aus dem Essen und Trinken überhaupt nicht mehr heraus.“ 1951 in Holland: Bei privaten „Quartierleuten“ untergebracht gibt es wieder und „wieder Tee und Bäckerei (…) Mir ging der ewige Tee schon auf die Nerven“, schreibt der Chronist, doch zum Abendessen, „welches ganz ausgezeichnet war gab es etwas, auf welches ich mich am meisten freute ‚Bier‘“.5 1955/56 in Südamerika: „Nächtigung im Hotel bei guter Unterkunft und Verpflegung. Was braucht unser Körper und das Herz noch mehr. Während die Zeitungen in der Heimat die tollsten Schauermärchen über uns berichten, leben wir Alle wie im siebten Himmel. (…) Das Mittag und Abendessen erhielten wir im Restaurant ‚Vienna‘ der Name war das pompöseste daran. Die Wirtsleute waren drei Wiener Juden und dann ein langer schmaler Raum in dem einige Tische und Stühle standen (…) man wollte uns nicht mehr fortlassen. Ein kleiner Imbiß mit der nötigen Feuchtigkeit machte uns das Abschiednehmen leichter.“6 Protokoll zur Ausschusssitzung der Musikkapelle Hötting, 1957: „(…) wurde beschlossen, daß jeder Musiker als Wegzehrung 15 dkg Aufschnitt und zwei Semmel erhält. (...) Für ein angemessenes Quantum Getränk bei der Einnahme der Wegezehrung am Anreisetag kommt die Musikkasse auf. Jeder Musiker hat ein gewisses Quantum Schnaps als Wegzehrung mitzunehmen, welcher soweit als möglich in Reichenbach oder sonstigen Anhalteorten durch die Markentenderinnen verkauft wird.“ Fahrt der Musikkapelle Mayrhofen 1948 ins
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Anmerkung 4: Die Wiltener sind hier nicht deshalb so stark vertreten, weil sie eine der prominentesten Kapellen im Lande sind, sondern weil ihre Chronik ihresgleichen sucht. Chronist Josef Eiter nimmt seine Aufgabe äußerst ernst, gibt im Zuge seiner Aufzeichnungen auch detailgenau Auskunft über seine Tätigkeit als „Musikdiener“ der Kapelle und nützt darüber hinaus die Gelegenheit, seine persönlichen Kommentare und Befindlichkeiten anzubringen. Er teilt uns redseligerweise ganz nebenbei allerhand merkwürdige Begebenheiten mit, was sich etwa beim „traditionellen Katakombenball der Wiltener Musik“ 1954 zugetragen hat: „Kapellmeister Sepp Tanzer und Ludwig Mladek kostümierten sich als Gaumusiker in der ,SA-Uniform‘. Sie trugen allerdings kurze Lederhosen, dafür aber SA-Stiefel-SA-Hemden mit Binder und Schulterriemen, Hackenkreuzbinde und Schirm-Mütze. Sepp Tanzer hatte eine uralte Klarinette und Mladek Ludwig ein altes verbeultes Flügelhorn worauf sie spielten, zum Stein-Erweichen.“ Das mag etwas befremden, war doch Professor Sepp Tanzer, ab 1934 Kapellmeister der Wiltener, langjähriger Landeskapellmeister, Komponist zahlreicher Repertoirestücke, engagierter Ausbildner, Musikreferent für Volks-und Blasmusik im Rundfunk, eine zentrale Figur im Tiroler, ja österreichischen Blasmusikwesen. Von Chronist Eiter erfahren wir allerdings auch, dass Tanzers Tätigkeit in leitender Position während des Krieges nachher kritisch kommentiert wurde: „Das sozialistische Parteiblatt ,Die Arbeiter Zeitung‘ nahm gegen uns Stellung und nannte uns die Nazi-Musik und unsern Kapellmeister Sepp Tanzer, den Nazi-Kapellmeister und Parteiponzen. (Dies haben gerade die Wiener Sozialisten notwendig, waren doch sie Diejenigen, die am 12. März 1938 am meisten ,Heil Hitler‘ gerufen hatten).“ (Chronik, Bd. 1, Bericht über Wien-Fahrt, 1946)
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Joast, Fritz: Festschrift „175 Jahre Musikkapelle Virgen“: S. 17 7
aus d. „Mayrhofner Heimatstimme“, 1948 in: Kröll, Jakob: Chronik d. Musikkapelle Mayrhofen, 8 Bd. 1 Joast, Fritz: Festschrift „175 Jahre Musikkapelle Virgen“: S. 16
9
Fink, Alois: Chronik der Stadtmusik Schwaz, 1. Hptbd.: S. 281
15 Fink, Alois: Chronik d. Stadtmusik Schwaz, 1. Hpt.bd.: S. 268–69
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ebd.: S. 277–78
10
Eiter, Josef: Chronik der Musikkapelle Wilten, Bd. 2 (1952–56)
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Fink, Alois: Chronik d. Stadtmusik Schwaz, 1. Hpt.bd.: S. 291
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Deiser, Alois: Chronik der Eisenbahner Musikkapelle Innsbruck: S. 69
13 Innerhofer, Manfred: Tätigkeitsbericht d. Musikkapelle Algund: S. 1
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ebd.: S. 292
Engadin: „Nach vorsichtiger Versorgung mit Reiseproviant bestieg am Samstag (...) die große Gesellschaft im Trachtenkleid mit allen Musikinstrumenten und noch mehr Erwartungen ihre zwei großen Omnibusse (...). Um 8 Uhr fuhren wir in das sympathisch-saubere Bezirksstädtchen Landeck ein und gönnten uns eine Stunde Hax’nstrecken, manch einer bei einem Viertel Wein.“7 Musikkapelle Virgen 1969 am Niederrhein: „Tränen, Sekt, Cognak und Korn flossen in Strömen.“8 Ohne Bett Stadtmusik Schwaz, 1953: „Übernachtung in einer Schule, auf Stroh am Boden mit einer Decke! Es blieb den Straubingern vorbehalten, uns erstmals eine derart primitive Nächtigung zu bieten.“9 Die Wiltener fahren 1955 auch zum „Gäubodenfest“ nach Straubing: „(…) ganz enttäuscht, als sie vom Schulwart in das Klassenzimmer geführt wurden, wo nur Stroh auf dem Boden ausgebreitet war und für jeden Musikkamerad eine Decke erhielt. (Man fing über diese Zumutung zum schimpfen an, sie riefen da kommt man nach Straubing und hat nicht einmal ein ordentliches Bett zum schlafen …)“10 Stadtmusik Schwaz, 1954: „Und da hatten wir wieder das Empfinden, in einer armen Gegend zu sein, denn vieles und besonders die Wohnstätten muteten uns geradezu primitiv an.“11 Die Eisenbahner 1960 in Orleans: „Die Musikanten waren außerhalb der Stadt in einem, die übrige Zeit unbewohnten, Objekt untergebracht. Das schloßähnliche Gebäude lag in einer riesengroßen, jedoch ungepflegten, Grünlunge und wird schon bessere Zeiten gekannt haben. (...) Als Wasserspender dienten zwei, einige Meter lange, waagrecht montierte und mit Bohrlöchern versehene Eisenrohre. (...)“12 Musikkapelle Algund, 1968: „Um 7.30 Uhr nehmen wir Abschied von den Etzenrichtern, die uns den fehlenden Komfort durch Gastfreundlichkeit und Liebenswürdigkeit mehrfach ersetzten.“13 Musikkapelle Virgen 1969 in Dülken: „Wir
kamen zunächst in einen Raum, ähnlich wie Schafe in einen Pforf und mußten sehr ruhig sein. Bei der Verteilung der Privatquartiere sah man verzagte Gesichter, als die Musikanten von den unbekannten Gastgebern abgeholt wurden. Manche dachten wohl, es wäre ein Abschied für immer.“14 Ohne Zwischenfall Stadtmusik Schwaz, 1952: „Grossartiger Empfang am Bahnhof und Einmarsch in Töging (...) Am Bahnhofe gab es dann allseits geradezu rührende Abschiedsszenen und es wurde allgemein bedauert, dass man sich schon trennen musste, weil uns der Zug um 23 Uhr in die Heimat entführte, die wir um 3 Uhr früh wohlbehalten erreichten.“15 1953: „Die auf halb 4 Uhr früh angesetzte Abfahrt mit 2 Omnibussen verzögerte sich um eine Stunde, da noch drei Musiker geweckt werden mussten. (...) Abends 19.30 Uhr war Abfahrt, nachdem man noch ein paar junge Musiker hatte suchen müssen. Die Fahrt ging ohne Zwischenfall vonstatten, Ankunft in Schwaz um 23.30 Uhr.“16 1954: „Man strebte natürlich auf dem kürzesten Wege zur Autobahn, doch in der Dunkelheit verirrte sich der Fahrer und wir fuhren bei der Autobahn auf der falschen Seite ein. Wir mussten also bis zur nächsten Abzweigung in entgegengesetzter Richtung fahren, wo wir dann auf die andere Seite hinüberwechseln konnten. Dann gings aber dahin, wie der Blitz (...). Auf der kurvenreichen Strasse bis zur Staatsgrenze fuhr der Chauffeur in einem Höllentempo, das er mehr oder weniger bis Schwaz beibehielt, zu diesen frühen Morgenstunden konnte er sichs ja leisten. (...) Bei diesem Tempo am See entlang konnte man sich eines Gefühls der Unsicherheit nicht erwehren. Doch es ging alles gut und wir landeten wohlbehalten um 6 Uhr früh in der Heimatstadt.“17 Musikkapelle Natters, 1963: „Abfahrt zur großen Auslandsfahrt nach Gourney in Frankreich. Gut vorbereitet fuhren wir am Freitag um 6h früh vom Dorfplatz weg und kamen (...) wohlbehalten und ziehm-
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Anmerkung 5: „Ungefähr 33 Millionen Schafe treiben sich auf den unübersichtlichen Weideflächen herum.“ (Schwaiger, Ludwig: Reisetagebuch über d. Südamerikareise d. Musikkapelle Wilten, geschrieben im Auftrag des Chronisten Josef Eiter, der dieses in die Chronik übertragen hat)
18
Toepfer, Hermann: Chronik der Musikkapelle Natters, Bd. 2
22 aus: Brief des Generaldirektors der Österreichischen Bundesbahnen anlässlich des Erringens zweier Preise beim dortigen Weltmusikwettbewerb in: Dieser, Alois: Chronik d. Eisenbahner Musikkapelle Innsbruck 23
aus d. „Zillertaler Heimatstimme“, 13.10.1958 in: Kröll, Jakob: Chronik d. Musikkapelle Mayrhofen, Bd. 1
24
19
Auszug aus: Mall, Hellmut: Auflistung der „Ausflüge der Musikkapelle St. Anton am Arlberg“, zusammengestellt u. teilweise zitiert nach d. Chronik
aus d. „Mayrhofner Heimatstimme“, 1948 in: Kröll, Jakob: Chronik d. Musikkapelle Mayrhofen, Bd. 1
25
Eiter, Josef: Chronik d.
Musikkapelle Wilten, Bd. 1 (1946–51)
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Eiter, Josef: Chronik der Musikkapelle Wilten, Bd. 1 (1946–51)
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Reisebericht von „Dr. Saminger“ in: Deiser, Alois: Chronik der Eisenbahner Musikkapelle: S. 65 21
Chronik der Musikkapelle Natters, Bd. 2
Mimm, Ossi: 27
Schwaiger, Ludwig: Reisetagebuch über d. Südamerikatournee d. Musikkapelle Wilten 1955/56, geschrieben im Auftrag des Chronisten Josef Eiter, der dieses in die Chronik übertragen hat 28
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lich zusammengestoßen an. (...) Die Heimfahrt verlief dann ohne jeden Zwischenfall und landeten gesund und wohlbehalten in unserem Heimatdorf.“18
bahnen zu werben.“22 – „Bald herrschte frohe Stimmung, so manche Freundschaft wurde geschlossen und so mancher Zuhörer versprach, bei Gelegenheit Mayrhofen zu besuchen.“23
Ohne Frauen Ohne Angst „1958 Bad Reichenhall – 2 Tage ohne Frauen mit Konzert (...) 1961 Salzkammergut 2 Tage mit Frauen (...) 1962 Europabrücke 1 Tag ohne Frauen – schlechtes Wetter aber gute Laune; (...) 1967 Frankfurt (...) Übernachtung in Glashütten ohne Frauen; Oktoberfest (...) Frühschoppen am Starnbergersee mit Frauen; (...) 1970 Dorf Tirol (...) Feier im Schwimmbad ohne Frauen; 1971 Besuch in Jesingen auf Gegenseitigkeit ohne Frauen.“19 Ohne Freude Die Musikkapelle Wilten 1951 in Holland: „Das in großer Anzahl versammelte Publikum, spendeten für die Darbietungen stürmischen Beifall, während sich der Bürgermeister mit seiner Halskette überhaupt nicht rührte. (...) brachten im Amtszimmer ein schönes Tirolerlied mit Jodler zum Vortrag. (Auch hier versteckte sich der Bürgermeister immer hinter den Stadt und Gemeinderäten und hatte keinen Dank für unsere Darbietungen. Vielleicht hatte er bei der deutschen Invasion 1940 viel Leid erfahren und haßte alles was ‚Deutsch‘ ist.)“ 20 Die Musikkapelle Natters 1966 in Frankreich: „Wie das doch eigentlich komisch ist, / Als vor nunmehr 20 Jahren, die Franzosen bei uns waren / da hatte doch kein Mensch a Freud, / Ganz im Gegensatz zu heut’. / Denn wenn wir heut nach Frankreich fahren/ freu’n sich alle wie die Narren / Es kommt, und das weiß ich bestimmt, / eben stets drauf an, / als was man kimmt.“21 Die Eisenbahner Musikkapelle 1958 in Holland: „Solche Erfolge gereichen nicht nur den österreichischen Eisenbahnern unseres Landes, sondern dem ganzen Volk zur Ehre und tragen dazu bei, für unser schönes Österreich und damit auch für die Österreichischen Bundes-
„Der Aufenthalt (...) stellt sich jedem Teilnehmer hinsichtlich Fahrt, Quartier, Verpflegung und süffiger Labung völlig kostenlos. Als Gegenleistung vermitteln die oben genannten Träger unserer Volkskunst in ihrem schönsten Trachtenschmuck der Engadiner Bevölkerung (...) echten Zillertaler Frohsinn.“24 – „Die besonderen Eindrücke, die ich in Holland gewann waren: 1. Die große Gastlichkeit 2. Den Wohlstand der Bevölkerung 3. Die große Teilnahme der Welt und Ordensgeistlichkeit bei unseren Veranstaltungen, 4. Die reinen Straßen und 5. Daß man auf den Gehsteigen und Bahnhöfen alles stehen lassen konnte, ohne Angst zu haben daß etwas gestohlen wird. 6. Das wachsame Auge der Verkehrspolizei, wegen Überschreitung des Tempo-Limits.“25 Ohne Ende „Die österreichische Marschmusik mit ihrem weltbekannten Melodienreichtum und ihrem Wohlklang eroberte sich im Sturm die Herzen der Tausenden, welche die Straßen säumten, sodaß sich der Marsch unserer Kapelle zu einem wahren Triumpfzug gestaltete. (...) das exakte Spiel unserer Musikkapelle wurde mit dankbarem und nicht endenwollendem Beifall belohnt.“ 26 – „Das präzise und exakte Spiel unserer Märsche ließ sie nicht mehr auf den Sesseln und Bänken sitzen, sondern verwandelte sie in einen wahren Freudentaumel und alles sprang auf die Sesseln und Bänke.“ 27 – „Eine unübersehbare Menschenmenge hatte sich auf dem großen Platz versammelt und lauschten begeistert den Klängen unserer österr. Musik. Über den Beifall zu schreiben hieße einen Tropfen Wasser auf einen heißen Stein schütten, einfach vehement.“ 28
Besetzung
Georg Diez, München → Frankfurt: Feuilletonredakteur der FAZ, vorher Theaterkritiker für den „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Erst kürzlich ist im Residenzverlag seine Hommage an den Regisseur Martin Kusej erschienen: Gegenheimat. Das Theater des Martin Kusej (= Band IV der Edition Burgtheater).
Walter Pamminger, Gmunden → Wien: Chemiker, Informationsarchitekt, Autor und Ausstellungskurator. Zuletzt Kataloggestaltung „Martin Arnold. Deanimated“ (Springer, Wien/New York) – „Synchronisation von Film und Buch durch ein fortlaufendes Diagramm“.
Michael Glasmeier, Berlin → Braunschweig: seit 1996 Professor für Kunstwissenschaft an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig mit Schwerpunkt Moderne. Kunstkritiker und Kurator.
Peter Sandbichler, Kundl → Wien: Bildender Künstler. Diverse Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, u.a. an der 46. Biennale di Venezia. 2002 u.a. Installation „United we hack“, The New Museum New York, in Zusammenarbeit mit knowbotic research.
Heidi Hackl, Schwaz → Schwaz: Kostümbildnerin (u.a. Zusammenarbeit mit Martin Kusej, Jürgen Flimm, Andrea Breth). Kreativdirektorin von „Circus. Büro für Kommunikation und Gestaltung“, Innsbruck
Benedikt Sauer, Bozen → Innsbruck: Freier Journalist (u.a. RAI-Bozen, Der Standard). Zahlreiche Publikationen, u.a. Biografie über Norbert C. Kaser. Mitherausgeber der Werkausgabe Norbert C. Kasers (Haymon-Verlag).
Markus Hatzer, Prägraten → Innsbruck: Geschäftsführender Gesellschafter des Studienverlags, der Edition Löwenzahn und des Literaturverlags Skarabaeus.
Lukas Schaller, Innervillgraten → Wien: Fotograf, Schwerpunkt Architektur- und Werbefotografie. Seit 1999 Mitarbeiter von „streetfashion magazine“.
Michael Hausenblas, Bregenz → Wien: Mitarbeiter der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“.
Andreas Schett, Innervillgraten → Innsbruck: Musiker, Komponist (Ensemble „Franui“) und Publizist. Mitbegründer und Leiter der „Villgrater Kulturwiese“ (1991–96). Co-Intendant der Tiroler Festspiele Erl (seit 1998). Inhaber von „Circus. Büro für Kommunikation und Gestaltung“, Innsbruck.
Werner Heinrichmöller, Heidelberg → Berlin: Regisseur und Schauspieler. Studium in Frankfurt und New York. Inszenierte Oper (Berlin, Wiener Kammeroper, Odeon Wien, Meiningen, Koblenz) und Schauspiel (Freie Volksbühne Berlin u.a.). Zahlreiche Film- und TV-Rollen. Stefanie Holzer, Ostermiething → Innsbruck: Freie Schriftstellerin. 1980–1997 Herausgeberin der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Walter Klier). Zuletzt erschienen: Kultur Geschichten Tirol, Folio Verlag (2002). Walter Klier, Innsbruck → Innsbruck: Freier Schriftsteller, Literaturkritiker, Essayist und Übersetzer. 1980–1997 Herausgeber der Literatur- und Kulturzeitschrift „Gegenwart“ (gemeinsam mit Stefanie Holzer). Zuletzt erschienen: Walter Klier, Franco Coccagna: Innsbruck, Edition Löwenzahn (1999). Rainer Köberl, Innsbruck → Innsbruck: Architekt. Zahlreiche preisgekrönte Bauten. Österreichischer Bauherrenpreis u.a. für M-Preis Wenns/Pitztal und Alten- und Pflegeheim Nofels/Feldkirch, 2002 Teilnahme an der 8. Internationalen ArchitekturBiennale in Venedig (Österreich-Pavillon). Milena Meller: Innsbruck → Rum: Freie Mitarbeit bei ORF Radio Tirol, journalistische Tätigkeit für Tagespresse und für die „Klangspuren Schwaz“. Derzeit Arbeit über die Musik des 20. Jahrhunderts in Tirol. Wolfgang Mitterer: Assling → Wien: Organist und Komponist. Kompositionen für alle wichtigen Festivals im In- und Ausland. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet (u.a. Prix ars electronica), mehrere CD-Produktionen. Arbeitet derzeit an der Oper „massacre“ (Regie: Joachim Schlömer, Uraufführung im Mai 2003 bei den Wiener Festwochen). Walter Niedermayr: Bozen → Bozen: Fotograf, zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland (Tokyo, New York, London, Paris, Stockholm, Zürich, Berlin). Große Personale ab Jänner 2003 in der Kunsthalle Wien! Peter Oberdorfer: Hall i. T. → dzt. Moosi (Nordost-Thailand): seit 2002 freier Journalist und Autor, zuvor Jurist in Peking und Ausbildung zum Aktienhändler.
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Christian Seiler, Wien → Zürich: 1998–2002 Chefredakteur des österreichischen Nachrichtenmagazins „Profil“, seit kurzem Chefredakteur der Kulturzeitschrift „du“. Erdem Tunakan, Wien → Wien: Komponist und DJ. Duo mit Patrick Pulsinger („Schwanensee Remixed“). Mitbegründer des Labels Cheap Records, das neuerdings im „quartier21“ im MQ Wien ein Geschäft betreibt. Vitus H. Weh, Donaueschingen → Wien: Kulturwissenschaftler, freier Kunstkritiker. Ausstellungskurator. 2001/02 Konzeption von „quartier21“ im MQ Wien. Lois Weinberger, Stams → Wien: Bildender Künstler. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, u.a.: documenta X, Kassel (1997); Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 20er Haus, Wien (2000), Douglas Hyde Gallery, Dublin (2002), Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2002).
Art is definitely something. Quart Heft für Kultur Tirol erscheint halbjährlich. Ein Jahresabo kostet 24 Euro – was eigentlich nichts ist oder einen Tag lang jede Stunde einen Euro auf die Seite tun. Die Nr. 2 erscheint im Juni 2003 (wieder inkl. Originalbeilage). Sie müssen übrigens Ihren DIN-formatigen Postkasten nicht durch ein Quartformat ersetzen! Abos werden auch so zugestellt.
Originalbeilage Nr. 1
Das Publikum bei „Wien modern 2001“ vermeinte auf einer Hochspannungsleitung zu sitzen, als Komponist und Organist Wolfgang Mittterer und DJ Erdem Tunakan ihre elektronischen Klanggebilde auf 32 Kanälen durch den Raum fegten: „CARBON COPY“, ein Remix des Konzertes, zum ersten Mal auf CD und exklusiv für Leser von Quart Heft für Kultur Tirol. http://mitterer.sil.at www.cheap.at