Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 11/08 E 12,–
Fotografie: Günter Richard Wett
HALOTECH L I C H T F A B R I K
A L L M E I N D E
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A r c h i t e k t u r
K a t j a
P o l l e t i n
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G e r o l d
S c h n e i d e r
I N N S B R U C K
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Die Klasse Fons Hickmann an der Universität der Künste Berlin halluziniert die linken Seiten in diesem Quart: Eine österreichische Rodelbahn in Berlin 4 / Kleine Epik des Wassers 6 – 12 / Für eine Handvoll Blei 14 – 18 / Illustrationen aus der „Enzyklopädie für Werkstoffkunde der Geigenbauer“, Innsbruck 1788 32 – 40 / Aus der Tiefe des Raums 42 – 50 / Die unsoziale Skulptur oder der extrem erweiterte Kunstbegriff. Kunststudent verkauft 3 x 810 cm 2 Kulturmagazin 52 – 56 / Von Traufhöhe und Tropftiefe in einer deutschen Vorortsiedlung 68 – 72 / Infotec IS 76 / Dem Autor mit ebay nachgereist (Suchradius: 75 Kilometer um Nufels) 80 – 92 / Hartes Braun auf weichem Grün 94 / Leere Stellen ergänzen die Berliner Ausstellung Walter Pichlers 106 – 114 / Der Spiegel 118 / Die Ohne-Brunnen Variante 126 – 130
Inhalt
Eva Schlegel „Ohne Titel“ Halotech Lichtfabrik
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Klasse Hickmann 4 Inhalt 5 Brenner-Gespräche (2) Eine Sache des Respekts. Claudio Magris und das Recht auf Genauigkeit
Landvermessung No. 2, Sequenz 6 Von Nufels zum Glockenturm: Fridolin Schley hat Erscheinungen
78 – 93
94 – 105
6 – 13
20 – 31
Der Geigenmacher Jacobus Stainer, unerreichter Meister seines Handwerks, starb 1683 in Absam. Eine Geschichte von Franz Winter 32 – 41 Gutachten. Diesmal: Verbote Vier Maßregelungen von Bernhard Rathmayr, Katharina Rutschky, Stefan Zweifel und Kurt Bracharz 42 – 51 Welt, Begriff, Sprache Günther Dankl porträtiert Heinz Gappmayr Heinz Gappmayr setzt Zeichen
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Unterholz Der Fotograf Ernst Haas sucht seine Spur im Dickicht
Sounding Lead Eva Schlegels Arbeiten gehen in die Tiefe und in den Himmel. Von Elisabeth Schlebrügge 14 – 19 Eva Schlegel „Ohne Titel“
Marlene Haring Orginalbeilage Nr. 11
52 – 57 58 – 67
Manche mögen’s groß Aufstieg und Fall eines Industriellen vom Lande, aufgezeichnet von Sandra Unterweger 68 – 73 Fotografie von Günther R. Wett 74 / 75
Nur keine Ideen Christian Seiler über die Kopfarbeit von Walter Pichler
106 – 115
Eigenwerbung
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Warum machen wir Kunst Peter Warum entdeckt Ausstellungsstücke in Wald, Feld und Wiese 118 – 125 Wesen der Landschaft Franz Brunner erfindet Gegenden. Milena Meller hat ihn besucht
126 – 131
Tirols Architekten und Ingenieurkonsulenten 132 Swarovski Kristallwelten 133 ART Internationale Kunstmesse Haymon Verlag
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Alpina Druck col legno
136 137
Besetzung, Impressum Eva Schlegel „Ohne Titel“
138 / 139 140
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Keine Reise
Brenner-Gespräche (2): Eine Sache des Respekts
So viele Leute fahren über die Alpen. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause mit Gespräch. Folge 2: der Triestiner Autor, Essayist und Germanist Claudio Magris über biografische Geografie und Kartenspiele, die Todesinsel und die zarte Seele. Robert Renk: Verzichten wir bei unserem Gespräch auf das Thema Triest und auf das Thema Grenzen. Sie werden ja so oft als Autor der Grenzen bezeichnet und noch öfter werden Sie zu Triest im Allgemeinen und im Speziellen befragt … Claudio Magris: Ja, dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ein schöner, ein unerwarteter Einstieg. R.: In Ihrem neuesten Roman „Blindlings“ geht es unter anderem um das Thema Identität oder besser: mehrere Identitäten in einer Person. Sie selbst sind ja eine sehr, sehr vielschichtige Person. Sie sind Germanist, Essayist, Erzähler, Journalist, sie sind oder waren Politiker … M.: Ich war immer politisch interessiert und engagiert. Aber meine einzige Waffe ist das Schreiben. Ich schreibe z. B. für den „Corriere della Sera“ über Lite ratur und über Reisen. Aber oft schreibe oder schrieb ich auch stark engagierte Artikel und Kommentare, besonders über die Regierung Berlusconi. Da die Poli tik mit der allgemeinen Situation der Menschen zu tun hat, muss man sich engagieren. Auch wenn man nicht unbedingt Lust dazu hat. R.: Sie waren ja auch selbst politisch tätig. M.: Ja, ich war zwei Jahre lang Mitglied des Parlaments. Aber das ist eine sehr komplizierte Geschichte. R.: Wollen Sie uns diese „sehr komplizierte Geschichte“ erzählen? M.: Ich hatte nie die Idee zu kandidieren, habe auch öfters abgelehnt. Auch Anfragen von Parteien, die mir durchaus nahe standen. Im Januar 1994 aber – ich war auf Grund eines Förderpreises der Humboldtstiftung gerade in Lausitz – kam dieser plötz-
liche und völlig unerwartete Aufstieg Berlusconis. Die fünf Parteien, die in Triest gegen Berlusconi waren, haben mich daraufhin gebeten zu kandidieren. Ich fand mich in einem breiten politischen Spektrum wieder, das von liberalen und erzkonservativen Leuten bis hin zur extremen Linken, der Volkspartei und der PDS (Demokratische Partei der Linken, Anm.) reichte. Es war mir peinlich, aber ich hatte das Gefühl, ich dürfte nicht nein sagen. So habe ich zugesagt. Ich konnte keinen Wahlkampf führen, denn ich war ja der Humboldtstiftung verpflichtet. Genau deswegen habe ich dann gewonnen, weil ich keinen Wahlkampf gemacht habe – mit Ausnahme der letzten zwei Tage! R.: Wie ist es zur Parteigründung gekommen? Sie hatten sich ja keiner Partei angeschlossen. M.: Meine Freunde haben für mich im Café San Marco eine Partei gegründet und alles für einen Wahlkampf organisiert. Sie hatten „nur“ vergessen, sich selbst als Parteimitglieder einzutragen. Ich habe natürlich mit anderen Parteien zusammengearbeitet – gegen Berlusconi. Formell aber war ich völlig selbstständig. Ich war eine Partei, die nur aus mir selbst bestand. Nicht einmal Trotzki hat von dieser direkten Demokratie geträumt: die völlige Deckungsgleichheit von Repräsentanz und Basis. Ich war ja das einzige Mitglied. R.: Wenn Sie das einzige Parteimitglied waren, dann konnten Sie sich mit hundertprozentiger Zustimmung zum Vorsitzenden wählen. Ich glaube, das hat nicht einmal Stalin geschafft. M.: (lacht) Sie unterschätzen meine Begabung in Sachen Persönlichkeitsspaltung! Es lief völlig anders. Die Majorität war sehr schwach, wohingegen mein Unbewusstes eine wilde Opposition bildete! Jetzt sage ich das im Spaß, aber damals war es nicht so lustig.
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ist zu lang und zu gefährlich,
R.: Zurück zur vielschichtigen Person Claudio Magris; dem Germanisten, dem Kurzzeit-Politiker, dem Schriftsteller, dem Professor … M.: Bin ich nicht mehr. R.: Sind Sie in Pension?
zu schreiben. Es gibt verschiedene Themen, aber eines hat mich immer fasziniert, das war die Geschichte von Goli Otok, der Todesinsel in der Adria. Leider nicht von mir erfunden, sondern von der grausamen Wirklichkeit. Ich musste nun warten, bis ich die Stimme gefunden hatte, bis ich dieser Stimme auch glaubte. Die erste einheitliche Fassung von „Blindlings“ habe ich im Jahre 2001 in Paris geschrieben.
M.: Ja, seit dem 1. November. R.: Gratulation! Nun: Für mich sind Sie – neben dem schon erwähnten Personalienmix – auch und vor allem literarischer Historiker. Und zwar ein Historiker der kleinen Leute. Ein Zeitzeuge. Wie gehen Sie mit diesen verschiedenen Rollen um? M.: Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Bezeichnung Historiker der kleinen Leute oder sagen wir Historiker der Unbekannten. Das ist sehr wichtig für mich. Denn, wenn ich zum Beispiel Germanist bin und ich eine Biografie über Goethe schreibe, muss ich sehr genau recherchieren, ob Goethe Friederike Brion am Dienstag, den 20. oder am Mittwoch, den 21. zum ersten Mal geküsst hat. Und ich meine, jeder unbekannte Mensch sollte dasselbe Recht auf Genauigkeit, auf Philologie haben, wie die sogenannten Gro ßen. Das ist eine Sache des Respekts. R.: Sie fühlen sich zum Kleinen und Unbekannten hingezogen, sind selbst aber sehr bekannt. Soeben standen Sie auf der Liste der Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Und auf der offiziellen Homepage der Stadt Triest sind Sie in der Rubrik „berühmte Triestiner“ aufgeführt. Was sagen Sie dazu? M.: Was soll ich sagen? Im Sinne der Anklage unschuldig. R.: Wenn Sie den Fokus auf das Unerforschte, das Marginale legen, kann es mitunter sehr komisch werden, aber oft auch äußerst tragisch – wie man in Ihrem neuesten Roman „Blindlings“ nachlesen kann. M.: Ich habe 18 Jahre an diesem Buch „gekocht“. Natürlich habe ich auch andere Bücher geschrieben, vieles ist mir inzwischen passiert, im Guten wie im Bösen. Aber der Hauptplan war immer, dieses Buch
R.: Der Roman ist nicht linear geschrieben, nicht gerade sehr einfach zu lesen. Er hat eine sehr verschachtelte, verspiegelte Erzählstruktur. Wie kam es dazu? M.: In der Literatur muss das „Wie“ identisch mit dem „Was“ sein. Man kann solche schrecklichen Geschichten wie die von Goli Otok nicht linear erzählen. R.: Können Sie uns kurz die historischen Hintergründe für Ihr Interesse an Goli Otok schildern? M.: Ja. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen 300.000 Italiener Istrien, das inzwischen jugoslawisch geworden war. Nach der italienischen Gewalt gegen die Slawen war die Stunde der Revanche gekommen. Kurze Zeit später hat es einen anderen, kleineren und tragischeren Exodus gegeben: 2.000 italienische Arbeiter aus Monfalcone, einer kleinen Stadt in der Nähe von Triest, gingen freiwillig nach Jugoslawien, um den Kommunismus im nächstliegenden kommunistischen Land zu unterstützen. Sie waren militante Kommunisten, die die faschistischen Gefängnisse, den spanischen Bürgerkrieg, die deutschen Lager – Dachau vor allem – erlebt hatten. Als Tito mit Stalin brach, wurden sie in diesem Land potenzielle Feinde und wurden auf kleine Inseln der oberen Adria deportiert. Eben auch nach Goli Otok, wo sie gefoltert und wie in einem Gulag gehalten wurden. Sie leisteten Widerstand, mit unglaublichem Mut, im Namen von Stalin, der für sie damals natürlich die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Revolution verkörperte, der aber – hätte er gewonnen – die ganze Welt in ein solches Lager verwandelt hätte. Die Leute aus Monfalcone wurden ignoriert von allen, denn Jugoslawien schwieg natürlich über diese Schande. Die Sowjets verleugneten Titos Jugoslawien mit allen nur erdenklichen Mitteln und schwiegen eben-
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wenn sie wieder
falls über die Gulags, schließlich hatten sie selber noch mehr davon. Italien wusste, wie so oft, gar nichts von dem, was an seiner Ostgrenze passierte. Die Engländer und Amerikaner interessierten sich überhaupt nicht für die Tragödie von ein paar tausend Leuten. Für sie war die Rolle Titos in ihrer anti sowjetischen Politik viel wichtiger. Als die Überlebenden nach Italien zurückkehrten, wurden sie wieder sehr schlecht behandelt. Von der Polizei, weil sie als gefährliche Kommunisten galten, die aus dem Osten kamen. Von der Kommunistischen Partei Italiens, weil sie unbequeme Zeugen der stalinistischen Politik dieser Partei waren, an die man sich nicht gerne erinnerte.
bewusst oder unbewusst, spiegelt sich auch in meinen Büchern wider. Um es mit Ernesto Sabato zu sagen: Es gibt ein taghelles Schreiben, in dem sich eine Welt erschafft, in dem sich Gefühle, Weltanschauungen ausdrücken. Und ein nächtliches Schreiben, wo man plötzlich Dinge schreibt, die man nicht hätte schreiben wollen, die einen selbst denunzieren, die aus Tiefen aufsteigen, als ob sie ein Doppelgänger geschrieben hätte. Und selbst wenn wir möchten, dass unser Doppelgänger andere Dinge sagen sollte, müssen wir ihm dennoch das Mikrofon übergeben. Anders gesagt, es ist so, als ob man plötzlich vor der Medusa stehen würde und man kann sie nicht zum Friseur schicken.
R.: Kann man so etwas erfinden oder nur finden?
R.: Selbst die stärkste Fiktion hat also autobiografische Anteile, bei denen auch der böse Doppelgänger im Spiel sein kann?
M.: Hätte ich das erfunden, dann wäre es eine kitschige, übertriebene, sentimentale, pathetische, schlechte Literatur gewesen. Aber die Realität ist eine oft grausame, illegitime Konkurrenz zur Erfindung. „Truth is stronger than fiction“, wie Herman Melville gesagt hat, der doch einiges von der Fiktion verstand. Ich glaube, dass jeder von uns ein zerrissenes Ich hat, jeder von uns ist ein Archipel – es hat zum Glück nicht jeder so eine tragische Geschichte wie der Held in meinem neuen Roman. Verschiedenste Sachen, die wir nicht kennen, die wir nicht kennen wollen, lauern in unserer biografischen Geografie. Aber was diese Vielfalt, diese wirklich wichtige, bereichernde, beunruhigende, schreckliche Vielfalt meiner Person betrifft – um auf ihre Eingangsfrage zurückzukommen –, da spüre ich keinen Widerspruch: In der Vielfalt des Tuns fühle ich mich einheitlich. Ich unterscheide mich hier nicht wesentlich von anderen. Denn jeder von uns hat, glaube ich, seine religiösen oder philosophischen Ideen, verliebt sich oder hat einen Hund, liebt das Meer oder fürchtet sich. R.: Wie gehen Sie in Ihrem Schreiben mit diesen gelebten Widersprüchen um? M.: Es gibt natürlich ein Auseinanderdriften zwischen dem Wunsch, den man hat, der Welt, dem Leben einen Sinn zu geben, und dem Gefühl: alles ist nichtig … „am End is olles nichts“, wie eine Gestalt von Nestroy in etwa sagt. Der Widerspruch in mir,
M.: Ja, wir erleben eine glückliche Liebesgeschichte, die uns dazu bringt, eine gänzlich erfundene Erzählung über eine glückliche Liebesgeschichte zu schreiben. Aber wir können auch eine glückliche Liebesgeschichte erleben, die uns plötzlich fühlen lässt, wie fürchterlich ein Leben ohne Liebe wäre, und die uns dazu bringt, eine tragische Erzählung zu schreiben. Die Autobiografie, die für das Schreiben wichtig ist, hat mehr mit den Gedanken, Gefühlen, den plötzlichen, blitzschnellen, manchmal schrecklichen Gedanken und Gefühlen zu tun, als mit konkreten Fakten. R.: Wenn wir über den Brenner Richtung Triest blicken, würde unser Blick über den Ort Antholz in Südtirol schweifen. In Ihrem Buch „Die Welt en gros und en détail“ beschreiben Sie eine Szene in Antholz, in der gewattet wird (ein in Tirol verbreitetes Kartenspiel, Anm.). Könnte ich mit Ihnen jetzt watten? M.: Nein. Sie könnten mit mir Cotecio spielen. Das Cotecio interessierte mich aus mehreren Gründen. Es hat – wie viele Kartenspiele im Übrigen – mit der Unmittelbarkeit des Lebens zu tun. Und: Cotecio ist ein Spiel, bei dem paradoxerweise derjenige verliert, der die meisten Punkte macht. Um zu siegen, muss man verlieren. Dabei hilft, wenn man den Gegner mit möglichst viel Geschwätz betäubt – für mich die ein-
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nach Hause zurückführt. aus: blindlings
zige Möglichkeit, manchmal auch zu gewinnen. Ich bin nämlich ungeschickt, was die unerbittliche papierene Logik des Kartenspielens betrifft. R.: Das glaube ich Ihnen nicht. M.: Nein, nein, ich bin nicht schwach in der Logik an sich, denn ich glaube an die Logik, an die Syntax. Die Logik hat auch mit der Moral zu tun. Die Logik hat auch mit Ironie zu tun. Aber die mathematische Logik beherrsche ich wenig. Ich weiß, die Logik ist sehr wichtig, genau wie die Syntax. Es ist wichtig, dass man das Subjekt im Nominativ und das Objekt im Akkusativ benennt, denn sonst kann man nicht wissen, wer wen bestohlen hat und man schickt das Opfer – und nicht den Täter – ins Gefängnis. R.: In Ihren Artikeln scheint mir manchmal, dass Sie den Verlust einer moralischen Logik nachzeichnen. Stimmt das? M: Diese Logik verschwindet tatsächlich immer mehr, das ist schrecklich. Ich nenne Ihnen zwei Beispiele. Vor ein paar Jahren durchtrennte ein amerikanisches Flugzeug im trentinischen Cavalese die Kabel einer Seilbahn. Die Gondel stürzte in die Tiefe, 20 Menschen kamen ums Leben. Tagelang hat man nicht darüber diskutiert, wer dafür verantwortlich war, ob es ein Fehler des Piloten oder des Kontrollturms war. Man hat sich nur gefragt – aber ernsthaft –, ob das Flugzeug in dem Moment, in dem es das Seil durchtrennte, auf der richtigen oder auf der falschen Route war! Wie kann eine solche Route richtig sein? Wenn jetzt, in diesem Augenblick, ein Flugzeug in das Hotel rast, in dem wir hier gerade sitzen, dann gibt es in meinen Augen nur zwei Möglichkeiten. Entweder das Hotel hat einen Sprung in die Höhe gemacht und hat das Flugzeug gerammt. Oder das Flugzeug war zu tief und somit doch irgendwie auf einer falschen Route. Man konnte viel sagen zu diesem Unfall, nur nicht das, was der unsägliche General Guy Vanderlinden – immerhin Oberbefehlshaber der US-Marinetruppen im Mittelmeerraum – dazu gesagt hat. Er hat allen Ernstes behauptet: Das Flugzeug befand sich in dem Moment dort, wo es sich befinden sollte! Was bedeutet das? Entweder, die Gondel war
auf der falschen Route, oder aber es handelte sich um eine Art terroristischen Akt des Piloten. Ich habe dann vorgeschlagen, man solle zur Strafe den General Vanderlinden dazu zwingen, sechs Monate lang je vier Stunden die Logik des Aristoteles oder des Heiligen Thomas oder von mir aus auch von Moltke zu studieren. Ein zweites Beispiel: Bei der Wahlkampagne 2001 ist etwas Merkwürdiges passiert – ein Manifest von und für Berlusconi, gemacht von seinem unglaublich intelligenten und effizienten Propagandachef, in dem Berlusconi als der „Präsident der Arbeiter“ tituliert wurde. Berlusconi als „Präsident der Arbeiter“ zu bezeichnen, das hätte wirklich eine witzige, eine ironisch-parodistische Erfindung von mir sein können. Denn er hat nichts von einem Arbeiter! Es wäre ebenso lächerlich, wenn ich mich als Kandidat der Arbeiter verkaufen würde. Ich bin genauso wenig ein Arbeiter. Das ist keine Schande, aber es wäre lächerlich, würde ich mich als Arbeiter verkaufen. Also habe ich gedacht: Eine beschimpfende, aggressive Ironisierung, die von mir kommen könnte, wird von einem effizienten Propagandabüro als Werbung benutzt. Das bedeutet, dass da eine andere Logik herrscht, die ich nicht mehr verstehe. Ich fühl’ mich wirklich ein bisschen out. R.: Sollten Schriftsteller Ihrer Erfahrung nach wie Sie in die Politik gehen oder besser nicht? M.: Natürlich muss ein großartiger Schriftsteller nicht zwingend ein guter Politiker sein. Ich glaube, das Interesse an Politik ist eine allgemeine Pflicht. Aktiv in der Politik engagieren soll sich allerdings nur, wer auch die technischen Qualitäten hat. Mit „technisch“ meine ich nicht nur, dass man weiß, wie man Reden hält usw. Die Politik ist ein großes Gebiet, man muss wissen, ob man diese Dinge tatsächlich beherrscht. Wenn ich aus edler Gesinnung jemanden operieren will, reicht es nicht aus, dass ich gute Absichten habe, aber keine Ausbildung. Politik hat mit Arbeitslosigkeit zu tun, mit Schule und Familie. Sie ist nicht dazu da, um eine zarte, edle Seele glücklich zu machen.
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Sounding Lead Eva Schlegel hat den Umschlag dieser Ausgabe gestaltet und sechs Doppelseiten im Heftinneren (S. 20 – 31): Blicke auf den Horizont und auf die Wolken, flüchtig und nicht zu wiederholen, von der Künstlerin festgehalten und auf Bleifolie gedruckt. Vom Material Blei ausgehend entwickelt Elisabeth Schlebrügge im folgenden Text eine Assoziationsgeflecht zum Werk Eva Schlegels. Wenn die Besucher gegangen sind: ein Raum, sich selbst überlassen, hermetisch, abgesunken, untermeerisch dahintreibend, aus der Zeit gefallen (allenfalls ein Taucher – Bleigurt! Apnoe! – sich abstoßend vom Sandboden, schwebend, versucht, Türen zu finden, Luken zu öffnen). Für die Wiener Secession hat Eva Schlegel die Wände des Hauptraums vollständig mit Bleibahnen beschichtet und mit großen runden Spiegeln Löcher in den Boden gerissen, vorübergehend jede Spur des White Cube zum Verschwinden gebracht und in dieser überdimensionierten Black Box die Prinzipien ihrer künstlerischen Arbeit deponiert; der Arbeit an der Balance vor allem, zwischen materialer Präsenz und anklingen den, aufblitzenden Bedeutungsfeldern, die sich eindeutiger Dechiffrierbarkeit gerne entziehen. Expeditionen ins Bildhafte wie in abstrakte Flächigkeit, Zeichen, Schatten. Und eine geschärfte Aufmerksamkeit für die Oberfläche, matt oder seidenglänzend, rauh oder spiegelglatt, opak oder transparent, Pigmente, Lacke, Graphit schon vor der Opposition Blei und Spiegel. Fra gestellungen, Thematisierungen, die sich durchziehen, ob es sich um Formate für die Wand handelt, Interventionen in den Raum, installierte Räume oder archi tektonische Entwürfe. Und dann gibt es Vorlieben, Liebesbeziehungen, die das rationale Kalkül einer Materialentscheidung längst hinter sich gelassen haben, zur Arbeit eines Künstlers gehören, in sie hineingewachsen sind wie die Handschrift. Für Eva Schlegel gehört dazu das Blei, mit seiner Körperhaftigkeit und weichen Farbigkeit, in die sie schon in ihren frühen Arbeiten anonyme Fotonegative hat sinken lassen. Für den Secessionsraum hat sie das Trägermaterial zum Protagonisten gemacht. Sie präsentiert es im Spektrum dessen, was man sehen kann, und dessen, was man weiß; kein konzeptueller Minimalismus, der alle ikonographischen Bezüge leugnet, das Material von jeglicher Bedeutung freizu halten versucht, ohne mythische Aufladung. Mit den Spuren menschlicher Anwesenheit – den Abdrücken von Händen längs der Nähte der langen
Bleibahnen, Zeugenschaft der Arbeit, das Anbringen, Montieren als unmittelbare Berührung der Haut mit dem Material – sind sie auch eingeschleust, die Implikationen der stofflichen Eigenschaften: die Schwere, die die Platten die Wände entlangfließen läßt, die Weichheit und Stumpfheit, verführerische Trägheit und gefährliche Giftigkeit. Das Wissen um die vollständige Absorption und die Undurchlässigkeit nach außen erzeugt Ambivalenz, (Strahlen-)Schutzraum und Gefängnis (Bleikammer! Bleisarg! Herzurne! Castrum doloris!). Und, weniger barock, Geschichten vom neuesten technischen Stand der römischen mala vita (besonders teure, zum Schutz vor Diebstahl mit einem Peilsender ausgestattete Autos samt ihren Lenk radsperren und Radblockierungen nachts in einen Lastwagen zu hieven, dessen mit Blei ausgekleidete Innenwände alle Strahlungen verschlucken, alle Ortungsversuche zunichte machen). Blei, ein Metall auch mit schlechtem Ruf (Bleirohre, Spuren von Blei, im Wasser, im Wein), das in der Hie rarchie der Metalle weit unten steht. Aber auch eines, das andockt an die Vergangenheit, festgeschrieben, in der tradierten Ordnung der Welt, über den Herrscher Saturn der Zusammenhang mit der Melancholie, der Zeit und dem Tod. „Bley, lateinisch Plumbum, Saturnus, dahero es auch bey denen Alchymisten, medicis und Apotheckern mit diesem Zeichen des Saturni in denen Recepten und in ihren Büchern angedeutet wird. Griechisch molubdòs Molybdos; Französisch Plomb. Italiänisch Plombo, Spanisch Plomo. Ist ein schlechtes, weiches, schweres, unreines, und daher nicht sonderlich glänt zendes Metall, sehr kalt, und gar geschmeidig, daß man es mit dem Hammer strecken kann. Es führet viel unreines Saltzes, irdischen Schwefels und mer curialischer Materie bey sich, weshalb es dann auch so schwer, und nechst dem Golde das schwereste ist, das Nasse, so darinnen verwahret wird, nicht leicht verderben lässet, und keinen Klang von sich giebet“, vermerkt Johann Heinrich Zedlers „Großes Vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschafften und Künste“ im Jahre 1733. „Saturnus wird das Bley dessentwegen genennet, weil die Astrologi vorgeben, daß
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dieses Metall von den Planeten gleiches Namens sei nen Einfluß bekomme.“ Von Saturn her, ein comestibler Kosmos der Derivate und Umwandlungen, Bleizucker, saccharum Saturni („wie oft er jeden milchzucker des schicksals mit dem giftigen bleizucker der erinnerung versetzte“, Jean Paul, zitiert nach dem Grimm’schen Wörterbuch); Bleibutter, butyrum Saturni; Bleimilch, lac Saturni (auflösung von blei in essich); Bleiöl (oleum Saturni); Bleisalz (sal Saturni). Die Farbwerte wechseln, zwischen Bezeichnungen für den stofflichen Gehalt und visuellen Valeurs, Chemie und Metaphorik; bleiweiß bleigelb bleiroth bleigrau bleiasche. Wie das Material an der Sprache entlangschrammt; die Wörter, wenn sie auf dem Material auftreffen, verschluckt werden oder zurückgeworfen; Wortzauber, wenn dem Blei selbst in der Sprache der aktuellen (Natur-)Wissenschaft ein „doppelt magischer Kern“ zugeschrieben wird. Diesen Kern des Wortgebrauchs und das Triebwerk der Tautologie haben schon Jacob und Wilhelm Grimm in ihrem großen Wörterbuch der deutschen Sprache bezeichnet: „da das blei nach dem gold das schwerste metall und weit verbreiteter als dieses ist, so wird die vorstellung des schweren oft durch blei ausgedrückt: schwer wie blei, blei schwer. Und sie zitieren die Bibel: „sunken unter wie blei im mechtigen wasser“ (2. Mos., 15, 10). senkblei richtblei bleistift bleistiftabsatz; pulver und blei; bleisoldat, bleischürze; bleigießen; „bleien“ („ein zauber bleite mich nieder“, zitieren die Brüder Grimm Goethe). Nautisches Gerät, Buchstabenmaterial; Blei satz, Satzspiegel: im schattenlosen Bleiraum sind alle Buchstaben verschwunden und alle enthalten, alle Sätze und alle Bilder; die Aufforderung der Künstlerin an den Betrachter, Spuren herauszulösen und zu entziffern. Kein Theaterdonner, kein Echo: ein stummes Metall; die Zeit angehalten. „Stummheit ist im Traume eine gebräuchliche Darstellung des Todes“, schreibt Freud im „Motiv der Kästchenwahl“, in dem ein bleiernes Kästchen als das „richtige“ sich herausstellt gegen über dem goldenen und dem silbernen. Und in einem späten Reflex auf die alte Komplexionen-Lehre spricht Susan Sontag in ihrer Benjamin-Lektüre „Im Zeichen des Saturn“ von der dem Schützling dieses Planeten gelingenden „Umwandlung von Zeit in Raum“. Die Hoffnung der Alchemisten, aus Blei Gold zu machen, hat sich in der Arbeit Eva Schlegels erfüllt; ihr gelingen die Transformationen, Schweres in Leichtes zu verwandeln, Stumpfes in farbigen Schimmer (auf dem Blei, die durch den Prozess des Walzens hervorgerufenen Schattierungen von Kobaltblau, sanftem
Morgenrosa, Silberglanz; malerische Effekte, verselbständigte Malerei des Materials, kein Pinsel). Bleistift Bleisatz Satzspiegel Spiegelschrift: In den Balanceakten zwischen dem Eigenleben des Materials, den assoziierten Bedeutungen, zwischen Absorption und Reflexion ist das Blei eine Liaison mit dem Spiegel eingegangen, vielmehr mit dem Glas, „le verre, cette admirable matière“, wie es in Diderot/d’Alem berts Encyclopédie heißt. Alte Verbündete, vor dem Silber war es das Blei, das nach den polierten Metallflächen des Altertums die ersten Spiegel zu solchen gemacht hat (Die schönsten Spiegel aus Brindisi! Die Geheimnisse der Glasbläser von Murano!) Im geschlossenen Raum der Secession haben die großen Spiegelkreise nicht nur den Boden geöffnet und den hell erleuchteten Deckenhimmel darin eintauchen lassen, in einem Zug zum Erdmittelpunkt; sie zitieren ein anderes mögliches, in sich geschlossenes Raumkonzept, das des Spiegelzimmers, des Spiegelsaals (Kerzenleuchter, Klavierspiel, jedes Schlöss chen, das auf sich hält, beschrieben im Zedler’schen Universalexikon: „Spiegel-Gemach, Spiegel-Zimmer, Conclavia specularia, ist ein kleines enges Zimmer, worinnen die Wände mit großen Spiegeln, die von der Erde bis an die Decke reichen, ausgetäfelt sind. Dergleichen Zimmer haben die Eigenschafft, daß sie alles, was hinein gebracht wird, vielfältig vermehren, und eine große Weite in einem engen Raum vorstel len, und sind dahero in denen Lust-Schlössern großer Herren eine anständige Zierrath.“). Vor allem aber führen sie zurück an ihren Entstehungszusammenhang. Die Bleiwände verflüssigen sich in den Spiegeln, dunkles Gewässer: „MIROIR DES ANCIENS (Hist. des invent.) voici sur ce sujet des recherches qu’on a inserées dans l’his toire de l’academie des Inscriptions, & qui méritent de trouver ici leur place. La nature a fourni aux hommes le premiers miroirs. Le crystal des eaux servit leur amour propre, & c’est sur cette idée qu’ils ont cherché les moyens de mul tiplier leur image. Les premiers miroirs artificiels furent de métal.“ 1 1 „SPIEGEL IN DER ANTIKE (Geschichte der Erfindungen) hier folgen zu diesem Gegenstand Forschungen, die in die Geschichte der Akademie der Inschriften eingegangen sind und die es verdienen, hier Platz zu finden. Die Natur hat den Menschen die ersten Spiegel geliefert. Der Kristall der Wasseroberfläche diente ihrer Selbstliebe, und auf den Spuren dieser Idee haben sie nach Mitteln gesucht, ihr Bild zu vervielfachen. Die ersten künstlichen Spiegel waren aus Metall.“
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Von der Natur zur Kunst und wieder zurück, und dazu, unablösbar, das Potenzial als Gegenüber für das (sich) betrachtende Subjekt, seine Konstituierung, Selbst-Vergewisserung, Erkennen und Verfehlen. Der Spiegel – nach Leonardo „il maestro de’ pittori“, Lehrmeister aller Maler, der in sich die wahre Malerei enthält („Lo specchio di piana superficie contiene in sè la vera pittura in essa superficie“) 2 – fungiert auch für die Nicht-Maler nicht nur als Medium, sich darin zu erkennen, sondern seinerseits als Bild, wie ihr Inneres erscheint: „Es ist mir oft wie einem Exu lanten, wenn ich mich der Stunden erinnere, da Sie sich mir mitteilten, ohne über den trüben oder unge schliffnen Spiegel zu zürnen, worin Sie Ihre Äußerung oft nimmer erkennen konnten“, schreibt der Dichter Hölderlin im September 1795 an Friedrich Schiller. „Ich glaube, daß dies das Eigentum der seltnen Men schen ist, daß sie geben können, ohne zu empfangen, daß sie sich auch ‚ am Eise wärmen‘ können. Ich fühle nur zu oft, daß ich eben kein seltner Mensch bin. Ich friere und starre in dem Winter, der mich umgibt. So eisern mein Himmel ist, so steinern bin ich. Auf den Oktober wird ich wahrscheinlich eine Hofmeister stelle in Frankfurt beziehen.“ Es ist die Zeit des Gedichts, in dem Himmel, Blei und Zeit eine bis in die Gegenwart währende Verknüpfung eingehen: „Komm! Ins Offene, Freund! Zwar glänzt ein Weni ges heute Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein. Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes Gipfel nach Wunsch und leer ruht vom Gesange die Luft. Trüb ists heut, es schlummern die Gäng und die Gas sen und fast will Mir scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.“ Einen anderen Wort-Zusammenhang hat Eva Schlegel selbst hergestellt und zu ihrer Arbeit Primo Levi zitiert, die Erzählung „Blei“ aus der Textsammlung „Das periodische System“. Für eine Rauminstallation in Prag wird sie erstmals Schrift lesbar anbringen, mit Passagen aus diesem Text Levis (nach allen ihren Arbeiten, die Schrift unentzifferbar präsentierten). Aus allen Möglichkeiten der Lektüren und der Verknüpfung: eine Lesart des Materials in der Ordnung des periodischen Systems, gebrochen in radikal autobiographischer Erfahrung und der Reflexion des historischen Geschehens: Im Nachhinein, 1975, im Jahr der Aufgabe seines Berufs als Chemiker, verwendet der Auschwitzüberlebende und Schriftsteller Primo 2 „Der Spiegel mit planer Oberfläche enthält in dieser seiner Oberfläche die wahre Malerei.“
Levi stoffliche und metaphorische Eigenschaften der Elemente, um in kaleidoskopischen Splittern, jeweils unter der Chiffre eines Elements etwas vom traumatischen Verlauf der Geschichte und seinem subjektiven Geschick darin zu sammeln. Was die Texte umkreisen: die unwiederbringlich verlorene Vorstellung einer Kontinuität der Zeit, wie sie ohne den traumatischen Bruch, die Katastrophe hätte gedacht werden können. Fragmente, Partikel aufgelesen für eine Rekonstruktion von etwas, eines Beginns, dessen zuversichtliche Fortsetzung nie hat stattfinden können, im Erzählen aus der Position des Überlebt-Habens, des Danach, für immer den nie wieder gutzumachenden Verlust festschreiben. Wie es niemals mehr wird erzählt werden können. Für Quart hat Eva Schlegel eine Sequenz ihrer atmos phärischen Fundstücke des Zufalls, ephemere Wolken- und Horizontkonstellationen, wie sie aufscheinen und nie wiederholt werden in der genau gleichen Erscheinungsform, wie sie nie willentlich zu generieren sind und wiederholbar gemacht werden können, in das Blei, den Stoff der Aufhebung der Zeit, eingegossen; dazu den Schiffstopos, an der Grenze zur Sichtbarkeit (Sehnsucht! Ferne! Abschied! Überfahrt!). Sie variieren die Themen, mit denen Eva Schlegel seit jeher befasst ist, die Materialität der Erscheinungen zum einen und ihren impliziten assoziativen Gehalt zum anderen, Raumtiefe und plane Oberflächen; il mare è come un specchio, the sea is a glass (mirror). Verfahren der Auslotung („sounding lead“). „Bleywurff, Bley-Loth, Bley-Schnur, Sonde, Bolis. Ist ein Stück Bley in Gestalt eines Kegels an ein langes Seil gebunden, welches man in das Meer hinunter läßt, so wohl die Tieffe, als auch die Eigenschafft des Grundes zu erforschen. Die Schiffer heißen es Lo then. Man beschmieret nemlich das unterdste Theil des Bleywurffs mit Unschlitt, wodurch geschiehet, daß etwas von Sande oder was sich sonst auf dem Grunde des Meeres befindet, daran anhänget, und mit herauf bringet. Wenn er gantz sauber bleibet, so ist es eine Anzeige, daß der Grund Kieselsteinigt und felsicht ist. Ein solcher Bleywurff wieget insgemein 18 Pfund“. In die Tiefe und in den Himmel: auch für das Wort „Bleigewölk“ findet das Grimm’sche Wörterbuch eine Referenz in Jean Pauls „Hesperus“: „blosz den himmel umbrausete ein auf die erde ge krümmtes bleigewölk“.
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Der Geigenmacher
Jacobus Stainer, einer der bedeutendsten Geigenbauer der Musikgeschichte, starb 1683 in Absam bei Hall in Tirol. Der Schauspieler, Regisseur und Autor Franz Winter hat unlängst den Wirkungsort Stainers aufgesucht und auf Grund von biografischen Tatsachen aus dem Leben des Meisters die folgende Geschichte geschrieben: Am Tag seines apostolischen Namenspatrons im Juli des Jahres 1669 wurde der vom Brixener Glaubenskonsistorium unter dem Vorsitz des Fürstbischofs Sigmund Alfons Graf Thun wegen lutherischer Ketzerei in Acht und Bann getane Jacobus Stainer, Geigenmacher zu Absam, vor den Toren des Schlosses Ambras abgepasst, in Haft genommen, nach Innsbruck überführt und in einem Verlies des sogenannten Kräuterturmes gefangen gesetzt. Dieser Akt beschloss ein mehr als ein Jahr währendes Schauspiel, dessen Höhepunkte am 12. März die öffentliche Verbrennung der ketzerischen Schriften, insbesondere der lutherischen Bibeln Stainers und der seiner Freunde, des Haller Schneiders Jacobus Meringer und des Absamer Sagmeisters Hanns Anhell auf dem Stadtplatz von Hall waren, am 10. April die erste Inhaftierung Meringers und Stainers bis zum 4. Mai, sowie die am 14. April feierlich in der Haller Pfarrkirche vollzogene Exkommunikation, wonach kein Christenmensch mehr Gemeinschaft pflegen durfte mit dem ketzerischen Geigenbauer und seinem Freund, dem Schneider, sondern vielmehr, bei Androhung der Exkommunikation, diese von jeder Mann zu verlassen und gänzlich zu meiden seien, ein Verdikt, an das sich aber vor allen etliche hohe und höchste allerchristlichste Herren des Klerus, der Klöster und des Adels bis hinauf ins Kaiserhaus zu Wien nicht halten mochten, weil sie bei keiner Commedia, bei keinem Fest, bei keiner liturgischen Zeremonie mehr auf den göttlichen Klang der Instrumente des Absamer Meisters verzichten wollten.
So erschien denn schon am dritten Tag von Stainers Haft Graf Johann Franz von Khuen-Auer, der sich als Agent des Fürstbischofs Graf Karl von Liechtenstein-Castelcorno um die möglichst rasche Abwicklung der Bestellung eines großen Streichwerks aus zwei Violinen, vier Bratschen, einem Quartviolon und einem Oktavviolon für die Hofmusik der Bischofsresidenz von Kremsier zu kümmern hatte, in der Zelle des Geigenmachers, um sich nach dem Stand des bedeutsamen Auftrags zu erkundigen, nicht ohne seiner Sorge über den abermals unterbrochenen Fortgang der von allerhöchster Stelle so sehr geschätzten Arbeit des Meisters Ausdruck zu verleihen. „Sprecht ihr wirklich Recht, ihr Mächtigen? Richtet ihr die Menschen gerecht? Nein, ihr schaltet nach Willkür, euer Herz ist voll Bosheit; eure Hände bahnen dem Unrecht den Weg. Psalm Davids! Aus dem Kopf können sie keine Bücher brennen, Graf von Khuen!“ Jacob Stainer wandte sich um, sodass sein kantiger Schädel vor dem von Eisenstangen unterteilten Geviert gegen die hell erleuchtete Nordkette der die Stadt einschließenden Berge stand, das Gesicht aber kaum erkennbar war. „Es gibt auch andere, Meister! Und mein allergnädigster Herr gehört zu diesen. Ich habe in seinem Namen mit der Innsbrucker Gerichtsbarkeit Einvernehmen darüber erzielen können, Euch, bis zur Veränderung Eurer Lage, welche unzweifelhaft erfolgen wird, Eure Arbeit zurückzugeben, um Euch ein bes-
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seres Gemüt, uns aber den Genuss Eurer Kunst zu erhalten“, wagte Khuen nach einer Pause vorsichtig anzukündigen. „Mich stoßt ihr aus eurer Kirchen, aber meine Geigen wollt ihr drinnen halten, damit sie eurem Gott ihr Loblied singen!“ Stainer lachte und sah wieder nach der Nordkette, über die jetzt Gewitterwolken erste Schatten warfen. „O Gott, zerbrich ihnen die Zähne im Munde! Zerschlage, o Herr, ihr Gebiss! Sie sollen vergehen wie verrinnendes Wasser, wie Gras, das verwelkt auf dem Weg, wie die Schnecke, die sich auflöst im eigenen Schleim; wie die Fehlgeburt sollen sie die Sonne nicht schauen.“ Er hatte die Verse leise und mit rauer Stimme fast geknurrt, während er mit seinen starken, langfingerigen Händen die Eisenstangen fasste, um sich in eine wippende Bewegung zu schieben, die er beibehielt, einen lang gezogenen wimmernden Ton ausstoßend, von Atemzug zu Atemzug aufs Neue, unverändert. Khuen schlug beunruhigt zweimal gegen die Zellentüre, die sich sofort einen Spalt breit öffnete, durch den er lautlos verschwand, worauf die Eisentüre wieder in ihr Schloss rasselte. Stainer schnellte gegen die Türe, hieb auf sie ein und schrie: „Die schneeweißen Hölzer! Die schneeweißen! Vom Ende des Rechens! Den vogelaugichten Boden, den aufgezargten! Stöck und Balken! Alles! Leim und Lack und Talg, Dochte, Feuer! Werkzeug, Saiten, Bogen! Alles! Alles! Mein Werkzeug!“ Seine Schläge wurden schwächer, die Fäuste blieben an der Türe, seine breite Stirn falzte über das geschlagene Eisen. Khuen klopfte vom Gang aus dreimal gegen die Tür, zweimal kurz, einmal lang, dann lief er aus dem Kräuterturm, bestieg seinen Wagen und befahl dem Kutscher, so schnell als irgend möglich Absam zu erreichen. Noch in der folgenden Nacht war Johann Franz von Khuen-Auer zurück, mit allen gewünschten Gegenständen, die ihm Stainers Frau mit großer Sorgfalt
zusammenpackte, während er ungeduldig auf das Ende des schweren Gewitters wartete, das sich am frühen Nachmittag in Innsbruck angekündigt hatte. Er begehrte gegen Morgen Einlass, nötigte die Wache, ihm beim Tragen der Taschen, Bündel und Pakete über die steilen Stufen hinauf behilflich zu sein, ließ sich die Zelle fast ohne Geräusch aufsperren, deponierte alles Mitgebrachte darin und verschwand wieder, ohne dass Stainer aus seinem tiefen Schlaf aufwachte, eine Folge der zwei Eimer Rotwein aus Eppan, die er zusammen mit Jacob Meringer in Gesellschaft und mit Billigung der Wachen am Vorabend gezecht hatte. Tagelang berührte Jacobus Stainer die Gegenstände in seiner Zelle nicht, sie blieben dort, wo sie von Khuen in jener Nacht hingestellt worden waren. Der Gefangene überstieg sie wie Hindernisse; oder er betrachtete sie von seinem Lager aus wie Gepäckstücke, die für eine große Reise bereit standen. Eine Reise, die ihm jetzt versagt war. Für wie lang? Dennoch zweifelte er nicht, dass er in absehbarer Zeit sein Gefängnis werde verlassen können; die Innsbrucker Regierung würde doch keine ketzerische Geigenmacherei in einem rechtgläubigen Kerker einrichten wollen. Aber bedeutete nicht, das Gefängnis verlassen dürfen, als Ketzer alles verlassen müssen? Innsbruck, Hall, Absam, das Haus, die Mitte all seiner Verbindungen, zum Hof, nach Salzburg, München, Nürenberg, Kremsier, zu all den Klöstern, Marienberg, Georgenberg und Rottenbuch, allen Residenzen? Selbst nach Italien gingen seine Instrumente, in Florenz, Venedig sangen sie mit jenen von Amati um die Wette! Amati! Nicolo Amati! Der große Meister! Ob er noch lebt? Er müsste jetzt an die fünfundsiebzig Jahre zählen. Stainers Blick ging über einen zerschlissenen Leinenrucksack, der mit Werkzeug gefüllt sein musste, deutlich ließen sich die Formen zweier Hobel in der diffusen nordseitigen Mittagshelle dieses schwülen Augusttags ausmachen, die des Schlichthobels für End-
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arbeiten an der Glätte und die der Rauhbank mit ihrer besonders langen Sohle für gerade zu ziehende Flächen. Warum hatte Margareta sie eingepackt, er hatte nach seinem Geigenwerkzeug verlangt! Außerdem nahm er in keinem der Gepäckstücke etwas wahr, was auf einen begonnenen Gambenboden schließen ließ. Aber der Rucksack! War das noch derselbe, den er als Dreizehnjähriger dem Vater stahl, um, mit rasendem Herzen und angehaltenem Atem, seine wenigen Besitztümer, eine saulederne Kappe mit Nackenlappen, eine hindenlederne halblange Hose von seinem Großvater, zwei leinene Hemden, ein gewalktes Wams und ein geschmiedetes Schnitzmesser, hineinzustopfen, entschlossen, Absam zu verlassen, für zehn Jahre, wie sich herausstellen sollte, im Gefolge des Ennio Percasti aus Brescia, den er mit fünf Gulden aus seiner hundert Gulden schweren Erbschaft nach einem Onkel vom Salzamt in Thaur bestochen hatte. Er war gerade, seit einem Monat, von dem Tischler Hanns Gräfinger als Lerner angenommen worden, als Percasti die Werkstätte betrat und den Meister nach gut habspurgischen Bergfichtenständen frug; ihm als Holzleimer müssten solche Bäume doch bekannt und für seine Arbeit so wertvoll sein, dass er sie dem Brandfraß für die Salzpfannen zu entreißen suchte, wo er konnte, gegen ein gutes Geld, verstehe sich, das er, Ennio Percasti, Holzbeschaffer aus Brescia, bereit sei, ihm in barer Münze zu überzahlen, wenn er ihm die Stände zeige. Ob der Signor die engjährigen Haselfichten mit dem harten Blatt meine, die auf der Felsengrenze wüchsen und schwer und nur bei Schnee zu fördern seien? Percasti bejahte, zog einen Lederbeutel aus dem Gürtel, öffnete ihn und zog ihn über den Zurichtbalken unter dem kleinen Fenster der Werkstätte, sodass die runden Silberstücke im Frühlicht einen Glanzweg auf der leimbetropften Ahornfläche machten. Dann wandte er sich an ihn, den Buben, und sprach ihn an. Dass er ihn kennte von dem Damenstift zu Hall, allwo er ihn gesehen und seine Stimme vernommen habe bei der großen Vesper
musik zur Himmelfahrt der Gottesmutter am gestrigen Feiertage. Ob er denn wisse, welche Worte er gesungen und welches Instrument denn mit seiner schönen Stimme concertieret habe? Jacob Stainer erinnerte sich genau jener Aufführung der Marienvesper von Claudio Monteverdi im Damenstift von Hall, dessen Chor er seit seinem neunten Lebensjahr angehörte. Eingebrannt hatte sich ihm diese, wie ihm noch heute vorkam, überirdische, unerhört neue Musik, bei der er sogar zwei Soli singen durfte, seine letzten, wie zum Abschied von seiner Knabenstimme, mit deren Bruch er schon zu kämpfen hatte. Deposuit potentes de sede, er wusste damals nicht, was die Worte bedeuteten, nach denen er zum ersten Mal das hörte, was wie Lichtbänder vom Himmel zu gleiten, und wie Lichtbänder zum Himmel zu wehen schien; singend die Töne, leuchtend der Klang, der dem entströmte, was sie „Geigen“ nannten. Dann sang er et exaltavit humiles im Duett mit dem Freund Hanns Anhell, dem späteren Sagmeister, dessen lutherische Schriften auch verbrannt worden waren, vor fünf Monaten, auf dem Haller Marktplatz. Herrscher hat er vom Thron gestürzt, aber die Nied rigen hat er erhoben. Stainer lachte bitter auf. Damals musste er Percasti die Antwort über die Bedeutung des Gesungenen schuldig bleiben, aber dass zwei Geigen gespielt haben, das wusste er. Und das Holz für genau diese Instrumente suche er, meinte Percasti. In Brescia, seiner Heimatstadt, und in der Stadt Cremona gäbe es Werkstätten, die wie Tischlereien seien, nur würden dort keine Kisten und Truhen und Sessel und Tische gefügt und geleimt, sondern Gamben und Violen in allen Größen, und eben jene Geigen, die zusammen mit ihm musizieret hätten. Es sei ein unglaublich Begehr, gerade nach diesen neu erfundenen Violinen, und er reise im Auftrag des Enkelsohnes ihres Erfinders Maestro Andrea Amati, der Nicolo hieße, und sich vor Nachfragerei nicht retten könne
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Stainer hatte noch den schnarrenden Atem des hochgewachsenen, schmalen Italieners im Ohr, der, jenseits der Nordkette, in seinen schwarzen Kleidern wie eine flügellahme Dohle hinter Gräfinger zum Joch des Lafatscher keuchte, wo hoch über dem Tal der Gleirsch jene Fichten standen, die er zu suchen schien. Dort streckte er die Hand nach der schweren Axt aus, die Jacob hinaufgeschleppt hatte, stellte sich neben eine einzeln stehende, alte Fichte, holte aus und schlug mit dem Axtrücken gegen den Stamm, den einen Lidschlag später ein hoher, fast sirrender Ton durchzitterte. So ging es fort; manche Bäume sangen, die mehreren nicht. Von den Singenden zeichnete er vier und verlangte sie zu kaufen. Er werde sie im nächsten Frühjahr, nach der Trift, an der Haller Lände holen und über den Brenner schaffen lassen; für ein Holz dieser Güte lohne sich jede Plackerei und Mühe.
dunkelgrün gebrannten Tonkrug, durchschnitt mit dem rechten Daumennagel die Wachsschicht, die einen kleinen Zinnteller auf der Öffnung gehalten hatte und trank in großen Schlucken von dem Eppaner Wein, den ihm Margareta mitgeschickt hatte, die Frau, die, schon vor der ihm aufgezwungenen Hochzeit, mit seiner ersten Tochter, Ursula, niedergekommen war und die er nach nur vier Monaten Ehe für fast zwei Jahre verließ. Er war dem argwöhnischen Druck des Haller Salzbergmeisters Georg Holzhammer gewichen, der ihm seine Tochter nur zu gerne verweigert hätte, wäre sie nicht durch ihn in die Schande gekommen, durch ihn, den Sohn und Enkel von bloßen Salzbergknappen, der sich nach zehn Jahren Abwesenheit und zweifelhaften Lehr- und Gesellenjahren in Italien, der Stadt Cremona, beim Meister Amati, wie behauptet wurde, vierundzwanzigjährig schon Meister der Geigenmacherei nannte, was man ihm zähneknirschend glauben musste, hatte er doch für eine einzige Viola bastarda sechsundzwanzig Gulden aus der Hofkasse des Fürsterzbischofs von Salzburg erhalten.
Der Geigenmacher stand auf von seinem Lager, bückte sich nach einer der Kisten und entnahm ihr einen Gegenstand, der in seiner Leinenumwicklung einem großen, flachen Ei glich. Er zog das Leinen ab und hielt zwei knochenweiße ovale Scheiben in den Händen, die er gegen das vergitterte Fenster hob, um die zarten Fäden genauer sehen zu können, die das Fichtenholz in unzähligen, immer gleichen Abständen durchzogen. Er musste lächeln und küsste das Holz. Dann begann er, die anderen hingestellten Dinge auszupacken und machte den aufgestellten Bettstattrahmen zu seiner Werkbank, auf der er die zum Geigenbau nötigen Sachen ordnete. Bodenholz, Zargenholz, Innenform und Haseldecken lehnte er vorsichtig in den Bettrahmen, das Biegeeisen legte er oben auf, den Schmelztiegel stellte er daneben. Dann ließ er sich auf die strohgefüllte Matratze nieder, griff nach einem
Es war eine Flucht, die ihn nach Venedig trieb, in die Stadt des Claudio Monteverdi. Einmal, als Lehrling, hatte er seinen Meister an diesen Ort der Wunder, deren Zaubertrank seine Seele für immer vergiften sollte, begleiten dürfen. Nicolo Amati suchte seinen Landsmann, der Cremoneser war wie er selbst, auf, um den Klang seiner Geigen zu hören, unter den Kuppeln, von den Chören San Marcos, und in den Sälen der Paläste, in denen große Dramen in der Musik des Göttlichen Claudio, wie er genannt wurde, erklangen. Und „Il Divino“ erzeigte sich gnädig, ja dankbar, und verwies Amati an die Werften des Arsenale, wo er nach dem feinjährigen Holz der Türken fragen solle, dessen Jahresringe in der immer wiederkehrenden Form des Buchstaben V eingebuchtet wären. Es sei für den Schiffs- und Ruderbau gänzlich ungeeignet, weil es splittere wie Glas, ein Danaergeschenk
und deshalber nach guten Hölzern zu seinen Geigen forschen lasse, so wie er auch nach Lernern Ausschau halten müsse, weil seine zwei Hände allein nicht so viele machen könnten.
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der Türkenhunde eben, es habe aber einen wunderbaren Klang, den die Wimmerungen aufspannten und weiteten wie die Brücken der Serenissima. Jetzt, auf seiner Flucht, da er wieder nach Venedig übersetzte, musste er erfahren, dass der göttliche Monteverdi vor drei Jahren gestorben war. Und er betrank sich mit dem Gift Venedigs, versank im Schoß der großen Kurtisane, spielte und verlor, sich selbst und was immer er bei sich und auf seinem Leib trug, und gewann doch das Türkenholz der klingenden Galeeren. Es war ihm aber auch vergönnt, noch einmal des Claudio Favola in Musica L’Orfeo zu hören, in der die Macht des Todes vom menschlichen Gesang mit Hilfe des Geigenklangs gebrochen wurde. So sollten seine Geigen fortan klingen, dass sie den Tod besiegen konnten. Den Tod besiegen … Stainer verfiel auf seiner Matratze wie eine zu groß geratene Puppe, aus der die Spielhand gezogen war, er spürte nicht die Wanzenbisse und nicht den Wein, der über seine Schenkel rann. So saß er eine Nacht und einen Tag und eine Nacht. „Er ist ganz sinnlos worden“, sagte die Wache dem Grafen Khuen, der sich nach ihm erkundigte und daraufhin die Zelle nicht zu betreten wagte. Mit fünfzig Jahren, einer Frau, die nicht mehr wohl ist, und sieben Töchtern auswandern in ein lutherisches Land? Nach Thüringen? Thüringen hatte keine Bergwälder mit singenden Bäumen! Wie sollte er Geigen machen in einem Land, in dem Gott kein Holz dafür hat wachsen lassen? Er fror, trotz des heißen Spätsommertages draußen. Er fror wie im tiefsten Winter, wenn er bei klirrender Kälte an der vereisten Riese saß und so lange den ohrenbetäubenden Lärm der zu Tal schießenden, nackten Baumstämme ertrug, bis die „Cantori“ an die Riesenwandung schlugen, bis der hohe Ton der Haselfichten in die Eisluft stieß. Dann sprang er auf und rannte zum Triftplatz und zeichnete den Geigenbaum und zahlte jeden Preis dafür.
Jetzt kroch Jacob Stainer zu den schimmernden Deckenhölzern, die da vor ihm im Rahmen seines aufgestellten Bettes lehnten. Er griff nach dem kleinen Schlichthobel über ihm und begann, einem der Flügel seinen Schwung zu geben. Weiße Hobelschatten häuf ten sich um ihn wie Schnee, während die Geigendecke sich über einem unhörbaren Ton spannte, dem Ton, der den Tod erschrecken würde. Der Geige aber schnitzte er statt einer Schnecke ein Löwenhaupt, das Wappentier der Königin der Meere. * Jacob Stainer, der noch während seiner Haft in Innsbruck von Kaiser Leopold I. zum Kaiserlichen Diener ernannt wurde und kraft dieses Edikts rehabilitiert war, erlangte am 6. September 1669 seine Freiheit wieder. Am 12. September gab er sich kniend in der Sakristei der Pfarrkirche zu Hall drei symbolische Geißelschläge und erneuerte das Katholische Glaubensbekenntnis, „um aus der Sache zu kommen“. Er lebte arbeitend bis zu seinem Tod in seinem Haus in Absam, wo er, entmündigt, im November 1683 mit 64 Jahren seiner Geisteskrankheit erlag, acht Wochen nach der Befreiung Wiens von der türkischen Belagerung. * Dem Klang seiner Geige ist am Reinsten in den Aufnahmen der Violinkonzerte Johann Sebastian Bachs und der Vier Jahreszeiten Antonio Vivaldis, gespielt von Alice Harnoncourt, nachzuhören.
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Hier die Fortsetzung der Serie „Gutachten“: In dieser Rubrik werden Vertreter einer oder verschiedener Berufsgruppen eingeladen, auf einer einzigen Heftseite kompakte Bestimmungen einer zeittypischen Erscheinung zu entwerfen.
Diesmal: Verbote
Zeittypische Erscheinung: globalisierte Angst Reizwörter: Terrorbekämpfung, Abwehrkräfte, Datenschutz, Vorsorgeuntersuchung, Handgepäckregeln, Nichtraucherschutz, Ernährungsvorschriften, Pandemie Aufgabenstellung: Verbieten Sie auf einer Quartseite etwas! Vier Beiträge von Bernhard Rathmayr, Katharina Rutschky, Stefan Zweifel und Kurt Bracharz
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Alles erlaubt – alles geregelt Von Bernhard Rathmayr
Immer mehr Verbote? Kaum eine Wahrnehmung entspricht dem Zeitgeist weniger als diese. Zumindest dem veröffentlichten Zeitgeist. Politik, Medien, Boulevard, Konsum und Werbung suggerieren das gerade Gegenteil: Alles – oder fast alles – ist erlaubt. „Du darfst“ ist der paradigmatische Slogan der Konsumwerbung, keinesfalls „Du musst“ oder, gänzlich verpönt, „Du darfst nicht“. Politik inszeniert sich als philanthropische Gesellschaft, die den Bürgern verspricht, immer mehr Möglichkeiten zu schaffen und immer mehr Beschränkungen abzuschaffen. Was die politische Realität nicht leistet, erfindet die politische Rhetorik. Die Aussicht auf geringere Pensionen ist keine „Pensionskürzung“, sondern eine „Pensionssicherung“. So gut wie keine Unmoral der Vergangenheit, die heute nicht erlaubt, erwünscht, bisweilen sogar geboten wäre: jede Art und Unart von Sexualität, jede Form von Beziehung, selbst ehemalige Todsünden sind zu erstrebenswerten Tugenden avanciert: „Geiz ist geil“. Auch die Katholische Kirche ist nicht mehr, was sie einmal war: Immer lauter ertönt der Ruf nach der Abschaffung von Verboten: der Zölibat soll abgeschafft werden, Frauen wollen ins Priesteramt, von Fastengeboten oder Verbotszeiten selbst für die „ehelichen Pflichten“ ist ohnedies längst keine Rede mehr. Nicht an Sonntagen, nicht an hohen Feiertagen, nicht im Advent, nicht in der Fastenzeit, nicht während der Menstruation, der Schwangerschaft und der Stillperiode – das alles galt über weite Teile des Mittelalters bis hinein in die Neuzeit. Was waren das für verbotene Zeiten! Gegen die Offenkundigkeit der Erlaubtheit von allem und jedem lässt sich natürlich leicht argumentieren: Alles nur Gerede! Wie man weiß, übertreibt die Werbung schamlos, die Medien spekulieren auf die Publikumswirksamkeit der Übertretung von Tabus, die Politik lügt. Also machen wir die Probe aufs Exempel: In den 50er Jahren, den Jahren meiner Kindheit in einem oberösterreichischen Dorf, war tatsächlich vieles möglich, was heute in demselben Dorf nicht mehr geht. Da es außer Bauernfuhrwerken keinen Verkehr gab, konnte man sich auf der Straße vor meinem Elternhaus ungehindert bewegen. Man konnte sie an jeder Stelle überqueren, in ihrer Mitte stehen bleiben um zu plaudern, im Winter, wenn sie vereist war, wurde auf ihr Eisstock geschossen – die Fuhrwerke hatten stehen zu bleiben, bis der gerade laufende Durchgang zu Ende war. Die Häuser hatten keine Zäune, der ganze Ort war durchzogen von einer großen Zahl kreuz- und querlaufender Wege und Steige, auf denen man in kürzester Zeit überall hin konnte. In meiner Kindheit gab es viele solcher „zugänglicher“ Orte. Unter anderem ein wunderschönes Flussbad mit einer alten verrosteten Wehranlage, auf der man klettern, von der man ins Wasser springen – freilich auch fallen – konnte, mit einer Bauernwiese zum Liegen, Herumtollen, Spielen. Das Problem war: Ich durfte das alles nicht. Meine Eltern waren „Kleinhäusler“, jene armen Familien ohne großen eigenen Grundbesitz, der Vater Arbeiter, die Mutter aufgerieben in der täglichen Bemühung, den Lebensunterhalt für sieben Kinder zu gewähr-leisten. Oberstes Gebot der Armeleutemoral: „Ordentlich“ zu sein, den Vorstellungen der Allgemeinheit zu entsprechen, nicht aufzufallen und vor allem niemandem zur Last zu fallen, niemals den Eindruck zu machen, man würde das eigene Überleben nicht schaffen. Für die Kinder hieß das: zuhause bleiben. Nicht in fremde Häuser gehen, dort könnten sie ja etwas Ungehöriges sagen,
Familienprobleme ausplaudern, oder gar: etwas zu Essen annehmen und dadurch dem Gerücht Nahrung geben, beim „Ratmoa“ würden die Kinder nicht genug zu essen bekommen. Fast alles verboten, wäre demnach der erste Befund dieser zugegeben impressionistischen Kindheitserinnerung. Die Frage ist allerdings, ob für die Gegenwart die Folgerung „fast alles erlaubt“ gerechtfertigt ist. Hier sind Zweifel angebracht. Auf der Straße meiner Kindheit tummeln sich heute Kinder wie Erwachsene, kein Mensch denkt daran, ihnen das zu verbieten. Allerdings: Die Fußgänger haben sich auf dem Gehsteig zu bewegen, die Fahrzeuge auf ihrer durch den Mittelstreifen getrennten Fahrbahn, abgetrennte Radfahrbahnen sind in Planung und in absehbarer Zeit werden nur mehr markierte Zebrastreifen das Überqueren der Straße „erlauben“. Eisstock geschossen wird auf einer eigens errichteten Anlage – mit Flutlicht! – abseits des dörflichen Alltags. Die moderne Form der Einschränkung ist nicht das Verbot, sondern die Regelung. Alles erlaubt, aber nur am vorgesehenen Ort, zur vorgesehenen Zeit, in der vorgesehenen Weise, mit der vorgesehenen Ausrüstung, zum vorgesehenen Zweck. Nordic Walking statt bloß Wandern, Erlebnisbad statt wildes Flussufer, FitnessCenter statt Eisstockschießen, Skiausrüstung, Radfahrbekleidung, Fahrbahnen, Schutzwege, Eingangskontrollen, Gesundheitshotels, Hometrainer, Diätprogramme. Die Anpassung des individuellen Verhaltens an das gesellschaftlich erwünschte – und nichts anderes war der Sinn von Verboten – erfolgt neuerdings über die geregelte Erlaubnis. Die moderne Form der Verhaltensregulierung ist nicht prohibitiv sondern permissiv. Du darfst alles, wir sagen dir nur wann, wo und wie. Besser gesagt, sie war es. Seit geraumer Zeit gibt es nämlich einen Paradigmenwechsel in den Methoden gesellschaftlicher Kontrolle. Ein überraschtes Publikum sieht sich mit einmal konfrontiert mit unerwartet offenen Vorschriften und Verboten: Rauchverbot, kein Gesichtswasser im Fluggepäck, Tempo 100 auf der Autobahn, Licht am Tag, Nachtfahrverbot, Mülltrennung, Kurzparkzone, Gurtenpflicht. Die Ursachen dieser neuen Strenge: neue oder nun ernst genommene alte Gefahrenpotenziale wie Terrorismus, Luftverschmutzung, Verkehrsunfälle, Lungenkrebs. Auf offenkundige Notwendigkeiten zur Vorbeugung und zum Schutz der Bürger reagiert der Staat nicht mit neuen Streicheleinheiten des geregelten Erlaubens, sondern mit der alten Zuchtrute des Verbietens und Gebietens. Man könnte es so sehen: Die Vortäuschung des „anything goes“ ist durch die ungeschminkte Realität von Selbstmordattentätern, Autorasern, Luftverschmutzern und Müllbergen endlich in ihrer Verlogenheit entlarvt worden: Es geht eben nicht alles, weil sonst bald gar nichts mehr geht. Ein verantwortungsvoller Staat muss – ebenso wie verantwortungsvolle Eltern – verbieten, wenn Gefahr im Verzug ist. Dass andererseits Verbieten nicht bloß nüchternen Sachzwängen folgt, sondern auch für psychische Zwangsvorstellungen anfällig ist, zeigt die Geschichte des Verbietens von der mittelalterlich /christlichen Sexualangst bis zur amerikanischen Sicherheitshysterie nach 9/11. Ein verantwortungsvoller Staat und verantwortungsvolle Eltern sollten auch das wissen. Verbote sind nur erlaubt, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, gefährliches Verhalten zu verhindern. Eine Gesellschaft, in der weniges verboten, vieles erlaubt und möglichst wenig geregelt ist, das wär’s. Nennen wir sie: Ermöglichungsgesellschaft.
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Luftschutzkeller
Verbieten war gestern. Schützen ist heute. Von Katharina Rutschky
Bis in die 70er und frühen 80er Jahre hatten Wortzusammensetzungen mit „Schutz-“ einen schlechten Klang – jedenfalls bei jungen und/oder linken, progressiven Menschen. Viele hatten in den Mietshäusern noch die Zeichen gesehen, die bei Bombardements den Weg in den Luftschutzkeller weisen soll ten, der mit einer schweren, fast unbeweglichen Tür gesichert war. So etwas braucht man nur im Krieg. Unerfreulich auch der Impfschutz. Teils war seine Ausführung durchaus schmerzhaft, teils ähnelte die Zeremonie in der Schulaula einer militärischen Musterung: antreten, frei machen, vortreten und nicht mucksen … Dann machte man, schon etwas älter, Bekanntschaft mit dem Jugendschutz. Dessen seit dem Kaiserreich immer weiter ausgebaute Absicht war es, die Jugend vor Verwahrlosung und sittlicher Gefährdung zu schützen. In welchem Alter war man reif genug für diesen Film, wann endlich durfte man jenes Buch in der Volksbücherei ausleihen? Der Zivilschutz stand in Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung der BRD und nahm einen auch nicht grade für das ominöse Wort ein. Inzwischen war man Pazifist geworden und nahm teil am „Kampf gegen den Atomtod“. Wohlgemerkt, die Parole verhieß Kampf, forderte nicht „Schutz vor dem Atomtod“ … Dann gab es noch den Verfassungsschutz und das Verfassungsgericht, die man nicht ganz zu Unrecht als Jugendschutzbehörden für Erwachsene auf fasste. Warum musste die DKP verboten und warum durfte sie nicht einfach – abgewählt werden?
Kurzum, „Schutz“ war das, wovon die Gegner sprachen, wenn sie Krieg und Repression meinten. Dann wurde alles anders, nachdem kurzfristig der Rausch der Freiheit geherrscht und jeder Schutz lächerlich gemacht worden war. Der Rückschlag kam schnell, war aber eigentlich der Anfang von etwas Neuem; denn mehr als alles andere hatte die Idee des Schutzes die Massen ergriffen und sie aus einem repressiven Instrument der alten Eliten in ein progressives der Menschheitsbeglückung verwandelt, vor dem es kein Entkommen gibt. Die Folge der sexuellen Befreiung war eine moralische Panik und führte schnell zu einem ungeahnten Ausbau des sexuellen Frauen- und Kinderschutzes, bis einige Jahre später die neuen Medien zum Jagdrevier einer neuen Sittenpolizei wurden. Neu, weil alle hinter ihr stehen – im Unterschied zu früher, wo bloß alte Jungfern, Frömmler und die besseren Herrn mit der Doppelmoral die Unterstützerszene bildeten. Die nächste Gefahr, vor der man schützen musste, war die Gewalt in allen möglichen Formen (zum Beispiel als sogenanntes „Killerspiel“). Inzwischen ist man bei der Gesundheit angelangt. Richtige Ernährung heißt Schutz vor falscher; viel Bewegung ist Prävention; für ein drogenfreies Leben sorgt teils die Polizei, teils bessere Aufklärung … und das Beste: Wie man das alles und noch viel mehr flächendeckend umsetzen kann, beschäftigt erstmals die Politik auf höchster Ebene. Das ist mehr, als der radikalste Lebensreformer um 1900 sich überhaupt vorstellen konnte. Aber immer noch nicht alles: Eckhard Henscheid hat in einem Büchlein (Alle
756 Kulturen, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001) die Konjunktur des Kulturbegriffs dokumentiert von „Abendländischer K.“ über „Suhrkamp-K.“ bis zu „Zapf-“ und „Zynismus-K.“. Vielleicht sind Wortbildungen mit „Schutz“ nicht ganz so zahlreich, dafür haben aber viele eine Wucht, die den Kulturen fehlt. Man denke an Naturund Artenschutz; an Klima-, Denkmal-, Tier- und Verbraucherschutz. Dass der Kinder- und Jugendschutz sich längst vom staubigen Image lächerlicher Bevormundung emanzipiert hat, erkennt man schon an der Zahl der Celebrities, die sich von UNICEF abwärts engagieren, wenn sie nicht gleich selbst einen eigenen Verein gegründet haben, der Kinder schützt (und stärkt). Schützen heißt etwas konservieren und den Welt- und Lebenszustand, den der Schützer vorgefunden oder als Ideal projiziert hat, bewahren oder wiederherstellen. Schützen ist eine aufregende konservative Aktivität, die gegenüber diffizileren den Vorteil bietet, self evident zu sein. Jeder kann mitmachen. Der Schützer hat aber nicht nur Recht und Vernunft auf seiner Seite – noch wichtiger ist der Vorteil, dass er unschuldig bleibt, egal wie rücksichtslos und aggressiv er tatsächlich prozediert. Wer schützt, kann nicht sündigen. Ja, man konnte beim Verfolg vieler Debatten der letzten Monate den Eindruck gewinnen, dass Schützen das einmalige Beispiel einer persönlich durchgeführten Nichthandlung ist. Die Prämien dieser Triebökonomie sind viel zu hoch, als dass man ihr mit Kritik beikommen könnte.
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Sackgasse des Jesus-Kindleins Trotz des Kalenders von 1973, der einen anderen Zyklus durchzusetzen suchte, verschmutzt das missvergnügliche Wort „Saint“ („Heiliger“) weiterhin die Mauern zahlloser Pariser Strassen, indem es deren Namens gebung beherrscht. Seit einigen Monaten gefallen wir uns darin, eine Kampagne zur Auf hebung dieser Vokabel zu führen, in unserer Korrespondenz sowohl wie auch in unserer Konversation. Strassennamen sind vergänglich. Was wird die Zukunft von ihnen bewahren – ausser vielleicht, zur Erinnerung, „L’Impasse de l’Enfant-Jésus“? (15. Arrondissement, Métro Pasteur) Die Verwaltung der Post fügt sich bereits jetzt dem Wunsch ihrer Kunden: Die Briefe werden auch am Boulevard Germain oder an der Rue Honoré zugestellt. Wir laden den gesunden Teil der öffentlichen Meinung dazu ein, dieses Unternehmen zur öffentlichen Heilsamkeit zu unterstützen. Übersetzung von Stefan Zweifel Bulletin d’information du groupe français de l’Internationale lettriste potlatch, nr. 09-10-11, 17. bis 31. August 1954 (Die Texte von potlatch unterlaufen übrigens ein anderes kunsthinderndes Verbot, das Urheberrecht. Sie dürfen frei und unentgeltlich zitiert werden. Anm. d. Ü.)
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Forbidden Fruits Von Kurt Bracharz Im Stadtbus steht, es sei verboten, Speisen und Getränke im Bus zu konsumieren. (Kinder mit Wurstsemmeln werden auch prompt vom Fahrer angeschnauzt, betrunkene Erwachsene eher selten.) In einem Wirtshaus am Bodenseeufer ist angeschrieben, der Verzehr mitgebrachten Essens sei verboten. (Das deutsche Ehepaar mit Kindern, das auf der Sonnenterrasse einen Tisch besetzte und lediglich gratis leere Eisbecher und Löffel für das mitgebrachte Eis serviert haben wollte, ist keine urban legend.) Als Kind hatte ich kein Fernsehverbot, weil wir keinen Fernseher hatten, aber da seinerzeit noch ein Gendarm am Kinoeingang stand, hielt ich mich lange an die Altersbegrenzungen. (Bei dem Film „Das Loch“ schäumte die katholische Filmkritik vor Belehrungswut; das sei eine Anweisung für Verbrecher, es werde ja im Bild gezeigt, wie man einen Tresor knackt. Bergmanns „Das Schweigen“ mit seiner mehrsekündigen GV-Szene im Halbdunkel kam in Vorarlberg gar nicht erst ins Programm, dafür konnte man mit Sonderbussen nach Bayern ins Kino von Lindau fahren.) Das Verbot, „Alles vorbei, Tom Dooley“ im regionalen Radioprogramm zu spielen, trat erst in Kraft, als den Schlager alle schon singen konnten. Das Twistverbot hat Vorarlberg weithin bekannt gemacht. (Die Berichte über ähnlich absurde Verbote in amerikanischen Bundesstaaten kamen erst viel später im Zuge des populären Antiamerikanismus.) Die Verbote, die sich aus den Jugendschutzbestimmungen ergaben, wurden relativ liberal gehandhabt, vor allem beim Alkohol. (Beim Bundesheer veranstalteten zwei unserer Ausbilder ein öffentliches Wettsaufen, das der Oberstabswachtmeister mit 42 Bieren gegenüber 36 des Zugführers gewann.) Der Verkauf von Tiergenitalien beim Metzger ist aus sittlichen Gründen verboten, nicht etwa aus gesundheitspolizeilichen. Natürlich konnte man „Stierseckel“ immer unter dem Ladentisch bekommen; Spanier scheinen dagegen immun zu sein, dort liegen die Stierhoden auf den Märkten in Pyramiden gestapelt. (Die Vulva des Schweins gilt seit altrömischer Zeit als Delikatesse; auf der Karte steht sie nie.) Das Verbot, sich im Gesicht tätowieren zu lassen, muss vor einiger Zeit gefallen sein, oder es ist totes Recht. Dabei ist der Körper das, worauf sich die neuesten auffälligen Verbote beziehen (vom Verbot elektronischer Copyrightverletzungen abgesehen). Es ist nach wie vor verboten, sich zu töten (fehlgeschlagene Versuche werden allerdings nicht mehr vom Strafrecht, sondern von der Psychiatrie sanktioniert), sich selbst zu verstümmeln (außer ein Schönheitschirurg übernimmt die Ausführung), abzutreiben (die Fristenlösung ist eine Ausnahme zu einem grundsätzlichen Abtreibungsverbot), andere Drogen als Alkohol und vom Arzt verschriebene Medikamente einzunehmen und, neuerdings, Passivraucher einzunebeln. Die Stimmen, das Rauchen überhaupt zu verbieten, sind in der Überzahl. Bald werden die „Gesundheitsnazis“ (© Anthony Bourdain) vermutlich eine neue Prohibition fordern. Seit der Staat in allen großen Belangen versagt, widmet er sich umso liebevoller den kleinen.
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Welt, Begriff, Sprache Hinter Zahlen, Buchstaben, Linien und Flächen verbirgt sich eine aufregende Welt. Das zeigt der Künstler Heinz Gappmayr seit bald 50 Jahren. Für Quart hat er 5 Doppelseiten gestaltet (S. 58 – 67). Vorweg eine An näherung an den „visuellen Poeten“, den „konkreten Dichter“ Heinz Gappmayr. Von Günther Dankl 1 – Heinz Gappmayr wurde am 7. Oktober 1925 in Innsbruck, wo er auch heute noch lebt und arbeitet, geboren. Weit über die Grenzen Tirols hinaus bekannt, hat er seit dem Beginn der 60er Jahre ein Œuvre von erstaunlicher Konsequenz erarbeitet, das in der Kunstwie Literaturgeschichte einen festen Platz einnimmt. Sein bisheriges Schaffen ist in Form von Arbeiten auf Papier oder Leinwand, Rauminstallationen, Wandarbeiten oder Mappenwerken erschienen und in zahlreichen eigenständigen Veröffentlichungen, vor allem in dem zwischen 1993 und 2005 erschienenen dreibändigen „OPUS · HEINZ GAPPMAYR“ publiziert. Gappmayrs Arbeiten werden zumeist zur „Visuellen Poesie“ und „Konkreten Dichtung“ gezählt. Dennoch – oder gerade deshalb – sieht der Künstler Sprache nicht als Mittel zur Schaffung von Literatur und Poesie, sondern vielmehr als „Möglichkeit von Kunst“ (so der Titel des 1982 an der Städelschule in Frankfurt gehaltenen Vortrages). Aus diesem Grund bezeichnet er seine Werke lieber als Texte. Auch unterlässt er in Bezug auf diese bewusst die Unterscheidung in bildende Kunst und Literatur, sondern unterstreicht in seinen theoretischen Ausführungen immer wieder den Zusammenhang seines Schaffens mit der bildenden Kunst, die für ihn von großer Bedeutung ist. Von Anfang an nimmt Gappmayr an der sich interna tional formierenden Bewegung der „konkreten Poe sie“ teil. Rückhalt sucht er in erster Linie bei den Vertretern der zeitgenössischen „konkreten Kunst“, etwa bei der Gruppe um das im nahen München beheimatete Studio UND sowie jener um Antonio Calderara oder beim Kreis um das „Studio di Informazione Estetica“ in Mailand. Sehr früh sieht er sich auch dem ästhetischen Anspruch des holländischen Künstlers und Begründers der „De Stijl“-Bewegung, Piet Mondrian, verpflichtet. In Mondrian sieht Gappmayr vor allem eine philo sophisch-fundierte Suche nach neuen Formen, durch die das Streben nach Klarheit ausgedrückt werden kann. Mondrians strenger Reduktion auf die Elemen te des Bildes entspricht die in den Texten Gappmayrs erfolgte Reduktion allein auf die konstitutiven Elemente der Sprache und der Schrift. Wichtig und vor allem für die internationale Rezeption seines Werkes bedeutend ist die enge Verbindung zur amerikanischen
„Minimal Art“ eines Carl Andre, Sol LeWitt oder Donald Judd und der sich daraus entwickelnden Kon zeptkunst der 60er und 70er Jahre. Mit der „Minimal Art“ teilt Gappmayr die Tendenz zur Objektivität, Entpersönlichung, Klarheit und Logik. Mit den Konzeptkünstlern verbindet ihn nicht nur die Verwendung von Sprache anstelle eines Kunstobjektes, mit ihnen teilt er auch die Erkenntnis, dass Begriffe etwas Selbständiges nicht nur auf Wirklichkeit verweisendes sind und dass bloß Gedachtem die gleiche Realität wie Gegenständen zukommen kann. 2 – Das „Vokabular“ von Gappmayrs künstlerischen Texten setzt sich aus Buchstaben, Begriffen und Zahlen sowie einfachsten grafischen Linien, Punkten oder Pfeilen zusammen. Ihn interessieren in erster Linie die Kategorien Ort, Zeit und Raum sowie die äußerste Reduktion auf die Pole der Farbigkeit Schwarz und Weiß, Zahl und Maß. Seine Texte kann man nicht „lesen“, man muss sie sehen. Seine Strategie ist die der Präsentation. So benutzt er den Gegenstand seiner Arbeiten – die Sprache – nicht argumentativ, sondern gleichsam präsentativ. „Der visuellen Poesie geht es um das Erscheinen von Ideen im Wortzeichen“, schreibt er darüber bereits 1968 (Heinz Gappmayr, Visuelle Poesie, 1968). 3 – Gappmayr hat die „Sprachform“ seiner Arbeiten einmal folgendermaßen beschrieben: „Isolierte Substantive, Verben, Präpositionen, Adjektive, Adverbien, Wortsilben. Keine oder nur angedeutete Syntax im gewohnten Sinne. Meist ohne Titel. Die einzelnen Wörter stehen für sich. Keine Metaphern“ (Heinz Gappmayr, Visuelle Dichtung, 1967). Das bedeutet, es braucht keine grammatikalischen Kenntnisse, um die Texte von Heinz Gappmayr zu verstehen. Wichtig für den Künstler sind allein die Begriffe, die für ihn etwas Allgemeingültiges und Ideenhaftes sind, sowie deren visuelle Erscheinung auf dem Blatt, der Leinwand oder der Wand eines Ausstellungs raumes. Gappmayrs Texte verweisen somit nicht auf äußere Botschaften oder Informationen, vielmehr wird bei ihm die Sprache selbst zum Thema und Inhalt. Dies zeigt sich bereits in der diesem Text folgenden ersten Arbeit „REDUKTION DURCH DISTANZ“.
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Der von ihm selbst vorgegebenen „Sprachform“ folgend, evoziert der Künstler mittels Sprache ein visuelles Denkbild, ohne jedoch eine rein sprachliche Beschreibung zu bieten.
die Realität des Gedachten“, schreibt darüber die Kunsthistorikerin und Galeristin Dorothea van der Koelen (Dorothea van der Koelen, Wort – Zahl – Zeichen oder: die Realität des Gedachten, 1999).
4 – Das kontrastierende Verhältnis von „schwarz“ und „weiß“ hat den Künstler von Beginn seines Schaffens an fasziniert. Bereits in der 1962 erschienenen ersten Veröffentlichung „zeichen“ (Reprint Innsbruck 2000) finden sich drei Texte zu „Weiß“ (WVZ 18 / 1962; WVZ 34 / 1962; WVZ 35 / 1962). Stand dort sowohl ihre in schwarzen Buchstaben geschriebene begriffliche Erscheinungsweise und die „Lesbarkeit“ selbst im Vordergrund, so kommen in den daraus resultierenden Farbtexten immer mehr die Kategorie der „Sichtbarkeit“ sowie die Aspekte des „Raums“ und der „Farbe“ selbst zum Tragen. Farben beziehen sich immer auf sichtbare Gegenstände, sind selbst aber nicht sichtbar. Die Feststellung „WEISS IM DUNKELN“ stellt damit die Frage nach der Differenz zwischen der rein gedanklichen und rein visuellen Ebene ebenso wie jene nach der Gebundenheit und Sichtbarkeit sowie Ungreifbarkeit und Instabilität der Farbe selbst. Ähnliches gilt auch für den Text „ROTE FARBE ROTE FLÄCHE“. Nicht die Bezeichnung einer konkreten „roten“ Farbe oder Farbfläche ist der Inhalt dieses Farbtextes, sondern „die Differenz zwischen der Farbe als Sprache und als Wahrnehmungsrealität“ (Siegfried J. Schmidt, Sprache und Farbe, 1996). Ein vorgestelltes (begriffliches) „Rot“ sowohl als Farbe und auch als Fläche enthält alle Nuancen von Rot, während ein Rot, das man sieht, ein unverwechselbares, einzelnes Rot bedeutet.
6 – Den Text „AUS DER NÄHE“ hat der Künstler gemeinsam mit dem Pendant „aus der ferne“ geschaffen. Beide Texte beinhalten örtliche und zeitliche Bestimmungen ebenso wie begriffliche und definieren den unbestimmten Grad des Übergangs, der sich je nach Betrachter aufs Neue konstituiert. „Aus der Nähe“ betrachtet lassen sich in dem seit 1962 geschaffenen Œuvre, das über 2600 Texte umfasst, immer wieder bestimmte Werkgruppen und Themenbereiche ausmachen. Neben den Kategorien Raum und Zeit sowie den Farben kommt den Zahlen / Ziffern bereits sehr früh eine immer wiederkehrende Bedeutung zu. Die seit 1972 auftretenden Zahlen-Texte sind entweder konkret mit Zahlen ausgeführt oder aber auch mit Linien, Flächen und Buchstaben, die auf Zahlen verweisen, gebildet. Wie van der Koelen bemerkt, besitzen Zahlen sowohl den „Charakter von Quantitäten“ als auch den von „Qualitäten“. In eine bestimmte Anordnung gebracht, bringen sie eine Folge oder Hierarchie zum Ausdruck oder lassen in Verbindung mit Sprachelementen „kognitive Konstellationen“ entstehen. In „1 2 3 4 5 6 7 8 9 2 7 4 9 5 8 1 6 3“ folgen die Zahlen / Ziffern zunächst der geordneten Folge 1–9 und gehen dann in ein ungeordnetes, chaotisches System über. Wie so oft in Gappmayrs Konzeptkunst liegt auch hier die „Wahrheit“ zwischen der „Ähnlichkeit und Verschiedenheit“ der Zeichen und Begriffe. „Das macht die Zahlentexte so lesbar, irritierend und paradox wie das übrige meditative Spiel des Heinz Gappmayr in der Kunst“ (Siegfried J. Schmidt, Heinz Gappmayrs „zahlentexte“, 1992).
5 – Den Gegensatz von „nichts“ und „etwas“ hat der Künstler schon 1972 erstmals thematisiert (WVZ 280 / 1972). Fast parallel dazu hat er ebenfalls zum ersten Mal in einem Text die örtliche sowie zeitliche Bewegung „von bis“ sowohl begrifflich als auch visuell zur Anschauung gebracht (WVZ 228 / 1970). „VON NICHTS ZU ETWAS“ bedeutet mehr als die Kombination dieser beiden Texte. Äußerst präzise operiert der Künstler darin mit jenen begrifflichen Unschärfen aber auch philosophisch-existenziellen Zuständen, die zu definieren den Künstler immer wieder herausfordern und die zu „lesen“ zugleich auch die Anforderung an den Betrachter bilden. „Es gibt im Werk Gappmayrs keine Darstellung im Sinne einer objektiven Realität, sondern jeder einzelne Betrachter entwickelt angesichts seiner Werke auf der Grundlage allgemeiner Begriffe eine subjektive Auffassung, die zu höchst persönlicher Vorstellung von Realität führt:
7 – Die Beschäftigung mit dem Begriff „ECHO“ geht bis in die späten 80er Jahre zurück. 1989 hat Gappmayr erstmals den Begriff in einem Text zur Anschauung gebracht (WVZ 846 / 1989). Als Verschmelzung des Wortes mit seiner Spiegelung ausgeführt, setzt der Künstler den „Widerhall“ selbst rein zeichenhaft in schwarzen Großbuchstaben auf den weißen Karton. In der in Quart erstmals veröffentlichten Form des Textes erscheint der Begriff viermal in Form eines Quadrates. Durch die untereinander gesetzte Wiederholung des Begriffs (zweimal richtig, zweimal verkehrt) gibt Gappmayr eine von links oben beginnende und nach links unten führende Leserichtung, durch die sich der Begriff dem Auge des Betrachters wie sinnlich wahrnehmbare Klangwellen präsentiert.
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„ATEM“ ist einer jener Texte, die der Künstler bisher nur in einer singulären Form geschaffen hat. Bewusst halblaut gelesen, verweist der Text zum einen auf seinen Inhalt, nämlich das Ein- und Ausatmen. Zum anderen erscheint die rein visuell gesetzte Form des Zeichens äußerst abstrakt und von der Tätigkeit selbst losgelöst und dazu in einem Gegensatz, wenn nicht gar Widerstand zu stehen. Wie alle Texte Gappmayrs fordert er damit den Betrachter dazu auf, sich über die Beziehung zwischen den optischen Erscheinungen und dem, was durch diese Erscheinung bezeichnet wird, Klarheit zu verschaffen. 8 – Einen Text mit den örtlichen Begriffen „oben“ und „unten“ hat der Künstler in der Publikation „zeichen“ von 1962 erstmals veröffentlicht (WVZ 23 / 1962). Vermittelt Gappmayr darin mit den Begriffen eine von links oben nach rechts unten bzw. rechts oben nach links unten gehende Leserichtung, wobei sich die Begriffe in der Mitte spiegelverkehrt ineinander verwoben treffen, so kombiniert er 15 Jahre später das Begriffspaar mit grafischen Elementen (Linien, die das Blatt auf- bzw. unterteilen), die sowohl die örtlichen Bestimmungen selbst als auch ihre Erscheinung /Anordnung auf dem Blatt unterstreichen und zugleich hinterfragen (WVZ 366 / 1978). „In der traditionellen Dichtung spielt die(se) Abhängigkeit zwischen Schrift und Begriff keine besondere Rolle. Ihr genügt es, daß ein Gedicht mit Hilfe der Schrift zugänglich gemacht werden kann. Die Anordnung der Worte dient hier im wesentlichen nur der besseren Lesbarkeit. Ganz anders in der visuellen Poesie. Ihre Entdeckung ist es, daß die Zeichen und alles, was zu ihnen gehört, den Begriff auf subtile Weise verändern. Entscheidend in der visuellen Poesie ist die Größe der Buchstaben, ihre Stellung auf der Seite, ihre Farbe, ihr Abstand voneinander, ihre Anzahl und die Leserichtung, immer im Hinblick auf den Begriff und seine Beziehung zum Sinnlich-Wahrnehmbaren, das ihn ‚be zeichnet‘“ (Heinz Gappmayr, Visuelle Poesie, 1968). In dem hier aufgenommenen Text „OBEN UNTEN“ setzt Gappmayr die Begriffe jeweils in weißer Schrift auf kleine schwarze Rechtecke, die er wiederum auf dem Blatt oben und unten platziert. Zugleich erscheinen die Begriffe aber auch wie aus dem schwarzen Rechteck geschnitten bzw. aus der weißen Fläche des Blattes gebildet. Gappmayr operiert damit nicht nur mit der örtlichen Anordnung von oben und unten, sondern bringt auch die damit verbundenen Begriffe „auf“ und „unter“ ins begriffsphilosophische und zeichenhafte Spiel seiner visuellen bzw. konkreten Texte. „In der konkreten Poesie erscheint – paradox gesagt – das Erscheinen von Etwas, die Identität und zugleich
Differenz von Zeichen und Begriff, das Kategoriale, die Begrifflichkeit und das Ideenhafte des Denkens und der Zeichen, als das Schöne selbst“ (Heinz Gappmayr, Die Poesie des Konkreten, 1965). 9 – Die Auseinandersetzung mit dem Begriff „sichtbar“ nimmt im Werk Gappmayrs eine zentrale Rolle ein. Suchte der Künstler noch zu Beginn die Kategorie der „Sichtbarkeit“ durch das Auslassen einzelner Buchstaben oder Buchstabengruppen des Begriffs „sichtbar“ zu machen, so häuft sich ab den 90er Jahre die Zahl jener Texte, in denen Gappmayr die Erfahrung der „Sichtbarkeit“ an abwesende, lediglich als Idee oder Vorstellung existierende Gegenstände oder Ereignisse bindet. „Noch nicht sichtbar“, „nicht mehr sichtbar“ lautet daher auch konsequenterweise ein als Diptychon ausgeführter Text (WVZ 1512 / 1992), in dem der Künstler die der „Sichtbarkeit“ zugrunde liegende räumliche wie zeitliche Bestimmung thematisiert. Der Text „NUR JETZT SICHTBAR“ ist eine Modifikation einer 1993 entstandenen Arbeit (WVZ 1429 / 1993), in welcher die allein in der Gegenwart existie rende „Sichtbarkeit“ zusätzlich durch ein in die Mitte gesetztes kleines schwarzes Quadrat unterstrichen wird. Die hier aufgenommene Version stellt eine weitere Verknappung – und damit Radikalisierung dar. In ihr manifestiert sich jene „Einheit von Ideen und Zeichen“, die der Künstler als die Wurzel aller konkreten Poesie betrachtet. Von Alois Riegl, einem der bedeutendsten Vertreter der Wiener Schule der Kunstgeschichte, stammt der Begriff des „Kunstwollens“. Mit diesem Begriff verband Riegl das „Plädoyer, die Kunst der eigenen Zeit ebenso wie die vergangener Zeit zu achten“ (Andrea Reichenberger, Riegls „Kunstwollen“. Versuch einer Neubetrachtung, 2003). Es handelt sich dabei also um eine Forderung, deren allgemeine Anerkennung und Achtung verlangt bzw. erwartet wird: „Nicht wir sind es, die der Kunst zu sagen hätten, was sie zu wollen habe, sondern die Kunst ist es, die uns in ihrem ‚Stil‘, wie sie die Dinge darstellen will, etwas zu sagen hat.“ Gappmayrs „Kunstwollen“ ist es, nicht die Welt oder Begriffe mit den Mitteln der Sprache zu beschreiben, sondern visuelle Denkbilder zu erzeugen, Kategorien zu visualisieren und somit mit elemen taren Mitteln das Verhältnis von Begriff und Zeichen vor Augen zu führen. „Nur (noch) jetzt sichtbar“ sind daher nicht nur die nachfolgenden Texte des Künstlers im Moment ihrer Betrachtung, sondern auch die se einführende Annäherung, die im Moment des Umblätterns aus dem Sichtfeld des Lesers entschwindet.
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Manche mögen’s groß
Die Famile Wierer wurde reich mit Dachplatten aus Beton. In ihrem Heimatort Kiens im Südtiroler Pustertal errichteten sie eine Villa wie aus einem Film. Drehbuchreif auch die Gerüchte, die im Dorf die Runde machten: Die „Wiererischen“ zünden sich die Zigaretten mit 100.000-Lire-Scheinen an! Happy End aus geschlossen. Logisch. – Sandra Unterweger über Aufstieg und Fall des Industrieadels auf dem Dorfe. Mit einer Fotografie von Günter Wett (Seite 74 / 75). „Die Villa hat enorme Dimensionen gehabt. Ein Hallenschwimmbad und unten daneben in so einer gro ßen Wanne ein Bananenbaum, der durch die Öffnung neben dem Wohnzimmer hinauf in den Wintergarten gewachsen ist, dort hat man nur den oberen Teil des Baums gesehen.“ Ein Hallenschwimmbad in einer Privatvilla in Kiens im Südtiroler Pustertal, 1970. Hollywood? „Hollywood, ja, das haben manche behauptet“, sagt Rudolf Wierer, der Besitzer der Villa, lapidar. Schwimmen kann er in seinem Pool heute nicht mehr. Die Architekturzeitschrift rb-Illustrierte in Innsbruck brachte im Oktober 1972 eine ausführliche Fotorepor tage über die vom Südtiroler Architekten Franz Prey erbaute Wierer-Villa: weitläufige Räume mit flauschigen Teppichböden, großflächige Fensterfronten, eine Diele mit einer ins Untergeschoß führenden Wen deltreppe, eine in den Boden eingelassene Badewanne in einem mit Teppichboden ausgelegten Badezimmer, noble schwarze Armaturen unter einem überdimensionalen Spiegel, ein offener Kamin mit Grillvor richtung im Wohn- und Esszimmer, die großzügige Sitzcouchgruppe 30 cm tiefer gelegt als der restliche Raum. Großzügig, das ist auch das Wort, das Rudolf Wierer verwendet, um zu erklären, wie er und seine Frau sich diese Villa in der Planungsphase vorgestellt
haben. „Wir haben dem Franz Prey ein paar Sachen gezeigt. Und natürlich haben wir ihm großzügige Sachen gezeigt, so muss man das sagen! Dann hat er gemerkt, dass wir eigentlich schon was Schöneres, was Besseres, was Großzügigeres wollen. Die Villa hat wie gesagt enorme Dimensionen gehabt.“ Das will man Rudolf Wierer angesichts der Hochglanzfotografien gerne glauben. „Deswegen hab ich’s Ihnen gezeigt.“ Die Fotos des Hauses sind allerdings das Einzige, was ihm geblieben ist. Denn die Villa, aus der Rudolf Wierer und seine Familie 1987 ausziehen mussten, wurde 2005 abgerissen. Damals in den 1980ern musste Rudolf Wierer erfahren, was es heißt, tief zu fallen. „In materieller Hinsicht ist das der absolute Fall gewesen, wir haben alles verloren, nicht das meiste, alles. Wenn du vom eigenen Haus gehen musst, dann ist es so.“ Abgebröselter Mörtel, kleine Tapetenfetzen über die Teppichböden verstreut, lose Kabel, eine dicke Staubschicht auf der Essbank und wild wucherndes Unkraut vor dem Haus. So präsentiert sich die Villa nach vielen unbewohnten Jahren kurz vor ihrem Abriss auf den Bildern des Innsbrucker Fotografen Gün ter Wett. „Wie eine Bruchbude“, sagt Rudolf Wierer. Er kann nicht verstehen, wie man „so lange warten
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konnte, bis das so wird wie eine Bruchbude.“ Denn diese Villa, „das waren andere Dimensionen. Des wegen hab ich Ihnen ja die Bilder in der Zeitschrift gezeigt!“
haben für eine Anlage, um Dachplatten zu machen. Die haben vollautomatische Betondachsteinanlagen angeboten, mit denen man alle Farben herstellen kann, und und und … wie so ein Inserat eben ist!“
Andere Dimensionen hat auch die Geschichte des Rudolf Wierer – und damit die Geschichte der Betondachplattenfirma der Gebrüder Wierer. „Wir haben 1968 / 69 in 18 Monaten drei Werke gebaut, auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft: mitten in den Reisfeldern drüben im Piemont, in Pavia, mitten in einer Wiese in Curtarolo bei Padua und mitten in einer großen Wiese, zehn Hektar groß, in Rom. Vom Boden herausgestampft in 18 Monaten!“ In weite rer Folge entstanden in rasanter Geschwindigkeit insgesamt 15 Werke für Betondachplatten in ganz Italien, von Kiens bis Sizilien. Das war Anfang der 1980er-Jahre, der Höhepunkt des Wierer-Imperiums. So schnell der Aufstieg der Firma „Tegole Wierer“ erfolgte, so schnell kam auch der Fall. Eine gute Story: vom Bergbauernbub zum Millionär und zum Konkurs.
Das Angebot erreichte Kiens. „Allerdings war für uns der Betrag … das waren 100 Millionen Lire allein für die Maschinen! Dann brauchst du noch einen Grund, du brauchst Wasser und Strom und Telefon und auf den Grund musst du eine Halle draufbauen und so weiter. Und wir haben nicht einmal fünf Millionen gehabt!“ Wie der Kauf trotzdem gelungen ist? „Ich bin auf die Mailänder Messe gefahren, weil ich gewusst hab’, dass dort der Herr Schlosser manchmal persönlich zu sehen ist. Und beiläufig bin ich bei dem Stand vor beigekommen, als ich gesehen habe, dass der Herr Schlosser da ist. Und ich bin hin und der Herr Schlosser hat mich von der Korrespondenz gekannt. Der Schlosser war ein reiferer Mann und ich hab’ mit dem geredet und hab’ gesagt: Dachplattenmaschinen tät’ ich schon kaufen …“
Als drittes von zehn Geschwistern war für Rudolf Wierer keine Arbeit am väterlichen Hof, also übernahmen er und sein Bruder Hermann in einem Stadel im Dorf ein kleines Baustoffgeschäft mit zwei Handschlagtischen zur Herstellung von Betondachplatten. „Man hat den Mörtel noch mit der Schaufel in einem Holztrog gemischt. Mein Bruder hat dann gemeint: Kümmere dich doch darum, ob man das nicht automatisieren kann.“ Von automatischen Betondachsteinanlagen erfuhr Rudolf Wierer aus der deutschen „Beton-Stein-Zeitung“. „Da drin hab’ ich halt geblättert und da ist ein Inserat gewesen von einer gewissen Firma Schlosser & Co., Michlbach, Nassau. Und denen hab’ ich auf meiner alten Schreibmaschine einen Brief geschrieben: Ich möchte ein Angebot
Der damals knapp 25-Jährige lud Wilhelm Schlosser kurzerhand auf den väterlichen Bergbauernhof ein: „zu Speck und Brot und einem Glasl Wein und fertig“. Und der Herr Schlosser unterstützte Rudolf Wierer bei der Anschaffung der ersten automatischen Betondachsteinanlage: Wierer musste lediglich eine Anzahlung aufbringen. „Jetzt war das Problem … es waren natürlich mehrere Probleme, aber das erste war, die zehn Millionen für die Anzahlung aufbringen.“ Das konnte schließlich mit der finanziellen Hilfe des Vaters bewerkstelligt werden. Die Summe für den Kauf eines Grundstückes in Kiens stotterten die Brüder Wierer ratenweise ab, nicht ohne einen Teil des Grundstückes um einen höheren Preis an einen Mitbieter zu verkaufen. „Und der hat aber gleich
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zahlen müssen! Damit habe ich vier weitere Millionen gehabt.“ Dazu kamen private Sponsoren und die Unterstützung vom Land Südtirol – aber auch ungewöhnliche Geldquellen zapfte Rudolf Wierer an: Der damalige Brixner Bischof Joseph Gargitter wollte Südtiroler Firmen unterstützen, um Arbeitsplätze zu schaffen. „Und dann hat er gesagt, er tät’ gern einmal ein Gespräch führen. Da bin ich zu ihm hingegangen, hab ihm das dargelegt und erzählt und scheinbar hat ihm das eingeleuchtet. Er wird von sich hören lassen! Es hat nicht lange gedauert, da hat er mich angerufen und gesagt, ich soll zum Finanzminister der Diözese. Da bin ich zu dem hin und der hat gesagt, der Bischof hat gesagt, er soll mir 20 Millionen aushändigen.“ 1963 verlassen die ersten Platten das Werk. „Die erste Zeit haben wir schon herumgerauft. Ich hab’ da einfach eine Kartei mit den Namen von den Mitarbeitern gehabt und wenn einer 30.000 Lire zu bekommen gehabt hat, hab ich gefragt: Wie viel musst du haben, dass du überleben kannst? 10.000 oder 5.000 oder fast alles? Weil er zum Beispiel Haus gebaut hat oder eine größere Familie hat oder seine Kinder irgendwohin studieren gehen. So habe ich mir jeden Mann erhandelt! Das hat gepasst für die Mitarbeiter und es ist kein einziger weggegangen. Heutzutage undenkbar!“ Drei Jahre später errichten die Wierer-Brüder ihr zwei tes Werk in Desenzano. Die Investitionssumme von 400 Millionen Lire wird in nur einem Jahr wieder erwirtschaftet. So geht es weiter. Bis 1979 die Firma Wierer Marktführer auf dem Dachplattensektor in Italien ist. Dann der folgenschwere Fehler. Wierer kauft sich 1979 in die Tondachziegel- und Baumaterialienfirma Valdadige in Verona ein. Was die Brüder aus dem Pustertal zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: die Zahlen bei Valdadige sind geschönt, die
Firma steckt tief in den Schulden. 1983 muss Wierer Ausgleich anmelden. Alles ist verloren. „Man kann ja fallen, soll aber nicht liegen bleiben. Ich habe dann wieder eine Firma gegründet, danach.“ Danach. Davor verkehrte Rudolf Wierer in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen in Italien und Deutschland, hatte Kontakte zur Managerriege führender Firmen in England, Holland und Deutschland, bezog öffentlich Stellung zur wirtschaftlichen Lage Italiens, sein Name war in Wirtschaftszeitungen in ganz Italien zu finden, er war Bürgermeister von Kiens, reiste um die ganze Welt, war Gast in den besten Hotels. „Damals haben wir Geld auf die Seite getan. Das erste Haus habe ich zwei Jahre nach dem Heiraten hergegeben, wir sind in Miete gegangen und haben die Villa gebaut.“ Und nicht irgendeine Villa. Ein Vorzeigemodell für den modernen Wohnbau hat der gebürtige Innichner Architekt Franz Prey für die Familie Wierer in Kiens geschaffen. Das Traumleben in der Traumvilla endete nach dem Ausgleich der Firma. Der Auszug aus der Villa war „kein schöner Tag, das ist schon klar“. Doch Wierer hatte bald neue Pläne. „Ich habe ein anderes Haus gekauft, in dem wir 17 Jahre gewohnt haben. Ein schönes Haus, das ich wieder mit Schulden gekauft habe. Und irgendwann kommt dann der Nachbar, ein Hotelier, und sagt: Ich bräuchte dein Haus! Das Grundstück, wo unser Haus stand, hat nämlich davor seinem Vater gehört. Du bist gut, sag ich, wo soll ich dann hingehen?“ Schließlich hat sich Rudolf Wierer ein paar hundert Meter Luftlinie weiter nördlich in Kiens sein inzwischen viertes Haus gebaut, in dem er seither mit seiner Familie lebt.
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Marlene Haring Originalbeilage Nr. 11
Jede Ausgabe von Quart erscheint mit einem Kunstwerk. Exklusiv für dieses Heft hat Marlene Haring verschiedene Schwarzweißkopien produziert, gefaltet und hier eingelegt: „Für wen ich das mache? Na für Sie! Für Sie überleg’ ich schon seit Wochen herum, wie diese Situation zu lösen ist, welchen Umgang ich mit Ihnen zu pflegen wünsche, mit den zukünftigen Originalbeilagenbesitzerinnen und -besitzern. Was wollen Sie von mir? Was will ich von Ihnen? Oder für Sie tun? Höflich grüßen, schmeicheln, Bericht erstatten, oder mit der Türe ins Haus fallen? Ganz ehrlich, ich wähle lieber letzteres, denn ich hab ja nur die Chance eines Moments, indem an jene Stelle geblättert wird, an der Sie mich dann kennenlernen. Für Sie reiß’ ich mir dem Arsch auf! So schnell geht’s vom Aufwand zur Intimität.“
Heft 11/08
Heft 1/03
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Heft 7/06
Heft 6/05
Heft 2/03
Heft 3/04
Heft 4/04
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© Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien
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Gipfelfieber Landvermessung No. 2, Sequenz 6 Von Nufels zum Glockturm Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Derzeit befinden wir uns auf einer Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen Richtung Oberes Vinschgau führt. In der aktuellen Folge ist der Schriftsteller Fridolin Schley viel zu spät am Nachmittag von Nufels Richtung Glockturm aufgebrochen und in eine unheimliche Welt geraten. Zurück in seinem Wohnort München hat er die nachstehende Erzählung verfasst. Ich kann nicht mehr genau sagen, von welchem Zeitpunkt an ich das sichere Gefühl hatte, dass ich mich in Gefahr begab. Nufels erreichte ich erst nach Einbruch der Dunkelheit, Faggen, Kauns und Berneck waren meinem Navigator schon nicht mehr bekannt, und so fuhr ich, wegen einer mit jedem Jahr stärker werdenden Nachtblindheit ohnehin nicht gerne abends mit dem Auto unterwegs, eine Zeit lang mit zu Schlitzen verengten Augen und weit über das Lenkrad gebeugt durch ausgestorbene Ortschaften von oft nicht mehr als fünf Häusern, Höfen und Scheunen. Nur einen Steinwurf entfernt stieg linkerhand das Bergmassiv empor, das sich hinter Landeck plötzlich aufgetan hatte, und einige Male befürchtete ich, geblendet von den grellen Zerrmustern entgegenkommender Scheinwerfer, im nächsten Moment an der Felswand zu zerschellen. Ich sah häufiger als nötig in den Rückspiegel. Ein seltsames Geräusch, das ich nicht zuordnen konnte, irritierte mich einige Minuten so stark, dass ich das Radio ausschaltete, um auf den Motor zu horchen. Es war ein helles Klimpern, als spielte jemand in seiner Hosentasche mit Kleingeld. Das ist das Kichern des Berges, dachte ich, den ich an seinen Füßen kitzle. Als ich nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam, endlich eine geduckte Gestalt aus der Tür eines kleinen Bauernhauses treten sah, betätigte ich den elektrischen Fensterheber und fragte nach dem Weg. Ich war offenbar schon ganz in der Nähe, die alte Frau musste ihre Antwort jedoch dreimal wiederholen, so schwer verstand ich ihre Mundart. Aus der Nähe wirkte sie noch kleiner, eine im Zwielicht leuchtende Warze sprang unter ihrer Nase hervor, eine Schürze umspannte ihren mächtigen Leib – als Kinder hatten
meine Schwester und ich uns so Hexen in Märchen vorgestellt. Aus alter Gewohnheit überlegte ich mir sofort einen Namen für sie, verwarf Erna und Friedegard, legte mich schließlich auf Ludwina fest. Was ich denn in Nufels wolle, fragte sie skeptisch und äugte durch die Scheibe auf meine Rückbank, als vermutete sie dort einen Entflohenen. Ich murmelte etwas von Wandern und Schreiben und drückte aufs Gas. Vielleicht war das der Augenblick, als meine Beunruhigung begann. Mehrfach blickte ich auf den letzten Metern bis zu meiner Unterkunft neben mich auf den Beifahrersitz, um mich zu vergewissern, dass Ludwina nicht plötzlich bedrohlich grinsend neben mir saß. Das Land hat mir schon immer Angst gemacht, aber das führt nun zu weit. Erst als ich in der Bauernhofpension Sonnenheim Quartier bezogen hatte und auf der Suche nach einem Wirtshaus durch die Nacht war, wurde meine Atmung tiefer, mein Gang ruhiger. Der Himmel war sternenklar, die Berge ringsum dunkle, riesige ausradierte Flächen. Auf den Feldern türmten sich Hunderte in blauem Plastik eingeschnürte Heuballen wie aufgetriebene Geschwülste. Ein Bach rauschte in der Nähe. Menschen kommen von weit her, um das hier zu erleben, sagte ich mir, diese Ursprünglichkeit, diese Luft, doch der Geruch bereitete mir Ekel, der Geruch von nassem Heu, von Kühen, von Dung, der erdige Gestank der Natur, aber auch der Fäulnis, der Verwesung. Schon als Kind habe ich in unserem Garten stets einen gro ßen Bogen um den Komposthaufen gemacht. Auf dem Rückweg kam mir ein Mann mit Filzhut entgegen, wortlos wollte ich ihn passieren, als er ein „Na, servus“ über die Straße warf. Erschrocken brachte auch ich ein „Servus“ hervor, doch es klang,
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als würde ich rülpsen. Erst da bemerkte ich, dass ihm ein Gewehr über der Schulter hing. Überflüssig zu sagen, dass ich schlecht schlief. Obwohl ich das Fenster schloss. Beim Frühstück beugte ich mich mit dem Großvater des Hauses über Landkarten und Wanderpläne. Als ich erklärte, ich wolle über die Dörfer und entlang der Gletscherstraße bis zum Gepatschhaus und dann über den Pass hoch zur Radurschlalm laufen, musterte er mich, mehr besorgt als belustigt, und sagte nur „Allein? Ja dann, Glück auf“, und dass ich Acht geben sollte. „Warum denn“, fragte ich nervös, aber er schüttelte nur den Kopf: „Willst Du etwa so in die Berg gehen?“ Ich gewöhnte mich nur langsam daran, dass man sich hier duzte. Aber tatsächlich trug ich noch meine Bürokleidung und hatte nur Turnschuhe dabei. Der Himmel war bedeckt, als ich hinaustrat. Mein erstes Ziel war eine barocke Kirche aus dem 12. Jahrhundert im Nachbarort Kaltenbrunn, dem ältesten Wallfahrtsort Tirols, wie die Legende meiner Karte mir verriet. Dass der Erbauer der ersten steinernen Kapelle, ein Edelmann von Schenkenberg, seinerzeit nach Kaltenbrunn gekommen und sich hier als Einsiedler niedergelassen haben soll, um für einen von ihm begangenen Mord zu sühnen, verwunderte mich schon nicht mehr. Eher fragte ich mich, ob es an ei nem Ort wie diesem überhaupt möglich war, nicht zum Verbrecher zu werden. Da es Sonntag war, hoffte ich, die Dorfbewohner beim Kirchgang beobachten zu können. Als ich den vorgelagerten ummauerten Friedhof erreichte, stand dort in Sonntagstracht schon eine Handvoll Menschen in der Kühle des Mor gens und stieß weiße Atemwölkchen aus. Sie musterten mich skeptisch – mit meinem langen, schwarzen Herbstmantel und einem Notizblock in der Hand fiel ich als Fremder auf – und grüßten mich mit einem einstimmigen „Morgen“. Es klang wie eine Warnung. Um nichts erklären zu müssen, umrundete ich die Kirche, von der aus ich einen weiten Blick ahnte ins noch nebelverhangene Tal und auf die Pillerhöhe, schob mich entlang der Gräber, die keine Steine sondern mit Stahlranken und eisernen Rosen verzierte Messingkreuze trugen, fast alles Familiengräber, in manchen ruhten schon vier Generationen. Ich studierte die Namen sowie Geburts- und Sterbedaten, berechnete die Dauer dieser Leben und blieb schließ-
lich stehen am Grab einer Familie Penz. Johann, Irma, Franz, Paula, Comedius und Andreas Penz lagen hier, der älteste seit 1935, der jüngste, Andreas, war nur dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Wir hatten dasselbe Geburtsjahr. Mit Unbehagen, als ginge mich das Schicksal der Familie Penz etwas an, eilte ich weiter, rüttelte an der noch verschlossenen Eingangstür und wusch meine Hände in einer Gebirgsquelle, von der eine Tafel behauptete, nach ihr hätte Kalten brunn seinen Namen. Ich ärgerte mich über meinen Fluchtinstinkt und wandte mich wieder den vor der Kirche Wartenden zu. Man nickte mir wissend entgegen, als sei man eingeweiht in meinen dunklen Plan, immer mehr Mitglieder der Gemeinde kamen nun herbei und strömten hinein ins Mittelschiff. Ich reihte mich ein, und als ich, kurz vor dem Eingang, noch einmal am Grab der Familie Penz vorbeikam, fragte ich meinen Nebenmann, so unvermittelt, als spielten wir seit Jahren zusammen Skat: „Woran ist der Penz Andreas eigentlich so jung gestorben?“ So verwegen ich mir vorkam, so groß war mein Schreck, als ich gleich darauf in dem Mann den nächtlichen Jäger vom Vorabend erkannte, der nun seinerseits ganz selbstverständlich und mit solch scharfem Nachdruck antwortete, als führten wir ein Stück auf: „Besser nicht an den alten Geschichten rühren, glaub mir.“ Das war alles. Im Inneren der Kirche ließ ich mich zurückfallen und schlüpfte in eine der hinteren Reihen, die kurz darauf bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Die Alten knicksten mühsam in Richtung des Kreuzes, fanden ihre angestammten Plätze, Kleinkinder schrien auf den Armen ihrer Väter und Großväter, alle bewegten sich zielgerichtet wie nach einer alten, allen bekannten Ordnung. Dass wir Erntedank feierten, merkte ich erst, als der Pfarrer, ein Dr. Michael Wilhelm, wie ich später in einem Prospekt las, mit erhobenem Finger mahnte, nur wer an die Schöpfung glaube und sich nicht von den Wissenschaften blenden lasse, dürfe dieses Fest begehen. Ich war sicher, dass er in meine Richtung blickte, als er zu den Schlussworten der Predigt ansetzte: „Arm ist der, der niemandem danken kann.“ Dann traten noch Hildegard und Reinhold nach vorne und trugen Fürbitten vor. Sie hatten silbernen Hochzeitstag („auch eine Art Erntedank“), sahen aber ziemlich blass und mitgenommen aus, als wäre ihnen am Morgen etwas Unangenehmes klar
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geworden. Reinhold hatte eine tiefe, tragende Stimme, sicherlich sang er im Männerchor, und ich wün schte mir, er könnte der Gemeinde sagen, was er wirklich dachte an diesem Tag, an dem für ihn die Früchte der Liebe eingefahren werden sollten. Beim Gesang war ich der Einzige, der ins Textbuch schaute. Ich entdeckte Ludwina in der Reihe vor mir, aber als wir uns zum Zeichen der Verbundenheit die Hände reichen sollten und ich ihr meine entgegenstreckte, wurde sie rot und sah zur Seite. Mein Magen knurrte, als die Gemeinde sich zum Abendmahl anstellte, und ich floh unter strafenden Blicken, die sich auch nicht aufhellten, als ich deutlich zu viel Geld in den herumgereichten Klingelbeutel warf. Draußen empfing mich Sonnenschein, das Tal konnte man nun weit überblicken, ich atmete tief durch wie nach einer Prüfung, und dass dieser Morgen wie gemacht schien für meine Wanderung, beschwingte mich. Hätte ich nicht solchermaßen unvermutet das Gefühl gehabt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ich wäre vermutlich gar nicht mit Oehler ins Gespräch gekommen. Zumal man nicht übersehen konnte, dass er nicht mehr ganz bei sich war. Ganz entgegen meiner Art sprach ich ihn im Vorübergehen an; warum er denn nicht wie alle anderen zum Erntedank in der Kirche sei, fragte ich, und er, der mit weit ausholenden Schritten, vorgeneigtem Oberkörper und gesenktem Kopf leise vor sich hin flüsternd die Bergstraße hinab in Richtung der Ortschaft Platz ging und dabei von Zeit zu Zeit den rechten Zeigefinger anfallartig in die Luft stieß, erschrak heftig, als hätte er von mir einen Schlag zu befürchten, und sagte sogleich, in der Kirche sei er schon lange nicht mehr gewesen, zumindest seit er sonntags diese Strecke mit Karrer gehe, oder vielmehr gegangen sei, denn Karrer, mit dem er noch letzte Woche hier spazierte, wäre nun doch vollkommen und endgültig verrückt geworden und zweifellos für immer nach Steinhof gebracht worden. Das habe auch Scherrer geäußert, der mit ihm betraute Psychiater, der ihn, Oehler, für heute Mittag zu einem neuerlichen Gespräch über die genauen Umstände von Karrers Verrücktwerden gebeten habe. Auch über Hollensteiner, so stehe zu befürchten, werde bei dem Verhör zu sprechen sein, jawohl Hollensteiner, die ehemalige Koryphäe auf dem Wissenschaftsgebiet der Chemie, denn dieser sei ein enger Freund Karrers, oder vielmehr
gewesen, denn Hollensteiner sei ja bereits vor Monaten ins Wasser gegangen. So sprach er ohne Unterbrechung. Ob er mich dabei überhaupt wahrnahm, konnte ich nicht einschätzen. Mehrfach versuchte ich, etwas zu erwidern, auf Verwirrte muss man eingehen, erinnerte ich mich, dann werden sie nicht gefährlich, aber schon nach wenigen Minuten verwün schte ich meinen Übermut und hielt Ausschau nach Möglichkeiten, mich seinem Ansturm zu entziehen. Nachdem wir Platz durchlaufen hatten, eine Ortschaft, die wie von allen Seelen verlassen da lag, erblickte ich hinter einem verfallenen Hotel den Eingang zu dem vom Kaunertaler Kulturverein geführten Talmuseum. Ich begann schon Verabschiedungsformeln an Oehler zu richten, doch dieser folgte mir mit dem Hinweis, auch Karrer und er hätten sonntags, wenn sie hier gegangen seien, stets im Talmuseum Station gemacht, vor allem im Winter, wenn Karrer, von einer andauernden Angst vor Verkühlung getrieben, darauf bestanden habe, sich dort aufzuwärmen, nur um dann drinnen sogleich Beklemmungen und Erstickungsgefühle zu erleiden, aber das seien natürlich schon deutliche Anzeichen seines vollkommenen und endgültigen Verrücktwerdens gewesen. Wir betraten das niedrige, fensterlose Schindeldachgebäude ohne jemandem zu begegnen oder ein Eintrittsgeld zu entrichten, gelangten über eine Kellertreppe in eine Vielzahl labyrinthisch ineinander verwinkelter Ausstellungsräume. An der Decke verliefen Gasadern, und die wenigen schweren Messingleuchten, die die Exponate nur spärlich beleuchteten, hingen wie Fangarme herab. Es herrschte absolute Stille, sogar Oehler war verstummt. In seit langem nicht abgestaubten Vitrinen lag ohne ersichtliche Ordnung ein Sammelsurium mir gänzlich unbekannter Gegenstände: Kräutermörser, Sauerkübel, Pechhacken – durch die Zeit gerettete Zeugnisse landwirtschaftlicher und handwerklicher Geschicklichkeit und entbehrungsreicher Leben. Ein Pfundwagen und ein Dutzend Forstgeräte aus dem frühen 18. Jahrhundert waren erhalten geblieben, eine Turbine aus dem ersten Wasserkraftwerk stand in der Ecke. Daneben hing die frühere Turmuhr der Muflerkapelle an der Wand, im nächsten Raum, der tonnengewölbt und rauchgeschwärzt wie eine alte bäuerliche Küche war, notierte ich mir Tabakschneider, Wiegemesser, Wurstfüller, Kaser, Schmalzfässer, Waschrumpel und Milch-
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stotzen in meinen Block. Ich stieß mir die Hüfte an einer transportablen Schusterwerkstatt, die mich an glückliche Nachmittage meiner Kindheit an der Hobelbank meines Vaters erinnerte, und strich über die rostige Oberfläche riesiger stählerner Geräte zur Flachs- und Wollverarbeitung. Oehler blieb immer dicht hinter mir. Eine eigentümliche Ruhe hatte uns seit unserem Eintritt umgeben, nur unsere langsamen, immer wieder stockenden Schritte auf dem Dielenboden waren zu hören und von Zeit zu Zeit Oehlers leise Stimme, mit der er mir, wann immer ich ein Ausstellungsstück länger betrachtete, den entsprechenden Namen und die ursprüngliche Anwendungsweise zuflüsterte. Er war wie verwandelt. Der hastige Furor war von ihm gewichen, derselbe Mann, dessen nervöses Wortstakkato mich noch Minuten zuvor betäubt und fast in die Flucht geschlagen hatte, erklärte mir nun mit dem sanften Gleichmut eines Dorfschullehrers, dass das Kaunertal einst Weidegebiet für Kelten, Räter und Römer gewesen und erst im 11. Jahrhundert dauerhaft besiedelt worden sei. Dass hier später sogar Kaiser Maximilian seiner Jagdleidenschaft gefrönt habe und wie der am Poschenhof geborene Tischler Melchior Hefele ein weltberühmter Architekt im Dienste der Kirchenfürsten wurde. Woher er das alles wisse, fragte ich ihn und überlegte, warum wir flüsterten, doch Oehler blickte mich nur an, als hätte ich ihn beleidigt. Dann ging er voran in einen angrenzenden stillgelegten Bergbaustollen, in dem auf Schürfrosten exem plarisch ausgebreitet Silber, Kupferkies und Schwefel funkelten. Seine Schritte hallten wie in einem langen Tunnel, und ich wollte ihm schon nachfolgen, als mein Blick auf einer kleinformatigen Fotografie hängen blieb, die in einer schmalen, dem Bergsteigen gewidmeten Seitennische hing, zwischen abgefahrenen Kufen alter Schlitten, zu riesigen Knoten aufgerollten Seilen und stumpfgeschlagenen Spitz hacken. Ich verharrte augenblicklich, denn für eine Sekunde glaubte ich, in ein mir zutiefst vertrautes Gesicht zu sehen. Die an den Seiten bereits aufgerollte Schwarzweißaufnahme, die die Jahrzehnte trübgelblich verblichen hatten, zeigte einen verhalten lächelnden Mann im Gebirge, der mit gespreizten Beinen im Schnee saß, neben ihm waren seine Ski und Stöcke in den Boden gerammt. Den Rucksack hatte er abgelegt, ebenso Mütze und Handschuhe, hinter
ihm war nicht weit entfernt ein Gipfelkreuz verschwommen zu erkennen, ringsum nichts als weiße Bergkuppen. Gleißender Sonnenschein ließ ihn blinzeln, eine Hand schirmte die Augen ab, die mehr als der Rest des Gesichtes sein vorgerücktes Alter verrieten. Der Blick des Mannes ging kaum merklich an der Kamera vorbei und richtete sich auf etwas, das weit entfernt zu sein schien, eine heimliche Beunruhigung lag darin, so als traute er der Witterung nicht und fürchtete schon um einen sicheren Abstieg. Fast unleserlich, in krakeliger Schrift, stand unter dem Bild: Bergführer Eduard Naegele, Glockturm, Feb ruar 1940. Meine Knie waren weich, wie früher, wenn ich beim Fußball zum entscheidenden Elfmeter antrat, doch erst jetzt verstand ich, warum. Der Mann auf der Fotografie glich bis aufs Haar meinem Vater, der vor weniger als einem Jahr an einer seltenen Krankheit gestorben war. Die kerzengerade Haltung des Rückens, der leicht schief gelegte Kopf, die weit auseinander liegenden Augen. Das war der Augenblick, in dem ich entschied, meine Route zu ändern. Ich musste auf den Glockturm. Eine Tür schlug zu und ich erschrak. Ich horchte auf Oehlers Schritte, doch nichts war zu hören, nur wieder jenes hohe, klirrende Geräusch, als spielte jemand mit Kleingeld. Ich trat an den dunklen Stollen, in dem Oehler verschwunden war und der aussah wie der Eingang zu einem tief hingestreckten steinernen Iglu. „Herr Oehler?“, rief ich vorsichtig, dann noch einmal lauter, keine Antwort. Mit einem Mal schien mir nichts logischer, als dass Oehler sich an mir vorbei nach oben geschlichen und mich an diesem wie aus der Welt gefallenen, unterirdischen Ort eingesperrt hatte. Ich begann zu laufen, erst zögernd, dann schneller, glaubte schon, den Ausgang nicht mehr zu finden, dann die Treppe hinauf und hinaus, die Tür war unverschlossen, erst auf der Gletscherstraße blieb ich stehen und blickte zurück. Die Sonne stand im Zenit, es musste genau Mittag sein. Von Oehler keine Spur. Lustlos setzte ich meinen Weg fort. All die lokalhistorischen Sehenswürdigkeiten, die mich noch zuvor in allen Details interessiert hatten, waren mir nun gleichgültig und fast lästig. Durch die Fenster des Flügelhauses von Anton Wille an der Abzweigung nach Weiler warf ich nur einen flüchtigen Blick im Vorübergehen, den Umweg zum Gletschertopf, das
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von einem Murenabgang freigelegte skulpturale Werk der letzten Eiszeit, machte ich erst gar nicht. Der Gepatschstausee, der imposante Blick auf das Abbruchgebiet für die riesigen Steinquader der Staumauer, die leuchtenden Lupinen, die ich auf den Hängen unterhalb der Straße entdeckte, der Wasserfall des Wurmetalbachs und die Urfelschlucht – all das wollte mich nur vom Eigentlichen ablenken. Ich brauchte ungefähr drei Stunden, bis ich die Gletschertalstraße durchlaufen und die neugotische Holzkapelle Maria im Schnee erreicht hatte. Nur wenige andere Wanderer begegneten mir unterwegs, Grußworte erwiderte ich unwillig, zweimal fragte ich nach dem Wanderweg zum Glockturm und war nicht freundlich dabei. Nicht einmal die Busenlarch, ein von der Laune der Natur einem Frauenkörper nachgebildeter Baumstamm, fand meine längere Aufmerksamkeit. Es war nun keine Zeit mehr zu verlieren. Es ging schon auf halb fünf zu, als ich oberhalb der Gepatschalm, wo das Glockenläuten träger Milchkühe mich verhöhnte, endlich die richtige Wegmarkierung fand, Glockturm, ca. 4 Stunden, nur für er fahrene Alpinisten, stand dort. Das war vor Einbruch der Dunkelheit nicht zu schaffen, trotzdem ging ich voran. Im Gepatschhaus, wo ich mich noch mit Proviant versorgt und eine Suppe zu mir genommen hatte, war man skeptisch gewesen, es sei zu spät, im Dunkeln seien die Wegmarken kaum auszumachen, und ob ich oben auf der Hütte Unterkunft für die Nacht fände, sei keinesfalls sicher. Und doch fühlte ich mich, als ich den ersten Anstieg bewältigt hatte und die ersten Nadelbäume des Zirbelwaldes mir ihre Schatten vor die Füße warfen, so frei und bei mir wie seit Jahren nicht. Fast hätte ich ein Lied angestimmt. Mehrmals blieb ich stehen und verglich die Aussicht mit den Bergskizzen auf meiner Karte, auf der anderen Seite des Tals machte ich in der Ferne die Gletscherzunge des Gepatschferners und die Gipfel des Kaunergrats aus, und als ich unter mir auch noch den von Gletschereis gespeisten Weißsee schimmern sah, weit entfernt und zugleich so nah, dass ich glaubte, hineinspucken zu können, da schämte ich mich beinahe, so schön war es. Die untergehende Sonne tat das Übrige dazu. Nach etwa einer Stunde erreichte ich die Schneegrenze. Es hatte sich merklich abgekühlt, Abendnebel zog auf und schnitt mir ins Gesicht. Immer häufiger ver-
lor ich nun die orangefarbenen Markierungen, die auf Steine entlang des Wegs gepinselt oder als kleine Pflöcke in den Boden geschlagen waren, aus den Augen, musste stehen bleiben und mich nach allen Seiten wendend nach ihnen suchen. Doch noch immer machte ich mir keine Sorgen. Auf einem größeren Flachstück wollte ich pausieren, ich verließ meinen Weg und steuerte auf eine von einem niedrigen, sicherlich Stein für Stein per Hand errichteten Steinwall umgrenzte, schneebedeckte Lichtung zu, in der ich einen Schlechtwetterhang vermutete, eine Sammelstelle für Hirten und Tiere bei Schneefall. Als ich näher kam, glaubte ich dort im Dämmerlicht undeutlich einen dunklen Fleck im Schnee zu erkennen, das morsche Stück eines vor langer Zeit gefällten Baumstamms, und es war sicherlich meinen schlechten Augen geschuldet, dass ich schon auf kaum mehr als zehn Meter herangekommen war, bis ich glauben konnte, was ich da sah –, dass dort kein Holz, kein Ast, auch kein Tierkadaver reglos wie auf weißer Watte lag, sondern ein Mensch. Der Schreck traf mich wie ein Tritt in die Kniekehlen. Mein erster Impuls war zu fliehen. Doch schon im nächsten Augenblick war ich herangesprungen, beugte mich über den leblosen Jungen, nicht älter als achtzehn Jahre konnte er sein, seine geöffneten Augen starrten in den Himmel, ein Bein ruhte auf dem anderen, die Hände waren auf der Brust gefaltet, ganz so, als habe er sich zum Sterben noch in eine bequeme Position gebracht. All das passierte innerhalb weniger Sekunden, so dass ich nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, wann ich merkte, dass er noch lebte. Ob ich erst hilflos an seiner Schulter rüttelte und „hey“ rief, „hey, Junge“, oder ob er mir da schon seinen Kopf zugedreht hatte, selig lächelnd, als erwachte er aus einem sanften Traum, und in einem Dialekt, den ich nicht zuordnen konnte, sagte, so freundlich und leise und seltsam gewählt, als kämen wir in einer Kunstausstellung ins Gespräch, „Guten Abend, mein Herr, könnten Sie mir sagen, wie spät es ist?“ Es ist grotesk, wie man sich noch in den absonderlichsten Momenten – und gerade dann – an ein Leben lang eingeübte Verhaltensmuster klammert. Die Situation war von größter Irrealität, tatsächlich glaubte ich, eine Erscheinung spräche zu mir. Und dennoch tat ich augenblicklich wie geheißen, blickte auf meine Armbanduhr und antwortete, es gehe auf sechs
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zu. Dann hatte ich mich wieder gefasst, wollte schon fragen, warum er hier alleine im Schnee liege, und ihm vorhalten, mich zu Tode erschreckt zu haben, da hatte er sich schon aufgerichtet und zu sprechen begonnen, es sei doch sonderbar, sagte er, da habe er das Gefühl, seit Stunden hier zu liegen und auf den Abend zu warten, und in Wahrheit sei erst eine Viertelstunde vergangen. „Umzukommen ist langweilig, wie es scheint.“ Alles an dem Jungen, der sich gleich darauf höflich und förmlich als Hans vorstellte, war wie aus einem früheren Jahrhundert, seine wohlerzogene, steife Ausdrucksweise, aber auch sein Erscheinungsbild. Er trug eine langärmelige Kamelhaarweste und Wickelgamaschen, seine Telemarkski, die wie zwei Kommata neben ihm lagen und hellbraun lackiert leuchteten, waren an den Spitzen mit Leder überzogen. Eine solche Ausrüstung kannte ich bisher nur aus den frühen Luis-Trenker-Filmen. Von Anfang an sprachen wir eigentümlich vertraut miteinander, ich wurde das Gefühl nicht los, ihn seit langem gut zu kennen, und es hätte mich nicht gewundert, wenn wir uns, als wir einander bekannt machten, umarmt hätten. Er sei froh mich zu treffen, sagte er, denn er habe, kurz nachdem der Nebel aufgezogen sei, den Weg verloren und sich schon darauf eingestellt, hier die Nacht zu erwarten. Er griff nach seinem Rucksack, zog eine flache Flasche Portwein und eine Tafel Schokolade heraus und bot mir beides an. Das sei doch Wahnsinn, brachte ich jetzt aufgebracht hervor, nachts werde es hier weit unter null Grad haben, unmöglich könne man das in seinem Aufzug überleben. Daran habe er noch gar nicht recht gedacht, sagte der Junge, aber das stundenlange Ersteigen des Hanges und der eisige Wind bei den Abfahrten hätten ihn so erschöpft und benommen gemacht, dass er sich nur einen Moment habe ausruhen wollen. Dabei müsse ihn unmerklich jenes Gipfelfieber überfallen haben, von dem er gelesen habe, dass es – mit Sauerstoffmangel habe es offenbar zu tun – einen in den Bergen leichtsinnig und gleichgültig mache, mitunter so sehr, dass man es fast darauf anlege, sich um die Orientierung zu bringen. Er sei wohl für einen Augenblick mit offenen Augen eingeschlafen, denn er entsinne sich absonderlicher Träume, von am Ufer einer Bucht spielenden, bogenschießenden und musizierenden Jungen und Mädchen, die an Felsennischen lehnten und von einer Uferfelsen-
platte zur anderen sprangen, aber auch von mächtigen Säulen eines Tempeltors ohne Sockel, aus zylindrischen Blöcken getürmt, in deren Fugen Moos spross. In seinem Traum habe er durch einen Spalt in der Tempelkammer zwei graue Weiber erblickt, die über einem Opferbecken in wilder Stille mit bloßen Händen ein kleines Kind zerrissen, er habe zartes blondes Haar mit Blut verschmiert gesehen und Knöchlein in den Mündern der Furien knacken hören. So laut habe er vor Entsetzen geschluckt, dass sie ihn entdeckt und ihre blutigen Fäuste nach ihm geschüttelt hätten, und er könne mir gar nicht genug dafür danken, ihn aus diesem Alptraum geweckt und befreit zu haben, denn allein hätte er sich zweifellos für immer darin verloren. Ich fragte mich, was ich nur an mir hatte, dass ich stets diese Sonderlinge auf mich zog. Wie sich herausstellte, war Hans seit Jahren Patient in dem angesehenen und nahe gelegenen Sanatorium „Berghof“, ohne dass man Art und Ursache seines Leidens jemals ganz hat herausfinden oder dieses lindern oder gar heilen können, und aus purer Langeweile hatte er erst vor wenigen Wochen mit dem Skifahren begonnen. „Bitte erwarten Sie also von mir kein Virtuosentum“, sagte er entschuldigend und fragte, ob er sich mir eine Weile anschließen dürfe, bis er die ihm vertraute Piste wieder gefunden habe. Ich erklärte, ich sei auf dem Weg zum Glockturm, und würde ihm raten, entlang der Wegmarkierungen talwärts bis zum Gepatschhaus zu gehen, um dort für eine Nacht unterzukommen. Doch er winkte gleich ab, keinesfalls dürfe er das Abendessen im Berghof versäumen, sein Fehlen bei den Betätigungen des Nachmittags werde ihm sicherlich ohnehin Schelte einbringen. So gingen wir gemeinsam weiter, tasteten uns voran, seine Ski hatte der Junge geschultert, es war nun fast ganz dunkel. Als kurz darauf leichter Schneefall einsetzte und immer stärkerer Wind aufzog, der bald wie mit Sensen auf uns einhieb, so dass wir den Kopf zur Seite wenden mussten, um zu Atem zu kommen, erwog ich zum ersten Mal, mein Vorhaben abzubrechen und umzukehren. Hans dagegen schien unsere Lage nicht das Geringste auszumachen. Schon seit längerer Zeit, sagte er, übe das Erfrieren auf ihn eine heftige Faszination aus, ja er habe sogar allerlei wissenschaftliche Fachbücher darüber gelesen. Lange sei es den Medizinern etwa ein Rätsel ge-
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wesen, warum einsam Erfrierende als letzte Lebenstat sich nicht selten noch ihrer Kleidung und damit ihres letzten Schutzes entledigen, warum Zeitungen immer wieder von erfrorenen Obdachlosen berichten, die bis auf die Unterwäsche entblößt auf Parkbänken festgefroren aufgefunden werden, ihre Kleidung und Habseligkeiten um sich verstreut, wie hastig vom Leib gerissen. Er wolle mich nicht mit wissenschaftlichen Details langweilen, sagte Hans, aber er fände es geradezu rührend, dass sterbende Zellen als letzte Gabe noch Hitzewellen simulierten, und beruhigend, dass der Körper einen noch im endgültigen Erstarren glauben mache, eine wärmende, schützende Burg zu sein. Wahrscheinlich gab mir das den Rest. Seit Nebel und Wolken das Mondlicht verschleierten, hatten wir unser Tempo weiter verlangsamt, wie Erblindete tappten wir durch die Dunkelheit, ein steiler Anstieg erhob sich vor uns, und obwohl vor Anstrengung bereits Hemd und Pullover durchgeschwitzt waren, schlotterte ich vor Kälte am ganzen Leib. Die Wahrheit war, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie weit entfernt von der rettenden Hütte wir noch waren. Dass ich bereits sämtlichen Proviant und alles Wasser verbraucht hatte. Und dass ein Weggefährte neben mir lief, für den ich schon aufgrund des Altersunterschieds die Verantwortung trug, der mir zugleich aber mit jedem weiteren Schritt unheimlicher wurde. Als ich stehen blieb und sagte, wir müssten umkehren, lachte Hans nur verhalten, wie über eine unpassende Pointe, und ging weiter. Ich setzte ihm nach, packte ihn von hinten an der Schulter und schrie ihn an, er solle jetzt gefälligst mitkommen, bevor ich mich vergesse, doch da fuhr der Junge mit solcher Gewalt herum, dass mein Arm fort flog, und packte mich mit einer Hand am Hals. Ich bekam keine Luft mehr und versuchte, während mir nie zuvor gehörte Laute entfuhren, mit meinen Händen sein Gesicht zu erreichen. Auf die Augen, immer auf die Augen, schoss es mir durch den Kopf. Hans sagte kein Wort, sah mich nur an, während ich in seiner Hand zappelte. Es stimmt, was Ernst Jünger einst in sein Tagebuch notierte: man sieht es einem Menschen erst im letzten Moment an, ob er in der Lage ist, einem anderen das Leben zu nehmen. Als er mich losließ, klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser, mit auf die Knie gestützten Händen kam ich röchelnd
zu Atem. Da war Hans schon weitergegangen, bedächtig setzte er jeden Schritt, wie zuvor, als sei nichts gewesen. Kurz darauf, als er schon im Dunst verschwunden war, meinte ich noch, ihn heiter pfeifen zu hören. An meinen Abstieg kann ich mich kaum entsinnen. Von ähnlichen Gedächtnislücken berichten sonst Unfallopfer oder Traumatisierte. Dass ich in der Dunkelheit und in meinem Zustand den Weg nicht verlor, grenzt an ein Wunder. Irgendwann sah ich in der Ferne wie zwinkernde Augen die erleuchteten Fenster des Gepatschhauses, und trotz meiner Erschöpfung begann ich zu rennen. Ich kümmerte mich nicht um die Uhrzeit, sondern schlug so lange an die Eingangstür, bis ein ebenso erboster wie besorgter Wirt öffnete. Nein, brüllte ich ihn an, ich bräuchte kein Zimmer, aber er müsse sofort die Bergwache verständigen, da sei ein Junge allein am Berg, irgendwo zwischen dem Glockturm und dem Sanatorium „Berghof“. Ich kam kaum zu Atem, so außer mir war ich. Der Mann blickte mich an, als sei ich selbst einer Anstalt entflohen. Für eine Sekunde sah ich mich dort stehen, in vollkommen unangebrachtem Aufzug, zitternd, die Hose durchnässt bis zu den Knien hinauf, Hände und Turnschuhe schlammbeschmiert, schmelzende Eiskristalle im Haar, wild gestikulierend, heiser vor Erregung. An der Körperhaltung des Mannes erkannte ich, dass er Angst vor mir hatte. Da wusste ich, dass ich weg von hier musste, sofort, bevor es zu spät war. Ich rannte hinunter zur Straße, rief noch einmal über die Schulter, „der Junge, suchen Sie den Jungen!“, und lief und lief. „Es gibt hier kein Sanatorium!“, rief der Mann mir hinterher, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Ich kann nicht mehr sagen, wie ich zu meinem Auto kam, das immer noch in Nufels stand – ob mich jemand mitnahm oder ob ich wirklich die ganze Strecke zurückrannte, wie mein Gedächtnis mich glauben machen will. Auch an die Autofahrt, die mich angesichts meiner Ermattung leicht das Leben hätte kosten können, habe ich nicht die geringste Erinnerung. Irgendwann früh morgens muss ich in München gewesen sein, und als ich mittags in meinem Bett erwachte, lag meine von Dreck und Schweiß verkrustete Kleidung im Zimmer verteilt, wie hastig vom Leib gerissen. Ich hatte hohes Fieber.
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Unterholz
Der Fotograf Ernst Haas will nicht dokumentieren, was „zu Tode fotografiert“ worden ist. Darum zieht es ihn ins Unterholz, wo er tief hineinblickt. Unterhölzer (in der Reihenfolge der Abbildung): Kalterer See Halltal Kalterer See Fulpmes / Himmelreich Tramin Schlosspark Matzen Vinschgau / Sonnenberg
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Nur keine Ideen
Über den Bildhauer Walter Pichler, 71. Von Christian Seiler Der Mann mit dem grauen Anzug durchquert den lichtdurchfluteten Raum. Draußen formieren sich Schneewolken über der Berliner Museumsinsel und fressen das Licht des frühen Nachmittags. In die Außenwand des Raumes sind vom Fußboden bis zur Decke hohe Fenster eingeschnitten. So bleibt der Raum auch, während es draußen dramatisch dunkler wird, hell. Die Laune des Mannes im grauen Anzug ist blendend. Er befindet sich in guter Gesellschaft. Links neben dem Eingang sitzt auf einem eigens dafür errichteten Podest der aus Holz, Ton und Farbe angefertigte „Rumpf“ und betrachtet die „zusammengesetzte Figur“, die schräg vor ihm montiert ist. Die „zusammengesetzte Figur“ steht auf langen Beinen und zu großen Füßen. Sie trägt auf ihren Schultern einen Glaskubus, in dem ein rot angestrichener Kopf steckt. Kahler Kopf, lange Nase, keine Augen, abstehende Ohren, ein spitzes, entschlossenes Kinn. Der Mann mit dem Anzug lässt sich von einem eleganten Paar begrüßen, schiebt seine Hände in die Hosentaschen und hört dem, was die Herrschaften so erzählen, mit ironischer Nachsicht zu. Die Figur trägt seinen Kopf. Der Mann mit dem grauen Anzug ist der Bildhauer Walter Pichler. In den Ausstellungsräumen „Am Kupfergraben“ findet sich an diesem Wochenende tout Berlin ein. Der Architekt David Chipperfield hat für den Kunstsammler Heiner Bastian ein privates Galeriehaus errichtet, massive Außenmauern aus Abbruchziegeln, überzogen von ockerfarbenem Schlämmputz, raumhohe, von rotbraunem Holz gerahmte Fenster, eine von ihrem Auftritt überzeugte Fassade im Angesicht der gegenüberliegenden Museumsinsel mit all den klassizistischen Schinkel-Bauten. In Berlin wird über Architektur mindestens so gern gestritten wie in Wien übers Theater. Von den oberen Stockwerken des Hauses „Am Kupfergraben“ sieht man hinüber auf die Abrissruinen des ehemaligen „Palasts der Republik“, der von den DDR-Kultur-
stürmern an die Stelle des gesprengten Stadtschlosses gestellt wurde und nun wiederum durch etwas ersetzt werden soll, was mindestens eine Fassade dieses Schlosses wiederherstellt. Unsinn? Vielleicht, wenn auch, warum nicht: das Publikum des neu eröffneten Chipperfield-Hauses beteiligt sich bestimmt mit größter Freude an der Diskussion. Viele der Premierengäste zaubern ihre Digitalkameras aus den Winterjacken und halten Details der messerscharf über den Putz gesetzten Stiegenaufgänge fest, bevor sie in die Ausstellungsräume drängen. Die unteren beiden Etagen des neuen Hauses hat die Galerie „Contemporary Fine Arts“ übernommen. Die von Bruno Brunnet, Nicole Hackert und Philipp Haverkamp geleitete „CFA“ ist im Konzert der deutschen Kunstszene eine Primgeigerin. Zu den von ihr vertretenen Künstlern zählen Jonathan Meese, Albert Oehlen, Chris Ofili, Juergen Teller, Georg Baselitz, Raymond Pettibon, und die Vermutung ist berechtigt, dass die Galeristen dieses Hauses wissen, an welchen Schrauben des Kunstbetriebs sie drehen müssen, um ihr wichtigstes Instrument, die öffentliche Anerkennung, zu stimmen. Die Galerie hat ihre bisherige Aus stellungsfläche, die in den Sophie-Gips-Höfen in Char lottenburg untergebracht waren, im neuen Haus ver doppelt. Ihre erste Ausstellung heißt: „Es ist doch der Kopf“. Sie ist Walter Pichler gewidmet. Im Titel „Es ist doch der Kopf“ steckt die verborgene Annahme, es könnte irgendwann nicht der Kopf gewesen sein, aber das würde das Werk Walter Pichlers verkennen. Pichlers Skulpturen und Zeichnungen sind prototypisch verkopft, dem Künstler steht die Verachtung gegenüber aller archaisch, aus dem Bauch heraus in die Welt geklopften Bildhauerei ins Gesicht geschrieben. Doch bezeichnet der Titel nicht etwa die intellektuellen Sphären hinter den ausgestellten Skulpturen und Zeichnungen. Viel einfacher – es geht um die Köpfe, die Pichler zeichnet und formt, um das runde,
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plastische Leitmotiv seiner Arbeiten, Thema in den sechziger Jahren, Thema jetzt, Thema immer. „Kopf, 1972“, „Kopf, 1975“, „Schädeldecken, 1976“, „Gerüst für die Schädeldecken, 1978“, „Haus für den Rumpf und die Schädeldecken, 1979 – 1981“, „Doppelkopf, 1985“, „Doppelkopf, 1987“, „Loch im Kopf, 1989“, „Loch im Kopf, 1995“, „Nasenbohrer, 2004“, und die Reihe ist natürlich längst nicht vollständig. „Es ist doch der Kopf“: Pichler wehrt sich zwar ein bisschen kapriziös gegen „solche griffigen Sätze“. Nicht umsonst ist er Autor des Unnötige-Kreativitäts-Blocker-Slogans „Nur keine Ideen“. Gleichwohl freundete er sich mit der ein bisschen lakonischen, ein bisschen poetischen Verschlagwortung an. Ihm ist eben auch „nichts Bezeichnenderes eingefallen, und je länger ich unter diesem Titel gearbeitet habe, desto schlüssiger ist er mir erschienen.“ Im Vorwort zum Katalog schwingt sich Pichler zu einer spröden Erklärung für das Thema der Ausstellung auf: „Die Einladung (…) erreichte mich, während ich an der Skulptur ,Schädeldecke (wie ein Gebäude)‘ arbeitete. (…) Also, ausgehend von dieser Skulptur und die Erinnerung strapazierend, bin ich draufgekommen, dass ich während meiner langen Arbeitszeit immer wieder ,Köpfe‘ gemacht habe. (…) Als ich daran ging, die zu den plastischen Arbeiten passenden Zeichnungen auszusuchen, war ich selber überrascht, was ich in den vielen Jahren zum Thema Kopf zusammengezeichnet habe. Frühe architektonische Entwürfe, traumhafte Aufzeichnungen, fast ironische Blätter, Pläne, die Raumsituationen skizzieren oder festlegen, habe ich gefunden, nur weil ich nach einem bestimmten Gesichtspunkt ausgesucht habe.“ Und unversehens leitet Pichler den entscheidenden Schlenker ein: „Wenn man so wie ich sein Leben fast immer zeichnend begleitet, verselbständigt sich die Zeichnung, wird einmal Notation von Zuständen und dann wieder genaue Analyse, trägt zur Verwirrung und dann wieder zur Klärung bei.“ Pause: „Ich könnte kaum denken, ohne zu zeichnen.“ Als Walter Pichler Ende der fünfziger Jahre begann, mit Formen und Materialien zu experimentieren, hatte er sich noch nicht entschieden, ob er Bildhauer
oder Architekt sein wollte. Hinter ihm lag ein absolviertes Grafikstudium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und ein Lehrjahr für Skulptur in Paris. 1963 brach er für zwei Jahre nach New York auf, sah der Popkultur beim Erwachen zu und überprüfte die Wahrnehmungen, die er etwa bei seiner Beschäftigung mit dem Wiener Stadtbaumeister Otto Wagner angestellt hatte, im transatlantischen Zusammenhang. Die anbrechenden sechziger Jahre verlangten freilich nach Zukunft, nach Visionen, nach Formen, die den Aufbruch ausdrücken konnten. Pichler zeichnete Städte und sakrale Bauten, dachte sich Räume unter der Erde oder in der Luft aus, stellte „archetypische Untersuchungen“ an. Gemeinsam mit Hans Hollein präsentierte er in der Wiener „Galerie nächst St. Stephan“ utopische Architekturmodelle und postulierte eine radikale, elitäre Definition für das, was er unter „Architektur“ verstand: „Sie wird geboren aus den stärksten Gedanken. Für die Menschen wird sie Zwang sein, sie werden darin ersticken oder sie werden leben – leben, wie ich es meine. Architektur ist nicht die Hülle für die primitiven Instinkte der Massen. Architektur ist Verkörperung der Macht und Sehnsüchte weniger Menschen. (…) Sie erdrückt die, die sie nicht ertragen. Architektur ist das Recht derer, die nicht an das Recht glauben, sondern es machen. Sie ist eine Waffe.“ Pichler bemächtigte sich dieser Waffe. Er schwang sie visionär und nicht ohne hellsichtigen Zynismus. Als er 1965 für die Pariser Biennale mit Hans Hollein und Ernst Graf eine „Minimalumwelt“ entwarf, glich diese einer Telefonzelle mit ein paar Bonus-Lebensfunktionen. Pichler konstruierte in Folge ein Arsenal von Artefakten für den scheinbaren Gebrauch in der modernen Welt: den „Bioadapter“; den an die Ausrüstung der NASA erinnernden „Tonhelm“; den legendären „TV-Helm“, den Pichler hämisch als „tragbares Wohnzimmer“ etikettierte. Seine „IntensivBox“ skizzierte einen kugelförmigen Raum, in dem Menschen völlig isoliert von einander leben und nur via Leitungen von außen mit allem versorgt werden, was sie brauchen. Wenn künstlerische Weitsichtigkeit jemals ein plausibles Beispiel braucht: Bittesehr. Gemeinsam mit Raimund Abraham und Hans Hol-
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lein stellte Walter Pichler im Museum of Modern Art in New York seine „Visionary Architecture“ aus. Mit Oswald Oberhuber, Bruno Gironcoli, Hans Hollein und Roland Goeschl präsentierte er in der „Galerie nächst St. Stephan“ „Super-Design“. Seine „Prototypen“ wurden bei der „Documenta 4“ in Kassel aus gestellt. Die Objekte entziehen sich noch heute der exakten Zuordnung, sie sind weder Skulptur noch Gebäude noch Design, eher, wie es die Direktorin der Generali-Foundation, Sabine Breitwieser, definiert, „architektonische Environments“. Während in unmittelbarer lokaler und intellektueller Nähe die „Wiener Gruppe“ entstand und der Aktio nismus sich aufmunitionierte, nahm Walter Pichler Kurs nach Innen, interessierte sich immer nachdrück licher für die eigenen Entwürfe, steigerte die Genauig keit, mit der er seine gedanklichen Räume vermaß. An den anderen Tischen im selben Kaffeehaus wurden mit heraushängenden Hemden Umstürze oder wenigstens Anschläge gegen die geltende Ordnung geplant. Pichler ließ sich Maßanzüge anfertigen und wandte sich eigenen Objekten zu, die zusehends hermetischer wurden. „Pichler, die Bronzezeit ist vorbei“, spotteten die Aktionisten, die sich gerade die ersten Strafanzeigen einfingen, aber Pichler sah sich längst auf der Spur übergeordneter Zeitlosigkeit. Die Motivkette, die sein Werk bis ins Alter bestimmen sollte, war geknüpft. Figuren und Räume. Räume und Figuren. Zuweilen hermetisch und strikt formal, manchmal ergreifend emotional und fast figurativ. „Hinter die Aura setzt er Ironie, vor die Banalität ein Rätsel“, formulierte der Kunsthistoriker und ZwanzgerhausDirektor Werner Hofmann. Kunst als Quelle politischer Zeitkommentare interessierte Pichler nicht, nicht mehr. 1972 kaufte er im burgenländischen St. Martin/Raab einen Bauernhof und zog sich aus der Stadt, aus dem Kunstbetrieb zurück. Er entzog sich der Dynamik der Szene, der er, wenn auch nur mehr am Rande, angehörte. Welche Pointe, dass ausgerechnet Günter Brus, zu dieser Zeit einer der radikalsten Aktionisten, Pich ler fast 30 Jahre später in einem langen Gedicht die Ehre erwies, von dessen Eigensinn, Beständigkeit und Unbeirrbarkeit schwärmt:
„Der Meister aus Sankt Martin federt und tuscht im Vesuv. Architekten, Designer und Maler, sie haben einen anderen Beruf. Pannonisches Licht fällt durch die Laube auf die einfache Jause. Diese eroberte Ruhe stellt klar: hier ist Vermeer van Telfs zuhause. Seine Zeichnungen, banal betrachtet, sind vorwiegend suizidär. Aber ist die Kunst als Sommerfrische nicht das eigentliche Malheur? Pichler spricht: ,Ich mache Skulpturen, um zu leben.‘ Diese antworten: ,Wir werden, darum gibt es ihn eben.‘“ Walter Pichlers Gesicht ist scharf geschnitten. Die kurz geschorenen Haare betonen den charakteristisch geformten Schädel. Auskragende Ohren. Kanti ges Kinn. Der Mund, eine waagrechte Linie. Die Mundwinkel können mit geringstem Aufwand eine Stimmung zwischen grimmiger Strenge und ironisch em Amüsement modulieren. Die Gestalt des Bildhauers ist aufrecht, gerade und elegant. Der aus einem groben, grauen Wollstoff geschnittene Maßanzug fällt in unangestrengter Perfektion über die Schultern, es ist bereits eine Kunst, sich so ein Stück anmessen zu lassen. Die schwarzen, schmucklosen Oxford-Halbschuhe sind aus festem, auf Wasserglanz poliertem Leder. Die Stulpen der Anzughose sitzen keinen halben Zentimeter zu tief. Walter Pichler schenkt sich ein Glas Mineralwasser ein, fischt nach seinen Zigaretten. Wenn er zu sprechen beginnt, tritt der merkwürdig verwaschene Dia lekt in Konkurrenz zur Strenge seiner Erscheinung. 35 Jahre im südlichen Burgenland haben das Knirschen einer zu beiden Seiten des Brenners gelernten Kindheitsprache abgerundet und musikalisiert. Die Bescheidenheit, mit der er über sich spricht, ist freilich selbstbewusst und erprobt. Er sagt ohne Anlauf schwergewichtige Sätze wie: „Es reicht, wenn man etwas existent macht.“
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Damit meint Pichler den vor Jahrzehnten getroffenen Entschluss, seine Objekte nicht zu verkaufen. „Soll ich sie in eine Bank stellen lassen? Oder ins Magazin eines Museums?“ Er schüttelt lächelnd den Kopf. Pichler will sich nicht vorstellen, dass seine Arbeiten schlecht präsentiert werden. Er hat sich zeit seines Lebens über Künstler gewundert, die keinen Einfluss darauf nehmen, wo und in welchem Zusammenhang ihre Skulpturen zu sehen sind. „Ich habe immer Modelle gebaut und habe mir immer einen Raum dazu vorgestellt. Es gibt sehr gute Bildhauer, die keine Ahnung haben, wie sie was aufstellen. Es gibt gute Skulpturen, die einfach schlecht stehen, und das hat mich immer gestört. Ich habe mir gedacht, ich muss mich immer auch noch um die Umgebung kümmern. Und nachdem das niemand für mich gemacht hat, oder nichts in Aussicht war, wo mir das irgendwie zufrieden stellend vorgekommen wäre, habe ich mir gedacht, ich mache mir das selbst.“ In St. Martin suchte er für seine Arbeiten Plätze, baute ihnen Häuser. Vom Zeichenplatz im quadratischen Arbeitszimmer aus sieht man auf „Das Haus mit Rumpf“, das „Türmchen“ und die „Kapelle“. Durch den Flur vor der Wohnküche geht man in den Hof, über den man die Werkstatt erreicht, die im ehemaligen Stallgebäude eingerichtet ist. Der Architekturkritiker und Schriftsteller Friedrich Achleitner beschreibt die so entstandene (und noch immer entstehende) „Kunstanlage in der Natur“ mit großer Präzision und Innigkeit: „Diese Räume, vor allem die im Nordosteck liegende Tischlerei mit gro ßer Fensterwand, verraten größere bauliche Eingriffe, wie etwa eine Art Vitrinenwand zwischen Werkstatt und Tischlerei. Im westlichen Teil der Werkstatt stehen ,Der Große und der Kleine Wagen‘, abfahrtsbereit auf den Schienen zur Brücke in das ,Haus für den Großen und den Kleinen Wagen‘. Wenn man von Skulpturen und Modellen absieht, die sich in der Werkstatt irgendwie Plätze gesichert haben und auf eine weitere Bearbeitung warten, fällt an der langen Nordwand eine durch ein Fenster ins Rauminnere geführte Wasserrinne auf, eine transformierte Wehranlage oder ein plastischer Kommentar zum Fließen des Wassers; eine ritualisierte Zwiesprache mit einem gewöhnlich ungebetenen und feindselig eindringen
den Element, dem hier mit Frieden und Würde Durch lass gewährt wird.“ Der Architekturkritiker bewertet das bauliche Muster, das er vorfindet, neugierig und respektvoll. Ihm fallen darin die gleichen Spurenelemente von Philosophie und Mystik, von kunstreligiöser Balance auf, die auch in Pichlers Objekten, seinen Plänen und Zeichnungen immer wieder auftauchen: „Spätestens in der Tischlerei, mit dem Kultobjekt einer Kreissäge, die von einer Wächterin in die Aura der Unberührbarkeit versetzt wird, entdeckt man die Zweipoligkeit oder Doppelbödigkeit dieser Arbeitswelt, die permanent zwischen Konzeption und Rezeption, Machen und Reflexion, Dinglichkeit und Kontemplation changiert. Die Werkstatt ist ebenso Werkstatt wie der Gedanke, die Erscheinung oder gar die Ausstellung einer Werkstatt. Die Wächterin der Kreissäge verlässt nicht den Raum, wenn die Maschine arbeitet, sie hat einen Ruheplatz, gezeichnet und wohlüberlegt, es wird ihr die Reverenz erwiesen – Tätigkeit und Ruhe sind alternierende Erscheinungsweisen ein und derselben Sache.“ Pichler arbeitet täglich. Er schaltet gewohnheitsmäßig das Radio ein, hört „den Einser“, den Kultursender Österreich 1. Er will nämlich keine Verantwortung dafür übernehmen, dass ihm ein Musikstück nicht gefallen könnte, das er selbst in den Apparat geschoben hat. Lieber schimpft er mit seinem Radio über die Programmierung. Bach ist sein Liebling, wer sonst. Er sei, sagt er auf burgenländisch, „ein richtiger Hackler“, und er verkneift sich den Seitenhieb nicht, dass die meisten Künstler, so wie er das sehe, eher zu wenig bei der Sache sind. „Die meisten glauben, dass sie zu viel können. Ich glaube das nicht. Ich will“, sagt Pichler und kommt einmal mehr auf die Überschaubarkeit seiner Motive zurück, „konzentriert und präzis machen, was ich kann.“ Räume und Figuren, Figuren und Räume. In seiner Werkstatt stehen oft zehn, zwölf Skulpturen in unterschiedlichen Aggregatzuständen herum. Es hat etwas leise Esoterisches, wenn er davon erzählt, dass für jede Arbeit ihre Zeit kommen müsse. Dabei ist das Zeitmotiv in Pichlers Arbeit vielleicht ein ganz pragmatisches, handwerkliches.
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„Die Zeit ist für mich ein wichtigerer Werkstoff als die Bronze“, sagt Pichler, und auch das könnte als Koketterie missverstanden werden, wäre das Handwerkliche in seinen diversen Ausprägungen nicht biographisch so tief verankert. Pichlers Großvater war Schmied im Südtiroler Eggental, wo Walter 1936 zur Welt kam. Sein Vater war Schuhmacher in Telfs, wohin die Familie übersiedeln musste, als Pichler vier war. Der Knabe lernte früh, was es heißt, das richtige Material richtig zu behandeln. Mit dieser Fähigkeit verschaffte sich Pichler, als er 1972 in St. Martin ankam, Respekt bei den ansässigen Bauern und Handwerkern. Auf dem Zeichentisch in seinem Arbeitszimmer arbeitete früher ein Schuster. „Wir haben 13 Jahre daran gearbeitet, Walter zu dieser Ausstellung zu bewegen“, flötet Nicole Hackert von der Galerie „Contemporary Fine Art“, während sie ihr strahlendes Premierenlächeln nach links und rechts verteilt. „Welche Freude, dass es hier im neuen Haus gelungen ist.“ Walter Pichler sitzt in einem Nebenraum der Ausstellungsetage, die Mundwinkel singalisieren: Amüsement. Das neue Haus, ja. Er möge Architektur, die sich selbst nicht so in den Vordergrund stelle. Pichler hat die Ausstellung selbst gehängt und aufgestellt. Die Ordnung der Kunstwerke ist streng und graphisch. Die Verwandtschaft zur Ordnung, mit der Pichler Jahrzehnte lang Bücher für den Residenz-Verlag gestaltete, ist deutlich zu erkennen. Nur keine Ideen. Geschwind noch eine Zigarette. Kein Zweifel, dass Pichler sich wohl fühlt, dass es ihm Spaß macht, für einen Augenblick aus der ländlichen Abgeschiedenheit ins Zentrum der Aufmerksamkeit seiner Branche zu wechseln. Selten genug, dass er sich dieser Aufmerk samkeit aussetzt, viele Jahre lang hat er gar nicht ausgestellt, hat höchstens Zeichnungen verkauft und von denen auch nur so wenige wie nötig. Er selbst hält sich, was aktuelle Kunst betrifft, zwar durchaus am Laufenden, „es gehört“, sagt er, „zu meinem Beruf. Aber ich ziehe alte, anonyme Kunst vor, zum Beispiel die präkolumbianische. Da kenn’ ich mich ganz gut aus.“ Mundwinkelmodulation. „Bis zur Renaissance gefällt’s mir eigentlich gut.“
Gefällt ihm auch, dass die Pointe sitzt. Später am Premierenabend wird er seiner blendenden Laune mit dem Galeristen Bruno Brunnet auf einem Tisch der „Paris Bar“ Ausdruck verleihen, tanzend, singend. Die Künstlerkolonie, die sich mit den Jahren rund um Pichler im Südburgenland angesiedelt hat, wird nahezu vollzählig anwesend sein. Pichler spricht über die Objekte, die mit ihm auf die Reise gingen: Die „Schädeldecke (wie ein Gebäude)“, Studie dreier Schädelmotive, eines aus Ton, eines aus Bronze, das dritte in Form eines zu öffnenden Gebäudemodells, alle drei Teile befestigt auf einem groben und gleichzeitig wohlproportionierten, rot gestrichenen Holztisch, dessen sechs Füße durch mehrere Längsverstrebungen stabilisiert werden. Der „kleine Rumpf“, ein geschmeidiger Torso aus Ton mit einem ornamenta len Schädel aus Bronze, die Schenkel abgeschnitten, so dass man ins Innere dieses Körpers, eine Holz- und Lehmkonstruktion in konzentrischen Kreisen, sehen kann. Die Schädeldecke aus Bronze und Ton, die samt einem rechteckigen Spiegel auf eine Holzscheibe montiert ist, mittels Holzkugeln mit einer zweiten Scheibe verbunden, die wiederum auf drei Holzpfählen ruht. Kopfarbeitskunst. „Ich mute ihnen einen Moment der Fremdheit zu“, sagt Pichler in Richtung seiner Objekte, und er fügt väterlich hinzu, dass sie sich halt auch außerhalb ihrer angestammten Plätze bewähren sollen. Aber was heißt schon bewähren: „Zustimmung oder Ablehnung sind mir völlig egal“, sagt Pichler. „Ich habe meine Beweisstücke schon abgeliefert.“ Plötzlich diese Übersicht: Es sitzt ein Mann mit seinen Kunstwerken auf dem Land und lässt sie nicht aus den Augen. Er studiert, denkt, bringt seine Gedanken als Zeichnungen zu Papier – „ein einfacher Vorgang, dieser Kurzschluss von der Schädeldecke in die Fingerspitzen. Denkst du.“ Der Verkauf der Zeichnun gen, die stets Momentaufnahmen seiner Annäherung an das nächste Stadium des nächsten Objekts sind, an dem er gerade arbeitet, bringen dem Mann so viel ein, dass er seine Arbeit ungestört fortsetzen kann. Unangefochten sagt Walter Pichler: „Was sollte ich eintauschen gegen mein Leben?“
Quart Nr. 01– 10
Michael Hausenblas
Barbara Matuszczak
Roland Schöny
Nathan Aebi
Krista Hauser
Friederike Mayröcker
Fred Schreiber
Andreas Altmann
Clementina Hegewisch
Milena Meller
W. G. Sebald
Architekten Moser Kleon
Werner Heinrichmöller
Bernhard Mertelseder
Christian Seiler
Clemens Aufderklamm
Heinz D. Heisl
Klaus Merz
Walter Seitter
Ludovic Balland
Peter Herbert
Wolfgang Mitterer
Peter Senoner
Othmar Barth
Ralf Herms / Rosebud
Philipp Mosetter
Q. S. Serafijn
Christoph W. Bauer
Margarethe Heubacher-
Paul Nagl
Martin Sieberer
Ruedi Baur
Sentobe
Olga Neuwirth
Christoph Simon
Wolfgang Sebastian Baur
Richard Hoeck
the NEXTenterprise
Alessandro Solbiati
Sven-Eric Bechtolf
Candida Höfer
architects
spector cut+paste
Julia Bornefeld
Robert Holmes
Walter Niedermayr
Thomas Stangl
Maria E. Brunner
Anton Holzer
Michaela Nolte
Martina Steckholzer
Ferdinand Cap
Stefanie Holzer
Thomas Nußbaumer
Karl Stockreiter
Ernst Caramelle
Albert Hosp
Peter Oberdorfer
Bernhard Studlar
Michael Cede
Johannes Huber
Walter Obholzer
Rudolf Taschner
Hans Danner
Sebastian Huber
Walter Pamminger
Paul Thuile
Georg Diez
Barbara Hundegger
Karin Pernegger
Susanne Titz
Dimitré Dinev
Helmut Jasbar
Hans Karl Peterlini
Ernst Trawöger
Klaus Doblhammer
Ivona Jelcic
Robert Pfaller
Heinz Trenczak
Fred Einkemmer
Ulrike Kadi
Andreas Pfeifer
Thomas Trummer
Olafur Eliasson
Fabian Kanz
Marion Piffer Damiani
Wolfgang Tschapeller
William Engelen
Bernhard Kathan
Hans Platzgumer
Erdem Tunakan
Carsten Fastner
Leopold Kessler
Wolfgang Pöschl
Roman Urbaner
Friederike Feldmann
Walter Klier
Gerald Preinfalk
Katrien van der Eerden
Ellinor Forster
Gerhard Klocker
Manuela Prossliner
Andrea van der Straeten
Katja Fössel
Margit Knapp
Irene Prugger
Rens Veltman
freilich landschafts
Alfred Komarek
Carl Pruscha
Joseph von Westphalen
architektur
Florian Kronbichler
Thomas Radigk
Klaus Wagenbach
Martin Fritz
Gustav Kuhn
Helmut Reinalter
Martin Walde
Marta Fütterer
Martin Kus̆ej
riccione architekten
Vitus H. Weh
Michael Glasmeier
Ulrich Ladurner
Alice Riegler
Hans Weigand
Rolf Glittenberg
Bernhard Lang
Peter Sandbichler
Lois Weinberger
Christian Gögger
Patrizia Leimer
Benedikt Sauer
Gabriele Werner
Peter Gorschlüter
Paul Albert Leitner
Hans Schabus
Roman Widholm
Martin Gostner
Clemens Lindner
David Schalko
Martin Widschwendter
Barbara Gräftner
Christine Ljubanovic
Lukas Schaller
Erika Wimmer
Georg Gröller
Ove Lucas
Peter Scheer
Robert Winkel
Sabine Gruber
Sepp Mall
Eva Schlegel
Heinz Winkler
Gebhard Grübl
Fritz Magistris
Nikolaus Schletterer
Robert Woelfl
Egyd Gstättner
Andreas Maier
Birgit Schlieps
Erich Wucherer
William Guerrieri
Urs Mannhart
Hanno Schlögl
Erwin Wurm
Georg Friedrich Haas
Dorit Margreiter
Ferdinand Schmatz
Anton Würth
Händl Klaus
Raimund Margreiter
Gunter Schneider
Andrea Zanzotto
In Quart wird ein eigenwilliger, aus dem Regionalen entwickelter, auf internationalem Niveau ausformulierter Kulturbegriff gepflegt. Profil / Wien
Quart Nr. 01–11
Wer Quart abonniert, bekommt sicher ein Heft (bevor es vergriffen ist, was vorkommt). Soweit Argument Nummer eins. – Zweitens: Es kommt billiger! Zwei Hefte kosten 18,– (statt 24,–). Und drittens gibt es als Abogeschenk ein Buch aus dem aktuellen Haymon-Programm (siehe S. 135) oder eine CD aus dem Katalog von col legno (siehe S. 137). Wenn Sie einen neuen Abonnenten werben, gibt’s gleich 2 Geschenke: eines für den neuen Abonnenten und eines für Sie!
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Warum machen wir Kunst
Peter Warum fotografierte im Auftrag von Quart „anonyme“ Kunst: Er fuhr landeinwärts mit dem strikten Gebot, nichts zu inszenieren, lediglich das Vorgefundene festzuhalten.
Ausgangsgedanke für diese Arbeit war die bekannte Situation, dass ein Spaziergänger auf seinem Weg eine „Installation“ bemerkt, ein Bild oder eine räumliche Situation, die auch die Arbeit eines (berühmten) bildenden Künstlers sein könnte. Als zufälliger Besucher einer Kunstausstellung würde der Spaziergänger die Arbeit vielleicht ignorieren, hier im Wald aber oder auf der Straße ruft sie sein Entzücken hervor. (Auch vom gegenteiligen Fall wurde schon berichtet.)
Hereinspaziert! Auf den folgenden drei Doppelseiten findet eine Verbeugung vor der Kunst und dem künstlerischen Denken statt. Schließlich hat man auch im 19. Jahrhundert einen Baum gesehen und gesagt: wie von Caspar David Friedrich gemalt …
1 CHRISTO und JEANNE CLAUDE The Gates, Centralpark / New York, 2005 Einkaufssackerln Museumstraße / Innsbruck, 2007 2 HESSE EVA Up the Down Road, 1965 Ast, Kühlerhaube Libisellerkaser / Assling, 2007 3 ZOBERNIG HEIMO o. T. Reklamebox, Neonröhren Maria-Theresien-Straße / Innsbruck, 2003 4 ROTH DIETER Obstfenster (Detail) Schimmelmuseum, 1969 faulendes Kraut Thaurerfelder, 2002 5 OBERHUBER OSWALD Röhrenplastik Kaminrohr Eichhof / Natters, 2007 6 LAIB WOLFGANG Die fünf Unbesteigbaren Berge, 1984 Klärschlamm Kirchbichl, 2007
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7 WURM ERWIN aus der Serie: One-Minute-Scuptures Hydrant, Lederjacke Langer Graben / Rum, 2007 8 JUDD DONALD ohne Titel (Detail), 1992 Fußabstreifer Saggen / Innsbruck, 2003 9 YASARGIL CAN ohne Titel, 1991 (3 Tage Umhausen) freistehendes Holzgatter Kelchsau, 2007 10 NAM JUNE PAIK Klavier Integral, 1958 – 63 Leistungsabzeichen, „Ausstellungstafelen“ Heiligenkreuz / Hall, 2007 11 KIPPENBERGER MARTIN I. N. P. (Serie der „ist nicht peinlich“-Bilder) ungarisches Kfz-Kennzeichen Osttirol, 2007 12 KIPPENBERGER MARTIN Laterne an Betrunkene, 1988 angefahrene Straßenlaterne Römerweg / Rum, 2006
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13 OBERHUBER OSWALD „Tier-Baum“, 1949 Bitumenzeichnung Assling, 2007 14 BUREN DANIEL Les Couleurs Traversees, 2001 Zebrastreifen Schulstraße / Rum, 2007 15 KOWANZ BRIGITTE o. T. Plakatwand, Lichtspiegelung Viadukt / Saggen / Innsbruck, 2003 16 WARUM PETER Achtmal achtundachtzig Achter (Detail), 1985 Türblätter Salvatorgasse / Hall, 2007 17 KUSAMA YAYOI ohne Titel Dekorationsballons Museumstraße / Innsbruck, 2007 18 DENES AGNES Tree Mountain – A Living Time Capsule 10 000 Trees. 10 000 People. 400 Years. The Numbers, 1992 – 1996 Schütthügel, Strohballen St. Jakob am Arlberg, 2007
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Wesen der Landschaft
Der Bildhauer Franz Brunner baut Mauern, malt Panoramen, verfolgt Spuren und erfindet Gegenden. Milena Meller besuchte ihn in Thaur bei Innsbruck. Steinhaut Schaut man von Franz Brunners Atelier hinaus in den Garten, so sieht man große, dunkle, zerfurchte Skulp turen stehen: zwei Felsblöcke, eine Art Obelisk – an und für sich ja nicht ungewöhnlich für einen Bild hauer. Wären da nicht Durchblicke und Spalten, die erkennen lassen, dass die vermeintlich schweren Steinskulpturen nur Hüllen sind, perfekte Imitatio nen, innen hohl. Attrappen also. Drinnen an den Wänden meint man, Fragmente an tiker Bildhauerei hängen zu sehen. Auch das eine Irreführung: Sind es doch Kunststoffhäute, die wie schwerer Stein aussehen, wie archäologische Fund stücke wirken. Auch kissenförmige Reliefs hängen da: barocke Steinpolster, irritierende Zitate, geschick te Täuschungsmanöver. „Diesen Felsen mit dieser Struktur gibt es real. Davon mache ich zunächst eine Negativform aus Silikon, aus der ich dann eine Positivhaut aus Gummi anfertige, die die Struktur des Steines trägt und die ich spannen und beliebig verformen kann. Es ergibt sich also eine Haut mit der Struktur von Stein. Im Fall dieser ‚Kissen‘ da habe ich die Haut über Schaumstoff gespannt. Den endgültigen Abguss patiniere ich mit Farbe, damit die Struktur des Steines besser heraus kommt. In der klassischen Bildhauerei kommen ja weiche Formen häufig vor, drapierte Stoffe zum Beispiel oder auch der menschliche Körper – nur sind die aus Stein gemeißelt! Sieht man etwa eine Skulptur aus weißem Marmor: Die könnte genauso gut aus Zucker sein! Eigentlich weiß man nur vom Kopf her, dass es sich um Marmor handelt. Der Stein vermittelt sich in diesem Fall also nur über das Material; hier bei meinen Arbeiten vermittelt er sich dagegen nur über die Struk tur.“
Schon während seiner Studienzeit an der Akademie in Stuttgart beginnt Franz Brunner, Steinplatten, die er als Hirte und Senner auf der elterlichen Alm ge sammelt hat, an Ort und Stelle zu Skulpturen zu schlichten. Es entstehen Arbeiten im Gelände. „Bei der Arbeit ‚Vermessung‘ ging es um das Begreifen der Landschaft aus rein künstlerischer Sicht, darum, als Künstler diesen Berg erfahrbar zu machen, wichtige Orte für mich, der ich zu dieser Zeit da oben lebte, zu erschließen: markante Punkte und Formationen im Gelände ebenso wie etwa Quellen oder Schlafplätze der Kühe. Die ersten Frottage-Arbeiten, bei denen es um die Oberflächenstruktur des Steins ging, entstanden dann bei einem Grafik-Symposion. (Frottage: grafisches Verfahren, bei dem Papier auf einen prägenden Untergrund gedrückt wird, um dessen Struktur sichtbar zu machen; Anm.) Ich hatte ein paar Steinplatten von der Alm mitgenommen und begann, sie abzufrottieren. Zunächst habe ich noch einzelne Steine, später dann ganze Felsen abfrottiert. Das ist so faszinierend an der Frottage oder der Abformung: Da kannst du einfach abends einen Felsen mit heim nehmen, auch eine ganze Felswand! Mit der Verformbarkeit dieser Gummisteine eröffnen sich ganz neue Wege der ‚Steinbildhauerei‘! Auf die Spitze getrieben hab ich das, indem ich nur mehr eine Haut mit Steinstruktur habe flattern lassen! Große Gummisteine, die man irgendwo reinklemmt, wo sie sich dann verbiegen – solche Dinge zu machen reizt mich, dieses paradoxe Aneignen, Kultivieren und Imitieren von Natur! Für einen Wettbewerb (Kunst im öffentlichen Raum, Umfahrung Strengen am Arlberg) habe ich eine riesige Säule aus drei spiralförmig sich windenden Felsbändern entworfen: in Beton gegossene Abformun
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gen, repräsentativ für die drei Gesteinsarten, die in dieser Gegend zusammen kommen und sich im Kreisverkehr verwirbeln. Für eine Ausstellung in Italien habe ich die Oberflächenstruktur von Steinformationen abgenommen und ihnen abgeformte Schremmspuren eines Bergbaustollens entgegengesetzt. Auch meine Arbeit ‚Kulturschrammen‘ hat mit dieser Gegenüberstellung von künstlicher und natürlicher Struktur zu tun – in eine abgeformte Felsstruktur vom Gebirge über Innsbruck (Hafelekar) habe ich das Muster eines Reifenprofils eingedrückt, in Beton gegossen und dann wieder am Berg deponiert.“ Spurenlese „Ich mache Dinge, die ich selber gerne finden würde: Artefakte, auf denen Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Bei den von mir hergestellten Strukturen, auf den Frottagen oder auf den Steinen, da hinterlasse ich ja meine Spuren – zumeist in Form von geometrischen Ornamenten. Das Ornament fasse ich als Gegensatz zur Naturstruktur auf. Ab dem Moment, wenn der Mensch, etwas Künstliches, ein Eingriff im Spiel ist, wird es für mich spannend. Wie ich als Hirte gearbeitet habe, waren drei Sachen wichtig: gute Schuhe, ein Fernglas und Spuren lesen! Es ist so wichtig, wenn man irgendwo beispielsweise Tritte sieht, sagen zu können, wie alt sie sind … man erspart sich viel Arbeit, wenn man sehr aufmerksam durch die Gegend geht; man ist ja permanent auf der Suche und am Kontrollieren. Das ist natürlich eine Schulung der Wahrnehmung, des Schauens! Es gibt Luftaufnahmen von der Steppe mit den Spuren von Tieren, die wie ein Netzwerk aussehen. Die Vegetation ist so karg, dass, wenn Tiere ein paar Mal den gleichen Weg gehen, schon eine Spur entsteht. Auch im Schnee passiert das. Man sieht, wie die Tiere flächig das Gebiet abgrasen, es erfassen. Dieses Wege netz, das ähnelt einer meiner frühen Arbeiten: Über einem Luftbild von der Alm habe ich jeden Tag meine Wanderungen auf Transparentpapier nachvollzogen. Dadurch ist auf dem Papier ein Netz entstan-
den, eine Struktur. Man erkennt zwar keinen Berg – aber, wer die Gegend genau kennt, weiß: Hier ist die Hütte, weil die Linien an dieser Stelle zusammenlaufen. Da gibt es bestimmte Steige, die man häufig geht, und dann gibt es Gebiete, wo man eigentlich überhaupt nie hinkommt, weil z. B. ein Zaun rundherum ist! Das sieht man auf dem Bild.“ Gehen auf Papier Wandern ist bei Franz Brunner zentral, untrennbar und vielfältig mit der Arbeit verbunden. Auch feine grafische Arbeiten entstehen aus dieser Leidenschaft, Bleistiftzeichnungen imaginärer Landschaften, die sich aus abstrakten Linien entwickeln und in die Dar stellung von Felsformationen kippen. „Bei Zeichnungen wie diesen wandere ich mit dem Bleistift: Ich fange irgendwo an und weiß überhaupt nicht, was es wird. Ich verdichte es dann immer mehr. Das ist einfach drauflos erfunden, da gibt es dann immer wieder Schnittpunkte und in meinem Kopf entsteht dabei eine Berglandschaft. Ich ‚erwandere‘ Felsen, Täler, einfach Landschaft. Der eigentliche Prozess ist das Gehen auf dem Papier. Wenn ich es zu weit treibe, richtig zu zeichnen anfange, dann kann es sich tot laufen, ist nichts mehr offen.“ Bei der Arbeit an einem großen Panoramabild für den Tourismusverband Hall i. T. ist Brunner die We ge im Geiste nachgewandert, hat aber auch von der gegenüberliegenden Talseite aus Details der Land schaft gemalt, typische Plätze noch typischer heraus gearbeitet und die Landschaft für Wanderer gleich sam präpariert: „So ein Panoramabild ist ein Vorkauen, ein Vorverdauen der Landschaft – sonst könnte man ja einfach nur ein Foto machen! Die Bergkette im Vordergrund, die Hauptansicht ist frontal; die Berge dahinter sind jedoch höher dargestellt, quasi herausgeschoben. Die Karte ist wirklich für Wanderer gedacht und steht an verschiedenen Orten.
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Beim Malen gab es den Moment, da hatte ich das Gefühl: So funktioniert Malen, so könnte Malen Spaß machen, da könnte es weiter gehen!“ Problemruine Subtile Spurensuche betreibt Franz Brunner auch, wenn es darum geht, tausende Jahre alte, menschlich bearbeitete Steine als solche zu erkennen. Seit Jahren sammelt er Fundstücke von archäologischer Bedeu tung, er hat in seiner unmittelbaren Umgebung eini ge für die Urgeschichte wichtige Fundplätze entdeckt. Hunderte kleine Steine, Scherben und auch Knochen hat er in Schubladen verwahrt. Seit rund fünf Jahren arbeitet Franz Brunner mit dem Thaurer Verein für Dorfgeschichte „Chronos“ und dem Denkmalamt an der Sanierung der großen Burgruine oberhalb des Dorfes Thaur. „Bei so einer Sanierung wird zunächst alles voll doku mentiert, jeder Stein verzeichnet! Alles wird beschrieben, der Mörtel, alte und neue Ausflickungen, die alten Steine und die neuen, die dazukommen. Dazu wird zuerst ein entzerrtes Foto gemacht. Das muss im Maßstab stimmen, das heißt, wir setzen im Raster alle zwei Meter Punkte über die ganze Mauer, dann wird fotografiert. Anhand der Punkte wird das Ganze dann zusammengesetzt und entzerrt. Nur so bekommt man ein Foto, anhand dessen die Bau-Analyse gemacht werden kann. Man sollte jeden Stein schließlich auch im Detail erkennen. Wenn ich Teile einer Mauer neu aufbaue, kennzeichne ich das mit einem Rücksprung, damit man sieht, wo der alte Teil aufhört. Ich baue mit den Steinen, die bei Freilegungsarbeiten anfallen, hole aber auch große Blöcke aus der Umgebung, aus Bachbetten und spalte sie hier. So etwas zu machen, das ist ein Jugendtraum von mir: archäologisch graben, aber auch Mauern, Bögen, Gewölbe bauen. Nur ist es jetzt sehr viel geworden. Wir hatten den Plan, die gesamte Ringmauer frei zu legen, damit man die Burg als Ganzes erfasst. Die Frage ist aber, ob man das überhaupt machen soll: denn eigentlich gräbt man die Probleme aus. Wenn
man das alles im Boden lassen würde, würde den Mauern nichts passieren. Es ist ohnehin paradox: Wie soll man eine Ruine sanieren – man wird sowieso nie fertig! Und abgesehen davon lebt eine Ruine ja schließlich vom Verfall, sonst wäre es ja keine Rui ne! Es ist zwiespältig. Für mich ist es auf jeden Fall wieder Spurensuche und Arbeit mit Strukturen.“ Mensch im Spiel „Wenn man ein Ordnungsprinzip beherrschen würde, könnte man auch die Unordnung erkennen: Ein Geo loge beispielsweise ist im Gelände unterwegs, um die Prinzipien der Natur zu verstehen. Ihm wird ein ‚fremder‘ Stein als Störfaktor in der natürlichen Ordnung auffallen. Ein Archäologe wiederum ist unterwegs, um Spuren von Künstlichkeit zu finden: Er wird den selben Stein als in seine künstliche Ordnung passend erleben. Es geht mir darum, den Berg, die Landschaft zu begreifen: zu begreifen, wie der Berg funktioniert, warum er diese Form hat, was geologisch passiert ist und ab wann der Mensch ins Spiel kommt.“ Inzwischen sind die Felshüllen in Franz Brunners Garten massive schwarze Schemen geworden, wäh rend der Begehung des Burgareals ist die Dunkelheit gekommen, die tiefen Wolken über dem Tal haben vom Widerschein der Straßenbeleuchtung orange zu schimmern begonnen, ein junges Reh ist vor den Scheinwerfern davon gesprungen. Fragmente und Spuren sind es, die Franz Brunner beharrlich aufspürt, sammelt, ordnet, die er freilegt und ergänzt. Und indem er selber Fragmente macht, seine Spuren hinterlässt, wenn er Fels und Stein ab formt, nachahmt, bearbeitet und verwandelt, spielt er Wahrnehmungsspiele, führt uns hinters Licht, die wir der Oberfläche Gewicht und Härte glauben. Als Forscher an der Schnittstelle von Natur und Kultur ist er unermüdlich auf der Suche nach dem Wesen der Landschaft, erarbeitet und erfindet sie, im Gelände, auf dem Papier, gehend, malend, Linien ziehend.
Besetzung
Kurt Bracharz, Bregenz w Bregenz: Schriftsteller. Österreichisches Staatsstipendium für Literatur 1986. 1990–1994 Redakteur und Kolumnist der Vorarlberg-Ausgabe der Neuen Kronen Zeitung. Mitarbeiter der Monatszeitschrift „Kultur“. Günther Dankl, Schwaz w Innsbruck: Kunsthistoriker. Studierte Kunstgeschichte und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Seit 1985 Assistent der Kunstgeschichtlichen Sammlungen am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, seit 1993 Kustos der Graphischen Sammlungen und Leiter der Modernen Galerie ebendort. Veröffentlichungen zur österreichischen und internationalen Kunst des 20. Jahrhunderts. Heinz Gappmayr, Innsbruck w Innsbruck: Bildender Künstler. 1961– 2003 erschienen über 50 Bücher und Kataloge (auch in Englisch, Französisch und Italienisch) und drei Monographien (Peter Weiermair, Dorothea van der Koelen, Ingrid Simon). Gezeigt wurden seine Werke bisher in über 70 Einzelausstellungen, u. a. in Mailand, Wien (Kunsthalle), München (Neue Pinakothek), Frankfurt (Kunstverein), Neapel, Brüssel, Bozen, Château de Mouans-Sartoux, Zürich, Mainz, London, Budapest, Lyon, Köln, Berlin und Innsbruck. Zahlreiche Gruppenausstellungen. 1988 Verleihung des Professortitels durch den Staat Österreich. 1995 Tiroler Landespreis für Kunst; Lehraufträge und Vorträge, Arbeiten im öffentlichen Raum. Ernst Haas, Fulpmes w Fulpmes: Leiter des Geschäftskundencenters einer großen Bank; leidenschaftlicher Fotograf seit den 80er Jahren, mehrere nationale und internationale Erfolge bei Wettbewerben. Mehr unter: www.ernsthaas.com Marlene Haring, Wien w Wien: Bildende Künstlerin. Wichtige Arbeiten: „Kalte Nudelküche“ (Wien), „Don’t make me angry“ (Los Angeles), „Schaumbad für Moussolini“ (Rom), „Feministin“ (London), „Secret Service“ (New York), „Sucking Marks“ (Miami), „La Grande Marlène“ und „Hinter dem Spiegel“ (Paris), „Arsch am Kopierer für Sie“. Informationen unter www.marleneharing. com, Fragen und Beschwerden an contact@marleneharing.com Klasse Hickmann, div. Orte w Berlin: Nach sechs Jahren Professur an der Universität für Angewandte Kunst Wien setzt der international erfolgreiche Gestalter Fons Hickmann die von ihm geleitete Klasse Grafik Design in Berlin fort – seit dem Sommer semester 2007 lehrt er mit einer Professur für „Grafik Design mit allen Medien“ am Institut für Transmediale Gestaltung der Universität der Künste Berlin. Künstlerische Mitarbeiter der Klasse Hickmann sind Franziska Morlok und Martin Conrads. An der Gestaltung dieser Ausgabe beteiligte Studierende der Klasse Hickmann sind: Dana Arnon, Clara Bahlsen, Silke Briel, Johannes Büttner, Su Jin Choi, Maximilian Combüchen, Sarah Diekmann, Livius Dietzel, Pascal Dorn, Franka Eckart, Matthias Friederich, Katrin Gruber, Anne Güldner, Tobias Honert, Korbinian Kainz, Judith Keller, Julian von Klier, Ana Lessing, Jan-Kristof Lipp, Patricia Ofuono, Lena Panzlau, Christiane Prechtl, Ben Roth, Esra Rothoff, Markus Rückelt, Bernhard Schluga, Sabine Schwarz, Soo-Hei Kim Uszkoreit, Julia Vogel, Jörg Walter, Miriam Wasze lewski, Jan Wirth und Yimeng Wu. www.klassehickmann.com · www.fonshickmann.com Milena Meller, Innsbruck w Rum: Musikwissenschaftlerin. Diver se wissenschaftliche Veröffentlichungen hauptsächlich zur Musik des 20./21. Jhs., u. a. „Ton Zeichen : Zeilen Sprünge. Die Öster reichischen Jugendkulturwochen 1950–1969 in Innsbruck“ (2006). Derzeit wissenschaftliche Mitarbeit am Institut für Musikwissenschaft sowie am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck. Künstlerische Arbeit (Malerei und Fotografie). Texte zu Neuer Musik und Kunst für das Festival „Klangspuren“, für diverse Kulturzeitschriften und Tagesmedien.
Bernhard Rathmayr, Hartkirchen w Innsbruck: Erziehungswissenschaftler. Studium der katholischen Theologie in Linz und Innsbruck, Zweitstudium der Pädagogik und Psychologie in Innsbruck. Außerordentlicher Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Innsbrucker Universität, seit September 2007 pensioniert. Arbeitsschwerpunkte: Anthropologie, Zivilisationstheorie, Medien, Gewalt, Sexualität, Mobilität, Kindheit, Jugend, Schule. Robert Renk, Innsbruck w Innsbruck: War u. a. tätig als Verleger und Leiter von zwei Kulturzentren. Herausgeber mehrerer Publikationen. Neben Tätigkeiten als Buchhändler, Theaterproduzent, Ausstellungs- und Literaturfestivalorganisator (u. a. Sprachsalz, Int. Tiroler Literaturtage Hall), auch Erfahrungen als Nachtportier, Sportjugendleiter, Mittelstürmer und bei der Innsbrucker Rettung. Seit 2007 freier Kulturvermittler. Katharina Rutschky, Berlin w Berlin: Pädagogin und Autorin. Rutschky prägte den Begriff „Schwarze Pädagogik“ mit ihrem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1977. Zahlreiche Veröffent lichungen: u. a. Emma und ihre Schwestern. Ausflüge in den real existierenden Feminismus, München – Wien 1999 (Hanser). Elisabeth Schlebrügge, Wien w Wien: Psychoanalytikerin in freier Praxis. Langjährige Lehrtätigkeit an der Akademie für bildende Künste, Wien. Zahlreiche Publikationen zu Literatur, Kunst, Film und Psychoanalyse. Letzte Buchveröffentlichung (Hg.): „Das Meer im Zimmer“ (2005) als Co-Kuratorin der gleichnamigen Ausstellung im Joanneum Graz. Eva Schlegel, Hall w Wien: Bildende Künstlerin. 1979 – 85 Hochschule für Angewandte Kunst (Meisterklasse Oberhuber). 1997– 2006 Professorin für Kunst und Fotografie an der Akademie der bildenden Künste, Wien. Ausstellungen (Auswahl) – 2007: „Foto.Kunst“, Museum Sammlung Essl, Klosterneuburg; Öster reichisches Kulturforum Prag; „Austria +/-50“, Galerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg; „There is no border, …“, Galerie im Taxispalais, Innsbruck; „21 Positions“, Austrian cultural forum, New York; „The Last Seduction – A Welcome Surrender to Beauty“, Carrie Secrist Gallery, Chicago. 2006: „Why Pictures Now – Fotografie / Film / Video heute“, MUMOK, Wien; Ikob, Museum für Zeitgenössische Kunst Eupen, Belgien; „opera austria“, Centro per l’Arte Contemporanea, Prato, Italien; „Österreich: 1900 – 2000, Konfrontationen und Kontinuitäten“, Museum Sammlung Essl, Klosterneuburg, Austria. 2005: Secession Wien; Galleri Bo Bjierggaard, Copenhagen, Dänemark. Weitere Ausstellungen: Kunsthalle Wien; Museum der Moderne Salzburg; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck; Galerie im Taxispalais, Innsbruck; Museum für Bildende Künste Budapest, Museum voor schone Kunsten, Gent, Belgien; Shanghai Art Museum; The Photographers Gallery, London u. a. Fridolin Schley, München w München: Schriftsteller. Studierte Germanistik, Politik und Philosophie sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik in München, Berlin und London. Promotion über W. G. Sebald. Erzählungen und Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien u.a. im Kursbuch. Im Herbst 2007 erschien von ihm der Erzählband „Schönes wildes Tier“ im Berlin Verlag. Auszeichnungen (Auswahl): Bayerischer Staatsförderpreis 2001, Hermann-Lenz-Förderpreis 2001, Günther-Klinge-Kulturpreis 2004, Promotionsstipendium der Evangelischen Studienstiftung 2006 – 2008. Christian Seiler, war Chefredakteur von „profil“ und „Du“ und ist Autor zahlreicher Bücher. Er lebt als Journalist und Konzepter in Wien. Derzeit leitet er das Magazin „The Red Bulletin“. C. S. bedankt sich bei Dietmar Steiner und Wolfgang Heidrich für die Hilfe bei der Walter Pichler-Recherche.
Sandra Unterweger, Lienz w Innsbruck: Germanistin. Studium Germanistik und Französisch in Innsbruck, Unterrichtstätigkeit an verschiedenen Schulen in Tirol, ab 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Brenner-Archiv, Projekte über Literatur in Osttirol, Christoph Zanon, Johannes E. Trojer, Max Riccabona u. a. Publikationen: Johann Holzner, Sandra Unterweger (Hg.): Schattenkämpfe. Literatur in Osttirol. Innsbruck 2006 (Studienverlag). Peter Warum, Rum w Rum: Bildender Künstler. Mitglied der Tiroler Künstlerschaft, zahlreiche Ausstellungen im In- und Aus land u. a. „Magie der Zahl“, Staatsgalerie Stuttgart; „The Return of the O.“, Athen / Olympia; „Subsistenz – Kunst in kleinen Gärten“, Kassel. Günter Richard Wett, Innsbruck w Innsbruck: Architekturfotograf. Architekturstudium in Innsbruck. Seit 1996 Architektur fotografie. Franz Winter, Tegernsee w Wien, Gössl am Grundlsee: Schauspieler, Regisseur, Autor, künstlerischer Leiter von Musikprojekten. Jesuitenkolleg „Stella Matutina“ Feldkirch, Benediktinerabtei Niederaltaich, Otto Falckenberg-Schule München. Schiller-Thea ter Berlin, Burgtheater Wien, Salzburger Festspiele, TV. Film essays über die Toskana, Wien, Prag, Venedig, Schlösser der
Loire, Ludwig II., Gustav Mahler. Musiktheaterproduktionen in Deutschland, Österreich, Italien, Schweiz, Tschechien, u. a. Mozart: Entführung aus dem Serail, Don Giovanni, Cosi fan tutte, Zauberföte; Massenet: Thais, Werther; D’Albert: Tiefland; Puccini: La Bohème; Tschaikowsky: Eugen Onegin. Operettenzyklus am Gärtnerplatztheater München: Csárdasfürstin, Lustige Witwe, Vogelhändler, Fledermaus. Mitbegründer des Musiklabels Winter &Winter, künstlerischer Leiter von Musikproduktionen von Bach bis Mahler, „Venezia La Festa“. Texte, Theaterstücke, Drehbücher, Essays. Stefan Zweifel, Zürich w Zürich: Publizist, Übersetzer. Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Ägyptologie mit einer Dissertation zu Sade – Hegel – La Mettrie. Sie entstand in Zusammenarbeit mit Michael Pfister in Lacoste, wo die beiden auch große Teile der zehnbändigen Ausgabe von Sades „Justine/ Juliette“ erstellten (erschienen bei Matthes & Seitz). Heute lebt er in Zürich als Publizist (NZZ, Du, Das Magazin), wobei er fünf Jahre lang eine dreisprachige Zeitschrift mit diversen Schwerpunkten herausgab (das Möglichkeitsjahr, das Neutrale, die Falte und die „écriture terroriste“). Zuletzt war er Ko-Kurator einer Ausstellung zu den Situationisten in Basel und regelmäßiges Mitglied der Kritikerrunde des Schweizer Literaturclubs im TV. Sonst große Liebe zu Artaud, Echnaton und Sophokles.
Quart Heft für Kultur Tirol
Herausgeber: Kulturabteilung des Landes Tirol Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, A-6020 Innsbruck, office@circus.at Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck, T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)1 740407814, aboservice@haymonverlag.at Mitarbeiter dieser Ausgabe: Kurt Bracharz, Günther Dankl, Heinz Gappmayr, Ernst Haas, Marlene Haring, Klasse Hickmann, Milena Meller, Bernhard Rathmayr, Robert Renk, Katharina Rutschky, Elisabeth Schlebrügge, Eva Schlegel, Fridolin Schley, Christian Seiler, Sandra Unterweger, Peter Warum, Günter Richard Wett, Franz Winter, Stefan Zweifel Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Konzeption / Gestaltung der linken Seiten: Klasse Prof. Fons Hickmann, Universität der Künste Berlin Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus. Büro für Kommunikation und Gestaltung – Michaela Wurzer, Klaus Mayr Druck: Alpina Druck GmbH, Innsbruck Verwendung der Karte „Tirol –Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 78 / 79 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-85218-562-0 · © Haymon Verlag, Innsbruck–Wien 2008 · Alle Rechte vorbehalten.