Quart Nr. 16

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Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 16 /10 E 13,–


Licht & Liebe



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Inhalt

Dorit Margreiter Halotech Lichtfabrik gelitin* Inhalt Das Verschwinden des Autors – in echt! Julien Torma wird seit 1933 in den Ötztaler Bergen vermisst. Hat er überhaupt gelebt? Von Fritz Ostermayer „Das kann mein Kind auch!“ Joseph von Westphalen polemisiert gegen einen Stehsatz der Kunstbetrachtung.

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Constantin Luser Mit einer Einleitung von Thomas Trummer 22–33 Vom Mangelreiz der Bilder Walter Groschup trifft den Kameramann Christian Berger.

Manfred Alois Mayr „Anonyme Farbanstriche“

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Landvermessung No. 3, Sequenz 3 Von der Rastkogelhütte zum Kellerjoch Martin Prinz geht wandern und besucht sich dabei selbst.

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Eigenwerbung

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Vor Ort oder nicht vor Ort Dorit Margreiter überträgt das Medium Film in die Zeitschrift. Johanna Hofleitner fragt nach, wie das geht. 98–103 Dorit Margreiter

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In der Wunderkammer des Schmerzes Olaf A. Schmitt über das Tiroler (Fort-)Leben des Komponisten Pietro Antonio Cesti 42–51 Gutachten. Diesmal: Entblößung Vier Indiskretionen von Wendy & Jim, Paulus Hochgatterer, Friedrich Biedermann und Sigrid Hauser 52–61 Stephan Huber Originalbeilage Nr. 16

Haikus aus Farbe Stephan Hilpold reflektiert das faszinierende Farb-Sehen des Manfred Alois Mayr. 72–75

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Metapher und Sprachökonomie Zwischen den Zeilen lesen: Raoul Schrott über metaphorische Kommunikation 114–123 Tirols Architekten und Ingenieurskonsulenten 124 ART Innsbruck 125 Hotel Greif Hypo Tirol Bank

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Haymon Verlag Tirol Werbung

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62/63 Besetzung, Impressum

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Wenns träumen Über das Bücher-Leihverhalten einer Pitztaler Gemeinde. Von Wolfgang Hermann 64–71 * In Quart werden Beiträge nicht illustriert, sondern halluziniert. Die linken Seiten sind eine Art Echoraum (Platz für Assoziationen, Querverweise, Gegenreden … – Echos der Texte auf den rechten Seiten). In diesem Heft bespielt das österreichische Künstlerkollektiv gelitin diesen Raum.


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Das Verschwinden des Autors – in echt!

Über einen legendären Dichter, der 1933 aus den Ötztaler Alpen nicht wiederkehrte: Pataphysische Vermisstenanzeige bezüglich eines (un)gewissen Julien Torma. Von Fritz Ostermayer

Wohlan, lasst uns herniederfahren und daselbst ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache mehr verstehe. (1. Mose 11, 7)

meinem multipel zerspragelten „Forschungsgegenstand“! Und wo jetzt endlich anfangen? Vielleicht damit:

Klickt unsereiner zwecks Einstimmung auf die hier nun zu erledigende Aufgabe zum Beispiel die „Offizielle Website der Tirol Werbung“ an, dann findet er sich sogleich in einer Gusto machen wollenden Diashow wieder, die nur mit einem überrumpeln will: Landschaft. Und was darin halt so herumsteht. Beängstigend schroffe Gipfel für Hardcore-Alpinisten wechseln sich ab mit lieblichen Almhütten für touristische Softeggs, ein Bergsee verheißt Kühlung, eine Blumenwiese Wärmung, und ein Blick in dummgütige Kuhaugen stimmt sacht wehmütig. Ein Idyll – welcher Fremde, zumal einer aus dem fernen Burgenlande, wagte daran zu kratzen?

Es gilt als verbürgt, dass Julien Torma – Autor, Nichtautor und bekennender Pataphysiker – im Winter 1933 zu einer Bergwanderung in die Ötztaler Alpen aufbrach, von der er nie mehr zurückkehren sollte. Es gilt als ausgemacht, dass er dort oben den Tod fand. Aber: Ob Julien Torma tatsächlich auch gelebt hat, das ist leider nicht mehr so sicher. Und so beginnen also die Scherereien: Was heißt denn schon „verbürgt“, wenn man von den namhaften Bürgen weiß, dass sie gerne logen wie gedruckt und das Erstunkene und Erlogene im Falle des Ertapptwerdens flink zu einer Mystifikation (v)erklärten? Wenn man weiß, dass diese Bürgen (nennen wir sie ruhig „die Surrealisten“) aus poetischer Passion nur zu gern mit Pseudonymen, Heteronymen, Werkfälschungen, imaginären Biographien und anderen Strategien der Verrätselung hantierten, nur um am Ende ein großes Durcheinander zu hinterlassen, an dem sich dann prekäre Teilzeitgermanisten wie ich nun die Zähne ausbeißen können. Doch habe ich für solche Fälle literarischer Tohuwabohus immer einen Satz parat, welcher mich anspornen soll, meinen aufsteigenden Hirnschwurbel bis zum Hirnriss hochzupitchen, also in einen Zustand des Bewusstseins, besser: der Bewusstlosigkeit zu gelangen, in dem zwischen Fiktion und Realität kein Blattl Papier mehr dazwischen passt. Ich habe ihn von Boris Vian, und der wiederum fand die Zeile in einem längst vergessenen Theaterstück von Robert de Flers. Sie lautet: „Mit Fleiß denke ich gern an Dinge, von denen ich denke, dass andere nicht an sie denken“.

Eh keiner. Nicht einmal die altehrwürdigen Bürgerschrecks der Generation DADA hatten eine aktionistische Naturverhöhnung, geschweige denn Naturschändung im Sinn, als sie in den Sommern 1921 und 1922 in die Gemeinden Tarrenz, Imst und Reutte einfielen und – dabei niemandem so richtig auffielen. Außer 66 Jahre später Raoul Schrott, der diesem Urlaubsgetändel der Herren Tzara, Arp, Ernst, Breton und Eluard samt „Begleitung“ in seinem fantastischen, bei Haymon erschienenen Ziegel „DADA 21/22“ ein Denkmal von dadasophischer Grandezza und fast schon schrulliger Penibilität setzte. Raoul Schrotts intensive Recherche in Ehren, in höchsten Ehren!, aber die tatsächliche Anwesenheit der Dada- und Surrealisten in Tirol musste von ihm nicht erst bewiesen werden, gab und gibt es doch genügend Zeugnisse und Selbstzeugnisse, die diese kunstgeschichtliche Petitesse belegen. Schrott konnte sozusagen „aus dem Vollen“ schöpfen, ohne dabei das gesicherte Terrain der Realität verlassen zu müssen. Was der Dichter dokumentiert, ist auch passiert. Oh, wie ich den Mann ob seiner amtlich beglaubigten Fakten beneide! Oh, wie anders verhält es sich da mit

Sehr schön. Also denke ich: Egal, ob Julien Torma wirklich gelebt hat oder nicht, das wenige, was unter seinem Namen je in Buchform erschienen ist, stellt unser Phantom in jene große Tradition literarischer Radikalinskis, deren schreibender Endzweck immer


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auf die Abschaffung des Schreibens selbst zielt – sei es aus Zweifel an der Kommunikationsfähigkeit des Mediums Sprache, sei es aus formalistischer Kompromisslosigkeit oder auch nur aus jenem puren Nihilismus, der noch jeden Dandy-Solipsisten am Ende zum Verstummen brachte. Julien Torma – so „verbürgt“ von seinen „Förderern“ Andre Breton und René Daumal – wurde am 6. April 1902 im nordfranzösischen Cambrai geboren. Der Vater starb bald nach Juliens Geburt, die Mutter heiratete erneut, nur um kurz darauf auch zu sterben. Der Knabe und sein Stiefvater zogen nach Paris, wo Ersterer noch im Jünglingsalter Zweiterem gute Dienste als Drogenkurier geleistet haben soll. Macht was her in jeder Rebellen-Biographie. Bald schon – wie heißt es so schön bildungsbürgerlich –: Hinwendung zur Literatur und erste poetische Schreibversuche. Findet Einlass in die Pariser Avantgarde-Zunft rund um die Surrealisten, tritt jedoch schnell wieder den Rückzug an; anscheinend gab es da zu viele von seiner Sorte: junge Stürmer und Dränger, die „die Grenzen der Dichtkunst sprengen“, „Leben und Werk vereinen“ und überhaupt der Welt der schönen Künste einen Haxen ausreißen wollten. Also verschaffte sich Torma sein Alleinstellungsmerkmal (unique selling proposition!) durch Rarmachen und Absenz, damals noch recht praktikable Taktiken bohemistischer Selbstinszenierung und obendrein doch auch Balsam auf alle Wunden narzisstischer Kränkung. Auf der Suche nach neuem symbolischen Kapital wandte sich Torma nun der „Wissenschaft des Besonderen, den Gesetzen, die die Ausnahmen bestimmen“ zu und wurde Pataphysiker, ein geradezu idealer Lebensentwurf für eine Existenz, die möglicherweise nie existierte, gilt doch die Pataphysik – neben vielem anderen – auch als „die Wissenschaft imaginärer Lösungen“. Bingo! Erst als Teilchen dieser im besten Sinne spinnerten Geheimgesellschaft ohne Aufnahmsprüfung und Zugangsbeschränkung fand Torma den theoretistischen Unterbau für seine alles in Frage stellenden Skizzen, Fragmente, Miniaturen, Aphorismen (bei ihm: Euphorismen), Gedichte und sonstigen Negationen der großen Form. Denn je kleiner (pennäleresker?) und – heute hieße es: hochkulturferner, desto besser:

Ohne Angabe der Adresse Ein Wasserfall oberhalb der Stadt dringende Briefe ohne Adresse Freunde, die quer übers Land entfliehen die Hände erhoben die Augen in Richtung Meer schöne durch Falten erhaltene Tintenkleckse sagen es diesmal sehr klar: SCHEISSE oder VERDUFTE oder noch VERSCHWINDE MIT DEM WIND. Seid gegrüßt kleine Kinder verfehlt nicht das Rendezvous mit dem Ende der Welt.1 Nicht schlecht für einen angehenden Verstummungseleven! Mit derart vulgär-eschatologischen Häufchen ließ es sich schon gut anstinken gegen das zu nichtende lyrische Ich und dessen verdammte Sinnproduktion; das hätte ein Poetendarsteller wie Jim Morrison 50 Jahre später auch nicht besser hingekriegt. Doch Julien Torma – wer? – wollte mehr: Die Poesie ins Gedicht zwingen bedeutet zu verhindern, dass sie ins Leben eindringt. Wir wollen nichts mehr schreiben. Der Dichter von Morgen wird sogar den Namen der Poesie ignorieren.2 Abgesehen vom nassforschen „Wir“ hätte das 40 Jahre später vielleicht auch ein H. C. Artmann unterschrieben, dessen erweitertes Poesieverständnis ja sogar denjenigen in den Kreis der Poeten aufzunehmen bereit war, der nicht einmal im Traum daran dachte, auch nur ein einziges Gedicht zu verfassen: eine poetische Lebensführung genüge vollkommen. Sowohl Tormas Losung als auch Stoßrichtung stimmen ab jetzt im hysterischen Wettlauf der Avantgarden: Presche vor zum Nichts, verachte dabei am meisten die geistesverwandten Mitprescher und hinterlasse verbrannte Erde und Spekulationen zum Saufüttern. Dabei war es strategisch klug, sich bei einer 1 Julien Torma – Le Grand Troche, Paris 1925. Auszugsweise (übersetzt von Klaus Völker) in: Alfred Jarry, Der Alte vom Berge, Reihe Hanser, 1972 2 Julien Torma – Euphorismen, Matthes & Seitz, Berlin 2009.


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solchen Tour de Force der von Alfred Jarry 1893 ersonnenen Pataphysik – einem absurd/paradoxen, poetisch/wissenschaftlichen Universum alles Denkmöglichen (und darüber hinaus) – zu bedienen, bewahrt diese fröhliche Wissenschaft durch ihre intellektuelle Unwiderlegbarkeit (qua non-sensigem Relativismus zur Potenz) doch vor allzu auffälligen Widersprüchen im eigenen Avantgardistenschädel: Ich machte Belangloses und nichts Nützliches. Hat keinerlei Bedeutung. Ich bin weder Literat noch Poet, ich heuchle nicht einmal Interesse. Ich amüsiere mich. Und ich scheisse SIE alle an. Für mich ist das Eingeständnis tragischen Schweigens noch zu viel. Ich habe kein Geständnis zu machen. Ich mache irgendwas – wie ich diese Verse verbrochen habe: leicht. 2 Es war ein Zug der Moderne – quasi ihr letzter – Leben und Werk an ein wie immer geartetes Äußerstes treiben zu wollen, bis hin zur Einstellung jeglicher Kunstproduktion: das Rimbaud-Syndrom. Dem radikalen Modernisten blieb als finale Konsequenz nur noch die heroische Geste der Entsagung, um zumindest und hoffentlich wenigstens auf diesem Weg „Unsterblichkeit“ zu erlangen: das partielle Duchamp-Syndrom (der schuf ja heimlich weiter). Leider aber führt künstlerische Totalverweigerung bei real existierenden Personen schnell zu existentiellen Nöten, wenn diese nicht schon beizeiten ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Besser also, man kreiert fiktive Künstler, denen dann jesusgleich alles aufgebürdet werden kann, was der eigenen Biographie doch nicht zugemutet werden will: Kunststopp, schnellem Vergessen anheimfallen, Isolation, Askese (beziehungsweise deren Brüderchen: der Exzess), früher Tod. Zur Schaffung solch imaginärer Künstler bediente man sich seit dem barocken Manierismus, besonders aber zur Hochblüte von DADA und Surrealismus der Mystifikation, in Metzlers Literatur Lexikon definiert als „irreführende, ungenaue oder verschlüsselte Angaben über Autorenschaft, Entstehungsbedingungen, Erscheinungsjahr, auch Verlag und Druckort eines literarischen Werkes ohne zwingende (polit., moral.) Gründe, aus Freude am Versteckspiel, Herausforderungen der Kritik, auch zur Erfolgssteigerung“. Ob auch Julien Torma – Totalverweigerer, Selbstauslöscher und Liebkind des Pari-

ser Collège de ’Pataphysik – eine solche Mystifikation ebenjenes College ist, darüber grübeln – sicher sehr zum Plaisir der Pataphysiker – seriöse Enträtselungsexperten bis heute. Michel Corvin etwa, Literaturprofessor an der Sorbonne, machte sich in den 1960er Jahren mangels Beweise für Tormas Leben auf die Suche nach Belegen für dessen Tod. Da der lebenslänglich nomadisierende Torma die letzten zwei Monate seines Lebens im Gasthaus „Wildspitze“ in Vent einquartiert gewesen sein soll, wandte sich Corvin zwecks Überprüfung des so genannten „Fremdenbuches“ an die Bezirkshauptmannschaft Imst. Diese leitete Corvins Anfrage an das Gendarmeriekommando Sölden weiter und erhielt postwendend folgende Antwort: „Zum Auftrag vom 1. Februar 1967. Zahl II 282/1 wird berichtet: Alois Pirpamer, geboren am 2. Juni 1904 in St. Martin, Passeier ist am 30. Jänner 1966 in Innsbruck verstorben. Pirpamer war Besitzer des Gasthauses ‚Wildspitze‘ in Vent. Die Witwe Pirpamers, Karoline Pirpamer war seit 1932 mit Alois Pirpamer verheiratet. Karoline Pirpamer kann sich an Julien Torma nicht erinnern. Sie gab jedoch an, dass nach ihrem Wissen nie ein Gast verschollen ist, der bei Pirpamer logiert hat. In der Chronik des ho. Postens scheint der Name Torma nicht auf, obwohl in der Chronik alle Todesfälle, Abgängige und bemerkenswerten Ereignisse festgehalten sind. Es ist möglich, dass das Fremdenbuch des Gasthauses Wildspitze noch existiert. Sollte der Name Torma in diesem Buch aufscheinen, wird ein Nachtragsbericht vorgelegt werden. Der Postenkommandant: Kleißl eh., Bez. Imst“. Und weil doppelt besser hält, bekam auch die Tiroler Landesregierung im März 1967 einen nachgeschobenen Brief von Michel Corvin, den Landeshauptmannstellvertreter Fritz Prior umgehend selbst beantwortete: „Sehr verehrter Herr Professor! Auf ihre neuerliche Bitte hin habe ich im Wege über die Bezirkshauptmannschaft Imst wiederum Nachforschungen über den Verbleib des Julien Torma machen lassen. Der zuständige Gendarmeriekommandant hat mir daraufhin berichtet, dass das Fremdenbuch vom Gasthaus Wildspitze aus den Jahren 1932/33 in Vent nicht mehr vorhanden ist. Der Besitzer Pirpamer hat erst wieder ab dem Jahr 1938 das Fremden-


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Hase / Rabbit / Coniglio, Artesina 2005–2025


buch aufbewahrt (…) weder in der Gemeindechronik, noch in der Chronik des Pfarramtes Vent noch in den Aufschreibungen des ho. Postens konnte über Torma etwas festgestellt werden. Mit vorzüglicher Hochachtung, F. Prior“. Nach diesen ernüchternden Depeschen erlahmten Michel Corvins detektivische Anstrengungen, er vertiefte sich wieder in das Werk Tormas und dem literarischen Possenspiel der Mystifikation im Allgemeinen 3. Dreizehn Jahre mussten vergehen, bis sich ein weiterer Hobby-Detektiv auf den Spuren von Julien Torma nach Vent aufmachte und – der Schnüffler schwört bei Pere Ubu! – fündig werden sollte. Klaus Ferentschik4, Berliner Germanist und mit 53 jüngstes Mitglied des Collège de ’Pataphysik, will im Zuge seiner Recherchen im April 1980 auf die damals 68-jährige Herta Klotz gestoßen sein, die in der Saison 1932/33 als Dienstmädchen im Gasthaus Wildspitze (heute übrigens: Pizzeria Wildspitz’ und noch immer im Besitz der Familie Pirpamer) gearbeitet habe. Frau Klotz könne sich zwar nicht an den Namen Torma erinnern, so Ferentschik im pataphysischen Periodikum „Der Pfuinanzsack5 (das Periodikum kam über Nummer 1 nie hinaus, denn anstatt sich pataphysischen Problemen zu widmen, frönte die 3-köpfige Redaktion lieber der zweiten Obsession ihres Hausgottes Alfred Jarry: dem exzessiven Genuss großer Mengen von Absinth; dafür lege ich meine Hand ins Feuer, denn ich war Mitherausgeber), allerdings sehr wohl an einen „feschen Franzosen, der in der Gaststube unzählige Bierdeckel vollgekritzelt“ habe, „leider auf Französisch, aber es schaute aus, als wären es kleine Gedichte“. Ferentschiks Frage nach etwaigen Bergtouren verneint Herta Klotz: „Der Franzos ist höchstens ums Haus gangen, luftschnappen, und dann wieder rein in die Stube, trinken“. Auch das Verschwinden des Autors – so Ferentschik – erfahre nach dem Treffen mit Herta Klotz eine neue Wendung: Die ehemalige Dienstmagd habe nämlich behauptet, „der Herr Torma, wie sie sagen, dass er heißt, hat am nämlichen Tag seine Rechnung zahlt, hat sich seinen Rucksack umgschnallt und ist runter ins Venter Tal marschiert, Richtung Gurgler Ache. Danach hab i ihn nimma g’sehn“. Also nicht vom

Berg gestürzt, sondern womöglich in der Gurgler Ache ertrunken? Dann hätte man aber irgendwann Tormas Leiche finden müssen. Da man dies jedoch nie tat, und auch auszuschließen ist, dass Tiroler Schützen den Franzosen bei seinem Abstieg einfach erschossen haben, stieg in Klaus Ferentschik eine höchst papaphysische Mutmaßung auf. Der Pataphysiker interessiere sich schließlich nicht für die öden Gesetze der Physik, er verachte doch auch die langweilige Schwerkraft, nach der ein Apfel immer nur vom Baum runterzufallen habe, nie jedoch vom Gras zum Ast hochschnellen dürfe. Nur weil sich Newtons dröges Gesetz tagtäglich millionenfach bewahrheite, sei dies noch lang kein zureichender Grund, dass es nicht auch umgekehrt funktioniere. Es könne daher mit einiger Sicherheit angenommen werden, dass Julien Torma ins Tal stieg, um den pataphysischen Beweis anzutreten, dass ein Kletterer nicht nur vom Berg herabzustürzen imstande sei, sondern eben auch auf ihn, den Berg, hinauffallen könne, sofern man nur das primitive Prinzip von Ursache und Wirkung hintanstelle. Ob Torma dieser Sturz hoch in die Lüfte gelungen sei, darüber schweige selbst das College sich aus; übrigbleibe, wie so oft in der Causa Torma, die reine Spekulation. Unsereiner bleibt hingegen die tröstliche Gewissheit, dass Torma das Verschwinden des Autors nicht als philosophisches Theorem poststrukturalistischer Literaturwissenschaft antizipierte, sondern die Sache konkret in die Hand nahm: weg mit einem, der vielleicht eh nie da war. Und wenn es um die Frage von Dichtung und Wahrheit geht, dann halte ich mich am Ende gern an jenen berühmten Satz des Chefredakteurs in John Fords Westernklassiker „The Man Who Shot Liberty Valance“. Und dieser Satz geht so: „If the legend becomes fact, print the legend!“ Was hiermit geschehen wäre. 3 Michel Corvin – Julien Torma. Essai d’interprétation d’une mystification Littéraire, Paris 1972 4 Klaus Ferentschik – Pataphysik – Versuchung des Geistes, Matthes & Seitz, Berlin 2006 5 Klaus Ferentschik, Fritz Ostermayer, Wolfgang Weisgram – Der Pfuinanzsack, Wien 1980


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Ali, Plakatentwurf für La Louvre – Paris, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, 2008, Foto: Maria Ziegelböck


„Das kann mein Kind auch!“

Joseph von Westphalen über einen Satz, der beim Betrachten zeitgenössischer Kunst schon des Öfteren ausgerufen wurde. Wem eine Opern- oder Theateraufführung nicht gefällt, der macht nach dem Fallen des Vorhangs seiner Enttäuschung mit lauten Buhs Luft, wenn er nicht schon vorher demonstrativ den Zuschauerraum verlassen hat. Und selbst die kritiklosen Feuerzeugfans der seichtesten Mainstream-Popmusik haben ihre Schmerzgrenzen und randalieren, wenn ihre Stars das Konzert zu lustlos abliefern. Lesen ist kein öffentlicher Vorgang. Schade, sonst würde man es hören, wenn tausend Leser ein künstlich hochgejubeltes Buch genervt zuklappen und in die Ecke schmeißen. Anders die Museumsbesucher. Sie lassen sich einiges bieten. Sie stehen wie die Schafe stundenlang an, um in eine Ausstellung zu kommen, die man gesehen haben muss, obwohl in der ständigen Sammlung gleich nebenan die viel besseren Bilder hängen, der Eintritt billiger ist und die Räume nicht überfüllt sind. Wenn sie die heiligen Hallen endlich betreten haben, machen sie Andachtsgesichter wie verlogene Barockmärtyrer, flüstern scheu und lassen sich von sadistischen Wärtern widerstandslos auf Distanz zu den Kunstwerken bringen, damit nicht schon wieder die überempfindliche Alarmanlage ausgelöst wird. Sie zücken die kleine Kamera nicht, obwohl das Fotografierverbot eine Frechheit ist, denn vom einzigen Bild, das einem wirklich gefällt, gibt es weder eine Postkarte noch ist es im Katalog zu sehen. Trotz aller Schikane pressen Museumsbesucher die Lippen zusammen und murren nicht noch so leise vor sich hin, geschweige denn schimpfen sie laut, obwohl schimpfen das einzige sein dürfte, was in Museen nicht verboten ist. Seit Jahrzehnten kann man jedem Katalogtext entnehmen, dass die zeitgenössische Kunst nicht etwa gefallen, erheitern oder gar entzücken will, sondern

dass es ihr finsterer Auftrag ist, zu provozieren, zu irritieren. Auf Ausstellungseröffnungsreden wird diese schicke Ansicht immer wieder neu verkündet. Bei großen Ereignissen sind es gar Kanzler und Minister, deren Redenschreiber in den Festvortrag geschrieben haben, dass Kunst ein Störfaktor sei, dass man sich an ihr reiben und dass sie gelegentlich weh tun müsse. Allein schon die Art, wie die glattesten Bürgermeister und Kulturbeauftragten mit Inbrunst derart von der verletzenden Kantigkeit großer Kunstwerke schwärmen, sollte die innere Alarmanlage anspringen lassen und zu einem Pfeifkonzert des Publikums führen. Doch dieses fühlt sich nur geschmeichelt, zur großen Vernissage geladen worden zu sein, und der anwesende Künstler, der damit quasi die Vollmacht zum Foltern der Kunstbetrachter bekommen hat, senkt feierlich und stolz beschämt sein Haupt bei diesen großen Worten. Sich gegen die Zumutungen des Neuen zu wehren, ist eine natürliche Reaktion. Rückblickend erscheint diese Reaktion allerdings oft als reaktionär. Kaum noch nachzuvollziehen die anfängliche Ablehnung des Impressionismus. Längst akzeptieren wir die Werke der damaligen Avantgarde als göttlich und dauerfrisch, manchmal sind wir ihrer himmlischen Harmonie fast überdrüssig. Und doch waren es nicht nur die Künstler und Liebhaber der schwülen Salonmalerei, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegen das geniale Geflimmer wetterten. Selbst ein Maler, den man auf Grund seines kühnen Pinselstrichs durchaus als Vorläufer der Impressionisten bezeichnen kann, Adolf Menzel nämlich, konnte mit den französischen Kollegen nichts anfangen. Als das Berliner Kunsthändlerehepaar Bernstein 1882 stolz mit einem Monet und einem Sisley aus Paris zurückkam, war Menzels giftiger Kommentar: „Haben Sie wirklich Geld für den Dreck gegeben?“


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Tobias, Plakatentwurf für La Louvre – Paris, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, 2008, Foto: Maria Ziegelböck


Heute geben Politiker vor, sich an der Kunst zu reiben, früher rieb sich jede neue progressive künstlerische Stilrichtung am Widerstand der herrschenden und ihrer konservativen Anhänger. Der Widerstand hat der neuen Kunst nicht geschadet, vielleicht hat er sie groß gemacht. Mit nennenswertem Widerstand aber hat die zeitgenössische Kunst schon seit Jahrzehnten nicht zu rechnen. Nicht nur das Publikum lässt sich alles gefallen, auch die Kunstkritik hat die Hieb- und Stichwaffen längst abgelegt und akupunktiert den einen oder anderen Künstler allenfalls vorsichtig. Neben der geschilderten Angst, das geniale Neue womöglich nicht zu erkennen und sich mit seiner Ablehnung später zu blamieren, ist es der Kunstmarkt mit seinen Millionenumsätzen, der elementare Kritik nicht zulassen kann, weil zu viele Menschen von der in den Markt hineingepumpten Heißluft und von der Spekulation mit Kunst leben. Und diese Bank, diese Vermögensanlagen dürfen nicht auch noch zusammenbrechen. Indirekt Mitschuld an der weitgehenden Unantastbarkeit der zeitgenössischen Kunst hat auch die perfide Ästhetik der Nationalsozialisten. Die widerwärtigen Nazis machen es einem noch nach über 65 Jahren nicht nur schwer, die heutige israelische Siedlungspolitik mit der gebührenden Vehemenz zu verdammen, sie haben mit ihrem abartigen Gefasel von der „Entarteten Kunst“ und den entsprechenden Säuberungen der Museen auch dafür gesorgt, dass man besser schweigt, auch wenn es einen insgeheim drängt, ein Kunstwerk für den letzten Schmarren zu halten. Man kann all das nicht sagen, man traut sich nicht, es wäre eben nicht nur reaktionär, schon schlimm genug, es wäre auch noch verdächtig nazinah. Man wagt nicht einmal, so über ein Kunstwerk zu denken. Man würde sich vorkommen wie Joseph Goebbels. Die Folge dieser selbstverordneten Korrektheit ist, dass eine stümperhafte Kohlezeichnung von Max Pechstein oder Erich Heckel für Zigtausende versteigert werden kann. Denn wertsteigernder als jede Expertise ist der Hinweis darauf, die Werke eines Künstlers hätten in der Nazizeit als entartete Kunst gegolten.

Im Gegenzug dazu kann man für einen Spottpreis von unbekannten Malern aus dem späten 19. Jahrhundert feinste unverstaubte Landschaftsbilder bekommen, wie sie Corot und Courbet nur selten hingekriegt haben. Sie haben nur einen Makel: Sie wurden nie als Geschmier oder entartet abgestempelt. Damit fehlen ihnen die höheren Weihen. Menzel konnte im Zusammenhang von Kunst noch unbefangen und wunderbar ungerecht von „Dreck“ sprechen. Wer weiß im Übrigen, worauf er sich bezog, wahrlich nicht jedes Bild von Monet und Sisley ist gelungen. Heute aber ist dieses Wort verboten, der Kunstliebhaber verbannt es ängstlich aus seinem Wortschatz und Bewusstsein wie der Erzkatholik den unkeuschen Gedanken. Und wenn dem Betrachter manche gepriesenen Bilder oder Skulpturen noch so dilettantisch hingeschmiert und hingekleckst und vollkommen belanglos erscheinen, wenn ihm eine Installation hirnverbrannt verblasen und mit künstlicher Bedeutung aufgeschäumt vorkommt, lieber beißt er sich auf die Lippen und presst sein Ohr an den Audioguide, als elementare Zweifel anzumelden. Und schon gar nicht erlaubt er sich die Einwände vorzubringen, die vor vielen Jahrzehnten beim Aufkommen der gegenstandlosen Malerei zu hören waren und die seitdem als Inbegriff der bürgerlichen Ignoranz und der Infantilität gelten: „Das soll Kunst sein? Das kann ich doch auch. Das könnten ja meine Kinder besser!“ Manches Bild von Picasso hat sich in den 1950er Jahren, als die moderne Kunst auch in Deutschland und in den von ihm ehemals beherrschten Gebieten wieder gezeigt werden konnte, diese Vorhaltungen machen lassen müssen. Seltsamerweise war das Nachkriegsbildungsbürgertum nicht gierig auf die ihm von 1933 bis 1945 vorenthaltene Kunst (auch nicht auf den „verpassten“ Jazz der 30er und 40er Jahre), sondern schüttelte zunächst nur verständnislos den Kopf. Erst die junge Nachkriegsgeneration bekam dann jede Menge kubistische und expressionistische Bilder in die entnazifizierten Schulbücher geschrieben, begann für die eben noch verfemte Kunst


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Wolfgang, Plakatentwurf für La Louvre – Paris, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, 2008, Foto: Maria Ziegelböck


zu schwärmen, erklärte die Expressionisten und Kubisten, Surrealisten und Suprematisten zu Heiligen und übersah in der Begeisterung, dass der lustige Dalí seine Masche peinlich zu Tode reitet, dass Max Ernst hölzern und steril malt, dass der gepriesene abstrakte Kandinsky viel weniger abwechslungsreich ist als der frühere figurative, dass Matisse manchmal auch nur ein besserer Tapetenmaler ist und dass im riesigen Werk des genialen Picasso natürlich Hunderte von völlig uninspirierten Arbeiten nicht annähernd die künstlerischere Qualität und Kraft der besagten Kindergartenmalereien haben. „Kunst kommt von Können, dachte ich! Jedes Kind kann so malen! Das kann mein Bub auch!“ Wenn auch diese Sätze in den Museen nicht mehr zu hören sind (schon weil die Leute, die sie auf den Lippen haben, nicht ins Museum gehen), werden sie vermutlich noch immer munter in den eigenen vier Wänden ausgerufen – an denen solche Kunst natürlich nicht hängt. Vielleicht war man beim Chef eingeladen, der etwas besseres zu sein glaubt und über seinem Sofa ein Bild gedübelt hat, das nur aus einer roten Farbfläche besteht. Das Bedauerliche und Problematische ist nicht die kunstfeindliche Banausenhaftigkeit solcher Einwände, sondern die Tatsache, dass sie meist von den falschen Leuten vor den falschen Bildern vorgebracht werden. Falsch plus falsch – da kann durchaus ein richtiges Ergebnis herauskommen. Denn bei dem bespöttelten Bild handelt es sich möglicherweise um das Machwerk eines kolossal kreativen Provinzmatadors, der die Welle der Moderne nur nutzt, um seine läppischen Arbeiten an den Mann zu bringen. Wobei noch die Frage zu klären wäre, ob dieser Künstler selbst seine Sachen für große Kunst hält oder die Welt nur betrügen will. Das Bedauerliche: Weil der Das-kann-doch-jederIdiot-Einwand von gestrigen und ahnungslosen Kleingeistern gepachtet ist, kann der Mensch mit Kunstverstand dieses primitive Argument nicht mehr vorbringen. Für manche auch in stattlichen Museen

reichlich vertretenen Primitiven, die in der BeuysNachfolge Steine auf das Parkett der Ausstellungsräume legen oder in der Victor-Vasarely-Nachfolge ohne Sinn und Verstand geometrische Formen auf die Leinwand auftragen, wäre der spöttische Hinweis auf die kinderleichte Nachahmbarkeit dieser Kunstwerke vielleicht ein hilfreiches Korrektiv. Das ratlose Schweigen schützt diese schlechten Werke und macht sie erst zur Kunst. Denn so inkompetent und naiv und banausenhaft die der modernen Kunst vorgehaltene Schmähung auch ist, so muss man ihr doch zugute halten, dass sie den Marktwert ausklammert (der auch bei der originellsten und entzückendsten Kinderarbeit Null ist, während man selbst für eine miserable Arbeit von Picasso genug Geld bekommt, um drei neue Kindergärten zu bauen). Und der Marktwert ist tatsächlich nicht alles. Jeff Koons und Damian Hirst sind keine Narren. Sie wissen selbst, dass sie von ihren hundert Handwerkern fragwürdiges Zeug für einen überdrehten Kunstmarkt fabrizieren lassen. Was genau Kunst ist, weiß man eh schon lange nicht mehr so genau. Deutungen und Bedeutungen gehen einem zunehmend auf die Nerven. Da ist es cool und clever, einfach den Markt bestimmen zu lassen und zu sagen: „Wenn der Kunstmarkt bereit ist, Geld für meine Ausgeburten zu bezahlen, dann muss es wohl Kunst sein. Und wenn er große Summen ausgibt, scheint es sich um große Kunst zu handeln. Ich weiß zwar nicht, was meine Sachen sollen, aber wenn den Kunstkritikern dazu hochintellektuelle Katalogvorworte einfallen, dann wird schon etwas dran sein.“ So ähnlich argumentieren die Großkünstler unserer Tage. Ganz offen. Man kann ihnen nicht einmal Scharlatanerie vorwerfen. Diese Kunstkaiser sagen selbst, dass sie nackt sind. Ist das nicht ziemlich fragwürdig? Klar, Kunst muss doch die Welt in Frage stellen! Und wenn es dafür auch noch reichlich Kohle gibt, wäre man doch doppelt blöd, das nicht zu tun. Eine Kunst zu erzeugen, die sich ausschließlich über ihren Marktwert definiert – das ist tatsächlich auch


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Florian, Plakatentwurf für La Louvre – Paris, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, 2008, Foto: Maria Ziegelböck


eine Kunst; und zwar eine, die nicht jedes Kind kann. Dass es so weit kam, daran ist Joseph Beuys nicht unschuldig. Auch er ein unantastbarer Säulenheiliger der Moderne. Sein erweiterter Kunstbegriff, sein nettes Geschwätz von der sozialen Plastik und die romantische Behauptung, dass jeder Mensch ein Künstler sei und alles zur schönen Kunst werden könne, hat Gestalten wie Damian Hirst erst möglich gemacht. Mit seinem Fett und Filz und seinen ausgequetschten Uhu-Allesklebertuben in alten Militärschränken ist Beuys allerdings noch ziemlich liebenswert, verglichen mit den kaltschnäuzigen Erfolgsproleten der ihm nachgefolgten Künstlergeneration. Wir sind durch diese frivole Entwicklung, durch den übergroßen Hirst-Haifisch und die Jeff-KoonsMickey-Mäuse aus aufgeblasenem Aluminium daran gewöhnt, die Kunst nach ihrem Marktwert einzuschätzen. Da führt die etwas aus der Mode gekommene Frage, ob ein Kind nicht unter Umständen der bessere Künstler sei, zurück zur Malerei und zu der gar nicht so dummen Anschlussfrage, worin denn der ideelle Wert eines Kunstwerks jenseits des Marktwerts besteht. Diesen ideellen Wert muss es auch geben, sonst hätten die Museen dieser Welt schon dicht machen müssen. Klar strömt die kunstbeflissene Bildungsmasse blindlings in die als spektakulär geltenden und zehnfach gesponserten Event-Ausstellungen. Als Vertreter des modernen Kulturbürgertums schließt man sich brav den Führungen an und nickt alles Angepriesene folgsam ab, auch wenn das Schwärmen involvierter Kunsthistoriker sich manchmal nicht von der Propaganda unterscheidet, mit der Arzneimittelvertreter den Ärzten teure neue Medikamente aufschwatzen. Daneben aber gibt es zum Glück genügend Menschen, die auf eigene Faust ungestört durch die ständigen Sammlungen der Galerien schlendern und sich an einzelnen Bildern erfreuen, egal, wie hoch deren Marktwert ist und ob gerade der 500. Geburtstag des Malers abgefeiert wird oder nicht. Wenn man das Glück hat, in ein Museum ohne supersensible Überwachungsanlage und mit freundlichen Wärtern

geraten zu sein und sich ein paar alte Meister aus allernächster Nähe anschauen kann, besteht das Entzücken zu einem Teil auch darin, dass sich die alberne Frage, ob ein anderer das nicht auch könnte, sich hier nun wirklich nicht stellt. So wie Lucas Cranach oder Vermeer kann tatsächlich niemand malen, kein Wunderkind, kein Meisterfälscher. Die Perlen, die Stoffe, das kriegt keiner so hin. Es kann aber auch das Bild eines ganz unbekannten Malers sein, das einen da plötzlich packt. Es muss kein Virtuose sein, und es ist egal, aus welcher Epoche das Bild stammt. Aus dem fernen 16. oder unserem 21. Jahrhundert, pingelig gemalt oder locker hingeworfen. Auch ein Foto kann es sein, von einem gefeierten Kamerakünstler oder von einem anonymen Postkartenfotografen. Es muss nicht viel zu sehen sein. Eine Frau schaut vor sich hin, ein Mann steht daneben. Das ist vielleicht schon alles. Und doch kann einem so ein Bild in einem Sekundenbruchteil so viel Welterkenntnis vermitteln, wie sämtliche Dramen Tschechows zusammen, egal ob es 10 Millionen wert ist oder ob man es für 5 Euro auf dem Flohmarkt bekommt. Wem eine Leinwand zu altmodisch ist, der kann ja Marina Abramović beim Stillsitzen zuschauen. Und wenn es tatsächlich Kunstliebhaber gibt, deren hochsensibles Sensorium das Figurative nicht mehr benötigt und denen ein Quadratmeter Blütenstaub auf dem Museumsboden als Vermittler geheimer Botschaften genügt – auch gut, kein Spott. Die Geduld und den Bienenfleiß übrigens hätte kein Kind der Welt, so viel gelben Staub aus den Blüten zu sammeln. Und die Kinder möchte ich sehen, die wie die Abramović wochenlang stillhalten können.


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Constantin Luser

Anfangs türmen sich Geschmeide wie gezeichnete Schnitzereien vor leeren Weißräumen. Später werden sie sich zu einem undurchsichtigen Netzwerk verdichten, ein Knäuel aus Bildern, ein verstricktes Dickicht aus sich verdunkelnden Linien, das keinen Freiblick auf einen Bildträger zulässt. Constantin Luser ist ein Künstler, der über Zeichnung weitertreibt, was waghalsige Vorläufer am Prager Hof Kaiser Rudolfs II. erstmals bravourös probierten. Kunstvoll gedrechselt winden sich Figurinen zu dichten Säulen. Köpfe, Leiber und Profile werden so eng und assoziativ verschränkt, dass daraus kunstvolle Gebilde von verwirrender Respektlosigkeit werden. Nichts darf auf Autonomie und Unantastbarkeit hoffen, weder Menschen noch Tiere, Zeichen, Schriften oder Maschinen. Es geht um eine Bildlichkeit als reine Eklektik. Was ehemals im Manierismus gelehrige Kombinatorik war, ist heute halluzinatorische Kopiertechnik. Luser verwendet Vorlagen aus einer historischen Enzyklopädie und dabei keine digitalen Tricks. Der Grundsatz dieser Ästhetik ist, das Wählerische zum alleinigen Prinzip zu erheben. Die Wirklichkeit verschwindet hinter der Wahlmöglichkeit ihrer Repräsentation. Und gerade diese steht infrage. Denn Bilder bilden weder ab noch nach. Alles was sie tun können, ist, sich selbst zu ersetzen. Das führt zur unausweichlichen Akkumulation, einer Vermehrung als ungebremste Sublimation. Diese Einsicht zeitigt tiefe erkenntnistheoretische Folgen. Denn Menschen, so wusste schon Aristoteles einzumahnen, sind unfähig der wirklichen Neuschöpfung. Was ihnen an kreativer Macht offen steht, ist nur die Kombination von bruchstückhaft Gegebenem. Beispiele dafür gibt es genug, nicht nur bei Luser. Aus der Zusammenstellung von Flügeln und Pferderumpf wird Pegasus, aus dem bekrönten Hahnenkopf mit Schlangenleib der gefürchtete Basilisk, aus Früchten und Blüten eine Jahrszeitenallegorie, aus Mensch und Gazelle der Avatar. Während in den ersten beiden Seiten von Lusers Zeichnung die Formen noch erkennbar sind und klettern, werden sie am Ende der Seitenfolge schließlich buchstäblich eskalieren, über die Auftürmung zur ungehemmten Wucherung drängen. Und es wird uns einsichtig, dass hier nicht eine äußere Welt Darstellung findet, sondern die Auswüchse unserer Kultur in internalisierter Intensität, die Gespinste eines Gehirns, das wir alle sind. (Thomas D. Trummer, Zürich / München, 6. Oktober 2010)












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Vom Mangelreiz der Bilder

Es war nicht die erste Auszeichnung für Christian Berger, wohl aber die bislang aufsehenerregendste: die Oscar-Nominierung 2010. Walter Groschup hat den erfolgreichen Kameramann, Produzenten, Regisseur und Drehbuchautor getroffen und erfahren, dass Wahrnehmung nicht delegierbar ist, dass man hauptsächlich sieht, was man sich wünscht, und dass Anita Ekberg nicht nackt war, als sie im Trevi-Brunnen badete. Walter Groschup: 1985, als du erste große internationale Anerkennung und ebensolche Preise für deinen Film „Raffl“ bekamst, hatte ich bereits das Vergnügen, mich mit dir über das Filmemachen zu unterhalten. Wir streiften damals auch den Begriff „Heimat“. Inzwischen ist dieser Begriff durch unzählige neue Denkanstöße arg zerzaust worden. Ist vom ihm deiner Ansicht nach überhaupt noch etwas Nennenswertes übrig geblieben? Christian Berger: Heimat ist dort, wo ich lebe und leben kann, und die Orte, Lichter und Gerüche der Kindheit. G.: Du bist inzwischen nach Wien ausgewandert, aber den Rücken gekehrt hast du Tirol, dem Land, in dem du groß geworden bist, nicht? B.: Natürlich nicht, ich habe auch keinen Grund dafür, es waren einfach die persönlichen Umstände. Und auswandern hieße wohl etwas anderes. Nämlich, dass man aus wirtschaftlicher Not gehen muss, oder, dass man vertrieben wird, sich seiner Freiheit oder seines Lebens nicht mehr sicher sein kann. Dinge, die bei uns vor noch nicht all zu langer Zeit geschehen sind, das will ich nicht vergessen, und die auch heute ständig um uns herum passieren. Daher möchte ich in meinem Fall diesen Begriff keinesfalls verwenden. Wir leben diesbezüglich in unserem Land in einer privilegierten und glücklichen Zeit. Was mich sehr irritiert, ist, dass wir scheinbar immer weniger gewillt sind, dieses Glück auch anderen zuzugestehen. Wir vergessen offenbar, dass auch wir es zugestanden bekommen haben. Es ist kein privater Besitz.

G.: Was mir, solange du in Tirol gelebt hast, besonders aufgefallen ist: Du hast dich unbeirrt für eine Verbesserung der sozialen und politischen Verhältnisse eingesetzt, bist aber nicht in die Rolle des „Mahners in der Wüste“ geschlüpft. B.: Ich tue dasselbe in Wien, oder tät’ es, wo immer ich leben würde, glaub’ ich. Vielleicht bin ich inzwischen etwas altersruhiger. Und Mahner wollt’ ich so wenig sein wie Priester. Ich bin immer bewusster und aus vollem Herzen Anti-Fundamentalist. G.: Kommen wir zu deiner Oscar-Nominierung für „die beste Kamera“. Dein Brotjob ist Kameramann und du hast in deiner Branche die höchsten Weihen erhalten. Macht dich das zufrieden? B.: Natürlich ist es wohltuend, wenn man plötzlich auf hohem Niveau gesehen und gewürdigt wird für etwas, was man lange Zeit relativ einsam denkt und tut. G.: Für deine Kamera beim Welterfolg „Das weiße Band“ hast du das Prädikat „Best Cinematographer of the Year 2009“ erhalten und die höchste Gilde der Branche, die American Society of Cinematographers (ASC), verlieh dir den Preis „Outstanding achievement in cinematography in 2009“. Was zeichnet deine Arbeit an diesem Film – durchaus im Sinne einer subjektiven Selbsteinschätzung – aus? B.: Kein Spielfilm-Kameramann wird was ohne einen herausragenden Regisseur – das ist die Wahrheit! Viel von dem Erfolg hat ganz einfach Michael Haneke gemacht. Ohne die ständigen Herausforderungen durch


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ihn wär’ ich nicht so weit gekommen. Und natürlich hängt der Erfolg von vielen Aspekten ab. In den USA etwa war es die Summe der Ungewöhnlichkeiten, die die Aufmerksamkeit für den Film verstärkt hat: kein Star, keine Musik, Überlänge, kein wirkliches Ende und alles auch noch in schwarz-weiß … und da steht die Kamera ja wirklich ganz gut da! Wobei man beim Drehen ja nicht an so etwas wie Oscars denkt. G.: Bei den Kritiken zu „Das weiße Band“ war einige Male zu lesen, dass im Film die Grausamkeit so gut spürbar sei. Ich hab’ sie nicht gesehen, die Grausamkeit! B.: Haneke will die Grausamkeit ja nicht real zeigen, sondern sie in unserem Kopf evozieren. Er hasst die sogenannte „Überwältigungs-Dramaturgie“ und ist lieber ein eindringlicher Erzähler. Das beginnt schon mit dem Drehbuch, in dem die Bilder nie konkret – oder höchstens sehr, sehr reduziert – Gewaltdarstellung beinhalten. Mich erinnert deine Frage an einen amerikanischen Kritiker, der mich gefragt hat, wie man so einen Dreh aushalten könne – mit all den Grausamkeiten! Und als ich ihm entgegnete, was er denn da konkret gesehen habe, dachte er nach und sagte dann: Stimmt, eigentlich gab es nichts Grausames zu sehen … G.: Das ist ja wie bei Fellini! In seiner Biografie wird die Geschichte vom Skandal bei „La Dolce Vita“ erzählt, als Anita Ekberg angeblich nackt im TreviBrunnen badete, was gar nicht stimmte: In Wirklichkeit war sie nämlich angezogen. Man sah nichts, aber die Leute, die in dem Film waren, erzählten es sich trotzdem. Mit der Kamera etwas sichtbar machen, was nicht da ist – was ist das für ein Gefühl, wenn so etwas gelingt? B.: Ich hab bei den Don Bosco-Brüdern in Wien, wo ich eine zeitlang im Gymnasium war, zwei Wochenenden Hausarrest bekommen, weil ich als 15-Jähriger entgegen dem Gebot der katholischen Filmkritik natürlich auch „La Dolce Vita“ sehen musste und dabei erwischt wurde. Wir alle im Publikum haben Anita

Ekberg nackt gesehen – weil wir es uns gewünscht haben! Und wie das so ist mit Wünschen, bedeutet die reale Erfüllung ja immer auch ein bisschen Ernüchterung, während man im Fall der Nichterfüllung den Wunsch weiterwünschen darf. Fellini hat uns diesen Wunsch am Leben erhalten, indem er Anita in ihrem – raffinierten – Kleid beließ. Immerhin war es ja dann nass – und das war der Trick! Man muss mit und in den Bildern einen Mangelreiz gestalten. Das Schwierige daran ist die Dimensionierung dieses Reizes: zu wenig funktioniert nicht, zu viel ist peinlich. Aber wenn’s funktioniert, verwandle ich einen vorerst passiven in einen aktiven Zuseher. G.: Wim Wenders hat einmal erklärt, was eine „gute“ Kamera ist: Du filmst einen Mann in einer dunklen Gasse. Wenn du das „falsche“ Objektiv wählst, sieht man den Mann in der Gasse nur irgendwo hingehen, nimmst du hingegen das „richtige“ Objektiv, kommt der Mann näher und der Zuschauer fragt sich: Was macht er? Wohin geht er? Was will der Mann? Der Zuschauer wird so in die Geschichte des Mannes hineingezogen und teilt dann mit ihm diese Geschichte. Was umtreibt dich am meisten, wenn du mit der Kamera zu „modellieren“ anfängst? B.: Vielschichtigkeit zu erzielen! Das Abbilden allein ist zuwenig. Ich weiß allerdings nicht wirklich, wie das geht. Das sorgfältige Gestalten von Atmosphären ist wahrscheinlich das Wichtigste. Hinter oder in jedem Bild stecken andere Bilder und dahinter wieder andere … Nur so hat der Zuschauer die Freiheit, selbst zu sehen, zu erkennen. G.: Luc Bondy hat über dich gesagt, du würdest mit der Kamera arbeiten wie „ein Maler aus der flämischen Zeit“. Als Kameramann verstehst du dich als „Mann des Lichts“. Und als solcher hast du ein neuartiges Licht erfunden, weil dir die gängige Apparatur viel zu behäbig war. Bitte erklär mir, dem Laien, was das Neuartige an deinem Lichtsystem ist! B.: Das von mir erfundene Film-Beleuchtungssystem vereinfacht die Arbeitsmethoden am Film-Set und


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tritt dem Diktat der Technik entgegen: Es gibt weniger Blendung, keine Temperaturbelastung und sehr häufig ist es tatsächlich möglich, dass der Drehort frei von Stativen, Kabeln und Lichtkränen ist. Das bringt nicht nur der Kamera neue ästhetische Möglichkeiten, sondern vor allem der Regie mehr Flexibilität und den Schauspielern neue Freiheiten. Entstanden ist das System einerseits, weil ich genug hatte von diesen technischen Einschränkungen beim Dreh, andererseits durch mein Bestreben, die Schönheit des natürlichen Lichts zu erhalten. Und nicht zuletzt auch auf Grund meiner Freundschaft mit Christian Bartenbach: Sein Lichtdenken hat mich sehr inspiriert und bereichert. Licht soll man sehen, wo es drauf fällt, nicht wo es herkommt. Meine Referenzfilme, die ich bisher mit dem „Cine Reflect Lighting System Berger/Bartenbach“ gemacht habe – alle, von der Klavierspielerin (2001) bis zum Weißen Band (2009) – schaden auch nicht wirklich und so wächst jetzt die internationale Aufmerksamkeit. Erste Erfolge sind nun endlich spürbar!

lässt sich was und warum gefallen, oder wer wehrt sich wie, oder wem sind seine Sinne wichtig genug, dass er sie wach halten, trainieren und verteidigen will? Der Verfall oder Verlust der Sinne – die Verrohung – ist systemimmanent und war es wohl auch immer. Ein Hinterfragen, eine wache Neugier ist also ständig vonnöten.

G.: Dass es dir um’s Modellieren von Licht geht, um Gestaltung, hat dir Isabelle Huppert, die Hauptdarstellerin in „Die Klavierspielerin“, liebevoll bestätigt. Sie sagt: „Es gibt sie nicht oft, die sich für ein Gesicht interessieren, die es modellieren können. Christian Berger gehört zu diesen wenigen.“ Welches Interesse ist das, was Huppert da anspricht?

B.: Dass man seine Probleme selbst definieren muss; dass einem niemand die kreativen Nöte abnehmen kann; dass Wahrnehmung nicht delegierbar ist. Dass Werkzeuge keine Lösungen bringen, bestenfalls Möglichkeiten; dass wir Menschen uns auch weiterhin gegenseitig unsere Sensationen und Geschichten erzählen wollen, egal ob digital oder in 3D. Und dass die Interessen der Hardware-Produzenten eher selten auch die unseren sind. Lasst uns über’s Essen reden, nicht über’s Besteck!

B.: Genauigkeit im Beobachten und Hingabe im Gestalten. G.: In deinen Reflexionen sprichst du davon, dass das Sehen an sich der verlässlichste Sinn des Menschen sei, der aber immer mehr von anderen Einflüssen überlagert werde. Verlernen wir das Sehen? B.: Das wäre ein Früher-war-alles-besser-Standpunkt, den ich gar nicht teile. Es sind natürlich die AugenZuschütt-Möglichkeiten – das gilt auch für die Ohren oder die Nase – quantitativ enorm gestiegen. Aber das Individuum kann ja lernen zu wählen, zu entscheiden und zu handeln. Die Fragen lauten also: Wer

G.: Dein erster Film aus dem Jahre 1974, „Der Untergang des Alpenlandes“, den du gemeinsam mit Werner Pirchner gemacht hast, ist ein skurriler 30-Minüter, in dem vor allem eine unbändige und lustvolle Lebenshaltung der damaligen Gegenkultur zum Ausdruck kommt: Auflehnung, Spiel mit den Traditionen und den gängigen Glaubenshaltungen … und sichtlich war viel Spaß bei der Arbeit. Der Film hat drei, vier Kinogenerationen überstanden und wirkt auf das heutige Szene-Publikum immer noch erheiternd. Er war dein Anfang in die Selbständigkeit als Filmemacher. Was gibst du den heutigen Jungen mit auf den Weg?

G.: Die Newcomerin Melanie Hollaus hat vor einem Jahr ihren Experimentalfilm „New Kaisertal City“ vorgestellt. Beim Betrachten dieses Films kam mir manchmal „Der Untergang des Alpenlandes“ in den Sinn. Ich fragte Melanie: Was würdest du gerne von Christian Berger wissen? Hier ist eine ihrer Fragen: „,Der Untergang des Alpenlandes‘ war Ihr Filmerstling und eine Low-Budget-Produktion. Inwiefern beeinflusste eine ‚kollektive‘, ‚anarchistische‘ Arbeitsweise Ihre Kameraarbeit und inwieweit trainiert ein Weniger an Budget den Erfindergeist?“


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Sweatwat, Gagosian Gallery, London 2005


B.: Kollektiv kann eine künstlerische Äußerung bestenfalls anteilig und im Vorfeld entstehen, anarchistisch schon eher – aber solche Überlegungen haben wir damals nicht angestellt, sonst wär’s ja zur Ideologie geworden und das wollten wir nicht. Viel Geld macht noch keinen guten Film, wenig Geld aber leider auch nicht. Und was mangelnde Mittel sind, wird bestimmt durch die Definition von Mangel: Was ist wofür nötig bzw. genug, ab wann wird das Ergebnis auf Grund fehlender Mittel schlechter? Manchmal wird’s durch die aus dem Mangel gespeiste Phantasie ja tatsächlich besser. Darauf würde ich mich aber nicht verlassen, das ist kein Rezept, eher ein schmaler Grat, die Grenzen sind fließend und abhängig von den Qualifikationen der beteiligten Personen. Für mich ist der geringstmögliche Aufwand für eine klar definierte Aufgabe der sowohl ökonomisch effektivste wie auch ästhetisch beste Weg. Ich suche diesen Weg immer, unabhängig vom Budget. G.: Melanie Hollaus steht heute da, wo du 1974 warst, als du den Untergang gemacht hast. Was sagst du zu ihrer zweiten Frage? – „Sie arbeiten seit 1991 als Kameramann für Haneke, bis in die 90er Jahre haben Sie vorrangig Autorenfilme gemacht. Wie wirkt sich Ihre Autorenschaft auf die Kameraführung aus und welche Vor- oder Nachteile haben Produktionen, in denen Sie ausschließlich als Kameramann tätig sind?“ B.: Bei der Kamera-Arbeit in Spielfilmen ist für mich die Regie-Erfahrung wichtig, weil ich die unvermeidbaren kreativen Nöte kenne und Schauspieler mag und besser verstehe. Genauso wichtig ist mir aber auch meine Dokumentarfilm-Erfahrung, weil sie mich Flexibilität gelehrt hat und die Qualität des Beobachtens. Fähigkeiten, die mir in noch keinem Projekt geschadet haben. Multifunktion geht letztlich doch immer zu Lasten der einen oder anderen Funktion, deshalb waren die Doppelfunktionen für mich immer eher Notlösungen, als die Überzeugung, dass nur ich das könnte. G.: Dein zweiter großer Kinofilm als Regisseur, „Hanna Monster Liebling“, den du mit deiner Frau Mari-

ka Green als Hauptdarstellerin gedreht hast, entstand gegen Ende der 1980er Jahre. Es ist berührend, was du in deinen Reflexionen darüber schreibst, und nicht minder berührend, was Marika darüber schreibt. Wieviel reine Liebeserklärung darf ein Kinofilm, der für die Allgemeinheit bestimmt ist, haben? B.: Das ist wie bei Liebesgedichten: Jeder hat das Recht, eines zu schreiben, nur: Nicht jedes muss oder sollte man veröffentlichen. Wenn das Private das Allgemeine miterzählt und damit jeden betrifft, dann ist es gut – wenn nicht, sollte man es besser für sich behalten, sonst wird’s ein peinlicher Gemeinplatz. Ich hoffe natürlich, mir ist das Erstere gelungen. G.: Gibt es ein Aufhören für dich? Oder haben sich künstlerisch zu Werke Gehende nicht ohnedies das Privileg verwirkt, irgendwann den verdienten, ruhigen Lebensabend antreten zu können? Dein portugiesischer Berufskollege Manoel de Oliveira hat bei der Berlinale 2009 mit 101 Jahren seinen neuesten Film präsentiert. Fernando Birri ist 85 und noch immer locker, wenn er auf der Bühne steht. Er strahlt jugendliche Frische aus, wenn er vor dem Publikum über’s Kino spricht. Wirst du deine Kamera jemals an den Nagel hängen und sagen: Ich hab’ genug getan? B.: Weiß ich nicht, glaub ich nicht, kann ich mir nicht vorstellen. Nicht aus einem Forever-young-Lebensgefühl heraus, eher als ein Forever-curious-Wunsch. G.: Eine letzte Frage: Du hast in deiner Jugend Bob Dylan gehört und er sang The times they are changing. Wie interpretierst du die Redewendung heute? B.: Ich war kein Dylan-Fan, ich war und bin MusikFan. Damals begeisterte ich mich für Musik von Vivaldi bis Zappa, heute begeistere ich mich für gute Musik und gute Interpreten. Und die wechseln weniger inhaltlich sondern mit den Generationen, mit manchmal neuen Formen. Die Grundthemen im Leben und in der Kunst sind ziemlich überschaubar und verändern sich weniger im Was als im Wie.


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In der Wunderkammer des Schmerzes

Der Komponist Pietro Antonio Cesti lebte 13 Jahre lang in Innsbruck, wo das erste Opernhaus im deutschsprachigen Raum gebaut worden war. 341 Jahre nach seinem Tod bekommt er nun am einstigen Wirkungsort einen Gesangswettbewerb. Ein Höreindruck vor Ort – von Olaf A. Schmitt Leiden war nie so schön wie im 17. Jahrhundert. Natürlich war das Leid die Liebe, und dafür fanden die Komponisten zwischen Renaissance und Barock die schönsten Klänge – oft zerreißend langsam lamentierend und sich quälend von einem schmerzerfüllten Ton zum nächsten hangelnd. Warum ich das schön finde, habe ich aufgehört mich zu fragen, es muss etwas mit diesem in sich ruhenden Gesang zu tun haben, der trotz aller Affektgeladenheit seine Mitte nicht verliert. Mein Körper beginnt nach wenigen Sekunden innerlich zu wiegen wie ein Pendel, nach wenigen Sekunden dieser grandiosen Musik, die heute Alte Musik heißt und neben dem Schmerz für sämtliche anderen Affekte die richtige Klangsprache parat hat. Vielleicht erzeugen gerade diese klar geordneten Affekte eine Sicherheit, so dass ich mich als Mensch einmal verstehen kann. Innerhalb der drei Tage, die ich bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik verbracht und den Ersten Internationalen Gesangswettbewerb für Barockoper verfolgt habe, hat mich dieses wiegende Gefühl nie verlassen. Das lag wohl auch daran, dass die Musik dieser Epoche so organisch wirkt und sich bei aller Energie und Konzentration der Interpreten immer eine Leichtigkeit bewahrt – zumindest in einer Ausführung, die sich auf historische Quellen stützt. Diese Musik spricht zaubernd und dient allein dem Ausdruck der gesungenen Worte, die im Gegensatz zur vorangegangenen Zeit die Vorherrschaft übernehmen. Mit der Geburt der Oper im 17. Jahrhundert und all den Vorformen wie dem Madrigal ergreift die Monodie das Szepter, der solistische Gesang, der einzig dem Affekt der Worte dient und sich bewusst von der Vokalpolyphonie absetzt. Bevor die Musik in die allzu starren Formen geriet, wie sie in den Opern Georg Friedrich Händels zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu erleben sind, wurde mit der jungen Kunstform Oper in Italien experimentiert. Claudio Monteverdi hat sich heute als erster Name der Operngeschichte etabliert, sein Orfeo wur-

de 1607 in Mantua uraufgeführt. Francesco Cavallis La Calisto von 1651 ist ein weiterer, vor allem komischer Meilenstein in der frühen Operngeschichte. In Innsbruck wird der Name Pietro Antonio Cesti besonders hochgehalten, da er zwischen 1652 und 1665 als Kammerkapellmeister am Innsbrucker Hof wirkte und mit seinen Werken die Stadt zu einem bedeutenden Opernzentrum nördlich von Italien machte. Seine Opern sind heute kaum mehr zugänglich, der langjährige Künstlerische Leiter der Innsbrucker Festwochen, René Jacobs, nahm die 1656 in Innsbruck uraufgeführte Orontea auf CD auf – zu kaufen ist sie heute nicht mehr. Meine musikalische Reise begann deshalb mehrere Wochen vorher durch Bibliotheken und das Internet, wo ich Cesti zwischen Lexikonartikeln, erhaltenen Aufnahmen, Partituren, Büchern über die Innsbrucker Hofmusik und italienischen Symposionsbänden aufsuchte. Ein lokales Phänomen war Cesti keineswegs, der gebürtige Florentiner kam durch die geschickte Heirat von Erzherzog Ferdinand Karl mit Anna de’ Medici nach Tirol. Bereits dessen Vater Leopold V. profitierte von dieser einflussreichen kunstliebhabenden Familie, da er mit Annas Tante Claudia verheiratet war. Cestis erste beiden Opern wurden in Venedig uraufgeführt, eine davon 1658 in München nachgespielt, Orontea kam später auch in Florenz und Rom auf die Bühne. Nach dem Aussterben der Habsburger Linie in Tirol durch den plötzlichen Tod von Ferdinand Karls Nachfolger Erzherzog Sigismund Franz wurde Cesti an den Kaiserhof nach Wien gerufen, wo 1668 seine spektakulärste Oper Il pomo d’oro mit immensem Aufwand aufgeführt wurde. Es spricht also einiges dafür, einem in Innsbruck neu ins Leben gerufenen Gesangswettbewerb für Barockoper den Namen Pietro Antonio Cesti zu geben. Wer leidet am schönsten?, wäre meine völlig subjektive Frage bei einem solchen Wettbewerb. Gelegenheiten zur Beantwortung fanden sich allein im Finalkonzert reichlich. Die englische Sopranistin


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Mundi, Galway 2007


Ruby Hughes gab sich im wohl bekanntesten Largo aus der Feder Händels, Almirenas „Lascia ch’io pianga“ aus der Oper Rinaldo, ihren Tränen hin, die Spanierin Anna Alàs Jové verabschiedete sich als verstoßene Ottavia herzzerreißend aus ihrer Heimat mit dem stotternden „Addio Roma“ aus Monteverdis L’Incoronazione di Poppea, der slowakische Tenor Jurai Hollý litt ebenso wie sein ungarischer Kollege Dávid Szigetvári mit Pan, dessen Liebe zur Jagdgöttin Diana nicht erhört wird – nur eine der vielen augenzwinkernden Liebes-Leidensgeschichten in Cavallis La Calisto. „Man leidet nicht, weil die Liebe sinnlich ist und irdische Begier weckt; man leidet, weil sie sich noch nicht erfüllt hat oder weil sie in der Erfüllung nicht das hält, was sie verspricht“, schreibt der Soziologe Niklas Luhmann in Liebe als Passion über die barocke Lust am Leiden. Der Waldgott Pan zieht bei Cavalli alle Register, er ruft die „Götter der Wildnis, / Wächter und Genien / schweigender Wälder, / steinhafte Felsnymphen, / benetzte Baumnymphen“ an, sie mögen doch bitte ihr Haar hängen lassen und „düsteren Antlitzes“ an seinem eigenen Leichnam die Totenklage singen, denn diese „Natter“ Amor habe ihn Unseligen tödlich gebissen. Cavalli lässt in der spärlichen instrumentalen Begleitung, dem Generalbass, der die Worte noch besser zu Geltung bringen soll, die Musik in quälend langsamen Halbtonschritten nach unten schreiten gleich einer Träne, die über die Wange läuft. Aus La Calisto mussten alle Teilnehmer des Wettbewerbs etwas singen. Der Grund dafür war ganz einfach: Aus ihrem Kreis sollten Sänger für eine Neuproduktion von Cavallis Oper bei den Festwochen 2011 gefunden werden – praktisch für die Festspielleitung, aber vor allem Anreiz für die Teilnehmer, da Wettbewerbe viel zu oft lediglich gut für die Biographie und im besten Fall für das Bankkonto des Sängers sind. In Innsbruck wird diese Produktion unter dem Titel „Barockoper:jung“ als zusätzliches Opernprojekt in das Festspielprogramm aufgenommen werden. Außer dem Calisto-Pflichtstück hatten die Teilnehmer vier Arien oder Soloszenen von folgenden Komponisten vorzubereiten: Claudio Monteverdi, Pietro Antonio Cesti, Francesco Cavalli, Henry Purcell, Antonio Vivaldi, Georg Friedrich Händel. Wer ins Finale kam, musste neben Calisto sich aus einer vorab im Internet verfügbaren Liste ein weiteres Pflichtstück eines dieser

Komponisten aussuchen, das im Finalkonzert großzügig als frei gewähltes Stück angekündigt wurde. Diese Regeln erleichterten es der Jury natürlich, die Sänger zu vergleichen, waren aber auch notwendig für den reibungslosen Ablauf. Schließlich begleiteten mehrere Cembalisten die Teilnehmer in den Vorrunden, im Finale gar ein ganzes Ensemble, die abgesehen von der Verfügbarkeit des alten Notenmaterials die Stücke auch proben mussten. Subjektivität ist bei künstlerischen Wettbewerben trotz klarer Regeln dennoch ein entscheidender Faktor. Wie sollte es auch anders sein, nimmt doch jeder Mensch einen Künstler auf der Bühne anders wahr. Meine Frage nach dem schönsten Leiden spielt also durchaus eine Rolle. Der Vorsitzende der Jury, Sebastian F. Schwarz, der als Casting-Direktor am Theater an der Wien alltäglich Sänger beurteilt und auswählt, zählt daher auch eher subjektive Kriterien wie Stimmschönheit und die Fähigkeit, eine Persönlichkeit auf der Opernbühne zu verkörpern, zum Bewertungskatalog. Objektivierbare Kriterien gibt es natürlich, zu ihnen gehören Musikalität, Stimmvolumen und Intonation, die oft verbunden ist mit der Stimmtechnik, die ein Sänger gelernt hat. Hier wirft Schwarz den Gesangslehrern eklatante Fehler vor: „95 oder vielleicht sogar 98 Prozent aller Gesangslehrer wissen nicht, was sie sagen und haben leider häufig nur den eigenen Vorteil im Blick. Sie drängen auch junge Sänger auf den Markt, obwohl sie hören müssten, dass deren Talent leider nicht ausreicht.“ Er war selbst jahrelang als Sänger aktiv, bevor eine Krankheit seine Karriere beendete, und berichtet von einer Lehrerin, die ihm für eine bestimmte Phrase immer den Gedanken an grüne Bäume nahelegte: „Eiche, Kiefer, Tanne, Ulme …?“ – mehr als Ratlosigkeit vermochte dieser Ratschlag nicht zu erzeugen. Dieser Ratschlag hätte auch dem Tenor Jurai Hollý nicht viel genutzt, der Händels anderes berühmtes Largo „Ombra mai fu“ aus der Oper Serse in seinem Wettbewerb-Repertoire hatte, dessen Text einzig in den Worten „Nie gab es lieblicheren, liebenswerteren und entzückenderen Schatten eines Baumes“ besteht. Überhaupt Händel. Für die meisten Teilnehmer schien dieser Komponist der zugänglichste zur Barockoper zu sein, einige hatten gar nur Händel-Arien im Gepäck, abgesehen von der Cavalli-Pflichtnummer.


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Brandur Kaupma Ur, Mundi, Schuyler Maehl, Mary Nally, Galway 2007


Wer nicht gerade an einem Spezialinstitut wie der Schola Cantorum Basiliensis studiert oder studiert hat und mit der Musik des 17. Jahrhunderts vertraut wurde, hat in diesem jungen Alter wohl mit Händel die meiste Erfahrung gemacht. Der deutsche Komponist, der erst in Italien mit seinen Opern, dann in England mit seinen Oratorien Erfolge feierte, erlebte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Renaissance und hat sich in den letzten Jahrzehnten einen festen Platz im Opernrepertoire erobert. Mit Händel setzte auch an den Opernhäusern ein Bewusstsein für die historisch informierte Aufführungspraxis ein, wie sie zu Beginn der Bewegung nur Spezialensembles wie Nikolaus Harnoncourts Concentus musicus erforschten. Händels Musik mit einem normalen Opernorchester in historischem Bewusstsein aufzuführen war zudem leichter möglich, da sie weniger alte Sonderinstrumente erforderte als das Repertoire des 17. Jahrhunderts. Nicht zuletzt bietet Händel durch seine klaren Formen und die strenge Trennung von Rezitativ und Arie eine strukturelle Sicherheit, die bei den ausschließlich an den vertonten Worten orientierten früheren Opern nicht gegeben ist. Dort gehen ariose und rezitativische Abschnitte ineinander über. Diese Verbundenheit erschwerte es gerade bei La Calisto, einzelne Passagen für den Wettbewerb herauszulösen. Wahrscheinlich war es genau diese Mischung aus der vertrauten Welt Händels und der eher unbekannten Cavallis und Cestis, die zu meiner wiegenden Stimmung führte. Für meine Ohren wechselte die Stimmung dennoch ständig. Wer mit deutschsprachigen Orchestern vertraut ist, dessen Stimmung liegt bei 443 Hertz – einzigartig weltweit und dem lauteren und volleren Streicherklang dienlich, nicht immer zum Vorteil der Sänger. Mit dieser Schwingungszahl stimmen sich Orchester – angeführt vom Kammerton a der Oboe – vor einer Aufführung ein, obwohl die Stimmkonferenz 1939 in London 440 Hertz bei 20° als Standard-Frequenz festgelegt und von der Europäischen Union Bestätigung erfahren hat. Eine derartige Vereinheitlichung gab es bis ins 19. Jahrhundert nicht, die jeweilige Stimmung war von der Region, dem Ort und der Art der Musik abhängig. Als ich zum ersten Mal den Saal des Tiroler Landeskonservatoriums betrat, wo der Wettbewerb ausgetragen wurde, fand ich die beiden wahrscheinlich auf 443 Hertz

gestimmten Flügel abgedeckt in die Ecken der Bühne verbannt, in der Mitte standen zwei Cembali, die nicht nur unterschiedlich aussahen – alte Tasteninstrumente sind oft wahre Kunstwerke –, sondern auch unterschiedlich gestimmt waren: 415 Hertz für die Musik Purcells, Händels und Vivaldis, 440 Hertz für Cavalli, Monteverdi und Cesti. Also alles andere als wiegende Sicherheit und gefundene Mitte? Eher lustvolle Verwirrung des Bekannten? Für die französische Barockoper stimmen sich Ensembles gar auf 392 Hertz ein. Die weltbekannte Sängerin Waltraud Meier fordert generell eine tiefere Stimmung der Orchester, um den Möglichkeiten der Sänger besser gerecht zu werden. Die Teilnehmer des Wettbewerbs hatten sich der vorgegebenen Stimmung zu fügen, was für die Erarbeitung der Partien eine Herausforderung darstellte. Keiner der jungen Sänger, die zwischen 22 und 32 Jahren alt waren, wird zwei unterschiedlich gestimmte Cembali zuhause stehen haben. Viele behalfen sich mit digitalen Instrumenten, die einen schnellen Wechsel der Stimmung ermöglichen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das Finale erreiche!“, sagte Marie-Sophie Pollak, mit 22 Jahren die jüngste Teilnehmerin des Wettbewerbs. Einen großen Gewinn brachte ihr die intensive Arbeit mit Andrea Marchiol, dem Dirigenten des Finalkonzerts. Bevor sie am Abend und dem Vormittag davor mit dem Ensemble proben konnte, hatte sie eine halbe Stunde Zeit, um ihre beiden Finalstücke mit Marchiol, dem langjährigen Assistenten von René Jacobs, zu proben. „Diese Arbeit empfand ich durchaus als hart. Doch nachdem ich auf seine Vorschläge eingegangen bin, konnte ich mir gar keine andere Möglichkeit mehr vorstellen, eine bestimmte Stelle zu singen.“ In der Barockmusik fühlt sich die gebürtige Stuttgarterin sehr wohl, ihre Mutter ist Blockflötistin, sie selbst wirkte als Studentin der Hochschule für Musik und Theater München schon in mehreren Projekten der dortigen Abteilung für Alte Musik mit. Den Wettbewerb empfand sie auch deshalb als so angenehm, weil sich die Jury Zeit für Gespräche nahm und vor allem jederzeit Philip Brunnader zur Verfügung stand, der als Organisationsleiter nicht nur im November 2009 das Regelwerk des Wettbewerbs erstellt, die Anmeldung und Vorbereitung koordiniert hatte sowie die Homepage betreute, sondern auch während des Wettbewerbs mit bewundernswerter Ruhe für eine


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Mundi, Mary Nally, Sara Glaxia, Finnbogi ร รณr Erlendsson, Frikki, Brandur Kaupma Ur, Galway 2007


entspannte Atmosphäre sorgte. Der Jury verordnete er am Vormittag der Einzelproben einen Ausflug auf Schloss Ambras unweit von Innsbruck, wohin ich einen Vormittag später am einzig sonnigen Tag fuhr, um in die Welt von Erzherzog Ferdinand II., Ferdinand Karls Onkel, abzutauchen. Der Stadtbus hält am Fuße eines Berges, an den eine lautstarke Autobahn gebaut ist, die offensichtlich langfristig komplett in eine Röhre verlegt werden soll. Kein Schild zum Schloss, dafür ein unwirtlicher Weg durch die Baustelle. Am Ziel angelangt, ist der Lärm vergessen, der Wind hat wohl mitgeholfen. Vorbei an unzähligen Ritterrüstungen und Waffen, einer phantastisch kuriosen Wunderkammer, aus der ich am liebsten für sämtliche Verwandten und Freunde, vor allem aber für mich die passenden Souvenirs mitnehmen möchte, einer ermüdenden Anzahl von beeindruckenden Porträts gelange ich zur eigentlichen Sensation dieses Vormittags: die Sonderausstellung mit kolorierten Kupferstichen von der Hochzeit Erzherzogs Ferdinand II. mit seiner zweiten Gemahlin Anna Caterina Gonzaga von Mantua, die 1582 gefeiert wurde mit einer spektakulären Parade von Tänzern, Musikern, Gauklern und vor allem allegorischen und mythischen Figuren, in denen sich die Festgäste präsentierten. Der Bräutigam selbst trat in Gestalt des trojanischen Helden Aeneas auf. Weder Kosten noch Mühen wurden gescheut, um die Hochzeit des Herrschers zur opulenten Machtdemonstration zu machen. Selten wird einem so deutlich vor Augen geführt, wie die Kunst jahrhundertelang der Repräsentation diente. Noch einmal gehe ich an meinem vorläufigen Lieblingsgemälde vorbei, das Reichsgraf Gundakar von Dietrichstein zu Ross zeigt in seinem Kostüm zur Verkörperung der Erde im Rossballett Sieg-Streit dess Lufft und Wassers. Freuden Fest zu Pferd, das 1667 anlässlich der Vermählung Kaiser Leopolds I. mit der spanischen Infantin Maria Teresa gegeben wurde. Neben seiner Rolle hatte Gundakar auch die Gesamtleitung des Rossballetts inne, war sozusagen Regisseur. Ich frage mich, ob diese theatrale Form der Repräsentation heute noch möglich wäre, und stelle mir sämtliche Politiker in Kostümen vor. Natürlich ist die Freiheit der Kunst nicht hoch genug zu schätzen, doch die politische Repräsentation hat dadurch jede Kreativität verloren und ist zum Schaulaufen verkommen.

Welche abgedankte Politikerin bekommt heute schon eine Oper komponiert, wenn sie zum Katholizismus konvertiert? Christina von Schweden machte 1655 auf ihrer Reise nach Rom Station in Innsbruck und legte dort öffentlich das Glaubensbekenntnis ab. Die erste Oper, die Pietro Antonio Cesti für Innsbruck komponierte, wurde zu diesem Anlass im neuen erzfürstlichen Comedihaus direkt an der Hofburg uraufgeführt: L’Argia. Ein Jahr zuvor war der von Ferdinand Karl initiierte Theaterneubau als erstes Opernhaus im deutschsprachigen Raum mit der Überarbeitung von Cestis Oper Il Cesare amante unter dem Titel Cleopatra eröffnet worden. Das Theater war Ferdinand Karls Bühne der Politik, deshalb nannte ihn eine Ausstellung auf Schloss Ambras auch treffend „Sonnenkönig in Tirol“. Hatte Leopold V. die Hofkapelle bereits deutlich vergrößert und den monodischen Stil, den er in Italien kennengelernt hatte, als vorherrschenden in Innsbruck eingeführt, erlebten nach den Sparmaßnahmen während des Dreißigjährigen Krieges Musik, Theater und bildende Kunst unter Ferdinand Karl eine neue Blütezeit. Seine Vorliebe galt der Oper, die Anzahl der vorrangig italienischen Musiker in der sogenannten Cammer, dem Instrumentalensemble, wurde vergrößert und für Cesti der neue Posten des Kammerkapellmeisters geschaffen. Insofern irrt das Gedenkschild am Haus gegenüber des Domes, das Erzherzog Ferdinand Karl seinem Komponisten 1659 geschenkt hatte, dort heißt Cesti Hofkapellmeister, diesen Posten hatte aber seit 1648 Ambrosius Rainer inne. Ein neues Theater, opulente Feste, neu geschaffene Musikerstellen, Repräsentationsoper – als nächster Schritt folgte mit der Oper Orontea ein völlig freies Kunstwerk, das keinerlei repräsentativem Zweck diente und auf einem unterhaltsamen Theaterstück aus dem neapolitanischen Volkstheater beruht. Die Königin Orontea möchte der Liebe entsagen, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Natürlich gelingt ihr das nur so lange, bis der fremde Alidoro auftaucht, dessen Herkunft unbekannt ist. Nach allerlei Verwicklungen erliegt sie ihm, und als sich auch noch seine adelige Abstammung herausstellt, steht der Hochzeit nichts mehr im Weg. Anna Alàs Jové hatte die getragene Arie „Intorno all’idol mio“ im Gepäck, mit der Orontea ihren Geliebten in den Schlaf singt. Sie ruft die lieblichen Winde an, ihn zu umwehen und durch seine Träume


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Frikki, Galway 2007


das Geheimnis ihrer Liebe zu ihm zu tragen. Irgendwie leidet Orontea in dieser langsamen Arie auch an ihrer Liebe, noch weiß sie nicht, ob sich ihre Sehnsucht erfüllen wird. Ich brauche mich also nicht zu wundern, warum mich dieses Stück so bewegt. Die spanische Sängerin, 1980 geboren und ausgebildet in Catalunya, Karlsruhe und dem Opernstudio des Staatstheaters Nürnberg, sucht auf der Bühne sofort den Kontakt zum Publikum, was ihrer Ansicht nach nur über die Geschichte geht, die sie erzählt. „Lügen bringt nichts“, sagt sie, das spüre das Publikum sofort. Ich glaube es, ihre Authentizität auf der Bühne ist sofort spürbar, als sie im Semifinale Xerxes’ Arie „Crude furie“ aus Händels Oper singt. Als Mezzosopranistin singt sie häufig männliche Partien, die früher von Kastraten dargestellt worden sind, wodurch sie viel über die männlichen Gefühle gelernt habe. Der Cesti-Wettbewerb bedeute ihr viel, da es kaum vergleichbare gebe und die Barockoper ihr sehr am Herzen liege. „Die Stimme kann leicht sein, muss aber dennoch richtig im Körper platziert sein.“ Dieses Ideal überträgt sie auch auf späteres Repertoire, aus dem sie schon einige Rollen gesungen hat. Momentan fügt sie ihrer Ausbildung in Berlin einen Master in Liedgesang hinzu. Auch für die Britin Ruby Hughes ist der Liedgesang eine wichtige Komponente, um ihre Stimme zu veredeln. Zunächst als Cellistin ausgebildet, sammelte sie schon am College erste Erfahrung mit der Musik Monteverdis und Händels. 2009 gewann sie beim Händel Festival in London den ersten Preis sowie den Publikumspreis. Sie ist bereits bei einer Agentur unter Vertrag und nutzt den Wettbewerb vor allem, um Kontakte zu knüpfen. Sie teilt meine Vorliebe für Lamenti, die sie eine tiefe Verbindung mit dem Publikum eingehen lassen. Daher entschied sie sich für „Lascia ch’io pianga“ als zweites Stück im Finale. Die Möglichkeit, die Menschen kennenzulernen, „die den jungen Sängern das geben können, was sie am meisten brauchen, nämlich Berufspraxis“, war für Sebastian Schwarz ein wichtiges Anliegen, als er die Jury zusammenstellte. Deshalb befanden sich neben dem Künstlerischen Leiter der Festwochen, dem Dirigenten Alessandro de Marchi, und dem Countertenor Jochen Kowalski auch die Betriebsdirektorin der Norwegischen Nationaloper, Anne Gjevang, der Geschäftsführer der Eutiner Festspiele, Josef Hussek,

der lange Jahre als Betriebsdirektor bei den Salzburger Festspielen und an der Hamburgischen Staatsoper tätig war, sowie der Künstleragent Paolo Monacchi in der Jury. Ruby Hughes freute besonders, dass keine Gesangslehrer in der Jury saßen, da diese immer etwas zu mäkeln hätten. Die Britin ging im Finale leer aus. Die Russin Anna Gorbachyova belegte den ersten, Anna Alàs Jové den zweiten, Hanna Herfurtner den dritten Platz. Diese deutsche Sopranistin und der ungarische Tenor Dávid Szigetvári werden vom Sonderpreis profitieren, den das Wiener Festival Resonanzen in Form einer Auftrittsmöglichkeit vergab. Der Tenor schätzt diese Gelegenheit besonders, denn in seiner ungarischen Heimat werden schon für Mozart-Partien oft sehr voluminöse Stimmen besetzt, die er nicht besitzt. Der 26-jährige fühlt sich momentan mit dem barocken Repertoire am wohlsten, weil er damit seine Stimme nicht überanstrengt und sie in Ruhe wachsen lassen kann. Sein warmer, schlanker Klang prädestiniert ihn für Rollen wie den Evangelisten in Bachs Passionen. Während des Wettbewerbs hatte er auch schon seine nächste Rolle in Domenico Mazzocchis Oper La Catena d’Adone in Belgien vor Augen. Heute brauche es zwar auch aufgrund der größeren Theater, in denen Barockoper gespielt wird, eine voluminöse Stimme, sagt Sebastian Schwarz und ist froh, dass „das körperlose Gesäusel“ der achtziger Jahre nicht mehr als Ideal der barocken Stimme angesehen wird. Volumen sei aber lange nicht so wichtig wie bei Verdi oder Wagner, für das barocke Repertoire benötigten die Sänger eine Erfahrung mit der spezifischen Artikulationsweise und vor allem der Verzierungstechnik, die zwar erlernbar sei, wofür die Sänger jedoch ein besonderes Gespür entwickelt haben müssen. Es ist ein Gespür für die Feinheiten in der Musik, den unvermittelten Tonartwechsel, der uns erschauern lässt, das flüchtige Ornament. Und dieses Gespür brauchen auch wir Zuhörer, um das Gefühl mit dem Sänger zu durchleben. Vielleicht liebe ich einfach nur diese Konzentration.


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Boring Island, Skärgård Islands 2009


Hier die Fortsetzung der Serie „Gutachten“: In dieser Rubrik werden Vertreter einer oder verschiedener Berufsgruppen eingeladen, auf einer einzigen Heftseite kompakte Bestimmungen einer zeittypischen Erscheinung zu entwerfen.

Diesmal: Entblößung

Zeittypische Erscheinung: Multimediales Preisgeben von Intimität Reizwörter: Talente-Shows, kollektive Indiskretion, Fernseh-Nannys, „Tyrannei der Intimität“ (Sennett), TV-Schuldnerberatung, Narzissmus für alle!, „Extrem schön“ (RTL), Neue Peinlichkeit, Abnehmshows, YouTube, Live-Geburt … Aufgabenstellung: Es steht Ihnen eine Quartseite zur Verfügung – entblößen Sie sich! Vier Beiträge von Wendy & Jim, Paulus Hochgatterer, Friedrich Biedermann und Sigrid Hauser


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Wolfgang, Wien 2010


Wendy & Jim


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Ali mit Claudia Plank und Hans-Werner Poschauko, Damtschach 2007


Ich könnte ganz viele Freunde haben, aus aller Welt. Außerdem könnte ich längst ein reicher Mann sein. Behauptet Andrew. Ob Andrew wirklich so heißt, weiß ich nicht. Er meint, es tue nichts zur Sache. Andrew kam vor drei Jahren wegen des Verdachtes auf ein chronisches Erschöpfungssyndrom zu mir in die Praxis. Er war müde, konzentrationsschwach, schlaflos und hatte einen pochenden linksseitigen Kopfschmerz. Andrew ist inzwischen sicher, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Die einschießenden Panikzustände und die Tendenz, Menschenansammlungen zu meiden, seien ein untrügliches Zeichen. Er müsse nur noch auf das Ereignis stoßen, sagt er. Das Trauma, sagt er, – wir kriegen es! Haben Sie Freunde?, fragt Andrew. Ja, sage ich, – warum? Wie viele?, fragt er. Richtige Freunde? Ja, richtige. Zwei bis drei, sage ich, Klaus, der jederzeit für ein Spontanbier zu haben ist, Christian, mit dem ich ab und zu fischen gehe, und Michael, von dem ich mir vermutlich eher einbilde, dass er ein Freund ist. Das sind alle?, fragt er. Die richtigen? – Ja, das sind alle, sage ich. Wissen Sie, wie viele Freunde ich habe?, fragt er. Mehr als zwei, sage ich. Zweihundertsechzehn, sagt er, zumindest war das heute früh so. Heute früh?, frage ich. Ja, sagt er, er schaue einige Male pro Tag nach, und ein, zwei neue fänden sich praktisch immer. Täglich ein, zwei neue?, frage ich. Ja, sagt er, mit Hilfe der ganzen Truppe werde er auch das Trauma ans Tageslicht befördern, und dann werde es vorbei sein mit seinen Symptomen. Was ganz und gar nicht bedeute, dass er meine Kompetenz in Frage stelle! Ich glaube ihm. Am Abend schaue ich meine E-Post durch. „Son of Obama“ und „Ronja“ wollen meine Freunde sein. Ich will nicht und habe noch im Bett ein schlechtes Gewissen. Andrew strahlt. Er hat das Trauma gefunden. Er sei damals fünf Jahre alt gewesen, erzählt er, und im Grunde ein absolut kompetenter Knabe. Keiner habe gedacht gehabt, dass er verloren gehen könne, schon gar nicht am Nikolausabend. Dann sei er plötzlich mutterseelenallein mitten in der Stadt gestanden, ihm gegenüber ein riesiger Nikolaus mit Bart, Stab, roter Mütze und einem dieser typischen Nikolaussätze: Warst du auch brav, mein Kind? Das habe genügt: Er könne sich genau an das Ge-

fühl erinnern, wie es an seinen Beinen nach unten geronnen sei, oben noch warm, unten schon kühl, ringsherum all die Menschen, groß und fremd. Das sei das Trauma, ganz eindeutig, alle seien sich einig. Er bedanke sich auch herzlich für meine Mühe und Geduld. So etwas gelinge nur gemeinsam. Gemeinsam. Er betont jede Silbe. Ich finde eine mit „dringend“ gekennzeichnete EMail, in der mir mitgeteilt wird, das Forum für ganzheitliche Traumatherapie habe beschlossen, mich in die Liste der empfehlenswerten Therapeuten aufzunehmen. Ob mir das recht sei. Er wolle sich ja nicht einmischen, aber auf diese Weise brauche ich über die Frage, wie ich zu meinen Patienten komme, keine Sekunde mehr nachzudenken, sagt Andrew am nächsten Tag. Das Honorar könne ich übrigens auch hochfahren, moderat, aber doch, das Forum habe den Vergleich. Ich muss mir vorstellen, wie er zweihundertsechzehn Freunden von dem Gefühl erzählt, wie es die Beine hinabrinnt, oben noch warm und unten schon kühl. Ich spreche mit ihm über seine wunderbare Heilung. Das Forum für ganzheitliche Traumatherapie macht mich dringend darauf aufmerksam, dass man mich vor zwei Tagen von meiner Aufnahme in die Liste der empfehlenswerten Therapeuten unterrichtet habe. Ich muss etwas ändern. Die Umstände verlangen es. In der Ausbildung liegst du viermal die Woche auf der Couch, entblößt den Mörder, den Hosenluller oder einfach das Alltagsarschloch in dir und merkst nicht, dass du es am Ende nur noch tust, weil dir fad ist. Die Verwechslung der Rekonstruktion deines Gewordenseins und der Konstruktion von Identität passiert unbemerkt. Du erzählst Geschichten und hältst sie für deine Geschichte, alles, um die Leere in dir zu füllen und ein wenig Aufmerksamkeit zu kriegen. Wenn dir das gelungen ist, drehst du den Spieß um. Du rechnest nicht damit, dass plötzlich alle das Gleiche tun. Du rechnest nicht mit der Truppe aus dem Forum. Du rechnest nicht mit Andrew. Ich arbeite jetzt vorwiegend mit Mutisten. Die Umstellung ist mir nicht schwer gefallen. Ich habe Gelegenheit, mir verschiedene Dinge zu überlegen. Zum Beispiel, dass Michael tatsächlich kein Freund ist. Was die Patienten währenddessen denken, interessiert mich nicht. Seltsamerweise fühle ich mich gut dabei. Wir sitzen einfach da und erzählen einander nichts.

Paulus Hochgatterer


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gelitin, Wien 2010, Foto: Rita Nowak


Andy McLuhan / Marshall Warhol – CrossWord 01. 02. 03. 04. 05. 06. 07. 08. 09. 10.

Fernsehen ist kalt/warm und … Der Star generiert die … Lieblingsfrucht … Wieviele Minuten ein Star … Du hast dich völlig … benommen YOU … Liebe und … Mit Hilfe des Mediums in die Zukunft sehen … Stromkreis / 3,14159265 … Lieblingsfarbe …

Lösung auf Seite 130

Friedrich Biedermann


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Reflexion in Erinnerung: Blick in den Korridor von Dani Karavan für Walter Benjamin in Portbou (Foto: Sigrid Hauser)

Denkmäler haben ursprünglich die Weltgeschichte und ihre Protagonisten zu glorifizieren, nach wie vor stehen sie jederzeit geduldig für politische Repräsentation bereit. Als tag- und nachttaugliche Motive bedienen sie aber auch die Erlebnisgesellschaft mit werbewirksamer Umwegrentabilität. Da ist das Denkmal auf fotografischen Schnappschüssen und filmischen Aufnahmen der attraktive Hintergrund für die Selbstinszenierung der geschäftigen Touristenschar. Das globale Netz wird grenzenlose Bühne, und das jeweilige Forum beteiligt seine Community an Interpretation und Kritik. Multimediales Preisgeben von Intimität, als Eigenwerbung eindeutig identifizierbar, wird zum Streitfall für die Theorie, denn schon die Frage nach der näheren Bezeichnung einer solchen zeittypischen Erscheinung drängt sich auf: Ist es freiwillige Selbsterniedrigung oder aber Narzissmus für alle? Auch Denkmäler zur Erinnerung an Mord und Vernichtung werden nicht verschont und sind als Schauplätze von Geschmacksverirrung und Sprachverwirrung beliebt. Be part of the memorial! Das Motto wird gern wörtlich genommen und die Geisteshaltung fotografisch und filmisch der Netzgemeinschaft aufgeladen. Was die jeweilige Denkmal-Architektur nicht nur zulässt, sondern herausfordert, nämlich die Beteiligung der Besucherinnen und Besucher an dem Erinnerungsprozess, reduziert sich im Upload auf die Enthüllung eines vielzitierten Zeitgeists – entblößen Sie sich! Nebenwirkungen sind möglich, Gewöhnungseffekte können sich einstellen, vor Langzeitfolgen wird gewarnt. Das Internet vergisst nicht – die Experten raten, regelmäßig nach dem eigenen Namen zu googeln. Die Müllberge von ausgelöffelten Konserven, mit denen sich die Gesellschaft hat abspeisen lassen, verhindern den Ausblick auf eine künftige kulturelle Landschaft. We are so fucking freaky! Die Kommentare und ihre Reizwörter beweisen rege Anteilnahme und demonstrieren das breite Spektrum zwischen Zustimmung und Ablehnung. Dani Karavans Korridor für Walter Benjamin in Portbou macht zwischen zwei Corten-Stahlwänden und über 88 Stufen abwärts in einem teils gedeckten, teils nach oben hin offenen Schacht den Blick und den Weg in die Tiefe der Erinnerung des Weltgeschehens frei von selbstgefälligen Auftritten und egozentrischen Angebereien – vermeintlich. Walter, levantate y anda – schreit der eine in die Gedenkstätte hinein und aus dem YouTube heraus. What is this guy, an idiot – schreibt der andere seine Meinung zu diesem Thema. Der Gang hinunter in die Vergangenheit verhindert nicht neue Peinlichkeit und kollektive Indiskretion auf dem Videoportal. Karavans Ausblick auf ein Dort reflektiert aber die Hintertür des Hier, indem die Einstiegsöffnung sich im glasgerahmten Meereswasser spiegelt. Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. So wird Walter Benjamin auf einer Tafel an seiner letzten Ruhestätte zitiert. Am 26. September 2010 jährte sich zum siebzigsten Mal sein Freitod, der letzte Ausweg, nachdem er vor den Nazis auf dem Weg über das Gebirge in das spanische Portbou geflüchtet und dort wieder zurückgewiesen worden war. Zum Andenken an sein Schicksal und das von vielen anderen wurde 1994 die aus mehreren Stationen bestehende Denkmalanlage des 1930 geborenen, in Tel Aviv und Paris lebenden Künstlers Dani Karavan eröffnet.

Sigrid Hauser


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Stephan Huber Originalbeilage Nr. 16

Myspace: Mentalstammbaummap


Des Weiteren empfehlen wir unter anderem: Leandro Tomás Pastor: Pizarro o La Conquista del Perú BiblioBazaar, ISBN: 978-0554075518 Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Leopard Piper, ISBN: 978-3492203203 Raymond Chandler: Das hohe Fenster Diogenes, ISBN: 978-3257202083 Fjodor M. Dostojewskij: Der Idiot dtv, ISBN: 978-3423124072 Gabriel García Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit Fischer Taschenbuch, ISBN: 978-3596162505 Alexandre Dumas: Der Graf von Monte Christo Aufbau Taschenbuch, ISBN: 978-3746661254 Claude Lévi-Strauss: Traurige Tropen Suhrkamp, ISBN: 978-3518278406 Charles Darwin: Die Fahrt der Beagle Fischer Taschenbuch, ISBN: 978-3596175895 Vladimir Sorokin: Norma DuMont, ISBN: 978-3770144822 Thomas Pynchon: Gegen den Tag rororo, ISBN: 978-3499246098 Vladimir Nabokov: Lolita Rowohlt, ISBN: 978-3499106354 Georges Simenon: Die Schwarze von Panama Diogenes, ISBN: 978-3257214246 Gelatin: ACB Walther König, ISBN: 978-3865604101 David Foster Wallace: Unendlicher Spaß Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3462041125

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Wenns träumen

Die Ortsbücherei als Traumfabrik: Wolfgang Hermann nähert sich dem Pitztaler Dorf Wenns anhand einer Liste der in den 18 vergangenen Monaten am öftesten dort ausgeliehenen Bücher. Und erzählt bei der Betrachtung des landläufigen Leseverhaltens vom Erzählen. Nicht durch Wenns streifen und in die Gassen hineinschnuppern, niemanden in Wenns befragen, sondern vom Schreibtisch aus den Text Wenns lesen, mit Hilfe einer Liste der häufigsten Ausleihungen in der Bibliothek während der letzten eineinhalb Jahre. Einen Text mit Hilfe eines anderen lesen. Der erste Text ist ein Dorf im Pitztal, der andere eine Liste der bei den Lesern dieses Dorfes beliebtesten Romane. Ich bin kein Semiotiker, ich versuche mich nicht an einer strukturalen Analyse. Ich träume von meinem Schreibtisch aus einen Text namens Wenns. Wohin träumen sich die Leser von Wenns? Einen Roman lesen bedeutet, den eigenen inneren Traum, die Folge von Bildern und Sätzen, die durch uns hindurchzieht, den eigenen Traum eine Zeitlang von einer Erzählung führen zu lassen. Sehnsucht nach der Erzählung, urälteste Sehnsucht. Erzähl mir was! Setz dich zu uns ans Feuer und erzähl! Erzähl vom Wildschütz Jaggl, der sich dem Teufel verschrieb, um sich selbst kugelfest zu machen und alles Wild vor seine Flinte zu bekommen. Als Bedingung habe der Höllenfürst verlangt, er müsse in dem Augenblick, in dem der Priester an einem hohen Festtage in der Wallfahrtskirche zu Kaltenbrunn den Kelch zur Wandlung erhebe, einem Christuskörper an einem Feldkreuz in den Kauner Feldern in die Seitenwunde schießen. Jaggl tat es. Tatsächlich sei dem Kruzifix Blut aus der Seitenwunde geronnen; aus Jaggls Haus sei im selben Augenblick eine Feuerflamme herausgeschossen. (Beatrix und Egon Pinzer: Pitztal, Innsbruck 2000) Erzählen und träumen. Heute: Das in Wenns am häufigsten entlehnte Buch der letzten 18 Monate: Dan Brown, Das verlorene Symbol. Ein weiteres Mal muss der Symbologe Robert Langdon die Welt retten. Diesmal ist es die abgetrennte und mit rätselhaften Zeichen tätowierte Hand seines Freundes Peter So-

lomon, die im Washingtoner Kapitol auf ein Gemälde des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington zeigt. Washington war nicht nur Präsident, er war auch Freimaurer – und Langdon ist eigentlich nach Washington D. C. gekommen, um über diesen Geheimbund und seine Bedeutung für die heutige USA einen Vortrag zu halten. Am Zusammenspiel dieser mysteriös verbundenen Fakten entzündet sich der Plot. Ein Handy-Anruf macht Langdon gleich mit seinem Gegner bekannt: Es ist ein schrecklich tätowierter Mann, der sich Mal’akh, „Engel“, nennt. Er hat den verstümmelten Solomon, ebenfalls ein Freimaurer, in seiner Gewalt. Und er will, dass Langdon ihm beim Entschlüsseln des letzten großen Geheimnisses der Freimaurer hilft. Zwölf Stunden bleiben Browns Helden, um eine Katastrophe zu verhindern, „von der sich das Land nicht mehr erholen wird“ – zwölf Stunden, in denen er durch Washington zieht, um eine Pyramide zu finden, die Aufschluss über alles gibt: verfolgt nicht nur von der verrinnenden Zeit und einer von Mal’akh gezogenen Spur mörderischer Gewalt, sondern auch von der CIA-Agentin Sato, von der zunächst unklar bleibt, auf welcher Seite sie eigentlich steht. (Quelle: Amazon) Hinausträumen also ins ferne Washington, in eine Engführung – eine Heldenreise in die Tiefen einer Verschwörung. Im realen Wenns gab es einen Turm, wo „allwegen ein offenes Türl Tag und Nacht“ zu finden war, damit ein Verfolgter „drei Tage darin Freiung“ hatte und ohne Gefahr an Leib und Leben die Ankunft des Richters abwarten konnte. Wenns ist nicht Washington, aber der Zufluchtsturm hätte bestimmt Geschichten zu erzählen, die es mit Dan Browns Verschwörungsräuberpistolen aufnehmen könnten. Der Turm wurde aber


Charles Bukowski: Der Mann mit der Ledertasche Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3462034301 Hunter S. Thompson: Hell’s Angels Heyne, ISBN: 978-3453620056 Louis-Ferdinand Céline: Reise ans Ende der Nacht rororo, ISBN: 978-3499236587 Jorge Amado: Viva Teresa Piper, ISBN: 978-3492220989 Euclides da Cunha: Krieg im Sertão Suhrkamp, ISBN: 978-3518406588 Marquis de Sade: Justine oder Die Leiden der Tugend Insel, ISBN: 978-3458329572 Ford Madox Ford: Manche tun es nicht Fischer, ISBN: 978-3596166176 Italo Svevo: Zeno Cosini rororo, ISBN: 978-3499134852 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften Rowohlt, ISBN: 978-3498092856 James Joyce: Ulysses Suhrkamp, ISBN: 978-3518458167 Kenneth Goldsmith: I’ll Be Your Mirror. The Selected Andy Warhol Interviews Carroll & Graf, ISBN: 978-0786713646 John Kennedy Toole: Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten dtv, ISBN: 978-3423209069 Thomas Bernhard: Alte Meister Suhrkamp, ISBN: 978-3518380536 Joseph Heller: Catch 22 Fischer, ISBN: 978-3596125722 Kurt Vonnegut: Slaughterhouse – Five Dell, ISBN: 978-0440180296 66/67


in den 1970er Jahren aus seiner Erzählung gerissen, an seine Stelle kam ein Neubau, das gotische Kellergeschoß wurde zu einer Totenhalle umgebaut. Auch das „Platzhaus“ von Wenns träumt. Seine Träume sind noch heute sichtbar als Fresken der Unterweisung und Abschreckung, denn es diente als Gerichtsgebäude, bevor es zum Gasthof wurde. Auf der Fassade werden Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben, ein Bär jagt ein Eichhörnchen, Traumdarstellung der Gewalt, gegen die es mutig aufzustehen gilt. Darstellung des Salomonischen Urteils, möge der Dorfvogt klug und weise richten. Drei Bilder aus der Geschichte von Judith und Holofernes sprechen vom Tod des ungerechten Mächtigen durch ein gerechtes Weib. Weiters träumt das Platzhaus vom reichen Prasser, der in den Rachen Satans stürzt, und vom armen Lazarus, der in den Schoß Abrahams aufgenommen wird. Der heilige Christophorus schreitet mit dem Christkind durch einen wilden Fluss. Der heilige Georg befreit eine Jungfrau, Traum aller Ritter. Die Fresken am Platzhaus träumen seit 1576 ihren Bildertraum, und jeder, der hier durch die Jahrhunderte vorbeiging, träumte mit ihnen. Nach Dan Brown träumen sich die Leser von Wenns am liebsten in Die unsichtbaren Stimmen von Carolina de Robertis nach Südamerika: Alles beginnt mit einem Wunder: Aus einem Baum, aus schwindelnder Höhe, fällt ein Mädchen. Man nennt sie Pajarita, kleiner Vogel. Aus einem verschlafenen Nest am Río Negro verschlägt es Pajarita nach Montevideo, wo sie ganz allein vier Kinder großzieht. Ihre Tochter Eva geht nach Argentinien, lebt als Dichterin in den Kreisen der Bohème von Buenos Aires und findet ihre große Liebe. Evas Tochter Salomé schließt sich den Rebellen im Kampf gegen die Militärdiktatur in Uruguay an und verschwindet für viele Jahre hinter Gefängnismauern. Carolina De Robertis erzählt die Geschichte dreier Generationen von Frauen in Montevideo. Drei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Drei Frauen mit einem unbändigen Drang zu einem selbstbestimmten Leben – gegen alle Widerstände.

Drei Frauen, die für die Geschichte Südamerikas im 20. Jahrhundert stehen. (Quelle: Amazon) Carolina de Robertis lebt in Kalifornien, ihre Wurzeln liegen in Uruguay, zu denen sie sich zurückträumt, vielleicht weil nichts als der Traum bleibt, um alte Wunden zu heilen, um Menschen, die unter die Räder der Geschichte kamen, später träumend Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Schreiben, um gemeinsam mit vielen anderen den Traum von einem anderen Leben zu träumen. Erzählen, doch nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern in der Abgeschiedenheit eines stillen Zimmers am Gespinst einer Erzählung weben, deren Gewebe mit Hilfe der Worte eines Übersetzers Leser auf einem anderen Kontinent, in einem Bergdorf namens Wenns in sich aufnehmen und jeder einzelne Leser für sich seinen eigenen Traum daraus weben wird. Feuerwerke aus Träumen, Karawanen innerer Bilder, von Leser zu Leser weitergegeben, wobei jeder sein eigenes Buch träumt, seinen eigenen Traum in sich webt. Cecilia Ahern, Ich hab dich im Gefühl: Joyce überlebt nur knapp einen Unfall – und weiß, dass sie ab jetzt ganz anders leben will. Doch irgendetwas ist seltsam: Sie kann auf einmal fremde Sprachen und erinnert sich an Dinge, die sie gar nicht erlebt hat. Justin ist als Gastdozent in Dublin. Er ist einsam, würde das aber nie zugeben. Als er eine junge Frau trifft, die ihm ungewöhnlich bekannt vorkommt, ist er verwirrt – er kommt einfach nicht drauf, woher er sie kennen könnte. (Quelle: Amazon) Eine Liebesgeschichte mit Verzögerungseffekt. Denn natürlich können Joyce und Justin nicht schon bei ihrer ersten Begegnung in einem Friseurladen ein Paar werden. Sie haben beide das Gefühl einander zu kennen, dabei kann das nicht sein. Oder doch? Betonung auf Gefühl. Darum geht es: Gefühle. Man darf die ganze Tonleiter der Gefühle durchleben, ohne vom Sofa aufstehen zu müssen. Wenn das Herz zu schnell rast, macht man einen Spaziergang, geht einkaufen, ersetzt eine schadhafte Glühbirne, ist ein zuverlässiger Familienmensch, ehe man sich wieder wegträumt in diese Liebesgeschichte, über der bestimmt mancher Fingernagel abgenagt wurde.


Nikos Kazantzakis: Alexis Sorbas Piper, ISBN: 978-3492232937 Jack Kerouac: On the Road Rowohlt, ISBN: 978-3498035501 Franz Kafka: Amerika Suhrkamp, ISBN: 978-3518458938 Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin dtv, ISBN: 978-3423134682 Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels rororo, ISBN: 978-3499134760 Franz West. We’ll Not Carry Coals Walter König, ISBN: 978-3883757261 Gefragt und gesagt. Schriften und Interviews von Lawrence Weiner 1968–2003 Hatje Cantz, ISBN: 978-3775791939 Dan Graham: Interviews Hatja Cantz, ISBN: 978-3893223183 Andrea Fraser Dumont, ISBN: 978-3832173555 Martin Kippenberger: Wie es wirklich war – Am Beispiel: Lyrik und Prosa Suhrkamp, ISBN: 978-3518124864 Kasimir Malewitsch: Die gegenstandslose Welt Gebr. Mann, ISBN: 978-3786114758 Thomas Kellein: George Maciunas. Der Traum vom Fluxus Walther König, ISBN: 978-3865602282 Lautréamont: Die Gesänge des Maldoror rororo, ISBN: 978-3499235474 Hermann Broch: Der Tod des Vergil Suhrkamp, ISBN: 978-3518388662 Marcel Proust: Unterwegs zu Swann Suhrkamp, ISBN: 978-3518456415 68/69


Das Problem mit Geschichten wie dieser: Sie sind zu langsam. Sie walzen einen Weg aus, den wir träumend in einem Augenblick dahinpfeilen. Und schon sind wir woanders. Das Buch aber gibt uns einen anderen Schritt vor, es ist der Schritt eines Menschen, der monatelang am Schreibtisch sitzt und an einer Erzählung baut, die wir vielleicht lieber ganz anders, alleine weiterträumen würden. Vielleicht genügt uns schon der Titel Ich hab dich im Gefühl. Jeder, der diesen Titel hört, erzählt sich selbst in einem einzigen Augenblick eine andere Geschichte. Jeder findet darin seine eigene Erzählung. Vielleicht. Manchem mag der Titel gar nichts sagen. Das Wort Gefühl mag einen jungen, geistig ambitionierten Menschen abschrecken. Kitschverdacht, läutet es bei ihm. Ein Mensch, der viel Zeit beim Träumen aus dem Küchenfenster verbringt, mag durch diesen Titel elektrisiert sein und unmittelbar mit dem Schiff dieses Satzes in See stechen. Irgendwo schreibt Huxley, das Problem mit der Literatur wäre, dass sie immer Sinn ergebe, das Leben hingegen ergebe niemals Sinn. Eben deshalb, könnte ein Leser einwenden, lese ich, um mich von der Ungereimtheit des Lebens hinzuträumen in ein Land des Sinns, in eine Geschichte, in der nichts zufällig geschieht, in der Joyce und Justin einander nach vielen Entbehrungen endlich finden. Von diesem Buch weiß ich, dass sie sich finden, dieses Buch garantiert mir Sinn und schöne Gefühle, und deshalb lese ich es. Niemand möchte im Fernsehen sehen, wie der Alltag wirklich abläuft. Dieses Programm habe ich 24 Stunden zu Hause, das genügt mir. Lieber Leser, lieber Zuseher, ich gebe dir recht: Du hast ein Anrecht auf eine Erzählung, die Sinn ergibt und in der Joyce und Justin sich am Ende finden. Die Erzählung ist ein feines Gespinst von Fäden, an denen sich innere Bilder aufreihen. Es gibt so viele Arten zu erzählen wie Erzähler. Es gibt die handfesten unter ihnen, die ohne Umwege auf die Sache losgehen, d.h. sie verhandeln von allem Anfang an eine Sache. Andere suchen erzählend und abwägend und suchend und Objekte verstellend nach der hinter

all dem verborgenen Geschichte. Andere hören hinaus und hinein in den Tag und spüren im Lauschen dem Atmen der Welt nach, dem Wind, der in der Abenddämmerung aus dem Nichts von den Hügeln herabweht. Sie lauschen den einfachen Dingen dieser Welt so fasziniert, dass sie darüber ganz vergessen, zur Sache zu kommen, mehr noch, für sie strahlen die einfachen Dinge in einem so rätselhaften morgendämmerischen Licht, dass sie sie so lange staunend umkreisen, bis die einfachen Dinge zeigen, wie geheimnisvoll sie sind. Eine solche Erzählung kann sich im Lichtwurf auf der Wange eines schlafenden Kindes verlieren und ganz darüber vergessen zu erzählen, dass das Kind an diesem Morgen verschlafen hat und längst hätte in der Schule sein müssen. Eine solche Erzählung erfreut sich mit ganzer Hingabe an der Schönheit des schlafenden Kindes und vergisst über ihr die Welt? Nein, eine solche Erzählung zeigt, dass der Lichtwurf auf der Wange des schlafenden Kindes eben die Welt ist, jetzt, in diesem fortdauernden Augenblick. Freilich geschieht dieser Schlaf in einem bestimmten Zimmer an einem bestimmten Morgen, während Mutter oder Vater vergessen, das Kind zu wecken, so im günstigsten Fall. Im weniger günstigen Fall geschieht der schöne Lichtwurf auf der Wange des Kindes während drüben im Elternschlafzimmer ein Zerwürfnis stattfindet, während bittere Worte fallen, oder – doch damit würde die Erzählung einen Schritt ins Reich der Toten machen – während drüben im Elternschlafzimmer zwei Körper langsam und stetig auskühlen, da sie beide an jeweils verschiedenen Stellen von einer Kugel durchbohrt wurden. Und schon wäre das schöne Licht auf der Wange des Kindes gebrochen, nähme eine andere Bedeutung an. Hier die Schönheit, dort der Tod. Die Schönheit umso schöner, weil zerbrechlicher angesichts des Todes im Nebenzimmer. So träumte sich ein gerichteter Traum. Cecilia Ahern, Zeit deines Lebens: Lou Suffern hat irgendwann aufgehört, das Leben zu spüren. Er, der ständig Angst hat vor einem Riss, vor irgendeinem winzigen Fehler in seinem Karrieremanagement. Gabriel, kurz Gabe genannt und wahr-


Gilles Deleuze: Coldness and Cruelty Mit Press, ISBN: 978-0942299557 Leopold von Sacher-Masoch: Venus im Pelz Directmedia Publishing, ISBN: 978-3866404069 Marquis de Sade: Philosophie im Boudoir Anaconda, ISBN: 978-3866474802 Karl Holmquist: Whats My Name? Book Works, ISBN: 978-1906012182 William S. Burroughs: The Place of Dead Roads Picador, ISBN: 978-0312278656 William S. Burroughs: Cities of the Red Night Picador, ISBN: 978-0312278465 John Cage: Silence Suhrkamp, ISBN: 978-3518221938 Gertrude Stein: Zarte Knรถpfe Suhrkamp, ISBN: 978-3518222157 Joseph Conrad: Herz der Finsternis Anaconda, ISBN: 978-3938484791

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lich eine engelsgleiche Erscheinung im Bettlergewand, schneit plötzlich in Lous Leben und scheint mit überirdischer Geduld und wundersamen Gaben Lous Schicksal in die Hand zu nehmen. Dessen Leben wird dabei auf den Kopf gestellt. (Quelle: Amazon) „Dieses Buch ist für jedermann etwas, der an das Schicksal, an die Engel und an die Liebe glaubt. Eine tiefgründige Geschichte, die dazu bewegt selbst darüber nachzudenken, die ‚Zeit deines Lebens‘ nicht zu verschwenden, sondern sie mit den Menschen, die man liebt, zu teilen.“ Das schreibt eine Leserin aus Frankfurt am Main, die ihren Lesetraum gerne mit anderen teilen möchte. Überhaupt möchten Leser gerne ihren Traum, den sie mit Hilfe eines Buches träumen, mit einem anderen Leser teilen. Die wirklichen Träume geschehen unvorhersehbar und ungerichtet, auch die Augenblicksträume durchs Küchenfenster. Ein Prinz auf einem weißen Pferd im Morgennebel, der mir die Hand reicht und mich aufs Pferd hebt, so leicht, als wärs ein Traum. Doch während er mich zu sich aufs Pferd zieht, fällt mir ein, dass ich vor zwölf noch einmal schnell hinüber in den Supermarkt muss. Und irgendwas war da noch. Ein Anruf, ich habe noch nicht bei der Autowerkstatt angerufen. Ich habs aber dem Helmut versprochen. Also rufe ich noch schnell an. Und dann hinüber in den Supermarkt. Noch einen Augenblick möchte ich aber beim Prinzen bleiben. Im Augenblick, als alles so leicht wird. So fein wie Seide irgendwie. Das Pferd so warm an der Innenseite meiner Schenkel. Und was für ein seltsames Licht. Alles wird so langsam, als fließe eins ins andere über. So hell und langsam. Wie er mich angestrahlt hat, mein Prinz. Alles so langsam. So sanft. Auch das Pferd galoppiert so sanft. Als würden wir den Boden gar nicht berühren. Hinauf ins Licht. Ein Wind auf meiner Haut, der ganz von selbst atmet. Alles geht auf. Ich bin da, und es ist alles gut. Seit wann weiß ich es? Seit wann gibt es nicht. Alles ist immer, und immer ist jetzt. Ich hätte noch irgendetwas tun sollen, aber es ist schon getan. Weil alles immer schon getan ist. Weil es gewesen sein wird, im Jetzt. Tu nicht so kompliziert. Wir reiten in den Morgennebel. Es ist alles gut.

Währenddessen träumen sich andere Leser aus Wenns anderswohin: Toril Brekke, Elises Traum: Norwegen, 1812. Nach Jahren in englischer Gefangenschaft kehrt der junge Håvard nach Norwegen zurück, doch erst als er der Dienstmagd Elise begegnet und sich bedingungslos in sie verliebt, findet er wieder Halt. Elise fristet zusammen mit ihrem unberechenbaren kranken Bruder Ansgar ein geduldetes Dasein bei hartherzigen Verwandten. Als Håvard um ihre Hand anhält und sich Ansgars Vertrauen verdient, wagen sie den Neuanfang. Mit dem nächsten Schiff wollen sie nach Amerika auswandern und die Vergangenheit hinter sich lassen. Schon bald ist der Tag der Abreise da: Elise und Ansgar stehen erwartungsvoll an der Reling und warten auf Håvard. Doch das Schiff legt ohne ihn ab, und Elise kann es nicht glauben, dass sie diese ungewisse Reise ohne ihren Ehemann antreten muss. Jahre der Hoffnung werden vergehen, bevor sich ihre Wege wieder kreuzen. (Quelle: Amazon) Kann ich mich auf den Traum verlassen, den ich lesend träume? Vielleicht führt mich die Erzählung bei jeder Abzweigung in die falsche Richtung. Vielleicht macht mich die Erzählung unfrei, nimmt mir meine eigenen inneren Bilder weg. Dann steige ich aus und träume alleine weiter. Aber bald merke ich, dass ich lieber in der Erzählung aus dem alten Norwegen bleibe als hinüberzudenken in den Supermarkt, wo ich noch Spülmittel besorgen muss. Und in der Autowerkstatt anrufen, dringend. Hast du nichts Besseres zu tun als zu lesen, hieß es bei uns auf dem Land. Dir muss man Arbeit anschaffen, weil wenn du Zeit hast zum Bücherlesen, das ist kein gutes Zeichen. Beim Bücherlesen kommen einem allerhand Flausen in den Kopf. Den Frauen natürlich, weil Männer lesen ja nicht. Zumindest kein solches Romanzeug. Das ist was für überspannte junge Frauen. Zumindest war es früher so. Wie lange früher? Lange, lange früher. Und heute? Heute geht das Küchenfenster hinaus auf die Welt.


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Haikus aus Farbe Zu Manfred Alois Mayrs „Anonymen Farbanstrichen“. Von Stephan Hilpold Eine kleine Mulde, wie es sie auf Almen häufig gibt. Am Rande liegen Gesteinsbrocken, die mit Flechten und Moos bewachsen sind. Wanderer würden an der Mulde wahrscheinlich achtlos vorübergehen und kaum bemerken, welchen Kontrast sie in der öden Berglandschaft darstellt. Das Gras, das in ihr wächst, leuchtet nämlich saftig grün. Zeigt Manfred Alois Mayr auf Fotos wie jenes von der eben beschriebenen Mulde, dann versiegt sein Redeschwall. „Schauen Sie sich das an“, sagt er, „ist das nicht ein Wahnsinn?“ Erst wenn man ihn bittet, den Anlass seiner Begeisterung etwas näher zu erklären, bemerkt man das Farbspiel auf dem Foto von der Almmulde: Almwiesengrün an MarmorisiertBraun. Manfred Alois Mayr ist ein Farbbesessener. Seit über 35 Jahren betreibt der 1952 in Südtirol geborene Künstler eine Art Schule des Sehens. Seit Mitte der 70er Jahre dokumentiert Mayr mit seiner Kamera die Farbspiele, die ihm unterkommen. Über die Jahre hat sich eine Materialsammlung angehäuft, die ihresgleichen sucht: Farbflächen, Farbräume, Farbkörper, Farbgeschichten, Farbentwicklungen. „Anonyme Farbanstriche“ hat er seine Sammlung genannt, eine Bezeichnung, die ganz gut beschreibt, worum es Mayr geht. Um die fehlende Autorschaft, die Prozesshaftigkeit und die Nachbarschaften, die entstehen. Aber der Reihe nach. Schließlich ist auch Manfred Alois Mayr niemand, der etwas überstürzen würde. Er ist ein Beobachter. Er arrangiert nicht und er greift nicht ein. Seine Fotos sieht er deswegen auch nicht als „künstlerische Werke“. Der vom Geniebegriff beeinflusste Autorgedanke ist ihm fremd. „Wer die Farbkontraste oder Farbräume geschaffen hat, ist mir egal. Ob das Bauarbeiter waren oder die Natur, das macht keinen Unterschied.“ Seine Farbdokumente sind für ihn Material. An Zettelkästen mag man denken, wie sie auch manche Dichter oder Wissenschaftler anlegen. Bei Arno Schmidt oder Niklas Luhmann sind daraus ganze Werke entstanden. Doch das ist nicht die Regel. Für Mayr ist seine Sammlung Inspiration. Eine Vorarbeit für seine künstlerischen Interventionen, die er in Schulen, Weinkellern oder Einfamilienhäusern

betreibt. Eine Art Praxis des Sehens, der er, wie er sagt, ausgeliefert ist. „Schauen Sie sich zum Beispiel dieses Foto an!“ Die Aufnahme einer Hauswand ist zu sehen, von der bereits der Putz bröckelt. Auf halber Höhe hat jemand drei Fenster aufgemalt, die irgendwann einmal zugemauert wurden. Links und rechts von den Fenstern sind noch die Blumenmuster zu sehen, verblichene Dekorelemente aus einer lange vergangenen Zeit. Das Bild ist eine Komposition in Grau. Die russischen Konstruktivisten hätten daran Gefallen gefunden. Allerdings auch jemand wie die Bühnenbildnerin Anna Viebrock. Während erstere das Bild unter rein kompositorischen Gesichtspunkten betrachtet hätten, wäre Viebrock, die viel mit dem Schweizer Regisseur Christoph Marthaler zusammenarbeitet, wahrscheinlich von der Geschichte entzückt, die dieses Bild erzählt: die Bewohner, die das Haus verfallen ließen und die Fenster zumauerten. Der tromp l’oeil-Effekt der aufgemalten Fensterrahmen. Eine Geschichte des Abschieds und der Täuschung. Mayr, wenn man so will, betrachtet seine Fotos gleichzeitig mit den Augen eines Suprematisten und eines Bühnenbilders. Die Prozesse und Geschichten, von denen die Fotos sprechen, interessieren ihn genau so, wie die Farbräumlichkeiten, die entstehen. Er favorisiert den Zufall vor dem Arrangement. Und er beobachtet die Prozesse, die sich an den Fotos festmachen lassen. „Heute muss alles gleich bleiben. So wie ein Haus am ersten Tag aussieht, so soll es am besten auch noch nach 30 Jahren aussehen. Veränderung und Verfall, das sind alles keine positiv besetzten Worte.“ Unnötig zu sagen, dass Mayr das ganz anders sieht. In seiner riesigen Sammlung von „Anonymen Farbanstrichen“ sind auffallend viele Rohbauten zu sehen, viele Gemäuer, die dabei sind zu verfallen, viele Provisorien und Ausbesserungsarbeiten. Es sind Zustände des Entstehens, des Über- und Untergangs. Die Farbe, die oft als etwas Reines, als Oberfläche, als etwas Monochromes angesehen wird, tritt bei Mayr in einem Zustand der Anti-Perfektion auf. Farbe ist ein Körper, der sich verändert. Damit ist nicht unbedingt der veränderte Eindruck durch wechselndes Licht gemeint. Diesen Aspekt fand bereits Goethe


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Florian, New York 2010


langweilig, der am Anfang seiner „Farbenlehre“ schreibt: „Es scheine bedenklich, da bisher schon so viel und mancherlei von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen und das oft Wiederholte zu vermehren.“ Es ist die Farbe selbst, die bei Mayr in ihren räumlichen Veränderungen ins Bild gerückt wird. Eine Wellblechhütte, die vom Rost zerfressen wird. Ein Gemäuer, das von den Kupferspritzmitteln der Weinbauern blau gefärbt wird. Steine, die durch ihren Bewuchs eine ganz andere Farbe kriegen. In Mayrs unendlicher Sammlung finden sich für alle Stadien des Übergangs fotografische Beispiele. Und für noch viele mehr. Doch kommen wir zum dritten Punkt, der Mayr wichtig ist, jenem der Nachbarschaft. Spricht Mayr über seine Fotografien, dann kommt er unweigerlich immer wieder auf die Poesie zu sprechen. Wie man mit einem Minimum an Worten ein Maximum an Bedeutungen anreißen könnte, das ist eine Frage, die ihn nicht loszulassen scheint. Ein falsches Wort, und das Assoziationsgebäude bricht in sich zusammen. Ähnlich verhält es sich mit Farben. Mayr sucht, wenn man so will, das perfekte Farb-Haiku. Beispiele, wo die Farben nur genau so und nicht anders sein können – und zusammen mehr ergeben, als wenn sie alleine stünden. Für Mayr ergibt sich die perfekte Komposition meistens durch Zufall. Ein Holzboden, wo einige Bretter morsch sind und ausgetauscht werden, kann zu einem Beispiel für Perfektion werden. Nicht weil die Handwerker sich stundenlang Gedanken gemacht hätten, welches Brett an welche Stelle muss, sondern weil es schlichtweg der Zufall so bestimmt hat. Ein Detail kann dabei alles verändern. „Nehmen wir drei idente Räume und stellen drei gleiche Tische hinein. Einmal ist der Tisch aus Holz, einmal aus Metall und einmal aus Beton. Die drei Räume werden sich vollkommen verändern.“ Mayrs eigene künstlerische Arbeiten machen oft genau diesen Umstand klar. In der Festung Franzensfeste bei Brixen verlegte er etwa einen 120 Meter langen Handlauf aus vergoldetem Baustahl. Im Felsstollen und in den kalten Rohbeton-Räumlichkeiten der monströsen Anlage fungierte der Gold-Handlauf als eine Art Leitsystem, dessen Materialität zum Angreifen einlud. Die Farbigkeit und das Material ver-

wandelten das schlichte Geländer in ein Objekt des Begehrens. Farbe und Material als Anhaltspunkt. Ein anderes Beispiel dagegen zeigt, welche Irritationen Mayrs Interventionen auslösen können. Im Gebäude der Freien Universität Bozen stellte er die symbolische Kennzeichnung der Toilettentüren im ersten Obergeschoß auf den Kopf. Eine rosa Tür markiert den Eingang ins Herrenklo, eine hellblaue jenen in die Damentoilette. Obwohl die Türen zusätzlich mit geschlechtsspezifischen Symbolen versehen sind, gerät das Referenzsystem der meisten Benutzer durcheinander. Farbe wird offensichtlich stärker wahrgenommen als symbolische Zeichen. In diesen Umstand fließt seit den 1990er Jahren Manfred Alois Mayrs Energie. Damals gab er seine auf die Fläche konzentrierte Malerei und Grafik auf und begann raum- und ortsbezogener zu arbeiten. „Es geht mir nicht darum, das was ich beobachte und fotografiere, zu reproduzieren. Obwohl ich meine Fotos auch ausstelle, sind sie in erster Linie eine Denkschule für mich selbst.“ Diese kreist immer um den spezifischen Ort. In seinen eigenen künstlerischen und farbkonzeptionellen Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit dem Ort meist eine Bedingung, um Mayrs Zugriff in seiner Gänze zu erfassen. Im Weingut Manincor am Kalterer See bedeckte Mayr die Mauer im Empfangsraum, die Teil des historischen Gutshofes war, mit Kupfervitriol. Mit seiner bläulichgrünen Farbe stellt diese Wand eine Verbindung mit den den Gutshof umgebenden Reben dar, da diese Mittel früher zur Bekämpfung des Pilzbefalls im Weinbau verwendet wurden. Für die Obstvermarktungszentrale Vinschgau goss der Künstler unzählige Obstkisten in Beton und errichtete damit eine über zwei Stockwerke gehende Wand. „Früher, als es noch keine Vereinshäuser gab, richteten die Dorfgemeinschaften ihre Bälle in den Obstmagazinen aus“, erzählt Mayr. „Die Jugend baute aus Obstkisten kleine Verstecke, um dahinter oder darin ungestört zu sein.“ Kennt man diese Geschichte, dann öffnet sich in Mayrs Arbeit eine ungeahnte Perspektive. Notwendig, um sie zu schätzen, ist sie allerdings nicht. In Mayrs Fotografien fehlen die Geschichten rund um die Bilder. Vielleicht schärfen sie genau deswegen den Blick.




M. A. M. 10. 02. 07 Base 1 Farbton 01: F 8.20.75 Farbton 02: G 0.15.75


Grau Rezeptur M. A. M. 10. 02. 07 Base 1 Farbton 01 Impulse: E = 139 / N = 8 / T = 45 / A = 80 Farbton 02 Impulse: + E = 20




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ohne Titel, 2005, Plastilin auf Holz, 44,5 x 37 cm


Traumlinien, Wiedergänger Landvermessung No. 3, Sequenz 3 Von der Rastkogelhütte zum Kellerjoch

Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Derzeit befinden wir uns auf einer Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental nach Garmisch-Partenkirchen führt. In der aktuellen Folge schwankt Martin Prinz zwischen Erinnerung, Roman, Wirklichkeit und Wanderung. I. Im Zug hatte ich noch die für den neuen Roman aus Schubladen und Ablagen zusammengetragene Zeitungsausschnitts-Sammlung zu ordnen versucht. Es war sich natürlich nicht ausgegangen, also verstaute ich kurz vor Jenbach die bereits geordneten Geschichten wie die ungeordneten in zwei Stoffsäcke und steckte sie zur Ausrüstung der nächsten zweieinhalb Tage in den Rucksack. Vor dem Halt hätte ich beinahe zu zahlen vergessen. Spätestens dabei hätte ich mich an die notwendige Bankomatabhebung erinnern sollen, war aber am Jenbacher Bahnhof anstatt in die Kassenhalle direkt zum Bahnsteig der Zillertalbahn geeilt. Dort ging der Schaffner zum Glück so seelenruhig vor den Waggons auf und ab, dass die Erkenntnis schnell wieder auftauchte, immer noch viel zu wenig Bargeld für eine Fahrt in die Berge bei mir zu haben. Nicht zuletzt, da ich aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit in Hippach einen Teil des Wegs zur Rastkogelhütte mit einem wenige Minuten nach der Zugankunft abfahrenden Bus zurücklegen wollte; dem letzten Bus des Tages, der mich bis zum Berggasthof Mösl auf ungefähr 1300 Meter Seehöhe bringen sollte, sodass sich in den verbleibenden eineinhalb Stunden Tageshelle auch die restlichen 800 ausgingen. Ähnlich knapp war es auch vor zwei Jahren gewesen. Auf meiner Alpenreise, die von Triest damals bereits einen Monat gedauert hatte. II. Der Auftrag, ein Stück meiner Reise zu wiederholen, war telefonisch gekommen. An einem Mittwoch in

der letzten Augustwoche. Ich war gerade mit meinem nach dem Bremsenstich vom Wochenende eigenartig stark angeschwollenen Unterschenkel am Weg zum Arzt gewesen. Zudem hatte ich mir für die kommenden Wochen und Monate jeden weiteren Termin verboten, jeden mich vom Roman zusätzlich ablenkenden Text ohnedies. Andererseits: Die vorgeschlagene Strecke war ich auf meiner Alpenreise schon gegangen. Ein paar hundert Euro also für eine Route, von der ich in meinem Alpenbuch bereits erzählt hatte, das war nicht schlecht. Das war für einen Mann, der sich gerade mit seiner Frau ein Haus kaufte, doch um einiges weniger Kapital hatte als sie, natürlich eine Verlockung. „Suppe und Würste, dazu zwei große Apfelsäfte mit Leitungswasser. – Mehr war sich während der kaum halbstündigen Rast im Berggasthof nicht ausgegangen. Dann wieder unter die Pelerine, hinein in die nassen Handschuhe, hinauf und hinein ins stetig sich verengende Tal, hinauf über glitschige Steige, vorbei an den Kühen der ersten bewirtschafteten Almen. Und vorbei auch, zum Glück ohne behelligt zu werden, an einem vor lauter Aufregung über die rote, von ihrem Rucksack um einiges überragte Regengestalt verständlicherweise bellenden Hund.“ Die Entscheidung, für diese Landvermessung nicht nur die Tastenkombination copy/paste zu wählen, hatte ich bereits vor meiner Zuganreise getroffen, indem dieser Regenabend aber der Beginn eines gerade in seiner allmählichen Selbstverständlichkeit unheimlichen Wiedergängertums von Geschehnissen und Augenblicken werden sollte, wäre mir ohnedies nichts anderes übrig geblieben.


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ohne Titel, 2007, Plastilin auf Holz, 20 x 17 x 12 cm


Abgesehen davon, dass schon mit der Wiederholung des Hundes sich jede Frage nach bloßem copy/paste für ein annehmbares Honorar erübrigt hatte, war in meinem Kopf bald nach der Zusage eine ganz andere Kosten/Nutzen-Rechnung aufgetaucht. Denn mir war eine Episode für den Roman eingefallen, die nirgendwo anders als im Besuch einer vergangenen Reise stattfinden konnte. Ein Besuch bei sich selbst. Der ganze Roman sollte nichts anderes werden. Wobei sich zum Glück mit dieser Formulierung auch vermeiden lässt, hier bereits die Grundidee zu verraten. Eine Idee, von der ich wohl bis zum Bucherscheinen fürchten werde, sie könnte auch jemand anderer haben. Mit einem Besuch bei sich selbst aber ist ohnedies genug von der Geschichte eines Buches gesagt, die den Erzähler selbst in Erlebnisse versetzt, die ihm wie Ausgedachtes und bereits Erlebtes erscheinen. Wie der Hund von der Pointalm. Ich war von Mösl kaum eine Viertelstunde unterwegs gewesen, als ich mich an den Hund vor zwei Jahren erinnerte. Er hatte sich gefürchtet, nicht vor mir, sondern vor meiner roten Pelerine, die meinen Rucksack und mich zu einer Gestalt formte, die mit ihrem Geruch nach all den Höhenmetern wohl deutlich einen Menschen erkennen ließ, nicht aber in ihrer höckerartigen Form. All das hatte ich, schon bevor ich die Pointalm erreichte, in der Erinnerung vor mir. III. Bevor der Hund aber auch im Roman auftaucht, sitzt der Erzähler im Zug. Im Gegensatz zu mir hat er weder Rucksack, Bergschuhe oder sonstige Wanderausrüstung bei sich. Anstatt in die Berge zu gehen, war es ihm um das bloße Unterwegssein mit dem Zug gegangen. Nicht als Flucht – so begründet eine solche nach dem davor Erlebten auch gewesen wäre. Draußen die Landschaft zwischen Böheimkirchen, St. Pölten und Linz, doch kein Fahrtwind, keine Fenster, die sich öffnen ließen. Dabei war es gerade die Erinnerung an Fahrtwind gewesen, die ihm in der erregten Verlorenheit seines Aufwachens ein Ziel gegeben hatte. Es war auf der Fahrt von Scharnitz nach Mittenwald gewesen, zwei Jahre vor dem Morgen, an dem er

kaum mehr gewusst hatte, wohin er angesichts des in den letzten 24 Stunden Erlebten noch sollte. Eine der wenigen, aufgrund von Wetter oder Witterung unumgehbaren Zug- oder Busfahrten während seiner Alpenreise. Damals war der Direktanstieg von Scharnitz über die Leutasch zur Meilerhütte aufgrund nächtlicher Schneegewitter und der vom späten Winter in dieser Höhe immer noch übrigen Altschneefelder unmöglich geworden. Weshalb er versucht hatte, von Mittenwald zumindest bis zum Schachenhaus zu gelangen, von wo aus gute Chancen bestanden, über die ursprünglich geplante Route durchs Reintal Richtung Zugspitzblatt und Ehrwald zu kommen. „Alles okay bei dir?, schrieb mir Kathi per SMS, während ich bereits im Zug von Scharnitz in das fünf Kilometer nördlich gelegene Mittenwald saß. Alles okay? – Eigentlich ja. (...). Die Sonne schien, die Berge glitzerten, doch ich wusste nicht, was ich Kathi antworten sollte. Oder wusste es vielleicht zu genau. So genau, dass es mich bereits von allen Seiten anschaute. Allein darin etwa, wie vergeblich der Fahrtwind durch die offenen Waggonfenster wehte. Während ich mir in diesen Augenblicken wünschte, ich führe in einem Zug leerer Waggons, deren Fensterscheiben allesamt im Fahrtwind klapperten, allesamt aufs Ausgelassenste klapperten, übers Land, ohne je wieder zu halten. Irgendwo donnerte es. In Mittenwald war alles voller Leute, Souvenirläden und Ansichtskartengeschäften. Doch ich wollte nur weiter, wollte hinaus in die Wälder und gehen, nur gehen, wie ein Zug mit offenen Fenstern im Fahrtwind.“ Kein anderes Wunschbild und überhaupt kein anderes Ziel, zu dem er sich noch aufraffen hätte können, hatte auch der Erzähler im Roman vor seiner Zugfahrt Richtung Westen vor sich: Draußen der schmale Schilfgürtel des Wallersees, ein Fischer am Steg, ein Jogger am Radweg. Eine Landschaft wie am Morgen, das leere Blau des Sees, Windstille, während im Speisewaggon Mittagsgeschäftigkeit herrschte. Ich hatte Hunger, wartete jedoch mit dem Bestellen, war froh, dass ich Hunger hatte, dass etwas vor mir lag.


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ohne Titel, 2009, Plastilin auf Holz, 54,5 x 37,5 x 10 cm


Die letzten engen Kurven, vorbei an eng gegen die Hänge gedrückten Häusern, einem Bach entlang – gleich würde es aber weiter werden und leicht bergab nach Salzburg führen. Ich fragte mich, ob ich die ganze Strecke bereits hier so saß, mit Blick auf die Landschaft, unentwegt, und dem sich ständig ins bloße Schauen einmischenden Wissen, was ich mit der Gegend verband und welche als nächste kommen würde. Ob Fluss, Siedlung, Straße, Acker, See, Berge, Bauernhof oder Radweg, es war egal, wie viel ich im Speziellen davon noch nie bewusst wahrgenommen hatte. Darum ging es nicht, sondern um Erinnerung an etwas, das so stark war, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob ich seit der Abfahrt, anstatt mit einem Kaffee und einem Mineralwasser am Fenster gesessen und hinaus geschaut zu haben, nicht ganz anderes getan hatte. Vielleicht war ich gerade erst zu dem halbvollen Glas Mineralwasser zurückgekehrt und das hier gesehen Geglaubte wäre bloß Vergangenes, doch gleichzeitig auf so unheimliche Weise gegenwärtig, dass ich auf der Stelle glaubhaft erstaunt aussähe, ginge plötzlich ein Schreien im nächsten Waggon los, ein Gerenne in alle Richtungen: entsetzte Passagiere, ernste und aufgeregte Schaffner, die meinen Blick mieden, bis der Zug auf offener Strecke hielte, Polizei ringsum, und nur mehr wenige Augenblicke vergingen, bis die ersten vermummten Beamten im Speisewaggon auftauchten und sich auf mich stürzten, da ich im nächsten Waggon einer Frau das Gesicht zerschnitten hätte. Wegen der Landschaft, wie ich später darüber zu Protokoll geben sollte. Wir erreichten Salzburg, es stiegen kaum Leute ein. Ich dachte an den Morgen. Das fremde Bett und all das übrige Mobiliar in der am Vortag leer übergebenen Wohnung, die nunmehr bis hin zu Kleinigkeiten wie der Socke unter dem Sofa oder der Postit-Zettel unterschiedlichen Alters am Kühlschrank so wirkte, als wohnten die Nachmieter bereits jahrelang darin: Zeitungsstapel, geknickte Blumen, selbst das Bettzeug roch nach Schweiß, nächtlichem Urin, nach Dorothée, ihrem Mann und nun auch nach mir. Der Schrecken dieses Morgens hatte bald nicht bloß dem Bett, der Wohnung und den Nachmietern gegol-

ten, sondern jedem Augenblick. Nichts schien mehr neu zu sein. Ob es die Landschaft war, Sätze, Reaktionen oder flüchtige Gedanken. Es war als ginge ich mit einem unaufhörlich sich schreckenden Kind an der Hand durch ein Gruselkabinett, das ich selbst zwar viel zu gut kannte, den Schrecken der Überraschung aber im Kind neben mir umso ungeschützter spürte. IV. „Erst als die großen Gebäude der Sidan-Alm in Regen und Nebel über mir auftauchten, dreihundert Höhenmeter unterhalb der Rastkogel-Hütte, begann ich ans Ankommen zu denken und schaffte es schließlich sogar noch in der letzten Nebelhelle. Aus den Hüttenfenstern leuchtete kein Licht mehr, nur die von der Wirtin für die Nacht eingeschaltete Lampe über dem Eingang. Doch aus dem hinteren Trakt, dem Küchen- und Privatbereich, strahlte es hell heraus. So überrascht sich die Hüttenwirtin mit den beiden riesigen Hunden über den einzigen Gast des Abends zeigte, finster war es noch immer nicht, zumindest nicht ganz und nicht im Nebel.“ Kaum anders diesmal. Die Wirtin warf einen letzten Blick in die Dämmerung, als ich auf das kleine Almplateau vor der Hütte kam. Sie erkannte mich nicht, nicht einmal aus der Nähe, erst die Hunde später. Beim zweiten Bier, als ich mir zu meinem Roman notierte, dass der Erzähler nach seiner Wanderung im Hotel Schloss Elmau ausspannte, seine erst seit kurzem vorhandenen finanziellen Möglichkeiten ausnützend, die es ihm auch am Ende seiner wirren Zugfahrt sehr schnell ermöglicht hatten, sich in einem Innsbrucker Hotel von einem Bediensteten die Ausrüstung für drei Tage in alpinem Gelände besorgen zu lassen. Was man sich mit derart großzügig gedeckter Kreditkarte abgesehen von solchen Einkäufen oder Hotels alles leisten konnte, dafür fehlte mir selbst jegliche Erfahrung, auch die zu dem Zweck in letzter Zeit gesammelten Zeitungsausschnitte halfen mir nur teilweise weiter. Weitaus hilfreicher hingegen Zeitungsartikel wie jener über die Kraft der Einbildung. Am Ende des Textes


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ohne Titel, 2008, Plastilin auf Holz, 58 x 55 x 11 cm


wurde von einem Experiment erzählt, bei dem in den 1930er Jahren in Indien bewiesen wurde, wie man aus bloßer Angst sterben konnte. Ausgeführt wurde der Versuch an einem zum Tod durch den Strang Verurteilten: „Ein Arzt überzeugte den Gefangenen, dass Verbluten schmerzfreier und angenehmer für ihn sei. Der Gefangene willigte ein, ließ sich an sein Bett fesseln und die Augen verbinden. Der Arzt hatte Wasserbehälter vorbereitet, die er so an den Bettpfosten anbrachte, dass Wasser in Schüsseln auf dem Boden tropfte. Der Mediziner ritzte die Haut an Händen und Füßen geringfügig ein, sodass er kaum verletzt wurde. Im selben Moment ließ der Arzt das Wasser tropfen. Der Gefangene fühlte sich bald schwächer. Der Arzt stimmte einen monotonen Singsang an. Als das Wasser in die Schüsseln getropft war, hatte der Arzt den Eindruck, dass der Gefangene in Ohnmacht gefallen war, obwohl es sich um einen gesunden Mann handelte. Der Arzt irrte. Der Gefangene war gestorben, dabei hatte er kaum Blut verloren.“ Am nächsten Tag ging ich zuerst durch Wolkenfetzen, später in strahlendem Sonnenschein über Hochfügen und den Loas-Sattel zur Kellerjochhütte. Vor zwei Jahren war gerade Beginn der Alm- und Hüttensaison gewesen. Nun ging erstere bereits während dieser Tage, zweitere in wenigen Wochen zu Ende. Auf der Pfundsalm kam mir ein Bauer im Unimog entgegen, wir plauderten über meine Strecke, die er ganz genau wissen wollte, bis er mir erzählte, dass er seit dem großen Schneefall vor zwei Wochen seine Schafe suche: zwanzig Stück, und jeden Tag mehr fürchte, dass sie von einer Lawine getötet worden seien. Bevor ich auf der Kellerjochhütte aber von der Wirtin erfuhr, dass sie in den letzten Tagen immer wieder unweit der Hütte eine ihr unbekannte Herde gesehen habe, hatte ich noch einige Stunden Gehzeit vor mir. Allein und dabei immer stärker jenen Sog verspürend, den ich damals im Nebel als etwas Helles und Weites in mir erlebt hatte. Nun schien es in der Landschaft zu sitzen; nicht im Strahlen des sonnigen Tages, sondern dahinter. Und schien von dort Tag und Nacht, Dunkel und Helle so wie damals in ihr Gegenteil zu

verkehren, dass ich mich unter dem klaren, blauen Himmel immer mehr in den Nebel der Alpenreise zurückwünschte. „Flugzeuge über mir und Kühe auf den Almen unter mir. So als wären sie in gleicher Distanz zu mir. Doch auch den Nebel hörte ich. Im fast zeitlupenartigen Tropfen im Wald zum Loas-Sattel hinauf. Gleichzeitig aber auch, so unmöglich das war, wie in einer schattenhaften Bewegung zwischen den Stämmen. Und, später, auf der steilen Grasflanke, als leises Platzen im Gesicht. Ich stieg die steilen Kehren zügig hinauf. Alles, was in der Nebelsuppe rund um mich von der Außenwelt übrig geblieben war, bestand aus Geräuschen von Tropfen, Kuhglocken und Flugzeugen, die in fast pausenlosen Intervallen über mir ins Inntal hinunter abbremsten, während ich die gerade hier bei klarem Wetter wunderbaren Fern- und Tiefblicke nicht im Geringsten vermisste. Und so waren es zwischen Kuhglocken und dem nahen Dahindonnern der Flugzeuge nicht die ersten hellen Stellen im Nebelgrau, in denen mir etwas aufging, das mit keiner Fernsicht vergleichbar war, etwas, für das ich weder Namen noch genauere Beschreibung hatte. Nur die Gewissheit, dass mich, zumindest für Augenblicke, nicht mehr allein der schottrig-steile Steig die Flanke des Kellerjochs hinaufführte. Vielmehr eine Art nebelglitzernd helle Traumlinie aus Atem und Wind, Flugzeugen und Kühen – sowie eine längst nicht nur physische Leichtigkeit: Ein Sog, wie der von Musik, tonlos, aber unüberhörbar. Eine Musik, in der diese Reise weiterging, immer weiter, als gäbe es keinen anderen Weg.“


Quart Nr. 01–15: Nathan Aebi, Andreas Altmann, Architekten Moser Kleon, Clemens Aufderklamm, Ludovic Balland, Thomas Ballhausen, Susanne Barta, Othmar Barth, Christoph W. Bauer, Ruedi Baur, Wolfgang Sebastian Baur, Gottfried Bechtold, Sven-Eric Bechtolf, Johanna Bodenstab, Julia Bornefeld, Kurt Bracharz, Maria E. Brunner, Markus Bstieler, Daniel Buren, Ferdinand Cap, Ernst Caramelle, Michael Cede, Günther Dankl, Hans Danner, Marco Dessi, Georg Diez, Dimitré Dinev, Klaus Doblhammer, Moritz Eggert, Fred Einkemmer, Olafur Eliasson, William Engelen, EOOS, Carsten Fastner, Werner Feiersinger, Friederike Feldmann, Thomas Feuerstein, Ellinor Forster, Katja Fössel, freilich landschaftsarchitektur, Martin Fritz, Daniel Fügenschuh, Marta Fütterer, Heinz Gappmayr, Michael Glasmeier, Rolf Glittenberg, Christian Gögger, Peter Gorschlüter, Martin Gostner, Barbara Gräftner, Franz Gratl, Georg Gröller, Walter Grond, Sabine Gruber, Gebhard Grübl, Egyd Gstättner, William Guerrieri, Carla Haas, Ernst Haas, Georg Friedrich Haas, Händl Klaus, Marlene Haring, Jens Harzer, Michael Hausenblas, Krista Hauser, Clementina Hegewisch, Werner Heinrichmöller, Heinz D. Heisl, Dietrich Henschel, Peter Herbert, Ralf Herms / Rosebud, Margarethe Heubacher-Sentobe, Klasse Hickmann, Stephan Hilpold, Christoph Hinterhuber, Richard Hoeck, Candida Höfer, Siggi Hofer, Robert Holmes, Anton Holzer, Stefanie Holzer, Heidrun Holzfeind, Johann Holzner, Albert Hosp, Johannes Huber, Sebastian Huber, Barbara Hundegger, Stefan Hunstein, Helmut Jasbar, Ivona Jelcic, Peter Stephan Jungk, Ulrike Kadi, Fabian Kanz, Bernhard Kathan, Manuela Kerer, Leopold Kessler, Walter Klier, Gerhard Klocker, Margit Knapp, Peter Kogler, Alfred Komarek, Moussa Kone, Andreas Kriwak, Florian Kronbichler, Gustav Kuhn, Martin Kus̆ej, Ulrich Ladurner, Bernhard Lang, Patrizia Leimer, Paul Albert Leitner, Clemens Lindner, Christine Ljubanovic, Ove Lucas, Fritz Magistris, Brigitte Mahlknecht, Sepp Mall, Andreas Maier, Urs Mannhart, Dorit Margreiter, Raimund Margreiter, Barbara Matuszczak, Friederike Mayröcker, Milena Meller, Bernhard Mertelseder, Klaus Merz, Thomas Mießgang, Lydia Mischkulnig, Wolfgang Mitterer, Philipp Mosetter, Walter Müller, Paul Nagl, Olga Neuwirth, the NEXTenterprise architects, Walter Niedermayr, Michaela Nolte, NORM, Thomas Nußbaumer, Peter Oberdorfer, Nick Oberthaler, Walter Obholzer, Ulrich Ott, Walter Pamminger, Thomas Parth, Pauhof Architekten, Karin Pernegger, Hans Karl Peterlini, Christoph Peters, Robert Pfaller, Andreas Pfeifer, Marion Piffer Damiani, Hans Platzgumer, Jorge Reynoso Pohlenz, Wolfgang Pöschl, Gerald Preinfalk, Manuela Prossliner, Irene Prugger, Carl Pruscha, Thomas Radigk, Gottfried Rainer, Bernhard Rathmayr, Helmut Reinalter, Robert Renk, riccione architekten, Alice Riegler, Gerhard Ruiss, Corinne L. Rusch, Katharina Rutschky, Georg Salner, Peter Sandbichler, Benedikt Sauer, Susanne Schaber, Hans Schabus, David Schalko, Lukas Schaller, Peter Scheer, Simon Schennach, Markus Schinwald, Elisabeth Schlebrügge, Eva Schlegel, Nikolaus Schletterer, Fridolin Schley, Birgit Schlieps, Hanno Schlögl, Ferdinand Schmatz, August Schmidhofer, Wendelin Schmidt-Dengler, Gunter Schneider, Roland Schöny, Fred Schreiber, Franz Schuh, W. G. Sebald, Christian Seiler, Walter Seitter, Peter Senoner, Q. S. Serafijn, Martin Sieberer, Christoph Simon, Alessandro Solbiati, Gertrud Spat, spector cut+paste, Götz Spielmann, Clarissa Stadler, Thomas Stangl, Martina Steckholzer, Esther Stocker, Karl Stockreiter, Bernhard Studlar, Sylvia Taraba, Rudolf Taschner, Paul Thuile, Susanne Titz, Ernst Trawöger, Heinz Trenczak, Ilija Trojanow, Thomas Trummer, Wolfgang Tschapeller, Erdem Tunakan, Sandra Unterweger, Roman Urbaner, Katrien van der Eerden, Andrea van der Straeten, Rens Veltman, Joseph von Westphalen, Klaus Wagenbach, Martin Walde, Peter Warum, Peter Waterhouse, Vitus H. Weh, Hans Weigand, Lois Weinberger, Oliver Welter, Gabriele Werner, Günter Richard Wett, Margret Wibmer, Roman Widholm, Martin Widschwendter, Erika Wimmer, Robert Winkel, Heinz Winkler, Franz Winter, Robert Woelfl, Erich Wucherer, Erwin Wurm, Anton Würth, Andrea Zanzotto, Jörg Zielinski, Stefan Zweifel 96/97


Wer Quart abonniert, bekommt sicher ein Heft (bevor es vergriffen ist, was vorkommt). Soweit Argument Nummer eins. – Zweitens: Es kommt billiger! Zwei Hefte kosten € 19,– (statt € 26,–). Und drittens gibt es als Abogeschenk ein Buch aus dem Haymon-Programm (siehe Rückseite der eingeklebten Postkarte). Wenn Sie einen neuen Abonnenten werben, gibt’s gleich 2 Geschenke: eines für den neuen Abonnenten und eines für Sie!


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Vor Ort oder nicht vor Ort Dorit Margreiter hat für diese Ausgabe von Quart den Umschlag und fünf Doppelseiten (S. 104–113) gestaltet. Johanna Hofleitner hat die Arbeit zum Ausgangspunkt genommen, um mit Dorit Margreiter über Absichten, Möglichkeiten, Herangehensweisen, Querbezüge, Spuren und Schleifen dieser und einiger anderer ihrer Arbeiten zu sprechen.

Dorit Margreiter: Nein. Nichts.

H.: Sie filmt aber auch in den „realen“ Raum außerhalb des Hefts. Indem das Foto angeschnitten ist, scheint die Kamera doch auch über den Heftrand hinaus gerichtet.

H.: Nicht einmal „Ohne Titel“?

M.: Genau!

M.: Nein – es ist, was es ist.

H.: Warum hast du dich im vorliegenden Fall entschieden, auf Bildmaterial der Biennale-Arbeit zurückzugreifen?

Johanna Hofleitner: Diese Arbeit für Quart – trägt sie einen Titel?

H.: Wer deinen Beitrag im Österreichischen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig 2009 gesehen hat, erkennt, dass diese Bildfolge in Zusammenhang damit steht. Was genau hast du in diesem aus insgesamt zwölf Seiten bestehenden Insert abgebildet? M.: Die Überlegung war, einen künstlerischen Arbeitsprozess in eine gedruckte Form zu bringen. Konkret wollte ich im Heftinneren einen Kameraschwenk über mehrere Seiten abbilden. Dafür hab ich absichtlich ein Sujet gewählt, bei dem jeder Kader ähnlich scheint. Erst beim Blättern stellt man die Bewegung fest. Indem sich Füße durch den Raum bewegen, entsteht zugleich auch der Eindruck einer Tanzchoreographie. Damit wird in dem Insert etwas angesprochen, das mich in meiner Arbeit ganz allgemein interessiert: die Verknüpfung von filmischem und architektonischem Raum. H.: Während die Doppelseiten im Heftinneren mit dem sich wiederholenden suggestiven Motiv der trippelnden Frauenfüße ziemlich homogen erscheinen, unterscheidet sich der Umschlag: Auf ihm ist – sowohl auf der Vorder-, als auch der Rückseite – nicht mehr als ein angeschnittener Kamerawagen zu sehen. M.: Durch die Formatbegrenzung führt der Blick der Kamera über den Bildrand hinaus. Zugleich wird, indem sich das Sujet über den gesamten QuartUmschlag zieht, von der Vorderseite aus auch die Rückseite abgefilmt. Über die Rückseite wiederum scheint die abgebildete Kamera ins Medium hineinzufilmen.

M.: Die Filmstills sind Anschauungsmaterial. In der eigentlichen Installation, 2009, war das filmische Erleben wichtig, was durch die Art der Präsentation – es gab damals ja einen speziellen Einbau für den Projektor – vermittelt wurde. So wie es damals um die Transformation der Architektur in das Medium Film ging, geht es nun um die Transformation von Film ins Printmedium. H.: Was bedeutet und bewirkt diese Transformation? M.: Die Sequenz im Film gibt an sich schon eine langsame Bewegung wieder. Die Szene, der die Stills entstammen, ist wenig performativ, sie umfasst eigentlich nur eine Raumdurchschreitung, bei der die Protagonistin einen Halbschritt zurück tritt. Das Printmedium seinerseits bedingt nun eine nochmalige Verlangsamung. Dadurch markieren die Schritte aber auch den Raum. Losgelöst von dem ursprünglichen Kontext, erinnert die Sequenz nun an Tanzschrittnotationen und wirkt wie eine Anleitung für eine Kurzchoreographie. H.: Warum hast du ausgerechnet das inhaltlich stark konnotierte, klischeehafte Motiv der Frauenfüße ausgewählt? M.: Es geht mir um den filmischen Blick. Ich wollte das Klischee brechen und anders konnotieren. Es geht auch darum festzuhalten, welche Fragen ein bestimmtes Bild aufwirft. Um was für einen Blick geht


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es? Wer schaut? Wer steht hinter der Kamera? Das kann ein beobachtender Blick sein, ein sexistischer oder ein begehrender. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau hinter der Kamera steht. Wenn es gelingt, so ein Set von Fragen in den Raum zu stellen, ist schon viel erreicht. H.: Welche Rolle spielt die Arbeit mit Farbe oder Nichtfarbe? Sowohl für den Film als auch für die Quart-Arbeit hast du dich für eine Schwarz-WeißPräsentation entschieden, obwohl das Ausgangsmaterial in Farbe produziert wurde. M.: Ich habe die Farbwahrnehmung ausgeschlossen, um die Möglichkeiten, zwischen verschiedenen Zeitebenen zu springen, zu verstärken. So könnte das Bild der Performerin durchaus auch aus den 1930er Jahren stammen, die Sockelskulpturen aus den 1960ern, und der von Josef Hoffmann gebaute Biennale-Pavillon, der 1934 enstand, könnte ebenso aus den 1980ern sein. Auf das Printmedium bezogen, wird ein Tanz über die Seiten suggeriert. H.: So wie du jetzt einen Teil deiner Arbeit „Pavilion“ ins Medium Zeitschrift verschoben hast, hast du dieselbe Arbeit im Frühjahr 2010 für ein halbes Jahr in Hoffmanns Geburtshaus in Brtnice reinstalliert. Was passiert bei so einem Transfer? M.: Ich habe mich entschlossen, den Raum des Hoffmann-Pavillons mitzunehmen, indem ich das Arbeitsmodell des umgebauten linken Pavillon-Flügels im Museum in Brtnice aufstellte. Dazu habe ich aus dem Fundus des MAK zwölf Hoffmann-Zeichnungen gezeigt, darunter etwa den Entwurf eines Zahnstocherbehälters oder eines Handspiegels. Ich habe jene Zeichnungen ausgewählt, die – obwohl sie immer einen konkreten Gegenstand skizzierten – auch abstrakte oder minimalistische Arbeiten sein könnten. H.: Der Pavillon ist ein wiederkehrendes Thema deiner Arbeiten. In Venedig war er überdies eine räumliche Gegebenheit. Doch auch in vielen anderen deiner Werke beschäftigst du dich mit Kulissen und temporären Bauten. Warum kommst du in deiner Arbeit immer wieder auf eine Architektur des Scheins zurück? M.: Im Thema des Pavillons kulminieren für mich zwei Interessen: das Interesse an der Modellhaftigkeit und das Interesse an Architektur. Jede Pavillon-Archi-

tektur ist ein Hybrid zwischen gebautem Raum und Modell. Pavillons sind für Architekten Lieblingsprojekte, weil sie keinen anderen Zweck erfüllen müssen, als ein Statement zur Architektur zu sein. Das war bei Hoffmanns Venedig-Pavillon genauso wie zum Beispiel bei Mies van der Rohe. Darüber hinaus aber gibt es ein generelles Interesse meinerseits für experimentelle Architektur, speziell für gescheiterte moderne Architektur mit dem radikalen Anspruch, die Gesellschaft zu verändern. Ein Vorhaben, das, wie wir wissen, nicht geglückt ist – wobei sich die Frage stellt, ob das überhaupt möglich ist. H.: Betrachtet man deine Arbeit im Gesamten, sind einige Konstanten ablesbar: Modellhaftigkeit, Kulissenhaftigkeit, Architektur, das Apparative. Ist es legitim, daraus eine bestimmte künstlerische Herangehensweise abzuleiten? M.: Meine Arbeit wirkt wahrscheinlich nach außen hin kohärenter als für mich selbst. Aber meine konzeptionelle Herangehensweise ist je nach Fragestellung ganz unterschiedlich. Jeder Ort wirft mehrere Themen auf, fast jede Arbeit lässt Bereiche offen, die ich noch nicht gelöst habe. So habe ich zum Beispiel in Zusammenhang mit modernistischer amerikanischer Architektur vor Jahren begonnen, Inserate zu sammeln, in denen Immobilien berühmter Architekten zum Verkauf angeboten wurden: von Richard Neutra, Frank Lloyd Wright, Rudolph M. Schindler, John Lautner. Anfangs habe ich diese Inserate bloß gesammelt, weil sie mir gefallen haben und weil sich darin ein ganz anderer Umgang mit der Architektur spiegelte als in theoretischen Texten darüber. Es hat mich interessiert, wie ein Einfamilienhaus über die Dekaden zur Ikone wird. In der Serie „Original Condition“ (2006) habe ich dann verschiedene Themen verhandelt, die so ein Ort aufwirft. In diesem Zusammenhang sind aber auch noch andere Fragen übrig geblieben, für die ich bis jetzt keine Lösung gefunden habe, über die ich aber sicher noch einmal eine Arbeit machen möchte: Viele Häuser, die zur Zeit ihrer Entstehung bewusst aus billigsten Materialien gebaut wurden, erlebten, weil sie eben von berühmten Architekten errichtet wurden, im Lauf der Zeit eine Wertsteigerung. Vor diesem Hintergrund habe ich in Los Angeles vor einigen Jahren die Bau- und Renovierungsarbeiten einer Neutra-Villa aus den 1940er Jahren begleitet. Da die Teerpappe komplett ruiniert war, wäre das einzig Sinnvolle ein Abriss gewesen. Zugleich gab es das Dilemma, dass ein gewisser Pro-


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Salvatore Viviano, St. Pรถlten 2009


zentsatz der originalen Materialien erhalten bleiben musste, um den Status eines Landmarks nicht zu verlieren … aber genau das macht modellhafte Architektur so spannend, dass man Dinge ausprobieren kann. Als Künstlerin befindet man sich ebenfalls in diesem modellhaften Raum. H.: Das Modellhafte also als künstlerisches Programm? M.: Das Modellhafte ist vergleichbar mit der Inszenierung. Es geht um die Machbarkeit des Temporären – darum, Anschauungsmaterial für einen bestimmten Denkansatz zu haben, das man dann wieder wegräumen kann. Dabei stellen sich immer zwei Fragen. Zum einen: Wie sieht die künstlerische Herangehensweise per se aus? Zum anderen: Was heißt es, diese Fragen dann auch im Alltag realisiert zu sehen? Ein Modell ist immer ein Raum, der gebaut wurde, um den Alltag zu simulieren. H.: Für die MAK-Galerie hast du 2008 zusammen mit der Filmemacherin Rebecca Baron die Arbeit „Poverty Housing. Americus, Georgia“ realisiert. Der ungefähr 14 Minuten dauernde Film wurde zur Gänze vor den Kulissen einer Slum-Replik in einem Themenpark in Georgia gedreht. Auch das also eine Art Modellarchitektur … M.: Es handelte sich dabei um einen pädagogischen Themenpark in den USA, der die Brisanz des Lebens in den südafrikanischen Slums sozusagen anhand von gebautem Anschauungsmaterial demonstrieren sollte. Dazu muss man wissen, dass die Leute, die diesen Themenpark gebaut haben, nie vor Ort waren, sondern nur nach Vorlagen gearbeitet haben. (In einem Begleitfolder wurde argumentiert, dass es zu gefährlich sei, vor Ort zu sein – ein absurdes Statement, wenn man man bedenkt, dass gerade Georgia zu den ärmsten Staaten der USA gehört.) Unser Hauptinteresse war es, das gebaute Bild durch unsere Arbeit zu dechiffrieren. Wir thematisierten mit unserem in diesem gebauten Szenario gedrehten Film die Frage, was es bedeutet, vor Ort zu sein oder nicht vor Ort zu sein. Diese zweifache Transformation – vom Foto zum Gebauten und vom Gebauten zum Bild – hat uns fasziniert. Dem trägt auch der an die Sozialreportagen von Walker Evans angelehnte Titel „Poverty Housing. Americus, Georgia“ Rechnung, der 1936 auf seiner Reise durch Louisiana, South Carolina, Georgia, Mississippi und Alabama im Auftrag der

staatlichen „Security Administration“ das Leben in dieser Region dokumentierte. Wie in den Titeln von Evans wird zuerst angeführt, was zu sehen ist, danach, wo die Aufnahme entstanden ist. Doch um auf die Frage nach der Herangehensweise zurückzukommen: Man fängt irgendwo an und geht entlang der auftauchenden Fragen weiter. Bei „Poverty Housing. Americus, Georgia“ war am Anfang gar nicht klar, ob daraus am Ende ein Film, eine Fotoarbeit oder ein Text entstehen würde. H.: Video spielt in deiner Arbeit als Medium der Aufzeichnung eine zentrale Rolle. Bei der installativen Umsetzung im Raum schaltest du allerdings häufig noch eine weitere Ebene dazwischen, indem die Filme auf 35 mm übertragen mittels Kinoprojektoren vorgeführt werden. Bei der Venedig-Biennale etwa hast du für die Dauer der Ausstellung im linken Seitenflügel durch Einbauten eine temporäre Kinosituation geschaffen. Bei „Poverty Housing. Americus, Georgia“ wiederum sahen sich die Betrachter mit einem im Verhältnis zum Ausstellungsraum viel zu großen Filmprojektor aus dem Kinobedarf konfrontiert. Und das Insert für diese Quart-Ausgabe schließlich wird eröffnet durch die Abbildung eines Kamerawagens am Umschlag, von der wir schon gesprochen haben. Welche Stellenwert und welche Funktion nimmt die Apparatur in deiner Arbeit ein? M.: Eine Funktion der Apparate ist, das Verhältnis zwischen dem physischen Ort und dem projizierten Ort zu verdeutlichen. Ich verwende sie, um das Publikum am Ort der Betrachtung zu verorten. H.: Womit auch die Frage des Ausstellungsraumes wieder ins Spiel kommt … M.: Indem der Ausstellungsraum durch die Installation zu einem Ort der Inszenierung wird, wird diese ein weiteres Mal thematisiert. Damit ergibt sich eine Schleife, in die auch das Quart-Heft als Display eingebunden ist. Durch das Insert der zehn Seiten im Heftinneren und den beiden Umschlagseiten wird das Heft wie ein realer Ausstellungsraum zu einem Ort der Inszenierung und Aufführung.












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Metapher und Sprachökonomie

Warum wir verstehen, was nicht gesagt, sondern nur gemeint wird. – Auszug aus dem in Arbeit befindlichen Buch „Gehirn und Gedicht“. Von Raoul Schrott 1 Auf Grund diverser Studien lässt sich schätzen, dass wir pro Gesprächsminute im Schnitt vier tote Metaphern verwenden – und dabei zwischen ein und zwei ad hoc formulierte Metaphern einsetzen. Auf zwei Stunden Redezeit pro Tag und eine Lebensspanne von 60 Jahren übertragen, setzen wir also an die fünf Millionen neue und 21 Millionen alte Metaphern in Umlauf. Natürlich ist auch dies kontextabhängig: Amerikanische Talkshows und Nachrichten etwa verwenden schon nach 25 Worten eine figurative Redewendung. Lernstudien wiederum zeigen, dass Analogien und Metaphern die Aneignung von neuem Wissen erleichtern: vor allem, wenn sie bildhaft konkret sind und damit Details in einem einheitlich Ganzen präsentieren (,Die Deutschen folgten Hitler wie Lemminge‘ ist deshalb weit schneller einsichtig als eine wörtliche Formulierung desselben Inhalts: ,Das deutsche Volk übernahm unkritisch Hitlers Ideen‘). Figurativer Sprachgebrauch prägt auch soziale Strukturen. Er setzt ein gewisses Maß an Intimität zwischen Hörer und Sprecher voraus und verstärkt sie, indem er einen gemeinsamen Vorrat an Erfahrungen und Interessen ins Spiel bringt, die für die Interpretation einer Metapher notwendig sind. Subkulturen werden so zu einer kaum zu unterschätzenden Quelle neuer Metaphern: ob im Slang von Jugendlichen oder in den Termini von Computerspezialisten. Die figurativen Ausdrücke, die auf sie zurückgehen – von Begriffen für sozial adäquate Verhaltensweisen (von ,hip‘ über ,phat‘ bis ,cool‘) oder all den Namen für Cannabis – sind Legion; und wie sehr Computervokabular sich anderweitig, gerade auf die Hirnforschung applizieren lässt, ist ebenso frappierend. Die Politik kommt ebenfalls ohne Leitmetaphern nicht aus. Kommentare zu den beiden Irakkriegen griffen mit Vorliebe auf konzeptuelle Schemata wie STAAT IST EINE PERSON (um die militärische

Intervention zu rechtfertigen) oder GERECHTER KRIEG IST HEROISCH (um nach Schurken und Helden werten zu können) zurück: Sie personalisieren, konkretisieren und unterstreichen einzelne Meinungen. Es kommt nicht von ungefähr, dass einer der klassischen Vorwürfe gegen die Poesie ihre demagogische Überredungskunst ist, die sie nicht erst seit Johannes R. Becher, Jewtuschenko oder Neruda zum Agitprop einzusetzen verstanden hat. Genauso wie wir im Alltag überwiegend anhand metaphorischer Schemata raisonieren (und uns LIEBE dadurch als ,Reise‘ in den Hafen der Ehe, als ,Nahrung‘, von der man nicht genug kriegt, als ,Naturgewalt‘, ,Magie‘ oder ,Einheit‘ vorstellen), ist auch der wissenschaftliche Diskurs damit unterlegt. Eine Debatte über Hypothesen greift entweder das Schema auf THEORIE IST EIN GEBÄUDE (indem man sie ,aufstellt‘, solange sie auf ,Fundamenten‘ beruht, etc.) oder THEORIE IST EIN BERG (auf dem man sich ,versteigt‘ oder ,verirrt‘). Spezifische Beispiele sind zahllos: ob in der Physik – die bis zu Nils Bohr die um den Atomkern kreisenden Elektronen in Analogie zu den um die Sonne kreisenden Planeten begriff und deshalb der Quantenphysik anfangs nur wenig abgewinnen konnte – oder in der Psychologie. Eine Studie über die Metaphorik in wissenschaftlichen Artikeln der Psychological Review etwa zeigte zwischen 1894 und 1975 beständig sich verändernde Modellbildungen auf: Zuerst wurde alles Geistige über den Bereich ,Lebewesen‘ konzipiert (,durch das Lügen wird der Geist müde‘; oder ,stark wie vom Schwimmen gegen den Strom‘) dann über den ,Raum‘ (,Alles im Hintergrund Verborgene ist keine geistige Aktivität‘) und schließlich durch Vergleiche aus dem Umfeld ,System‘, ,Elektronik‘ und ,Computer‘. 2 Bei alledem sind wir in der Lage, Metaphern zu interpretieren, ohne dass es klare Regeln dafür gäbe.


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Dennoch kommen wir dabei letztlich ohne die Basis von definitiven wörtlichen Bedeutungen aus – selbst noch als Gemeinplatz ist die Metapher ja abhängig von Kultur, Kontext, Individuum und dem jeweiligen Sprechakt. Warum verstehen wir dann Metaphern trotzdem – und das bei all den bereits skizzierten Elementen semantischer Täuschung, die sie mit einbringt? Weil es etwas gibt, das Paul Grice ,konversationelle Implikationen‘ genannt hat. Ihnen zufolge ist Kommunikation dadurch gekennzeichnet, dass sie zwischen den Zeilen mehr implizit als explizit aussagt. Und das kann sie, weil jeder Dialog auf dem Wissen und der Empathie zwischen Dialogpartnern aufbaut – und jeder Sprechakt eine Intentionalität voraussetzt: Möchtest Du gerne ein Stück Kuchen? Ich bin auf Diät. Um dies überhaupt als Dialog auffassen zu können, müssen wir eine ganze Reihe von Implikationen nachvollziehen. Denn eine eindeutige und kausale Antwort auf die Frage ist ja nicht gegeben: Statt ,Nein‘ zu sagen, wird hier nur ,Nein‘ gemeint. Und auch die Frage ist nur implizit gestellt; sie will eigentlich nur etwas über einen Wunsch wissen; vom Nehmen und Essen wird nichts gesagt. Grundlage solcher Sprechakte ist das, was Grice mit ,Kooperations-Prinzip‘ betitelte. Es definiert sich dadurch, dass ein Sprecher „einen Beitrag zur Konversation leistet – in dem Maß, wie er erforderlich ist; zu dem Zeitpunkt, wo er gebraucht wird; dem Verlauf gemäß, den die Konversation nimmt; ihrem Ziel oder Zweck entsprechend.“ In Maximen ausgedrückt, lässt sich dieses Kooperations-Prinzip auf folgende vier Punkte reduzieren: – Maxime der Quantität: Der Gesprächsbeitrag soll so informativ sein, wie erforderlich – nicht mehr. – Maxime der Qualität: Man sagt grundsätzlich nicht, was man für unrichtig hält. – Maxime der Relation: Man steuert zu einem Gespräch nur augenblicklich Relevantes bei. – Maxime des Stils: Man ist dabei so knapp wie möglich, um Ambiguitäten und Unklarheiten zu vermeiden.

Bleibt das Kooperations-Prinzip generell gewahrt, kann man gegen jede dieser Maximen verstoßen – solange der Adressat sich dessen bewusst ist (die Metapher verletzt meistens alle vier Maximen). Die Frage nach objektiven Wahrheitsgehalten stellt sich damit als Frage nach einer Intentionalität, die beim Sender wie beim Empfänger auf denselben ökonomischen Prinzipien basiert. Selbst noch eine schlecht konstruierte, deplatzierte und überinstrumentierte Lüge verrät – an diesem Gebrauchsmodus gemessen – das Kriterium der Intentionalität: Sie will ja etwas sagen, selbst wenn es durch das Gegenteil geschieht. Das setzt einen Sprachbegriff voraus, bei dem Worte nur ein Medium sind, mit dem Gedanken vermittelt werden, und eine Auffassung von Kommunikation, bei der es weniger um das Verständnis von Sätzen als um das Erkennen von Sprecherintentionen geht. Um das zu gewährleisten, leiten wir vom Gesagten weit öfter Bedeutungen ab, als dass wir uns mit der rein wörtlichen Aussage zufrieden gäben. Dabei greifen wir auf zusätzliche Informationen zurück: auf das, was wir vom Sprecher als Person wissen; auf das, was wir von den Dingen wissen, auf die er sich bezieht; und nicht zuletzt auf das, was wir aufgrund seiner Körperhaltung und Intonation erschließen. Gefragt danach, was jemand gesagt hat, geben wir es darum nur selten verbatim wieder; stattdessen drücken wir das aus, was wir für das eigentlich Gemeinte halten. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist Sprache abhängig von der kognitiven Fähigkeit zur Empathie. Sie ist weniger referentiell auf Wörtliches und semantische Kategorien bezogen, denn manipulativ auf Intentionalitäten. Intentionalität ersetzt demnach die Idee ,wörtlicher Bedeutung‘. Diese Sprachpragmatik zeigt sich auch daran, dass bei experimentellen Studien die Reaktionszeit auf figurative wie auf wörtlich gemeinte Sätze etwa gleich lange beträgt. Das Figurative – ob als Idiom, Slangausdruck, Sprichwort oder Metapher – ist also entgegen unseren hinlänglichen Erwartungen nicht schwieriger zu verstehen als das Wörtliche. Dasselbe gilt für indirekte Aussagen (,kannst du mir das Salz reichen‘) wie für negativ formulierte Sätze. Gängigen Auffassungen zufolge müssten wir beides Mal ja erst das Wörtliche dekodieren und es dann


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direkt oder positiv umformulieren, bevor wir begreifen können, was gemeint ist. Einen angemessenen Kontext vorausgesetzt, ist dies jedoch nicht der Fall – im Gegenteil: Wir scheinen Wörtliches und Figuratives parallel zu verarbeiten. Entscheidend dafür, was davon dann zu Tragen kommt, ist allein der pragmatische Aspekt – der die jeweilige Aussage auf ihren kontextuellen Rahmen hin einschätzt. Man kann einer Versuchsperson zwei Beispiele vorlegen: eines ist wörtlich aufgefasst falsch, metaphorisch jedoch verständlich (,Manche Jobs sind Gefängnisse‘); das andere hingegen formuliert dieselbe Bedeutung wörtlich eindeutig (,Manche Menschen sind in ihren Berufen gefangen‘). Die metaphorische Ausdrucksweise leuchtet dann schneller als die wörtliche Ausdrucksweise ein – am längsten dauert die wörtliche Auflösung der Metapher (dass Jobs wirklich ,Gefängnisse‘ sind). Das geht soweit, dass wir bei Bedarf sogar die wörtliche Ebene einfach kurzschließen, um ganz auf die metaphorische Ebene wechseln. Kommunikation beruht also auf Intentionalität; sie gelingt, sobald sie als solche erkannt wird. Die Reaktionszeit für die Verarbeitung von Information ist dabei allein abhängig von der Identifikation der Sprecher-Intention – egal ob es sich dabei um eine wörtliche, figurative, idiomatische, ironische oder indirekte Aussage handelt. 3 Anwendbar ist dies auch auf das wohl berühmteste Beispiel von wörtlichem Nonsens, das expressis verbis konstruiert wurde, um zu zeigen, dass ein Satz zwar grammatikalisch korrekt, semantisch aber völlig sinnlos sein kann. Gemeint ist Chomskys Farblose grüne Ideen schlafen wütend. Diese Aussage sollte demonstrieren, dass Worte Symbole sind, die nur innerhalb eines semantischen Kontextes einen Sinn erhalten. Bei einem korrekten Sprachgebrauch kann ,schlafen‘ nicht das Substantiv ,Ideen‘ prädikatieren, ebensowenig wie dieses durch ,wütend‘ adverbialisiert oder ,Ideen‘ durch ,grün‘ adjektiviert werden können (schon gar nicht, wenn

dieses Adjektiv noch dazu durch ein zweites wieder negiert wird). Um vorzuführen, dass ,Bedeutung‘ unabhängig von der Grammatik einer spezifischen Sprache funktioniert – und umgekehrt Grammatik nicht das fundamentalste Sprachprinzip ist –, hat Chomskys Beispiel seinen Zweck erfüllt. Trotzdem lässt sich diesem Satz sehr wohl Sinn abgewinnen. Zum einen bietet bereits die Ebene des Wörtlichen die Möglichkeit, ihm einen Wahrheitsgehalt zuzuweisen. Es genügt, alle davor zu setzen – Alle farblos grünen Ideen schlafen wütend – und schon ist er nicht nur korrekt, sondern auch wahr. Da es keine farblos grüne Ideen gibt, gibt es auch keine farblos grünen Ideen, die nicht auch wütend schlafen könnten – um diese Aussage überhaupt verneinen zu können, bräuchte es existierende farblos grüne Ideen. Vertreter des logischen Positivismus haben solche Argumentationen zuhauf vorgebracht, denen zufolge alle metaphysischen (das heißt: empirisch nicht verifizierbaren) Aussagen sinnlos sind. So etwa hat Rudolf Carnap in einem Essay explizit behauptet, dass fast jeder Satz Heideggers zwar grammatikalisch korrekt, logisch jedoch völlig unsinnig ist. Zum anderen jedoch – als Ausdruck literarischer Intentionalität verstanden, die gegen alle oben angeführten Maximen verstoßen kann, weil sie uns zwingen, diese Maximen interpretativ wieder zu rekonstruieren – macht dieser Satz figurativ verstanden, nur wenig Probleme. Das sprachpragmatische Kooperationsprinzip einmal ins Spiel gebracht, geht man dabei den Umweg über die Polysemie: ,grün‘ kann lexikalisch auch ,jung, unausgegoren‘ bedeuten, ,farblos‘ auch ,langweilig und charakterlos‘; ,Idee‘ lässt sich als Personifikation auffassen, die das anthropomorphisierende Adverb ,wütend‘ verstärkt; und ,schlafen‘ als konnotativer Ausdruck für eine noch nicht realisierte Potentialität begreifen. Mit ein wenig semantischer Feinabstimmung – über genau jenes Prozedere, mit dem man auch Gedichte interpretiert – gelangt man so zur durchaus sinnvollen Aussage: Undefiniert unausgegorene Ideen stecken voll unbewusster Aggression. Was so verstanden nicht anderes wäre als eine Paraphrase von Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster.


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Es gibt noch mehr solcher Beispielsätze. Schon vor Chomsky hat der Linguist Lucien Tesnière den Satz Le silence vertébral indispose la voile licite (,die Wirbelstille beeinträchtigt das zulässige Segel‘) formuliert, um damit ein ähnliches Argument zu illustrieren. Konträr dazu haben Dada und der Surrealismus jedoch gerade eine solcherart semantisch frei assoziierende Sprache als Poesie deklariert. Und Perec, Queneau und Calvino in der Gruppe Oulipo – den ,Arbeitern für eine Potentielle Literatur‘ – benützten die Prinzipien einer generativen Grammatik dazu, um gleichsam mechanisch solche Sätze zu konstruieren. Größer könnte der Gegensatz zwischen Poesie und Linguistik also nicht sein. Dennoch ist er auflösbar. Drehen wir beispielsweise Chomskys Satz um, um diesmal nicht gegen seine Semantik, sondern gegen seine Grammatik zu verstoßen: Wütend Ideen grün schlafen farblos … – ein sinnleeres Beispiel ist dies nur in einem Kontext, der einen korrekten Gebrauch von Syntax voraussetzt. Als Auszug eines Tagebuchs, hingekritzelte Notiz oder surealistische écriture automatique würden wir diese Wortliste jedoch sofort akzeptieren: und uns (über die Grice’schen Prinzipien) eine passende Syntax dafür erstellen. Oder diesen Satz als Stichwortliste für ein Gedicht betrachten – die oft genug gerade mittels solcher Gedankenstenogramme entstehen. Dass Chomskys Satz sich auch in ein Gedicht eingliedern lässt, demonstrieren zwei, wenn auch poetisch nicht gerade überwältigende Beispiele. John Hollander lässt einen Maler solch ,farblos grüne Ideen‘ haben und von seiner Palette Chromoxyd (das Viridian oder ,Veroneser Grün‘ genannt wird) und Alizarin (ein aus dem Saft der Färberröte extrahiertes Pigment, das arabisch ,azarah‘, sonst aber auch ,türkische Wurzel‘ genannt wird) auf die Leinwand auftragen: AUFGERINGELTES ALIZARIN

D. A. H. Byatt’s Gedicht hingegen bettet Chomskys Satz aus dem Bereich der Malerei in einen biblischen Kontext ein: so adams stück vom paradies, in weit zurückliegender zeit: der farb-wucher von blumen, bäume in myriaden von grün; dank des gesegneten windes und eines gemäßigten klimas. der weg zu primatenhaftem wissen noch nicht zu erkennen schläft er am vorabend noch friedlich mit eva. einen apfel später, schaut er neugierig auf diese gärten der farbblindheit in denen farblos grüne ideen wütend schlafen und ihrer geburt entgegenfiebern, jeden morgen bis das schicksal regenbögen bringt, die sie sehen endlich. Es spricht für unsere Assoziationsfähigkeit – nicht für unsere Sprache –, dass wir noch aus allem Sinn zu gewinnen verstehen. Und dass es erst der Kontext ist, der Zeichen mit einem Bedeutungswert versieht. 4 Haben wir uns an anderer Stelle erlaubt, das Abgleiten des Wörtlichen ins Figurative durch ein paar an den OUvriers de la LIttérature POtentielle geschulten sprachgenerativen Methoden zu demonstrieren, bietet sich hier nun die Gelegenheit, ebenso spielerisch das Gegenteil vorzuführen – nämlich wie man anhand von diversen Notaten, Gedankenstenogrammen und Neuansätzen schließlich klare figurative Bedeutungsumrisse herausarbeitet: wobei die Ebene des rein ,Wörtlichen‘ bereits von vornherein mehr als doppelbödig ist … Zeigen wir also in einem eigenen Beispiel, wie man in sechs Schritten zu einem klassischen Lesebuchgedicht gelangen kann:

für Noam Chomsky seltsam tief, der schlummer karmesinroter gedanken: während atemlos, in pappigem viridian farblos grüne ideen wütend schlafen.

1. Der erste Einfall, zwar prägnant, aber derb, gegen zwei Uhr morgens im Tagebuch festgehalten, nachdem das schweizer Hausmädchen einigen Unwillen bezeugte:


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Blind Sculpture, Greene Naftali Gallery, New York 2010, Fotos: Jason Mandella (3), Paula Court (2)


Gerne der Zeiten gedenk ich Als all meine Glieder gelenkig – Bis auf eines. Die Zeiten, die kommen nicht wieder, Denn steif sind all meine Glieder – Bis auf eines. 2. Nachmittags versucht, Lyrismen einzuführen und alle Endlichkeit des Seins zu offenbaren; poetisch aber noch ein Hänger: Beizeiten geh zur Ruh, Spürest alle Glieder du – Bis auf eines. Der Zeiten Flug – ein Hauch; Bald ruhen deine Glieder auch – Bis auf eines. 3. Aufbruch nach Richterswil zu einem nahegelegenen Berg mit schönem Ausblick auf den Zürichsee; Felsweg geht an auf; Geschener Alp, Teufelsbrücke, Urner Loch; meine Hofratshaxn tun mir weh, aber euphoristische Stimmung nach dem Abstieg; in Alptal das leidige Thema neu aufgegriffen: Ich gedenk meinen Wanderschuhen In denen meine Füß ruhen – Dort oben am Gipfel; Ich verlor sie beide im Walde An ein Vöglein gar balde – Dort oben im Wipfel. 4. Zu touristisch; auch hat sich ein schweizer Dativ eingeschlichen; im ,Ochsen‘ Quartier genommen; gehe das Sujet noch einmal mit dem alten Schwunge an: All der Zeiten gedenk ich, Als ich noch v…… inniglich – Spürest du’s auch? Einst streckte sich das G…. bis zum Gipfel, Des Mondes Zipfel über der Bäume Wipfel – Spürtest du’s auch? 5. Mehr als platt; ich ringe zwar um die Strophenform, dafür aber mißrät alles andere zusehens – auch ist mir die Nosthalgie im Wege. Muß einenteils an der zu sauerstoffreichen Bergluft liegen, andererseits am Schmalz und am Käse, die man uns überall kredenzt; Blähungen; aber versuche jetzt, durch Verschrän-

kungen und Enjambement dem Vorwurf trotzdem noch eine Kontur (embonpoint!) abzugewinnen: In allen Gliedern Ist Ruh, Trotz allen Liedern Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein – Bis auf eines – Schweigen im Walde. Warte nur, balde Wird auch meines Ruhen allein. 6. Habe heute am 6. September wieder mein Tagebuch von 1775 hervorgekramt; wußte, daß ich darin noch etwas Unerledigtes finden würde; sehe jetzt alles viel klarer, vielleicht nenn ich’s ,Wanderers Nachtlied‘ – könnte ankommen, als kleines intimes Tableau mit subsummarischer Pointe: Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch. Johann Wolfgang von Göthe


Besetzung

Friedrich Biedermann, Hopfgarten → Wien: Bildender Künstler; Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2002– 2008 Assistenz bei Brigitte Kowanz (Transmediale Kunst). Kommuniziert über die unterschiedlichsten Medien wie Installationen / Videos / Fotografie / Skulpturen / Zeichnungen. EXPO Shanghai 2010 – Austrian Pavillon – Skulptur „Displacer“. www.friedrichbiedermann.com gelitin, Mistelbach/Salzburg/Krems/München → Wien: gelitin besteht aus vier Künstlern. Sie trafen sich 1978, als Kinder in einem Sommercamp. Seit damals spielen und arbeiten sie zusammen. Um 1993 herum wurden sie eine professionelle Künstlergruppe. http://gelitin.net Walter Groschup, Innsbruck → Innsbruck: Lebt von und für Valentinaden (z. B. „Lang lebe Valentins Hut. Dramolette“, erschienen im Skarabaeus Verlag, Aufführung bei den Tiroler Volksschauspielen Telfs 2002; Szenische Lesung von „Valentins Karl“ mit Gerhard Kasal und AkkoSax bei den Tiroler Volksschauspielen Telfs 2006), Kino (Otto-Preminger-Institut, LeoKino, Cinematograph). Sigrid Hauser, Meran → Wien: Universitätsprofessorin für Architekturtheorie an der Technischen Universität Wien; Bücher und Texte zur Architektur von Lois Welzenbacher, Curzio Malaparte, Tadao Ando, PAUHOF, Peter Zumthor u. a. Zahlreiche Publikationen zu Themen der Konzeptions- und Rezeptionsästhetik. Zuletzt ist erschienen: „Kafkas Raum im Zeitalter seiner digitalen Überwachbarkeit“ (Löcker, Wien 2009) und „Der Fortschritt des Erinnerns – Mit Walter Benjamin und Dani Karavan in Portbou“ (Wasmuth, Tübingen Berlin 2010). Wolfgang Hermann, Bregenz → Bregenz: Schriftsteller; Studium in Wien, lebte längere Zeit in Frankreich und Japan. Bücher der letzten Jahre: „Herr Faustini verreist“ (2006), „Fremdes Ufer. Legenden“ (2007), „Herr Faustini und der Mann im Hund“ (2008), „Konstruktion einer Stadt“ (2009), „Mit dir ohne dich“ (2010), „In Wirklichkeit sagte ich nichts“ (2010). Stephan Hilpold, Brixen → Wien: Journalist; studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Wien und Berkeley/USA. Arbeitete als freier Kulturjournalist für in- und ausländische Medien, seit 2005 verantwortet er die Mode in der Tageszeitung „Der Standard“. Paulus Hochgatterer, Amstetten/Niederösterreich → Wien: Schriftsteller; diverse Auszeichnungen, u. a. Österreichischer Staatspreis für Jugendliteratur (für „Caretta caretta“) und Deutscher Krimipreis (für „Die Süße des Lebens“), zuletzt Literaturpreis der Europäischen Union 2009 und Österreichischer Kunstpreis 2010. Werke u.a.: „Wildwasser“, „Caretta caretta“, „Über Raben“, „Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen“; zuletzt im Frühjahr 2010 der Roman „Das Matratzenhaus“ (alle Bücher im Verlag Deuticke). Johanna Hofleitner, Wien → Wien: Kunstkritikerin; ihre Texte erscheinen in „Die Presse“, „artmagazine.cc“, „Eikon“, „European Photography“, Camera Austria, Flash Art, artforum, blocnotes, Texte zur Kunst, Kunstforum, Neue Zürcher Zeitung u.v.a.m. Stephan Huber, Lindenberg im Allgäu → München und Bidingen im Ostallgäu: Bildender Künstler; seit 2004 Professor für Bildhauerei an der Münchner Kunstakademie. Zahlreiche Ausstellungen, u. a. Edinburgh International, PS1– New York, documen-

ta 8, Biennale di Venezia 1999, Hamburger Kunsthalle und Lenbachhaus München. www.stephanhuberkunst.de Constantin Luser, Graz → Wien: Bildender Künstler; Akademie der bildenden Künste, Wien (Klasse Konzeptionelle Kunst, Renee Green), Universität für Angewandte Kunst, Wien (Klasse Visuelle Medien, Brigitte Kowanz) Ausstellungen und Projekte (Auswahl): Art Forum Berlin, Constantin Luser & Johannes Vogl, with Jette Rudolph, Berlin/D (S); lebt und arbeitet in Wien III. Stars in a Plastic Bag, Kunsthalle Wien (G) (cat.); Constantin Luser vs Johannes Vogl, Jette Rudolph, Berlin 2009; In Between – Austria Contemporary, Genia Schreiber University Art Gallery, Tel Aviv, Israel (G); Constantin Luser, Augarten Contemporary (Belvedere), Vienna (S); Sound of Art. Musik in der bildenden Kunst. Les grands spectacles III, Museum der Modernen Kunst, Mönchsberg, Salzburg (G); Multitasking, SM’s -Stedelijk Museum, Hertogenbosch, NL (G) Dorit Margreiter, Wien → Wien und Los Angeles: Bildende Künstlerin; Projekte und Ausstellungen (Auswahl): „Everyday Life“, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, 2001/2002; „the air is blue“, Museo Casa Barragan, Mexico City, 2003; „10104 Angelo View Drive“, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 2004; „International“, Liverpool Biennial 2004, Tate Liverpool. Zahlreiche Videoarbeiten und Publikationen. Auszeichnungen (Auswahl): Otto Mauer Preis (2002), Preis der Stadt Wien (2003), Preis der Telekom Austria (2004). Manfred Alois Mayr, Tscherms / Südtirol → Meran: Bildender Künstler; Diplom an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, anschließend mehrjähriger Lehrauftrag. Mayr arbeitet im Spannungsfeld von Bildkunst und Baukunst. Der Künstler thematisiert (Farb-)räume zwischen Oberfläche und Konstrukt, analysiert Farbexistenzen und Materialkörper formal, geographisch, soziologisch und kulturhistorisch. Fotografisch-enzyklopädisches Sammeln und Archivieren von anonymen Farbanstrichen und Bauprozessen. Zahlreiche künstlerische Interventionen an öffentlichen und privaten Bauten. Fritz Ostermayer, Schattendorf/Burgenland → Wien: Musik- und Kulturredakteur sowie Radiomacher und Moderator (derzeit: „Im Sumpf“ auf Radio ORF-FM4). DJ, Performer, Kurator, Lektor und Neo-Choreograph. Martin Prinz, Wien → Großes Walsertal: Schriftsteller; neben seinen Romanen (u. a. „Der Räuber“ und „Ein Paar“) verfasst Martin Prinz regelmäßig Reiseberichte und Reportagen für die Tageszeitung „Der Standard“. Mit Benjamin Heisenberg schrieb er an der Verfilmung von „Der Räuber“, der im Wettbewerb der Berlinale Premiere feierte. 2010 wurde ihm vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur der „outstanding artist award“ für Literatur verliehen. Olaf A. Schmitt, Schweinfurt → München: Dramaturg an der Bayerischen Staatsoper, zuvor Dramaturg am Theater Heidelberg; studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Musikwissenschaft in Frankfurt am Main. Lehraufträge und Vorträge an den Universitäten Frankfurt, Bamberg, Zürich und der Bayerischen Theaterakademie; Publikationen über Heiner Müller, Heiner Goebbels u. a., Programmheftbeiträge; Stipendien der Akademie Musiktheater heute und der Bayreuther Festspiele. Raoul Schrott, Landeck → Irland: Schriftsteller; erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Mainzer Stadtschreiber-Preis und den Joseph-Breitbach-Preis (beide 2004). Bei Hanser erschie-

Lösung von seite 59: Andy McLuhan / Marshall Warhol – Crossword 01. LAUWARM; 02. OBERFLÄCHE; 03. BANANE; 04. FÜNFZEHN; 05. INFANTIL; 06. TUBE; 07. SEX; 08. ORAKEL; 09. PI; 10. SILBER 130/131


nen u. a.: „Homers Heimat“ (Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe, 2008), die „Neuübertragung der Ilias“ (2008), „Die Blüte des nackten Körpers“ (Liebesgedichte aus dem Alten Ägypten, 2010), im Januar 2011 erscheint: Gehirn und Gedicht – Nachrichten aus dem Inneren des Kopfes (coAutor Arthur Jacobs, ebenfalls bei Hanser). Thomas D. Trummer, Bruck an der Mur → München: Kurator für zeitgenössische Kunst, Studium der Musik, Kunstgeschichte und Philosophie. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Ästhetik und der Gegenwartskunst; zuletzt kuratierte Ausstellungen: „Actors & Extras“ (Brüssel 2009); „The Science of Imagination“ (Budapest 2010); „Displaced Fractures“, (Zürich 2010); „Artistic Research“, Cambridge, MA 2010. Wendy & Jim, Tirol → Niederösterreich: Wendy & Jim sind die Designer Helga Schania und Hermann Fankhauser. Sie gründeten das Label 1999. Studierten an der Universität für angewandte

Kunst (Klasse Helmut Lang). 1999 Teilnahme am Modefestival in Hyères. Seither zeigen sie ihre Kollektionen während der Prêtà-porter Wochen in Paris. Ihre Mode wird in renommierten und richtungsweisenden Magazinen wie „i-D“, „Purple“, „Selfservice“ und „*Surface“ publiziert. Seit dem 2005 ist Hermann Fankhauser als Assistent der jeweiligen Professoren für die künstlerische Betreuung sowie für die Projektentwicklung und -durchführung der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst Wien zuständig. Joseph v. Westphalen, Schwandorf → München: Schriftsteller; neben Essays diverse Romane, so um den Diplomaten und Jazzfreak Harry v. Duckwitz, dessen Lieblingsmusik es auf 7 CDs gibt („Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt“). Letztes Buch „Aus dem Leben eines Lohnschreibers“. Sitzt an einem halbwahren Roman mit dem Titel „Als Karl Marx meinem Urgroßvater die Legende vom heiligen Georg erzählte“.

Quart Heft für Kultur Tirol

Herausgeber: Kulturabteilung des Landes Tirol Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)1 740407814, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: E 19,– / SFr 32,90 · Einzelheft: E 13,– / SFr 23,50 (Preise inkl. MwSt., zuzügl. Versand) Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Friedrich Biedermann, gelitin, Walter Groschup, Sigrid Hauser, Wolfgang Hermann, Stephan Hilpold, Paulus Hochgatterer, Johanna Hofleitner, Stephan Huber, Constantin Luser, Dorit Margreiter, Manfred Alois Mayr, Fritz Ostermayer, Martin Prinz, Olaf A. Schmitt, Raoul Schrott, Thomas Trummer, Wendy & Jim, Joseph von Westphalen Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten – Inhalt und Konzeption: gelitin Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, www.circus.at Druck: Lanarepro (BZ) Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 86/87 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-85218-646-7 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2010 · Alle Rechte vorbehalten.



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