Quart Nr. 17

Page 1

Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 17/11 E 13,–


Foto: Lukas Schaller

Genau so, aber anders Tiroler Architekten und Ingenieurkonsulenten


Die Musik ist eine Scheibe.*


„Text ohne Reiter“ ist die erste und einzige Innsbrucker Lesebühne und findet jeden zweiten Donnerstag eines Monats im Café Moustache statt. Von unverständlicher Prosa, Dada-Pop und Sprachspielexperimenten bis hin zu Kindergeschichten, Musikextravaganza, Horror-Visuals und Butoh-Tanz hat in dieser Veranstaltung alles Platz, was sich irgendwie mit Text kombinieren lässt. Für die linken Seiten dieser Ausgabe von Quart suchten sich die vier Mitglieder der Lesebühne [Stefan Abermann (A. S.), Martin Fritz (M. F.), Markus Koschuh (M. K.) und Robert Prosser (R. P.)] Reizwörter aus den Artikeln und ließen sich davon zu neuer Prosa inspirieren, die zwischen Metatext und Phantasie, Kreuzworträtsel und Rekombination changiert.

Aufgetauter Text

Städtisches Spazieren mit keinem Fremden

Wundvernarbungen. Seelisch.

Herrn Johanns wundersame Beziehung zum Nebel Wir haben unsern Frust immer hineingefressen (nicht) leicht zu entschlüsseln

Tropfenfall unter den Aufgepfropften

Rauschfantastendestillat

„Ausreden, Ausreden, Ausreden!“

Versteckt euch und 4/5


Inhalt

Edgar Martins „Black Minutes of Memorial Snow“

1/132

Tirols Architekten und Ingenieurskonsulenten col legno

2 3

Text ohne Reiter Inhaltsverzeichnis

4 5

Fließtext Von Barbara Frischmuth Edgar Martins „Black Minutes of Memorial Snow“

6/7

Ernst Trawöger Originalbeilage Nr. 17

76/77

Frozen Movie Der Schriftsteller und Arzt Daniel Grohn besucht den Tierpräparator Peter Morass. 78–85 Eigenwerbung

86/87

Landvermessung No. 3, Sequenz 4 Vom Kellerjoch zum Vomperloch (über Schwaz). Walter Grond wagt sich zu zweit in den Wald. 88–99

8–17

Am äußersten Rand der Menge Cyrus Shahrad sieht die Zillertalbilder von Edgar Martins und schreibt eine seltsame Erzählung.

18–21

„Ich hab nur meine Lust zu verteidigen“ Bernhard Gander und Tristan Schulze reden übers Komponieren: unterschiedlich. Interview: Wolfgang Praxmarer

22–31

Exoten unter der Brennerautobahn Beate Ermacora durchforstet die Fotografien von Karl Unterfrauner.

32–35

Karl Unterfrauner „Neophyten“

36–45

Der Orgelbauer von Tirol Der erste Hörbiger. Krista Hauser über den Urahn der berühmten Schauspielerfamilie

46–55

„Aussicht, Aussicht, Aussicht!“ Hermann Kaufmann, Wolfgang Pöschl und das Bauen über der Baumgrenze

56–63

Karl auf der Mauer Othmar Prenner schmuggelt Wörter ins Ortszentrum von Mals. Mit einem Text von Andreas Hapkemeyer

64–71 72–75

Waschzettel Sonia Leimer wäscht Einladungskarten rein.

100–107

„immer ist mir am liebsten das hineingehen in den nebel“ Vorabdruck aus der vierbändigen Werkausgabe von Johannes E. Trojer. Von Sandra Unterweger

108–123

Satzspiegel Von Delugan Meissl Associated Architects

124/125

Hotel Greif / Restaurant Laurin Hypo Tirol Bank

126 127

Tirol Werbung BTV Bank für Tirol und Vorarlberg

128 129

Besetzung, Impressum

130/131


Fließtext*

Von Barbara Frischmuth

*

— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben. 6/7

Schnee, ich bin keine Freundin von Schnee, nicht unbedingt. Schneeweiß muss er sein, schön und schneidig, nicht dieser Tauschnee, der schon schrumpelig ist, weiß also, wie eine Schneegans und nicht gänsehäutig. Ich weiß, ich sitze am falschen Ort, denn hier schneit es, immer wieder, auch im März, auch im April. Im Grunde genommen, gibt es keinen Monat, in dem es nicht schon geschneit hätte. Sogar an meinem Geburtstag im Juli, flockenweiß, flokatiweiß, flurdeckend weiß. Auf dem Dach liegt er manchmal so polstrig ausladend mit nur von der Dachrinne gehaltenem Überhang, der geschwungen ist wie die Möbel von Ron Arad oder die Kirchen von Antonio Gaudi, dass man sich nicht mehr zu nießen traut, wenn man drunter steht. Am schönsten aber ist der Nebelschnee, den die Sonne überrascht, Ende Jänner oder so. Die Kälte hat alles im Griff, keine Schneeschwaden weit und breit, gleich wird der Himmel blitzblau und es kommt die Stunde der Laubbäume, der Büsche und Gestrüppe, deren Atemluft sich in die vielförmigsten Kristalle verwandelt hat, die an den nackten Ästen und Zweigen festsitzen und, wie vom Winter persönlich behustet, ihren glitzernden Pelz zur Schau stellen. Ein schüchternes Hauchen weht Flocken in die Luft, es schneiberlt bei wolkenlosem Himmel, tänzelnd trudeln die gefrorenen Sterne in Zeitlupe auf meine Schuh. Zauber um Zauber in diesem verschneiten Landschaftsgarten, der immer üppiger blüht, je näher am Fluss, in den der See abfließt. Dort stehen die Forellen im Schneewasser, schnappen nach den größeren Flocken, essen Schnee wie die Autistin in dem kanadischen Film, die den Besucher fragt, ob er schon einmal einen Orgasmus gehabt habe, worauf er: das ist vorgekommen. Darauf sie: Ihre Tochter hätte ihr davon erzählt. Und das habe geklungen wie eine abgeschwächte Version von dem, was sie empfinde, wenn sie Schnee esse. Und die Forellen? Jedenfalls schwänzeln sie unermüdlich, der Rest ist Schneewasser. Ich keuche den Hügel hinauf, verkutze mich an einer Flocke, die mir in den Mund geschwebt ist. Sie schmilzt und ich höre auf zu keuchen. Wenn ich keuche, kann ich den Gletscher nicht sehen, diesen Dachstein, dessen Dach immer löchriger wird, während es früher wie die Alm der Sennerinnen, die vor Übermut die Milch auf der Alm verschütteten, gleißte und glänzte und sich geschmeidig rundete wie Schlagobers, das die Saligen über dem Stein verstrichen hatten, eine Malakofftorte der besonderen Art, die sogar im Sommer nicht sauer wurde und flockte, sondern ihr Schlagobers täglich neu aufschäumte zur Augenlust ihrer Betrachter. Demnächst wird man auch den Dachstein künstlich beschneien und beeisen müssen, damit er nicht aus dem Tourismusprospekt genommen werden muss, der alte Tachinierer, den es einfach nicht mehr freut, sich weiterhin täglich abzuhärten. Der will eben auch einmal in den Süden, in die ewige Sonne statt ins ewige Eis, das war halt ein Jugendtraum, das Eis, meine ich, jetzt will er im Mittelmeer schwimmen lernen,


mit der fadenscheinigen Begründung, dass die Wale kaltes Wasser brauchen, das wären also zwei Fliegen auf einen Schlag, da kann doch niemand was dagegen haben. Na ja, diese Eismänner, die waren noch nie ganz verlässlich, nicht einmal dort, wo man sie zu Heiligen gemacht hat. Wie die Männer halt so sind, kommen oder kommen nicht, nur die Sopherl hält das Ganze noch aufrecht, macht den Wauwau, Wasser gibt’s ja noch genug, nur das Eis wird immer weniger, das Natureis, meine ich und schaue auf die Zapfen, die meterlang von meinem Dach hängen. Schuld der Wintersonne, wenn man’s genau nimmt. Zapfen, die in den Schnee beißen, wenn sie ihn erwischen, wenn sie lang genug tagsüber rinnen und abends frieren. Schaut aus, als sei das ganze Haus ein riesiges Maul, das immer nur einatmet und irgendwann platzt. Dann gibt es Föhn, den luftigen Feind des wässrigen Schnees. Da bin ich dann oben auf. Der Föhn regt mich an und auf. Der lässt das Eis auf dem See krachen, dass es bis zu mir herauf ächzt und wimmert. Reißt es auf und fährt ihm unter die Kruste, dass es nur so splittert. Nachts kann man ihn heulen und das Eis stöhnen hören. Da gehen sogar die zwei Schwäne an Land, die im Schilf hausen, gehen an Land und bauen sich einen Iglu aus dem restlichen Schnee, aber der schmilzt dem Föhn hinterher, eine kranke Liebhaberin, die mehr geben will, als sie hat. Was den Föhn zum Röhren bringt, hat er doch wie alle Leidenschafter eine Vorliebe für Weiß, sprich: Unschuld, nach der ihm das letzte Maul lustet. Aber Schnee allein ist noch keine Geliebte, da will er schon höher hinaus, wenn schon, dann mindestens die Schneekönigin. Wo die zu Hause ist, dahin möchte er zumindest einmal im Leben. Ihre Fußsohlen lecken und sie klirren lassen, während sie sich an ihm wärmt und in ihm auflöst. So hätte er es halt gern, wie alle Eroberer, ein Dekonstruist, der in den Scherben badet. Ein Held der Attacke, der mit dem Sieg nichts anzufangen weiß. Aber ist die Schneekönigin nicht schlauer – Hoffnung der ewigen Optimierer – als dieser windige Kerl, der nur einen Wirbel macht, anstatt ins Geschehen einzugreifen oder sich selbst zurückzunehmen, um die Welt im Lot zu halten. Aber nein, er muss seine windigen Ansprüche auf Inuit-Sex verwirklichen und sein verblasenes Gesicht wahren. Dabei kann er nicht einmal dem Weihnachtsmann das Wasser reichen, der mit der Eiseskälte Schlitten fährt und bloß Herzen erwärmt und Geizkrägen zum Schmelzen bringt, die den Kreislauf der Geschenke blockieren. Die Schneekönigin ist einfach hinter den sieben Bergen verschwunden. Sie kennt den Föhn nur vom Hörensagen und ist so gar nicht neugierig auf ihn, da kann er sich noch so aufplustern, schon nach dem dritten Berg bleibt ihm die Puste weg, und wenn er nicht sogleich umdreht, wird der Schnee eines unfreundlichen Vergessens ihn begraben, und das grabsteinlos, unerkannt und unerbeten, ein Lüftchen, das den Polarfüchsen um den Schnurrbart geht und sie zum Gähnen bringt. Ein Zeichen von Frühjahrsmüdigkeit.












Am äußersten Rand der Menge

Wundvernarbungen. Seelisch.

Der Jankovsky, in Praggeboren, geboren,in in China Wien aufgewachsen, Anhänger der kognitiven experiDer Psychoanalyitker Fotograf Edgar Paul Martins, in Portugal aufgewachsen,istinein London beheimatet, hat sich für mentellen Psychologie. Von Rohrschach-Test und gewagt, ähnlichen Instrumenten der Diagnostik will er nichts wissen. Er geht Quart mitten im Winter ins hinterste Zillertal um den Umschlag und fünf Doppelseiten (S. xx–xx) für andere Wege. dieses Heft zu realisieren. „Black Minutes of Memorial Snow“ nennt er die Serie der Bilder, die nahezu dieunbereiste er seinen

Zonen des vielbereisten „DieZuerst größteimHerausforderung war,schließlich den obligatorischen V-Schnitt zu Patientinnen und PatientenTales mittelserkundet: Diashow zeigt. Zwei-Sekunden-Takt, aber das Auge überlistend vermeiden, der entsteht, wenn du vom Tal aus Berge fotografierst. Ich wollte einen fantasy-artigen, fiktionalen

in einer 26-Bilder-pro-Sekunde-Frequenz. Fünf Dias sind es, die sich schnell wiederholen, wobei zwei der Dias neben

Raum schaffen, der sich aber aus realistischen Elementen zusammensetzt. Verschiedenartigste Ausprägungen

einer sich durchziehenden Winterlandschaft je eine Rückansicht eines Frauenkopfes zeigen: Im dritten Dia sind nur lange,

von Landschaft füge ich in den Fotografien aus Tux zusammen: schneebedeckter Talgrund, scheinbar von eben blonde Haare einer vermutlich jungen Frau zu sehen. Im vierten Dia gesellt sich zur Winterlandschaft eine sichtbar ältere

dort aufgenommen, und weitläufige Gebiete, die man nur von einer Anhöhe oder vom Flugzeug, nicht aber Frau mit kurzen, grauen Haaren. Die PatientInnen und Patienten werden aufgefordert, keinesfalls die Augen zu schließen.

vom Tal aus erblicken kann. Dabei entsteht – wie oft in meinen Arbeiten – eine beunruhigende Verbindung von Unmittelbar nach dem gesehenen „Schneefall an erinnerungsmobilisierenden wie es Jankovsky auch umRealismus und Fiktion.“ Cyrus Shahrad schrieb im Auftrag des FotografenMomenten“, zu den Zillertalbildern den folgenden

Text mitwerden dem Titel schreibt, die „Versammlung“: so Reizgefluteten gebeten, spontan ihre Eindrücke zu beschreiben:

Patient, 48 Jahre: habe mich an eine gekommen mir sehr unIch hatte keine Ich Ahnung, wiesofort sie hierher angenehme erinnert. Es war Firmung meines waren oderSituation wie lange sie schon dadie waren; in Paaren älteren Bruders, die ganzehatten Familiesie hatte oder kleinen Gruppen sichsich auf

dieser eisiund mittendrin ich, gen Ebene zusammengefunden, umgeben von schneebedeckten mich unter Berggipfeln, den Verwandten die auf allein allen fühlend, Seitenintheatralisch Anzug und Lackschuhen. emporragten. Manche hatten ein Getränk in der Hand, obwohl kein Kellner zu sehen war,.andere Alles drehte saßensich bequem nur um auf ihn, gepolsich terten war ziemlich Sesseln, eifersüchtig. wie man sie Zu allem in einem Überfluss vornehmen steckteClub meine Großmutter meinem Bruder einen 100-Schilling-Schein erwarten würde, die meisten jedoch standen inmitten zu. So, dass es alle Eiskristallen sehen konnten. Als sie später zu mir kleiner, von zarten bedeckter Pflanzen im kam, steckte sie mir kein Geld dunkle zu, sondern spuckte ihr Schnee. Die Männer trugen Anzüge und in KraStofftaschentuch undschwarze putzte mirKleider, damit einen Marmeladenwatten, die Frauen manche auch einen Hut fleck von oder der Wange. einen Schleier. Mein sehnlichster Ungeachtet Wunsch der Witterung war, dass 18 / 19

meine dem Einhalt als ich zu ihr war hinschienMutter niemandem kalt gebietet, zu sein; doch die Atmosphäre freundlich entspannt, Gespräche über blickte,und war sie gerade in die ein Gespräch mitleichtfüßig einem Onund liebenswürdig, und nicht jene,erinnen, die allein dort kel vertieft. Ich kann mich dass ich standen, mich ein zweites Mal inmitten von Stücken Menschen derartentschieden, einsam und verhatten sich aus freien dafür für lassen diesem Moment ichSonnenmeinen sich zugefühlt bleibenhabe. und In zuzusehen, wie diehabe blasse Bruder scheibegehasst. in der Ferne hinter einem zerklüfteten Gebirgszug unterging. Patientin, 42 Jahre: Es geschah etwas sehr Merkwürdi-

Als ich ges mitnäherkam, mir. Anfangs erkannte fand ichich die mehr Bilder und schön, mehrdie Gesichherrter in der lichen Winterlandschaften, Menge, Menschen dieaus wunderschönen meiner Vergangenheit, Haare dieser Ich begann, andie ausgedehnte Spaziergänge die Frau. während all der mich Jahre, seit unserer letzten Beund Schneeschuhwanderungen erinnern. Alsgealtert der Rhythgegnung vergangen waren, umzukeinen Tag zu mus der Bilder schneller wurde, verschwommen diese Ersein schienen. Die alte Nachbarin meiner Großmutter innerungen, fürMrs. kurzeCantley, Zeit hattederen ich überhaupt keine innere zum Beispiel, rotgesichtiger Gatte


Am äußersten Rand der Menge

Der Fotograf Edgar Martins, in Portugal geboren, in China aufgewachsen, in London beheimatet, hat sich für Quart mitten im Winter ins hinterste Zillertal gewagt, um den Umschlag und fünf Doppelseiten (S. 8 – 17) für dieses Heft zu realisieren. „Black Minutes of Memorial Snow“ nennt er die Serie der Bilder, die nahezu unbereiste Zonen des vielbereisten Tales erkundet: „Die größte Herausforderung war, den obligatorischen V-Schnitt zu vermeiden, der entsteht, wenn du vom Tal aus Berge fotografierst. Ich wollte einen fantasy-artigen, fiktionalen Raum schaffen, der sich aber aus realistischen Elementen zusammensetzt. Verschiedenartigste Ausprägungen von Landschaft füge ich in den Fotografien aus Tux zusammen: schneebedeckter Talgrund, scheinbar von eben dort aufgenommen, und weitläufige Gebiete, die man nur von einer Anhöhe oder vom Flugzeug, nicht aber vom Tal aus erblicken kann. Dabei entsteht – wie oft in meinen Arbeiten – eine beunruhigende Verbindung von Realismus und Fiktion.“ Cyrus Shahrad schrieb im Auftrag des Fotografen zu den Zillertalbildern den folgenden Text mit dem Titel „Versammlung“:

Ich hatte keine Ahnung, wie sie hierher gekommen waren oder wie lange sie schon da waren; in Paaren oder kleinen Gruppen hatten sie sich auf dieser eisigen Ebene zusammengefunden, umgeben von schneebedeckten Berggipfeln, die auf allen Seiten theatralisch emporragten. Manche hatten ein Getränk in der Hand, obwohl kein Kellner zu sehen war, andere saßen bequem auf gepolsterten Sesseln, wie man sie in einem vornehmen Club erwarten würde, die meisten jedoch standen inmitten kleiner, von zarten Eiskristallen bedeckter Pflanzen im Schnee. Die Männer trugen dunkle Anzüge und Krawatten, die Frauen schwarze Kleider, manche auch einen Hut oder einen Schleier. Ungeachtet der Witterung

schien niemandem kalt zu sein; die Atmosphäre war freundlich und entspannt, die Gespräche leichtfüßig und liebenswürdig, und jene, die allein dort standen, hatten sich aus freien Stücken dafür entschieden, für sich zu bleiben und zuzusehen, wie die blasse Sonnenscheibe in der Ferne hinter einem zerklüfteten Gebirgszug unterging. Als ich näherkam, erkannte ich mehr und mehr Gesichter in der Menge, Menschen aus meiner Vergangenheit, die während all der Jahre, die seit unserer letzten Begegnung vergangen waren, um keinen Tag gealtert zu sein schienen. Die alte Nachbarin meiner Großmutter zum Beispiel, Mrs. Cantley, deren rotgesichtiger Gatte


Miniaturwasserspeier sammelte, diedurchzuckte, er von derda grieWahrnehmung. Bis es mich auf einmal ich

Völlig unbeachtet bahnte ich mir meinen Weg durch Gläschen Sekt einladen zu lassen und ihnen dann zu sagen,

chischen Insel, die sie Jahr für Jahr im Sommer begeglaubt hatte, meine ehemalige Volksschuldirektorin zu suchten, mit nach Hause brachte. Ich sah Mrs. Dale, erkennen die Volksschuldirektorin, in deren Büro man mir einst eine Standpauke erteilte, weil ich das verbreibeiGerücht der Kreuzung vor tet Schule hatte, ein Mädchen, wegen der Windpocken der bei Rot über die das Straße gegangen war. Ich hatte zuhause bleiben musste, wäre in Wahrheit es aus Übermut getan, um anderen Kindern zugekidnappt zeigen, wie worden, und Mr. Jones, den Mathematiklehrer, der mutig ich wäre. Die Direktorin, ein unglaublich verbitterter mich mit der Hand im schuleigenen Münztelefon und Mensch, hatte von Pädagogik offenbar keine Ahnung. Sie mit einem Strumpf voller Silbermünzen in der Hosenbrachte mich so weit, dass ich einen Weinkrampf bekam tasche erwischte. und schließlich von der Sekretärin getröstet werden mussAuch alte Freunde waren da: Richard Hunt, der sich te. Jahre später noch erschrak ich, als ich eine Frau sah, die über meinen hausgemachten Haarschnitt und meine ihr ähnlich war. Vor siebenlustig Jahrengemacht ist die Volksschuldirektobilligen Plastikschuhe und mir mein rin gestorben. Ich würde lügen wenn ich sage, es der mir erstes Pornomagazin gezeigt hatte; Leigh dass Dane, um leidSchulweg tut. So jemand sie hätte mit Kindern auf sie dem sein wie Hemd nachniemals oben gekrempelt zu tun haben Erlebnis in meiner Volksschulhatte, damit dürfen. ich die Dieses Narben auf seinen Armen und seinem Rücken sehen konnte. Und Frauen, die ich geliebt zeit hat mich schon geprägt: Meine eigenen Kinder habe hatte: Teresa Gersten, deren Mund nach Zigaretten ich schon auch zurechtgewiesen, natürlich. Aber geweint und bitterem deutschen haben sie wegen mir nie. Kaugummi schmeckte; Anna Morgan, die aus Angst vor einem Geist in ihrer Wohnung halbe Nächte lang wach lag; Sara Najafi, mit der Patientin, 37 Jahre: Die Winterlandschaften, obwohl so düsich in eine Stadt an der französischen Küste fuhr und ter wirkend, machten mich irgendwie glücklich. Diese blonum Mitternacht zum Klang der weit entfernten Wellen de Frau wirkte deplatziert, ich kann mir nicht vorstellen, weltanzte, während der Mond auf dem schwarzen Ozean chen tieferen Sinnzerbarst. sie unter diesen Bildern haben soll. Ich in tausend Teile habe kein Problem mit schönen Frauen. Schönheit Als ich durch die Menge ging, erkannte ich, dass kommt keines von innen. Der Schnee, die herrlichen Fotografien, sie erinder Gesichter mir völlig unbekannt war. Ich sah Zahnnerten mich an die Zeit in Pontresinafrüherer und ärzte und Busfahrer, Freundinnen Mitbewohner, Reisebekanntschaften, mit denen ich in dem von Rauchschwaden verhangenen Jahr nach dem Schulabschluss einmal ein Zimmer in einer Jugendherberge geteilt hatte. Niemand hierunbeschwerte schien mir gänzlich fremd zu Es war eine Zeit, ganz anders, sein, undSt. doch ließen einmal meine engsten Freunals jetzt. Moritz undnicht schöne, reiche Männer waren nah de erkennen, dass meine Anwesenheit und verlockend. Siesie waren deutlich älter alswahrnahmen, wir junge Dinwährend ger, aber das ich machte über die unsEbene nichts.schritt; Wir machten kein Blick uns einen traf sich mit dem meinen, niemand nickte mirein auch nurzwei zu. Spaß daraus, mit ihnen zu flirten, uns auf oder

die Versammlung, ließKlo schließlich auchdann jeneging’s hinterab mir dass wir nur kurz auf’s müssen. Und in

20 / 21

zurück, dieDiskothek. vereinzeltLange am äußersten Rand die nächste ist das jetzt her …der

Menge standen, und ging weiter, hinein in den Schatten der Berge, ichwährend wusste, der meine Mutter und Patient,dorthin, 26 Jahre:wo, Kaltwie ist mir Diashow gewormeine Schwester auf mich warten würden. Als ich sie den. Eh gleich am Anfang. Später ging’s dann wieder. Wo erreichte, leuchtete der Himmel blau und schwarz, sind denn diese Bilder aufgenommen worden? Ach so, das und wir begrüßten uns mit einem Lächeln und einer dürfen Sie wohl nicht sagen. Alaska? Ein Freund von mir war schweigenden Umarmung, bevor die beiden Frauen einmal dort und hat ein paar ähnliche Bilder gemacht. Toll sich umdrehten und auf die Hügel zugingen, meine ist es dort. Haben Sie gewusst, dass die dort Öl fördern? Schwester, deren blondes Haar sich wie ein seidener Nicht so wie in Saudi-Arabien oder so. Nein, die haben dort Fluss über ihren Rücken ergoss, und meine Mutter ölhaltigen und graben aberwitzig große Löcher mit ihren Schlamm feinen Locken von der Farbe zertrampelten in den Boden. Da hätten ganze Dörfer Platz. Und Fahrzeuge Schnees. haben Dasihnen sind herging, riesige LKWs, die Reifen haben, die Als ichdie! hinter überkam mich ein Gefühl, größer sind, Mensch. etwas, mitzuso als hätte ichals dieein beiden nurDas ein wäre paar mal Augenblicke einem LKW mitzufahren, nicht Mutter selbst, so vor genauso gesehen: meine am Lenkrad ihres Wagens, meine Schwester auf dem Beifahrersitz, wäh. Ist rend ich teuer, vom Rücksitz ganz inweil Gedanken aus dem ziemlich das Öl so aus zu fördern, der Schlamm naFenster starrte. Ich erinnerte mich an das Lied aus den türlich aufbereitet werden muss und dann kommt das in Boxen der Stereoanlage und daran, wie das Prasseln Zentrifugen, also sehr aufwändig und teuer. Aber es händes Regens kurz verstummte, wann immer wir unter gen ziemlich einige Arbeitsplätze dran. Vom ökologischen einer Autobahnbrücke durchfuhren. Und es war mir, Standpunkt gesehen Aber Alaska ist ja repuals könnte ich mich Wahnsinn. an einen Lichtblitz erinnern, ein blikanisch, oder? Von dort kommt doch die Palin, die hat Geräusch wie Donnergrollen, und die Kassettenhüllen meiner Mutter, die in der zubei hängen schienen, als vielleicht einen, wurscht. DaLuft reden uns alle vom bösen hätte man sie an unsichtbaren Schnüren aufgereiht. Lobbying und in Amerika war es schon immer so, dass der Aber ich konnte mir dessen nicht sicher sein. Präsident wird, der die meisten Wahlkampfspenden erhält. Klar sind da auch so Kleinspenden dabei, aber da gibt’s

Alles, dessen ich mir gewiss sein konnte, war das, was zwei Brüder, die haben ein Firmenimperium und machen um mich war: der Himmel und die Ebene und die Millionen locker. Die leben bleichen, und von Abermillionen Frost umhüllten Pflanzen, undnach wie dem sich Grundsatz: jederder Menschenmenge ist käuflich, die Fragedes ist die Geräusche im Knirschen nur, zu welchem Preis. Füßen verloren, während wir in Schnees unter meinen die immer dunkler werdenden Hügel hinaufstiegen. 2.500 solcher Tests hat Jankovsky durchgeführt. Sie waren stets Grundlage für die weitere psychologische Therapie. (M. K.)dem Englischen von Astrid Tautscher) (Aus


Miniaturwasserspeier sammelte, die er von der griechischen Insel, die sie Jahr für Jahr im Sommer besuchten, mit nach Hause brachte. Ich sah Mrs. Dale, die Volksschuldirektorin, in deren Büro man mir einst eine Standpauke erteilte, weil ich das Gerücht verbreitet hatte, ein Mädchen, das wegen der Windpocken zuhause bleiben musste, wäre in Wahrheit gekidnappt worden, und Mr. Jones, den Mathematiklehrer, der mich mit der Hand im schuleigenen Münztelefon und mit einem Strumpf voller Silbermünzen in der Hosentasche erwischte. Auch alte Freunde waren da: Richard Hunt, der sich über meinen hausgemachten Haarschnitt und meine billigen Plastikschuhe lustig gemacht und mir mein erstes Pornomagazin gezeigt hatte; Leigh Dane, der auf dem Schulweg sein Hemd nach oben gekrempelt hatte, damit ich die Narben auf seinen Armen und seinem Rücken sehen konnte. Und Frauen, die ich geliebt hatte: Teresa Gersten, deren Mund nach Zigaretten und bitterem deutschen Kaugummi schmeckte; Anna Morgan, die aus Angst vor einem Geist in ihrer Wohnung halbe Nächte lang wach lag; Sara Najafi, mit der ich in eine Stadt an der französischen Küste fuhr und um Mitternacht zum Klang der weit entfernten Wellen tanzte, während der Mond auf dem schwarzen Ozean in tausend Teile zerbarst. Als ich durch die Menge ging, erkannte ich, dass keines der Gesichter mir völlig unbekannt war. Ich sah Zahnärzte und Busfahrer, Freundinnen früherer Mitbewohner, Reisebekanntschaften, mit denen ich in dem von Rauchschwaden verhangenen Jahr nach dem Schulabschluss einmal ein Zimmer in einer Jugendherberge geteilt hatte. Niemand hier schien mir gänzlich fremd zu sein, und doch ließen nicht einmal meine engsten Freunde erkennen, dass sie meine Anwesenheit wahrnahmen, während ich über die Ebene schritt; kein Blick traf sich mit dem meinen, niemand nickte mir auch nur zu.

Völlig unbeachtet bahnte ich mir meinen Weg durch die Versammlung, ließ schließlich auch jene hinter mir zurück, die vereinzelt am äußersten Rand der Menge standen, und ging weiter, hinein in den Schatten der Berge, dorthin, wo, wie ich wusste, meine Mutter und meine Schwester auf mich warten würden. Als ich sie erreichte, leuchtete der Himmel blau und schwarz, und wir begrüßten uns mit einem Lächeln und einer schweigenden Umarmung, bevor die beiden Frauen sich umdrehten und auf die Hügel zugingen, meine Schwester, deren blondes Haar sich wie ein seidener Fluss über ihren Rücken ergoss, und meine Mutter mit ihren feinen Locken von der Farbe zertrampelten Schnees. Als ich hinter ihnen herging, überkam mich ein Gefühl, als hätte ich die beiden nur ein paar Augenblicke zuvor genauso gesehen: meine Mutter am Lenkrad ihres Wagens, meine Schwester auf dem Beifahrersitz, während ich vom Rücksitz aus ganz in Gedanken aus dem Fenster starrte. Ich erinnerte mich an das Lied aus den Boxen der Stereoanlage und daran, wie das Prasseln des Regens kurz verstummte, wann immer wir unter einer Autobahnbrücke durchfuhren. Und es war mir, als könnte ich mich an einen Lichtblitz erinnern, ein Geräusch wie Donnergrollen, und die Kassettenhüllen meiner Mutter, die in der Luft zu hängen schienen, als hätte man sie an unsichtbaren Schnüren aufgereiht. Aber ich konnte mir dessen nicht sicher sein. Alles, dessen ich mir gewiss sein konnte, war das, was um mich war: der Himmel und die Ebene und die bleichen, von Frost umhüllten Pflanzen, und wie sich die Geräusche der Menschenmenge im Knirschen des Schnees unter meinen Füßen verloren, während wir in die immer dunkler werdenden Hügel hinaufstiegen. (Aus dem Englischen von Astrid Tautscher)


Wir haben unsern

Fr

ust

immer

hineingefressen

Wolfgang Praxmarer traf die international schmählich ignorierte Lese-Bühne Text ohne Reiter in ihrem Stammlokal zum

Werkstattgespräch: Wie man in Innsbruck weltberühmt wird, wie man dem Publikum weismacht, ein Star zu sein, AC/DC lernen kann.

ob sie selbst noch an den Durchbruch glauben und was man als Autor von

Wolfgang Praxmarer: Ich möchte dieses Gespräch mit dem Zitat eines Komponisten eröffnen, dessen Namen ich vorerst nicht nenne: „Komponieren ist das Organisieren disparater Elemente“. Verwendet ihr auch oft

P.: Wechseln wir das Thema. Wär es für euch denkbar,

komplizierte Wörter, um euch von eurem Publikum abzu-

den

heben?

bühne eine andere Stadt zu bespielen? Geht das überhaupt

S.: Du musst vielleicht erst einmal erklären, was konzeptionell überhaupt bedeutet …

Rucksack

zu packen und mit eurer Lese-

oder funktioniert das Format nur hier, wo eure Eltern den Stefan Abermann: Natürlich ist das eine Taktik. Schließlich

Publikumsraum auffüllen?

geht es darum, das künstlerische Schaffen mit Kredibilität auszustatten. Ich setze mich oft in meinen Sessel und denke mir Fremdworte aus. Denn es ist mit dem Kunst-Publikum

S.: Es gibt dazu eine Geschichte : Ein Mann zieht in die Welt aus, um ein großer Künstler zu werden. Er lässt den

wie mit Jamie Lee Curtis in „Ein Fisch namens Wanda“:

Bauernhof und seine Familie zurück, weil er sich zu Höhe-

Sagt man „Autoreferenzialität“ kommt es zum Höhepunkt.

rem berufen fühlt. Er wandert durch die Welt, bleibt überall

Man muss nur verschleiern, dass man selbst das Wort gar

stehen, stellt sich in die Fußgängerzone und schreit laut:

nicht versteht. T.o.R.: Disparat? Nie gehört. S.: Pst!

„Ich bin Künstler!“ Doch niemand bleibt stehen. Er versucht es überall, watet durch Flüsse, kämpft sich durch Wälder, nur um schließlich in der nächsten Stadt wieder kein Pu-

aufzu-

blikum

treiben.

Einmal glaubt er schon, er hätte es endlich ge-

schafft. Er ruft aus: „Ich bin

te!“

in Chemnitz der GrößZwickau, der ihm zu-

Doch es ist nur ein Hund aus

P.: Was sagt euch zum Beispiel das Wort „MONOTHEMA-

hört. Aber weil der Hund so mitleidig schaut, bleibt tat-

TISCH“? Klingelt da etwas?

sächlich ein Passant stehen (wenn auch nur, um den Hund zu streicheln). Und dann bleibt noch ein Passant stehen

S.: Das wäre vielleicht ein Text, der nur aus einem Wort besteht, das stundenlang anhält! Eine wundervolle Vorstellung! So abwechslungsreich! Irgendwie so … konzeptionell!

(um den 1. Passanten zu streicheln), und noch eine Passantin (weil die beiden so lustig aussehen) und so weiter und so weiter, so lange, bis ganz Chemnitz dem engebildeten Künstler zuhört. Fast waren es kleine private

Gottesdienste, die der angebliche Künstler zwei

da abhielt. Und auf diese Weise sind plötzlich

P.: Gibt es Derartiges in eurem Schaffen? 22 / 23

Welten

zu einer geworden: Die Einbildung des


„Ich hab nur meine Lust zu verteidigen“

Wolfgang Praxmarer traf die beiden international gefragten Komponisten Bernhard Gander und Tristan Schulze zum Werkstattgespräch: Wie unterschiedlich man heute Musik schreiben und denken kann, auf welche Weise persönliche Erfahrungen das künstlerische Schaffen bestimmen und was Mozart mit AC/DC zu tun hat.

Wolfgang Praxmarer: Ich möchte dieses Gespräch mit dem Zitat eines Komponisten eröffnen, dessen Namen ich vorerst nicht nenne: „Komponieren ist das Organisieren disparater Elemente“. Gilt das für euch? Tristan Schulze: Komponieren hat mit Organisation zu tun, aber das ist nicht das erste, was mir dazu einfallen würde. Ich glaube, es geht bei mir damit los, dass ich versuche, etwas zu hören. Entweder ich setze mich in meinen Sessel und höre einfach, was da kommt, oder ich mach mir ein paar Gedanken und dann – manchmal spiel ich Klavier oder Cello, je nachdem – versuche ich das, was ich höre, so genau wie möglich aufzuschreiben und nicht groß zu hinterfragen. Bernhard Gander: Mit dem Zitat bin ich nicht ganz zufrieden, weil es ja nur einen kleinen Bereich des Kompositionsprozesses beschreibt. Ich kann ja auch mit nur einem Element, einer Harmonie ein ganzes Stück machen – das ist genauso eine Komposition. Der Begriff „disparat“ verrät ja schon eine sehr eingeschränkte Sichtweise. Er setzt voraus, dass ich beim Komponieren Gegensätze brauche: laut – leise, hoch – tief usw. P.: Eine Komposition könnte also durchaus auch monothematisch sein, nur einen Aspekt beinhalten, der bearbeitet wird? G.: Oder noch viel einfacher: Sie könnte nur ein Klang sein, der zwei Stunden lang klingt. P.: Gibt es Derartiges in deinem Schaffen?

G.: Ich probier meistens, verschiedene Elemente zusammenzufügen. P.: Inwieweit spielt das, was ein Komponist heute in seinem Rucksack an musikalischen Erfahrungen, an Gehörtem, an Erlebtem mit sich herumträgt, eine Rolle für die eigene Arbeit? Ist das eigene Komponieren gleichsam eine logische Folge aus dem Vorhergegangenen? S.: Es gibt dazu eine Geschichte von Picasso: Auf die Frage, wie lange er an einem bestimmten Bild gemalt habe, nannte er sein Alter. In meinen Augen ist das logisch und konsequent: Heute läuft mir etwas über den Weg, was ich gestern noch nicht gewusst habe. So geht ja auch in unserer Biografie eines ins andere über: Ich habe mit fünf begonnen, Klavier zu spielen. Dann wollte ich Oboe lernen, aber in Ostdeutschland, wo ich aufgewachsen bin, war kein Instrument aufzutreiben. Ich entschied mich schließlich für das Cello und als ich zwölf war, war ich in Chemnitz der Größte! Da kam der Fachberater aus Zwickau, hörte sich das an und sagte: Ein begabter Junge, komm zu mir! In Zwickau hat er innerhalb von zwei Wochen meine Selbsteinschätzung auf den Kopf gestellt, übrigens auf eine sehr liebevolle Weise. Dort im Internat lernte ich in der ersten Woche, „In the Mood“ zu spielen, in der Big-Band war ich am Bass, zwischendurch auch am Cello. Und dann hab ich mit der Orgel begonnen, am Sonntag die Gottesdienste gespielt und mich so richtig in dieses Repertoire reingekniet. Das waren zwei Welten, parallel und nicht koexistent. In der Kirche


Künstlers, ein Künstler zu sein, und die Wahrnehmung des Publikums, einen Artisten vor sich zu haben.

einfach ab, wenn etwas nicht mehr nachvollziehbar wird.

immer laut, immer mit 100 Sachen in die Kurve – die wollen den Hund.

Die wollen es

M.: Was sagt uns das jetzt? H.: If you can make it in Chemnitz, you can make it everywhere. Aber: Man braucht einen Hund dazu. Das macht Publicity.

Dem E-Publikum kann man schon mit anderen Einfällen kommen: Multiperspektivische Verwirrspiele etwa. Ist Ihnen zum Beispiel aufgefallen, dass sich seit einigen Zeilen wahllos die Buchstaben vor den Redebeiträgen dieses Interviews ändern? Und trotzdem scheint alles beim Alten. Faszinierend, nicht wahr? L.: Tatsächlich! Unheimlich!

A.: Das war aber nicht meine Frage.

T.: Ja, da haben wir dir X für ein U vorgemacht!

L.: Aber ist es nicht auch Aufgabe der Kunst, Fragen mit Fragen zu beantworten? Und zeigt die Geschichte nicht auch sehr schön, wie Gespräche über Kunst im Allgemeinen ablaufen: Man fängt an einem Punkt an, sagt etwas und bemüht sich anschließend, den Standpunkt des anderen zu ignorieren? L.: Ist das eure

ser Masochismus zum guten Ton. Das U-Publikum schaltet

Erfahrung ?

X.: Da muss ich mir nun wirklich die Frage stellen, ob ich noch derselbe bin wie zuvor! T.: Ja, das wirft wirklich Dutzende Fragen auf. Man kann es noch reizvoller gestalten, wenn man auch noch die Zeitfrage in die Problemstellung aufnimmt! Was bedeutet der Verlauf der Erzählzeit für das X? Und so weiter und so weiter. Man kann eine unendliche Menge von pseudo-relevanten Fragen generieren, ohne jemals einen vernünftigen Satz zu sagen. Man kann sich einfach im Gedankenspiel verlieren. E.: Hach!

O.: Sehr oft. Beinahe immer.

U.: Ich gebe bekannt, dass das U-Publikum hiermit aus der Unterhaltung aussteigt!

W.: Solltest du dann nicht versuchen, es besser zu machen?

T.: Drehen wir einfach die Zeit zurück:

Wäre es dann nicht angebracht, die Kritik in Taten umzusetzen? Wenn ihr auf der

Bühne

steht, dann

P.: Ist das eure Erfahrung? R.: Hast du das nicht schon einmal gesagt?

gibt man euch doch auch die Chance, als Vorbild zu agieren!

[ An dieser Stelle setzt ein tiefes Summen ein. ] H.: Hört ihr das auch? …

E.: Muss man das wirklich? Irgendwie erwartet das Publikum doch auch, dass man es ignoriert. Wobei: Das gilt wahrscheinlich nur für die Hochkultur. Da gehört ein gewis24 / 25

A.: Das kann nur eines bedeuten. L.: Nämlich? L.: Wir sind eigentlich in einem David-Lynch-Film. O.: Oh! Sapperlot!


konntest du nicht sagen, dass du Jazz spielst, und in der Jazzabteilung um Himmels Willen nicht zugeben, dass du in die Kirche gingst – in beiden Fällen warst du völlig unten durch. Als ich dann 1992 nach Wien kam, hab ich mir gedacht: Ist ja eh alles dasselbe! Ich kam gerade aus Indien, wo ich klassische indische Musik studiert hatte, Sitar und Tabla und alles, was mir unter die Finger gekommen war. Dorthin war ich aus einem guten Orchesterjob geflüchtet, kurz nachdem die Mauer aufging. G.: Mir ist das Komponieren nicht in die Wiege gelegt worden. Ich komme aus einem nicht-musikalischen Haus in Thurn bei Lienz. Bei uns zuhause hat es ein paar Schlagerplatten gegeben, von Heintje zum Beispiel, diese Platten hab ich noch bildlich vor mir. Meine erste musikalische Begeisterung kam bei Zeltfesten auf, ich stand stundenlang bei der Band, schaute zu und dachte mir: Das ist geil, das will ich auch einmal machen! P.: Ist aus dieser Erfahrung bei dir der musikalische Funke übergesprungen oder ist der woanders hergekommen? G.: Da glaube ich hat es angefangen! Ich hab versucht, selber auf der Gitarre solche Nummern nachzuspielen, und träumte davon, selber auf der Bühne zu stehen. Im Internat – ich war ja auch dort – haben wir es schließlich geschafft, eine Band zu gründen und auf Parties zu spielen. Mit der Zeit ist die Flamme sozusagen immer stärker geworden.

hab ich aber dann die Aufnahmsprüfung für Klavier am Konservatorium Innsbruck gemacht. P.: Immer intensiv, immer laut, immer mit 100 Sachen in die Kurve – Komponieren als fallweise hochemotionale Geste: Bedarf es da auch einer gewissen Zurückhaltung, da eine derartige Energie niemand aushalten würde, weder der Komponist, noch die Ausführenden, noch das Publikum? S.: Als ich anfing Orgel zu spielen, wollte ich immer nur tutti spielen, ganze Konzerte lang. Kurz vor Ende hab ich meistens ins Publikum geschaut: Da haben sich alle die Ohren zugehalten! Lautstärke war damals sicher ein Mittel, um sich selber zu spüren. Und wenn man sich nicht so sicher ist, dass man da ist, macht man halt Lärm. Wenn ich heute Orgel spiele, beginne ich mit einer Achtfuß-Flöte und hör einmal hin, was passiert. Manche Dinge im Leben braucht man irgendwann nicht mehr. G.: Ich bin schon eher ein Anhänger des dreifachen Fortissimo. Ich denke, da muss man nicht all zu viel Rücksicht nehmen, wie das Publikum reagieren könnte. Oder denken, wenn etwas laut ist, es muss gleich darauf wieder leise sein, sonst ist es nicht organisch – das Ergebnis klingt dann wie eine Hausübung. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss jetzt zehn Minuten lang Vollgas etwas ablassen, dann ist das authentisch! Aber ich entdecke jetzt auch bei mir, dass ich sogar lyrische Sachen schreibe und dass mich das auch interessiert. Nicht weil ich muss, sondern weil ich Lust dazu habe.

P.: Und dann kam der Weg ins Konservatorium? G.: Ja, aber zuvor hab ich noch meine Begeisterung für den Schlager komplett verleugnet, nur Jazz gehört und später nur Neue Musik. Die konstanteste Liebe war die zu Heavy-Metal, das hör ich nach wie vor. Letztendlich

P.: Wie war 1992 der „Einstieg“ für Tristan Schulze in das Wiener Musikleben? S.: Ich hab die Aufnahmsprüfung für Dirigieren gemacht und wurde genommen. Wir hatten einen fan-


W.: Was heißt das jetzt für unser Gespräch?

T.: Nein, wir sind in einem Interview!

E.: Es wird sich notgedrungenerweise noch weiter von der Vorlage auf der rechten Seite entfernen. Wir werden immer weiter hinausdriften in eine unfassbare Welt jenseits rationalen Verständnisses. Alles beginnt meistens mit einem Körpertausch, vielleicht wird irgendwann zusätzlich noch ein Gegenstand auftauchen, der mit der bisherigen Handlung nur sehr schwer in Einklang zu bringen sein wird. Und dann ändern sich plötzlich die Vorzeichen: Auf einmal bewegt man sich auf einer Traumebene, die Figuren reagieren aufeinander nach den Regeln eines Kartenspiels. Doch das Wichtigste ist: Man kann über die Natur dieses Spiels immer nur Vermutungen anstellen. Dieses Spiel entzieht sich einem völlig. Man ist in dem Text gefangen und ein Verrückter zieht die Fäden.

H.: Vielleicht auch alles gemeinsam: Dann wäre es ein Interview, das als Hallo-Welt-Programm funktioniert.

L.: Und wie kommen wir wieder heraus? T.: Man könnte versuchen, langsam wieder Sinn herzustellen. P.: Gute Idee, wir könnten … Moment! Das ist doch alles nur ein wahlloser Hokuspokus, um Zeilen zu schinden! H.: Könnte sein. A.: David-Lynch-Film, dass ich nicht lache! L.: Aber bemerkst du, dass nun das Akronym auf der Seite wieder begonnen hat zu laufen? L.: Akronym?

A.: Geschrieben von David Lynch! L.: Müsste es dann nicht auch die Funktionsweise dieses Textes erklären? L.: Wieso muss man immer alles erklären? O.: Da hat er recht! W.: Wer spricht da jetzt eigentlich? E.: Sind wir langsam ein Theaterstück geworden? L.: Das U-Publikum gibt bekannt, dass es nun langsam genug hat! T.: Gut, besinnen wir uns. Wir können ja noch einmal zurückspulen und langsam wieder in den Text zurückfinden. Wir müssen uns nur orientieren. Worum ging es eigentlich? Ich erinnere mich dunkel: Da war ein Hund! H.: Stimmt! Ein Hund auf einer Bühne! Und er wollte ein Star sein! Deshalb zog er aus nach Paris u. auch nach Graz

und Wien, hat dort Kunst und verschiedene Jobs gemacht, zum Beispiel als Bodenleger.

O.: HALLO WELT, HALLO WELT, ständig wiederholt, schwingt wie neben uns her … Spiderman Wikipedia: Ein Hallo-Welt-Programm ist ein kleines Computerprogramm und soll auf möglichst einfache Weise zeigen, welche Anweisungen oder Bestandteile für ein vollständiges Programm in einer Programmiersprache benötigt werden und somit einen ersten Einblick in die Syntax geben. Aufgabe des Programms ist, den Text Hallo Welt! oder auf Englisch Hello World! auszugeben. Wegen der einfachen Aufgabenstellung eignen sich solche Programme insbesondere für didaktische Zwecke. E.: Interessant. Das heißt, wir sind in einem ComputerProgramm? L.: Nein, wir sind in einem David-Lynch-Film! 26 / 27

Dann wuchsen ihm in der Vorstellung

Flügel und …

A.: Das führt zu nichts. Nein. Wir waren bei einem Werkstattgespräch. Und dann begann plötzlich alles außer Kontrolle zu geraten. So wie das bei dieser Lesebühne immer der Fall ist! P.: Ist das eure Erfahrung? S.: Sehr oft. Beinahe immer. T.: Aber wahrscheinlich ist es genau dieser Kontrollverlust, der das ganze Unternehmen ausmacht. Es ist im Grunde wie dieses Interview: Ein Textbastard, der irgendwo in der Mitte


tastischen Tonsatz-Professor, Dietmar Schermann, der fragte mich, ob ich schon einmal etwas geschrieben hätte. Als ich ihm eines meiner Orchesterstücke hinlegte, mit Bleistift ins Unreine geschrieben, spielte der das vom Blatt, mit allem Drum und Dran, mitsamt den transponierenden Hörnern, die ich selber nicht lesen konnte, und sagte immer wieder: Aha, was hast du dir dabei gedacht? Und ich hab ihm jedes Mal meine Gedanken erzählt. Er hat richtig begeistern können und ich hab wahnsinnig viel von ihm gelernt. Drei Jahre später, 1995, haben wir Triology gegründet (ein Streichtrio mit zwei Violinen und Violoncello); die Leute vom Porgy & Bess (einem Wiener Jazzlokal) fragten mich, ob ich für eine Nummer von John Zorn ein Trio machen wolle. Und da hab ich dann die ersten Sachen geschrieben, die auch aufgeführt wurden. P.: Wie entstehen bei euch die musikalischen Inhalte, wie kommt ihr zum Stoff, aus dem die Musik ist, die ihr schreibt? Der mit am Rücken verschränkten Armen im Wald herumspazierende Künstler, nehme ich an, ist es nicht. G.: Ganz unterschiedlich. Oft gibt es einen außermusikalischen Impuls, ein Film, der mir gefällt, ein Bild, eine Figur oder auch irgendeine Form. Ein konkretes Beispiel: im Film „Spiderman“ haben mir vor Jahren ein paar Einstellungen so gut gefallen, wie er durch die Luft fliegt, dieses dynamische Sich-im-Raum-Bewegen – das wollte ich unbedingt einmal in Musik umsetzen. Aber es können auch rein musikalische Ideen sein, die am Beginn einer Komposition stehen. Bei einem Orchesterstück kann zum Beispiel der reine Organismus eines Orchesters Impuls oder Inspirationsquelle sein, einfach der ganze Orchesterklang ohne irgend etwas Außermusikalisches. P.: Wie war der Weg von Bernhard Gander vom Instrumentalisten zum Komponisten?

G.: Das Klavierstudium habe ich eher aus der Absicht heraus gemacht, um zur Not Klavierlehrer werden zu können. Im Grunde wollte ich schon Komponist werden. Am Anfang standen Fingerübungen, kleine Klavierstücke, wie das halt so ist. Aber sobald du realisiert hast: So kann ich am Papier definieren, was ich spiele, dann geht irgendwann die Lawine los. Das Klavierstudium in Innsbruck brach ich Gott sei Dank kurz vor dem Diplom ab, um ja sicher nicht Klavierlehrer werden zu können (lacht), hab mich mit elektronischer Musik beschäftigt, dazwischen Handwerkerjobs gemacht und nebenbei viel komponiert. Dann bekam ich ein Stipendium: Ein Jahr Paris, in dem Studio, in dem Iannis Xenakis das Computer-Kompositions-Tool UPIC entwickelt hat! Das war der nächste große Tritt in den Hintern, mein ganzes musikalisches Denken veränderte sich. Denn bei der elektronischen Musik tippst du irgendetwas ein und kannst es gleich hören, zurückspulen, am Sound feilen. So denke ich auch jetzt noch beim Komponieren: Du hast den Klang, am Papier und auch im Kopf und so entsteht eine Zwiesprache mit einem selber. Nach Paris bin ich nach Graz und Wien, hab dort komponiert und verschiedene Jobs gemacht, zum Beispiel als Bodenleger. P.: Da lernt man ja, saubere Fugen zu machen! … Auf der Homepage von Tristan Schulze ist unter anderem zu lesen, dass gerade zwölf Klavieretüden im Entstehen sind. Warum gerade zwölf? S.: Vor gut einem Jahr hab ich meinen Flügel bekommen, hab mir ein paar Klaviernoten gekauft, darunter Mozart-Sonaten und einiges von Chopin und hab mir gedacht: Das übe ich jetzt. Mit dem Ergebnis, dass ich die eine oder andere Etüde von Chopin nach zwei Jahren einigermaßen spielen kann, immer wissend, dass es sehr viele Pianisten gibt, die das sehr viel besser können als ich. Und dann kam die Idee, ein paar eigene Sachen zu schreiben. Ich machte ein erstes Stück, ein zweites


plötzlich falsch abbiegt, sich aufspaltet und ausfranst. Die

P.:

Warum jetzt das?

verschiedenen Grundtöne sind voneinander meilenweit entfernt. Doch zusammengenommen, im Kollektiv vereint, ergeben sie eine prächtige

Fuge .

S.: Weil man immer einen Rettungsanker hat, wenn einem nun irgendwelche Texte nicht gefallen. Da stehen vier unterschiedlichste Typen auf der Bühne – da findert jeder etwas, das positiv in Erinnerung bleibt. Das ist dasselbe

S.: Wahrscheinlich ist es auch das, was uns das Hallo-WeltProgramm erklären möchte: Auf den ersten Blick erscheint das unlogisch und sinnlos. Doch das Unvorhergesehene ist der beste Programmpunkt. Vier Verrückte, die sich in einem Klo einsperren und den Schlüssel hinunterspülen. Und

System, das auch bei Rockkonzerten funktioniert: Da kauft man sich die Karte, obwohl man nur die Single kennt. Auf die wartet man dann einen ganzen Abend lang und ist vollkommen glücklich, wenn das eine Lied, das man liebt, endlich kommt. Nimm etwa

dann probieren sie Wege aus, um auszubrechen. Wobei

AC/DC : Sobald Angus Young mit der Gitarre im Anschlag loshoppelt, hört man die cherubim singen. So

dabei alles geht, aber nichts eine endgültige Lösung sein

etwas ist auch mit Literatur möglich. Man muss den Leuten

Expressionsexperiment!

kann. Ein

nur die Chance geben, sich in die Texte einzuklinken. Etwas Performance, etwas

P.: Wie war das nochmal mit den Fremdworten?

Witz, etwas Anspruch.

Denk an die Geschichte: Die Leute wollen schon zuhören. Nur braucht auch die

Sprache manchmal einen

kleinen Hund. S.: Erwischt. Trotzdem: Das Hallo-Welt-Programm erklärt in diesem Fall die Programmiersprache, in der die Lesebühne geschrieben ist. Man hat im Grunde vier Befehle, die man jedoch sehr schnell neu kombinieren kann. Das Veranstal-

P.: Ist das nicht der Ausverkauf der Kunst? S.: Fragen das nicht nur Künstler, die nie die Chance bekommen haben, sich zu verkaufen?

tungsformat ist ein Raster. Doch jeder Auftritt hat seinen eigenen

Charakter.

P.: Diese Variablen sind sehr verschieden, oder?

P.: Ist es nicht wahnsinnig einfach, gegen eine angebliche E-Kultur zu wettern, in die jeder insgeheim gern aufgenommen würde? Ist es nicht einfach nur chic, hier auf der linken Seite des Quart so ein pseudorevolutionäres

S.: Genau das hält die Spannung aufrecht. Wir könnten jetzt

Statement

abzugeben? Versucht ihr damit nicht selbst,

eine physikalische Metapher bemühen: Wenn die Ladungsunterschiede groß genug sind, schlägt es Funken. D. h. jedes Mitglied der Lesebühne hat seine eigenen thematischen Vorlieben, jeder geht ganz unterschiedlich ans

das Bild eines Ernsthaften Künstlers (mit besonders großem

S chreiben heran. Deshalb hält es auch das U-Publikum

bei uns aus. 28 / 29

E) zu bedienen?


und fasste schließlich den Plan, zwölf zu schreiben, je eines für die zwölf verschiedenen Grundtöne und diese Grundtöne sollten wiederum eine Zwölftonreihe ergeben, aus der ich hinterher, wenn ich fertig bin, noch eine Fuge machen will. P.: Was macht den Unterschied in eurer Musik aus? G.: Ich kenn die Musik von Tristan überhaupt nicht! S.: Ich hab mir schon was angehört von Bernhard, Bunny Games. Ich find’s sehr frech, sehr frisch und sehr witzig. Mir ist das nahe, ich kann damit was anfangen, ich kenn so etwas in dieser Art nicht. Es hat Charakter, ist sehr expressiv! P.: Zum Begriff Charakter fallen mir die „Schlechtecharakterstücke“ für Klavier von Bernhard Gander ein. Nur ein Wortspiel? G.: Natürlich ist es auch ein Wortspiel, aber mir sind in unserer Branche Stücke mit einem prägnanten Charakter abgegangen. Vielleicht ist es eine altmodische Idee, aber ich hab Charaktere verwendet, die schwierig darzustellen sind, Charaktere aus den sieben Todsünden, also Gier, Neid, Wollust, Melancholie usw. Den gemeinen Charakteren begegnet man ja täglich, selber ist man auch nicht davor gefeit, diese Züge anzunehmen.

P.: Worum geht es? S.: Das Buch heißt „Herr Mozart wacht auf“ von Eva Baronsky. Mit ihr kam ich in Kontakt, da sie über indische Musik was wissen wollte, dabei sprachen wir über ein mögliches Libretto. Und nun haben wir eine Geschichte, bei der man vom Hundertsten ins Tausendste kommen kann: Mozart wacht heute in Wien auf, er weiß nicht, warum er da ist, er weiß nicht, was er machen soll – vielleicht das Requiem fertig schreiben? Also fängt er gleich damit an. Dann kommt ein Typ mit einem AC/DC-T-Shirt rein und Mozart überlegt sich, was das heißen könnte … adorate cherubim dominum cantum (singt a – c – d – c). Er glaubt also, der Typ mit dem Flammenschwert zwischen den vier Buchstaben sei der Cherub! Alles hat viel Witz, du kannst eine Menge machen! Und du hast keine Erklärungsnotwendigkeit, warum du dich in der Sprache der Mozart-Zeit bewegst. P.: Bernhard Gander denkt übrigens auch über eine Oper nach … G.: Ja … der Stoff wird sein: Immigration und Asyl. Aber da steh ich noch ziemlich am Anfang, ich darf auch noch nicht allzu viel erzählen. Gemeinsam mit den Regisseuren, die gleichzeitig die Librettisten sind, wird an die Sache herangegangen.

P.: Woran arbeitet Tristan Schulze zur Zeit?

P.: Wie weit kann oder soll Musik auch ein politisches Statement zur Gegenwart sein?

S.: Jetzt schreib ich eine Oper. Ich hab da einen super Stoff in die Hand bekommen. Auftrag von einem Veranstalter gibt es noch keinen, aber ich hab mir gedacht, ich schreib die erste Szene, geh damit herum und hol mir den Auftrag. Dazu bin ich zwar noch nicht gekommen, ich schreibe ja immer. Mittlerweile ist der erste Akt fast fertig.

G.: Ich finde, Musik oder Kunst muss überhaupt nicht politisch sein. Es kann aber sein, dass ich zu einem bestimmten Zeitpunkt ein politisches Statement abgeben will. Zum Beispiel schreib ich jetzt gerade ein Stück für Ensemble und Stimme und die Textgrundlage sind Interviews mit Maria Fekter (der österreichischen Innenministerin). Es geht um Asyl. Wenn das ein Kol-


S.: Nun ja, …

T.: Also wenn ich die Ironie emblematisch darstellen müss-

te, würde ich ihr ein Abschlepp-Seil in die Hand drücken

S.: Je mehr ich drüber nachdenke, umso mehr glaube ich,

dass wir uns nicht entschuldigen müssen. Wir machen

trotzdem unser Ding. Wir spielen halt weiter mit Textbau-

steinen, wie Kinder. Man muss sich manchmal einfach den – mit der zerrt man wirklich jeden Karren aus dem Dreck, Luxus leisten, nicht auf das ganze Kunstpalaver zu hören. wenn es sein muss. Es reicht nicht, dass wir uns selbst die

Fragen schreiben, nein, wir missbrauchen die InterviewP.: Ist das dein letztes Wort? Fiktion dann auch noch, um diesen ganzen Quatsch hier

zu entschuldigen.

S.: Nein, eins noch: Au-to-re-fe-ren-zi-a-li-tät.

S.: Zeigt das nicht auch, wie textbewusst wir sind?

P.: Na dann: Bravo.

P.: Nein, eigentlich nicht.

Das in der ersten Frage verwendete Zitat stammt übrigens von Johannes Brahms. (A. S.)

30 / 31


lege machen würde, würde ich mir vielleicht denken: Wie peinlich, brauch ich dieses politische Statement im Konzert? Aber das ist mir in diesem Fall egal, ich will das einfach machen! Ich hab jahrelang dieses Thema verfolgt, hab Zeitungsartikel gesammelt und bin daran hängen geblieben. P.: Wie kommt es, dass man einerseits das Gefühl hat, die Neue Musik wird überhaupt nicht wahrgenommen, andererseits gibt es die sogenannten Stars der Szene wie etwa Pierre Boulez, Wolfgang Rihm oder Beat Furrer, die bei den großen internationalen Festivals Triumphe feiern? Seid ihr als Komponisten dafür verantwortlich, oder das Publikum, das nicht realisieren möchte, dass eure Musik eine wichtige Äußerung der Gegenwart ist? S.: Ich glaube, dass wir Komponisten untereinander ganz gut zurechtkommen. Jeder macht sein Ding und Neid gibt es auch in anderen Berufen. Was mich aber beschäftigt – wohl auch deswegen, weil mich die Leute immer wieder zu meinem tonalen Setting befragen –, ist die Tatsache, dass bestimmte Musik bis heute so unglaublich reflexartige Reaktionen hervorrufen kann. Das hat mit der Nazizeit zu tun, die Nazis sind ja auf so dumme Ideen gekommen wie eine Ausstellung „entarteter“ Kunst zu machen. Und dazu muss man noch wissen: Die sogenannten progressiven Komponisten des deutschen Sprachraumes waren Juden: Schönberg zum Beispiel und andere. Und die, die man als konservativ bezeichnete, waren den Nazis nahestehend: Pfitzner, Orff usw. Daraus hat sich ein ideologisches Modell abgeleitet: Alles, was konservativ ist, ist schlecht oder „Nazi“; was progressiv ist, ist gut und jüdisch. Klar, dass angesichts der unvorstellbaren Verbrechen, die da geschehen sind, niemand mehr in der Lage war, vernünftig zu denken. Ich glaube, dass dieses Thema noch besprochen gehört, in Ruhe und so ideologiefrei wie möglich. Das geschieht jetzt ohnedies.

G.: Diese Diskussionen werden ja am wenigsten von den Produzierenden selber geführt, sondern von den Musikwissenschaftern und vom Feuilleton. Ich jedenfalls hab kein Bedürfnis, mit einem Komponisten, der tonal schreibt, zu streiten. Worüber denn? Ich liebe ja diese Stücke auch! Meine Position ist: Ich mach, wozu ich Lust habe. Ich verteidige nicht irgendein System oder irgendeine Geschichte. Ich hab nur meine Lust zu verteidigen und die ist derart angreifbar wie nur irgendwas. P.: Könnten die beiden Herren sich vorstellen, ein Stück gemeinsam zu komponieren? S.: Warum nicht? G.: Gemeinsam – da würde ich mich schwer tun. Ich hab das noch nie gemacht! S.: Es könnte ja ein Pop-Song sein, oder? G.: Ja, das leuchtet mir schon eher ein, dass man so was miteinander macht. S.: Der eine die Melodie, der andere die Harmonien. G.: Genau.

Das in der ersten Frage verwendete Zitat stammt übrigens von Johannes Brahms.


Tropfenfall unter den Aufgepfropften Eine Erzählung von einer Erzählung

von Anton Eipeldauers literarischen Streifzügen in eine exotische

Pflanzenwelt .

Bilder

Und, so erzählte mir bei einem Bier ein hier nicht namentlich genannt werden sollendes Mitglied der Lesebühne

für ihre, das heißt der Zimmerpflanzen, habe das abhaltende Mitglied ergänzt, erzählte das abgehaltene Mitglied

„Text ohne Reiter“, als es mit einem anderen hier ebenfalls

mir, 1000 Ratschläge also für ihre Pflege enthalte und das

nicht genannt werden sollenden Mitglied der Lesebühne

es, also das abhaltende Mitglied, so das abgehaltene Mit-

„Text ohne Reiter“ neulich von einer Lesung mit der Österreichischen

Bundesbahn

glied in seiner Erzählung mir gegenüber, das es also in seiner Eigenschaft als konzeptueller Schriftsteller zum Aus-

nach Hause

gangspunkt eines Romanprojekts zu machen beabsich-

gefahren sei, da habe dieses andere hier nicht namentlich

tige, das, also das Romanprojekt, ergänze ich gedanklich

genannt werden sollende Mitglied der Lesebühne „Text ohne Reiter“ es davon abgehalten, die eigentlich geplante Tätigkeit aufzunehmen, nämlich mittels eines MP3-Players die Platte Autobahn der deutschen Band Kraftwerk zu hören, indem es begonnen habe von „Epiphyten“ zu reden. Diesen Begriff habe es, also das mit seiner plötzlich aufgenommenen Rede von Epiphyten das hier nicht namentlich genannt werden sollende Mitglied der Lesebühne „Text ohne Reiter“ vom Kraftwerkhören abhaltende und hier nicht namentlich genannt werden sollende Mitglied der Lesebühne „Text ohne Reiter“, diesen Begriff also, so erzählte mir das in der Erzählung vom Kraftwerkhören abgehaltene, hier nicht namentlich genannt werden sollende Mitglied der Lesebühne „Text ohne Reiter“, diesen Begriff also, so habe das vom Kraftwerkhören abhaltende Mitglied dem vom Kraftwerkhören abgehaltenen Mitglied erzählt, wie mir das vom Kraftwerkhören abgehaltene Mitglied erzählte, dieses Begriff also habe es, also das vom Kraftwerkhören abhaltende Mitglied, in dem Standardwerk des in den 1950er Jahren als Pflanzendoktor bekannten Professor Anton Eipeldauer mit dem Titel „Reine Freude an Zimmerpflanzen“ kennengelernt. Professor Anton Eipeldauer habe sich, so das abhaltende Mitglied dem abgehaltenen Mitglied zufolge, Professor Anton Eipeldauer also habe sich in den 1950er und 1960er Jahren eben einen Namen als Zimmerpflanzenpapst, wie man heute sagen würde, beziehungsweise als Blumenpfleger, wie er sich selbst bezeichnet habe, gemacht und sein Wissen die Zimmerpflanzenpflege betreffend in zahlreichen Veröffentlichungen sowie auch im Rundfunk einem

das vom abgehaltenen Mitglied getätigte Referat der Rede des abhaltenden Mitglieds, das also nicht allein ästhetisch angelegt sei, sondern spannenden Spuren folge, die von der einfachen Wiedergabe von Pflanzenpflegetipps Eipeldauers hin zu kulturgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Fragen führen solle. Epiphyten jedenfalls, so das abgehaltene Mitglied in seiner Wiedergabe der Rede des abhaltenden Mitglieds, das das abgehaltene Mitglied mit seiner ungefragten und direkt aufgezwungenen Eipeldauer-Rede schier überwältigte wie eine Schlingpflanze ihre Wirtspflanze, Epiphyten jedenfalls, diese Ackerschmalwände der 1950er, so kommentierte leicht kryptisch das abgehaltene Mitglied, Epiphyten jedenfalls seien, Zitat Eipeldauer (so zitierte jedenfalls das abgehaltene Mitglied das abhaltende Mitglied) in den 1950ern „der letzte Schrei in der Pflanzenliebhaberei“ gewesen, weswegen Eipeldauer, so das abhaltende Mitglied, so das abgehaltene Mitglied, diesen Ziergewächsen auch ein eigenes Kapitel gewidmet habe. Epiphyten seien nun Baumstämme und Aststücke, die mit einem anderen besetzt seien beziehungsweise auf die Strauch andere Pflanzen aufgepfropft seien, so Eipeldauer, so das abhaltende Mitglied, so das abgehaltene Mitglied, wobei

breiteren Publikum zugänglich gemacht und so eben auch

bei deren Pflege, so Eipeldauer, so das abhaltende Mitglied, so das abgehaltene Mitglied, wobei bei deren, also

in seinem Standardwerk „Reine Freude an Zimmerpflan-

der Epiphyten, also der auf Baumstämme aufgepfropften Pflanzen, wobei bei deren Pflege also das größte Problem

zen“, das laut Untertitel 1000 Ratschläge und viele 32 / 33

das nicht so einfache Gießen sei, da man bei Epiphyten-


Exoten unter der Brennerautobahn Zu Karl Unterfrauners fotografischen Streifzügen in eine fremde Pflanzenwelt (zu sehen auf den Seiten 36 – 45). Von Beate Ermacora

Reisende passieren Tirol von Nord nach Süd und umgekehrt auf der Brennerautobahn, die das enge Wippund Eisacktal von Innsbruck nach Bozen durchquert. Sie wurde in den 1960er und 1970er Jahren als eine der ersten Gebirgsautobahnen der Welt gebaut und ruht auf einer gigantischen Brückenkonstruktion. In seiner neuen Werkserie mit dem Titel „Neophyten“ hat sich Karl Unterfrauner mit der Kamera auf eine Entdeckungsreise unter diese Autobahn begeben. Dort ist er auf eine vom Menschen unberührte, dschungelartige Pflanzenwelt getroffen, die sich in freiem Wildwuchs entfaltet. Sein Augenmerk galt dabei ausschließlich jenen Pflanzen, die ursprünglich nicht zur heimischen Flora gehörten, sondern sich hier angesiedelt haben. Botaniker bezeichnen diese Einwanderer als „Neophyten“. Der Begriff wurde erstmals 1912 von Albert Thellung in die Wissenschaft eingeführt. Die Geschichte des bewussten oder auch zufälligen Transfers von Pflanzen und Samen aus anderen Ländern geht jedoch bis ins Jahr 1492 zurück, als Europa Amerika entdeckte und die Geschichte der Globalisierung ihren Anfang nahm. Als konzeptueller Fotograf hat Karl Unterfrauner sein Fotoprojekt nicht allein ästhetisch angelegt, sondern verfolgt mit ihm spannende Spuren, die von der einfachen Wiedergabe eines Gewächses hin zu kulturgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Fragen führen. Ausgangspunkt ist die Untersuchung eines Niemandslandes, eines Unorts, der nach dem Bau der Autobahn ein Schutthaufen war, wobei die ursprüngliche Vegetation zerstört wurde. Die Fotografien lassen nur ab und an wie beim chinesischen „Götterbaum“ das architektonische Umfeld erahnen. Dieser ist ein typisches Beispiel für eine Pflanzenwelt, die sich auf Böden ansiedelt, deren ursprüngliches Gefüge zerstört wurde. Die Neubesiedlung solcher Terrains wird auch als Ruderalflora bezeichnet. Nach dem Krieg waren die spezifischen Standorte dieser neuartigen Flora und ihrer Pionierpflanzen städtische Trümmerflächen, in denen sie besser als andere Pflanzen überleben konnten. Unterfrauner interessiert sich nicht nur für das Erscheinungsbild der Pflanzen, sondern vor allem auch für

deren Überlebensmechanismen, die er in seinen Bildern aufgreift. Die Fotoserie „Neophyten“ ist künstlerisch und wissenschaftlich zugleich aufgebaut und geht den vielfältigen Strategien einer kraftvollen Natur nach, die sich in unserer zivilisatorisch geprägten Umwelt zu behaupten weiß. Um dies sehen und verstehen zu können, bedarf es eines Vorwissens, das sich Karl Unterfrauner bei einem Botaniker geholt hat, der ihn auf seinen Streifzügen durch die Unterwelt der Autobahn begleitete, die auch für Schlangen und andere Tiere ein paradiesisches Biotop ist. Die Fotos fokussieren einzelne Pflanzen, geben sie jedoch nicht wie in Sachbüchern isoliert von ihrer Umgebung wieder, sondern zeigen sie in ihrem natürlichen Umfeld. Dies ist kein leichtes Unterfangen, denn der Künstler muss mit den Bildern klarstellen, dass es ihm nicht um eine romantisch gestimmte Naturaufnahme geht, in der alle Gewächse von gleichwertigem Interesse sind. Seine Bildkompositionen entstehen in einem ausgeklügelten Verfahren, wobei er erstmals mit der Digitalkamera arbeitet. Sie folgen stets einem ähnlichen Schema, bei dem die anvisierte Pflanze durch gezielte Beleuchtung mit externen Blitzlichtern magisch hervorgehoben wird. Die Hintergründe sind, der Bedeutungsperspektive folgend, dunkler, um die Hauptdarsteller zur Geltung zu bringen. Sein Augenmerk liegt jedoch nicht auf der Wiedergabe einzelner Pflanzen, sondern er lenkt subtil unseren Blick auf ihre artspezifischen Eigenschaften. Der aus China stammende „Sommerflieder“ etwa, der stets von unzähligen Schmetterlingen umschwärmt wird, wurde als Ziergewächs eingeführt und zeichnet sich, wie für Neophyten typisch, durch die Gleichzeitigkeit von Blüten- und Samendolden aus. Der „Japanische Flügelknöterich“ ist ein bambusähnlicher Strauch, der bis zu 30 cm am Tag wachsen kann und sich nicht über Samen, sondern über seine tiefen Wurzeln vermehrt. Das mit dem wunderbaren Namen „Götterbaum“ versehene Gewächs, das Mitte des 18. Jahrhunderts von Asien nach Europa kam, ist ebenfalls schnellwüchsig, mitunter schlecht und ätzend riechend, jedoch bei Seidenspinnern und Bienen sehr beliebt. Wie die Fotografie zeigt, ist er überaus genügsam und


bäumen „eine Möglichkeit schaffen müsste“, so Eipeldau-

Rede sich auf ihm, dem abgehaltenen und

er wortwörtlich und scharfem ß im Original, so habe das

damit konfrontierten Mitglied festgesetzt habe wie eben

abhaltende Mitglied zufolge des abgehaltenen Mitglieds

Epiphyten auf Wirtsbäumen oder so wie das Konzept, ei-

wortwörtlich gesagt, wie das abhaltende Mitglied laut dem

nen Roman auf Eipeldauers Ratschlägen aufzubauen, sich

abgehaltenen Mitglied an dieser Stelle überhaupt einen

auf den unschuldigen Roman draufsetze wie die Rede des

Exkurs zu Eipeldauers stilprägendem, merkwürdig unmoti-

abhaltenden Mitglieds sich auf das wehrlose abgehaltene

vierten Konjunktiv II gehalten habe, wie sich überhaupt das

Mitglied, das ohne jede Fluchtmöglichkeit wie festgewur-

abgehaltene Mitglied an dieser Stelle seiner Erzählung der wasserfallartigen Rede des abhaltenden Mitglieds direkt in einem

Netz an Bezügen zu verstricken und folglich zu verlieren gedroht habe, um dann aber doch wieder zum eigentlichen Thema zurückzufinden, um mir auch einmal einen persönlichen Kommentar zur Erzählweise des abgehaltenen Mitglieds zu erlauben, das Problem bei Epiphytenbäu-

zelt wie Epiphyten auf fremden Baumstämmen im Zugabteil gebannt gesessen habe wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Autos auf der Autobahn und die aufdringliche Rede des abhaltenden Mitglieds sei abgeprallt wie die Tropfen beim laut Eipeldauer beziehungsweise laut dem Bericht des abhaltenden Mitglieds beziehungsweise laut dem Bericht des abgehaltenen Mitglieds vom Bericht des abhaltenden

men sei jedenfalls das nicht einfache Gießen, da man bei

Mitglieds über Eipeldauer, beim jedenfalls nicht einfachen

Epiphythenbäumen „eine Möglichkeit schaffen müßte“ (so

Gießen der Epiphytenbäume, weil keine Möglichkeit ge-

Eipeldauer noch einmal wortwörtlich nach dem Zitat des

schaffen werden müßte, so das abgehaltene Mitglied wört-

abgehaltenen Mitglieds nach dem Zitat des abhaltenden

lich, um das abtropfende Wasser aufzufangen, wie eine

Mitglieds zitiert), um das abtropfende Wasser aufzufangen,

fesselnde Rede in einem fahrenden Zug, die das nicht ein-

was zum Beispiel mit einer gemauerten Blumenbank ge-

fache Gießen von Epiphyten behandelte wie Epiphyten ihre

währleistet werden könne, die in den 1950ern sehr modern

Wirtsbäume, wie ein einzelner Satz eines Romans, dessen

gewesen sei, so Eipeldauer, so das abhaltende Mitglied, so

Konzept das Behandeln von Eipeldauers Ratschlägen wäre,

das abgehaltene Mitglied.

alle anderen Sätze des Romans behandelte, so das abge-

Und so habe das abhaltende Mitglied dem abgehaltenen

haltene Mitglied, genau so wie jeder Text seinen

Kontext behandelte, so das abge-

Mitglied immer weiter berichtet von Eipeldauers Pflanzenpflegeratschlägen und insbesondere denen zur Pflege von Epiphytenbäumen, berichtete das abgehaltene Mitglied mir,

Umgebung , die Situund die ation im Zug sei ihm, dem abgehaltenen Mitglied, dabei, so das abgehaltene Mitglied mir gegenüber, die Situation im Zug, dieses Durchreden des abhaltenden Mitglieds in einem Zug an diesem merkwürdigen Unort, an diesem Nichtort, dieser Heterotopie, so das abgehaltene Mitglied wortwörtlich, im Zug, der in diesem Moment in einem Tunnel unter einer Schnellstraße durchgefahren war, all das, so das abgehaltene Mitglied, sei ihm immer mehr vorgekommen wie in einem Film von David Lynch, die verschachtelte Rede des vom Kraftwerkhören abhaltenden Mitglieds an diesem sich beständig fortbewegenden Ort in einem Abteil eines Zuges der Österreichischen Bundesbahn unter der Autobahn, diese unablässige verschachtelte Rede über Epiphyten des abhaltenden Mitglieds sei ihm, dem abgehaltenen Mitglied, im sich beständig fortbewegenden Zug so aufdringlich vorgekommen wie Epiphyten, die sich auf ihren Wirtsbäumen festsetzten wie eben die unabwendbar hereinprasselnde 34 / 35

haltene Mitglied. Und so beendete das abgehaltene Mit-

glied der Lesebühne „Text ohne Reiter“ mit einem kräftigen

Schluck aus seiner Bierflasche seine Erzählung der Rede

des abhaltenden Mitglieds der Lesebühne „Text ohne Rei-

Vorstellungen von einem Text unterläuft und auf eigenartige Weise doch wieder zu bestätigen scheint. (M. F.) ter“, die meine


wächst auch unter widrigsten Bedingungen. So hat jede Pflanze ihre eigene Geschichte. Unterfrauner versieht sie wie in einem wissenschaftlichen Kompendium mit ihren Herkunftsorten und ihren lateinischen Bezeichnungen, die weltweit verbindlich sind. Er fügt auch die deutschsprachigen Namen hinzu, die regional unterschiedlich sein können, jedoch im gesamten Tiroler Sprachraum gleichlautend sind. Anhand von unscheinbaren, unkrautähnlichen Pflanzen spinnt der Künstler ein feines dramaturgisches Netz an Bezügen, das von der Geschichte in die Gegenwart führt und auf überraschende Weise von kulturellen Transfers, von Überlebenskämpfen, der Vereinnahmung von Territorien, von unglaublicher Anpassungsfähigkeit und der unterschwelligen Veränderung von Ökosystemen erzählt. Unterfrauners Auseinandersetzung mit Neophyten lässt eine gewisse Parallele zu den Arbeiten von Lois und Franziska Weinberger erkennen, die 1997 auf der documenta X auf einem stillgelegten Bahngleis am Kasseler Kulturbahnhof zwischen die bereits vorhandene Vegetation gezielt Ruderalpflanzen aus ost- und südeuropäischen Ländern setzten. In ihrem Werk, zu dem auch die 1998/99 entstandene „Einfriedung“ vor der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck zählt, thematisieren sie anhand von Prozessen in der Pflanzenwelt soziopolitische Diskurse wie etwa die europäische Migrationsproblematik. Während der künstlerische Ansatz der Weinbergers darin besteht, Neophyten immer wieder gezielt in anderen Kontexten anzusiedeln, um deren Verhalten zu analysieren, sucht Karl Unterfrauner die Pionierpflanzen in einer Umgebung auf, die sie selbst gewählt haben. Er beobachtet die Pflanzen über lange Zeiträume hinweg, bis er den geeigneten Moment findet, um sie zu fotografieren und das Typische an ihnen festzuhalten, wobei er auch der Frage nachgeht, ob und wie sich ihre Ästhetik bei wenig Wasser oder ungenügendem Licht im Lauf der Zeit verändert. Zum Begreifen der Komplexität des Naturgeschehens gehört zudem die Neugierde, wissen zu wollen, wie und warum diese Außenseiter in unsere heimische Landschaft gelangten. Dabei stößt man auf interessante Geschichten, wie etwa die, dass die „Gewöhnliche Robinie“, die ursprünglich als Zierbaum aus Nordamerika eingeführt wurde, aufgrund ihrer starken Wurzeln, die Hänge sichern können, für den Eisenbahnbau ins Eisacktal gekommen ist. Vor allem

aber wird man auch, vertieft man sich in die Materie, damit konfrontiert, dass Neophyten Problempflanzen sind, die man vielerorts bekämpft. Unter der Brennerautobahn bekommen sie allerdings immer neuen, exotischen Nachschub, denn von der Transitstrecke fallen regelmäßig aus fernen Ländern mitgeführte Samen von den Autos auf fruchtbaren Boden, in dem sie sich neu entfalten und ihre Umgebung nachhaltig prägen und beeinflussen. Ausgehend von einem grundsätzlichen Interesse an der Natur, deren ruhige Atmosphäre ihn zum Nachdenken einlädt, hat sich Karl Unterfrauner dem brisanten Thema der Neophyten zugewandt und festgestellt, dass sich die Natur nur so bewegt wie der Mensch, der Pflanzen zu seinem Vergnügen, zu seinem Nutzen oder aufgrund seiner Mobilität zufällig in neue Gebiete bringt. Der Südtiroler Künstler, der 1994 einen Studienaufenthalt bei dem Konzept-, Foto- und Medienkünstler John Baldessari in Los Angeles verbrachte, wurde durch seine radikalen Bildkompositionen bekannt, in denen er Fotos von Garagentüren oder Heizungskörpern in einem Größenmaßstab von eins zu eins an die Wände von Ausstellungsräumen hängte. So wie er sich diesen Objekten annäherte, näherte er sich auch zunächst der Pflanzenwelt an. 2005 zeigte er in der AR/GE KUNST Galerie Museum, Bozen eine fotografische Installation, in der jedes Foto einen Zweig, losgelöst aus seinem Kontext, vor neutral weißem Hintergrund wiedergibt. Während des Fotografierens vermaß der Künstler die exakten Abstände zwischen den Zweigen eines Baumes, um diese Relationen im White Cube der Ausstellungssituation exakt zu simulieren. Indem er die Bilder in demselben Verhältnis gruppierte wie die Äste gewachsen waren, ging er der Frage nach, warum Natur Ruhe und Harmonie ausstrahlt und wie sie auf uns wirkt. In der neuen Fotoserie der „Neophyten“ arbeitet er hingegen auf eindringliche Weise den Zwiespalt zwischen kontemplativer, ästhetischer Naturbetrachtung, dem Kampf der Pflanzen unter sich und den zivilisatorischen Eingriffen in Ökosysteme heraus. Prägte die Romantik den Naturbegriff als intellektuelles Konstrukt, dem wir heute noch anhängen, so eröffnet uns Karl Unterfrauner mit seinen Fotos eine Naturwelt, die unsere Vorstellungen von heiler Natur unterläuft und auf eigenartige Weise doch wieder zu bestätigen scheint.


FALLOPIA JAPONICA

Japanischer Flügelknöterich

Ostasien



SOLIDAGO CANADENSIS

Kanadische Goldrute

Nordamerika


BUDDLEJA DAVIDII

Sommerflieder

China


AILANTHUS ALTISSIMA

Gรถtterbaum

China



ROBINIA PSEUDACACIA

Gewรถhnliche Robinie

Nordamerika


ERIGERON ANNUUS

Feinstrahl

Nordamerika


SENICIO INAEQUIDENS

Schmalblättriges-Greiskraut

Südafrika



Der Orgelbauer von Tirol Rauschfantastendestillat

Krautingerschnaps wie , zur Tirolromantik passend vom Wilderer waidwund geDer berühmteverrufene Hörbiger-Clan stammt ausstinkt der Tiroler Wildschönau: Ihr Urahn war Alois Hörbiger, Jungbauer schossen den enthörnten Kadaver liegen gelassen, d. h. ein Stamperl reicht, aber im abgelegenen Dorf Thierbach, der Haus und Hof verkaufte und als Orgelbauer

ins das Hochin die Welt zog. ein Aber ist

tal per Dekret Maria Theresias, ein besonderes Brandrecht für die fast verhungert armen Bauern, denn immerhin ließen nur ein Teil der Geschichte: Alois hatte eine Tochter, Amalia, die mit dem für die Kunst zuständigen Gesellen sich daraufhin Alpleiden im Suff vergessen, vergessen wir, dass dieses historische Recht mit der Aktenzahl V7233II am

des Vaters einen (unehelichen) Sohn hatte, Hanns; der wiederum war der Vater von Paul und Attila; letzterer 05. Oktober 1942 vom Reichsministerium für Finanzen in Berlin beglaubigt wurde, sodass es heut als (Krautingerbrenner-

hatte drei Töchter, Elisabeth, Christiane und Maresa … Wer den Überblick verloren hat: Krista Hauser hat den zitat:) milde Touristengabe einer Genussregion der Stoppelrüben dient. Aus dem Volksmund kommt es rausgespuckt er-

Stammbaum der Hörbigers durchforstet.

neut daher als: Soachruam, so trieft es nahe an die Wahrheit ran, weil es vom Magen elementar wieder hoch will,

Es gab und gibt in der Hörbiger-Dynastie nicht nur verständnislossondern lallt, dassauch gerade dieses Rübendestillat, bei Schauspieler, Wissenschafter und Techniker, Unternehmer, Musiker und Orgelbauer. Was sie dem der Dorfstolz exakt ins Kraut schießt, an Hotelbartrealle verbindet: die legendäre Herkunft aus Tirol. In der steht uralte „Hörbigsen Wildschönau einiges wert ist, von schließlich heimischen der Äckern nehmen Trahof“. dition und Heimatverbundenheit seltsame Wege, pochen Im Bergbauernmuseum „z’Bach“, gelegen zwischen den Wildschönauer Orten Oberau und Niederau, wurauf: Buchenholz und Kupferkessel als einzig adäquate de eine „Hörbiger-Stube“ eingerichtet. Hier begegnet man dem „Erfinder“ Hanns Hörbiger (1860–1931), Brennutensilien dieser Rübenmaische. Selbst Vater von Paul, Attila und zweier weiterer Söhne, Hans Robert und Alfred. Die stürzt beidas derZitherspiel, Krautingerd Musik, speziell hatten es ihm angetan, noch mehr aber die Technik. woche Anfang Oktober betrunken ineinander, kracht, bringt Er konstruierte ein nach ihm benanntes PlattenvenUnwetter, nur der Schatzberg dämmert eh und je dahin, til für Gebläse, Pumpen und Kompressoren, gründete stumm hätt er trotzdem viel zu zeigen, weist darauf hin, eine eigene Firma und brachte es dank der Mithilfe dass ein übergroßes Herz heran gewachsen ist, ein bedes zweitgeborenen Sohnes Alfred zu beträchtlichem wundernswertes Sauforgan, in dessenist Schatten eine Seele Wohlstand. Dieses Originalventil eines der Prunkbaumelt. Das Tal destilliert sichHörbigers dem Trinker zuliebe, damit stücke des Museums. Hanns Erfindung wurde weiter und lebt weiter. Das „Hörbigerein vormalsentwickelt kleines Herz aufgeht, damit möglichst viel drin Ventil“ heute weltweit Für SchlagPlatz hat wird flaschenweise Rausch vertrieben. gesät, und gerne springt zeilen hatte Hanns Hörbiger in den 20er Jahren und man darauf an, es wuchert, bläht: Zwei Finger breit entfernt selbst noch nach seinem Tod allerdings nicht als Techvon all den Vermutungen, Flüchen, rankt ein efeuartiges niker, sondern als Verfasser, ja Guru der „Welteislehre“ Pumpwerk Puls durch einen Körper, wird fettes, gieriges gesorgt, einer krausen, längst überholten Theorie über Schmatzen, dassder alles einverleibend harrt. Denn selbst die Entstehung Welt. wenn dem Saufen abgeschworen wird, bleibt das Herz doch gedoppelt Echo, fast ein DopDochangeschwollen woher hatte der unehelichvom geborene Hanns Hör-

biger seine Begabung, diepasst Vielseitigkeit, die Musikapelliter des billigsten Fusels da rein, geraten Maische, lität? Vom Großvater mütterlicherseits wahrscheinKopf und Weg durcheinander, blüht in seltsamem Taumellich. Einem kleinen Kreis von Orgelspezialisten und tanz das Kraut im Leib wieder auf, wiederkäuend blitzartig, Historikern ist der Name Alois Hörbiger (1810–1876) wie die Welteislehre dem Hanns Hörbiger in den Sinn kam, vertraut, doch mit dem Image seines Enkels oder gar als er eines Nachts durchs Fernrohr den„Orgelbauer Himmel zuoberst dessen Nachkommen konnte es der von der Wildschönau betrachtete und was denn die Tirol“ bisher nicht aufnehmen. Dasist könnte sichNacht nun über dem Hochtal dem leicht ange ändern. Sixtus Lanner ist dem schillernden, weit gereis46 / 47

ten Autodidakten,anderes dessen Orgeln in vielen Kirchen der als: Monarchie standen, ja da und dort immer noch stehen, seit langem aufverwesende der Spur. Als Obmann MuseumsSchnee, der auf Rüben fällt, diedes ledrigen Blätter vereins sammelte Lanner Exponate zu Leben und Arverschließen sich zur Blödheit, die dem Tal durch Schnaubeit des Multitalents: Briefe, Urkunden, Literatur. Sein fen, Spucken eigen wird, während über ihm schwarz die Stolz: die einzige Orgelpfeife, die es von Alois HörbiTrinkersonne überläuft, Seiten wechselnd rüber springt, gers erstem Instrument aus der Kirche von Thierbach splitternd zu Wald wird, zu Hütten und Aussicht, die dem gibt, und eine Kopie des einzig erhaltenen Porträts. vielversprechend weichen Leuchten folgen, bis endlich Sanft blickt er drein, der Mann im schwarzen BratenNacht sich dem Hanns erbarmt, dielockiges LegendeHaar, sprichtfeine laut rock. Rosige Wangen, dunkles, Wikipedia von Eingebung und Intuition, Nächte Malang Züge, ein steifer Hemdkragen, als Zier zwei ein oranges den Mond betrachtet und schon surrt der Geist vom Blitz, scherl unter dem Kinn. In der Hand hält er ein Stimmhorn. Ein Funkeln braves, geschöntes Soaufgestellte es ist ein und damit: Biedermeierbild. die Nacht entzweit, man sich eben halten, einen von Musen geküssten trennt Einschau jedenfrommen Gedanken, jede Idiotie darin Orgelbauer vor, der die „Königin der Instrumente“ für rausgeholt, neugedacht erneut gegangen, diese Gallensteiden Herrn im Himmel und dessen Schäfchen schuf. ne aus dem Talleib, die ihm gegen die Brust poltern, denn Was kaum zum Naturell Alois Hörbigers passte. Ein hat das Land hier ihn auch nicht vernichtet, so hat es doch genialer, besessener Handwerker war er, gewiss auch durch Lawinen, die im Schlaf Abgang in ihn suchen, ihren hochmusikalisch, doch ein Abenteurer, der finanziell Tribut gefunden, hat ihm Muren in den Kopf als Zungen immer wieder Schiffbruch erlitt und dennoch überregiihrer Selbst gelegt, ein nasses, kaltes Stammeln in Echo onale Anerkennung fand. Zum 200. Geburtstag am 17. übersteigert hochgekommen. Hanns Hörbiger also Feber 2010 sollte dieser Lebensweg endlich späht gründlich durchs Teleskop und bekommt durchs Guckloch dieAuErerforscht werden. Also ein Buch mit kompetenten kenntnis eingetrichtert, dass der Mond aus Eis besteht, weil toren wie Gottfried Allmer, Josef Riedmann und Gerhardnur Tötschinger, der Lebensgefährte von Christiane sich dadurch dessen Helligkeit erklären ließe, und etHörbiger, der Ur-Ur-Enkelin des Orgelbauers; Lanner was später, in einer weiteren Nacht samt Beobachtung und selbst ließ imHirn, Haus-, Hof-abzufangen, und Staatsarchiv rechergewappnetem die Blitze sah er später im chieren und mobilisierte für die Spurensuche auch die Traum sich selbst schwebend im All, ein schwingendes PenBotschaften in London, Paris, Belgrad … del betrachtend, dessen Silber vermutlich aufglänzt durch ewigkalten Sternenglanz, der in diesen Sphären waltet, und

*

dieses Pendel, wie es immer größer wird, zerbricht natürlich mit lautem Knall, der dieRichtung ansonstenThierbach, schweigenden, eher Unterwegs mit Lanner wo Alois an das zufriedene der Wiege liegenden Hörbiger geborenAtmen wurde:eines Dasinälteste erhaltene Foto

Säuglings erinnernden Bewegungsabläufe derdem Allweiten des Hörbighofes in Thierbach stammt aus Jahr aufschreckt, damit selbst wie dem damals entferntesten, 1928. Fast so idyllisch wirkt sich das gerade kleine


Der Orgelbauer von Tirol Der berühmte Hörbiger-Clan stammt aus der Tiroler Wildschönau: Ihr Urahn war Alois Hörbiger, Jungbauer im abgelegenen Dorf Thierbach, der Haus und Hof verkaufte und als Orgelbauer in die Welt zog. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte: Alois hatte eine Tochter, Amalia, die mit dem für die Kunst zuständigen Gesellen des Vaters einen (unehelichen) Sohn hatte, Hanns; der wiederum war der Vater von Paul und Attila; letzterer hatte drei Töchter, Elisabeth, Christiane und Maresa … Wer den Überblick verloren hat: Krista Hauser hat den Stammbaum der Hörbigers durchforstet.

Es gab und gibt in der Hörbiger-Dynastie nicht nur Schauspieler, sondern auch Wissenschafter und Techniker, Unternehmer, Musiker und Orgelbauer. Was sie alle verbindet: die legendäre Herkunft aus Tirol. In der Wildschönau steht schließlich der uralte „Hörbighof“. Im Bergbauernmuseum „z’Bach“, gelegen zwischen den Wildschönauer Orten Oberau und Niederau, wurde eine „Hörbiger-Stube“ eingerichtet. Hier begegnet man dem „Erfinder“ Hanns Hörbiger (1860–1931), Vater von Paul, Attila und zweier weiterer Söhne, Hans Robert und Alfred. Die Musik, speziell das Zitherspiel, hatten es ihm angetan, noch mehr aber die Technik. Er konstruierte ein nach ihm benanntes Plattenventil für Gebläse, Pumpen und Kompressoren, gründete eine eigene Firma und brachte es dank der Mithilfe des zweitgeborenen Sohnes Alfred zu beträchtlichem Wohlstand. Dieses Originalventil ist eines der Prunkstücke des Museums. Hanns Hörbigers Erfindung wurde weiter entwickelt und lebt weiter. Das „HörbigerVentil“ wird heute weltweit vertrieben. Für Schlagzeilen hatte Hanns Hörbiger in den 20er Jahren und selbst noch nach seinem Tod allerdings nicht als Techniker, sondern als Verfasser, ja Guru der „Welteislehre“ gesorgt, einer krausen, längst überholten Theorie über die Entstehung der Welt. Doch woher hatte der unehelich geborene Hanns Hörbiger seine Begabung, die Vielseitigkeit, die Musikalität? Vom Großvater mütterlicherseits wahrscheinlich. Einem kleinen Kreis von Orgelspezialisten und Historikern ist der Name Alois Hörbiger (1810–1876) vertraut, doch mit dem Image seines Enkels oder gar dessen Nachkommen konnte es der „Orgelbauer von Tirol“ bisher nicht aufnehmen. Das könnte sich nun ändern. Sixtus Lanner ist dem schillernden, weit gereis-

ten Autodidakten, dessen Orgeln in vielen Kirchen der Monarchie standen, ja da und dort immer noch stehen, seit langem auf der Spur. Als Obmann des Museumsvereins sammelte Lanner Exponate zu Leben und Arbeit des Multitalents: Briefe, Urkunden, Literatur. Sein Stolz: die einzige Orgelpfeife, die es von Alois Hörbigers erstem Instrument aus der Kirche von Thierbach gibt, und eine Kopie des einzig erhaltenen Porträts. Sanft blickt er drein, der Mann im schwarzen Bratenrock. Rosige Wangen, dunkles, lockiges Haar, feine Züge, ein steifer Hemdkragen, als Zier ein oranges Mascherl unter dem Kinn. In der Hand hält er ein Stimmhorn. Ein braves, geschöntes Biedermeierbild. So stellte man sich eben einen von frommen Musen geküssten Orgelbauer vor, der die „Königin der Instrumente“ für den Herrn im Himmel und dessen Schäfchen schuf. Was kaum zum Naturell Alois Hörbigers passte. Ein genialer, besessener Handwerker war er, gewiss auch hochmusikalisch, doch ein Abenteurer, der finanziell immer wieder Schiffbruch erlitt und dennoch überregionale Anerkennung fand. Zum 200. Geburtstag am 17. Feber 2010 sollte dieser Lebensweg endlich gründlich erforscht werden. Also ein Buch mit kompetenten Autoren wie Gottfried Allmer, Josef Riedmann und Gerhard Tötschinger, der Lebensgefährte von Christiane Hörbiger, der Ur-Ur-Enkelin des Orgelbauers; Lanner selbst ließ im Haus-, Hof- und Staatsarchiv recherchieren und mobilisierte für die Spurensuche auch die Botschaften in London, Paris, Belgrad … * Unterwegs mit Lanner Richtung Thierbach, wo Alois Hörbiger geboren wurde: Das älteste erhaltene Foto des Hörbighofes in Thierbach stammt aus dem Jahr 1928. Fast so idyllisch wie damals wirkt das kleine


DorfGasen überschälenden dem Hochtal der Wildschönau heute. aus Sternsystem ein andres,noch besonderes

boren. Seine Alois Hörbiger, Besitzer des HörHörbiger trotz Eltern: Unterstützung eines Hobbyastronomen und

Viel wenige Häuser,des Privatquartiere, Licht Landwirtschaft, aufgeht. Nur die Silberstückchen Pendels sauPensionen, eine Schule, der Hörbighof, dem die Tiroler sen dahin und fort in die hintersten Weltraumwinkel, übrig Landesregierung 2003 den Ehrentitel „Erbhof“ verlieh, bleibt Zerstörung und die Gewissheit, dass sich Newton geund die Kirche samt Friedhof. Im Kirchenraum kommt irrt habe, weil hier draußen, wo die Wahrheit liegen muss, ein bisschen Pathos auf: „Hier hat alles begonnen, der Sonnengravitation kraftlos ist. Derart traumgedeutet sich hölzerne Weihwasserkessel, wo Alois Hörbiger 1810 selbst bestätigt dieUnd Welteistheorie, der getauft wurde,entwickelte ist immerHörbiger noch da. hier geschah zufolge Schöpfung des immerdas ‚Wunder‘, dasdas denkonsequente LebenswegErgebnis des Bauernsohnes währenden, andauernden, Ewigkeiten bestimmte. seit Als jeher 19-jähriger baute bis er in in alle dieser Kirche seineund ersteÄther Orgel und am Hl.Kampfes Abend zwischen 1829 soll Rüben er sie Erde verheerenden zumMägen, Klingen gebracht haben“, erzählt Lanner. 1909 und nein zwischen Feuer und Eis wäre. wurde die Orgel leider durch ein neues Instrument ersetzt. So sind die äußeren Planeten unsres hausgemachten SysWeniger feierlich geht es in der „Hörbig“, dem Stammtems Neptoden genannte Wasserballungen, von Eis kilohaus der Hörbiger zu, wo man einkehren kann. Sebasmeterdick umschlossen, während die inneren, als Helioden tian und Andreia Kostenzer bewirtschaften heute den bezeichnete Himmelskörper erster Linie aufgewachsen aus Metall beHörbighof. Sebastian ist aminHörbighof stehen, zu ganz amBauer, Anfang aber drang es eisig kalt in die die und immer noch Andreia kümmert sich um übergroße ihr Inneres aus Hitze undtrügt.) Feuer Gäste. (IhrSonnenmutter, urtirolerischerinMädchenname Moser Geboren wurde die dunkelhaarige Frau in Dreizehnstürmte gradewegs, als wärs ein Wildschönauer Schütze linden inOsterprozession, Brasilien. Dorthin waren in den nach der wenn er vorbekanntlich Marketenderinnen30er Jahren des 20. Jahrhunderts etliche Wildschönauer bäuchen den Krautinger schwappen zu hören glaubt, ja Familien unter der Führung des ehemaligen Landwirtungefähr so lässt es sich verbildlichen, wie nämlich damals, schaftsministers Andreas Thaler ausgewandert, einige zu Anbeginn einer Möglichkeit von Zeit, ein Eisriese in die kehrten zurück). Dass man mit dem Namen Hörbiger Sonnenmutter stürzte, um den daraufhin ausgebrochenen punkten kann, wissen die Hausleute, obwohl sie nun Kampf beginnen.heißen. Aber zurück zu beschichteten Planeeinmalzu Kostenzer Der Hofname ist geblieben. ten: die Erde wiederum, von welcher aus Hörbiger neugierig Bis zum Jahre 1416 lässt er sich zu rückverfolgen.

bighofes, und Maria Hörbiger, geborene Sandbichler, Lehrers und dem 1913 gemeinsam veröffentlichten HauptBauerntochter aus Oberau. Zwölf Hörbigers brachte werk „Glazial-Kosmogonie“ vorerst nur Ablehnung. Bevor sie zur Welt, fünf davon starben im Kindesalter. Manun Spur Sebastian eines andren Streitsuchenden rias der Bruder, Sandbichler, hatte es immerhin zum Hilfspriester im benachbarten Alpbach, gefolgt später zum Vikar in Jochberg Kitzbühel gebracht. In seiwird, verbleiben wir nochbei etwas bei der weiteren Wirkung nem Widum stand eine Hausorgel und da musste der dieses dem Tiroler Charakter entsprechend störrisch unles17-jährige NeffeTextes, doch sein „Aha-Erlebnis“ gehabt habaren 800 Seiten denn insbesondere durch Scienben. Vielleicht war blieb sogardie einWelteislehre Wunder geschehen? Rund ce-Fiction-Romane im Gedächtnis, 35 Jahre später war in der in Innsbruck erscheinenführte beinah zu umstürzlerischen Versuchen, die klassiden „Inn-Zeitung“ jedenfalls Folgendes zu allem lesen: durch „Wie sche Astronomie abzuschaffen, um dann vor Blitz und Schlag folgten sich bei dem rauen Natursohn Heinrich Himmler als eine maßgebliche wissenschaftliche Begegnung und Verständniß verankert der Mechanik. Ohne– ob irLehre im Nationalsozialismus zu werden gendwelche Vorkenntniß, ohne Beihülfe anderer gieng dies allerdings Einfluss auf die wohlwollende Anerkennung er einen Orgelbau …“. Man war sichtlich stolz des auf desan Rübenbrennrechtes der Wildschönauer von Seiten den bekannten Orgelbauer aus Thierbach. Hier hatte Reichsministeriums in Berlin hatte, ist nicht überliefert. Den er schließlich Kindheit Jugend verbracht und eiNazischergen sagten dieund Hörbiger-Spinnereien auchinaufner zweiwöchigen „Lehrzeit“ beim Orgelbauer Joseph grund der dadurch gewonnenen Bestätigung rassistischer Mitterer im nahen St. Gertraudi sein handwerkliches Mythen zu, denen zufolge die Arier in der nördlichen EisRüstzeug für den künftigen Beruf erworben. Gemeinbleiche eine Hochkultur errichteten: das aus der Antike nach sam mit Mitterer baute er 1829 die erwähnte kleine Deutschland transportierte, völkisch-blödsinnige, braunOrgel für die Kirche, worüber es im Pfarrarchiv genaue versaute Thule, Atlantis verwandt. (Anmerkung in andrer Angaben gibt. Die Mär, dass das Junggenie allein werkSache: Das tatsächliche, geografisch verortbare Thule liegt te, stimmt nicht. Von Hörbiger stammten das Gehäuse, im Nordwesten Grönlands, eine Gegend, die aufgrund ihres die technische Einrichtung (Klaviatur, Windlade usw.) relativen Reichtums an Jagdwild für die dort lebenden Inuit und drei Holzregister. Mitterer steuerte drei weitere von großer Bedeutung wäre, wenn nicht die USA dort ab Metallregister bei und stimmte das Instrument. 1952 im Zuge des – wie passend – Kalten Krieges eine MiNach dem „Gesellenstück“ in der Heimatgemeinde litärbasis errichtet hätte. Diese ist nach wie vor in Betrieb, ging es bald talauswärts. Der Weg führte nach Italibildet eine Art Exklave der Vereinigten Staaten und ist soen, wo seit der Renaissance und vor allem im Barock wohl die größte, als auch die am nördlichsten gelegene Saprächtige Orgeln zum Statussymbol der hohen Geisttellitenbodenstation der Air Force, deren Raketenfrühwarnlichkeit und des Adels wurden. Welche Tonhöhe, welsystem große Teile der nördlichen Hemisphäre abdeckt. ches Material, welche Registrierung ergeben die geDie Inuit wurden 1953 ins 108 km weiter südlich gelegene wünschte Klangfarbe? Wie groß, wie schön sollte das Qaanaaq zwangsumgesiedelt, fern der Jagdgründe, die Gehäuse sein? Das alles konnte Alois Hörbiger an Ort nun Sendemasten und Kasernen verwendet werden, und für Stelle studieren. Experten sind sich einig, dass der und denen zudem eine latent atomare Bedrohung inneitalienische Einfluss an seinen Orgeln deutlich ableswohnt. es ein als „Iceworm“ betiteltes um im bar ist.So Siegab klingen anders als die typischProjekt, süddeutschgefrorenen Boden oder Abschussrampen für Atomraketen zu inösterreichischen gar die nördlichen Instrumente stallieren, jedoch erst Bohrung und Errichtung wurde aus der Gegend der nach Bach-Dynastie. man sich der Bewegung des Eises bewusst, die Forschundie Kanäle Gut belegen lassen sich bei Josef Riedmanns samt Waffen zerdrückte, verschüttete, und auf die ewige gen die Jahre, die der Wildschönauer Bauernsohn in Wanderung mitnahm.Noch Nach von wie Thierbach vor ist unklar, wird Osttirol verbrachte. ausbzw. knüpfte verschwiegen, welche Gebiete verstrahlt sind, die Todeser Kontakte, reparierte bereits im Herbst 1831 die Orfälle von Krebserkrankungen unter gingen gel inaufgrund der Franziskanerkirche in Lienz, einInuit Jahr späaber seit den 1950ern im Umkreis der Thule Air Base sigter erklang in Virgen seine neue, mechanische Schleifnifikant in die Höhe, sieManual erleben also schleichenden, ladenorgel mit einem undeinen acht Registern. Um dennoch von Tradition Heimat ohne 1832 ließihre sichGrundlagen der Orgelbauer in Lienz und nieder, er bekam

das All nach seinen innersten Geheimnissen ausspioniert,

Josefan Riedmann, Historiker mit Bodenhaftung, die liegt strategisch idealer Mittelposition, und isthat weder Geschichte und dieMetallkörpern Zeit, die Alois vom Feineis, des das Hofes sich über den derHörbiger Helioden in Tirol verbrachte, gründlich erforscht. Weltgeschichte bildet, noch antipodisch vom Eispanzer bedeckt. Der Mond und Lokalgeschichte sind für den Historiker, ebenfalls dagegen und seine fünf Vorgänger bestehen zur Gänze aus einen gebürtigen Wildschönauer, keine Gegensätze. Eis und stürzen regelmäßig, die Sintflut auslösend, oder „Immer an die Quellen gehen, das macht die Arbeit aber auch Atlantis kaltblütig versenkend, auf die Erde spannend, da wird Geschichte lebendig“, sagt erherbei ab, diese wird jedoch nicht klüger, sondern fängt sich kurz unserem Treffen in Wien. Was nun den Hörbighof danach Versuch oderalle zumBesitzer Aufwärmen alter Liebbetrifft,als soneuen hießen bis 1832 Hörbiger. In diesem Jahr verkaufte der 22-jährige Jungbauer schaften einen neuen ein, wobei sich Hörbiger nicht und klar künftige „Orgelmeister“ Alois Hörbiger den schwer war, ob dieser Mond nun eher als Abschnittspartner oder verschuldeten Hof Waldanzusehen und Feldern seiner jünvielmehr als eine Art samt von Virus wäre. geren Schwester Anna und deren Bräutigam Georg Kostenzer. Vom Verkauf blieben Alois nur 150 Gulden, Solcherweise nordische Mythologien der Götterdämmedenn er musste die Schulden tilgen, Stiefmutter und rung wie auch die Apokalypse des Johannes erklärend, Geschwister abfinden. widerfuhr dem als halsstarrig – und derart das gleich-

falls seit Feber langer 1810, Zeit bestehende des TirolersAnmit Am 17. drei Tage Klischee vor der Exekution eingeschränktem Blickfeld bestätigend verschrieenen dreas Hofers in Mantua, wurde Alois– Hörbiger ge48 / 49


Dorf über dem Hochtal der Wildschönau noch heute. Viel Landwirtschaft, wenige Häuser, Privatquartiere, Pensionen, eine Schule, der Hörbighof, dem die Tiroler Landesregierung 2003 den Ehrentitel „Erbhof“ verlieh, und die Kirche samt Friedhof. Im Kirchenraum kommt ein bisschen Pathos auf: „Hier hat alles begonnen, der hölzerne Weihwasserkessel, wo Alois Hörbiger 1810 getauft wurde, ist immer noch da. Und hier geschah das ‚Wunder‘, das den Lebensweg des Bauernsohnes bestimmte. Als 19-jähriger baute er in dieser Kirche seine erste Orgel und am Hl. Abend 1829 soll er sie zum Klingen gebracht haben“, erzählt Lanner. 1909 wurde die Orgel leider durch ein neues Instrument ersetzt. Weniger feierlich geht es in der „Hörbig“, dem Stammhaus der Hörbiger zu, wo man einkehren kann. Sebastian und Andreia Kostenzer bewirtschaften heute den Hörbighof. Sebastian ist am Hörbighof aufgewachsen und immer noch Bauer, Andreia kümmert sich um die Gäste. (Ihr urtirolerischer Mädchenname Moser trügt.) Geboren wurde die dunkelhaarige Frau in Dreizehnlinden in Brasilien. Dorthin waren bekanntlich in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts etliche Wildschönauer Familien unter der Führung des ehemaligen Landwirtschaftsministers Andreas Thaler ausgewandert, einige kehrten zurück). Dass man mit dem Namen Hörbiger punkten kann, wissen die Hausleute, obwohl sie nun einmal Kostenzer heißen. Der Hofname ist geblieben. Bis zum Jahre 1416 lässt er sich zu rückverfolgen. Josef Riedmann, Historiker mit Bodenhaftung, hat die Geschichte des Hofes und die Zeit, die Alois Hörbiger in Tirol verbrachte, gründlich erforscht. Weltgeschichte und Lokalgeschichte sind für den Historiker, ebenfalls einen gebürtigen Wildschönauer, keine Gegensätze. „Immer an die Quellen gehen, das macht die Arbeit spannend, da wird Geschichte lebendig“, sagt er bei unserem Treffen in Wien. Was nun den Hörbighof betrifft, so hießen bis 1832 alle Besitzer Hörbiger. In diesem Jahr verkaufte der 22-jährige Jungbauer und künftige „Orgelmeister“ Alois Hörbiger den schwer verschuldeten Hof samt Wald und Feldern seiner jüngeren Schwester Anna und deren Bräutigam Georg Kostenzer. Vom Verkauf blieben Alois nur 150 Gulden, denn er musste die Schulden tilgen, Stiefmutter und Geschwister abfinden. Am 17. Feber 1810, drei Tage vor der Exekution Andreas Hofers in Mantua, wurde Alois Hörbiger ge-

boren. Seine Eltern: Alois Hörbiger, Besitzer des Hörbighofes, und Maria Hörbiger, geborene Sandbichler, Bauerntochter aus Oberau. Zwölf Hörbigers brachte sie zur Welt, fünf davon starben im Kindesalter. Marias Bruder, Sebastian Sandbichler, hatte es immerhin zum Hilfspriester im benachbarten Alpbach, später zum Vikar in Jochberg bei Kitzbühel gebracht. In seinem Widum stand eine Hausorgel und da musste der 17-jährige Neffe doch sein „Aha-Erlebnis“ gehabt haben. Vielleicht war sogar ein Wunder geschehen? Rund 35 Jahre später war in der in Innsbruck erscheinenden „Inn-Zeitung“ jedenfalls Folgendes zu lesen: „Wie Blitz und Schlag folgten sich bei dem rauen Natursohn Begegnung und Verständniß der Mechanik. Ohne irgendwelche Vorkenntniß, ohne Beihülfe anderer gieng er an einen Orgelbau …“. Man war sichtlich stolz auf den bekannten Orgelbauer aus Thierbach. Hier hatte er schließlich Kindheit und Jugend verbracht und in einer zweiwöchigen „Lehrzeit“ beim Orgelbauer Joseph Mitterer im nahen St. Gertraudi sein handwerkliches Rüstzeug für den künftigen Beruf erworben. Gemeinsam mit Mitterer baute er 1829 die erwähnte kleine Orgel für die Kirche, worüber es im Pfarrarchiv genaue Angaben gibt. Die Mär, dass das Junggenie allein werkte, stimmt nicht. Von Hörbiger stammten das Gehäuse, die technische Einrichtung (Klaviatur, Windlade usw.) und drei Holzregister. Mitterer steuerte drei weitere Metallregister bei und stimmte das Instrument. Nach dem „Gesellenstück“ in der Heimatgemeinde ging es bald talauswärts. Der Weg führte nach Italien, wo seit der Renaissance und vor allem im Barock prächtige Orgeln zum Statussymbol der hohen Geistlichkeit und des Adels wurden. Welche Tonhöhe, welches Material, welche Registrierung ergeben die gewünschte Klangfarbe? Wie groß, wie schön sollte das Gehäuse sein? Das alles konnte Alois Hörbiger an Ort und Stelle studieren. Experten sind sich einig, dass der italienische Einfluss an seinen Orgeln deutlich ablesbar ist. Sie klingen anders als die typisch süddeutschösterreichischen oder gar die nördlichen Instrumente aus der Gegend der Bach-Dynastie. Gut belegen lassen sich bei Josef Riedmanns Forschungen die Jahre, die der Wildschönauer Bauernsohn in Osttirol verbrachte. Noch von Thierbach aus knüpfte er Kontakte, reparierte bereits im Herbst 1831 die Orgel in der Franziskanerkirche in Lienz, ein Jahr später erklang in Virgen seine neue, mechanische Schleifladenorgel mit einem Manual und acht Registern. Um 1832 ließ sich der Orgelbauer in Lienz nieder, er bekam


Anschluss,oder wurde in den kleinen Kreis von Kaufleuten Rücksicht Möglichkeit zur Gegenwehr vernichtenden

in Watschig, einer der ersten Bauten, die nach dem Tolezurück zu Arthur Koestler.

und Beamten aufgenommen. Aufträge stellten sich ein Untergang.) und bald auch eine Braut. Laut Familienmär haben sich Alois Hörbiger und die Kärntnerin Maria Victoria Nun allerdings wechseln wir übern Schatzberg zwischen Wassin(n) „stilgerecht“ beim Reparieren einer Orgel Tälern, denn i März 1834 kennengelernt. Im einden Ehevertrag 2010 wurde lernte ich schnauzabgeschlossen, imunter Aprilanderem in der Pfarrkirche St. Daniel bärtigen, ehemals als Metallschleifer tätig bei Dellach geheiratet, im Mai brachte die 21-jährige gewesenen, mit Gitarre und filterlosen Karo-Zigaretten ihr erstes Kind, einenvortragenden Alois, zur Welt, der Walter aber im KinTiroler-Lieder jodelnd Dichter Gröner desalter starb. Zwei Mädchen, Anna und Amalia Vickennen und schätzen, welcher mich darauf aufmerksam toria, folgten, 1839 wieder ein Sohn, Wilhelm Georg. machte, dass in Alpbach für rund 10 Jahre ein gewisser Der nächste Bub, Gottfried, wurde dann nicht mehr Arthur Koestler gelebt hatte, Schriftsteller und Journalist, in Lienz, sondern 1840 in Cilli, im Süden des damalisowie, nach Gefangenschaft in einer Todeszelle des Francogen Herzogtums Steiermark geboren. Dorthin zog die Regimes während des Spanischen Bürgerkrieges, einer der Familie, denn in Osttirol hatte Alois Hörbiger Pleite bedeutsamsten Renegaten der Kommunistischen Partei. gemacht. Trotz kontinuierlicher Arbeit. Sogar die OrVorweg seiweithin festgehalten, dass sich in Alpbachvon sonderbarergel in der bekannten Stiftskirche Innichen weise ein illustres Grüppchen an lebenden wie verstorbenen wurde ihm 1836/37 zur umfangreichen „Überholung“ Persönlichkeiten eingefunden hat, deren Existenz innerhalb anvertraut. Zu seinem wachsenden Renommee hatten der Dorfgemeinschaft ein verschwiegenes vor eingesessenen allem die neuen Orgeln in Kartitsch und Oberlienz beigetragen, die später aber mehrmals umgebaut wurWissen bildet. Dieses rührt vor allem vom Unverständnis für den. Nur das Gehäuse hat sich jeweils erhalten. Lebensentwürfe a la Vivienne Westwood her, die in einer Was Aloismitsamt Hörbigers Auftraggeber wohl später Berghütte Zillertaler Ehemann (der zurauch Belustigung verblüffte, waren sein technisches Knowhow, sein sider weiblichen Dorfbewohner gerne eine Art von Schottencherer formaler Geschmack, die Musikalität und sein rock trägt) ihre Sommer verbringt. Um die untergründige handwerkliches Können. Ein Autodidakt, ein TausendProminentendichte weiter zu veranschaulichen, sei noch sassa, „ein geschmackvoller Architekt“ und „richtiger auf das Grab von Erwin Schrödinger hingewiesen, worauf Zeichner“, der mit selbst verfertigtem Werkzeug auch neben Blumen, Kerzen, und einer am Kreuz angebrachten Tischler-, Schlosser- und Bildhauerarbeiten ausführte. Tafel samt die Quantenmechanik begründender Gleichung Davon wird jedenfalls in der Lokalpresse, später auch doch tatsächlich eine rundliche Holzkatze sitzt, als in Grazer und Wiener Zeitungen berichtet. Einletzter, bissverniedlichter Gruß einem Ort, der sichdürfte selbst da gern als chen Geniekult der in Romantik à la Tyrol wohl Dorf-der-Dichter-und-Denker preist, obwohl sich er kaum jeauch mitgespielt haben. So ganz allein konnte in seimand Gedanken um Schrödingers imaginiertes Haustier ner Werkstätte gewiss nicht arbeiten. Zur Seite standen ihm Handwerker, vor dieser allem sein Bruder Bartholomäus, macht, sehr zum Glück besonderen Katze, bleibt sie derdoch sichinspäter selbständig machte und eine Reihe von so ihrer unschuldigen Schwebe, diesem Weißraum, Orgeln in Kärnten baute. der die Vorstellung von Schnee evoziert, zwar kommt dieser

ranzpatent Kaiser Josef II. für Protestanten in Kärnten errichtet wurden, schuf entpuppt der katholische Wildschönauer Mir zunächst unbekannt sich dieser als Intellekeine heute noch erhaltene tueller, dessen Biografie alleOrgel mit 12 Registern. eines von Selbstzweifeln, Not und ständigem Kampf geprägten Finanziell war derRomane, junge Familienvater ein Hasardeur. Lebens zieht, das Reportagen, Tagebücher und eine Fülle an Kritik, Streit und Selbstreflexion hervorbrachte. Hochsein anzurechnen ist ihm die schonungslose Kritik an Schon 1835 erworbenes Haus, etwas später auch der Kommunistischen Partei, von der er sich nach sieben das dazu gehörende samt Gartenwie leistete er Jahren 1938 loslöste, Futterhaus um ihre Mechanismen Säuberungsaktionen und Denunzierungen zu entlarven. In den sich aufdes Raten. JosefWeltkrieges Riedmannschreibt hat die einschlägigen Wirren Zweiten er gegen Zeit und persönliches Schicksal an, wird als Journalist und vermeintlicher Spion nicht Lienz nur in durchforstet. spanischen Todeszellen, Akten des Landgerichtes Sie geben aus der ihn erst ein Gefangenenaustausch rettet, sondern auch in Frankreich undfinanzielle in EnglandChaos. interniert, sich später Aufschluss über das Imum „Intelligenzin Paris, vermutlich aufgrund einer Affäre mit Simone de Beauvoir, Sartre von zu zerstreiten. Es am bleibt blatt“ desmit „Bothen Tirol“ wird 20.verwunderApril „die lich, dass sich Koestler daraufhin ausgerechnet in Alpbach ansiedelte, mit seiner der dritten Ehefrau sogar ein Haus öffentliche dort Versteigerung Konkursrealitäten Hörbibaute, welches nach wie vor den Namen „Schreiberhäusl“ trägt, nunmehr aberzu imLienz“ Besitz der Familie Molden ist. Fritz ger, Orgelmacher angekündigt. Weitgehend und Otto Molden, die mit Simon Moser das Europäische Forum Alpbach gegründet und imFrau Widerstand gegen das mittellos zog der 30-jährige mit und drei Kindern NS-Regime gekämpft hatten, waren Bekannte Koestlers, der nach einigem Nachfragen unter älteren Dorfbewohnern in die Untersteiermark (heute Slowenien). Ein neuer, nach wie vor einen zweifelhaften Ruf als dem Schnaps zugeneigter, raufsüchtiger Einzelgänger genießt. Es lässt sich spannender Lebensabschnitt begann.

in immer geringerer Menge Hotelbauten, Schirmbars und

Natürlich gab es auch berufliche Rückschläge. Obwohl Stauverkehr ankurbelnd herab, aber nichts wird hinterfragt, seine Arbeit an einer neuen Orgel für die Franziskadie Box bleibt zu, blindlings im Klimagestöber zwischen nerkirche in Lienz im „Kaiserlich Königlich privileSterben und Verdienst. Davon könnte auch Johannes Heesgierten Bothen von und für Tirol und Vorarlberg“ vom ters noch ein, zwei Lieder singen, wohnte er doch einige 7. Dezember 1837 erwähnt wurde, kam er nicht zum Jahre an der Bundesstraße in Inneralpbach, und machte Zug. Vermutlich war Hörbiger bei den Franziskanern nur einmal aufgefallen. sich aufmerksam, als er in nämlich Holzin Ungnade Ausgerechnet einer die Zeit, da treppe im Holzhäuschen runterfiel und sichaus einen man Zillertaler Protestanten zum Auszug demKnoTal chenbruch zuzog, woraufhin der Polizei eine Straßenzwang, hatte Hörbiger einenerArbeitsvertrag mit Kärntsperre, der Rettung Großaufgebot und der Bildzeitung ner „Ketzern“ aus ein dem Gailtal abgeschlossen. Für das einen Artikel war, aber vorerst genug vom Dorftratsch, Bethaus der wert alteingesessenen evangelischen Gemeinde 50 / 51

beispielsweise ein alter Mann aufspüren, der in den 1960ern als Schulwart arbeitete und Koestler ertappte, wie er nachts im Vollrausch durchs Kellerfenster einbrechen wollte, aber in der eingeschlagenen Scheibe * stecken blieb.

Koestlers Autobiografien Frühe Empörung und Abschaum der Erde können aber vermitteln, mit wieviel Zorn und Willen hier ein Getriebener amAllmer Werk war, letztlich anLebensAlkohol Der Steirer Gottfried hat der diesen neuen und eignem Unvermögen scheiterte, Zeit seines Lebens von Angstattacken sich von immer wieder hochkämpfabschnitt des gepeinigt Orgelbauers Tirol dokumentiert, te, neuorientierte und kompromisslos weitermachte, ohne einer Parteilinie anzugehören, einem Jahrzehnt von auch dessen schwierige Zeitnach in Wien und Hörbigers Alpbach weg nach London zog, und dort 1983, schwerkrank und in Funktionim alsfernen Vizepräsident der Freitod-Organisation Lebensabend Banat. Erforscht hat der OrgelEXIT, in beiderseitigem Einverständnis mit Gift seine Frau, die zwei und Hunde und schließlich sich selbst umbrachte. Er experte Heimatforscher zudem rund 60 nachweishaderte mit der Gleichgültigkeit und der Langeweile einer Gesellschaft, die uns heute ins Blut gegangen bare Hörbiger-Orgeln, dieschon in denderart Nachfolgestaaten der ist, dass wir, um es mit einer Tagebuchnotiz von Max Frisch zu schreiben,standen, nicht einmal bemerken, wie sehr Slowenien, diese unsre Monarchie in Österreich, Italien, Gesellschaft zwar am laufenden Band Tod produziert, aber nicht mehr dazu fähig Rumänien ist, diesen zu transzendieren, wesTschechien, Ungarn, und Serbien. Manche halb unsre Gegenwärtigkeit absolut ist, dh wir leben „die Augenblicklichkeit unserer Existenz als Leere vor dem Tod“, erklingen immer noch. Seit 30 Jahren beschäftigt sich einer Leere, die, unentschieden wie Schrödingers Katze, bei Widerstand Depression und Niedergang im HörFalle Allmer damit und seither ist ihm der Namewie Alois Koestlers hervorrufen kann, und sich in der Wildschönau, im Zillertal und inDie all dem von Liftanlagen biger vertraut. Hörbiger-Orgeln ingleichgemachten Österreich und Apres-Ski Gedudel andrer Berggegenden als vom Tourismusheutigen zubetonierte, einplanierte zeigt, in der im Slowenien kennt Sinnlosigkeit er fast alle selbst. Krautinger den Urlaubern schmackhaft gemacht wird und das Europäische Forum Alpbach einer „Das Orgelwissen ist nicht nurzufür denWerbeveranstalLaien komplitung für Wirtschafts-Studenten verkommt, die als hübsch zurechtgemachtes Gegenteil streitbarer im ziert. Um zu erkennen, wann und woIntellektueller ein Instrument Laufe eines Alpen-Ballermanns in breitwillig hingehaltene Dozentenärsche kriechen,nationalen während Politiker Wissengebaut wurde, welcher Schuleund oder lokaschaftler an den Dorfbewohnern vorbeiparadieren, als Farce, die sich aus gegenseitigem speist. len Werkstätte es zuzuordnenDesinteresse ist, wie es im Laufe der Aber von Bergiselwänden töntwie es, man dass Zeit verändert wurde und

die ursprüngliche Klangfarbe einigermaßen könnte, dazu der Tiroler dasrekonstruieren Aufbegehren, der Widerstand braucht man viel Erfahrung“, erzählt mir Allmer im sei, Tirol ist per definitionem der Land gewordene CharakGemeindeamt von Pinggau in der Oststeiermark, wo ter Hofers – dieser Streit zwischen und derAndreas emsige Publizist sich gerade beruflich Legende aufhält. Wie erwähnt, hat er auch die Lebensumstände des OrgelTatsachen, wo findet er sich sonst noch, wenn nicht im bauers dokumentiert: Was sich in Osttirol angekündigt Schnaps, Die ein gesamten Täler indurch den Kessel hatte, zogjawohl! sich wie roter Faden sein hauen, weiteres abenteuerliches Leben. Erfolg und Niederlagen, filangsam hoch zur aus Stückchen verkauften Lebens als gänanzielle Katastrophen, ein hartnäckiger Kampf um rend Essenz zurechtgemachte trübe Mischung die künstlerische Qualität und die nötige Buttererhitzen, aufs tägliche Brot. Schuld an der finanziellen Misere waren Hörlangsam köchelnd brodelt, Dampf los durch Rohre schickt. bigers mangelnder Geschäftssinn und vor allem der Da aufgestiegene Wolken nun von Zum IdolenZug erzählen, Preisdruck der Konkurrenten. kamso erwird oft


Anschluss, wurde in den kleinen Kreis von Kaufleuten und Beamten aufgenommen. Aufträge stellten sich ein und bald auch eine Braut. Laut Familienmär haben sich Alois Hörbiger und die Kärntnerin Maria Victoria Wassin(n) „stilgerecht“ beim Reparieren einer Orgel kennengelernt. Im März 1834 wurde ein Ehevertrag abgeschlossen, im April in der Pfarrkirche St. Daniel bei Dellach geheiratet, im Mai brachte die 21-jährige ihr erstes Kind, einen Alois, zur Welt, der aber im Kindesalter starb. Zwei Mädchen, Anna und Amalia Victoria, folgten, 1839 wieder ein Sohn, Wilhelm Georg. Der nächste Bub, Gottfried, wurde dann nicht mehr in Lienz, sondern 1840 in Cilli, im Süden des damaligen Herzogtums Steiermark geboren. Dorthin zog die Familie, denn in Osttirol hatte Alois Hörbiger Pleite gemacht. Trotz kontinuierlicher Arbeit. Sogar die Orgel in der weithin bekannten Stiftskirche von Innichen wurde ihm 1836/37 zur umfangreichen „Überholung“ anvertraut. Zu seinem wachsenden Renommee hatten vor allem die neuen Orgeln in Kartitsch und Oberlienz beigetragen, die später aber mehrmals umgebaut wurden. Nur das Gehäuse hat sich jeweils erhalten. Was Alois Hörbigers Auftraggeber wohl auch später verblüffte, waren sein technisches Knowhow, sein sicherer formaler Geschmack, die Musikalität und sein handwerkliches Können. Ein Autodidakt, ein Tausendsassa, „ein geschmackvoller Architekt“ und „richtiger Zeichner“, der mit selbst verfertigtem Werkzeug auch Tischler-, Schlosser- und Bildhauerarbeiten ausführte. Davon wird jedenfalls in der Lokalpresse, später auch in Grazer und Wiener Zeitungen berichtet. Ein bisschen Geniekult der Romantik à la Tyrol dürfte da wohl auch mitgespielt haben. So ganz allein konnte er in seiner Werkstätte gewiss nicht arbeiten. Zur Seite standen ihm Handwerker, vor allem sein Bruder Bartholomäus, der sich später selbständig machte und eine Reihe von Orgeln in Kärnten baute. Natürlich gab es auch berufliche Rückschläge. Obwohl seine Arbeit an einer neuen Orgel für die Franziskanerkirche in Lienz im „Kaiserlich Königlich privilegierten Bothen von und für Tirol und Vorarlberg“ vom 7. Dezember 1837 erwähnt wurde, kam er nicht zum Zug. Vermutlich war Hörbiger bei den Franziskanern in Ungnade gefallen. Ausgerechnet in einer Zeit, da man Zillertaler Protestanten zum Auszug aus dem Tal zwang, hatte Hörbiger einen Arbeitsvertrag mit Kärntner „Ketzern“ aus dem Gailtal abgeschlossen. Für das Bethaus der alteingesessenen evangelischen Gemeinde

in Watschig, einer der ersten Bauten, die nach dem Toleranzpatent Kaiser Josef II. für Protestanten in Kärnten errichtet wurden, schuf der katholische Wildschönauer eine heute noch erhaltene Orgel mit 12 Registern. Finanziell war der junge Familienvater ein Hasardeur. Schon sein 1835 erworbenes Haus, etwas später auch das dazu gehörende Futterhaus samt Garten leistete er sich auf Raten. Josef Riedmann hat die einschlägigen Akten des Landgerichtes Lienz durchforstet. Sie geben Aufschluss über das finanzielle Chaos. Im „Intelligenzblatt“ des „Bothen von Tirol“ wird am 20. April „die öffentliche Versteigerung der Konkursrealitäten Hörbiger, Orgelmacher zu Lienz“ angekündigt. Weitgehend mittellos zog der 30-jährige mit Frau und drei Kindern in die Untersteiermark (heute Slowenien). Ein neuer, spannender Lebensabschnitt begann. * Der Steirer Gottfried Allmer hat diesen neuen Lebensabschnitt des Orgelbauers von Tirol dokumentiert, auch dessen schwierige Zeit in Wien und Hörbigers Lebensabend im fernen Banat. Erforscht hat der Orgelexperte und Heimatforscher zudem rund 60 nachweisbare Hörbiger-Orgeln, die in den Nachfolgestaaten der Monarchie standen, in Österreich, Italien, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Serbien. Manche erklingen immer noch. Seit 30 Jahren beschäftigt sich Allmer damit und seither ist ihm der Name Alois Hörbiger vertraut. Die Hörbiger-Orgeln in Österreich und im heutigen Slowenien kennt er fast alle selbst. „Das Orgelwissen ist nicht nur für den Laien kompliziert. Um zu erkennen, wann und wo ein Instrument gebaut wurde, welcher nationalen Schule oder lokalen Werkstätte es zuzuordnen ist, wie es im Laufe der Zeit verändert wurde und wie man die ursprüngliche Klangfarbe einigermaßen rekonstruieren könnte, dazu braucht man viel Erfahrung“, erzählt mir Allmer im Gemeindeamt von Pinggau in der Oststeiermark, wo der emsige Publizist sich gerade beruflich aufhält. Wie erwähnt, hat er auch die Lebensumstände des Orgelbauers dokumentiert: Was sich in Osttirol angekündigt hatte, zog sich wie ein roter Faden durch sein weiteres abenteuerliches Leben. Erfolg und Niederlagen, finanzielle Katastrophen, ein hartnäckiger Kampf um künstlerische Qualität und die nötige Butter aufs tägliche Brot. Schuld an der finanziellen Misere waren Hörbigers mangelnder Geschäftssinn und vor allem der Preisdruck der Konkurrenten. Zum Zug kam er oft


nur,heiliger weil erGeist das ausgeschüttet, billigste Angebot machte, das er dann ein ins Land geworfen schwirrt

Scheitern wir vorprogrammiert. Der 1959 Wandertrieb vieler Tiwärtigen uns, dass Koestler Die Nachtwandler

nicht einhalten konnte. Immer wieder hieß es, von er zittrig auf, denn dieses brennend prozentige Talwasser, Neuem zu beginnen. das unsre Haut als Cilli Ufer braucht, ist ein hochgeistiges GeNach Lienz also im damaligen Kronland Steiermark,welches wo vieleIdeen, deutschsprachige Bürger wohnten. Ein tränk, Bilder gibt, und dieses eine Extrakt guter Ort zu leben, arbeiten und fürs Geschäft. Eine nach mehrmaligem Durchlauf wäre dann die Erlösung, freie Werkstätte, in der auch der Bruder Bartholomäus hoffentlich. Erst nach einigen wacht Begeisterung und bald auch Gesellen ausGläsern Tirol eintreten konnten, bot sich Privat stellte sich im Herbst 1840 in uns auf,an. dreht Kapriolenknoten in die Zunge, Lustnoch führt einmal Nachwuchs ein, Gottfried Bartholomäus, der Schmäh in Münder als speichelvolles Aufbegehren, wir genau wie der ein Jahr später zur Welt gekommene sind feuchtes Begeistern, dasKunsthandwerk den Grad des Betrunkenseins, Wilhelm schon früh das des Vaters erlernen sollte. Rund 15 Jahre lang blieb Cilli Hauptdie Reichweite, in welcher Taumel ausschlagen wird, bewohnsitz und Arbeitsplatz, von hier aus kamen jährreits am Geschmack der Zigaretten erkennt. Wenn sie uns lich drei bis vier Hörbiger-Orgeln in die Kirchen der ein lästig Gefühl nach(heute RauchSlowenien), hinterlegen,nach das Krain undtrockenes der Untersteiermark Graz und sogar nach Wien. Für Prestige sorgte schon sich auch nach mehrmaligen Schlucken nicht verjagen der erste Auftrag, die 1842 gebaute Großorgel für die lässt, einer, derRegistern, sich vollberauscht kaum mehr am Abteiprobiert von Cilli mit 26 klanglich immer noch „italienisch“ geprägt. Ein Jahr wankt, später fällt vollendete erund die Sessel halten kann, aufzustehen, mit Stuhl Orgel für die Welsche Kirche in Graz mit ihren einGlas zu Boden, wird von Rausch und Zimmerhitze glatt ex drucksvollen Neorenaissance-Gehäusen und seltenen umgekippt, und schnaubend, trenzend liegt erZungenreda, windet Registern. Von einem „schalmeiähnlichen gister mit Glasbechern“ schwärmt sonst sachsich, kommt irgendwie erneut auf dieder Knie, und recht mit diesem liche Gottfried Allmer. Optisch hat sich das Instrument Schnapsschwamm, der einmal seine Zunge war, schreit er, kaum verändert, doch unsachgemäße Sanierungen, bei grölt die nur er versteht, liegt er irgendwann denenFlüche, die alten Register durchund Fremdpfeifen ersetzt wurden, haben dem Klang schwer geschadet. schlafend im Eck, dann wissen wir, dass es nichts ErbärmBis Ende der 1840er Jahre florierte das Unternehmen, licheres gibt als diese festgefahren ins Torkeln geratenen doch dann kriselte es, neue Absatzmärkte mussten geBesoffenen, die 1849 hin und her wanken, rechtseinen am Mund sucht werden. machte Alois links Hörbiger ersten Schritt nach Wien. 80 Jahre lang stand ein Instruvorbei das Glas kombinieren und es dennoch schaffen anment aus der Werkstätte in Cilli in der Pfarrkirche von zusetzen, daraus saufen, von sich Cilli fast verschlucken Meidling.gierig In der Umgebung wurden die unter Aufträge rar, eine Reparatur, dort nebensächlich, eine kleine Orgel, einem ewighier gleichen Himmel: ist alles hinimmerhin Aufträge für die Steiermark, Kärnten und term Dorf findet routinierter Zwang Versteck, macht uns den Krain, wo die Brüder Hörbiger samt Gesellen einen ganzen Resthatten. zu Leere, hinter allem: keinChance Halt, kein Grund guten Ruf 1853 wieder eine in Wien, eine fürScharaden, die Pfarrkirche zum Hl. Johann zum Großorgel Kämpfen, nur die im besten Fall ein NeGepomuk in der Leopoldstadt. Zwei Jahre später wurde fühl von Gemeinschaft vermitteln vermögen, uns Welt und die Werkstätte in Slowenien geschlossen.

roler, ein bisschen Selbstüberschätzung, ja Phantasterei publizierte, worin er allerdings nicht auf entlang eisglatdürften den Ausschlag für den Ortswechsel gegeben ter Wahnparketten durch alpine Dunkelheiten schlitternde haben. Alois Hörbiger war ja nicht nur Orgelbauer. Traumtänzer wie den Hanns Bezug nahm, sondern sich Er wollte als Erfinder neuer Instrumente reüssieren, astronomisch interessiert mit dem Wechsel der Weltvorwenn möglich gleich auf der Weltausstellung in Paris. stellung vom Geo- zum Heliozentrischem beschäftigte, und Daraus wurde zwar nichts, aber präsentiert hat er das ein starkes Faszinosum (in Anbetracht der Tatsache, sogenannte „Harmonikon“, eine Verbindung vondass Orzuvor durch die Wirkung des Schnapses von der Wirkung gel und Harmonium, im eleganten Ambiente des Redes selbigen auf menschlichen Körper geschrieben doutensaals. Dasden Wiener „Conversationblatt“ lobte das „Harmonikon“ am 21. 1855 in neigt, höchsten wurde, der in der Tätigkeit des Feber Trinkens dazu sich Tönen: „Wenn auf diesemLoch Musikwerke ein kriegeriin ein alles verschlingendes zu verwandeln, das sich scher Marsch gespielt wird, so ist die Wirkung dieselbe, eingepasst in die Haut als darin verborgenes Nichts mit welche eine reichbesetzte Militär-Bande hervorbringt. allem in greifbarer Nähe liquid Existierendem zuschüttet Aber auch jede Gattung von Tonstücken lässt sich darund eine konzentrierte Macht entwickelt, eine Art von ewiauf vortragen; die sanftesten, weichsten, elegischsten gem, stillem Durst, der kaum Strahlkraft besitzt, sondern ein Passagen.“ asoziales Wesen erschafft, worin um im Feld AstroFür Erfindungen dieser Art gabwir, es damals vielder Interesse nomie zu verbleiben, Merkmale eines Weißen Zwerges und Hörbiger wusstedie das zu nutzen, knüpfte Kontakte, bestätigt finden.empfohlen. Interessanterweise spricht man in Alpbach wurde weiter So wurde auch Eduard van der Nüll, einer der beiden Architekten der Staatsoper, von einem starken Säufer, d. h. von einem großen Trinker auf ihn aufmerksam. hatte bis 1849 dieweiße Bauleitung vor dem Herrn, als von Er einer Person, die eine Leber der Altlerchenfelder Pfarrkirche inne, des bedeutendsbesitzt, so trifft die Volksmedizin exakt ins Schneegestöber, ten Werkes des romantischen Historismus in Österum das Loch, die Leere, den Durst zu verorten. Um nun das reich. Von ihm stammen auch ein Gesamtentwurf der „Faszinosum“ nicht zu verlieren, da es zur Thematik dieser dekorativen Malerei im Kirchenraum und Entwürfe Elegie vom, über und aus dem Unterland passt, möchte für die Einrichtung. Große Künstler wie Josef Führich, ich auf ein hinweisen, das mir neulich Roman Karlnun Blaas undWort Leopold Kupelwieser schufenim Fresken. Infinite Jest untergekommen ist und seither, weiß der In dieser Kirche dabei zu sein, warmir ehrenvoll. Hörbiger bewarbwarum, sich, legte vorSinn undgeht: machte bei Fischreiher nicht Zeugnisse mehr aus dem Vomitider Auslobung für diedie Orgel im Jahre 11.900 vum. Anders dagegen Babylonier, die1856 dem mit Mond, dem Gulden das kostengünstigste Angebot. Vom Kultusmiunsäglichen Ideengeber des Hörbiger Hanns, das Hirn zunisterium bekam er den Auftrag für eine große Orgel ordneten, aber das ist nur eine Fußnote, nicht mehr, daher mit 48 Registern. Das finanzielle Risiko war allerdings sei diese Organ-Himmel-Connection innerhalb der Klamenorm, Holz und Metall wurden teurer, die Lohnkosten mer abschließend gezogen) zu Beginn der Wortklammer stiegen, die Arbeit verzögerte sich bedenklich. Vielleicht war also dass Koestler ein starkes Faszinosum waren eszu derlesen, Wildschönauer Charme und der in Wien (das vorangegangene Wort mit seinerseits seltsamer Anzieobligate Tyrol-Mythos, die Hörbiger zu Gute kamen? hungskraft – Vomitivum – ruft vorwiegendan Bilder sowohl Seine Bittbriefe um Geldvorschüsse die von Behörden und selbst an Kaiser hatten Barflies Erfolg. Schulden männlichen alsden auch weiblichen hervor, diehatte sich er trotzdem. Doch als ihn Gläubiger 1860 arg bedrängan Tresen klammernd damit brüsten, in ihrem bisherigen ten, organisierte er verschüttet zu Jahresbeginn einealsArt BenefizLeben mehr Alkohol zu haben, man selber konzert, obwohl in der Kirche noch die Malergerüste jemals trinken wird) in der Parapsychologie entdeckte. standen. Vom Weihbischof über den Kultusminister bis zum Bürgermeister kamen die Promis. Eine hübDieses Interesse entstammte Internetquellen zufolge eische Summe ging ein, das Orgelspiel aber gefiel nicht nem mystischen derauch Todeszelle Malaga, die als jedermann. Das Moment änderte in sich nicht, in nachdem er inmitten der Abführung von vor die Erk. k. Landesbaudirektion imRegimegegnern Februar das Instrument schießungskommandos Euklids Beweis Existenz unals „Meisterwerk“ abgesegnet hatte. der Alois Hörbiger

Leben vorspielen, tatsächlich Vorspiel sind.

* Die Suffszenerie verlassen, dafür ein

Nach 15 Jahren Slowenien also wieder ein neuer Lebensabschnitt. Aufbruch ins Zentrum der Monarchie, dieser Historie, zumindest in die Nähe der Reichshauptstadt, obwohl die nicht mit faszinierenden Fakten geizt: die Verbindung es noch keine fixe Arbeit gab. Ein gewagter Schritt, zu Hörbiger ist in Gedanken schnell gezogen, vergegendenn die Konkurrenz in Wien war groß, das finanzielle 52 / 53


nur, weil er das billigste Angebot machte, das er dann nicht einhalten konnte. Immer wieder hieß es, von Neuem zu beginnen. Nach Lienz also Cilli im damaligen Kronland Steiermark, wo viele deutschsprachige Bürger wohnten. Ein guter Ort zu leben, arbeiten und fürs Geschäft. Eine freie Werkstätte, in der auch der Bruder Bartholomäus und bald auch Gesellen aus Tirol eintreten konnten, bot sich an. Privat stellte sich im Herbst 1840 noch einmal Nachwuchs ein, Gottfried Bartholomäus, der genau wie der ein Jahr später zur Welt gekommene Wilhelm schon früh das Kunsthandwerk des Vaters erlernen sollte. Rund 15 Jahre lang blieb Cilli Hauptwohnsitz und Arbeitsplatz, von hier aus kamen jährlich drei bis vier Hörbiger-Orgeln in die Kirchen der Krain und der Untersteiermark (heute Slowenien), nach Graz und sogar nach Wien. Für Prestige sorgte schon der erste Auftrag, die 1842 gebaute Großorgel für die Abtei von Cilli mit 26 Registern, klanglich immer noch „italienisch“ geprägt. Ein Jahr später vollendete er die Orgel für die Welsche Kirche in Graz mit ihren eindrucksvollen Neorenaissance-Gehäusen und seltenen Registern. Von einem „schalmeiähnlichen Zungenregister mit Glasbechern“ schwärmt der sonst recht sachliche Gottfried Allmer. Optisch hat sich das Instrument kaum verändert, doch unsachgemäße Sanierungen, bei denen die alten Register durch Fremdpfeifen ersetzt wurden, haben dem Klang schwer geschadet. Bis Ende der 1840er Jahre florierte das Unternehmen, doch dann kriselte es, neue Absatzmärkte mussten gesucht werden. 1849 machte Alois Hörbiger einen ersten Schritt nach Wien. 80 Jahre lang stand ein Instrument aus der Werkstätte in Cilli in der Pfarrkirche von Meidling. In der Umgebung von Cilli wurden die Aufträge rar, hier eine Reparatur, dort eine kleine Orgel, immerhin Aufträge für die Steiermark, Kärnten und Krain, wo die Brüder Hörbiger samt Gesellen einen guten Ruf hatten. 1853 wieder eine Chance in Wien, eine Großorgel für die Pfarrkirche zum Hl. Johann Nepomuk in der Leopoldstadt. Zwei Jahre später wurde die Werkstätte in Slowenien geschlossen. * Nach 15 Jahren Slowenien also wieder ein neuer Lebensabschnitt. Aufbruch ins Zentrum der Monarchie, zumindest in die Nähe der Reichshauptstadt, obwohl es noch keine fixe Arbeit gab. Ein gewagter Schritt, denn die Konkurrenz in Wien war groß, das finanzielle

Scheitern vorprogrammiert. Der Wandertrieb vieler Tiroler, ein bisschen Selbstüberschätzung, ja Phantasterei dürften den Ausschlag für den Ortswechsel gegeben haben. Alois Hörbiger war ja nicht nur Orgelbauer. Er wollte als Erfinder neuer Instrumente reüssieren, wenn möglich gleich auf der Weltausstellung in Paris. Daraus wurde zwar nichts, aber präsentiert hat er das sogenannte „Harmonikon“, eine Verbindung von Orgel und Harmonium, im eleganten Ambiente des Redoutensaals. Das Wiener „Conversationblatt“ lobte das „Harmonikon“ am 21. Feber 1855 in höchsten Tönen: „Wenn auf diesem Musikwerke ein kriegerischer Marsch gespielt wird, so ist die Wirkung dieselbe, welche eine reichbesetzte Militär-Bande hervorbringt. Aber auch jede Gattung von Tonstücken lässt sich darauf vortragen; die sanftesten, weichsten, elegischsten Passagen.“ Für Erfindungen dieser Art gab es damals viel Interesse und Hörbiger wusste das zu nutzen, knüpfte Kontakte, wurde weiter empfohlen. So wurde auch Eduard van der Nüll, einer der beiden Architekten der Staatsoper, auf ihn aufmerksam. Er hatte bis 1849 die Bauleitung der Altlerchenfelder Pfarrkirche inne, des bedeutendsten Werkes des romantischen Historismus in Österreich. Von ihm stammen auch ein Gesamtentwurf der dekorativen Malerei im Kirchenraum und Entwürfe für die Einrichtung. Große Künstler wie Josef Führich, Karl Blaas und Leopold Kupelwieser schufen Fresken. In dieser Kirche dabei zu sein, war ehrenvoll. Hörbiger bewarb sich, legte Zeugnisse vor und machte bei der Auslobung für die Orgel im Jahre 1856 mit 11.900 Gulden das kostengünstigste Angebot. Vom Kultusministerium bekam er den Auftrag für eine große Orgel mit 48 Registern. Das finanzielle Risiko war allerdings enorm, Holz und Metall wurden teurer, die Lohnkosten stiegen, die Arbeit verzögerte sich bedenklich. Vielleicht waren es der Wildschönauer Charme und der in Wien obligate Tyrol-Mythos, die Hörbiger zu Gute kamen? Seine Bittbriefe um Geldvorschüsse an die Behörden und selbst an den Kaiser hatten Erfolg. Schulden hatte er trotzdem. Doch als ihn Gläubiger 1860 arg bedrängten, organisierte er zu Jahresbeginn eine Art Benefizkonzert, obwohl in der Kirche noch die Malergerüste standen. Vom Weihbischof über den Kultusminister bis zum Bürgermeister kamen die Promis. Eine hübsche Summe ging ein, das Orgelspiel aber gefiel nicht jedermann. Das änderte sich auch nicht, nachdem die k. k. Landesbaudirektion im Februar das Instrument als „Meisterwerk“ abgesegnet hatte. Alois Hörbiger


bekam das restliche Honorar, densah Kostenvoranschlag endlich vieler Primzahlen bestätigt – in Ein spanisches

Setschan schwärmte der Pfarrer von seines den „Fachleuten“, Bashar al-Assad als kleinere Version Vaters Hafiz

hatte er umworin 8.500diese Gulden Verständlich, Testament, Zeit,überschritten! in ständiger Angst vor dem dass sich Kritiker formierten, ein „Glaubenskrieg“ über eignen Tod durchs Salvenfeuer aufgearbeitet wird, konnte den Wert der Orgel wurde in diversen Zeitungen, auch ich allerdings bis zum Augenblick des Abtippens keinen in der Fachpresse ausgetragen, wobei die abgeblitzten Beleg dafür finden. Sämtliche Ersparnisse, die nach dem Wiener Konkurrenten sicher ihr Scherflein dazu beitruFreitod des Ehepaares übrig geblieben waren, wurden in gen. Bemängelt wurden vor allem die schwere Spielbardie Errichtung eines Lehrstuhls für Parapsychologie an der keit, die schlechte Windversorgung und die allzu „sanfUniversity of Edinburgh investiert, Büste als antEhrten und zarten“ Stimmen. Der Koestlers Pressekampagne erweisung und Hörbiger Erinnerungmit jedoch der Aula entfernt, wortete Alois eineraus geharnischten Entgegnung 8. Juni 1860 in der „Wiener als sich dieam Beweise verdichteten, er könnte dieZeitung“, Frau eines aber sein Ruf in der Wiener blieb anBekannten vergewaltigt haben;Musikerbranche in einigen Biografien finden gekratzt, vielleicht rümpfte die feine Gesellschaft auch sich zudem Belege, dass diese nicht sein einziges Opfer die Nase über die Moral im Haus Hörbiger. Amalia, war. Koestler zeigte Frauen gegenüber ein aggressives Verdie 23-jährige Tochter, bekam ein lediges Kind, Hanns halten, und bereits kurz nach dem Gifttod wurde sein Ruf Hörbiger, der es einmal, wie erwähnt, als Erfinder und selbst im eignen Freundeskreis dadurch ramponiert, seine Verfasser der „Welteislehre“ zu Ansehen bringen sollte. Frau dieFamilienüberlieferung nur durch und für ihn lebte, nicht davon Sein Cynthia, Vater, laut ein Holzschnitabgehalten haben, mitsich ihm„rechtzeitig gemeinsam aus das dem Sterben zu zer namenszu Leeb, hatte Staub wählen, obwohl über 20 Jahre war. gemacht“. 1863sie zog Amalia mitjünger Hannsund in gesund die Heimat der Mutter, nach Dellach, denn die finanzielle SituaEin Auszug aus Koestlers hinterlassener Nachricht lautet: tion in Atzgersdorf warThe nicht rosig. einer To whom it may concern: purpose of Trotz this note is toReihe make von Aufträgen in Niederösterreich, die zumindest ein it unmistakably clear that I intend to commit suicide by taking gewisses Einkommen sicherten. Die vereinbarten Teran overdose of drugs without the knowledge or aid of any other mine wurden meist überzogen, über die Qualität der person … Trying to commit suicide is a gamble the outcome of Instrumente gab es keine Klagen. Der Pfarrer von Höfwhich will be known to the gambler only if the attempt fails, lein bei Bruck an der Leitha vermerkte allerdings, dass but if it succeeds … Cynthias eigene Worte fügte siewohl dem sichnot Alois Hörbiger „während seines Hierseins Abschiedsbrief am Ende an: sehr I fear ergebener both death als geschickter,ihres aberMannes auch dem Trunke and the act of dying that lies ahead of us. I should have liked to Mann“ gezeigt habe. Die letzten Jahreofinworking Österreich waren diewhich Hörbigers finish my account for Arthur – afür story began bitter. Trotz der Goldmedaille, die Kaiser Franz Joseph when our paths happened to cross in 1949. However, I cannot dem Orgelbauer verliehen hatte. Das Haus in Atzgerslive without Arthur, despite certain inner resources. Double suidorf musste versteigert werden, in Wien zog man von cide has never appealed to me, but now Arthur’s incurable dieiner Wohnung zur nächsten. Maria Hilf, Hetzendorf, seases have reached a stage where there is nothing else to do. Meidling … Bescheidene Aufträge, eine kleine Orgel für Das macht nun beinah fraglos: Ist soviel Liebe nicht schon die Filialkirche St. Amadeus in Admont und die Kirche Abhängigkeit, soviel nicht diktatorisch, San Pasquale und Baylon inZumutung Triest. Vergeblicher Kampfaber um damit öffnen wir eine neue Schachtel,Also und wieder die Katze darin den Bau der Stiftsorgel in Admont. einmal kippt zur Seite, Suchetot nach einemalso neuen Arbeitsfeld, weiter Richtung Osten.: im Februar dieses Jahres reiste ich über Land nach

Wilhelm und Godefried Hörbiger. „Es sind schöne, anbestätigt, der, um Unruhen zu unterbinden, 1982 ein Bom-

Syrien, zwei Wochen, bevor in Deraa (in jener Stadt also, wo Thomas Edward Lawrence*of Arabia angeblich aufgrund des Andrangs eines arabischen Offiziers das einzige ho-

Nach Siebenbürgen hatte man bereits 1863 von Wien moerotische Erlebnis seines an Abenteuern nicht armen aus eine erste Orgel geliefert, vier Jahre später folgte Lebens hatte) die Demonstrationen denen von ein Werk in Groß Betschkerek imbegannen, Banat (heute SerbiSeiten des Sicherheitsapparates mitHörbiger Härte undauch der Been). Neben der Orgel baute Alois die reitschaft zudie Töten begegnet wurde, womit sichStyle“. Präsident Altäre und Kanzel im „byzanthinischen In 54 / 55

ständige und inHama moralischer bardement über brachte,Hinsicht in dem angut dieaufgewach30.000 Zivisene Leute, sehrGrenze gute Sänger und ausgezeichnete listenjunge starben. An der zum Irak verblasst der TouOrgelspieler“. Die Söhne hatten im Banat wohl rismusglanz Palmyras und offenbart sich ein ehrliches den Bild Großteil der Arbeit geleistet. 1870 übersiedelte die Fader Wüste: Ölraffinerien, Erdgasanlagen, und zwischen Familie endgültig von Wien in das Banat. Tochter Amabriken in Zelten hausende Beduinen, die an den Wochenlia, inzwischen verheiratet, verkaufte das mütterliche enden zum Markt in die größeren Städte wie Der-Es-Zur Erbe und zog mit Ehemann und dem heranwachsenden kommen, jedoch eine schweigsame Distanz zum andren Sohn Hanns (wieder) zu Eltern und Geschwistern. Ein Bevölkerungsteil wahren. Dort findet sich ein blankgeputzfinanzielles Fiasko zeichnete sich auch hier ab. Nach ter und aufgerichteter Kampfjet als Denkmal und Demonstdem Tod seiner Frau, dem Mittelpunkt der Familie, ration syrischer Einheit und Armeestärke; zwei Stunden mit machte sich der 62-jährige Alois Hörbiger noch einmal einem Kleinbus unterwegs in Richtung Südosten, in der auf den Weg, vermutlich allein. In Semlin (Zemun), Grenzstadt Abu Kamal, dieselbe Jetversion, nur verheute ein Stadtteil vonsteht Belgrad, fand der Orgelbauer dreckt und ohne Spitze, wie überhaupt die ganze Gegend von Tirol noch einmal Arbeit. 1876 starb er dort. zu verrosten und zu verfallen scheint. Trotzdem handeln die Polizisten pflichtbewusst,* nehmen im Verhör lächelnd und Tee offerierend Daten auf und lassen den Aufenthalt

Waszwei mir Spitzeln bei all den mit Fachleuten nicht gevon auf Treffen einem Motorrad begleiten, die imlungen war,Meter ermöglichte mir derknatternd Orgelbauer Peter Mamer einige hinterher leise dem Spazierria Kraus anWährend einem Sonntag in deralskleinen gotischen gang folgen. dieser Tage, Mubarak gerade Pfarrkirche in Grinzing: das „Innere“ einer alten Orins Exil nach Sharm-el-Scheik auswich, wo ihn bereits die gel kennenzulernen, die Alois Hörbiger 1858 erneuert zuvor für Interviews am Pool plantschenden, größtenteils hatte. Kraus hat das lange vernachlässigte Instrument, dickbäuchigen europäischen Touristen auf Pensionsuran der Schubert spielten, 1996 repariert und dabei verlaub erwarteten, wurde über Al-Jazeera das Geschehen in sucht, den möglichen Hörbiger-Klang zu rekonstruder arabischen Welt mit großem Interesse verfolgt, Fragen ieren. Ob es tatsächlich dieser Klang ist, den ich jetzt nach der Situation in Syrien riefen aber immer drei gleichhöre? (Beweisen kann es Kraus natürlich nicht, denn bleibende Reaktionen hervor: Daumen hoch, lächeln, Tee die Orgel hat eine lange Geschichte und diese ist immer nachschenken. Doch was Koestler über den noch nicht ganz erforscht. Gesichert ist,Machtapparat dass Hörbider findet seine Bestätigung mitunter in den ger KP dieschrieb, seit 1829 sogenannte Erler-Orgel von 12 auf Regimes dererweiterte. arabischen Kraus Welt, deren Luftschlosslogik nun 15 Register schwärmt auch von vorwiderlegt wird: Irgendwo mußte ein Fehler in dieser Rechnung handenen barocken Pfeifen, von Streichern und Flöten. stecken; die Gleichung ging nicht auf. spielt (R. P.) Frescobaldi.) Orgelwissen ist schwierig. Kraus


bekam das restliche Honorar, den Kostenvoranschlag hatte er um 8.500 Gulden überschritten! Verständlich, dass sich Kritiker formierten, ein „Glaubenskrieg“ über den Wert der Orgel wurde in diversen Zeitungen, auch in der Fachpresse ausgetragen, wobei die abgeblitzten Wiener Konkurrenten sicher ihr Scherflein dazu beitrugen. Bemängelt wurden vor allem die schwere Spielbarkeit, die schlechte Windversorgung und die allzu „sanften und zarten“ Stimmen. Der Pressekampagne antwortete Alois Hörbiger mit einer geharnischten Entgegnung am 8. Juni 1860 in der „Wiener Zeitung“, aber sein Ruf in der Wiener Musikerbranche blieb angekratzt, vielleicht rümpfte die feine Gesellschaft auch die Nase über die Moral im Haus Hörbiger. Amalia, die 23-jährige Tochter, bekam ein lediges Kind, Hanns Hörbiger, der es einmal, wie erwähnt, als Erfinder und Verfasser der „Welteislehre“ zu Ansehen bringen sollte. Sein Vater, laut Familienüberlieferung ein Holzschnitzer namens Leeb, hatte sich „rechtzeitig aus dem Staub gemacht“. 1863 zog Amalia mit Hanns in die Heimat der Mutter, nach Dellach, denn die finanzielle Situation in Atzgersdorf war nicht rosig. Trotz einer Reihe von Aufträgen in Niederösterreich, die zumindest ein gewisses Einkommen sicherten. Die vereinbarten Termine wurden meist überzogen, über die Qualität der Instrumente gab es keine Klagen. Der Pfarrer von Höflein bei Bruck an der Leitha vermerkte allerdings, dass sich Alois Hörbiger „während seines Hierseins wohl als geschickter, aber auch dem Trunke sehr ergebener Mann“ gezeigt habe. Die letzten Jahre in Österreich waren für die Hörbigers bitter. Trotz der Goldmedaille, die Kaiser Franz Joseph dem Orgelbauer verliehen hatte. Das Haus in Atzgersdorf musste versteigert werden, in Wien zog man von einer Wohnung zur nächsten. Maria Hilf, Hetzendorf, Meidling … Bescheidene Aufträge, eine kleine Orgel für die Filialkirche St. Amadeus in Admont und die Kirche San Pasquale Baylon in Triest. Vergeblicher Kampf um den Bau der Stiftsorgel in Admont. Also wieder einmal Suche nach einem neuen Arbeitsfeld, weiter Richtung Osten.

Setschan schwärmte der Pfarrer von den „Fachleuten“, Wilhelm und Godefried Hörbiger. „Es sind schöne, anständige und in moralischer Hinsicht gut aufgewachsene junge Leute, sehr gute Sänger und ausgezeichnete Orgelspieler“. Die Söhne hatten im Banat wohl den Großteil der Arbeit geleistet. 1870 übersiedelte die Familie endgültig von Wien in das Banat. Tochter Amalia, inzwischen verheiratet, verkaufte das mütterliche Erbe und zog mit Ehemann und dem heranwachsenden Sohn Hanns (wieder) zu Eltern und Geschwistern. Ein finanzielles Fiasko zeichnete sich auch hier ab. Nach dem Tod seiner Frau, dem Mittelpunkt der Familie, machte sich der 62-jährige Alois Hörbiger noch einmal auf den Weg, vermutlich allein. In Semlin (Zemun), heute ein Stadtteil von Belgrad, fand der Orgelbauer von Tirol noch einmal Arbeit. 1876 starb er dort. * Was mir bei all den Treffen mit Fachleuten nicht gelungen war, ermöglichte mir der Orgelbauer Peter Maria Kraus an einem Sonntag in der kleinen gotischen Pfarrkirche in Grinzing: das „Innere“ einer alten Orgel kennenzulernen, die Alois Hörbiger 1858 erneuert hatte. Kraus hat das lange vernachlässigte Instrument, an der Schubert spielten, 1996 repariert und dabei versucht, den möglichen Hörbiger-Klang zu rekonstruieren. Ob es tatsächlich dieser Klang ist, den ich jetzt höre? (Beweisen kann es Kraus natürlich nicht, denn die Orgel hat eine lange Geschichte und diese ist immer noch nicht ganz erforscht. Gesichert ist, dass Hörbiger die seit 1829 sogenannte Erler-Orgel von 12 auf 15 Register erweiterte. Kraus schwärmt auch von vorhandenen barocken Pfeifen, von Streichern und Flöten. Orgelwissen ist schwierig. Kraus spielt Frescobaldi.)

* Nach Siebenbürgen hatte man bereits 1863 von Wien aus eine erste Orgel geliefert, vier Jahre später folgte ein Werk in Groß Betschkerek im Banat (heute Serbien). Neben der Orgel baute Alois Hörbiger auch die Altäre und die Kanzel im „byzanthinischen Style“. In

Alois Hörbiger, 1810–1876. Der Orgelbauer von Tirol, Herausgeber: Bergbauernmuseum z’Bach, Wildschönau, 80 Seiten, 2010. Zu beziehen über Bergbauernmuseum z’Bach, 6311 Wildschönau


„Aussicht, Aussicht, Aussicht!“

„Ausreden, Ausreden, Ausreden!“

„In nur 20 Minuten vom Partyschreck zum in Quatorzième“, hochalpines Gelände“, versprechen die Innsbrucker Nordkettenverspricht Das Ultimative Konversationslexikon, das endlich alles Wissen der Welt verbindlich sammelt und somit dem Genre einen zweiten Frühling verschafft wie die folgenden

bahnen. Die Architekten Beispiele belegen.

Hermann Kaufmann und Wolfgang Pöschl* steigen ein und auf: Ihr Ziel ist die auf

1905 m ü. d. M. gelegene Seegrube. Ihr Gesprächsthema: Bauen über der Baumgrenze.

Wir gleiten mit der Fahrtreppe hinunter in die Talstation beim Congress Innsbruck. Sind wir hier gleich beim Thema gelandet, nur unter umgekehrten Vorzeichen?, das: Bauen Führt unter beider derBaumgrenze Mathematikschularbeit mit den Formen mit unumgängvon ganz licher oben?Sicherheit zum Vorzeichenfehler, der einen halben

ren, warweiß stimmt, es sicher niemand einfacher, und kann dieauch Holzschindeln niemand so schnell hinauf

Fehlerpunkt zählt, wodurch die Schularbeit mit 1–2 benotet

Sind Mystiker“ sche diese Hütten fallen eigentlich lassen.

wird. Wolfgang Der Mathematiklehrer Pöschl: Gibt es sagt, so er etwas kann wie deswegen eine untere im Se-

worden?

mittels Smartphone überprüfen, Grundstein gelegt zu schleppen, als ein Steindachalso zu ist machen. für stundenlange, völlig gegenstandslose Diskussionen im Nimbus von Gelehrsamkeit und Erbaulichkeit. Wenn gar P.: Die meisten dieser Hütten sind nach deutschen nichts die Begriffe „Thomas vonHütte Aquin“ oder „DeutStädtenhilft, benannt, die Magdeburger zum Beispiel.

von Deutschen gebaut

mesterzeugnis Baumgrenze? nur eine 2 geben, weil er keine Vorschusslorbeeren zu vergeben hat.

Hermann Kaufmann: Keine Ahnung … der: Dient P.: Herunten ist es einfach, der Baum , wird zur dazu, Hütselbst te und hartnäckigste der Transportweg Gesprächspausen für das Holz zu führt überwinden abwärts. und Überunangenehm der Baumgrenze stockende ist dasGespräche Bauen sicher wieder schwieriger. in Gang

K.: Die Österreicher hatten damals zu wenige Kapazitäten, um dem Run der Deutschen auf die Berge gerecht zu werden. Darum haben sich die deutschen Alpenvereine Plätze gesucht und mit den Österreichern vereinbart, dass sie die Hütten bauen und betreiben dürfen.

zu bringen, was folgendermaßen zu bewerkstelligen ist: Zuerst K.: Früher wird das haben Gesprächsthema sie über der Baumgrenze behutsam aufmit dasSteinen Thema

P.: Eigentlich waren das Wegbereiter des Tourismus!

Gottesbeweise gebaut, die kamen gelenkt, auch wasvon naturgemäß oben, das leicht warzudasselbe bewerkstelligen wie mit den ist bzw. Bäumen sich früher unterhalb oder später der Baumgrenze. von selbst ergibt.

K.: Ja.

Dann behauptet man, Søren Kierkegaard habe den folgenden P.: Die Gottesbeweis Olpererhütte angestellt: im Zillertal, Es existiert die und du neu geschieht gebaut ja nur, hast,was warirgendjemand ja auch einewahrnimmt Steinhütte?(Stichwort Erkenntnis-

P.: Mein Großvater, ein Schafhirt, hat gesagt: Nur die blödesten Schafe gehen auf den Berg hinauf.

programm Empirismus). Angenommen jedoch, es fällt im entlegendsten Hochmoor Schottlands eineinen BaumKern, um, und K.: Ja, die ursprüngliche Hütte hatte so niemand eine ganzsieht kleine es,Hütte dann muss aus Stein. er ja trotzdem umgefallen sein, denn sonst läge er nicht am Boden, wenn wir ihn dann nachher so am Boden liegen sehen, wenn wir zufällig dort P.: Und woraus war das Dach? vorbeikommen. Also muss es etwas geben, das die Bäume

K.: Es ist ja interessant, dass die Entdeckungen und Erstbesteigungen nie die Einheimischen gemacht haben. Das waren immer die Fremden; die wichtigsten Schweizer Gipfel etwa haben die Engländer bestiegen. Die Schweizer selbst hat das nicht interessiert.

auch beimweiß Umfallen wahrnimmt, sonst niemand K.: Das ich nicht sicher.wenn Vermutlich warendaes

Dachschindeln Holz. Obwohl die ja da bei ist, und diesesaus etwas sieht alles und istSteine also Gott. Obwadas

P.: Waren die Einheimischen nicht trotzdem schon vor-

* Hermann Kaufmann, 1955 in Reuthe, Bregenzerwald/Vorarlberg als Sohn einer alten Zimmermannsfamilie geboren. Mithilfe im elterlichen Betrieb, wo er die Faszinationen des Baustoffes Holz kennen lernt, aber auch die Art des handwerklichen Denkens, was seine Arbeit als Architekt wesentlich beeinflusste. Studium an der Technischen Hochschule Innsbruck und an der Technischen Universität Wien, wo er entscheidend von seinem Lehrer Prof. Ernst Hiesmayr geprägt wurde. Nach zweijähriger Mitarbeit in dessen Büro 1983 Gründung eines eigenen Architekturbüros mit Christian Lenz in Schwarzach. Zentrales Anliegen seiner Arbeiten ist die Suche nach umfassenden Antworten zum Thema Nachhaltigkeit des

Bauens und das Ausloten der Möglichkeiten des modernen Holzbaus. Zahlreiche Hallen für Gewerbebetriebe zeugen von seinen zielgerichteten gestalterischen Konzepten für Holztragwerke, die für öffentliche Bauten architektonisch verfeinert ebenso wirksam sind. Neben Einfamilienhäusern ergänzen zurückhaltende Erneuerungen alter Bausubstanz in empfindlichen Dorfstrukturen die Werkliste. Seit 2002 Professor am Institut für Bautechnik und Entwerfen an der TU München, Fachgebiet Holzbau. Wolfgang Pöschl, mit seinem in Mils bei Hall i.T. angesiedelten Büro tatanka ideenvertriebsgmbh jüngst mit dem Österreichischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet, fungiert als Fragensteller.

56 / 57


„Aussicht, Aussicht, Aussicht!“

„In nur 20 Minuten vom Stadtzentrum in hochalpines Gelände“, versprechen die Innsbrucker Nordkettenbahnen. Die Architekten Hermann Kaufmann und Wolfgang Pöschl* steigen ein und auf: Ihr Ziel ist die auf 1905 m ü. d. M. gelegene Seegrube. Ihr Gesprächsthema: Bauen über der Baumgrenze.

Wir gleiten mit der Fahrtreppe hinunter in die Talstation beim Congress Innsbruck. Sind wir hier gleich beim Thema gelandet, nur unter umgekehrten Vorzeichen? Bauen unter der Baumgrenze mit den Formen von ganz oben? Wolfgang Pöschl: Gibt es so etwas wie eine untere Baumgrenze? Hermann Kaufmann: Keine Ahnung … P.: Herunten ist es einfach, der Baum wird zur Hütte und der Transportweg für das Holz führt abwärts. Über der Baumgrenze ist das Bauen sicher schwieriger.

ren, war es sicher einfacher, die Holzschindeln hinauf zu schleppen, als ein Steindach zu machen. P.: Die meisten dieser Hütten sind nach deutschen Städten benannt, die Magdeburger Hütte zum Beispiel. Sind diese Hütten eigentlich von Deutschen gebaut worden? K.: Die Österreicher hatten damals zu wenige Kapazitäten, um dem Run der Deutschen auf die Berge gerecht zu werden. Darum haben sich die deutschen Alpenvereine Plätze gesucht und mit den Österreichern vereinbart, dass sie die Hütten bauen und betreiben dürfen.

K.: Früher haben sie über der Baumgrenze mit Steinen gebaut, die kamen auch von oben, das war dasselbe wie mit den Bäumen unterhalb der Baumgrenze.

P.: Eigentlich waren das Wegbereiter des Tourismus!

P.: Die Olpererhütte im Zillertal, die du neu gebaut hast, war ja auch eine Steinhütte?

P.: Mein Großvater, ein Schafhirt, hat gesagt: Nur die blödesten Schafe gehen auf den Berg hinauf.

K.: Ja, die ursprüngliche Hütte hatte einen Kern, so eine ganz kleine Hütte aus Stein.

K.: Es ist ja interessant, dass die Entdeckungen und Erstbesteigungen nie die Einheimischen gemacht haben. Das waren immer die Fremden; die wichtigsten Schweizer Gipfel etwa haben die Engländer bestiegen. Die Schweizer selbst hat das nicht interessiert.

P.: Und woraus war das Dach?

K.: Ja.

K.: Das weiß ich nicht sicher. Vermutlich waren es Dachschindeln aus Holz. Obwohl die Steine ja da wa-

P.: Waren die Einheimischen nicht trotzdem schon vor-

* Hermann Kaufmann, 1955 in Reuthe, Bregenzerwald / Vorarlberg als Sohn einer alten Zimmermannsfamilie geboren. Mithilfe im elterlichen Betrieb, wo er die Faszinationen des Baustoffes Holz kennenlernt, aber auch die Art des handwerklichen Denkens, was seine Arbeit als Architekt wesentlich beeinflusste. Studium an der Technischen Hochschule Innsbruck und an der Technischen Universität Wien, wo er entscheidend von seinem Lehrer Prof. Ernst Hiesmayr geprägt wurde. Nach zweijähriger Mitarbeit in dessen Büro 1983 Gründung eines eigenen Architekturbüros mit Christian Lenz in Schwarzach. Zentrales Anliegen seiner Arbeiten ist die Suche nach umfassenden Antworten zum Thema Nachhaltigkeit des

Bauens und das Ausloten der Möglichkeiten des modernen Holzbaus. Zahlreiche Hallen für Gewerbebetriebe zeugen von seinen zielgerichteten gestalterischen Konzepten für Holztragwerke, die für öffentliche Bauten architektonisch verfeinert ebenso wirksam sind. Neben Einfamilienhäusern ergänzen zurückhaltende Erneuerungen alter Bausubstanz in empfindlichen Dorfstrukturen die Werkliste. Seit 2002 Professor am Institut für Bautechnik und Entwerfen an der TU München, Fachgebiet Holzbau. Wolfgang Pöschl, mit seinem in Mils bei Hall i.T. angesiedelten Büro tatanka ideenvertriebsgmbh jüngst mit dem Österreichischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet, fungiert als Fragensteller.


her oben – auf die meisten Gipfel kann man ja einfach hinaufgehen? K.: Wahrscheinlich schon … aber ob sie auf dem Matdas: Stellt die optimale Kulisse dar, um Reinhold terhorn ,waren?

Es geht weiter über die Brücke und hinein in den TunDer Zweck des Tunnels liegt vor allem darin, Zeit eine nel, der :steil nach oben zieht. Schon nach kurzer sehr windschiefe Metapher abzugeben für Verbindungen, tauchen wir wieder aus dem Untergrund auf und halten verbinden, 50 Meter weiter oben in luftiger Höhezum in der Stadie was nicht zusammengehört, Beispiel tion Alpenzoo. ansonsten sehr disparate Textteile. Apropos Textteile: Den

Messner mit versteckter Kamera Streiche zu spielen. Der

Unterschied zwischen Kohärenz und Kohäsion zu wissen

Choleriker und Burgherr fällt beim so gutMatterhorn wie auf jedenist Quatsch P.: Ich weiß nicht wie das … bei

ist jenerja Wissensinhalte, Kenntnis nur ineigenteinem P.: einer Du gehst selbst viel aufderen die Berge, warum

herein. manchen

sehr lich?engen Kontext Vorteile bringt, da aber umso größere.

Bergen gehen ja auf der einen Seite die Kühe hinauf, während auf der anderen die Menschen Kopf und Kragen riskieren.

Im Textlinguistikseminar ist man damit ein Star, in fast allen

K.: Ich gehe hauptsächlich im Winter, da ich einwährend leidenanderen Situationen, in die MitteleuropäerInnen schaftlicher Schifahrer, oder besser: Schitourengeher ihres Erwachsenenlebens im Durchschnitt einmal oder

SchriftK.: Beim Matterhorn ist das nicht der Fall., der: Kühe habe

bin. häufiger geraten, sind damit keinerlei Blumentöpfe zu ge-

stellerInnen, denen einfach überhaupt nichts mehr einfällt, ich dort noch nie gesehen.

winnen. „Den Unterschied wissen“ ist übrigens eine ähn-

können Bücher über das Thema schreiben, dass die Leute

lich unschöne wie „die aus? Uhr können“ oder „die P.: Kennst duKonstruktion dich mit Lawinen Und was faszi-

den Genitiv einfach nicht mehr benützen sonst auch P.: Ist es eigentlich ein Urbedürfnis des und Menschen, ei-

Masche können“ und doch nicht nur in ihrem natürlichen niert dich am Bergsteigen?

immer mit zu denbesteigen Fällen durcheinanderkommen, wahrscheinnen Berg und hinunterzuschauen?

Habitat, dem Kindergarten, sehr beliebt.

lich wegen dem Fernsehen. Eigentlich ist das furchtbar trau-

K.: Was die Lawinen betrifft, so bringen 30 Jahre Erfahrung am Berg doch einiges an Wissen mit sich. Mich fasziniert das Wegkommen, das Distanz-Bekommen von der Ebene unten, das Abheben, das Freiwerden …

rig, man länger nachdenkt,eines und man K.: wenn Jedenfalls merke drüber ich in München ganzkönnte deutrichtig melancholisch beim Gedanken an Schriftlich: Die Aussicht ist werden ein ständiges Thema, meine StustellerInnen, die Bücher über Fallfehler schreiben, aber ein bei denten reden dauernd von der Aussicht. Das muss welchen Gedanken könnte man das schon nicht. Immerhin starkes Bedürfnis der Münchner sein. Ich weiß nicht, schreiben sie in der Zeit keine Bücher darüber, warum Frauwo das herkommt: Aussicht, Aussicht, Aussicht! en zu viel telefonieren und Männer so gut autofahren können. Das sieht Gute an Fällen ist,nur dassvon die der Satzteile P.: Dort man die hingegen Berge eben Fernealle ... einen haben, zum Beispiel die Genitiv-Objekte. Apropos:

Wir erreichen die Hungerburg, verlassen die Standseilbahn, gehen eine Rampe hinauf zum Ausgang und dann weiter vor zur Betonbrüstung der Aussichtsplattform.

K.: Die sind ja wahnsinnig weit weg, nur ein bei Begriff Föhn sind Die besten Objekte sind die Quell-Objekte, aus der Psychoanalyse sie dann wirklich und da. ein guter Name für eine Biermarke und schon ist man bei fröhlicheren Gedanken als Büchern

war ja ursprünglich kein Thema. Das hat sich erst mit dem Tourismus geändert.

K.: Eine Bilbao-Station; zwei Dächer, eines überdeckt die Bahn, eines den Aufgang …

über lässliche derBaumgrenze Grammatik. P.: Das BauenSünden über der

K.: Das sehe ich auch so. Bei uns in Vorarlberg sind die ältesten Gebäude die Zollhäuschen. Das Vieh ist natürlich über der Baumgrenze gewesen, aber da hat es damals nur ganz mickrige Unterstände gegeben. Die großen Almhütten sind erst später entstanden und sie liegen meistens unter 2000 Meter.

P.: Jetzt kommen wir zur Gegenthese des Franz Baumann … (Anm.: Wenige Schritte oberhalb der ebenLöwenhauss von Hadid errichteten Hungerburg-Station befindet sich die Talstation der Nordkettenbahn, die der Tiroler Architekt Franz Baumann in den Jahren 1927/28 erbaute und in die K. und P. nun einsteigen.) K.: Wobei einige Architekten auch damals schon O orga, das: Formen Interessantes Faktum: haben. ObwohlDer die Baumann meisten inneren nische aufgegriffen nicht Organe wie Hirn, oderWelzenbacher. Blut selbst gar nicht schmerzunbedingt, aber Darm der Lois

Die Bahn bremst und wir fahren in die von Zaha Hadid entworfene Haltestelle beim Löwenhaus, das: ein, Man die sich soll, da Hans Castorp völlig recht, aus seinem Herzen keine einhat Geschoss über der Innpromenade befindet.

empfindlich sind, liegt es doch fast immer an irgendwel-

Löwengrube machen, darum räumen wir im Löwenhaus um

dem sind natürlich auch Organe ein sehr hinkender Ver-

P.: Da, Das willen teuerste Flugdach aller Zeiten ein … der Güteschau! und Liebe dem Tod keine Herrschaft

K.: Ja, im und diese Architekur wird jetzt auch immer exogleich Vergleich zu fast allem anderen.

Wo kommen denn die über unsere Gedanken.

tischer. Früher waren es Almhütten, dann irgendwelche Hüllen aus Wellblech und jetzt wird alles technoider, mit Stahl und Glas und allem Möglichen.

K.: Aus China! 58 / 59

Gläser her?

P.: Liftstationen stellen auf alle Fälle beimim Thema chen Organen, wenn irgendetwas so richtig ArgenBauliegt und dannder sind Schmerzen stets die logische Folge.dar. Außeren über Baumgrenze ein wichtiges Kapitel


her oben – auf die meisten Gipfel kann man ja einfach hinaufgehen? K.: Wahrscheinlich schon … aber ob sie auf dem Matterhorn waren? P.: Ich weiß nicht wie das beim Matterhorn ist … bei manchen Bergen gehen ja auf der einen Seite die Kühe hinauf, während auf der anderen die Menschen Kopf und Kragen riskieren. K.: Beim Matterhorn ist das nicht der Fall. Kühe habe ich dort noch nie gesehen. P.: Ist es eigentlich ein Urbedürfnis des Menschen, einen Berg zu besteigen und hinunterzuschauen? K.: Jedenfalls merke ich in München eines ganz deutlich: Die Aussicht ist ein ständiges Thema, meine Studenten reden dauernd von der Aussicht. Das muss ein starkes Bedürfnis der Münchner sein. Ich weiß nicht, wo das herkommt: Aussicht, Aussicht, Aussicht! P.: Dort sieht man die Berge eben nur von der Ferne ... K.: Die sind ja wahnsinnig weit weg, nur bei Föhn sind sie dann wirklich da. P.: Das Bauen über der Baumgrenze war ja ursprünglich kein Thema. Das hat sich erst mit dem Tourismus geändert. K.: Das sehe ich auch so. Bei uns in Vorarlberg sind die ältesten Gebäude die Zollhäuschen. Das Vieh ist natürlich über der Baumgrenze gewesen, aber da hat es damals nur ganz mickrige Unterstände gegeben. Die großen Almhütten sind erst später entstanden und sie liegen meistens unter 2000 Meter. Die Bahn bremst und wir fahren in die von Zaha Hadid entworfene Haltestelle beim Löwenhaus ein, die sich ein Geschoss über der Innpromenade befindet. P.: Da, schau! Das teuerste Flugdach aller Zeiten … Wo kommen denn die Gläser her? K.: Aus China!

Es geht weiter über die Brücke und hinein in den Tunnel, der steil nach oben zieht. Schon nach kurzer Zeit tauchen wir wieder aus dem Untergrund auf und halten 50 Meter weiter oben in luftiger Höhe in der Station Alpenzoo. P.: Du gehst ja selbst viel auf die Berge, warum eigentlich? K.: Ich gehe hauptsächlich im Winter, da ich ein leidenschaftlicher Schifahrer, oder besser: Schitourengeher bin. P.: Kennst du dich mit Lawinen aus? Und was fasziniert dich am Bergsteigen? K.: Was die Lawinen betrifft, so bringen 30 Jahre Erfahrung am Berg doch einiges an Wissen mit sich. Mich fasziniert das Wegkommen, das Distanz-Bekommen von der Ebene unten, das Abheben, das Freiwerden … Wir erreichen die Hungerburg, verlassen die Standseilbahn, gehen eine Rampe hinauf zum Ausgang und dann weiter vor zur Betonbrüstung der Aussichtsplattform. K.: Eine Bilbao-Station; zwei Dächer, eines überdeckt die Bahn, eines den Aufgang … P.: Jetzt kommen wir zur Gegenthese des Franz Baumann … (Anm.: Wenige Schritte oberhalb der ebenfalls von Hadid errichteten Hungerburg-Station befindet sich die Talstation der Nordkettenbahn, die der Tiroler Architekt Franz Baumann in den Jahren 1927/28 erbaute und in die K. und P. nun einsteigen.) K.: Wobei einige Architekten auch damals schon organische Formen aufgegriffen haben. Der Baumann nicht unbedingt, aber der Lois Welzenbacher. P.: Liftstationen stellen auf alle Fälle beim Thema Bauen über der Baumgrenze ein wichtiges Kapitel dar. K.: Ja, und diese Architekur wird jetzt auch immer exotischer. Früher waren es Almhütten, dann irgendwelche Hüllen aus Wellblech und jetzt wird alles technoider, mit Stahl und Glas und allem Möglichen.


P.: Es gibt doch auch eine schwache Tendenz zur schlichten, sachlichen Maschine mit einer einfachen, zweckdienlichen Verkleidung.

K.: Ich glaube schon. Heute gibt es natürlich mehr , das:die Darüber zu schimpkonkurrenzierende Projekte, aber Seegrubenbahn fen, dass alle jetzt alles wieder nur mehr „Projekt“ nennen, was früher würde auch gebaut werden. Freizeit oder Arbeit war, gehört unter unsereins zum guten

K.: Die finde ich tadellos!

Ton,Wäre denken nur aktuellen an die entsprechenden Songs der InP.: dasSie beim Stand des Naturschutzes dierockbands Britta bzw. Tocotronic. Naja, es bedarf halt denkbar?

P.: Hast du schon einmal eine Liftstation gebaut?

jede Gemeinschaft irgendwelcher Gemeinsamkeiten, und

K.: Das wenn es wäre nur Gemeinplätze nur eine Frage sind, der aber Dichte wennsolcher Ihnen das Bauten. nicht K.: Wir haben einen Gondelbahnhof gebaut. Das war auf ca. 1200 m Seehöhe, also unter der Baumgrenze. Es existierte bereits eine Liftstation und wir haben daneben ein einfaches Gebäude mit Flachdach errichtet, mit einem umlaufenden Oberlichtband, sodass das Dach zu schweben schien.

Es gibtdann passt, außer machen in Tirol Sie auch es doch in zu Vorarlberg Ihrem Projekt, Diskussiodiesen Umstand zu Erschließung ändern. nen um die

der alpinen Gebiete. Und die Vorarlberger sind wahrscheinlich noch restriktiver als die Tiroler. Wir kommen auf der Seegrube an und gehen ins Restaurant.

, die: Ein P.: Dort werden die Gondeln in der Nacht geparkt? Schibboleth: „Wer saufen kann, kann auch ausschlafen“

K.: Das fastjemand so wielacht, ein landwirtschaftliches Gesagen undistwenn sofort das Weite suchen. bäude, in dem der Traktor steht. Außerdem haben wir eine Talstation gebaut, die Sonnenkopfbahn vor dem ArlbergTunnel. Und aktuell habe ich den Auftrag, im Kleinwalsertal eine Bergstation zu bauen, knapp über der Baumgrenze. Wir versuchen, den Bau in die Topodie:integrieren. TopographieDas ist auch so etwas. Niemand weiß graphie , zu ist ein ganz spezieller Ort da oben,genau, und eswas ist das wichtig, nicht einfach ein Pfauenrad so ganz in welchen Zusammenhängen bezu schlagen, sondern versuchen, die neue Architekdeutet, aber alle außer zu MathematikerInnen haben irgendwelche undurchschaubaren mathematischen Gleichungen tur möglichst in die Landschaft einzubetten. Ich habe im Kopf, als Graphen dargestellt die schönsten erst einedie grobe Idee skizziert. Bis jedoch zur Realisierung ist Weihnachtssterne Jede fremde Wissenschaft es noch ein weiterergeben. Weg.

K.: Das sind noch die Originalmöbel vom Baumann! P.: Auch die Lampen! K.: Und die breiten Bodenbretter, die sind in der Mitte Hat als Details Verb keinen Artikel, ist immer als Lemma aber verleimt.: Solche erinnern mich an Ernst gut genug für die folgende Geschichte: Nach der TierdoHiesmayr. kumentation kommt ein Testimonial eines Baumarktes und erklärt nirgends Präteritum, dass bei der VerP.: Du in hast ja beimotiviertem ihm gearbeitet. legung eines Laminatbodens die einzelnen Bretter „bereits

K.: Vielewaren“. Facetten seiner architektonischen Sprache verleimt Anhand solcher rätselhafter Details lernt hat erbereits als Tiroler vonKindesalter, hier mitgenommen, vorMenge allem man im frühen dass es eine das Kräftige, Markante. Ich halteund dasSachverhalte nach wie vor niemals ganz verständlicher Dinge da

erscheint so als Gespenst: Ungeheuer komplexe und für

für eine gibt adäquate Position, wenndemütige man hier heroben draußen und eine entsprechend und gleich-

dieDas Allgemeinheit niemals verständliche Dinge, die von P.: heißt, du versuchst dich am Ort zu orientieren, den das jeweiligen ExpertInnen jedoch gemeistert werden wie auf Vorgegebene einzugehen?

baut. Da hat man gültige Haltung.

Bergschuhe an, da ist man anders

unterwegs …

nicht eingerittene Pferde von den wildesten Cowboys und

K.: Letztens war ich an einem Vorentwurf eine Gipschlussendlich Dinge von großer Schönheitfür oder praktifelstation beteiligt.hervorbringen, Eine Bahn fährtwie aufeben einenWeihnachtsBergkamm scher Tauglichkeit hinauf, der die vonDampfmaschine. Teilen des TalesAber gut einzusehen ist. Ich sterne oder bei der Dampfmaschine,die da Entscheidungsträger teilen sich die Meinungen schon wieder. dass habe davon überzeugt, man die Station über den Kamm ein bisschen zurückschiebt, damit sie nicht da oben sitzt wie ein Leuchtfeuer. Das ist eher meine Art, solche Dinge zu lösen … P.: Die Seegrubenbahn wurde ja in den 1920er Jahren von der Stadt Innsbruck gebaut, zeitgleich mit der Patscherkofelbahn, die von der Stadt Schwaz finanziert wurde. Was wäre, wenn jemand heute auf die Idee käme, so eine Bahn von Hall i. T. auf den Bettelwurf zu bauen? Wäre das heute noch möglich? 60 / 61

P.: Und das hast du ja bei der Olpererhütte auch berücksichtigt, indem du alles so massiv gemacht hast. K.: Die Olpererhütte war ja eine Gegenreaktion auf das Schiestlhaus, das zu der Zeit so eine Art ein Fanal in Österreich war: das Haus der Zukunft, das erste Passivhaus der Alpen! Da haben sie Sonnenkollektoren, Lüftungsgeräte und was weiß ich noch alles hinauftransportiert und eine künstlich belüftete Berghütte erzeugt, eine bewohnbare Maschine. Das kann es ja nicht sein! Wenn man in die Berge geht, reduziert man sich ja, man nimmt nur das Notwendigste mit und erwartet sich doch nicht eine hochtechnisierte Umgebung!


P.: Es gibt doch auch eine schwache Tendenz zur schlichten, sachlichen Maschine mit einer einfachen, zweckdienlichen Verkleidung.

K.: Ich glaube schon. Heute gibt es natürlich mehr konkurrenzierende Projekte, aber die Seegrubenbahn würde auch jetzt wieder gebaut werden.

K.: Die finde ich tadellos!

P.: Wäre das beim aktuellen Stand des Naturschutzes denkbar?

P.: Hast du schon einmal eine Liftstation gebaut? K.: Wir haben einen Gondelbahnhof gebaut. Das war auf ca. 1200 m Seehöhe, also unter der Baumgrenze. Es existierte bereits eine Liftstation und wir haben daneben ein einfaches Gebäude mit Flachdach errichtet, mit einem umlaufenden Oberlichtband, sodass das Dach zu schweben schien.

K.: Das wäre nur eine Frage der Dichte solcher Bauten. Es gibt außer in Tirol auch in Vorarlberg Diskussionen um die Erschließung der alpinen Gebiete. Und die Vorarlberger sind wahrscheinlich noch restriktiver als die Tiroler. Wir kommen auf der Seegrube an und gehen ins Restaurant.

P.: Dort werden die Gondeln in der Nacht geparkt? K.: Das sind noch die Originalmöbel vom Baumann! K.: Das ist fast so wie ein landwirtschaftliches Gebäude, in dem der Traktor steht. Außerdem haben wir eine Talstation gebaut, die Sonnenkopfbahn vor dem Arlbergtunnel. Und aktuell habe ich den Auftrag, im Kleinwalsertal eine Bergstation zu bauen, knapp über der Baumgrenze. Wir versuchen, den Bau in die Topographie zu integrieren. Das ist ein ganz spezieller Ort da oben, und es ist wichtig, nicht einfach ein Pfauenrad zu schlagen, sondern zu versuchen, die neue Architektur möglichst in die Landschaft einzubetten. Ich habe erst eine grobe Idee skizziert. Bis zur Realisierung ist es noch ein weiter Weg. P.: Das heißt, du versuchst dich am Ort zu orientieren, auf das Vorgegebene einzugehen? K.: Letztens war ich an einem Vorentwurf für eine Gipfelstation beteiligt. Eine Bahn fährt auf einen Bergkamm hinauf, der von Teilen des Tales gut einzusehen ist. Ich habe die Entscheidungsträger davon überzeugt, dass man die Station über den Kamm ein bisschen zurückschiebt, damit sie nicht da oben sitzt wie ein Leuchtfeuer. Das ist eher meine Art, solche Dinge zu lösen … P.: Die Seegrubenbahn wurde ja in den 1920er Jahren von der Stadt Innsbruck gebaut, zeitgleich mit der Patscherkofelbahn, die von der Stadt Schwaz finanziert wurde. Was wäre, wenn jemand heute auf die Idee käme, so eine Bahn von Hall i. T. auf den Bettelwurf zu bauen? Wäre das heute noch möglich?

P.: Auch die Lampen! K.: Und die breiten Bodenbretter, die sind in der Mitte verleimt. Solche Details erinnern mich immer an Ernst Hiesmayr. P.: Du hast ja bei ihm gearbeitet. K.: Viele Facetten seiner architektonischen Sprache hat er als Tiroler von hier mitgenommen, vor allem das Kräftige, Markante. Ich halte das nach wie vor für eine adäquate Position, wenn man hier heroben baut. Da hat man Bergschuhe an, da ist man anders unterwegs … P.: Und das hast du ja bei der Olpererhütte auch berücksichtigt, indem du alles so massiv gemacht hast. K.: Die Olpererhütte war ja eine Gegenreaktion auf das Schiestlhaus, das zu der Zeit so eine Art ein Fanal in Österreich war: das Haus der Zukunft, das erste Passivhaus der Alpen! Da haben sie Sonnenkollektoren, Lüftungsgeräte und was weiß ich noch alles hinauftransportiert und eine künstlich belüftete Berghütte erzeugt, eine bewohnbare Maschine. Das kann es ja nicht sein! Wenn man in die Berge geht, reduziert man sich ja, man nimmt nur das Notwendigste mit und erwartet sich doch nicht eine hochtechnisierte Umgebung!


P.: Es gab eine ähnliche Haltung in den 1960er Jahren, als man Objekte auf die Berge stellte, die an Raumkapseln erinnerten. K.: Manche Bereiche der Architekturausbildung erziehen die Studenten genau in diesem Geist der 60er Jahre. Da kommen dann futuristische Aluminiumgestelle, heraus, wahnsinnig designt,zeichnen minimalsich space, minimal die: Naseweise Zeitgenossen dadurch aus, living jedes Mal, undwenn wie ein dieGegenstand Schlagworte streng alle genommen heißen; und fälschweil licherweise mit dem Attribut „futuristisch“ belegt wird, darman von Nachhaltigkeit auch schon etwas gehört hat, wird das GanzeZ.noch mit ein jemand paar Solarkollektoren auf hinzuweisen. B. bezeichnet den mit Glas und versehen und auf Eingang irgendeinen … Stahl konstruierten einerGletscher Bankfilialegeflogen als „futurisDas tisch“istund mirdiese vollkommen Besserwisser zuwider! sagen, futuristisch sei mitnichten alles aus Glas und Stahl, sondern Futurismus sei eineDaraus aus Italien stammende avantgardistische P.: spricht die Haltung: Oberhalb Kunstbeweder Baumgung des 20. Jahrhunderts, grenze beginnt das Weltall.die spätestens mit dem Tod ihres Gründers Filippo Tommaso Marinetti 1944 zum ErliegenJa, gekommen sei, für weswegen es völligfängt unzutreffend sei, K.: genau. Und meine Begriffe das Weltall alles aus Glas Stahl zu alsfrüh futuristisch zu bezeichnen. dann doch einund bisschen an. Wenngleich diese Erbsenzähler damit völlig recht haben, ignorieren sie doch den unleugbaren Tatbestand, dass P.: Die Tiroler Bergsteiger haben mit ihren HimalayaUnternehmungen ohne Sauerstoffflaschen auch beim Begriff „Futurismus“ die Alltagsbedeutung ebenstets von beweisen wollen: Freunde, hier ist noch nicht das Weltder kunstgeschichtlich-termininologischen Bedeutung aball! weicht. Es ist diesen Faktenhubern also mit gnädiger Jovialität zu begegnen wie auch jenen Neunmalklugen, die

rialseilbahnen! Eine Wahnsinnsleistung für diese Zeit. Es sind auch viele dabei umgekommen. P.: Das waren die Fitzcarraldos der … Gehen , der:Alpen Beim Betrachten wir auf von Filmaufnahmen die Terrasse? der – Das berühmten Panorama Wutausbrüche muss schon Klaus beeindruckend sein für Engländer! In Innsbruck Kinskys anlässlich dereinen Dreharbeiten von… Fitzcarraldo auf gibt es ein Sushi-Lokal, dasinein Nepalese betreibt. einer Videostream-Plattform Internet erscheint unter Der den als Videos vorgeschlagenen Filmchen ein Auswarähnliche vor kurzem in seinem Heimatdorf, das sozusagen im Angesicht desTalkshow, Annapurna liegt. seinen Erzähschnitt aus einer in der der In Schlagzeuger der lungen hat er „Ton freundlicherweise nicht „richtigen“ Indierockband Steine Scherben“ mit von den Worten „Und Bergen immach Vergleich zu unseren gesprochen, aber seine deswegen ich jetzt hier diesen Tisch mal kaputt“ mit einem denverraten Tisch des AugenHammer haben ihn …Fernsehstudios zu zertrümmern versucht.

K.: Ich kenne das gut, ich war einmal dort. Diese Landschaft hat unwahrscheinliche Dimensionen! , die:Das Die InterIndieessante ist, je weiter du oben bist, desto näher erscheint rockband mit dem albernen Namen „Das Pop“ landete 2002 dir alles, aber eigentlich ist es irrsinnig weit weg. In der einen kleinen Hitdas mit einem Cover des Songs „DreiklangsdiWüste gibt es umgekehrte Phänomen. Du siehst einen Berg und denkst: Da werde ich bestimmt eine mensionen“, der im Original aus dem Jahr 1980 stammt Stunde hinaufgehen! Und dann bist du in zwanzig oder und von der Indierockband Rheingold komponiert und inzehn Minuten oben. terpretiert wurde. Das weiß aber nur eine verschwindende

P.: Was war der höchste Punkt, auf dem überhaupt Minderheit. In Diskussionsforen im Internet wird übrigens warst?

oft geschrieben, eine verschwindende Minderheit würde

darauf hinweisen, dass es eigentlich nicht „sich die Hand K.: Davor haben die Himalaya-Bergsteiger ausgeschaut wie Astronauten. geben“ heißt, sondern „einander die Hand geben“, was

K.: In Nepal, auf ca. 5800 m.

auch stimmt, aber auch hier hat der Alltagsgebrauch der

P.: Das ist ja eine Höhe, wo man leicht höhenkrank was sie sagen dürfe und das obwohl diese Minderheit sich werden kann.

Sprache das Falsche zum Richtigen gemacht. Sich dageP.: Statt Aluminium-Kabinen werden jetzt fertige, leichte Holzteile den Berg geflogen, war das auch auf bei gen nicht zuauf sträuben, heißt Demut so lernen. Aufrecht deiner Olpererhütte. Wie glaubst haben die da auf dem Gipfel der Welt, schleudern wirdu noch einmal unsere der Seegrube gebaut? Haben Herausforderung den Sternen zu!die den Rohstoff auch noch aus der Umgebung entnommen?

K.: Ich glaube teilweise schon. P.: Die werden nur den Zement herauftransportiert haben! K.: Das Holz sicher auch, da hat es bestimmt eine Materialseilbahn gegeben. Kennst du Aiguille du Midi in Chamonix? Diese Wahnsinns-Bergstation auf 3000 m, die ist so richtig auf einem Spitz, auf einem Zacken gebaut, und da fährt eine wirklich beeindruckende Bahn hinauf. Es gibt sogar Filme darüber. Unglaublich! Die haben da in den 20er und 30er Jahren alles hinaufgeschleppt: Beton, Beton, Beton. Und das nur mit Mate62 / 63

mit ihrer Political Correctness der Mehrheit vorschreiben,

sonst immer Toleranz auf die Fahnen schriebe. Es entbehrt

K.: Wir wollten gegenüber vom Annapurna auf eieiner gewissen Komik nicht, dass hier eine vermeintliche nen Sechstausender gehen und oben übernachten. Am Inkonsequenz wird vonUnd Leuten, die selbst Abend ist mirangeprangert schlecht geworden. um zehn Uhr habe ich zu einem Kollegen gesagt: Ich gehe hinunnicht willens oder fähig sind, ein Argument oder einen logiter! Dann bin ich nachts abgestiegen, der Annapurna schenvom Schluss konsequent zu denken es bzw. zu formulieren. war Vollmond angeleuchtet, waren ca. 1200 Höhenmeter bis zur Ortschaft hinunter … Ich wollte Deswegen ist es besser, Romane zu lesen, wie etwa „Bounicht sterben da drüben und die einzige Alternative vard und Pécuchet“ und sich in Bezug auf den Computer war, hinunter zu gehen. zu denken:

P.: Wenn ich so was höre, möchte ich dir vorschlagen: Fahren wir lieber auch wieder hinunter! (M. F.)


P.: Es gab eine ähnliche Haltung in den 1960er Jahren, als man Objekte auf die Berge stellte, die an Raumkapseln erinnerten. K.: Manche Bereiche der Architekturausbildung erziehen die Studenten genau in diesem Geist der 60er Jahre. Da kommen dann futuristische Aluminiumgestelle heraus, wahnsinnig designt, minimal space, minimal living und wie die Schlagworte alle heißen; und weil man von Nachhaltigkeit auch schon etwas gehört hat, wird das Ganze noch mit ein paar Solarkollektoren versehen und auf irgendeinen Gletscher geflogen … Das ist mir vollkommen zuwider! P.: Daraus spricht die Haltung: Oberhalb der Baumgrenze beginnt das Weltall. K.: Ja, genau. Und für meine Begriffe fängt das Weltall dann doch ein bisschen zu früh an. P.: Die Tiroler Bergsteiger haben mit ihren HimalayaUnternehmungen ohne Sauerstoffflaschen auch stets beweisen wollen: Freunde, hier ist noch nicht das Weltall! K.: Davor haben die Himalaya-Bergsteiger ausgeschaut wie Astronauten. P.: Statt Aluminium-Kabinen werden jetzt fertige, leichte Holzteile auf den Berg geflogen, so war das auch bei deiner Olpererhütte. Wie glaubst du haben die da auf der Seegrube gebaut? Haben die den Rohstoff auch noch aus der Umgebung entnommen? K.: Ich glaube teilweise schon. P.: Die werden nur den Zement herauftransportiert haben! K.: Das Holz sicher auch, da hat es bestimmt eine Materialseilbahn gegeben. Kennst du Aiguille du Midi in Chamonix? Diese Wahnsinns-Bergstation auf 3000 m, die ist so richtig auf einem Spitz, auf einem Zacken gebaut, und da fährt eine wirklich beeindruckende Bahn hinauf. Es gibt sogar Filme darüber. Unglaublich! Die haben da in den 20er und 30er Jahren alles hinaufgeschleppt: Beton, Beton, Beton. Und das nur mit Mate-

rialseilbahnen! Eine Wahnsinnsleistung für diese Zeit. Es sind auch viele dabei umgekommen. P.: Das waren die Fitzcarraldos der Alpen … Gehen wir auf die Terrasse? – Das Panorama muss schon beeindruckend sein für einen Engländer! … In Innsbruck gibt es ein Sushi-Lokal, das ein Nepalese betreibt. Der war vor kurzem in seinem Heimatdorf, das sozusagen im Angesicht des Annapurna liegt. In seinen Erzählungen hat er freundlicherweise nicht von „richtigen“ Bergen im Vergleich zu unseren gesprochen, aber seine Augen haben ihn verraten … K.: Ich kenne das gut, ich war einmal dort. Diese Landschaft hat unwahrscheinliche Dimensionen! Das Interessante ist, je weiter du oben bist, desto näher erscheint dir alles, aber eigentlich ist es irrsinnig weit weg. In der Wüste gibt es das umgekehrte Phänomen. Du siehst einen Berg und denkst: Da werde ich bestimmt eine Stunde hinaufgehen! Und dann bist du in zwanzig oder zehn Minuten oben. P.: Was war der höchste Punkt, auf dem überhaupt warst? K.: In Nepal, auf ca. 5800 m. P.: Das ist ja eine Höhe, wo man leicht höhenkrank werden kann. K.: Wir wollten gegenüber vom Annapurna auf einen Sechstausender gehen und oben übernachten. Am Abend ist mir schlecht geworden. Und um zehn Uhr habe ich zu einem Kollegen gesagt: Ich gehe hinunter! Dann bin ich nachts abgestiegen, der Annapurna war vom Vollmond angeleuchtet, es waren ca. 1200 Höhenmeter bis zur Ortschaft hinunter … Ich wollte nicht sterben da drüben und die einzige Alternative war, hinunter zu gehen. P.: Wenn ich so was höre, möchte ich dir vorschlagen: Fahren wir lieber auch wieder hinunter!










Versteckt euch und

ein Klischee, von wegen: Wild und Blick, den ihren, ihren großen, braunen Leuchten, ein Reh wechselt zwischen Lidschlägen Gestalt, verführt Wald zu blinzelnd gewachsenem ausschweifend: Schatten und Sein werden Körper, lebendig werden sie zu ihren Augen, und wie kaum ein Zweifler streichst du ihr übers Gesicht, entdeckst, wie zärtlich du berühren kannst, da Fingerspitzen dein Fühlen

zuinnerst von Stein, Baum, ihr musstet listig werden, bis auf euch sich Tosen findet, unterm Lichtwerk, welches der Mittag durch Blätter zu unzähligen Federn auf den Boden legt, kratzt sie dir in deinen Rücken die Vögel, die sie am Himmel sieht, schreibt von Krächzen, Flug, flüstert in dein

spiegeln, willst du voll ungläubiger Gier dieses Glänzen

Haar dir Laute ein, die dir später dann in Augen sinkend

besitzen, doch kaum spürst du ihre Haut, besinnst du dich

Funken von Erinnerung sind, sie spricht in Worten, die nach

wie schlafend einer andren Zärtlichkeit, streichst ihr über die Wangen, durchs Haar, lässt Verlangen langsam und

dir tasten, so fühlst du, denn

zwischen denen keine Zigarette mehr brennt, denn hier ist

„An dieser Stelle hat die Beschriftung einzusetzen …“ um vom Leben zu berichten, so spricht

Liebe ein körperloses Glühen, das Atem, Aufregung verrät,

sie in schnellem Atem dir Dunkel ein, wie du es siehst, neben

geduldig wachsen, Schneefall sind deine rauen Finger,

gern sich löschen lässt, unscheinbar Vernichtung anvertraut eurer Gegenwart Raum lässt, denn hier ist Liebe Lust, ist das Flügelpaar, das ihr auf dem Weg hierher am Boden liegen saht: ausgebreitete Federn

als Anspielung

noch von einem Rücken-

ihrem Kopf, wo das Moos dir vor halbverschlossenen Augen zu Flimmern zerrinnt, zu Geruch und dem Gefühl, durch sie hindurch dich der Erde hinzugeben, klammerst dich an sie, gräbst Finger in ihre Kleidung und in jedes Stück Haut, das

knochen miteinander verbunden, ist vom säuberlich her-

du erwischst; in fast ohnmächtig rauschender Bewegung

untergenagten Fleisch nur die rötliche Färbung geblieben;

findet ihr zwei zur Gegenwart, dieser aufgebracht durch-

wie seltsam nicht die Flügel, zur Flucht behutsam aufs

einander geratenen Summe lärmender Bac(c)hanalien.

Moos gebreitet, wirken, ihr fragt euch, welchem Tier dieser Vogel zum Opfer fiel, der nur die geröteten Knochen und sämtliche Federn übrig ließ. Derart verwundert betastet ihr

Diese wachen in euch als Echo einer Brandung auf, da Zeit erfreut in Hände klatscht, kann sie doch endlich vergessen und, ungläubig starrend stehengeblieben, Sturm er-

euch, braucht kein Reden mehr, seid bereit zur Flucht, und

zeugend forthasten, in diesem Augenblick, der zwischen

voll verbotener Hitze, die Federn, Kleidung bauschen lässt,

Blinzeln und Jahreszeit pralles Dunkelgrün samt aufbre-

folgt ihr dem heimlichen Raub, dem versteckten Hunger,

chenden Geruchsbalzereien und mehr als nur einen Wes-

euer Leben bis auf die Knochen abzunagen, bis nur mehr der Gedanke an Flügel bleibt, bis nur mehr Federn es sind, die eure beiden nackten Körper dort im Wald verstecken

penkofel in erwartungsvoller Vibration setzend Holz, Fels, Regen dirigiert, Wege lassen sich dadurch finden, bahnen euch Verständnis, und schaut, auch das Rohe, Stoffliche einer Sprache marschiert ungelistet auf: flehend, beinah

können. Die Haut zweier Menschen duckt sich ins Bachrau-

ein Singen am Morgen, noch von Schlaf oder Rausch ge-

schen, drückt sich aufs feuchte Moos, und sucht die Wärme

tränkt, ein Traum vorspielendes Sprechen, geschmeidig,

72 / 73


Karl auf der Mauer

In der Vinschgauer Ortschaft Mals stehen seltsame Wörter an den Wänden. Das kam so: Othmar Prenner notierte von sämtlichen Gemälden eines einheimischen Malers – Karl Plattner (1919–1986), in Südtirol gleichermaßen umstritten wie als Ikone verehrt – lediglich deren Titel und legte sie den Dorfbewohnern vor. Wer sich einen aussuchte, bekam ihn auf seine Hausmauer geschrieben. Ergebnisse dieser künstlerischen Intervention sind auf den Seiten 64 bis 71 zu sehen. Von Andreas Hapkemeyer

Was ist ein Werktitel? Er ist ein Name oder eine Bezeichnung für ein Werk. Die einfachste Form ist zum Beispiel ein Porträt, das „Porträt (von N. N.)“ betitelt ist. Eigentlich kann jeder selbst erkennen, dass es sich um ein Porträt handelt, nur wenige aber wissen, wen denn der Künstler dargestellt hat. „Tote Mutter“ etwa, eines der wichtigen Werke Karl Plattners. Eindeutig ist, dass es sich um eine liegende alte Frau handelt. Theoretisch könnte sie aber auch schlafend dargestellt sein, vielleicht als Anspielung auf den nahenden Tod. Um zu verstehen, dass die Dargestellte also tot und zudem die Mutter des Künstlers ist, bedarf es des Titels. „Rio de Janeiro“ lautet der Titel eines Bildes von Karl Plattner aus dem Jahr 1952: Es zeigt in der unteren Bildhälfte eine horizontale Anordnung rechteckiger geometrischer Formen, die Häuser darstellen. Darüber ein Berg, der durch den Titel als der Zuckerhut identifiziert wird – das Wahrzeichen Rios. Plattners Titel sind im Wesentlichen solcher Art: Sie beschreiben das, was man sieht bzw. sie geben zusätzliche Information, die über das Sichtbare hinausgeht. Abgesehen davon erfüllen Titel eine Ordnungsfunktion: Sind alle Werke eines Künstlers als „Ohne Titel“ bezeichnet, gibt es häufig Zuordnungsprobleme, da dann nur noch die Maße (und bis zu einem gewissen Grad das Entstehungsjahr) einen Anhaltspunkt bei der Identifikation gewähren. Eine andere Situation ist gegeben, wenn es sich bei den Werken – etwa bei einem Künstler wie Max Weiler – um stark abstrahierte Werke handelt. Da erlaubt der Titel überhaupt erst eine Vorstellung von dem, worum es dem Künstler geht. Der Titel soll das Interpretationsverhalten lenken, das der Betrachter dem Werk gegenüber einnimmt.

Ein besonderer Fall tritt im Zusammenhang mit der Fotografie auf. „An dieser Stelle hat die Beschriftung einzusetzen …“, schreibt Walter Benjamin gegen Ende seiner Abhandlung über die Geschichte der Fotografie. Er will damit sagen: Obwohl auf einem Foto alles mehr oder weniger klar ersichtlich ist (und um 1930 auch noch als Beweis dafür dienen konnte, dass sich etwas tatsächlich so zugetragen hat), bedarf es des Titels, der erklärt, wann und wo das Foto aufgenommen wurde und was es darstellt. Eine Veränderung des Titels kann Zusammenhänge verfälschen und manipulierend eingesetzt werden. Roland Barthes schreibt, dass es sich eigentlich bei jedem Foto so verhalte, als würde man mit dem Finger auf ein Objekt zeigen und sagen: „das, das da hat es wirklich gegeben, so hat es sich zugetragen“. Für Mals hat sich der Künstler Othmar Prenner eine ganz spezielle Vorgangsweise ausgedacht. Er geht von einer Liste mit den Werktiteln von Karl Plattner aus, die – wie gesagt – relativ geradlinig sind: (…) 16. DIE NÄHERIN 17. HÄUSER IM VINSCHGAU 18. LANDSCHAFT 19. FRAU MIT KIND UND VASE 20. OCHSEN 21. KONVERSATION 22. KATZE 23. FRAU AUF ROTEM GRUND 24. DRAMATISCHE BEGEGNUNG 25. LANDSCHAFT 26. FRAUENKOPF


behende, befehlshaberisch den Tieren, rau und fordernd gegenüber dem Klimpern der Verliebten, die hohen Tonla-

Abenddämmerns, bewahrst darin dieses Lieben auf, in den zahllosen Unarten von Wasser, die vom Sommer sprechen, Steinbrocken offerieren, um sich dahinter zu verstecken,

gen der Eifersucht: verliebt, anklagend, ein Skandieren, Wü-

Wasser, wie es dämpft, schluckt, an euch beiden aufstürmt,

ten, derbes Lachen, halb verschluckt, ein Kotzen mehr als

berührt, stehst bis zu den Knien im Bach, und als sie bäuch-

Singen, würgend zornig, dankbar außer sich, stinkend, wie

lings auf einem der flachen Ufersteine liegt, greift sie nach vor in den Sand, wie es geschieht, wenn

zwei Bilder

der ganze Körper räudig, zärtlich, jemand der dich tröstet, dir dabei auf die Schulter schlägt, ein Grummeln, Danken,

nicht nur koexistie-

ren, sondern ineinandergeflossen Schriften folgen, die die Schneeschmelze diktiert, an Uferseiten verrät Flirren zwi-

Johlen, Stöhnen, jemand der Prost sagt oder aber: hab ich

schen Ästen die Hitze, der Tag ist laut und dröhnend ein

euch, rückgeworfen, zerbrochen, weinend, auferstanden,

einziges Ja! trieft, trägt euch zwei zu dieser Zeichnung im

hochfliegend, kratzig, krächzend, jaulend, ein Darben, Rei-

Sand, das Festkrallen, Ausstrecken, weil eure Münder Stimmen haben, die das Wasser verlangt. Der Moment lärmt, als

men, Reiben, verführend, verhext, von Sinnlichkeit überge-

würde es Augen fordernd Lichter löschen, ihr hört nichts

schlagen tollkirschendunkel nächsten Morgen prophezei-

mehr, nichts mehr, nur wie ihr laut, lauter schreit an einem

end, ängstlich, drohend, ein Widerstand, und: schmelzend, saftig, fast wie Fleisch, Maische, lebendig, laut, fast wie es zu feuchten Lippen gehört, zu Stimmen, die Abendwärme sind und Eis, ganze Zapfen harter Wörter, die bohren, löchern, stechen, verletzen, verbergen, erfrieren, denn gebrochen, zerteilt, aufgespalten zu Holz geworden grade eben

Ort, wo Fluchten donnernd Gewalt vorführen, Echo bringen, das sich kaum ändert, aber anwächst, rauscht, kein Vogelschrei, nur: eine alles fressende Lärmmasse duldet nichts andres, verlangt Bewegung, da Wellen, ihr Tosen in euch stäubend, Fleisch gewordenes Stürzen, Springen sind, mundoffen kommt Rauschen, kommt eine neue Art von Farbe: unsichtbarer Atem, schäumend auf Grund geraten seid ihr nicht zu hören, und nützt die Möglichkeit, die der Bach euch gibt: schreit so laut ihr könnt, um endlich

eure zwei Stimmen zerhackt aufgesplittert, bereit fürs Feuer

mal richtig lebendig zu sein, um die zuckende, schwelende

widerständig durchgenagelt knisternd ausgelöscht

Hitze anzutreiben, um euch im Inneren eines Kältekreises,

hier oder wenn dann heute oder in der Vergangenheit egal wann, Hauptsache jetzt, da es Taten gibt und Entscheidungen, die versteckt bleiben, niemals nach Außen in den Alltag dringen dürfen, sondern folgenlos begangen Teil eines Vergessens werden, zu welchem ihr Wald sagt oder gar nichts, es gibt unzählige Schattierungen der Farben um euch, Abstufungen, um dort hinzukommen, wo etwa Grün, kurz bevor es dunkelt, zu einer Geheimnislücke werden kann, die jeder für sich selber füllt, dieses beinah schwarz gewordne Gras und kaum ein Unterschied mehr zwischen Gefieder und Nadeln, hinein sprichst du deine Erinnerung, ins verräterische Grün eines 74 / 75

den der Strom entwirft, der über Ufer, Stämme, Steine gleitet, noch zu steigern, eingezwängt in eine Schlucht wollt ihr die Tarnungen aufbrechen, wollt frei sein und nackt, wollt schreien, ihr tut es, seid draußen, denn ihr seid etwas besonderes, seid

schließlich nicht nur Statisten, sondern Mitakteure eines künstlerischen Vorgangs. (R. P.)


27. SITZENDE 28. FRAU MIT MELONE 29. MUTTER MIT KIND 30. ALTES PAAR 31. SCHAFE 32. SCHAUFENSTER 33. BALKON 34. ENGEL 35. ZWEI OCHSEN 36. DIE LIEGENDE 37. VÖGEL Ein Titel wie „Frau auf rotem Grund“ bezeichnet eben tatsächlich das Bild einer Frau vor einem roten Hintergrund. „Häuser in Planeil“ – ein Titel, der sich nicht unter den eben angeführten befindet – zeigt wirklich eine malerische Sicht auf Planeil usw. Wie kann man aus diesem relativ einfachen Verhältnis zwischen Bild und Titel nun ein interessantes Projekt ableiten? Denn um ein solches handelt es sich ohne Zweifel bei Othmar Prenners Plattner-Titel-Projekt in Mals. Prenner kehrt das Verfahren der Namensgebung einfach um: Was passiert, wenn man nur den Titel angibt, ohne das Bild dazu zu zeigen? Welches Bild ordne ich dann einem Titel zu? Prenners Kunstgriff basiert auf der Tatsache, dass Bild und Text auf Grund ihrer natürlichen Eigenschaften unterschiedlich abbilden. Ein Bild zeigt eine Häusergruppe, genau diese und keine andere, ganz unabhängig davon, ob es diese Häusergruppe nun auch in Wirklichkeit gibt und ob sie genauso aussieht oder nicht. Der Titel „Häusergruppe“ hingegen erlaubt die Vorstellung von allen möglichen und denkbaren Häusergruppen – hier oder woanders, heute oder in der Vergangenheit, im Dorf, in einer Stadt oder in einer Metropole. Sprache gibt – sofern sie nicht eindeutige Namen verwendet – nur einen generellen Rahmen, ist allgemein und insofern abstrakt. Othmar Prenners Konzept sieht also die Loslösung der Plattner’schen Titel von ihren Bildern vor. Was passiert? Es fehlt nun der konkrete Bezugspunkt, es fehlt das Bild, das beim Titel eine eindeutige Zuordnung zuließe. Wählt nun jemand den Titel eines Bildes, das er genau kennt, trägt er eine (mehr oder weniger) genaue Vorstellung vom Bild mit sich herum. Hat jemand

einen Titel einfach seines Klangs wegen gewählt, ohne das Werk zu kennen, so entsteht in ihm wahrscheinlich eine Vorstellung, die er möglicherweise dann einmal anhand eines Katalogs vergleicht mit dem Werk Plattners, auf das sich der Titel bezieht: Er mag dann hoch erfreut darüber sein, seine Vorstellung durch das reale Bild zu ersetzen oder dem Plattner’schen Bild zumindest neben seiner eigenen Vorstellung einen Platz zuzuweisen, sodass zwei Bilder koexistieren. Grundsätzlich ist wohl davon auszugehen, dass es Othmar Prenner darum ging, in Mals einen konzeptuellen Vorgang auszulösen. Ausgangspunkt ist dafür das Werk eines Künstlers, den im Vinschgau, vor allem in Mals, jeder kennt und dessen Werk sich großer Anerkennung erfreut. Dieser vertraute Ausgangspunkt ermöglicht es dem Künstler, gemeinsam mit einer beachtlichen Zahl von Mitbewohnern, auf inzwischen weit über einhundert Häusern schwarze Schriften in das Dorfbild einzustreuen. Diese Texte (genauer: Werktitel) erfüllen eine mehrfache Funktion: Sie stellen einerseits einen Bezug zum Werk Plattners her; andererseits eröffnen sie einen Vorstellungsraum, der sich bei jedem Betrachter anders ausnimmt; und schließlich: Die Schriften stellen in ihrer Uniformität des Schriftbildes ein abstraktkonzeptuelles Gestaltungselement dar, welches das Erscheinungsbild des Dorfes verändert. Das Dorf Mals wird zu einem konzeptuellen Kunstwerk. Entscheidend ist aber, dass in dieses Kunstwerk die Bewohner einbezogen sind: nicht nur, indem sie zulassen, dass eine bestimmte Schrift auf ihrem Haus angebracht wird, sondern indem sie sich auf einen komplexen Vorstellungsvorgang einlassen, der an einem ihnen mehr oder weniger bekannten Ausgangspunkt ansetzt, um sie dann aber ins Offene zu tragen. Das wird am Ende ihr Denken nicht unverändert lassen. Sie sind schließlich nicht nur Statisten, sondern Mitakteure eines künstlerischen Vorgangs.


76 / 77


Ernst Trawรถger Originalbeilage Nr. 17

Tusche auf Papier, 28 ร 21 cm, Unikat


Frozen Movie

Aufgetauter Text

Schneehuhnküken, die sichwiram Kopf einwieRotgesichtsmakake, demdas, derwarum Atem gefriert; Eichhörnchen, Es ist ja, und das vergessen jedes Malkratzen; aufs Neue leicht ist es gerade sich irgendwelche Leute der, zuallererst und in erster Linie seltsam und paradox: Da

eine Text wird seiner eigentdie Zigaretten Der Tierpräparator Morass ist Lesebühne ein Meisteranschauen: seines Faches. Der hier Schriftsteller und denken wir uns rauchen: zuerst irgendwelche Wörter in Peter zeitlicher Abfolge aus, achten vielleicht auch noch auf den Klang,

Arzt Daniel Grohn hat ihn besucht.

auf den Flow, auf die Zeit, in der diese durch ihre Abfolge

lich schönsten Eigenschaft, des Stillstands, beraubt und

zu Worten gemachten Wörter hintereinander erklingen, und

hat plötzlich einen Körper, eine Stimme, oder in unserem

dann schreiben wir diese Worte auf Papier, Im Taxidermy, einer jener Szenebars Telgenauer Avivs, gesagt in der

Spannungsfeld Fall jeweils vier.

auf elektromagnetische oder die irgendwelche andejunge KreativmenschenSpeicher und solche, es gerne wären, ren Halbleiter und seltenen Erden, von denen aus wir sie unter präparierten Hirschköpfen Cocktails schlürfen

undPapier zu elektronischer Füßen wippen, auf drucken, und Musik bringenmit sie den damit also an einem sehe ich ersten ein Tierpräparat des Innsbrufesten Ort,zum auf dem sieMal alle zugleich nebeneinander stehen,

ckers Peter Morass. Eigentlich ist es eine Fotografie zum Stillstand, frieren sie sozusagen ein, nur um schlusseines seiner Präparate, vorne auf einem Ausstellungsendlich, und das war ja auch irgendwie der Sinn (und bei katalog, den André, einer der Barbetreiber, vor mich diesem Wort schreit ein Schlaumeier in der letzten Reihe: auf den Tresen gelegt hat. Ein Eisvogel, der knapp über „Derrida!“, worauf wir ihm entgegnen: „Träfen dich in der Wasserfläche schwebend, einen Fisch imwir Schnabel einer würden wir sagen: Fehleinhält, Diskussionsrunde, den er kurz zuvor erbeutet haben‚Fatale muss. „Just schätzung mit dem Logozentrismus, wir entziehen incredible“, sagt André, der aus einerdenn ungarischen Präparatorenfamilie stammt und die Ausstellung während uns dem alten Poststrukturalismus‘, doch auf der Bühne einer Europareise gesehen hat. „Like a frozen movie.“ und im Quart-Heft sagen wir ohne Firlefanz: ‚Es geht hier Den Katalog hat er mir gezeigt, nachdem er erfahren nicht um Kunst, du Rotgesichtsmakake, es geht uns um die hat, dass ich aus München komme, „That’s not far Performanz.‘“) der ganzen Veranstaltung, auf einer Bühne from Innsbruck, is it?“ vor irgendwelchen Leuten diese zum Stillstand gebrachAls Taxidermie, griechisch für „Anordnung der Haut“, ten wieder zu lebendigen Worten zu machen, den wirdWorte die Wissenschaft der Tierpräparation vornehmgefrorenen Text wieder zum Leben zu erwecken, auftauen lich im angelsächsischen Sprachraum bezeichnet. Man mit einer Stimme. Dieser Vorgang wirderklärt ergänztmir mit Peter einer könne auch Dermoplastiker sagen, Morass, als ich denZufall Tierpräparator einige Monate ordentlichen Portion (so hängt bei uns seit Jahrenspäein ter am Bergisel in seiner Heimatstadt Innsbruck trefFoto vom Thomas Bernhard auf der Bühne, ohne dass noch fe. Obwohl ein starker Wind pfeift, hat sich zur Neuirgendwer weiß, warum das da hängt) und Publikumsreakeröffnung des Tirol-Panorama-Museums eine lange tion und Tagesverfassung, die aus dem stillstehenden PaSchlange von Besuchern gebildet. Morass hat für die piertext ein Kunstwerk macht, das nur an diesem Abend für Ausstellung zahlreiche Präparate von Tieren des Tiroeine Abfolge von Momenten in seinem natürlichen Habitat, ler Alpenraums angefertigt. einer Bar eben, beobachtet werden kann. Eine Lesebühne lässt sich also Die Tierpräparation

lässt sich als ein auf mehreren Ebenen paradoxer Vorgang beschreiben, derUnd sichvielim beschreiben. 78 / 79

von Leben und Tod, Natur und Kunst, Natürlichkeit und Künstlichkeit bewegt, und der wie Dieses auch nicht unbedingt kaum Grundparadoxon ein anderer daswird Grundparadoxon jedesdadurch abbildenden, naturalistischen Realismus veranschaulicht, aufgelöst, dass eine Lesebühne linke Seiten beschreibt und welches sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, dass wir ein besonders gelungenes Präparat eines toten Tieres so ergibt hier nicht alles sofort Sinn, zumindest nicht nur als „lebendig“ oder „natürlich“ bezeichnen. „Aus Naturgeschöpfen“, einen. Denn wie gesagt (sic!),schreibt auch wirThomas sind nichtBernhard nur einer, im Roman Korrektur, in welchem sich der Erzähler wir sind beim Tierpräparator Höller einquartiert, „machte der Q ett und was dieser Höller Kunstgeschöpfe Kunstgeschöpfe Text dabei irgendwie seinund will,diese ist eine Art Spielregel,sind ein in jedem Fall rätselhafter alsStimmen, die reinen NaturgeschöpSchlüssel zu sein zu den vier denen Sie hier auf fe.“ linken Für Bernhard handelt es sich Text dabei den Seiten begegnen, dieser istum alsonichts weniger als eine Abbildung des künstlerischen Schaffensprozesses an an sich. sich, doch wenn Sie die Regeln unseres Der Bär, den Peter Morass für die Ausstellung im neu eröffneten Museum präpariert hat, sitzt auf dem Hinterteil, hat dabei ein Bein locker von sich gestreckt, wirkt auf eigenartige Weise entspannt. Morass hört das Spiels wissen wollen, dann ziehen Sie jetzt mal brav über oft, dass seine Präparate entspannt aussehen würden. Woher kommt dieser Eindruck, frage ich ihn, sind das menschliche Eigenschaften, mit denen er seine Präparate versieht, ist das eine anthropomorphische Entspanntheit, die da zu uns spricht? Morass schüttelt Los und 20.000.– ein und lesen Sie auf der nächsten Seite den Kopf, jegliche Vermenschlichung des Tiers beim Präparieren lehnt er ab, meistens jedenfalls. Die Entspanntheit, sagt Morass, entstehe aus der Genauigkeit bei der Beobachtung des Tieres. Der Gesichtsausdruck sei dabei das Allerschwierigste, hier lauerten die Fallen weiter. der Vermenschlichung in besonderer Weise.


Frozen Movie

Schneehuhnküken, die sich am Kopf kratzen; ein Rotgesichtsmakake, dem der Atem gefriert; Eichhörnchen, die Zigaretten rauchen: Der Tierpräparator Peter Morass ist ein Meister seines Faches. Der Schriftsteller und Arzt Daniel Grohn hat ihn besucht.

Im Taxidermy, einer jener Szenebars Tel Avivs, in der junge Kreativmenschen und solche, die es gerne wären, unter präparierten Hirschköpfen Cocktails schlürfen und zu elektronischer Musik mit den Füßen wippen, sehe ich zum ersten Mal ein Tierpräparat des Innsbruckers Peter Morass. Eigentlich ist es eine Fotografie eines seiner Präparate, vorne auf einem Ausstellungskatalog, den André, einer der Barbetreiber, vor mich auf den Tresen gelegt hat. Ein Eisvogel, der knapp über der Wasserfläche schwebend, einen Fisch im Schnabel hält, den er kurz zuvor erbeutet haben muss. „Just incredible“, sagt André, der aus einer ungarischen Präparatorenfamilie stammt und die Ausstellung während einer Europareise gesehen hat. „Like a frozen movie.“ Den Katalog hat er mir gezeigt, nachdem er erfahren hat, dass ich aus München komme, „That’s not far from Innsbruck, is it?“ Als Taxidermie, griechisch für „Anordnung der Haut“, wird die Wissenschaft der Tierpräparation vornehmlich im angelsächsischen Sprachraum bezeichnet. Man könne auch Dermoplastiker sagen, erklärt mir Peter Morass, als ich den Tierpräparator einige Monate später am Bergisel in seiner Heimatstadt Innsbruck treffe. Obwohl ein starker Wind pfeift, hat sich zur Neueröffnung des Tirol-Panorama-Museums eine lange Schlange von Besuchern gebildet. Morass hat für die Ausstellung zahlreiche Präparate von Tieren des Tiroler Alpenraums angefertigt. Die Tierpräparation lässt sich als ein auf mehreren Ebenen paradoxer Vorgang beschreiben, der sich im

Spannungsfeld von Leben und Tod, Natur und Kunst, Natürlichkeit und Künstlichkeit bewegt, und der wie kaum ein anderer das Grundparadoxon jedes abbildenden, naturalistischen Realismus veranschaulicht, welches sich nicht zuletzt darin widerspiegelt, dass wir ein besonders gelungenes Präparat eines toten Tieres als „lebendig“ oder „natürlich“ bezeichnen. „Aus Naturgeschöpfen“, schreibt Thomas Bernhard im Roman Korrektur, in welchem sich der Erzähler beim Tierpräparator Höller einquartiert, „machte der Höller Kunstgeschöpfe und diese Kunstgeschöpfe sind in jedem Fall rätselhafter als die reinen Naturgeschöpfe.“ Für Bernhard handelt es sich dabei um nichts weniger als eine Abbildung des künstlerischen Schaffensprozesses an sich. Der Bär, den Peter Morass für die Ausstellung im neu eröffneten Museum präpariert hat, sitzt auf dem Hinterteil, hat dabei ein Bein locker von sich gestreckt, wirkt auf eigenartige Weise entspannt. Morass hört das oft, dass seine Präparate entspannt aussehen würden. Woher kommt dieser Eindruck, frage ich ihn, sind das menschliche Eigenschaften, mit denen er seine Präparate versieht, ist das eine anthropomorphische Entspanntheit, die da zu uns spricht? Morass schüttelt den Kopf, jegliche Vermenschlichung des Tiers beim Präparieren lehnt er ab, meistens jedenfalls. Die Entspanntheit, sagt Morass, entstehe aus der Genauigkeit bei der Beobachtung des Tieres. Der Gesichtsausdruck sei dabei das Allerschwierigste, hier lauerten die Fallen der Vermenschlichung in besonderer Weise.


Morass’ Präparate Was für einen

mögen entspannt wirken, ihr Präparator selbst ist ein Getriebener. Ein Fanatiker sei er, es macht, wie und das meine er im positiven Sinn. In den vergangenendie acht Monaten bis zur Eröffnung des neuen Musees schöne Lehnübersetzung aus dem Englischen sagt, ums hat einStimmen, Besessener hatzukein wenn vierMorass (sind eswie vier?) diegearbeitet, sich nie klar erfreies Wochenende gehabt, ist oftmals nach der Arbeit kennen geben (wer spricht denn da schon?), sich von Wort amWort Präparat abends noch auf Seite den Berg, in melden, die Natur zu hangelnd auf der linken zu Wort ist gegangen, denn das sei bei der Präparation nun das vielleicht schon einmal die falsche Frage. Also bittemal zurück Wichtigste: Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, Tierauf Start und dort mal nachgefragt bei Roman Jakobson, beobachtung, im Laufe unseres Gesprächs wird er das der ist immerhin Linguist, auch dafür braucht man eine dioftmals wiederholen, das Morass’sche Mantra. cke Haut: „Die poetische Funktion überträgt das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der

Peter Morass wurde 1955 in Innsbruck geboren, hier Kombination.“ Ja vielen Dank auch der Herr und alles klar hat ihn sein Großvater mit in den Wald genommen, damit, wir selektieren, kombinieren, kommentieren, assozum Pilze sammeln und zur Tierbeobachtung. Seitdem ziieren, nehmen einen großen Schluck, treten vors Mikroer als junges Kind einen präparierten Vogel zum Gephon und freuen uns, dass die Signifikanten krachen. burtstag geschenkt bekam, wuchs in ihm die Faszination für diesen geheimnisvollen Umwandlungsprozess. Das hilft Ihnen natürlich an dieser Stelle auch In der örtlichen Bibliothek entdeckte er einnicht Buchweiter, über wenn Sie wissen wollen, was denn hier, bitteschön, das die Präparation von Vögeln und Säugetieren. NachKonzept ist, das ja wohl mal bitte explizit zeigen wird, mittage habe ersich in der Bibliothek verbracht, sich Seite aber das können sie leider nicht aus für Seite einzuprägen versucht, auch wenn es schwierig sei, die Präparation aus Büchern zu erfahren. erlernen.Überhaupt, Früh habe das sei Ihnen auch an dieser Stelle in zu aller Klarheit geer deswegen schon den einmal Kontakt Präparatoren sagt, wenn Sie inin Poesie suchen nach aufgenommen, der Absicht aus erster Hand Infor, sind Sie falsch, da die zu Technik der Dichtung mationen zu Präpariertechniken bekommen, aber darin nichts über etwas sondern darüber, wannliegt, immer er einen Blickzu insagen, eine Präparatorwerkwie etwas gesagtsei wird. Sie eine also Zeitung jetzt erst stattetwas habeüber werfen können, wieWenn zufällig über das fragen, wogegenwärtige Sie die Spielfiguren Projektaufstellen gebreitetmüssen, worden, bleibt die Präparatoren das ein hüteten ihre Geheimnisse, ein der bisschen , denn Assosei das noch immer so. Im Alter von 17 Jahren fertigte ziationsstrang ist schon weitergezogen, wahrscheinlich hat er sein erstes Präparat, einen Grünfinken. Vögel sind eines seiner Spezialgebiete geblieben, erklärt Morass, er einen Pasch gewürfelt oder alle vier Schläge gehabt, der inzwischen auch Ornithologe ist, neben den Katzen denn krit(t)isches Metrum ist Trumpf. Die nächste und seinen persönlichen Lieblingen, den Affen.Lektion Nach dem Abitur studierte er zunächst Humanmedigibt es demzufolge erst in der nächsten Spalte, Sie können zin, nebenher arbeitete er als Krankenpfleger. Eigentgehen, oder er sich’s anschauen. werden, somit den ärztlilich wollte Unfallchirurg 80 / 81

chen Beruf ergreifen, in dem das ärztliche Heilen, der Erfolg der Behandlung, am unmittelbarsten greifbar wird. Man kann sich diesen Mann mit den wachen Augen und seinem „positiven Fanatismus“ gut als Chirurgen vorstellen, aber die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitssystems, das immer stärkere Eindringen finanzieller Überlegungen und Zwänge in die Medizin hinein, wie er es im Krankenhaus miterlebt hat, habe ihn letztendlich abgeschreckt. Stattdessen machte Morass sein Hobby zum Beruf, arbeitete zunächst als Präparator am Anatomischen Institut der Universität, legte währenddessen die Meisterprüfung zum Präparator ab. Vom erworbenen medizinischen und anatomischen Wissen profitiert er dabei bis heute. Wie bei Mit derjeder landläufigen Vorstellung des von„Ausstopfens“ „Text ohne Reihat der Prozess der modernen Tierpräparation nichts ter“ gilt eine weitere Frage dem seltsamen Namen, die aber mehr gemein. Den Schulklassen, die Morass, der aus eischnell beantwortet werden kann, denn ein Pferd ohne Reiner Lehrerfamilie stammt, mit Begeisterung unterrichter immer ein Pferd,meist aber was ist schon ein Reitet,ist erklärt ernoch den Vorgang folgendermaßen: Die Haut des toten Tieres wird zunächst aufgeschnitten ter ohne Pferd? Nur ein Mensch (der zugegebenermaßen und abgezogen, so, als würde man die Kleidung ablesich ein Pferd ausstopfen könnte, wenn er kann). Ist das gen. Anschließend wird die Tierhaut gegerbt und dann also geklärt, kann es wie bei jeder Vorstellung vorbereitet anhand des verbliebenen Fleischkörpers ein Modell des Tierkörpers hergestellt, wofürschreiben inzwischen werden, auf einen Bierdeckel wirvornehmlich ein Konzept: Kunststoffe wie Polyurethan zum Einsatz kommen, für Wir nehmen es uns raus, die unterstrichenen Wörter mal kleinere Präparate wird noch Holzwolle verwendet. aus den rechten Seiten rauszunehmen nach semantischer Auf das Modell wird die Tierhaut wieder aufgebracht Brauchbarkeit, mal eine nachSchaufensterpuppe formalen Konzepten und mal nach – als würde man ankleiden –, bis schließlich die Haut wieder zusammengenäht wird, reiner Willkür, und der Text, der daraus entsteht, sich wie was je nach Größe des Präparats beträchtliche Zeit in eine Haut um seine Innereien stülpt, ist eigentlich viele Anspruch nehmen kann. Texte, mindestens sind es vier, denn 4 gewinnt und auch

Ende Sie dernicht 80eralles Jahre kehrte Peter Morass seiner Heiwenn verstehen, bitte ärgern Sie sich nicht, mat Tirol den Rücken und zog nach Japan. Obgleich auch wir sind nur vier Menschen, die auf der nächsten Seite er das Land zuvor schon mehrfach besucht hatte und unser Vorgehen mal anhand eines Beispiels Bekannte vor Ort ihm versicherten, dass er anschaulich als Tierpräerklären: parator dort gute Berufsaussichten haben würde, seien


Morass’ Präparate mögen entspannt wirken, ihr Präparator selbst ist ein Getriebener. Ein Fanatiker sei er, und das meine er im positiven Sinn. In den vergangenen acht Monaten bis zur Eröffnung des neuen Museums hat Morass wie ein Besessener gearbeitet, hat kein freies Wochenende gehabt, ist oftmals nach der Arbeit am Präparat abends noch auf den Berg, in die Natur gegangen, denn das sei bei der Präparation nun mal das Wichtigste: Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, Tierbeobachtung, im Laufe unseres Gesprächs wird er das oftmals wiederholen, das Morass’sche Mantra. Peter Morass wurde 1955 in Innsbruck geboren, hier hat ihn sein Großvater mit in den Wald genommen, zum Pilze sammeln und zur Tierbeobachtung. Seitdem er als junges Kind einen präparierten Vogel zum Geburtstag geschenkt bekam, wuchs in ihm die Faszination für diesen geheimnisvollen Umwandlungsprozess. In der örtlichen Bibliothek entdeckte er ein Buch über die Präparation von Vögeln und Säugetieren. Nachmittage habe er in der Bibliothek verbracht, sich Seite für Seite einzuprägen versucht, auch wenn es schwierig sei, die Präparation aus Büchern zu erlernen. Früh habe er deswegen auch schon den Kontakt zu Präparatoren aufgenommen, in der Absicht aus erster Hand Informationen zu Präpariertechniken zu bekommen, aber wann immer er einen Blick in eine Präparatorwerkstatt habe werfen können, sei wie zufällig eine Zeitung über das gegenwärtige Projekt gebreitet worden, die Präparatoren hüteten ihre Geheimnisse, ein bisschen sei das noch immer so. Im Alter von 17 Jahren fertigte er sein erstes Präparat, einen Grünfinken. Vögel sind eines seiner Spezialgebiete geblieben, erklärt Morass, der inzwischen auch Ornithologe ist, neben den Katzen und seinen persönlichen Lieblingen, den Affen. Nach dem Abitur studierte er zunächst Humanmedizin, nebenher arbeitete er als Krankenpfleger. Eigentlich wollte er Unfallchirurg werden, somit den ärztli-

chen Beruf ergreifen, in dem das ärztliche Heilen, der Erfolg der Behandlung, am unmittelbarsten greifbar wird. Man kann sich diesen Mann mit den wachen Augen und seinem „positiven Fanatismus“ gut als Chirurgen vorstellen, aber die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitssystems, das immer stärkere Eindringen finanzieller Überlegungen und Zwänge in die Medizin hinein, wie er es im Krankenhaus miterlebt hat, habe ihn letztendlich abgeschreckt. Stattdessen machte Morass sein Hobby zum Beruf, arbeitete zunächst als Präparator am Anatomischen Institut der Universität, legte währenddessen die Meisterprüfung zum Präparator ab. Vom erworbenen medizinischen und anatomischen Wissen profitiert er dabei bis heute. Mit der landläufigen Vorstellung des „Ausstopfens“ hat der Prozess der modernen Tierpräparation nichts mehr gemein. Den Schulklassen, die Morass, der aus einer Lehrerfamilie stammt, mit Begeisterung unterrichtet, erklärt er den Vorgang meist folgendermaßen: Die Haut des toten Tieres wird zunächst aufgeschnitten und abgezogen, so, als würde man die Kleidung ablegen. Anschließend wird die Tierhaut gegerbt und dann anhand des verbliebenen Fleischkörpers ein Modell des Tierkörpers hergestellt, wofür inzwischen vornehmlich Kunststoffe wie Polyurethan zum Einsatz kommen, für kleinere Präparate wird noch Holzwolle verwendet. Auf das Modell wird die Tierhaut wieder aufgebracht – als würde man eine Schaufensterpuppe ankleiden –, bis schließlich die Haut wieder zusammengenäht wird, was je nach Größe des Präparats beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen kann. Ende der 80er Jahre kehrte Peter Morass seiner Heimat Tirol den Rücken und zog nach Japan. Obgleich er das Land zuvor schon mehrfach besucht hatte und Bekannte vor Ort ihm versicherten, dass er als Tierpräparator dort gute Berufsaussichten haben würde, seien


denn wir haben Freude damit, zwischen die ersten Jahreunsre sehrschneehelle schwierig gewesen. In Japan sei

aber benennen es, denn Namen geben bedeutet, auf Grund derwir Konjunkturverschlechterung auchzeigt die

solitären hin undkaum her zuangesehen, weisen, aufModie der BerufQuartettposten des Tierpräparators

Aufträge zurückgegangen seien,die kehrte Peter Morass hin, streichelt, verrät jene Melodie, ich in diesen Augen-

Frosttextbeulen ab Zeile 6 folgenhie rass führt das auf die starke rarchische Traditionen, in der Gesellschaft zurück, uralt in welcher derWortausbrüche Umgang mit schippern im Schlepptau tradierter Blut und toten Tierkörpern traditionell den Oralekstasen hinterher, von Wellenkämmen wieuntersten BühnenSchichten vorbehalten gewesen sei. Nach einigen Jahrändern erkennbar metaphorisch banal an morsches Holz ren gelang an ihmdie dann aber doch der Durchbruch, mit gebunden, Variablen: Stimmband Alkohol diePräparaten von Schneehuhnküken im Morass-Stil, die Nacht-zuvor, doch dafür unter der Zunge den Obulus aller kleinen Vögel allesamt in Bewegung begriffen, umherGeschlechter, zwischen zwei Zungen dipolar ein Dschunlaufend, sich am Kopf kratzend. In Japan, wo traditigel, Steppe, Wüsteneien und schollenweis uns ein Großonell sehr statisch präpariert werde, habe diese Arbeit maul schichten, türmen, was auch immer zwischen Lippen ziemliches Aufsehen erregt, die kaiserliche Gesellschaft passt, denn mit Äxten müssen wir das Eismeer zerschlagen, für Vogelkunde wurde auf ihn aufmerksam, Morass zerdeppern, ja wir steuern gradewegs auf Eisberge zu, das erhielt zahlreiche Aufträge und Anstellungen an verScheinwerferlicht blendet, und um das Publikum zwischenschiedenen Museen. drin Bewegung zu unterhalten, ließe sich beispielsweise fragen, auf Die ist sein Markenzeichen geblieben. Man welchen sagen, Autor gerade wurde, zwar plakativ, aber könnte dass angespielt er durch sie seine Präparate mit manchmal mussEbene man die Schneeflocken flach halten,über imeiner weiteren der Paradoxie anreichert, merhin die Bewegung die Dimension der Zeit, das Koordinatensystem des lebenden Tiers, ins Präparat zurück Performers umfasst mehr bringt, und so den Eindruck des eingefrorenen Films als stilles Poetendasein à la Spitzweg, dessen Zeitgenoserzeugt, derals André aus Tel AvivRettungsanker so fasziniert DAS hat und se Friedrich dramaturgischen EISder jeden Betrachter eines in seinen MEER überschwappen lässt,Morass-Präparats laut Kunsthistorie gegliedert Bann zieht. in zweischichtigem Bildraum, Untertitel: die gescheiterte Statische seien noch niemals seinekeine SacheAhnung geweHoffnung. Dinge Ohne irgendeinen Anhaltspunkt sen, erklärt Morass lachend, ein Satz, der aus dem von Richtungen, die den Himmel zur Ordnung zwingen und Munde eines Tierpräparators paradox klingt. Für die Orientierung schenken, dafür aber genug labyrythmisierBewegung in seinen Präparaten gelte aber erst recht: tes Wissen, um alle Möglichkeiten, die sich als Horizont Tierbeobachtung … Hierfür ist Morass von Japan aus verraten, vom Scheitelpunkt des Nordens zu den neckisch viel gereist, in jeder Stadt, die er besucht habe, hätten Wechsel spielenden West- wie Ostkräften über Venusihn zunächst zwei Fragen interessiert, wo ist der Zoo, kuppen nach Süden hin auszurufen, denn diese Art des wo das naturhistorische Museum? Wegesuchens vielmehr den Momenten, Insgesamt hatähnelt er 16 Jahre in Japan verbracht,wenn aberman mit zwischen Muttermalen, Tätowierungen, Härchen, ausgemanchen Dingen sei er dort nie wirklich gut zurechtbleichten Narben des indirekte Körpers eines geliebten Menschen gekommen. An die Kommunikation habe mit eignem Speichel Linien zieht, Phantasie auf Leiber mit er sich nur sehr schwer gewöhnen können, „an den Zungensäftenzwischen als zärtliches Berühren nennen wirJaes Unterschied einem Tirolermalt, Ja und einem Poesie, nennen wirAls es bei Namen, die nur wir dafür haben, panischen Jein.“ dann um die Jahrtausendwende 82 / 83

nach Tirol zurück. Er sei bei seiner Rückkehr ungeblicken zu hören denke, die durch meinen Mund andauert heuer neugierig gewesen, denn während seiner Zeit und ein Draußen fern der in Japan war er erfährt, von den Entwicklungen der europäischen Präparatorenwelt weitgehend abgeschnitten. Als mit abgestanden und vorgekaut er hörte, dass den kurzKonserveninhalten darauf in Dortmund die EuropaAusgekotztem, verheizter Leerhülmeisterschaft der Tierpräparation ausgerichtet werden senträger-Literatur à la Daniel Kehlmann, Daniel Glattauer würde, reichte er dort 14 seiner Präparate ein. Er sei und ein andrer Daniel würde sich sicherlich auch noch finregelrecht hungrig auf eine Medaille gewesen, sagt Moden, aber warum hat sich Kaser zu Tode gesoffen, warum rass. Tatsächlich wurde jedes einzelne seiner Präparate labert jeder und jedeausgezeichnet, über Infinite Jest, liest mit einer Medaille undaber mitniemand dem schneees, warum kommen aus der Saaltiefe Ausrufe vondem wegen bedeckten Gesicht eines Rotgesichtsmakaken, in der Kälte der Atem wurde Morass im Nancy Jahre Derrida, obwohl schongefriert, längst Mersch, Serres und 2004 Europameister. ihre Gedanken druck- und spuckreif ausformuliert haben? Und zwar etwa so: man muss also ausgehend von diesem

Die menschliche Sehnsucht nach der Überwindung des Körper schreiben, den wir weder haben noch der wir sind: Realismus macht auch vor der Tierpräparation nicht aber dem das Sein ist. – Wunderkammern Wenn ich schreibe, Halt.inIm Anklang anentschrieben die Kunst- und ist fremde Hand und bereits meine schreibende Hand derdiese Spätrenaissance desin Barock mit ihren Kuriositäten entstanden im Viktorianischen Zeitalter zugeglitten / Corpus, S. 22 / denn vertrauen in letzter Konnehmend Präparate vonStimme aus mehreren Tieren zusamsequenz auf die Faktoren und Liveaction, um den mengesetzten Fabelwesen, sodass sogar die ersten nach eignen Texten Äxte, Archen zu verschaffen, je nach Laune, Europa gelangten Felle des in Australien entdeckten aber unbedingt, um einen Gegenpol zu bilden, der sich Schnabeltiers zunächst für das Werk eines geschickten nach vorn drängt, nichtwurden. von irrelevanten gemartert Präparators gehalten Auch inFragen der zeitgenössivielmehr Laut zu Aussage willTierpräparate kurz vorm Auftritt den schen Kunstszene haben malt, kuriose wieder Einzug gehalten erzielen teilweise Rekordsummen, Kopf nach hintenund auf die Sofalehne legen, und das Adrein denspüren, Werken Damien Hirstsimetwa, oder den Arbeiten nalin wie es der Hitze Raum widerspricht und Polly Morgans, die beispielsweise präparierte Küken noch ein Scheit nachlegt, will mich selbst mit dem Vortrag aus einem Sarkophag schlüpfen lässt. überraschen und Raum ergreifen, will präsent sein, ehrPeter Morass zuckt angesichts dieser Entwicklungen lich den Mund entgegen den alltäglichen Inszenierungen mit den Schultern. Wenn jemand damit viel Geld veraufreißen, selbst wenn Er dieselbst Hoffnung dann kein als letztes diene, sei denn das wunderbar. sei aber Prästirbt, hinterlässt dochverfälschen ein Bild undwolle, ein bisschen parator, der die sie Natur Seite wieder klingt es so, als seiauf dasderfürnächsten ihn auch eineschon moralische Frage. ganz anders, Dennoch woraus leuchten der/die aufmerksame kurz daraufLeserIn seine schließt: Augen, als er Wir haben von das den Beispiel eigenenerledigt Ausflügen undin sind diezurück Welt jenseits auf der


die ersten Jahre sehr schwierig gewesen. In Japan sei der Beruf des Tierpräparators kaum angesehen, Morass führt das auf die starke hierarchische Tradition in der Gesellschaft zurück, in welcher der Umgang mit Blut und toten Tierkörpern traditionell den untersten Schichten vorbehalten gewesen sei. Nach einigen Jahren gelang ihm dann aber doch der Durchbruch, mit Präparaten von Schneehuhnküken im Morass-Stil, die kleinen Vögel allesamt in Bewegung begriffen, umherlaufend, sich am Kopf kratzend. In Japan, wo traditionell sehr statisch präpariert werde, habe diese Arbeit ziemliches Aufsehen erregt, die kaiserliche Gesellschaft für Vogelkunde wurde auf ihn aufmerksam, Morass erhielt zahlreiche Aufträge und Anstellungen an verschiedenen Museen. Die Bewegung ist sein Markenzeichen geblieben. Man könnte sagen, dass er durch sie seine Präparate mit einer weiteren Ebene der Paradoxie anreichert, über die Bewegung die Dimension der Zeit, das Koordinatensystem des lebenden Tiers, ins Präparat zurück bringt, und so den Eindruck des eingefrorenen Films erzeugt, der André aus Tel Aviv so fasziniert hat und der jeden Betrachter eines Morass-Präparats in seinen Bann zieht. Statische Dinge seien noch niemals seine Sache gewesen, erklärt Morass lachend, ein Satz, der aus dem Munde eines Tierpräparators paradox klingt. Für die Bewegung in seinen Präparaten gelte aber erst recht: Tierbeobachtung … Hierfür ist Morass von Japan aus viel gereist, in jeder Stadt, die er besucht habe, hätten ihn zunächst zwei Fragen interessiert, wo ist der Zoo, wo das naturhistorische Museum? Insgesamt hat er 16 Jahre in Japan verbracht, aber mit manchen Dingen sei er dort nie wirklich gut zurechtgekommen. An die indirekte Kommunikation habe er sich nur sehr schwer gewöhnen können, „an den Unterschied zwischen einem Tiroler Ja und einem Japanischen Jein.“ Als dann um die Jahrtausendwende

auf Grund der Konjunkturverschlechterung auch die Aufträge zurückgegangen seien, kehrte Peter Morass nach Tirol zurück. Er sei bei seiner Rückkehr ungeheuer neugierig gewesen, denn während seiner Zeit in Japan war er von den Entwicklungen der europäischen Präparatorenwelt weitgehend abgeschnitten. Als er hörte, dass kurz darauf in Dortmund die Europameisterschaft der Tierpräparation ausgerichtet werden würde, reichte er dort 14 seiner Präparate ein. Er sei regelrecht hungrig auf eine Medaille gewesen, sagt Morass. Tatsächlich wurde jedes einzelne seiner Präparate mit einer Medaille ausgezeichnet, und mit dem schneebedeckten Gesicht eines Rotgesichtsmakaken, dem in der Kälte der Atem gefriert, wurde Morass im Jahre 2004 Europameister. Die menschliche Sehnsucht nach der Überwindung des Realismus macht auch vor der Tierpräparation nicht Halt. Im Anklang an die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance und des Barock mit ihren Kuriositäten entstanden im Viktorianischen Zeitalter zunehmend Präparate von aus mehreren Tieren zusammengesetzten Fabelwesen, sodass sogar die ersten nach Europa gelangten Felle des in Australien entdeckten Schnabeltiers zunächst für das Werk eines geschickten Präparators gehalten wurden. Auch in der zeitgenössischen Kunstszene haben kuriose Tierpräparate wieder Einzug gehalten und erzielen teilweise Rekordsummen, in den Werken Damien Hirsts etwa, oder den Arbeiten Polly Morgans, die beispielsweise präparierte Küken aus einem Sarkophag schlüpfen lässt. Peter Morass zuckt angesichts dieser Entwicklungen mit den Schultern. Wenn jemand damit viel Geld verdiene, sei das wunderbar. Er selbst sei aber kein Präparator, der die Natur verfälschen wolle, ein bisschen klingt es so, als sei das für ihn auch eine moralische Frage. Dennoch leuchten kurz darauf seine Augen, als er von den eigenen Ausflügen in die Welt jenseits des


hat S die ja nicht er einmal ein Igelpaar beimLiebes spielregeln, präpariert. Der immer in der Form von David Lynch daweibliche Igel hateines sich Interviews das Stachelkleid ausgezogen herkommen muss.kleinen Darum sei hier einmal ganz klar gesagt: und über einen Kleiderbügel gehängt. Auch Wenn wir nicht in Texten über Gespräche Zügen Präparate einesgerade übergewichtigen Schwans, derinim LieFährten die sich wie durch einen Tunnel über gestuhl auslegen, einen Hamburger verspeist, und eines Bibers, der auf Grund mehrere Texte und derSeiten Klimaerwärmung ziehen, schreiben einewir Sonnenbrille am liebsten trägt, hat Morass angefertigt. Mit Eichhörnchen,. Das über die ist ausnahmsweise mal wirklich wahr, Eichhörnchen ergeZigaretten rauchen, habe er den Naturalismus nicht ben ein verlassen, prächtigessagt Hobby, worüber einer von uns eine seiTrieinmal Morass grinsend, tatsächlich logie verfasst hat, die es zu glokaler Bekanntheit gebracht en Eichhörnchen bekannt, die an Autobahnraststätten hat. Zigarettenstummel einsammelten.

Fragen, es geht Kontinuum aus nicht um die sauber Erhebung trennbaren der Todesursache und unbestimmt und

Aber wir schwiffen ab, zurück zur Erklärung dieses

Am Ende Ausstellungzukommen wir anwenn einem Namen undder Anspielungen entschlüsseln, Sieweidas teren ungewöhnlichen Präparat vorbei, dem eines Biwollen oder müssen. bers, welcher im Autotunnel, der unter dem Museum hindurch führt, überfahren wurde. Ein untypisches Am Ende dieser verschwurbelten Vorstellung unseres SchafMorass-Präparat insofern, als es weder besonders entfens der paradoxen Gesetze des Schreibens und Vorlesens spannt aussieht noch in Bewegung begriffen scheint, durchbrechen einmal die Form probieren als sondern, nunwir ja,noch in erster Linie einenund ziemlich toten kleines explizites noch einmal eine andere Eindruck macht,Beispiel somit gewissermaßen dieganz paradoxen Form dieses Gesetze des literarischen präparatorischen Umwandlungsprozesses überraschend durchbricht. aus: Viele der Tiere, aus denen seine Präparate entstehen, sind solche sogenannten „roadkills“, dazu kommen Tiere, die in Zoos versterben. Eigens für die Präparatie on erlegte Tiere nehme er nicht an, betont Morass und berichtet, dass immer wieder Menschen. an ihn heranträten mit Satz, der Bitte, ihraus Haustier präparieren Und dieser der nur fremdenzuWörtern von der(was aner entschieden ablehnt). Oft werde ihm von denselben Leuten die Frage gestellt, ob er denn keine lebenden deren Seite zusammengeklaut ist, ist vielleicht der wahrste, Tiere möge, was eine absurde Frage sei, denn wer sich als Tierpräparator nicht für Tiere begeistern könne, solle sich einen anderen hätte der auf allen linken SeitenBeruf steht. suchen. Und dasAber bestewas daran ist: er mit einem Hund machen sollen, in den letzten acht Monaten, in denen es für ihn kein freies Wochenende Er stimmt nicht nur für Tiere, sondern auch für den Gegengab? Für einen „positiven Fanatiker“ der Tierpräparation wie Peter Morass bleibt für ein Haustier schlichtweg Zeit. standkeine unseres Geschäfts: für Texte. (M. F. & R. P.)

Metaebene und wieder bei der Für Erklärung unserer des Naturalismus berichtet. eine Ausstellung

Gegenwärtig arbeitet Morass an einm Auftragswerks: für weiterer Ein den Innsbrucker ErklärungsAlpenzoo, und/oder einem Arbeitsansatz Wolpertinger, könnte demGanze bayerischen oftmals gehörndas formalerFabelwesen, angehen. Sodas beträgt zum als Beispiel der Abstand denwird beiden voneiner rechtsTheorie übernommenen ter Hasezwischen dargestellt (und zufolge Wörtern in vorigen Absatz 232 Zeichen, eine zurückgehen Zahl also, bei auf mit Papilloma-Viren infizierte Hasen soll,die der denen mittlere erkrankungsbedingt Ziffer 1 größer isthörnerartige als die Äußeren, Tumoren wäham Kopf wachsen). Der Wolpertinger vondenen Morass ist rend der Abstand zwischen den Worten, aus dieser Absatz ist, ein Potpourri der Tiroler Fauna, zusammengesetzt aus Steinbock, 343 ZeichenReh, beträgt, Wildschwein, also schon wieder Wildkatze, so eine Fuchs, fast-schonLuchs, Gämse, Biber undSolche eine-Schnapszahl. Steinadler. Spiele Nach mit Zahlen einem und Zoobesuch Zeichen sind immer Anlass zu großen Körperteile Weltverschwörungstheorien sollen Kinder die einzelnen den soeben im und Ergebnis ist dann meistens Zooähnlichem gesehenenMumpitz. Tieren Das zuordnen. Das Viech, das da wir vier, und entstehe, sei ziemlich unheimlich,, sagen sagt Morass, die trotzdem gebe es so etwas wie eine innere Logik, , mit diese ganzen Zeichen und die daraus bestehenden Tiere Texte der die einzelnen Körperteile der verschiedenen zusammenhält. zueinander passten und sich gleichzeitig widersprächen. Außerdem diene das Ganze letztendlich ja einem didaktischen Zweck. Wieder klingt essich einnatürlich bisscheneine so, Apropos Zeichen: An dieser Stelle macht als erneute habeMedienreflexion er den Eindruck, ganzsich gut wie rechtfertigen oben die zum zu durch müsden Vortrag wieder aufgetauten Literatur sen, und vielleicht klingt hierSchrifttext. das EthosDenn des Wissenwar ja informationstheoretisch gesehen schon immer und schaftlers durch. Denn das sei der Tierpräparator am auch am Papier digitalLinie, im Sinn von Morass, „aus distinkten EleMuseum ja in erster betont der schon menten zusammengesetzt“, bestehtLandesmuseen sie ja doch aus nichts seit vielen Jahren bei den Tiroler angeanderem als der einer endlichen Anzahl verschiedener stellt ist. Bei wissenschaftlichen Präparation iststets die gleicheram Buchstaben, während die analoge stets ein Arbeit Präparat immer begleitet von Welt analytischen 84 / 85

die Identifizierung vielen Einheiten ist. Die von Welt Nahrungsketten ist eben ein unübersichtlicher genauso wie Haufen das Gedärm überfahrenen Bibers und so um daswie Entnehmen voneines Knochen und Gewebeproben

fürauch ist DNA-Analysen. die Zeit, in der Eswir istdiese dieses Literatur Sammeln überund die Welt Zuordnen dann vortragen. von Belegen, Denn bestünde durch das die Zeit der aus Präparator distinktenvom EleAnatomen menten wiezum Texte, Naturhistoriker könnte Achilleswird, die Schildkröte und nicht ohne nicht Stolz verweist einholen und derMorass fliegende darauf, Pfeil würde eine gefundene bewegungslos Feder zu dem zugehörigen Boden fallen, und bestünde Vogel zuordnen Literaturzu nicht können, aus distinkten und beElementen, hier gar nichtdas lesen, was wir ohne geistert sichkönnten für dieSie Möglichkeit, Verbreitungsge-

biet jenes Vogels mit Hilfe von Computerprogrammen dokumentieren zu können. gar nicht schreiben hätten können und ebendiese könnten Sie auch benutzen, um mit Suchmaschinen die obigen


Naturalismus berichtet. Für eine Ausstellung hat er einmal ein Igelpaar beim Liebesspiel präpariert. Der weibliche Igel hat sich das Stachelkleid ausgezogen und über einen kleinen Kleiderbügel gehängt. Auch Präparate eines übergewichtigen Schwans, der im Liegestuhl einen Hamburger verspeist, und eines Bibers, der auf Grund der Klimaerwärmung eine Sonnenbrille trägt, hat Morass angefertigt. Mit Eichhörnchen, die Zigaretten rauchen, habe er den Naturalismus nicht einmal verlassen, sagt Morass grinsend, tatsächlich seien Eichhörnchen bekannt, die an Autobahnraststätten Zigarettenstummel einsammelten. Gegenwärtig arbeitet Morass an einem Auftragswerk für den Innsbrucker Alpenzoo, einem Wolpertinger, dem bayerischen Fabelwesen, das oftmals als gehörnter Hase dargestellt wird (und einer Theorie zufolge auf mit Papilloma-Viren infizierte Hasen zurückgehen soll, denen erkrankungsbedingt hörnerartige Tumoren am Kopf wachsen). Der Wolpertinger von Morass ist ein Potpourri der Tiroler Fauna, zusammengesetzt aus Steinbock, Reh, Wildschwein, Wildkatze, Fuchs, Luchs, Gämse, Biber und Steinadler. Nach einem Zoobesuch sollen Kinder die einzelnen Körperteile den soeben im Zoo gesehenen Tieren zuordnen. Das Viech, das da entstehe, sei ziemlich unheimlich, sagt Morass, und trotzdem gebe es so etwas wie eine innere Logik, mit der die einzelnen Körperteile der verschiedenen Tiere zueinander passten und sich gleichzeitig widersprächen. Außerdem diene das Ganze letztendlich ja einem didaktischen Zweck. Wieder klingt es ein bisschen so, als habe er den Eindruck, sich rechtfertigen zu müssen, und vielleicht klingt hier das Ethos des Wissenschaftlers durch. Denn das sei der Tierpräparator am Museum ja in erster Linie, betont Morass, der schon seit vielen Jahren bei den Tiroler Landesmuseen angestellt ist. Bei der wissenschaftlichen Präparation ist die Arbeit am Präparat immer begleitet von analytischen

Fragen, es geht um die Erhebung der Todesursache und die Identifizierung von Nahrungsketten genauso wie um das Entnehmen von Knochen und Gewebeproben für DNA-Analysen. Es ist dieses Sammeln und Zuordnen von Belegen, durch das der Präparator vom Anatomen zum Naturhistoriker wird, und nicht ohne Stolz verweist Morass darauf, eine gefundene Feder dem zugehörigen Vogel zuordnen zu können, und begeistert sich für die Möglichkeit, das Verbreitungsgebiet jenes Vogels mit Hilfe von Computerprogrammen dokumentieren zu können. Am Ende der Ausstellung kommen wir an einem weiteren ungewöhnlichen Präparat vorbei, dem eines Bibers, welcher im Autotunnel, der unter dem Museum hindurch führt, überfahren wurde. Ein untypisches Morass-Präparat insofern, als es weder besonders entspannt aussieht noch in Bewegung begriffen scheint, sondern, nun ja, in erster Linie einen ziemlich toten Eindruck macht, somit gewissermaßen die paradoxen Gesetze des präparatorischen Umwandlungsprozesses überraschend durchbricht. Viele der Tiere, aus denen seine Präparate entstehen, sind solche sogenannten „roadkills“, dazu kommen Tiere, die in Zoos versterben. Eigens für die Präparation erlegte Tiere nehme er nicht an, betont Morass und berichtet, dass immer wieder Menschen an ihn heranträten mit der Bitte, ihr Haustier zu präparieren (was er entschieden ablehnt). Oft werde ihm von denselben Leuten die Frage gestellt, ob er denn keine lebenden Tiere möge, was eine absurde Frage sei, denn wer sich als Tierpräparator nicht für Tiere begeistern könne, solle sich einen anderen Beruf suchen. Aber was hätte er mit einem Hund machen sollen, in den letzten acht Monaten, in denen es für ihn kein freies Wochenende gab? Für einen „positiven Fanatiker“ der Tierpräparation wie Peter Morass bleibt für ein Haustier schlichtweg keine Zeit.


Eigenwerbung

Quart Nr. 01–16: Nathan Aebi, Andreas Altmann, Architekten Moser Kleon, Clemens Aufderklamm, Ludovic Balland, Thomas Ballhausen, Susanne Barta, Othmar Barth, Christoph W. Bauer, Ruedi Baur, Wolfgang Sebastian Baur, Gottfried Bechtold, Sven-Eric Bechtolf, Friedrich Biedermann, Johanna Bodenstab, Julia Bornefeld, Kurt Bracharz, Maria E. Brunner, Markus Bstieler, Daniel Buren, Ferdinand Cap, Ernst Caramelle, Michael Cede, Günther Dankl, Hans Danner, Marco Dessi, Georg Diez, Dimitré Dinev, Klaus Doblhammer, Moritz Eggert, Fred Einkemmer, Olafur Eliasson, William Engelen, EOOS, Carsten Fastner, Werner Feiersinger, Friederike Feldmann, Thomas Feuerstein, Ellinor Forster, Katja Fössel, freilich landschaftsarchitektur, Martin Fritz, Daniel Fügenschuh, Marta Fütterer, Heinz Gappmayr, gelitin, Michael Glasmeier, Rolf Glittenberg, Christian Gögger, Peter Gorschlüter, Martin Gostner, Barbara Gräftner, Franz Gratl, Georg Gröller, Walter Grond, Walter Groschup, Sabine Gruber, Gebhard Grübl, Egyd Gstättner, William Guerrieri, Carla Haas, Ernst Haas, Georg Friedrich Haas, Händl Klaus, Marlene Haring, Jens Harzer, Michael Hausenblas, Krista Hauser, Sigrid Hauser, Clementina Hegewisch, Werner Heinrichmöller, Heinz D. Heisl, Dietrich Henschel, Peter Herbert, Wolfgang Hermann, Ralf Herms / Rosebud, Margarethe Heubacher-Sentobe, Klasse Hickmann, Stephan Hilpold, Christoph Hinterhuber, Paulus Hochgatterer, Richard Hoeck, Candida Höfer, Siggi Hofer, Johanna Hofleitner, Robert Holmes, Anton Holzer, Stefanie Holzer, Heidrun Holzfeind, Johann Holzner, Albert Hosp, Johannes Huber, Sebastian Huber, Stephan Huber, Barbara Hundegger, Stefan Hunstein, Helmut Jasbar, Ivona Jelcic, Peter Stephan Jungk, Ulrike Kadi, Fabian Kanz, Bernhard Kathan, Manuela Kerer, Leopold Kessler, Walter Klier, Gerhard Klocker, Margit Knapp, Peter Kogler, Alfred Komarek, Moussa Kone, Andreas Kriwak, Florian Kronbichler, Gustav Kuhn, Martin Kusej, Ulrich Ladurner, Bernhard Lang, Patrizia Leimer, Paul Albert Leitner, Clemens Lindner, Christine Ljubanovic, Ove Lucas, Constantin Luser, Fritz Magistris, Brigitte Mahlknecht, Sepp Mall, Andreas Maier, Urs Mannhart, Dorit Margreiter, Raimund Margreiter, Barbara Matuszczak, Manfred Alois Mayr, Friederike Mayröcker, Milena Meller, Bernhard Mertelseder, Klaus Merz, Thomas Mießgang, Lydia Mischkulnig, Wolfgang Mitterer, Philipp Mosetter, Walter Müller, Paul Nagl, Olga Neuwirth, the NEXTenterprise architects, Walter Niedermayr, Michaela Nolte, NORM, Thomas Nußbaumer, Peter Oberdorfer, Nick Oberthaler, Walter Obholzer, Fritz Ostermayer, Ulrich Ott, Walter Pamminger, Thomas Parth, Pauhof Architekten, Karin Pernegger, Hans Karl Peterlini, Christoph Peters, Robert Pfaller, Andreas Pfeifer, Marion Piffer Damiani, Hans Platzgumer, Jorge Reynoso Pohlenz, Wolfgang Pöschl, Gerald Preinfalk, Martin Prinz, Manuela Prossliner, Irene Prugger, Carl Pruscha, Thomas Radigk, Gottfried Rainer, Bernhard Rathmayr, Helmut Reinalter, Robert Renk, riccione architekten, Alice Riegler, Gerhard Ruiss, Corinne L. Rusch, Katharina Rutschky, Georg Salner, Peter Sandbichler, Benedikt Sauer, Susanne Schaber, Hans Schabus, David Schalko, Lukas Schaller, Peter Scheer, Simon Schennach, Markus Schinwald, Elisabeth Schlebrügge, Eva Schlegel, Nikolaus Schletterer, Fridolin Schley, Birgit Schlieps, Hanno Schlögl, Ferdinand Schmatz, August Schmidhofer, Wendelin Schmidt-Dengler, Olaf A. Schmitt, Gunter Schneider, Roland Schöny, Fred Schreiber, Raoul Schrott, Franz Schuh, W.G.Sebald, Christian Seiler, Walter Seitter, Peter Senoner, Q. S. Serafijn, Martin Sieberer, Christoph Simon, Alessandro Solbiati, Gertrud Spat, spector cut+paste, Götz Spielmann, Clarissa Stadler, Thomas Stangl, Martina Steckholzer, Esther Stocker, Karl Stockreiter, Bernhard Studlar, Sylvia Taraba, Rudolf Taschner, Paul Thuile, Susanne Titz, Ernst Trawöger, Heinz Trenczak, Ilija Trojanow, Thomas Trummer, Wolfgang Tschapeller, Erdem Tunakan, Sandra Unterweger, Roman Urbaner, Katrien van der Eerden, Andrea van der Straeten, Rens Veltman, Joseph von Westphalen, Klaus Wagenbach, Martin Walde, Peter Warum, Peter Waterhouse, Vitus H. Weh, Hans Weigand, Lois Weinberger, Oliver Welter, Wendy & Jim, Gabriele Werner, Joseph v. Westphalen, Günter Richard Wett, Margret Wibmer, Roman Widholm, Martin Widschwendter, Erika Wimmer, Robert Winkel, Heinz Winkler, Franz Winter, Robert Woelfl, Erich Wucherer, Erwin Wurm, Anton Würth, Andrea Zanzotto, Jörg Zielinski, Stefan Zweifel 86 / 87


Wer Quart abonniert, bekommt sicher ein Heft (bevor es vergriffen ist, was vorkommt). Soweit Argument Nummer eins. – Zweitens: Es kommt billiger! Zwei Hefte kosten € 19,– (statt € 26,–). Und drittens gibt es als Abogeschenk ein Buch aus dem Haymon-Programm (siehe Rückseite der eingeklebten Postkarte). Wenn Sie einen neuen Abonnenten werben, gibt’s gleich 2 Geschenke: eines für den neuen Abonnenten und eines für Sie!


Heft 13/09

Heft 12/08

Heft 11/08

Heft 1/03

Heft 10/07

Heft 9/07 Heft 8/06

Heft 7/06

Heft 6/05

Heft 2/03


Heft 15/10

Heft 16/10

Heft 14/09

© Freytag-Berndt u. Artaria, 1231 Wien

Heft 17/11

Heft 3/04

Heft 4/04

Heft 5/05


Horizontales Reisen im vertikalen Gelände Landvermessung No. 4, Sequenz 3 Vom Kellerjoch zum Vomperloch (über Schwaz)

Städtisches Spazieren mit keinem Fremden

Vergessene Gespräche, Nummer 01

Innufer

Tirol-Panorama

(via Wilten)

Alle Wege führen nach Rom. Mindestens drei Wege führen auf den Innsbrucker Bergisel. Hugo Beer kennt sie allefolgen – und Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart noch viele mehr. Vor 15 Jahren die Tiroler Landeshauptstadt schuftete Linien und scheiterte er, die Scheidung unterschiedliche Autoren mitin unterschiedlicher Konditiongekommen, unterschiedlichen (s. Übersichtskarte auf von der

vorhergehenden Doppelseite). Derzeit wir uns aufder einer Geraden, die von Obermauern Osttiroler Virseiner Frau gab ihm den Rest. Aktuell ist befinden Hugo in einer Phase „Neuorientierung“. Seit bald siebenim Jahren. An einem Sonntag Ende März lernte ich diesen nieführt. in Innsbruck Angekommenen kennen. Walter Grond einem Einheimischen. gental nach Garmisch-Partenkirchen In der aktuellen Folge begegnet

Seine Viele

Kindheitserinnerungen anbeginnen Schwaz wie trägt Theo jene, die Peer mit jenem Sinn für die Absurdität des Alltäglichen Hugo Beer in sich trägt, ihn mal quälen, ihm mal ein vor, den ich von seinen legendären mit Otto Grünmüdes Lächeln abringen: Sein Vater, ein Fabriksarbeiter im mandl gestalteten Alpenländischen kenne. Oberländer Zams, gab sich schon baldInterviews nach der Hochzeit Er erzählt mirSeine vomMutter Tippeler, einem Gasthaus in der dem Suff hin. ertrug es tapfer. Des Kindes Schwazer Burggasse, von es dessen düsterem Gewölbe wegen. Tapfer war sie, wenn um das viele Gerede in der und der Schank, wo er als Kind für die Großeltern ofNachbarschaft ging. Tapfer war sie, wenn sie wieder einfenen Wein holte, von der Wandglocke, die er zog, um mal derart tollpatschig gewesen war und die Stiege hinabder Kellnerin zu läuten, und von der jungen Frau, die gefallen war. Als Hugo sechzehn Jahre alt war, nahm sich dann erschien und nach den Wünschen fragte. Nun seine Mutter das Leben. Tabletten und Alkohol. Als wollte war diese Kellnerin eines Sonntags nach langer Nachtsie an ihrem Mann Rache üben, war es ausgerechnet die arbeit in der Kirche eingenickt, und als die Glocke die Flasche Schnaps gewesen, die ihr Mann als eiserne Ration Wandlung einläutete, schreckte sie aus dem Schlaf hoch gut versteckt geglaubt hatte. und rief laut: „I kimm glei!“ In der örtlichen Kirche wollte der Pfarrer keine Messe für

An den Altären der Franziskanerkirche wurden damals eine Selbstmörderin lesen.gelesen, Das warund zu der zubestimder aus gleichzeitig fünf Messen an Zeit, einem rückblickender Sicht kirchliche Würdenträger mten Sonntag passierte es, dass zwei Messenschlimmste gleichzeiVerfehlungen begingen. Damals aber galten Ordensleute tig bei der Wandlung anlangten, und daher seine Großnoch als um sakrosankt, auch wenn da und dort darüber getumutter, der unerwartet doppelten Gnade gerecht schelt wurde,das dass einer der Unantastbaren Schäflein zu werden, Kreuzzeichen schlug und seine betete: „Mein berührte. Jesus Barmherzigkeit hinten und vorne!“ Wir sitzen am in Theos Studio in Steinach am Brenner, eiInn in Blickrichtung Brenner, auch wenn wir nem architektonischen Musterbeispiel für die Moderniden Passdes nurländlichen irgendwo Raums hinter der versierung in markanten den letztenSerles Jahrzehn90 / 91

ten. Mitte der Irgendwann neunzehnhundertsiebziger empmuten können. Mitte der 1990er Jahre habe er die fahl Friedrich Achleitner seinem dasAus Studio Schnauze voll gehabt, erzählt Hugo.Freund, Nach dem der von Heinz Tesar entwerfen zu lassen. Tesars–Idee eines kinderlosen Beziehung mit seiner Jugendliebe immerhin Licht durchfluteten und offenen Raumes mit –verschiewaren sie knappe 20 Jahre zusammen gewesen hoffte er denen Niveaus begeisterte sofort die urbane Architekauf einen Neuanfang in Innsbruck. Bald hatte er eine neue turwelt, weitgefunden wenigerund aberauch die das Steinacher NachbarArbeitsstelle Liebesglück stellte schaft, und ist heute doch ein Initialbau inmitten sich rasch ein. Schon ein Jahr später wagten sie sichvon vor Einfamilienund Reihenhäusern, die inzwischen nach den Standesbeamten. Die Weichen schienen gestellt, doch ganz ähnlichen Prinzipien gebaut werden. wenig später landete er schließlich auf dem Abstellgleis. Der Pianist, Kabarettist, Fotograf, Autor Theo Peer ist Der angelernte Schlossergehilfe, Pistenraupenfahrer, vor ein rüstiger Achtzigjähriger, der eben erst – mit ungeallem aber Lebenskünstler wirkt älter, als er ist. Das Leben brochenem Elan – noch nicht veröffentlichte Alpenlänauf der Straße habe ihn alt gemacht, aber geistig jung gedische Interviews edierte. Mich interessiert der Überhalten. Als einer, der nicht gerne mittels Zusammensein gang ins Etablierte, den jede Innovation erfährt. Ich mit anderen, deren Biografie ähnlich der seinen ist, an sein finde an diesem fragil wirkenden Mann faszinierend, eigenes Schicksal erinnert wird, gelte es, schnell zu lernen wie er sich mit der Hingabe an die Kunst etwas Freund verstehen, wo es in derbewahrt Stadt am hat. Inn Plätze gibt,mir an ches,zubeinahe Jugendliches Er zeigt denen manDünne geduldet wird. Von willkommen kann keiden Band Luft hinter den Bergen,Sein ein Textbuch ne seinem rechten Arm schimmert blass-lila undRede einesein. CDAn mit Alpenländischen Interviews, die er eine Narbe. Der Hund eines Schrebergartenbesitzers habe noch mit seinem 2000 verstorbenen Freund Otto Grünihn gebissen, als der ihn hatte, im Winter von seinem Grundstück mandl aufgenommen aber erst kürzlich arranvertrieb. Erzählung, von Hugo lebhaft, giert hat.Die Die beiden verblüffen wie zurwild Zeitgestikulieihrer porend undFernsehauftritte voll mit Witz dem vorgetrapulären mit surrealem Witz, eine gen, legt ein Talent offen, das zugrunde der Gescheiterte zwarPrinzip längst widerständige Gelassenheit liegt. Das erkannt, aber nie gepflegt hat: Er kann inneOtto halder Alpenländischen Interviews istMenschen bestechend:


Horizontales Reisen im vertikalen Gelände Landvermessung No. 3, Sequenz 4 Vom Kellerjoch zum Vomperloch (über Schwaz)

Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Derzeit befinden wir uns auf einer Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental nach Garmisch-Partenkirchen führt. In der aktuellen Folge begegnet Walter Grond einem Einheimischen.

Seine Kindheitserinnerungen an Schwaz trägt Theo Peer mit jenem Sinn für die Absurdität des Alltäglichen vor, den ich von seinen legendären mit Otto Grünmandl gestalteten Alpenländischen Interviews kenne. Er erzählt mir vom Tippeler, einem Gasthaus in der Schwazer Burggasse, von dessen düsterem Gewölbe und der Schank, wo er als Kind für die Großeltern offenen Wein holte, von der Wandglocke, die er zog, um der Kellnerin zu läuten, und von der jungen Frau, die dann erschien und nach den Wünschen fragte. Nun war diese Kellnerin eines Sonntags nach langer Nachtarbeit in der Kirche eingenickt, und als die Glocke die Wandlung einläutete, schreckte sie aus dem Schlaf hoch und rief laut: „I kimm glei!“ An den Altären der Franziskanerkirche wurden damals gleichzeitig fünf Messen gelesen, und an einem bestimmten Sonntag passierte es, dass zwei Messen gleichzeitig bei der Wandlung anlangten, und daher seine Großmutter, um der unerwartet doppelten Gnade gerecht zu werden, das Kreuzzeichen schlug und betete: „Mein Jesus Barmherzigkeit hinten und vorne!“ Wir sitzen in Theos Studio in Steinach am Brenner, einem architektonischen Musterbeispiel für die Modernisierung des ländlichen Raums in den letzten Jahrzehn-

ten. Mitte der neunzehnhundertsiebziger Jahre empfahl Friedrich Achleitner seinem Freund, das Studio von Heinz Tesar entwerfen zu lassen. Tesars Idee eines Licht durchfluteten und offenen Raumes mit verschiedenen Niveaus begeisterte sofort die urbane Architekturwelt, weit weniger aber die Steinacher Nachbarschaft, und ist heute doch ein Initialbau inmitten von Einfamilien- und Reihenhäusern, die inzwischen nach ganz ähnlichen Prinzipien gebaut werden. Der Pianist, Kabarettist, Fotograf, Autor Theo Peer ist ein rüstiger Achtzigjähriger, der eben erst – mit ungebrochenem Elan – noch nicht veröffentlichte Alpenländische Interviews edierte. Mich interessiert der Übergang ins Etablierte, den jede Innovation erfährt. Ich finde an diesem fragil wirkenden Mann faszinierend, wie er sich mit der Hingabe an die Kunst etwas Freches, beinahe Jugendliches bewahrt hat. Er zeigt mir den Band Dünne Luft hinter den Bergen, ein Textbuch und eine CD mit Alpenländischen Interviews, die er noch mit seinem 2000 verstorbenen Freund Otto Grünmandl aufgenommen hatte, aber erst kürzlich arrangiert hat. Die beiden verblüffen wie zur Zeit ihrer populären Fernsehauftritte mit surrealem Witz, dem eine widerständige Gelassenheit zugrunde liegt. Das Prinzip der Alpenländischen Interviews ist bestechend: Otto


ten machen. weiß Man hört ihm zu. Dabei man Grünmandl nicht, alsgerne wen Theo Peermöchte ihn vorstel-

überwältigt vom schroffen Massiv Mir will – trotzsein, Lateinunterrichts – nicht malder dasNordkette, lateinische

len liebsten und welche Fragen er an diesen stellen, und Theo am weghören. Hugo Beer hat nichts Samtweiches

auf deren verschneiten Felsvorsprüngen sich gerade Wort für „Baum“ spontan einfallen. Wir durchschreiten die

Peer weißErzählrepertoire. nicht, wie Otto Lediglich Grünmandl darauf reagieren in seinem seine persönliche Lewird. Was dabei herauskommt, ist die unvergleichliche bensgeschichte. Die er mir irgendwann mit seiner schönKomik einer Doppelconference aus dem Stegreif. sonoren Stimme erzählen will.

die Sonne spiegelt, ein Bild, das er dramatisch nennt. Europaratsallee in Richtung Landestheatervorplatz, vorbei Und lobt die Schwazer für ihre unaggressive Art, nennt an stoisch auf zahlungswillige Touristen wartenden Fiakerihren Dialekt weich, ans Salzburgerische anklingend, pferden. ihre Mentalität gemütlich und angenehm.

Wir möchten Theos Kindheitsorte aufsuchen. Ein FußHeute – es ist ein Sonntag Ende März, die Sonne hat den marsch von Schwaz ins Vomperloch wird es nicht werFrühling aus dem Winterschlaf geholt – will er mir „seine“ den, Theo Peer war immer schon ein überzeugter BeStadt zeigen. Es ist eine gänzlich andere Stadt als „meine“. wegungsminimalist. Er chauffiert mich mit dem Auto, Keine eingetretenen Pfade sind die und wir betreten. Und dann tragen uns zeitweilig die es, Beine, wir nehmen doch kenne ich die Wege und Gässchen. wieder das Auto. „Im Das

, meint Prinzip eine der persönlichen Spurensuche “ist assoziaHugo einem Lächeln inblitzt der Stimme. Sehen ich tiv. Inmit Theos Erinnerung ein Motiv auf,kann diesem folgen wir ein Stück, dabei hat erBart unseren das Lächeln durch seinen dichten nicht.Bewegungen „Auch wenn ich bisschen neben der Spurund bin“,muss ergänzt und lacht eineein Partitur zugrunde gelegt, sicherdoch aufs ob des Wortwitzes herzhaft. führt uns Flanieren verlegen, da ihmUnser erst Spaziergang der Augenschein die Vergangenheit Vom Vomperloch vom Englischenfreigibt. Garten neben dem „Juwel“,will wieer esnoch vom Exil-Oberländer in Richtung Landestheanie etwas gehörtgenannt haben wird, und erklärt es sich damit, in einem ter. DasLoch „Juwel“ existiere ist dasbekanntlich Palmenhausnichts. der Österreichischen Unsere kleine Bundesgärten, in das Hugo Beer mindestens pro Reise, eine Education sentimental, offenbartdrei dieMal DichoWoche mit Sack und Pack eine Stunde als erfreut tomie aller Modernen – einfällt. es sind Fast keine anderen die er sich an zahllosen Pflanzen, sei existierenden Kirchen, über die diehohe TheoLuftfeuchtigkeit Peer spricht, und er denkt ein guter Saunaersatz. sie auch garJedes nichtMal aus schwitze seinemerpersönlichen so eine StunStadtbild weg, bleibt als Stadtführer durchaus Rede die schlechten, vergangenen Zeiten aus seinem im Körper. Die Reinigung tue ihm gut – und eine gute Vorbeugung präsentativen. Indes eröffnet er eigenwillige Blickwinkel, liest gegen Bronchitis dem Vergangenen sei es außerdem. das Moderne Die Angestellten ab. Und wenn des er auch über das Palmenhauses scheinen Provinzielle manches wettert Malund schon sichauf über ihndas zu korrupte Land empört warten, eine Tasse Kaffee(dessen und einMachthabern kurzer Plauschund sei Proeher Regel alser Seltenheit. Pflanzen kenne er die fiteuren jahrelangVon mitdreihundert seiner Radiosendung Totzenlateinischen Namen. „Das istpublizistisches bei 5.000 Pflanzen eigentlich hacker ein wöchentliches Störfeuer lienicht weißer er.sich Aberdoch ich solle ihm wen zeigen, der dreiferte),viel“, erweist als dessen überzeugendster hundert lateinische Pflanzennamen den charGärtBotschafter. Wäre er kein Tiroler, kennt. erklärtVon er mir nern immüsste Palmenhaus abgesehen. Ich binder es jedenfalls nicht. mant, er von der Schönheit Tiroler Berge 92 / 93

Das Stadtcafé

Die Burggasse Über sein Tiroler Landestheater will Hugo kein schlechtes Wir finden den Tippeler, ein altes Gebäude, das leer Wort kommen lassen. Das eine Mal, als er wegen der nicht steht und vor sich hin verfällt. Das dicke Mauerwerk adäquaten Kleidung nicht eingelassen wurde, hat er schon am Bröckeln, die meisten Fenster eingeschlagen. Die fast vergessen. Die fünf Stufen war er damals bemüht steinernen Fenstersimse, der überdachte Erker, das weltmasmännisch hinaufgestiegen, doch einen knappen Meter vor sive Tor haben wohl Theos Kindheit konserviert, da dem nahen ist die kleine Luke neben dem Eingang, durch war erdie abgewir wiesen Vormit dem zweiten Versuch hatte er sichund bei in den worden. Vorraum der Schank hinein spähen, wirKleiderausgabestelle lesen die verblassenden in neu gotischer der bei denBuchstaben Viaduktbögen eingeSchrift und kleidet Gasthaus war problemlos zur Krippe, hineingekommen. Tippeler und ein Mit verrosMozart wurde er belohnt. tetes Schild Fremdenzimmer. Das den die Säulen an der erinnere VomGebäude Tippelermit steigt Gasse steilVorderseite an bis zum Franihn oft an Griechenland. Da war schon einmal. seiner ziskanerkloster und weiter biserzum Palais derMitFugger, ersten der großenJahrhundert Liebe. Wehmütig streiftübereignet sein Blick das imFrau, neunzehnten Nonnen vom Eingang Landestheaters in die Runde, vorbei am wurde. Weiterdes hinten am Berg befinden sich die Stollen,

die Schwaz Pavillon, denum irgendein 1500 zuArchitekt einer der vermutlich reichstenaus undLangegrößweile entworfen haben musste, über die Hofburg den ten Städte Europas hatten werden lassen, wasund diesem Leopoldsbrunnen Szenetreff Jugend, Städtchen mittenzum in den Bergender noch heutedem seinStadtvorcafé. nehmes

Erscheinungsbild verleiht.

Der Kinderhort Salsa werde dort oft ingetanzt, der Burggasse sagt er. Im war Sommer, einst die wenn Rahdas menfabrik von Theos Onkel. Theo meint, aus dem eheabendliche Sitzen am Leopoldsbrunnen unter der Blutbuche zum Luxus beobachte der er die Kolonnen an jungen maligen Büro wird, das Geräusch Rechenmaschine zu Menschen, die hineinströmen die Kolonnen an Taxis, hören, auf der seine Tante denund ganzen Tag Zahlen tippdie darauf warten, sich er dievon Hineingeströmten genug te. Hinten im Hofdass erzählt den Sägespänen, die hineingeströmt und wieder zu damals bei derhaben Rahmenproduktion

abfielen, und die sind. verwendet wurden. von den Kindern geworden für Kriegsspiele


Grünmandl weiß nicht, als wen Theo Peer ihn vorstellen und welche Fragen er an diesen stellen, und Theo Peer weiß nicht, wie Otto Grünmandl darauf reagieren wird. Was dabei herauskommt, ist die unvergleichliche Komik einer Doppelconference aus dem Stegreif. Wir möchten Theos Kindheitsorte aufsuchen. Ein Fußmarsch von Schwaz ins Vomperloch wird es nicht werden, Theo Peer war immer schon ein überzeugter Bewegungsminimalist. Er chauffiert mich mit dem Auto, dann tragen uns zeitweilig die Beine, und wir nehmen wieder das Auto. Das Prinzip der persönlichen Spurensuche ist assoziativ. In Theos Erinnerung blitzt ein Motiv auf, diesem folgen wir ein Stück, dabei hat er unseren Bewegungen eine Partitur zugrunde gelegt, und muss sich doch aufs Flanieren verlegen, da ihm erst der Augenschein die Vergangenheit freigibt. Vom Vomperloch will er noch nie etwas gehört haben und erklärt es sich damit, in einem Loch existiere bekanntlich nichts. Unsere kleine Reise, eine Education sentimental, offenbart die Dichotomie aller Modernen – es sind keine anderen als die existierenden Kirchen, über die Theo Peer spricht, und er denkt sie auch gar nicht aus seinem persönlichen Stadtbild weg, bleibt als Stadtführer durchaus im Repräsentativen. Indes eröffnet er eigenwillige Blickwinkel, liest dem Vergangenen das Moderne ab. Und wenn er auch über das Provinzielle wettert und sich über das korrupte Land empört (dessen Machthabern und Profiteuren er jahrelang mit seiner Radiosendung Totzenhacker ein wöchentliches publizistisches Störfeuer lieferte), erweist er sich doch als dessen überzeugendster Botschafter. Wäre er kein Tiroler, erklärt er mir charmant, müsste er von der Schönheit der Tiroler Berge

überwältigt sein, vom schroffen Massiv der Nordkette, auf deren verschneiten Felsvorsprüngen sich gerade die Sonne spiegelt, ein Bild, das er dramatisch nennt. Und lobt die Schwazer für ihre unaggressive Art, nennt ihren Dialekt weich, ans Salzburgerische anklingend, ihre Mentalität gemütlich und angenehm. Die Burggasse Wir finden den Tippeler, ein altes Gebäude, das leer steht und vor sich hin verfällt. Das dicke Mauerwerk am Bröckeln, die meisten Fenster eingeschlagen. Die steinernen Fenstersimse, der überdachte Erker, das massive Tor haben wohl Theos Kindheit konserviert, da ist die kleine Luke neben dem Eingang, durch die wir in den Vorraum mit der Schank hinein spähen, und wir lesen die verblassenden Buchstaben in gotischer Schrift Gasthaus zur Krippe, Tippeler und ein verrostetes Schild Fremdenzimmer. Vom Tippeler steigt die Gasse steil an bis zum Franziskanerkloster und weiter bis zum Palais der Fugger, das im neunzehnten Jahrhundert Nonnen übereignet wurde. Weiter hinten am Berg befinden sich die Stollen, die Schwaz um 1500 zu einer der reichsten und größten Städte Europas hatten werden lassen, was diesem Städtchen mitten in den Bergen noch heute sein vornehmes Erscheinungsbild verleiht. Der Kinderhort in der Burggasse war einst die Rahmenfabrik von Theos Onkel. Theo meint, aus dem ehemaligen Büro das Geräusch der Rechenmaschine zu hören, auf der seine Tante den ganzen Tag Zahlen tippte. Hinten im Hof erzählt er von den Sägespänen, die damals bei der Rahmenproduktion abfielen, und die von den Kindern für Kriegsspiele verwendet wurden.


Gleich daneben schließt derdass Garten des GroßelternOft ärgert sich Hugo darüber, die Taxifahrer die Mo-

dern), fügt er dann doch eine kleine Geschichte übersich das schweigt Hugo und teilt mit einigen anderen, zu denen

hauses an,Fahrzeuge die Kunsthandlung Zöhrer wird heute von toren ihrer während der Stehzeit einfach laufen

Malheur seiner Endlichkeit hinzu,Leidensgemeinschaft in dem der Mensch eine lose Freundschaft oder besser:

einer Theoser geführt. Seinegebeten, Großmutter, fällt lassen.Cousine Einmal habe einen Fahrer den Motor ihm ein, sprach des Öfteren von den Gralsritabzustellen. Was damals er entgegnet bekam, hätte er wohl nicht tern auf dem Vomperberg, die immer wieder Devotiozu hören bekommen, würde er einen edlen Smoking genalien bei ihr im Laden kauften. tragen haben. Obwohl allesamt Fremde, habe sie sich wohlwollend „Angewandter Darwinismus“ nennt er das und ich staune über diese Leute geäußert. Mehr weiß er nicht mehr, über seine Wortwahl. „Die, die nicht ganz so weit unten zeigt mir Schwaz auf der Landkarte, wie es südlich des sind, treten nach unten, damit wir ja dort bleiben, wo wir Inns liegt, hingegen nördlich des Flusses das Örtchen sind. Sie tun das aus Angst, irgendwann dort zu landen, wo Vomp mit dem Vomperberg, dann etwas westlich Vomwir schon sind.“ Dabei kenne er unehrlichere Taxifahrer, als perbach, von wo es zum Vomperloch, einem Seitental es die meisten Obdachlosen ins Karwendelgebirge geht.je sein könnten.

sich befindet. Seinam Vespererlebnis in der ergeben hat. Vorbei Stadtturm, in dem derStiftskirche VizebürgerFiecht (östlich von Vomp gelegen) trägt er keinesfalls meister und Sozialreferent wirkt, geht es weiter zur jetzigen schadenfroh vor, vielmehr ähnelt diese Geschichte Fußgängerzone in der Maria-Theresien-Straße – nicht ohne den Figürchen an den Dachrinnen und Vorsprüngen davon zu erzählen, dass ihn einmal ein paar Roma zum der Kirche, die – überaus grotesk und verloren wirEssen eingeladen hätten, die stolz berichteten, dass ihnen kend – letztendlich einen einzigen Zweck verfolgen, eine Frau im in nämlich dasVorübergehen Dasein in einen seinerHundert-Euro-Schein ganzen Unvollkomden Akkordeon-Koffer gelegt habe. Hugo weiß nicht, was menheit zu bejahen. Während er einmal in der Stiftser lieberFiecht, hat: dieso Fußgängerzone oder die alte Maria-Thekirche Theo, dem Vespergesang der Klosterbrüder lauschte, ein Pater ganz vorne im resien-Straße, durchbückte die die sich Straßenbahnlinie 3 fuhr. Gestühl N neugierig zu ihm versank„Früher, dann wieder frage ichherab, ihn, weshalb. als die ins Gebet, um abermals über die Brüstung zu seinem Straßenbahn durchfuhr, gab es keinen Platz zum Sitzen. Zuhörer zu ausreichend spähen. So Platz hin und gerissen, stand Jetzt, wo es gäbe,her darf man nicht nur der Mönch an einer bestimmten Stelle des Gebets mit nicht sitzen, sondern darf nur sitzen, wenn man konsuseinen Mitbrüdern auf, schaute herunter und vergaß miert.“ Also sei es ihm ein Leichtes, keines von beidem dabei, den Klappsessel zu fixieren, weswegen er beim lieber als Niedersetzen das andere zumit haben, sondern nicht zu erneuten einem Plumpsbeides auf dem Hinmögen. Wieder bin ich etwas erstaunt. tern landete.

Die Altstadt Die Kirchen Was früher vom Kontrast Baustil her Gotik war, ist und schon Dieser seltsame schroffer Natur derlängst kräfschnuckeliges tigen Farben des Tiroler Barock.. Flimmern AuWir sind invor der den Hofgasgen, ein byzantinisches Schauspiel (im Übergang zum se am Eingang zur Altstadt angekommen. Im „Ferragosto“, Orientalischen?). Dass zu Menschen aus einer verwenn Italiener scheinbar Abermillionen nachsolch Innsbruck tikalen Landschaft zu Reisenden werden und die Weite anreisen, braucht man vom Torbogen der angrenzenden suchen, verwundert nicht. Theo erzählt von Hofburg bis zum Goldenen Dachl schon malGert eineChesi, halbe dem Fotografen und Journalisten aus Schwaz (der Ewigkeit. Bei Stadtführungen, unter die sich Hugo Beerheugerte im westafrikanischen Togo lebt), der 1995 mit Exne mischt, wird den von der Kleinheit des Goldenen Dachls ponaten seiner Reisen das Haus der Völker, eine ethnoEnttäuschten das Umdrehen nahegelegt: wer beim Anblick grafische Sammlung, begründete. Während einer Fahrt des barockisierten Helblinghauses nicht ins Schwärmen in die Sahara war Chesi einem Beduinen begegnet, der gerät, legt wohl generell mehr Wert auf Charakter denn auf mit einem Stück Rohr der Pipeline, neben der er hockFassade. Als Beweis für die Barockisierung dient den Fremte, phantastische Musik machte (im Studio bearbeitet, denführern ein Stück Fensterrahmen, das im Ursprungszuwäre vom Klang in der Wüste allerdings nichts gebliestand, alsoTheo gotisch, belassen wurde. ben, fügt hinzu). In Altstadt Obsthändler, der ihm Dader Theo Peergebe von es dereinen Ergriffenheit spricht, diemanches ihn an-

Dies könnte eine führt Szeneuns imweiter Kreuzgang der FranziskaUnser Spaziergang via Meraner Straße zum nerkirche sein. Die verblassten Wandzeichnungen, ein Bozner Platz. Er zeigt auf ein Fenster im fünften Stock: „Von Panoptikum mittelalterlicher Spiritualität, verbinden dort hat sich mal eine Freundin, die Verena …“. Er hält kurz die Schilderung alltäglichen Lebens mit der Lektüre inne. „Egal, jeder ist sein eigenes heißes Eisen und seines des Neuen Testaments. Da es sich um einen geschlosGlückes Schmied.“ Hastig ziehtwähnt er michman weiter, diein südliche senen Rundumweg handelt, sich einem Wilhelm-Greil-Straße hinunter. Zwischenstation Landhausvollkommenen Universum, und doch ist es ein Tableau platz. Für Hugo kleiner „ein unglaubliches von Unfällen, und großer Desaster.“. Am stört ihn, dassweist das bisschen Wiese, das hier Vor meisten der Stadtpfarrkirche mich Theo auf den un-

gewöhnlichen hin,eine der Wiese, die Geschichte Stadt war, nicht mehrBau ist. „Wo ein Buschder oder ein

Mal einender Sack mit Äpfeln, Bananen und Orangen zusteckt. gesichts Naturgewalt wie auch der Dramatik von

Schwaz Baum ist,zu sind verstehen auch Leute hilft.wie Das ich. Kupferschindel Und Leute wie gedeckich stö-

Er habe aberund versprechen müssen, das nicht allzu sehr Architektur Musik erfasst (unter der mächtigen

ren das wunderschöne uns neben darf’s einfach nicht te Kirchendach zeugt Stadtbild, davon, dass dem Silber

herumzuposaunen, da sonst ja Stadtpfarrkirche alle kommen würden. Also Kirchenorgel, die wir in der bewun-

geben. Beton ist schöner.“ auch der Abbau von Kupfer

94 / 95

die Stadt reich werden


Gleich daneben schließt der Garten des Großelternhauses an, die Kunsthandlung Zöhrer wird heute von einer Cousine Theos geführt. Seine Großmutter, fällt ihm ein, sprach damals des Öfteren von den Gralsrittern auf dem Vomperberg, die immer wieder Devotionalien bei ihr im Laden kauften. Obwohl allesamt Fremde, habe sie sich wohlwollend über diese Leute geäußert. Mehr weiß er nicht mehr, zeigt mir Schwaz auf der Landkarte, wie es südlich des Inns liegt, hingegen nördlich des Flusses das Örtchen Vomp mit dem Vomperberg, dann etwas westlich Vomperbach, von wo es zum Vomperloch, einem Seitental ins Karwendelgebirge geht. Die Kirchen Dieser seltsame Kontrast schroffer Natur und der kräftigen Farben des Tiroler Barock. Flimmern vor den Augen, ein byzantinisches Schauspiel (im Übergang zum Orientalischen?). Dass Menschen aus einer solch vertikalen Landschaft zu Reisenden werden und die Weite suchen, verwundert nicht. Theo erzählt von Gert Chesi, dem Fotografen und Journalisten aus Schwaz (der heute im westafrikanischen Togo lebt), der 1995 mit Exponaten seiner Reisen das Haus der Völker, eine ethnografische Sammlung, begründete. Während einer Fahrt in die Sahara war Chesi einem Beduinen begegnet, der mit einem Stück Rohr der Pipeline, neben der er hockte, phantastische Musik machte (im Studio bearbeitet, wäre vom Klang in der Wüste allerdings nichts geblieben, fügt Theo hinzu). Da Theo Peer von der Ergriffenheit spricht, die ihn angesichts der Naturgewalt wie auch der Dramatik von Architektur und Musik erfasst (unter der mächtigen Kirchenorgel, die wir in der Stadtpfarrkirche bewun-

dern), fügt er dann doch eine kleine Geschichte über das Malheur seiner Endlichkeit hinzu, in dem der Mensch sich befindet. Sein Vespererlebnis in der Stiftskirche Fiecht (östlich von Vomp gelegen) trägt er keinesfalls schadenfroh vor, vielmehr ähnelt diese Geschichte den Figürchen an den Dachrinnen und Vorsprüngen der Kirche, die – überaus grotesk und verloren wirkend – letztendlich einen einzigen Zweck verfolgen, nämlich das Dasein in seiner ganzen Unvollkommenheit zu bejahen. Während er einmal in der Stiftskirche Fiecht, so Theo, dem Vespergesang der Klosterbrüder lauschte, bückte sich ein Pater ganz vorne im Gestühl neugierig zu ihm herab, versank dann wieder ins Gebet, um abermals über die Brüstung zu seinem Zuhörer zu spähen. So hin und her gerissen, stand der Mönch an einer bestimmten Stelle des Gebets mit seinen Mitbrüdern auf, schaute herunter und vergaß dabei, den Klappsessel zu fixieren, weswegen er beim erneuten Niedersetzen mit einem Plumps auf dem Hintern landete. Dies könnte eine Szene im Kreuzgang der Franziskanerkirche sein. Die verblassten Wandzeichnungen, ein Panoptikum mittelalterlicher Spiritualität, verbinden die Schilderung alltäglichen Lebens mit der Lektüre des Neuen Testaments. Da es sich um einen geschlossenen Rundumweg handelt, wähnt man sich in einem vollkommenen Universum, und doch ist es ein Tableau von Unfällen, kleiner und großer Desaster. Vor der Stadtpfarrkirche weist mich Theo auf den ungewöhnlichen Bau hin, der die Geschichte der Stadt Schwaz zu verstehen hilft. Das Kupferschindel gedeckte Kirchendach zeugt davon, dass neben dem Silber auch der Abbau von Kupfer die Stadt reich werden


ließ,lasse und unseren da die Glocke für den Kirchturm zu mächtig Ich bisherigen Weg Revue passieren: das

wasser-Fabrik, Wachs-habe, und Stearinwaren-Handlung zu men. Als der erfahren dass Hugo Schlossergehilfe

Grün wurde wirklich Verdrängungsurbanisiewar, musste danebenweniger. gar ein zweiter Turm errichtet

Schwaz, mit Prima Chocolade und feinsten Bonbons. war, habe er ihn gebeten, ihm bei Schweißerarbeiten zu Es geht uns prächtig, und angesichts der Holzmeister helfen. Im Gegenzug dürfe er einige Zeit in dem Häuschen Brücke über den Inn entsinnt sich Theo der alten Holzwohnen. brücke, welche die beiden Stadtteile verband, die„A aber nur gegen Bezahlung einerdie Maut benützt werdenmir durfnach einigen Tagen haben ersten Leute wegen die te. Unweit von hier befand sich die Fabrik der Austria Polizei angerufen. Dann habe ich halt wieder abhauen Tabak, die Arbeit bot, aufHand dem müssen. 50 einst Euro vielen hat mirSchwazern der nette Kerl noch in die Gelände wird derzeit eine Shopping gedrückt. Ein halbes Jahr später war er City tot.“ errichtet.

rung. werden. Wir schlendern den nach Platz, vergangenem vorbei an der „Partl-Stiege“, „Hier riecht esüber überall Reichtum!“ wie Beer sie nennt, Skaterinnen und Skater Die Hugo Fugger, Herren der Silberstollen, liehen den queren Habsunseren Weg. Hugos mildem Lächeln entnehme ich, dass

burgern Geld und verhalfen ihnen damit zur Macht. es ihn zufrieden macht, dass die Jugend sich diesen Platz Ungewöhnlich die vier Schiffe der Stadtpfarrkirche. für sich zu nehmen scheint. „Wenn nicht wir, dann zuminAus sozialen Gründen fügte man im ausgehenden Mitdest die“, sagt mir sein Blick. Plötzlich bleibt er stehen. Uns telalter den ursprünglich dreien ein viertes hinzu. Den gegenüber baut sich das Casino auf. Er kenne einige, deren zugewanderten Bergleuten stand nämlich eine eigene Elend mit einem Besuch im Casino begann. „Irgendwann Gerichtsbarkeit zu, und um den sozialen Frieden zu durften sie nicht mehr rein. Dann gingen sie halt in privawahren, wurden den Knappen und Und der Bürgerschaft je te Wettcafés. Hunderennen, Fußball. die Familie war ein Kirchenschiff zugesprochen, befanden sich also in kaputt.“ der Liebherrenkirche von Schwaz zwei Kirchen unter einem Dach. Kapitaler Bock. Zwölfender. Wenn er überlege, fiele ihm bestimmt ein Dutzend Kollegen ein. Das

trifft’s besser als Casino. Marterl in der„ Friedhofsmauer Bis vor wenigen Jahrzehnten sichGrab um die Die haben hier begonnen, sich befand ihr eigenes zu Kirche schauder Friedhof (befindet heute ein Garderobe Park), noch Theos feln. In aller Eleganz, mitsich einem an der gelieheGroßeltern wurden hier begraben. Theo öffnet das Türnen Sakko.“ Vorbei am Casino und dem neuen Landhaus chen eines Marterls in der Friedhofsmauer. streben wir bronzenen weg von Beton und Geld über die HeiliggeistIgnaz Zöhrer, der junge Soldat auf dem Fotomedaillon, straße in jenen Stadtteil, der erst seit 1904 zu Innsbruck war sein Onkel, Vergolder und Kaufmannssohn, der gehört: Wilten. Es gebe wohl keinen Innenhof, aus dem er als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog und als Kriegsnoch nicht verjagt worden ist. „Die haben immer geglaubt, gefangener mit neunzehn Jahren in Sibirien starb, „Für ich wäre auf Einbruchstour. Am helllichten Tag. So ein Gott, Kaiser und Vaterland“, wie zu lesen steht, oder Schmarren.“ „Nicht für, sondern durch das Vaterland“, wie Theo die Formel kommentiert. Einwochen-Job

Manche Innenhöfe Das Café Heiss seien wahre Kleinode. „Die müsste man fotografieren. nichtVomperberg alle. Nur die schönen. Ich wüsste, Für die FahrtAber auf den stärken wir uns im

welche“, ist sich sicher.Café Vor drei zwei Café Heiss. DasHugo heimelige im Jahren ersten habe StockerempWochen in mit einem Gartenhaus in einem Innenhof fängt uns Tradition – 1809 gegründet alsgewohnt. die ersIrgendwie sei erund mit Zuckerwaren-Fabrikation, dem Besitzer ins Gespräch gekomte Konditorei Soda96 / 97

DerPlatz Gralzum am Schlafen Vomperberg Ein

Wir unterquerengeht eine Autobahn, Blick aufDie dasTrauer KlosAuf Begräbnisse Hugo Beer mit nicht gerne. ter rollen wirwäre durch Land, an Bauum Fiecht einen Menschen für zersiedeltes ihn noch erträglich. Aber die märkten, Supermärkten, Tankstellen, Lagerhallen vorTraurigkeit, die Begräbnisse umgeben, mache ihn fertig. bei, den Parzellen mit Einfamilienhäusern, Richtung „Ich habe noch nie um einen Menschen geweint. Aber Dorfzentrum Vomp, folgen zunehmend schicker werwenn ich die Tränen anderer sehe, packt’s mich auch. Ich denden Gebäude, Banken, Hotels, Richtung Gebirge alkann keine Menschen weinen sehen.“ Der von vielen Orten pine Villen, in den Hang hinein gebaute Tiroler SchlössVerdrängte scheint ein Meister des Verdrängens zu sein. Mit chen, hinauf in die Fichtenwälder zum Vomperberg. einigen Schwächen.

Auf dem Hochplateau angekommen (bei prächtigem Schlafplätze gebe es in Innsbruck viele. Es komme nur daSonnenschein, unter uns das Inntal, das die schroffen rauf an, wie sehr man den Reflex, Geräusche aktiv wahrzuBergwände von den sanften Bergrücken der Südalpen nehmen, abschalten kann. Manche könnten direkt neben trennt), staunen wir über die esoterische Idylle. Wir einer Straße schlafen, andere bräuchten zumindest ein bissentdecken mehrere Gehöfte auf den Plateaus zwischen chen Abstand,und sie Wiesen, suchen sich mehr oder weniger den Hängen weiter oben eine kleineverlasSiedsene denen siemachen, einige Zeit „Die lung,Häuser, vor derinwir Halt umlang dashausen. Alpengaststädtischen Herbergen taugen nicht für alle Gestrandeten. haus Weberhof zu besuchen. Die Häuser sind gepflegt, Vor nichtund für die, die nicht Alkoholikern gut allem erhalten, obgleich imendgültig Alpenstilzuerbaut, in ihwerden wollen. Bist noch keiner, duFensterläden, es spätestens rer Farbigkeit (dendubunten Türenbist und nach ein paar Wochen. Kaum einer, der es aus diesem Strudem freundlich hellen Holz) der Gegend fremd. Wir sedel Mir fällt eigentlich nur der ein. henwieder Autos,rausschafft. landwirtschaftliche Maschinen, einLuggi VerwalEr hat ja sogar ein eigenes Buch geschrieben“, tungsgebäude, das zu einer Kuranstalt passen würde, und doch erinnert mich Ambiente das Amish er sichdas an ein einzigesan Positivbeispiel unter unzähligen Negativbeispielen. Wer sich stark genug Land in Pennsylvania. Ob wir als Eindringling den


ließ, und da die Glocke für den Kirchturm zu mächtig war, musste daneben gar ein zweiter Turm errichtet werden. „Hier riecht es überall nach vergangenem Reichtum!“ Die Fugger, Herren der Silberstollen, liehen den Habsburgern Geld und verhalfen ihnen damit zur Macht. Ungewöhnlich die vier Schiffe der Stadtpfarrkirche. Aus sozialen Gründen fügte man im ausgehenden Mittelalter den ursprünglich dreien ein viertes hinzu. Den zugewanderten Bergleuten stand nämlich eine eigene Gerichtsbarkeit zu, und um den sozialen Frieden zu wahren, wurden den Knappen und der Bürgerschaft je ein Kirchenschiff zugesprochen, befanden sich also in der Liebherrenkirche von Schwaz zwei Kirchen unter einem Dach. Das Marterl in der Friedhofsmauer Bis vor wenigen Jahrzehnten befand sich um die Kirche der Friedhof (befindet sich heute ein Park), noch Theos Großeltern wurden hier begraben. Theo öffnet das Türchen eines bronzenen Marterls in der Friedhofsmauer. Ignaz Zöhrer, der junge Soldat auf dem Fotomedaillon, war sein Onkel, Vergolder und Kaufmannssohn, der als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog und als Kriegsgefangener mit neunzehn Jahren in Sibirien starb, „Für Gott, Kaiser und Vaterland“, wie zu lesen steht, oder „Nicht für, sondern durch das Vaterland“, wie Theo die Formel kommentiert. Das Café Heiss Für die Fahrt auf den Vomperberg stärken wir uns im Café Heiss. Das heimelige Café im ersten Stock empfängt uns mit Tradition – 1809 gegründet als die erste Konditorei und Zuckerwaren-Fabrikation, Soda-

wasser-Fabrik, Wachs- und Stearinwaren-Handlung zu Schwaz, mit Prima Chocolade und feinsten Bonbons. Es geht uns prächtig, und angesichts der Holzmeister Brücke über den Inn entsinnt sich Theo der alten Holzbrücke, welche die beiden Stadtteile verband, die aber nur gegen Bezahlung einer Maut benützt werden durfte. Unweit von hier befand sich die Fabrik der Austria Tabak, die einst vielen Schwazern Arbeit bot, auf dem Gelände wird derzeit eine Shopping City errichtet. Der Gral am Vomperberg Wir unterqueren eine Autobahn, mit Blick auf das Kloster Fiecht rollen wir durch zersiedeltes Land, an Baumärkten, Supermärkten, Tankstellen, Lagerhallen vorbei, den Parzellen mit Einfamilienhäusern, Richtung Dorfzentrum Vomp, folgen zunehmend schicker werdenden Gebäude, Banken, Hotels, Richtung Gebirge alpine Villen, in den Hang hinein gebaute Tiroler Schlösschen, hinauf in die Fichtenwälder zum Vomperberg. Auf dem Hochplateau angekommen (bei prächtigem Sonnenschein, unter uns das Inntal, das die schroffen Bergwände von den sanften Bergrücken der Südalpen trennt), staunen wir über die esoterische Idylle. Wir entdecken mehrere Gehöfte auf den Plateaus zwischen den Hängen und Wiesen, weiter oben eine kleine Siedlung, vor der wir Halt machen, um das Alpengasthaus Weberhof zu besuchen. Die Häuser sind gepflegt, gut erhalten, und obgleich im Alpenstil erbaut, in ihrer Farbigkeit (den bunten Türen und Fensterläden, dem freundlich hellen Holz) der Gegend fremd. Wir sehen Autos, landwirtschaftliche Maschinen, ein Verwaltungsgebäude, das zu einer Kuranstalt passen würde, und doch erinnert mich das Ambiente an das Amish Land in Pennsylvania. Ob wir als Eindringling den


Kopf willkommen Die für diesenken Straße oder fühle,uns gehe deshalb denfühlen hartensollen? Weg. Ganz alleine sei man eh nie. Die Streetworker kennen die ZuGeschlossenheit dieser durchorganisierten Welt wirkt fluchtsorte in der Landeshauptstadt und seien auch ganz zugleich anziehend wie beengend, vermittelt Geboro. k. genheit und löst Fluchtreflexe aus. Wir bekommen langsam

In Theo hat sich der Hunger zu Wort gemeldet, daund betreten einen Keher geht er auf den erstbesten Menschen zu, der zu bap-Stand in der Leopoldstraße. „So ein Kebap sieht aus sehen und freundliche Antwort, das wie einist, UFO, fastbekommt wie’s neuedie Museum am Bergisel“, bemerkt Gasthaus habe zum bewaffnet Frühjahr auf geschlossen. Da er Hugo, als wir mitbis Kebap den geschichtswissen will, wo die Gralsritter auf dem Vomperberg trächtigen Berg zumarschieren. Vorbei an der Tankstelle, in wohnen, erntet er ein verlegenes Lächeln, wir befinderen Nähe er einmal verhaftet worden ist, weil kurz zuvor den uns bereits in der Gralssiedlung, weiter drüben jemand einen Überfall begangen hatte und er in der Dunsteht die Andachtshalle und dort oben die Pyramide kelheit der Nacht für die Polizei per se als verdächtig galt. des Abd-ru-shin, das Grabmal des Gründers. Money makes the world going riesenrund

Sketches für Beton Die Wiltener Basilika zu unserer rechten Seite erstrahlt in Wir belassen es beim Augenscheinlichen, haben die weiß-gelbem Glanz. Überladen, es das Rokoko erforGralsritter aus Theos Kindheitwie gefunden, sind uns eiderte, zählt das sakrale Bauwerk zu den meistbesuchten nig, dass sie diese Berghöfe vorbildlich führen (was für Sehenswürdigkeiten Innsbrucks. halten uns links, wanein Gegensatz zu den mit BetonWir und Schneemaschinen dern vorbeiSkiregionen an der Heimstätte derZwei Wiltener Sängerknaben, zerstörten Tirols). liberale Seelen bedem gebenStift sichWilten. zurück ins Tal, nicht frei von spöttischer Iroin Reinkultur bekommen wirlaut wenige Meter später zu nie (ein Gralsanhänger wollte Pressebericht entsehen: das Kulturgasthaus Bierstindl. Vor als kurzem nach landeckt haben, vor drei Jahrtausenden Agamemnon von schwerer seiner jetzigen Frau,dahingeschieden, die damals Klytämnestra ger, Krankheit jahrelang hieß, liebvoll gepflegt und gutzu besucht es weiteres unlängst von einer ermordet worden sein, wurde was ein Zusambayerischen Stiftung gekauft. Kaum Meter weiter oben menleben unmöglich mache), und 100 doch erleichtert, hier kämpften Andreas & Co vor mehr als 200Bernhardts Jahren geund jetzt zu leben Hofer (und nicht in Oskar Ernst gen französisch-bayerische Truppen, um die Besatzer Jahren; jener Weltenbummler und Erleuchtete, derlosals zuwerden. Wir1929 gehen Klostergasse bergauf zum Steig, Abd-ru-shin aufdie den Vomperberg zog, wurde von den Nazis enteignet, musste von hier flüchten undatmen starb welcher zum neuen Bergisel-Museum führt. Wir 1941 von der Gestapo bedrängt). schwer. „Das ist der kürzeste Weg auf den Bergisel. Ohnezur Geld ist Im profanen Fremdenverkehrsort Vomp haben Mit-

tagszeit Hotels undobGasthäuser geschlossen. Die hier aberdie Schluss. Egal, Museum oder Sprungschan98 / 99

Landkarte weistman unsnur, weiter nach und bald ze – rein kommt wenn manTerfens, Eintritt zahlt“, sagt durchqueren wirwir das eines Betonwerks zwischen Hugo, nachdem esAreal uns auf einer Bank vor der großen Autobahn und Eisenbahn-Trasse, landen in VomperAndreas-Hofer-Statue gemütlich gemacht haben und ich bach, wo uns eine Anrainerin das Gasthaushabe. Stoanerden letzten Bissen des Kebap runtergeschluckt Es ist groben zeigt. Für die Lang Betonwerke produzierte ein sonniger Sonntag. Vereinzelt sehen wir Familien oder Theo vor zwanziginJahren Werbe-Skechteshineingehen. und erntete Touristengruppen das Bergisel-Museum für seine absurden Szenen Lob von der Betriebsleitung. Ob es ihn interessiere, das Museum, frage ich. Ich würde Nun essen wir Gasthaus unweit des Werks, das Mitihn einladen. Einim Kebap sei schließlich keine ausreichende tagsmenü wird täglich im Internet angezeigt, damit die Aufwandsentschädigung. Er entgegnet, dass er nicht noch Werksarbeiter wissen, was sie erwartet. Eine herb charimmer hier wäre, wenn er andauernd in die Vergangenheit mante Wirtin bedient uns, eine schüchterne Köchin sergeblickt hätte. Ihn beschäftige mehr, wie das Wetter morviert uns ausgezeichnetes Szegediner Gulasch, danach gen werde und wo er nächtigen werde. Selbst wenn im trinken wir Praxmarer Kaffee (mit dem Emblem einer Museum eine Wetterwarte wäre, würde sie wohl nur zeigen, Hieroglyphenfigur) und verlassen die gemütliche Stube ob es gestern geregnet oder gar die Sonne gescheint hat. mit dem rar gewordenen Gefühl, zu einem vernünftiDas sei das Wesen eines Museums. gen Preis gut verköstigt worden zu sein. Und doch

Das Loch sei er nicht prinzipiell gegen Museen. AmContainerburgen Franziskanerplatz Vorbei an Arbeiterunterkünften und habe einmal gegeben. „Das wagt es sich Theoein insStraßenbahnmuseum Vomperloch. Vor dem Kraftwerk hat mich daran erinnert, was ich als Kind werden wollte: der Stadtwerke Schwaz wirft er das Handtuch. Die ennicht Lokomotivführer. Aucherheben nicht Schaffner. Ich wollteund eige Straße ist vereist, links sich Felswände ner derjenigen derdas Züge oder Straßenbahnen baut. Tafeln warnen sein, davor, Bachbett zu betreten, wegen So schwere Dinger auf Schienen. Immer, wenn ich dort im des Schwellbetriebs des Kraftwerks könne der WasserStraßenbahnmuseum war, Sekunden war ich gleichzeitig spiegel innerhalb weniger ansteigen.glücklich Eine Taund traurig … sei’s Hugo. heißt Er steht fel, vom Bild einesdrum,“ Adlerssagt gekrönt, imauf. Alpenpark Karwendel willkommen. Wir kehren um. (M. K.)


Kopf senken oder uns willkommen fühlen sollen? Die Geschlossenheit dieser durchorganisierten Welt wirkt zugleich anziehend wie beengend, vermittelt Geborgenheit und löst Fluchtreflexe aus. In Theo hat sich der Hunger zu Wort gemeldet, daher geht er auf den erstbesten Menschen zu, der zu sehen ist, und bekommt die freundliche Antwort, das Gasthaus habe bis zum Frühjahr geschlossen. Da er wissen will, wo die Gralsritter auf dem Vomperberg wohnen, erntet er ein verlegenes Lächeln, wir befinden uns bereits in der Gralssiedlung, weiter drüben steht die Andachtshalle und dort oben die Pyramide des Abd-ru-shin, das Grabmal des Gründers. Sketches für Beton Wir belassen es beim Augenscheinlichen, haben die Gralsritter aus Theos Kindheit gefunden, sind uns einig, dass sie diese Berghöfe vorbildlich führen (was für ein Gegensatz zu den mit Beton und Schneemaschinen zerstörten Skiregionen Tirols). Zwei liberale Seelen begeben sich zurück ins Tal, nicht frei von spöttischer Ironie (ein Gralsanhänger wollte laut Pressebericht entdeckt haben, vor drei Jahrtausenden als Agamemnon von seiner jetzigen Frau, die damals Klytämnestra hieß, ermordet worden zu sein, was ein weiteres Zusammenleben unmöglich mache), und doch erleichtert, hier und jetzt zu leben (und nicht in Oskar Ernst Bernhardts Jahren; jener Weltenbummler und Erleuchtete, der als Abd-ru-shin 1929 auf den Vomperberg zog, wurde von den Nazis enteignet, musste von hier flüchten und starb 1941 von der Gestapo bedrängt). Im profanen Fremdenverkehrsort Vomp haben zur Mittagszeit die Hotels und Gasthäuser geschlossen. Die

Landkarte weist uns weiter nach Terfens, und bald durchqueren wir das Areal eines Betonwerks zwischen Autobahn und Eisenbahn-Trasse, landen in Vomperbach, wo uns eine Anrainerin das Gasthaus Stoanergroben zeigt. Für die Lang Betonwerke produzierte Theo vor zwanzig Jahren Werbe-Skechtes und erntete für seine absurden Szenen Lob von der Betriebsleitung. Nun essen wir im Gasthaus unweit des Werks, das Mittagsmenü wird täglich im Internet angezeigt, damit die Werksarbeiter wissen, was sie erwartet. Eine herb charmante Wirtin bedient uns, eine schüchterne Köchin serviert uns ausgezeichnetes Szegediner Gulasch, danach trinken wir Praxmarer Kaffee (mit dem Emblem einer Hieroglyphenfigur) und verlassen die gemütliche Stube mit dem rar gewordenen Gefühl, zu einem vernünftigen Preis gut verköstigt worden zu sein. Das Loch Vorbei an Arbeiterunterkünften und Containerburgen wagt sich Theo ins Vomperloch. Vor dem Kraftwerk der Stadtwerke Schwaz wirft er das Handtuch. Die enge Straße ist vereist, links erheben sich Felswände und Tafeln warnen davor, das Bachbett zu betreten, wegen des Schwellbetriebs des Kraftwerks könne der Wasserspiegel innerhalb weniger Sekunden ansteigen. Eine Tafel, vom Bild eines Adlers gekrönt, heißt im Alpenpark Karwendel willkommen. Wir kehren um.



Waschzettel Auf dieser und den folgenden drei Doppelseiten ist die Arbeit „Aide-mémoire (seit 2005)“ von Sonia Leimer zu sehen: Die Künstlerin verarbeitet Einladungskarten, die sie im Laufe der Zeit per Post erhält, indem sie diese mit ihrer Kleidung mitwäscht. Ein serieller Gegenstand, der mit der Welt der Kunst verbunden ist, mutiert zum Waschzettel – in der Materialität stark verändert, nahezu jeder Information verlustig, Fragen über die Zeit aufwerfend.








Herrn Johanns wundersame

nebel

Beziehung zum

Ein fantastisches Alzheimer-Märchen für Halberwachsene. Dargebracht in separaten Teilen,

angeordnet in zwei Spalten.

Am Anfang ein

kurzer biografischer Vorspann: Es

weiter in die Enge. Denn Herr Johann schlief nicht mehr.

war einmal ein Mann, der lebte abgeschieden im Wald und wurde von allen gefürchtet. Auch die Geschichte des Herrn

Zumindest dachte er das.

Johann könnte so beginnen: Denn er lachte nie und hasste die Welt. Doch im Unterschied zu vielen anderen Griesgramen, welche die Erde bereits bevölkert haben, konnte man Herrn Johann für seine Launen nicht wirklich böse sein. Denn Herr Johann ging nie unter Leute, Herr Johann ging niemals außer Haus, Herr Johann ging nur den ganzen Tag auf und ab, fluchte bei jedem Schritt und bezeichnete sich deshalb gern als einen „

Quer-

Herr Johann besaß vier Bücher, die er jeden Tag aus dem Kasten holte und auf

einem Tisch in seiner Hütte aufschlug. In den Büchern ver-

denker im Neben-Nebental“. merkte er in winziger, zittriger Schrift an jedem Tag eine

Zeile. In das erste Buch schrieb er die Uhrzeit (wie er sie

sich gerade dachte). Ins zweite Buch schrieb er das Wetter

(wie es ihm gerade schien) und im dritten Buch vermerkte

„Was ist das Beson-

er die Zahl der Sternschnuppen, die er in der Nacht zuvor

dere an Herrn Johann?“, wird man nun fragen, und man wird sich an andere verrückte alte Männer erinnern, die man schon murmelnd durch die Straßen gehen sehen hat.

beobachtet hatte (was stark vom Wetter abhing). Im vierten

Buch jedoch schrieb er auf, was er geträumt hatte. Doch

„Dieser Herr Johann“, könnte man sagen, „dachte nur quer, weil es nicht mehr gerade ging!“ Doch man täte ihm Unrecht damit. Denn mit Herrn Johann verhielt es sich anders:

während die Einträge in den ersten drei Büchern sich stetig

änderten, stand im vierten Buch immer dasselbe: „Ich habe

Zu gerne hätte er gerade gedacht, wenn es möglich gewesen wäre. Doch die Müdigkeit trieb seinen Verstand immer 108 / 109

wieder nicht geträumt.“


„immer ist mir am liebsten das hineingehen in den nebel“ 20 Jahre nach dem Tod des Osttiroler Schriftstellers, Lehrers, Volkskundlers und Historikers Johannes E. Trojer (1935–1991) erscheint kommenden Herbst eine 4-bändige Werkausgabe des genialen Archäologen des dörflichen Lebens. Quart bringt im Vorabdruck einen Beitrag von Sandra Unterweger, der Trojers Arbeitsweise anhand eines Essays zur Hochpustertaler Ortschaft Prags aufzeigt.

Zuerst jedoch ein kurzer biografischer Vorspann von Ingrid Fürhapter: In Außervillgraten im Osttiroler Villgratental steht ein Haus mit einer Besonderheit: ein Büchersilo, um den herum, so scheint es dem Besucher, der Wohnraum gebaut ist: die „größte bibliothek im tiroler hochpustertal“, zwischen Stift Innichen und dem Lienzer Schloss Bruck. – Alles in allem „eine urbane Insel“ im bäuerlich geprägten ländlichen Raum. Schrieb einmal ein Kulturpublizist aus Wien über das Haus. Und über den Hausherrn hieß es in ebendieser „Presse“: „Ein Querdenker im Neben-Nebental“. 2003, zwölf Jahre nach dem Tod des Hausherrn. Sein Nachlass verlässt das Dorf und geht in die große Stadt, namens Innsbruck. Er, der Nachlasser, war weder freier Schriftsteller noch akademischer Wissenschaftler – wollte es auch gar nicht sein. Ein Grenzgänger, der Grenzen überschritt: „die finger beider hände voll“ betrieb er „verschiedene sachen“. Dennoch die Zuversicht, dass sich die Nachwelt für sein „Zeug“ interessieren werde. Von Seiten der Gemeinde kein Bemühen, die Hinterlassenschaft im Tal zu halten. Mit 140 Kartons und mehreren hundert Original-Plakaten von 1904 bis in die 1980er Jahre ist der Nachlass einer der größten im Brenner-Archiv. Was ist das Besondere daran? Oder anders gefragt: Warum sollte man den Nachlasser kennen? Sein Name: Trojer, Johannes E., Evangelist, nicht Nepomuk, geboren 1935, gestorben 1991. Brotberuf: Lehrer und Leiter der Volksschule Innervillgraten, Nebentätigkeiten: Schriftsteller, Publizist, Volkskundler und Historiker. Herausgeber der Zeitschrift Der Thurntaler. Ungewöhnlich ist, dass er innerhalb der dörflichen Machtstrukturen als Volksschuldirektor, Tourismusobmann oder Organisator von Kulturveranstaltungen (AG „Alpenfest“) verankert war und zugleich eine Position als „Außenseiter“ wählte – „vollen Willens“, wie man 1980 in der „Tiroler Tageszeitung“ nachlesen konnte. Zuvor sei er, so

seine Selbsteinschätzung, „viele Jahre gewiß ein engagiert treuer Diener und nützlicher Idiot“ gewesen. Am Ende der Geschichte findet man Teile des Nachlasses umfassend durchforstet und kritisch ediert: zwischen Buchdeckeln. In der Stadt, im Archiv an der Universität, wurde die Hinterlassenschaft des Hausherrn aus dem Villgratental durchleuchtet – von Germanisten, Historikern, Volkskundlern. Das Ergebnis: vier Bücher im Schuber, jeweils ein Band Zeitgeschichte, Literatur und Kultur („Thurntaler“) – und ein Band zu jenem Denken, das hinter Trojers Arbeit von vier Jahrzehnten steht. Erscheinen werden sie im Herbst 2011 im Haymon Verlag. *** Wie Trojer einen Essay (nicht) schrieb. Lieber Markus, luft holen gehen ein wenig aus dieser enge auf diesen zeilen, wir sind wieder die fünfzig minuten zur haselstaude gegangen, zwischen aufsetzen und reinschrift, schnell noch speichel auf die zunge des umschlages, der klebrige rand hält der treue diener hat das seine getan, zündet sich sein pfeifl an und schaut zwischen ironischen fingern durch (…) froh bin ich, daß morgen wieder schon der letzte tag ist, mich drückt nämlich noch eine versprochene auftragsarbeit, ich muß sagen, daß ich sie dem waibl zugesagt habe, es handelt sich um die badlsache in prags, bisher habe ich stichwörter aufgesammelt, erst muß ich sie jetzt zusammensuchen, ich traue ihnen zu, daß sie mich aufstacheln, immer ist mir am liebsten das hineingehen in den nebel, der erste schritt in bodenloses, das waten in der luft wie im traum, ein auffallen, das nicht wehtut, da ist mir die erde leicht es soll etwas länger sein als meine gemessene seite, ich habe die lust umzuhauen, und in der nächsten wen-


Insgeheim begründete Herr Johann seine Traumlosigkeit

einmal ausgemacht hatte. Denn mit jedem Traum entwich ihm auch eine Erinnerung aus seinem undichten Kopf.

gern damit, dass er eine

Hätte man in Herrn Johanns Kopf hineinspazieren können wie in ein Haus, hätte sich folgendes Bild ergeben: Man

Z angengeburt war. Doch selbst wenn es stimmte, dass etwas mit seinem Kopf nicht stimmte, war es eigentlich nur eine praktische Geschichte, um ihn vor Veränderung zu schützen. Sie bewies, dass die Welt ihn von Anfang an rau angefasst hatte und er besser im Wald blieb, weg von den Menschen. In Wahrheit hatte Herr Johann ein Loch im Kopf. Wobei hier wieder manche lästern werden: „Das wussten wir doch von Anfang an!“ Und sie sollten froh sein: Denn Herr Johann wusste es nicht. Soweit es ihn betraf, konnte er nur nicht schlafen. Nicht mehr. Das bisschen Mehr sahen nur andere: Denn insbesondere an jenen Tagen, an denen Herr Johann „neblig“ in sein Wetterbuch eintrug, war ein wundersames Schauspiel vor der winzigen Hütte zu beobachten. Und hätte er nicht abgelegen in einem Wald gewohnt, sondern mitten in einer Metropole – vielleicht hätte man dann schon früher von Herrn Johann und seinem Loch im Kopf erfahren. Etwa gegen

23 U uhr legte er sich zu Bett und schloss die Augen. Für ihn selbst war es, als starrte er eine Nacht lang die schwarze Zimmerdecke an, bis der Morgen wieder ins Fenster stach. Doch draußen vor der Hütte, da saßen die Eulen wie Kinobesucher in den Bäumen und wiesen auf die Hütte. Schon bald stieg dort eine Art dünner Rauch aus dem Schornstein, kräuselte sich in Maschen, als verpackte er die Nacht als Geschenk. Und je dichter der Nebel über dem Haus wurde, desto deutlicher sah man, wie sich die Träume des Herrn Johann in den Nachthimmel zeichneten. Da ging er als Kind an einem See entlang, sprang von einem Steg und drang in das kalte Wasser ein. Die Luftblasen blubberten über der Hütte, während Herr Johann im Wasser die Augen öffnete und zum ersten Mal in seinem Leben einen Fisch erblickte. Die Flossen schlugen aus und schwammen durch die Nebelschwaden davon. Unten in der Hütte jedoch vergaß Herr Johann wieder einen Moment mehr, der sein Leben

110 / 111

durchquerte einen flackernd erleuchteten Raum und gelangte schließlich zu einer Tür mit der Aufschrift

„PRIVAT“ . Stieß man sie auf, so tat sich dahinter eine riesige Halle auf. Aus der Tiefe des Raums drangen Wortfetzen, die man hätte unheimlich finden können, hätte nicht der Boden des Raums alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mühevoll hatte hier jemand ein Mosaik angelegt – tausende farbige Steinplättchen überzogen den Boden. Ging man umher, sah man in die Gesichter von Herrn Johanns Eltern, sah man den Wind über den Boden pfeifen, wie Herr Johann ihn gespürt hatte, als er zum ersten Mal Fahrrad gefahren war. Und hell stachen die blonden Locken eines Mädchens hervor, wie Herr Johann sie wahrgenommen hatte; an jenem Tag, als er kurz vergaß wie Atmen ging. Trotzdem war das Gesicht des Mädchens nicht mehr erkennbar. Denn unter den Locken hatte sich weißer Staub breitgemacht. Wenn man nun stutzig wurde und sich in der Halle umsah, dann bemerkte man immer mehr von diesen Inseln aus Kalk, gespeist aus dünnen Rinnsalen, die das Mosaik von Herrn Johanns Erinnerung eroberten, und sich weiß im Halbdunkel abzeichneten wie die Karte einer v nLandschaft. Veruntreute


dung möchte ich das zarteste zwischen den ballen fassen, aber ich bin steif vom widerstand und fausten, mir fällt schon jeder vogel vom wipfel, ich denke, ich sollte ihn nicht anrühren, meine sprache verschreckt mich wie ihn, ich weiß also nicht, was es abgibt, ein essay soll es halt werden, ich möchte, daß es kein klassischer wird, und die zangengeburt wird man ihm ohnehin ansehen, momentan wünsche ich, daß Du ihn nie zu gesicht bekommst, aber das kann sich ändern, wie ich weiß von mir (…) ich hätte jetzt das alter zu dramatischen stücken, Du sagst es, (…) genau ist es die frage, ob sie die rote machen soll, so mancherlei engagement erweist sich natürlich als ein verhohlener selfservice, die folgen einer weitreichenden ai-post beispielsweise kennt man nie, nämlich keine, aber auch dies ist nicht so sicher nicht, ich halte halt verdammt auf das wort, ein eigentlicher satz, der bleibt, ist mir das leben wert, soviel kann ich sagen nicht zu vergessen, für den ersten „schluiferer“ wird es der mäßige sp-beitrag wohl tun müssen, wenn schon, streich halt weg und biege den anfang halbwegs bei Du hast auch eine ganz andere leseliteratur, ich werde Dir nicht folgen können 23 uhr 09 und ins bett zur bettlektüre von dieter forte „kaspar hausers tod“, einverstanden

Dieser Brief an Markus Wilhelm aus dem April 1981, in dem er von der „auftragsarbeit“ zur „badlsache in prags“ für Gunther Waibl spricht, provoziert mehrere Fragen: Hat Markus Wilhelm den besagten Essay über das Heilbad Prags oder Bad Altprags, wie das Heilbad in einem Seitental des Südtiroler Pustertales auch genannt wurde, jemals zu Gesicht bekommen? Gibt es eine Publikation zu diesem Thema? Findet sich irgendwo im Nachlass Trojers dieser ungefähr einseitige „klassische“ Essay zu Prags, in dem Trojer seine Recherchen und Erkenntnisse gebündelt hat? Wo sind die „Stichwörter“ notiert, die Trojer „aufgesammelt“ hat? Oder hat das Thema Trojer doch nicht genug „aufgestachelt“? Haben vielleicht doch die Schwierigkeiten beim Verfassen des Textes, mit denen er laut seinem Brief

zu kämpfen hatte, einen „fertigen“ Text verhindert? Eine Antwort kann man nach dem Blick in Trojers Publikationen mit großer Wahrscheinlichkeit geben: Es gibt keine Veröffentlichung eines Essays explizit über Prags. Doch wo die Suche nach dem Manuskript des Prags-Essays und den vorangegangenen „Stichwörtern“ im viele Kartons umfassenden Nachlass Trojer beginnen? Denn in der von Trojer zu Lebzeiten versammelten Hängeregistermappe „PRIVAT“, in der sich seine literarischen Arbeiten befinden, gibt es kein Manuskript zu Prags, und auch im Umfeld seiner Essays, Zeitungsartikel und Glossen führt die Suche nach dem Prags-Essay zu keinem Ergebnis. So bleibt nur die Möglichkeit – Trojers Arbeits- und Denkweise verpflichtet – intuitiv-assoziativ und ohne vorher eine zu enge Perspektive einzunehmen in den Journalen, Briefen und Sammlungen, den Kartons und Hängeregistermappen zu stöbern und zu blättern. Dabei stellt man bald fest, dass sich im Nachlass Trojers auffallend häufig Materialien und Notizen zum Thema Südtirol finden – und das bereits vor Trojers Arbeit am Prags-Essay 1981. Eine Hängeregistermappe mit der Aufschrift „Südtirol / Option / G. Mahler“ umfasst beispielsweise zahlreiche Zeitungsausschnitte und Artikel aus den 1970er und 1980er Jahren, teilweise auch schon aus früheren Jahrzehnten. Besonders aufschlussreich sind in Zusammenhang mit Südtirol und Prags aber die Journale. 1978 notiert Trojer in einer Journaleintragung – inspiriert von dem Fernsehfilm Veruntreute Landschaft von Milan Dor und Gustav Peichl, den er am 26. 10. 1978 gesehen hat – seine Idee von einem „TV-Film vom Pustertal grenzüberschreitend! / Auch f. d. Schulfunk verwendbar / Kulturfilm!“2 Seine in der Folge notierten Assoziationen zu diesem Film reichen – nach der Reihenfolge der Orte bei einer Fahrt von Ost- nach Südtirol – von „k. u. k. Reminiszenzen Weitlanbrunn“ und „Mann der nach Prags-KZ geliefert wurde“ über die „Niederdorfer Kirche“ und den Stegermarkt in Bruneck bis hin zu „Zug langsam bei Rienzbrücke“. Trojers Assoziationen sind auf den ersten Blick nicht leicht zu entschlüsseln: Was hat die kleine Ortschaft Weitlanbrunn mit der k. u. k. Monarchie zu tun und hat es in besagtem Prags, zu dem Trojer 1981 einen Essay plante, ein Kon-

1 Brief von Johannes E. Trojer an Markus Wilhelm, 29. 04. 1981. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Johannes E. Trojer, Korrespondenzen, Kassette 20, M02.

2 Notizbuch „1978“ [10. 3.–26. 11. 1978], Eintrag 26. 10. 1978. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M09.

Den guten Maientag Dir H.1


Wer weiß, was passiert wäre, wenn der Zirkus sein

was ihm so ans Herz gewachsen war. Wutentbrannt stürmte er zur Tür, wollte die Bäume anbrüllen gehen. Er schluckte, als er die Tür verriegelt vorfand, von außen blockiert.

L ager nicht in dem Waldstück nahe der Hütte des Herrn Johann aufgeschlagen hätte? Wer weiß, was

So spähte er noch einmal durchs Fenster und sah diesmal genauer hin: Nicht die Bäume bewegten sich, sondern sein

passiert wäre, wenn nicht ein plötzlich aufziehender Nebel

Haus, das man im Licht seiner Kopfbilder wie einen Baum

die Weiterreise verhindert hätte und nicht der Zirkusdirektor

entwurzelt hatte und nun auf einem Wagen des Zirkus Alois

Alois höchstpersönlich im Nachthemd vor seinen Wagen

spazieren führte.

getreten wäre, wo er beim Wasserlassen in den Himmel hinaufsah. Man erzählt sich, dass der Direktor augenblicklich den Löwenbändiger aufgesucht und ihn um ein Glas seines selbstgebrannten Schnapses gebeten haben soll. Anschließend zerrte er ihn vor den Wagen, um ihm den Himmel zu zeigen. Zusammen standen sie eine Weile lang da, irgend-

Damit begann Herrn Johanns Zeit beim Zirkus. Er war die Sensation in der Manege. Man gab drei Vorstellungen pro Tag. Vom kleinsten Kind bis zur größten

Prominenz

kamen sie

wie verwirrt, irgendwie wie kleine Kinder und irgendwie

alle, um den Schläfer zu sehen. „Johannis, Magier des Lich-

verzaubert von dem Kopfkino, das bis jetzt niemand gese-

tes“, rief der Direktor Alois dem Publikum entgegen, wenn

hen hatte, außer einigen Eulen.

man Herrn Johann in die Manege schob. Dieser saß da, an einen Stuhl gefesselt und mit trüben Augen, sah verängstigt blick te Herr Jo-

in die Menge, deren Blicke in hundertfacher Überzahl auf

hann aus dem Fenster hinaus und verstand die Welt nicht

ihn zurückstarrten. Er verstand nicht, was ihm geschah, und

Am nächsten Morgen

mehr. Es schien, als hätten die Bäume des Waldes beschlossen, ihr Lager abzubrechen und in die Fremde zu

noch weniger, was man von ihm erwartete. Gleichzeitig verfolgte ihn ständig das schreckliche Gefühl, dass man ihm eigentlich alles bereits erklärt hatte und dass er sich nur

ziehen. Im Gleichschritt zogen sie an seinem Fenster vorbei.

erinnern müsste, um alles zu verstehen. Doch Herr Johann

Das machte ihn wütend. Es veränderte seine Tagesroutine,

erinnerte sich nicht. Im Gegenteil, er fühlte sich zunehmend

es brachte die ganze schöne Existenz aus dem Gleichgewicht, an die er sich gewöhnt hatte und die er genoss. Es war, als hätte eine unsichtbare Hand ihm sein liebstes Gut versteckt und Herr Johann würde niemals wiederfinden,

112 / 113

wie ein leckes Gefäß, das nicht mehr zu dichten war. Er kam sich selbst abhanden. Und jedes Mal, wenn ihm der Direktor Alois in der Manege das Schlafmittel verabreichte, versickerte ein bisschen mehr von Herrn Johann in den nebligen Weiten des Zirkuszelts.


zentrationslager gegeben? Im Fall des Lagers Prags hat sich Trojer schon früh interessiert und informiert, hat nachgefragt und gesammelt über den Transport von 139 prominenten SS-Häftlingen aus deutschen Konzentrationslagern nach Südtirol in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs.3 Um die Verbindung zwischen k.u.k. und Weitlanbrunn entschlüsseln zu können, hilft ein Klick in Google nicht, auch Trojers weitere Journaleintragungen verraten darüber nichts. Charakteristisch für Trojers Arbeitsweise ist, dass er in Notizen, Vorarbeiten und Journalen, aber auch in Texten, Essays und Glossen sein umfangreiches Wissen assoziativ miteinander in Verbindung gebracht hat. Er wusste, woher er seine jeweiligen Kenntnisse hatte, er kannte seine Quellen und Gewährsleute auswendig, wusste, wo nachzuschlagen und nachzufragen war. Dem Forscher, der seine Arbeitsweise und Arbeitsschritte rekonstruieren will, bleibt nur, im Nachlass weiter nach Verbindungen, Querverweisen und Quellen zu suchen und sich von verschiedenen, auf den ersten Blick scheinbar unzusammengehörigen Spuren führen zu lassen. Wenn in den Notizen und Sammlungen zu der von Trojer Ende der 1970er und Anfang der 1980er geplanten, aber nie umgesetzten „Osttirol-Anthologie“ immer wieder der Name Arnolt Bronnen und sein Theaterstück Anarchie in Sillian (1924)4 fallen, scheint dies zunächst nichts mit k. u. k. und Weitlanbrunn zu tun zu haben, doch die Verbindung wird bei weiterer Recherche klar. Trojer verfasste zu Bronnens Stück 1981 eine Buchbesprechung für die Osttiroler Heimatblätter, in der er erklärt, wie der Wiener Dramatiker dazu gekommen

war, ein Theaterstück mit dem Bezug auf die Marktgemeinde Sillian im Osttiroler Pustertal zu verfassen: „Es dürfte in der Tat so gewesen sein, daß Bronnen in dem damals bei den Wiener Theaterleuten und Schauspielern sehr renommierten Badhotel Weitlanbrunn Sommerfrische machte, von der zwischen Kraftwerksgegnern und -befürwortern geführten Polemik, die sich über ein halbes Jahrzehnt hingezogen hatte, Kenntnis erhielt und sich dadurch zu diesem Bühnenstück angeregt sah.“5 Passend zu den eben genannten Notizen zu Weitlanbrunn und Prags begegnet in einem der folgenden Journale Ende 1978 bei einer Auflistung von historischen Bauten in Südtirol6 das Karerseehotel am Pragser Wildsee, das ebenfalls von einiger Prominenz besucht worden war. Der Agatha-Christie-Weg am Pragser Wildsee erinnert heute noch an den Aufenthalt der Schriftstellerin im Sommer 1927, die Kulisse des Pragser Wildsees sei sogar in einem ihrer Romane verarbeitet worden.7 Weitere prominente Gäste des Grandhotel Karersee sollen Arthur Schnitzler, Winston Churchill oder Karl May gewesen sein.8 Diese Namen seien deshalb erwähnt, weil auch Trojer immer wieder sammelte, wer in der Region Ost- und Südtirol geurlaubt hatte und vor allem wer dort künstlerisch tätig gewesen war. Dies zeigen seine Sammlungen zu Autoren, die Texte über oder in Osttirol geschrieben haben9, wie bereits erwähnter Arnolt Bronnen, oder eine Auflistung der Autoren „Kafka, Morgenstern, Musil, Herzmanovsky-Orlando […], Schnitzler, Ezra Pound“ zum Stichwort Meran in eben genanntem Journal.10 Auch in

3 Vgl. Hans-Günther Richardi: SS-Geiseln in der Alpenfestung. Die Verschleppung prominenter KZ-Häftlinge von Deutschland nach Südtirol. Bozen 2005. 4 Interessant ist hier auch, wie Trojer auf dieses Stück mit scheinbar direktem Osttirol-Bezug gestoßen ist. Er beschreibt dies in einem Brief an Oswald Kollreider anlässlich einer Recherche zu Anarchie in Sillian in der Wiener Nationalbibliothek 1976: „daß lediglich der titel von sillian handelt das stück spielt im kraftwerk sillian […] habe dies ein bißchen überschaut nicht ganz ausgelesen und abgegeben nichts von lokalhistorischer bedeutung typischer expressionismus auf den ersten blick heute vollkommen unspielbar schondorff ein mitpreisrichter bei den rauriser literaturtagen zitiert bronnens anarchie in sillian in seinem westösterreichführer so kam ich darauf“. Brief von JT an Oswald Kollreider, 24. 02. 1976 [?]. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Korrespondenzen, Kassette 11, M42. Zu Arnolt Bronnen gibt es auch eine eigene Sammlung im Nachlass Trojer: Sammlung „Literaten Jesse Thoor Arnolt Bronnen“. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Sammlungen, Kassette 32, M06.

5 J. Trojer: A. Bronnen: Anarchie in Sillian (Buchbesprechung). In: Osttiroler Heimatblätter, 49. Jg., 26. 11. 1981, Nr. 11. 6 Notizbuch „19781103“, Eintrag undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M16. 7 Agatha Christie „verarbeitete ihre Eindrücke in ihrem Roman ‚Die großen Vier‘, wo sie das Felsenlabyrinth, in dem die Räuberbande ihr Versteck hatte, beschrieb.“ Vgl. dazu: http://www.suedtirol.de/front_content.php?idcatart=161&lang=3&client=, Stand 12. 7. 2009. 8 Vgl. dazu: http://www.monte-welt.com/Alpen-Archiv/ArchivGeschichten-ueber-Berge/Die-vergessenen-Palaeste.html, Stand 2. 7. 2009. 9 Auch der Wiener Lyriker Jesse Thoor (= Peter Paul Höfler), der 1952 während eines Aufenthalts bei Freunden in Matrei i. O. verstarb, findet sich auf Listen zu Trojers geplanter „OsttirolAnthologie“. Trojer verfasste auch einen Artikel zu Thoor in den Osttiroler Heimatblättern: Johann Trojer: Jesse Thoor. In: Osttiroler Heimatblätter 5/1977, 45. Jg.


Während Herr Johann sich verlor, verdiente Direktor Alois an seinem Lichtmagier ein Vermögen. Und der Reichtum beruhigte Alois’ schlechtes Gewissen. Denn natürlich wusste er genau: Herr Johann war kein

Künstler , der seine Fähigkeiten ausstellen wollte. Herr Johann war noch nicht einmal ein dressiertes Tier, sondern einfach ein Sklave des Zirkus. Und hät-

noch die dunklen Farben zurück, in denen er den Zirkus erlebte. Und als der Direktor eines Tages den Befehl gab und Rauch ins Zelt geblasen wurde, sah er sich plötzlich mit einer ekelhaften Karikatur seiner selbst konfrontiert. Da polter-

te der Direktor Alois nicht eine dicke Fettschicht sowie eine

te ein riesenhafter Direktor auf die Zuschauer zu, mit gro-

gut gefüllte Brieftasche über dem Herzen getragen, hätte er

tesk aufgeblähtem Wanst, schwitzend und unrasiert, ein

vielleicht gehört, was es ihm zu sagen hatte: „Dieses Glück wird nicht von Dauer sein.“ Doch wie ein alter

Kaiser

klammerte er sich an seinen Thron

und war taub für das Klopfen der Revolution vor der Tür. So sind die Menschen, wenn sie plötzlich Einfluss haben: Sie geben ihn ungern wieder her.

schreiender Mund, der sich öffnete um das Publikum zu verschlingen. Kinder begannen zu weinen. Und ihre Eltern sahen ihrerseits sich selbst in den Kopfbildern: Als sensationslüsterner Mob saßen sie da und starrten in die Manege, ihre Gesichter langgezogen von einem gemeinen, hinterhältigen Lachen.

Der Direktor Alois hätte nicht nur auf sein Gewissen hören

So wollten sich die Menschen nicht sehen. Und sie be-

müssen. Auch in der Manege zeichnete sich der Abstieg ab.

schwerten sich, riefen ihren Ärger in die Manege, mach-

Anfangs waren die Träume des Herrn Johann noch

ten

Lärm . Doch die Stimmen

türmten sich nur auf, wuchsen an, stürzten auf den armen

vogelleichte Fantasiebilder gewesen. Aus Angst vor den Augen des Publikums zog sich Herr Johann in die schönsten, beruhigendsten Felder seines Mosaiks zurück. Sein Kopf gab die hellsten Farben aus seiner Kindheit frei, ließ pastellene Landschaften blühen und präsentierte dem stau-

Herrn Johann ein und ängstigten ihn noch weiter, sodass die Fratzen in seinen Träumen bloß noch an Hässlichkeit gewannen. Er warf sich hin und her im erzwungenen Schlaf des Magiers, wollte ausbrechen, doch konnte es nicht. Und so entlud sich seine Panik gegen das Publikum in seinen Träumen – er ließ den Direktor Alois auf die Zuschauer einschlagen, unter einem hämischen Lachen, mit einer rie-

nenden Publikum längst vergessene Schätze. Doch je län-

sigen Peitsche. So vermischten sich die erschrockenen

ger die Gefangenschaft andauerte, umso deutlicher zeich-

Schreie mit dem Weinen der Kinder und den Bildern im

neten sich ihre Spuren in den Kopfbildern ab. Die schönsten Erinnerungen waren bereits gegangen, nun blieben nur

114 / 115

Zelt zu einem großen Gemälde von Angst und Entsetzen. Nach dieser Vorstellung blieb der Zirkus Alois leer. Und Herr Johann wurde hinausgeworfen, von einem wütenden Di-


vogelleicht ruschs hand streich auf der backe auf der axl die aufgelegte andere des paten am pragser wildsee spätestens zer platzte er vor aller augen o herr j. (> ausflug der firmlinge <)11

Zum Namen Gustav Mahler finden sich im Nachlass Trojers an mehreren Stellen Sammlungen und Notizen: In einer Kassette zu Gustav Mahler12 sammelte Trojer Zeitungsartikel, Notizen und eigene Niederschriften zu Mahlers Sommerfrische in Toblach, Artikel zu den Mahler-Wochen in Toblach, Kopien von Aufsätzen aus Büchern über Mahler, Abschriften aus den Briefen Mahlers und Mitschriften von Referaten anlässlich einer Tagung in Toblach. Auch in der bereits genannten Sammlung zum Thema „Südtirol / Option / G. Mahler“ finden sich Zeitungsartikel zu Gustav Mahler.13 Zu Mahler gibt es sogar eine Publikation von Trojer in Form einer Pustertaler Chronik, der Glosse, die Trojer von April 1981 bis November 1982 regelmäßig für die Osttiroler Wochenzeitung Osttiroler Bote verfasste: Aus den Erinnerungen, die in dem 1978 erschienenen Buch Erinnerungen an Gustav Mahler 14 von Alma Mahler-Werfel versammelt sind, montierte Trojer Zitate und verarbeitete sie im Juli 1981 zur Glosse Gustav Mahler in Toblach.15 In einer wahrscheinlich früheren Planungsphase bzw. Fassung montierte Trojer Zitate aus zwei Briefen von Gustav Mahler aus dem Jahre 1909 an Alma Mahler, in denen es um die Einheimischen und vor allem um den Lärm geht, den die „muntern Berg- und Hausbewohner“ verursachen. Trojer betitelte diese Glosse mit Mahlers Ausruf Die Menschen machen einen Lärm!16 An den Brief angeschlossen erzählt Trojer von Mahlers Zeit in Toblach und schließt mit einer Anekdote von einem Klaviervertreter, der Mahler auch mit viel Lärm belästigt hatte – die Anekdote findet man ebenfalls in Alma Mahlers Erinnerungen. Erschienen ist diese Version der Glosse, die laut einer handschriftlichen Notiz Trojers am maschinschriftlichen Manuskript für eine Veröffentlichung am 23. Juli 1981 im Osttiroler Boten geplant war, nicht. Und so schließt sich von Bronnen und Weitlanbrunn über Mahler und Toblach der Kreis zu Prags. Die Linie

10 Notizbuch „19781103“, Eintrag undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M16. 11 Unveröffentlichtes Manuskript „bei ihr zählt (> tante moide mit 77 <)“ und weitere Gedichte, darunter „vogelleicht (> ausflug der firmlinge <)“, undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 1, M05. 12 Sammlung „Gustav Mahler-Woche“. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Sammlungen Kunst und Kultur, Kassette 35, M04 M05. 13 Sammlung „Südtirol / Option / G. Mahler“. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Sammlungen, Kassette 40, M04. 14 Die erste Auflage war bereits 1971 im Propyläen-Verlag

(Frankfurt a. Main, Wien u. a.), hrsg. von Donald Mitchell, erschienen. Trojer zitiert aber die Ausgabe aus dem Jahre 1978, erschienen im Ullstein-Verlag, ebenfalls Frankfurt a. Main, Wien u. a. 15 Johannes E. Trojer: Pustertaler Chronik. Gustav Mahler in Toblach. In: Osttiroler Bote, Nr. 28, 16. 7. 1981. 16 Manuskript „Pustertaler Chronik. Die Menschen machen einen Lärm!“. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 2, M15. Es handelt sich dabei um die Briefe vom 15. und 16. Juni 1909, die Mahler an Alma geschrieben hatte. Siehe: Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Hg. und erläutert von Henry-Louis de La Grange und Günther Weiß. Berlin 1995.

seinem Essay Pustertaler Pastorale, erschienen 1978 in der Südtiroler Zeitschrift Arunda, spielt Trojer auf eine Übernachtung Richard Strauss’ in Brixen und auf Ezra Pounds Südtiroler Jahre an, außerdem auf einen bekannten Wiener Künstler und Sommerfrischler im Südtiroler Pustertal, an den die heute noch alljährlich stattfindenden Musikwochen in Toblach erinnern, nämlich den Komponisten Gustav Mahler, der in den Sommern 1908 bis 1910 in seinem Komponierhäuschen in Toblach gearbeitet hatte. Trojer schreibt in der Pustertaler Pastorale recht lakonisch-ironisch: „Im konservierten Rest Altösterreichs werden die Kaiser Karl und Franz-Josef wie Brustkaramellen gehandelt. Die Paten pflegen den Firmlingen die gefährlichen Zinnen und den unergründlichen Pragser Wildsee zu zeigen. In den Mänoverruinen tropft es, die Tropfen werden gezählt, wenn sie aufschlagen. Wenn G. Mahler einen einzigen Ton für sein Lied von der Erde in Altprags fand, muß ihn ein verschreckter Bergfink verloren haben.“ Den hier erwähnten Topos vom Firmausflug zum Pragser Wildsee – in Osttiroler Familien tatsächlich weit verbreitet – verarbeitet Trojer übrigens auch in einem Gedicht:


rektor, als hätte er Schuld an der Bosheit der Menschen. Herr Johann sah der Karawane zu, wie sie in die Ferne zog. Er erinnerte sich dunkel, dass er dieses Bild nicht zum ersten Mal sah. Und die Traurigkeit, die er als Kind verspürt hatte, erfasste ihn nun wieder. Was der Zirkus Alois ihm

Herr Johann? Er ging und ging, so lange er konnte. Manchmal ertappte er sich dabei, dass ihm im Gehen die Augen zufielen, dann musste er sich

sammeln,

ging dann aber trotzdem weiter. Irgend-

angetan hatte war vergessen, war wie Rauch durch das

wann sackte er zusammen, schlief, träumte, vergaß, woher

Loch im Kopf in den Himmel gestiegen und schwamm nun

er gekommen war und ging in irgendeine Richtung weiter.

wie ein dünnes

Süpplein

am Horizont –

alles zog davon. Zurück blieb nur Herr Johann, der sich fragte, wo er war, der sich einsam fühlte und vergessen hatte, woher er eigentlich gekommen war. Und als wäre das nicht genug gewesen, begann es nun auch noch zu regnen. Doch das war eigentlich gut. Denn so sah niemand, wie der alte Herr Johann zu weinen begann.

Es ist eine eigenartige Sache mit dem Zuhause: Wenn man dort ist, weiß man es nicht zu schätzen. Man sieht jeden Tag denselben Garten, denselben

Zaun

. Erst wenn

man verreist ist, vermisst man es. Doch man kann sich nicht

Doch jedes Mal kam wieder das Gefühl zurück, dass er einen bestimmten Ort erreichen musste, dass seine Anwesenheit dort von Nöten war. Menschen mied er so gut es ging, er schlief unter Bäumen, er aß, was er fand, pflückte Beeren, sammelte selbst Würmer. Seine Kleider verdreckten und seine Haare wuchsen mit jedem Kilometer, den er zurücklegte. Er begann zu riechen. Wenn er nun auf Menschen traf, wichen sie ihm aus. Das konnte Herrn Johann nur recht sein. Während er ging, reihte er

scheinbar zusammenhanglos und unzusammenhängend Wörter, Begriffe, Satzteile und Beobachtungen wie folgende aneinander: „mit abgewinkeltem Arm, einem Bein, Kopf in den Handteller gelegt“, „S. Theobald“, „HAUPTHAUS GESCHLOSSEN BITTE WENDEN SIE SICH AN VILLA AMALIA“ . Diese Sätze wiederholte er immer wieder. Das gab seinem Gehen einen Rhythmus, es stieß aber auch die letzten Menschen ab, die

vorstellen, wie es ist, wenn man sein Zuhause ganz vergisst.

noch kurz darüber nachdachten, ob der alte Mann vielleicht

Es ist, als hätte es nie existiert. Man hat nur noch ein va-

Hilfe brauchte. Herr Johann kam ohnehin immer weniger an

ges Gefühl, dass es einmal einen Ort gab, den man geliebt

Menschen vorbei. Wo er nun ging, gab es fast keine Häuser

hat, doch man weiß nicht mehr, wo er war, wie er aussah und hieß. Herr Johann fühlte sich machtlos. Er verfluchte seinen Kopf, der alles verlor, was man ihm anvertraute. Er trat auf der Stelle, wollte irgendetwas unternehmen, doch wusste nicht was. Und weil ihm nichts einfallen wollte, ging

mehr. Dort war das Land flach und die Pflanzen duckten sich unter dem Wind weg, der Herrn Johann entgegenblies. Doch dieser ging tapfer weiter. Immer hoffend, dass er nun bald schon ankommen würde, wo auch immer das war.

er einfach los. Er verstand gar nicht wohin. Er peilte einfach einen Punkt an und stolperte darauf zu. Vielleicht war das

Und er wusste später nicht mehr, wann es angefangen hatte,

der Weg nach Hause. Vielleicht nicht. Was wusste schon ein

aber: Irgendwann fiel sogar Schnee.

116 / 117


gibt aber auch eine Forschungslinie in Trojers Arbeit vor, aus der zahlreiche Sammlungen und Materialbestände entstanden sind: das Osttirol und Südtirol verbindende Pustertal, an dem sich nicht nur Trojers disziplinübergreifendes Denken, sondern auch sein grenzübergreifendes deutlich zeigt. Zu diesem Thema publizierte Trojer mehrere Texte, wie seine vorhin erwähnten Glossen der Pustertaler Chronik, seine Texte Pustertaler Pastorale und Vom Süpplein, das auf Bergbeleuchtungsfeuern gekocht wurde, beide 1978/79 in der Nummer 7 der Südtiroler Literaturzeitschrift Arunda erschienen, oder sein Zeitungsartikel Eine gleichgültige Nachbarschaft, eine Auftragsarbeit für die FF-Südtiroler Illustrierte 1985.17 Besonders interessiert haben ihn dabei das Verhältnis und die gegenseitige Wahrnehmung zwischen Ost- und Südtiroler Pustertal(ern). Seine persönlichen Kontakte zu Südtirolern, die sich ab den 1980er Jahren in einem intensiven Briefwechsel mit Künstlern, Wissenschaftlern und Intellektuellen wie Siegfried Höllrigl, Gunther Waibl, Leopold Steurer, Hans Wielander oder Norbert C. Kaser zeigen, datiert Trojer in einem Brief mit 1976. Er schreibt in dem Brief über sein Verständnis der Grenzregion Pustertal folgendermaßen: Natürlich ist auch wieder „über den Zaun“ ins südtirolische Pustertal geschaut. Selber habe ich erst seit fünf Jahren mit Leuten im italienischen Tirol persönliche Bekanntschaft. Von selber hat sich das nicht ergeben. Ich hab bewußt Kontakte aufgenommen und pflege sie absichtlich. Dabei bin ich durchaus kein Tiroler Vereinigungs- und Grenzbereinigungschauvinist. Es geht mir um kulturelle Grenzüberschreitungen, und an der Salurner Klause hört mir die Welt nicht auf. Zuweilen war ich benommen zu sehen, wie wenig Südtiroler von Österreich wissen und halten.18 Der Grund, warum Trojer im Mai 1981, als er diesen Brief verfasste, „über den Zaun“ ins Pustertal geschaut hat, könnte seine Arbeit an der „badlsache in prags“ gewesen sein, denn gut zwei Wochen vor diesem Brief hatte er Markus Wilhelm von diesem Projekt erzählt.

17 Alle genannten Texte sind in Band 1 der Edition abgedruckt, lediglich der Text Eine gleichgültige Nachbarschaft findet sich in Band 2. 18 Brief von JT an Josef Dapra, 10. 05. 1981. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Korrespondenzen, Kassette 9, M08.

Und bereits im Februar 1981 schrieb er an den Historiker und Journalisten Gunther Waibl, mit dem er 1980 die Nummer 8 der Kulturzeitschrift Föhn zum Thema „Außenseiter“ redigiert und dem er den Prags-Essay zugesagt hatte: „zum pragser wildbad alias ‚pad brobis‘ sammle ich vorderhand stichwörter als zündstoff, ich muß mich da ganz kurgastlich einstimmen, um die fanes-geister raunen zu spüren“.19 Doch finden sich diese Stichwörter, von denen Trojer gegenüber Waibl und Wilhelm spricht, in einem der Journale aus der ersten Jahreshälfte 1981? Auf den ersten Blick lassen sich von den Notizen der Journale keine Verbindungen zu Prags herstellen. Zwar kehrt eine in ähnlicher Form für den „Kulturfilm Pustertal“ 1978 bereits notierte Assoziation „Bronnen / KZHäftlinge / Mahler / Lungensüchtige“ bereits zu Beginn des Journals im Februar 1981 wieder, doch der Name Prags taucht in diesem Journal nicht auf. Es reihen sich scheinbar zusammenhanglos und unzusammenhängend Wörter, Begriffe, Satzteile und Beobachtungen wie folgende aneinander: „mit abgewinkeltem Arm, einem Bein, Kopf in den Handteller gelegt“, „S. Theobald“, „HAUPTHAUS GESCHLOSSEN BITTE WENDEN SIE SICH AN VILLA AMALIA“ oder folgender Absatz, der von Trojer durchgestrichen wurde, was oft darauf hinweist, dass er einen solchen Text anderweitig verwertet hat: Marterlmalerei: die blaue Wasserschlange, die das Unglücksopfer verschlang, der galoppierende Steinschlag, der es traf, die Krammlahne, die es preßte, der fallende Baum, der es fällte, der zackige Blitz, der es zu Boden streckte, sachkundige Grausamkeit, wo kindl. Freude, die lockenden Fortpflanzungsapparate der Pflanzen wurden fraulicher Vorliebe vorbehalten, Männer taten sich Mannliches an den Hut, hinter das Hutband, den Gamsbart, das Edelweiß 20 All diese Eintragungen ergeben ohne Verbindung zum Nachlass, zu Sammlungen und Notizen Trojers oder Hintergrundinformationen keinen Sinn, selbst einzelne Wörter erschließen sich ohne den Kontext nicht.

19 Brief von JT an Gunther [Waibl], 06. 02. 1981. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Korrespondenzen, Kassette 19, M25. 20 Notizbuch „Feber 1981“, Eintrag undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M38.


Je weiter wir Herrn Johann

froren die Träume des Herrn Johann ein und landeten weich neben ihm, frisch gefallen wie der Schnee.

folgen , umso mehr können wir uns fragen, warum er nicht einmal jetzt den Kurs änderte und umkehrte. Doch es ging schon lange nicht mehr um das

Als Herr Johann am Morgen die Augen öffnete, sah er um sich ein

wunderbares

Sammel-

surium aus gefrorenen Kopfbildern. Da waren Bücher aus

Ziel. Er ging, weil er gehen musste. Und wenn es schneite,

Frost, Eulen aus Eis, da funkelten kristallene Mosaike. Das

konnte man das auch nicht ändern. Selbst als die Flocken

Licht blendete Herrn Johann. Wie immer hatte er alles ver-

so groß wurden, dass sie fliegenden Polstern glichen, ruhte er sich nicht aus. Als er nur noch mühevoll stapfen konnte,

gessen, was er geträumt hatte. Doch diesmal konnte er die Spuren seiner eigenen Vergesslichkeit vor sich im Schnee bewundern. Das nahm ihm die Angst vor dem Vergessen

ging er eben mühevoll. Er ging, wie er es auf seiner Reise

und beruhigte ihn. Während er überall sonst sein Gedan-

gewohnt geworden war: so lange, bis sein Körper irgend-

kengut verlor, schien dies ein Platz zu sein, der ihm beim

wann von selbst die Bremse zog und einfach vornüberkippte, zusammenbrach und einschlief.

Nacht

In dieser

Erinnern helfen wollte. Und Herr Johann begriff, dass er nicht mehr gehen musste. Denn was ist ein Zuhause, wenn nicht der Ort, an dem man Erinnerungen aufbewahrt.

träumte Herr Johann sehr wirr:

Jemand hatte in seinem Schädel eine Bibliothek eingerich-

Und Herr Johann lächelte. Und er legte das

Haupt in den Schnee, wie in einen Polster,

Manuskriptse ohne

tet und lagerte nun

Titel oder Überschrift darin. Die Seiten saßen auf Regalen, flatterten mit den Blättern wie Eulen, hoben hin und wieder ab, flogen los und verloren im Flug einige Buchstaben, die man lesen konnte. Namenlose

Theaterstücke

führten die Eulen

Sage

auf, erzählten die vomThurntaler

er spürte seine Finger nicht mehr, aber das war egal, denn er

Urban

oder dachten sich neue Ge-

schichten aus, zusammengesetzt aus Wortfetzen,

Zeitungsausschnitten

und

Figuren aus fremden Geschichten. Diese traumhafte Bibliothek stieg wie gewohnt in das

fühlte sich warm unter seiner Decke aus Eis. Und so schlief

Schneegestöber hinauf, das rund um Herrn Johann tobte. Doch diesmal verloren sich die geträumten Geschichten des Herrn Johann nicht einfach im Himmel. Stattdessen blieben sie diesmal im Schnee stecken. Die Kälte hielt sie zurück, sagte zu den Träumen: „Bleibt noch kurz!“ Und so

118 / 119

er gleich wieder sehr friedlich ein, so als hätte Herr


Im folgenden Journal ab März 1981 wird allerdings in einer Auflistung von Dingen, die zu erledigen sind, eine Fahrt nach Prags ohne Datumsangabe erwähnt.21 Direkt auf diese Liste folgen – wiederum nicht entschlüsselbare – Notizen wie „Die bunte Warenwelt – zu wahren Welt“ oder „1 Scharnierproblem“. Im Juni 1981 berichtet Trojer schließlich von einer Fotoausstellung von Paolo Biadene und Roberto Amplatz, in der „Hunderte Fotos + [?] Altprags!“ gezeigt wurden. Als Veranstaltungsort nennt Trojer aber ohne genauere Angabe nur „in der Alten Turnhalle“.22 Dabei wird es sich um die Ausstellung im Sommer 1981 der Alten Turnhalle in Bruneck gehandelt haben, die eine „Dokumentation über die Pustertaler Heilbäder, im besonderen über Bad Altprags“ zeigte.23 Stand diese Ausstellung in irgendeinem Zusammenhang mit Trojers Auftragsarbeit zu Prags für Gunther Waibl? Weder in den Journalen noch in der Korrespondenz finden sich dazu Hinweise. Die Suche nach dem Prags-Essay in den Journalen 1981 führt also auch zu keinem Ergebnis. Schließlich – im Nachlass Trojer bei Karton 91 angelangt – könnte man ein unscheinbares Konvolut eines zehnseitigen maschinschriftlichen Manuskripts ohne Titel oder Überschrift und eines neunseitigen handschriftlichen Manuskripts beinahe übersehen. Es liegt inmitten von volkskundlichen Sammlungen, davor finden sich Hofgeschichten aus dem Villgratental, danach das Manuskript eines Theaterstücks, in dem vermutlich Trojer zusammen mit einigen Freunden die lokale Sage des Thurntaler Urban abgewandelt und modernisiert hat, anschließend gibt es ein umfangreiches Konvolut mit Rezensionen, Zeitungsausschnitten, Manuskripten von mehreren Beiträgern für den Thurntaler, Veranstaltungshinweise, Folder und Postwurfsendungen zu allen möglichen Themen, Typoskripte von Glossen für die von Trojer für den Osttiroler Boten verfasste Pustertaler Chronik, Abschriften von Tagebüchern aus dem 19. Jahrhundert, ein Stellungsinventar des Widum in Obertilliach 1727 und vieles andere mehr. Das ma-

schinschriftliche Konvolut trägt keinen Titel, lediglich am Ende der ersten Seite des handschriftlichen Konvoluts stößt man auf die handschriftliche Notiz: „Prags 1 Essay“.24

21 Notizbuch „ab März 1981“, Eintrag undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M39. 22 Notizbuch „Juni 1981“, Eintrag undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Lebensdokumente, Kassette 26, M43. 23 Siehe dazu den kurzen Artikel: O. N.: Fotoausstellungen in Bruneck. In: Osttiroler Bote, Nr. 28, 16. 7. 1981, 19. 24 Unveröffentlichtes Manuskript und Typoskript „Prags. Ein Essay“, [ca. 1981]. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 2, M07. Die beiden erhaltenen Versionen unterscheiden sich nur

geringfügig voneinander, einzelne Sätze bzw. Satzteile wurden weggelassen. Entscheidend verändert haben sich aber Anfang und Ende, der erste Absatz der handschriftlichen Version wurde zum letzten Absatz der maschinschriftlichen und der erste Absatz der maschinschriftlichen findet sich in der handschriftlichen am Ende der dritten Seite. 25 „Das Kirchlein von St. Theobald / Ave Maria leise flötet;“ Hermann von Gilm: Der Hirschbrunnen zu Altprags. In: Hermann von Gilm: Gedichte. Innsbruck 1902, 189–191, hier 189.

Der Essay stellt somit ein wunderbares Beispiel für Trojers interdisziplinäre Arbeitsweise in doppelter Hinsicht dar: durch seine Lage zwischen den volkskundlichen Sammlungen und durch die Interdisziplinarität, die in den darin behandelten Themen zum Ausdruck kommt. Nur so und im Kontext des gesamten Nachlasses erklärt sich, warum ein literarischer Essay in einen volkskundlichen Kontext gebracht wird. Und bei der Lektüre des Essays entschlüsseln sich auch die vorher beschriebenen Notizen aus den Journalen vom Feber und März 1981. Sämtliche Passagen aus dem Journal Feber 1981 waren nämlich Vorarbeiten zum Prags-Essay und finden sich teilweise direkt übernommen oder nur leicht abgewandelt in dem Manuskript wieder. So werden einzelne Begriffe auch verständlich: In der Villa Amalia erkennt man nun ein Hotel in Prags. „Haupthaus geschlossen“ steht als Zwischenüberschrift bzw. Abtrennung zwischen den zwei Absätzen der zweiten Seite des handschriftlichen Manuskripts. Der Absatz mit der Marterl-Malerei ist fast unverändert im Essay übernommen, ebenso die oben genannten Notizen „Die bunte Warenwelt – zu wahren Welt“ oder „1 Scharnierproblem“. Und St. Theobald entpuppt sich als Kirchlein des Hl. Theobald, dem Kontext ist zu entnehmen, dass sich dieses Kirchlein in der Nähe des Bades befinden muss. Einen Beleg dafür findet man aber erst durch Recherche über den Essay und den Nachlass hinaus, nämlich bei Hermann von Gilm, dessen Gedicht über den Hirschbrunnen in Altprags Trojer gekannt hat, erwähnt er doch später im Essay Gilm neben Arnolt Bronnen und Paula Gonzaga von Mantua als einen der „Indikatoren des Hirschbrunnens“, in denen er „nachgeblättert“ hat.25 Auch folgende Passage stammt in ihrer ursprünglichen Form aus


Nun könnte man meinen, dass man diese Farben Johannislichter nennen müsste. Doch leider ist die

Johann

nur kurz den Wecker gehört

und sich dann wieder umgedreht.

Geschichte

des Herrn Johann

nur wenigen Menschen bekannt. Darum hat man einen fantasielosen Namen gewählt. Man nennt diese Himmelsfarben „Nordlicht“, und niemand weiß, dass die Wahrheit eigentlich anders aussieht. Hier hat das Vergessen Herrn Johann noch

Manchmal ist die

ein letztes Mal einen Streich gespielt. Niemand erinnert sich

Decke so gemütlich, dass man ewig weiterschlafen möch-

geträumt und damit gleich wieder vergessen. (A. S.)

an ihn. Es ist beinahe so, als hätte er die eigene Geschichte

te. Darum ist er nicht mehr aufgewacht, der Herr Johann. Doch er hat noch lange weitergeträumt: von blonden Haaren, von Eulen und sogar von seiner Hütte im Wald. Und jeder seiner Träume ist hinaufgestiegen, gefroren und wieder auf ihn zurückgefallen. Und selbst als keine Erinnerungen mehr übrig waren, hat sein Kopf keine Ruhe gegeben, hat einfach Farben produziert, die wärmsten, die er hatte, denn das braucht man im Schnee. Mit der Zeit hat sich ein ganzer Gletscher aus bunten Erinnerungen über Herrn Johann gebildet. Falls irgendwann jemand behaupten sollte, dort oben im Norden wär’ nichts außer Schnee, Wind und Ödnis ,dann kann man Herrn Johanns Geschichte erzählen und stolz auf den prächtigen Gletscher verweisen. Und wenn man Glück hat, ist es einer jener Tage, an denen die Sonne gerade stark genug war, um das Eis ein wenig anzuschmelzen, oder es ist irgendwo in der Nähe ein Vulkan ausgebrochen, der das sogar noch schneller erledigt. Dann sollte man unbedingt noch bleiben und den Einbruch der Nacht abwarten. Denn in diesen Nächten steigen die geschmolzenen Träume Herrn Johanns in den Himmel und die Farben fliegen dicht an den Sternen vorbei.

120 / 121


dem Journal. „Ein abgewinkeltes Bein, den aufgestützten einen Arm spitz im Ellbogen, in den Handteller gelegtes Haupt. Johannis des Täufers in den Gründen von Gomiod liegend, verfestigt sich der Boden unter dem Boden.“ Hier wird klar, worauf sich die Beschreibung der Körperhaltung bezieht, nämlich auf eine Darstellung von Johannes dem Täufer. Aber: Welche Darstellung genau gemeint ist oder wo sie sich befindet – in der Pfarrkirche des nahe gelegenen Toblach gibt es ein Deckengemälde des Johannes – wird nicht klar. Hier zeigt sich aber, dass durch das Entschlüsseln einzelner Passagen als Vorarbeiten nicht zwangsläufig der Sinn bzw. die Aussage dahinter klar wird. An diesen Beispielen wird eines der bezeichnenden Charakteristika des Prags-Essays wie auch anderer literarischer Texte Trojers deutlich: Der Essay ist nicht „leseläufig“26, es ist ein vielfältiger Text, der sich inhaltlich aus unterschiedlichen, nicht immer nachvollziehbaren und meist ungenannten Quellen – volkskundlichen, historischen, geografischen und gesellschaftspolitischen – speist. Fehlt das Wissen um diese Quellen und Hintergründe, bleibt vieles unverständlich und hermetisch. Verstärkt wird dies dadurch, dass die inhaltliche Verschränktheit sich in einer komplexen sprachlichen Struktur widerspiegelt. Wie Trojer sich dem Prags-Thema sprachlich zu nähern versucht hat, formuliert er fast programmatisch zu Beginn des Essays: Die einen versuchen, mit Umgehungen mit den Lieferanten der Sinnenödnis in den Einschichten zu Rande zu kommen. Ich versuche dasselbe in Annäherungen mit der Sprache vom Reden über die Sachen in ihren Umständen. Nun ist das Reden in der Sprache, die den Sachen umständlich eignet, in Konventionen weit verfahren, so daß alle Sprechweisen die Natur der Sachen eigentlich zudeckt. […] Andererseits gilt es mir, den ungeheuren Etikettenschwindel zu zerreißen, der die letzten klarsichtigen Einschlüsse verpickt. Dabei bediene ich mich einer unerlaubten Zeichensprache, die fürs erste durch ihre Unverständlichkeit irritieren soll.

Der Essay verbindet und vermischt verschiedene Stilschichten, objektiv-sachliche Faktenwiedergabe zu Landschaft, Topografie, Geschichte und Überlieferung wechselt unvermutet mit assoziativ-poetischen Passagen, die wiederum unterbrochen werden von metasprachlichen Einfügungen und persönlichen Kommentaren zur Methode und zum Schreiben, auf die dann wieder nüchterne Beobachtungen und Beschreibungen des Tagesablaufs und der Zustände in Bad Prags folgen. Ein weiteres besonderes Kennzeichen des PragsEssays, das in den anderen Pustertal-Texten und in literarischen Arbeiten Trojers immer wieder begegnet, ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, das In-Beziehung-Setzen der Gegenwart mit der Vergangenheit, um gegenwärtige Verhältnisse erklären, einschätzen, verstehen und gleichzeitig kritisch hinterfragen zu können. Ist doch der Ausgangspunkt bezeichnenderweise ein Heilbad, das zur Entstehungszeit des Essays geschlossen, verwaist und verfallen war. Wie sich die Ortschaft Prags mit dem Heilbad und den Hotels, in weiterer Folge das gesamte Pustertal zu Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem beliebten Sommerfrischeziel für Politiker, Künstler und Intellektuelle aus dem gesamten Gebiet der k.u.k.-Monarchie entwickelt hatte27, welche Rolle dabei gesellschaftspolitische Hintergründe gespielt haben, wie die politischen Verhältnisse Leben und Alltag der Menschen im Pustertal beeinflusst haben, wie diese mit Traditionen und Neuerungen umgegangen sind und umgehen, all das wird im Prags-Essay mitreflektiert. Trojer evoziert die Erinnerung an die Blütezeiten des Heilbades und verknüpft dies mit aktuellen Zuständen in der Gegenwart: Fremdenverkehr und bäuerliche Welt, Werbeslogans und Dialekt, unberührte Natur und Zerstörung der Landschaft, Religion und Aberglaube. Mit feinen, tiefsinnigen Beobachtungen zeichnet Trojer in wenigen Strichen, oft bewusst mit den Verfahrensweisen der Verkürzung und Reduktion operierend, seine hintergründige Kritik auch an gegenwärtigen Verhältnissen. Die verschiedenen Zeitebenen werden zusammengeführt und übereinandergelegt, die fragmentarischen, oft lose aneinandergereihten Ein-

26 „wie kann man überhaupt heute noch einfach noch leseläufig erzählen, ich hab da die größten vorbehalte“. Brief von JT an Markus Wilhelm, 11. 10. 1980. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Korrespondenzen, Kassette 20, M01. 27 Stark abhängig war dies vom Bau der Bahnstrecke. Vgl. dazu

u. a. den unveröffentlichter Essay Trojers: Unveröffentlichtes Typoskript „Die höchste Eisenbahn. eine volks- und sprachkundliche Ermittlung, veranlasst durch das 100-Jahr-Jubiläum der Pustertalbahn 1971“, undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 7, M18.


(nicht) leicht

schlüsseln

zu ent-

– Wie Jankovski ein Zeichen (nicht) setzte Auch die

realen Wirklichkeiten

fertiges, in sich abgeschlossenes Er-

kein

entstehen nur durch Begrenzungen. Was aber, wenn diese

zeugnis, dem wir hier begegnen. Dieses Leerzeichen lässt

Grenzen

uns Weite_(r) suchen. Es zeigt, dass unsere Sinnsuche erst

sprengt? Ganz bewusst

in einen Abgrund tauchen muss, um an den Boden der Tat-

wegfallen? Wenn der Sinn die

eines „klassischen Essays“

überschritt Jankovski diese Grenzen in dem

Essay „ra-

sachen zu rühren. Teil und

Ganzes

sende erwartung“. Er begnügt sich nicht damit, den Text mit einem Punkt zu beschließen. Nein, hinter dem letzten Satzzeichen folgt noch ein weiteres Zeichen, das für den Leser durch seine Materie gewordene Immaterialität die besondere Dichte dieses Aufsatzes noch weiter verfestigt: Jankovski setzte ein Leerzeichen. Und trotzdem war wohl

korrespon-

noch nie ein Zeichen voller. Es

diert

eindrucksvoll mit dem Thema des Textes und lässt

sind selbst nur Produkte

eines Verknüpfungsprozesses, v om

Allgemeinen zum Einzelnen gelangen wir nur, in-

dem wir die Tangenten unserer Wahrnehmung in die Unendlichkeit verlängern, wo sie sich schließlich im „rasend Erwarteten“ treffen. Lakonisch formuliert ist die Leere hier

die Tragweite des Artikels beinahe explodieren. Man ist

die Lehrstelle. Denn sie nimmt all diese Reflexionen in sich

versucht, einen Helvetismus zu bemühen: Das Leerzeichen

auf, vereint sie und komplettiert auf diese Weise erst Jan-

ist dem Eidgenossen auch ein Leerschlag. Und mit ebensolchem Nachdruck zaubert auch dieses Leerzeichen das Sahnehäubchen auf einen parfait-en Essay. Dass das Leerzeichen gedruckt nicht zu sehen ist, schmälert nicht seine Bedeutung für Jankovskis

Arbeitsweise . Denn das so zwischen An- und Abwesenheit, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit oszillierende Leerzeichen verweist auf

ebenso Interessantes, das im Blickfeld des Essays

kovskis Text, den Text des Lesers, jeden Text. Natürlich ist er nicht der erste, der diese Denk- in seine

Arbeitsweise

wusstsein um diese Tradition ist Jankovskis anwesend abwesendem Leerzeichen inhärent. Augenblicklich denken wir an die virtuose Verwendung des Spatiums in den Essays Pasolinis, Sontags oder Lacans, wo sich ebenfalls alle

Kreis- und Suchbewegungen

eben nicht sichtbar steht, aber durch seine die Unfertigkeit

Grundstein Texte .legt, auf die im Text durch ihre und Abfür neue Dasdie Stichwörter Aufsammeln Zusammensuchen, wie es Trojer im eingangs zitierten wesenheit anwesenden Bedeutungen verweisen. Mit einem Brief an Wilhelm als seine grundlegende Arbeitsweise jedes Textes betonende Unsichtbarkeit den

einzigen, noch dazu üblicherweise völlig desemantisierten

aufnimmt. Doch auch das Be-

im

Leerzeichen fokalisierten. Jankovski findet zu dieser Tra-

unvoreingenommen-spielerischen, un, indem er die Stellung konventionell-freien Zugang dition einen

des Leerzeichens neu interpretiert: Durch seine Positionie-

und nicht einmal sichtbaren Zeichen gelingt es Jankovski, nicht weniger als unsere grundsätzlichen Vorstellungen vom Charakter eines Kunstwerkes zu hinterfragen. Das Leerzeichen sagt uns, dass jeder entstanden sein Essay gar nicht so muss , wie er letzendlich entstanden ist, dass der Essay dadurch, dass er irgendetwas sagt, sehr viel anderes nicht sagt, ausschließt. Mit einem Befreiungs-Leerschlag zertrümmert Jankovski also unsere Erwartungen an einen Text . Es ist eben

122 / 123

rung am Schluss seines Essays verschiebt er erstens diesen Schluss über die Textgrenze hinaus und hebt damit zweitens den vorläufigen Schlussstrich, den seine Leerzeichenverwendung sonst unter die Tradition des Leerzeichen-Verwendens ziehen würde, wiederum auf und suspendiert damit eine voreilige Festschreibung! Genau deshalb kann auch dieser Kommentar an seinem eigenen Schluss nur

Hinweise geben. Nur vorläufig sei darum gesagt: Weniger ist leer. Alles ist nichts. ( A. S. & M. F.)


drücke und Beobachtungen sind nicht leicht zu entschlüsseln, weil sie, so fiktiv und artifiziell sie vielleicht manchmal scheinen, gerade auf realen Wirklichkeiten oder auf volkskundlichen und historischen Zusammenhängen und Hintergründen gründen. Die Grenzen eines „klassischen Essays“ hat Trojer wohl auch bewusst überschritten – einmal mehr, da der Essay wohl noch im Entstehungsstadium war, war er doch noch um vieles länger als ungefähr eine Seite, wie von Waibl verlangt. Nach den Briefen 1981 brechen die Notizen und Erwähnungen zu Prags ab. Ob Trojer selbst das Projekt nicht zu Ende führen wollte, ob äußere Umstände eine weitere Arbeit daran verhindert haben, dazu finden sich keine Hinweise. Mit Gunther Waibl korrespondiert er auch nach 1981 noch regelmäßig, der PragsEssay wird aber in keinem Brief mehr erwähnt und auch im Folder zur Fotoausstellung Altprags 1981 ist er nicht publiziert worden.28 In einer Mappe von Konzepten für den Thurntaler taucht allerdings der Begriff Prags nochmals auf. Trojer notiert auf einem Zettel „1. J. Trojer PRAGS“29, womit er eine Publikation des Essays im Thurntaler angedacht haben könnte, zu der es aber auch nie gekommen ist. Dass der Essay nicht veröffentlicht wurde, tut ihm als Beispiel, an dem sich Trojers Arbeitsweise besonders gut zeigen lässt, keinen Abbruch. Zahlreiche der beinahe unzähligen Projekte Trojers mussten – teils aus Zeitmangel, teils weil sich Neues, noch oder mindestens ebenso Interessantes in sein Blickfeld geschoben hatte – unfertig bleiben. Oft bildeten gerade solche unfertigen Projekte und Arbeiten wieder den Grundstein für neue Arbeiten. Das Stichwörter Aufsammeln und Zusammensuchen, wie es Trojer im eingangs zitierten Brief an Wilhelm als seine grundlegende Arbeitsweise

beim Prags-Essay angeführt hat, war also auch das Essentielle für weitere Arbeiten – es war seine Arbeit. „[…] mehr als ein fertiges, in sich abgeschlossenes Erzeugnis, ist der Beitrag ein noch im Gange stehender Prozess; […] Vollkommenheitsansprüche zu erheben sei abseits von uns. Uns geht es eher um die Aufzeichnung der Zusammenhänge verschiedener Teilbereiche zueinander und zum Ganzen, als um die Ausführung der einzelnen Teilbereiche selber. Vom Allgemeinen zum Einzelnen und umgekehrt sei der Weg.“ Dieses Zitat stammt nicht Trojer, sondern von Roberto Amplatz, Paolo Biadene, Anna Maria Engl und Gunther Waibl, Namen, die eng mit Trojers Prags-Arbeit verbunden sind. Es stand im Vorwort zu einem Konvolut, das gar nicht weit entfernt vom Prags-Essay im Nachlass Trojer liegt und das für ihn eine wichtige Quelle bei seiner Arbeit am Prags-Essay gewesen sein mag. Das geschlossene, 42 Seiten zählende Konvolut ist bereits mit Dezember 1978 datiert.30 „Vom Allgemeinen zum Einzelnen und umgekehrt sei der Weg“ – diese Aussage trifft ziemlich genau Trojers Denk- und Arbeitsweise, auch und vor allem bei der Arbeit am Prags-Thema: Vom Allgemeinen – Südtirol und seine gesellschaftspolitische Situation vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen und in Beziehung zu Ost- und Nordtirol – zum Einzelnen – dem exemplarischen Fall Bad Prags in einem Seitental des Südtiroler Pustertals – und davon ausgehend wieder umgekehrt. Eine solche Kreis- und Suchbewegung verfolgte Trojer in fast allen seinen Arbeiten und dies meist in einem ganz unvoreingenommen-spielerischen, unkonventionell-freien Zugang, eben über den „schritt in bodenloses, das waten in der luft wie im traum“.

28 Dies bestätigte Gunther Waibl in einem Mail an die Verfasserin am 08. 01. 2010. 29 Hschr. Notiz, undatiert. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 4, M01. Aus den Datierungen auf der Rückseite lässt sich ableiten, dass die Notiz um bzw. nach 1983 entstanden sein muss. 30 Konvolut „‚Bad Altprags bei Niederndorf im Pusterthale.‘ (In einem Tal zwischen Vergangenheit und Zukunft) Überlegungen zu ‚T.‘“, Dez. 1978. Brenner-Archiv, Nachlass Trojer, Werke, Kassette 4, M04. Das Kürzel „T.“ steht für Tourismus. Ob der für eine Zeitschrift zusammengestellte siebenseitige Text samt Fotoserie tatsächlich in einer Zeitschrift erschienen ist, darüber geben weder Materialien im Konvolut noch im restlichen Nachlass Trojer Aufschluss. Der Textteil des Konvoluts stützt sich auf beigelegte

Quellentexte von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts, die am Schluss in einem Quellenverzeichnis angeführt werden, u. a. die Sage des Hirschbrunnens zur Entstehung des Bad Altprags in Die schönsten Südtiroler Sagen (1950) von Karl Paulin, der Aufsatz Die Entwicklung des Fremdenverkehrs vor 1914 von Hans Kramer, erschienen 1962 in der Zeitschrift Der Schlern, Der Pragser Wildsee von Josef Weingartner und Pustertaler Bäder im Jahre 1700 von Alfons Huber. Eine Statistik gibt schließlich Auskunft über Baujahr, Besitzer, Zustand, Bettenzahl, Auslastung und Angestellte der Hotels und Beherbergungsbetrieb, aber auch über Herkunft und Stand bzw. Beruf der Gäste. Im Konvolut gibt es keine Notizen bzw. Hinweise auf die Provenienz der Fotos, Quelle bzw. Besitzer oder Fotograf sind nirgends vermerkt.


Satzspiegel *

von Delugan Meissl Associated Architects

Das Gedankenspiel, eine ägyptische Pyramide auf den Kopf zu stellen, mag absurd oder auch „künstlerisch“ im schlechten Sinne anmuten, es kann aber auch zu der Frage verführen, welche Funktionen sich daraus ergäben. Dieser gewaltige steinerne Sonnenschirm, dem Klima durchaus angemessen, würde unter sich einen sozialen Raum eröffnen, der zwar zentriert, doch ohne betretbares Zentrum wäre. Noch immer wäre die Pyramide skulptural und sakral, ihr scheinbares Schweben geböte Ehrfurcht, gesteigert wäre der Schauder des Erhabenen, markanter wäre die Unwahrscheinlichkeit ihrer Erscheinung. Statisch wird man nur im ersten Moment ein solches Bauwerk für unmöglich halten, denn symmetrische Körper sind auf ihrer Spitze leicht in Balance zu halten. Wie würde es sich anfühlen, die Schattenzone unter der kopfstehenden Pyramide zu betreten und sich ihrem Auflagepunkt zu nähern? Es wäre mit Sicherheit eine verunsichernde Erfahrung und ein intensives Raumerlebnis, nicht nur kognitiv und ästhetisch, sondern geradezu auf einer psychophysischen Ebene. Das Gedankenspiel führt dazu, von dem, was die leibliche Dimension des Raumerlebens ist, eine klarere Vorstel124 / 125

lung zu gewinnen. Die Polaritäten des Sichweitens und Sichverengens, der Schwere und des Schwebens, des Ragens und Liegens, der Himmelsoffenheit und Bedrücktheit würden augenblicklich präsent. Alle Gewohnheiten der Wahrnehmung von Architektur verlören unter der kopfstehenden Pyramide ihre Orientierungskraft. Denn eine exakt 45° geneigte Fläche macht unentscheidbar, ob es sich dabei um eine „Wand“ oder ein „Dach“ handelt. Unser Gedankenspiel macht bewusst, wie schwer es ist, sich der jahrtausende alten Konvention dieser Unterscheidung zu entziehen und Raum jenseits des Schemas von Horizontal und Vertikal zu denken. Raum, der nicht aus Schachteln gestapelt ist. Bauen, das sich nicht den Grundriss zugrunde legt, darauf Räume auftürmt und eine vertikale Fassade davorhängt. Eine Architektur ohne Vorderseite und Rückseite, Türen und Fenster. Wie bei allem, was selbstverständlich wurde, bemerken wir nicht mehr die Konventionalität. Darin liegt die Hürde, von Grund auf neu an die Konzeption von Raum heran zu gehen. Obwohl es ja ältere Behausungsformen wie Höhle, Iglu und Zelt gab, die auch keine Unterscheidbarkeit von Wand und Dach aufwiesen.


*

— Nutzfläche auf der Seite eines Buches, einer Zeitschrift oder anderen Druckwerken; ein bedruckten Flächen zugrundeliegendes schematisches Ordnungssystem, das den Grundriss von Schrift, Bild und Fläche definiert. — Aufforderung, Sätze zu formulieren, die für die eigene Arbeit stehen und deren Grundgerüst bilden; das eigene Schaffen zu spiegeln und dabei die tagtäglich gebrauchten professionellen Ausdrucksmittel möglichst außer Acht zu lassen.

Wenn man aufhört, den Raum vom Rechteck aus zu denken, ist der 90° Winkel nur noch einer von unendlich vielen möglichen Winkeln, in denen sich nicht nur Volumen artikulieren lässt, sondern auch das Spektrum jener leiblichen Empfindungen, auf die wir gedanklich unter der verkehrten Pyramide gestoßen sind. Je nach Winkel wird eine Fläche dann beispielsweise zum größeren Teil als dachartig, zum kleineren Teil als wandartig wahrgenommen, wenn solche Metaphern überhaupt noch hereinspielen in die Erfahrung eines nicht rechteckigen Raums. Das geknickte flächige Band erlaubt es, anders zu segmentieren und anders zu verbinden, als es mit der Aufeinanderfolge von Schachteln möglich war. Die Freigabe der Winkel eröffnet eine Unendlichkeit feinster Differenzierungen des Erweitens und Verengens, Erhöhens und Verdichtens von Raum. Damit wird Raum artikulationsfähig, ein System von Differenzen, wird zum Medium und zur Sprache. Und zwar nicht nur zur Architektursprache im Sinne eines Stils, sondern im engsten und präzisesten Sinne: einer Sprache des Raums selber. Ziemlich genau vor hundert Jahren versuchte die Architektur einmal schon, sich vom rechten Winkel zu lösen,

im Prager Kubismus etwa oder auch in Deutschland mit der „Gläsernen Kette“, jenen Architekten um Bruno Taut, die gern phantastische Kristallpaläste auf die Spitze der Alpengipfel gestellt hätten. Beide Strömungen waren vom Naturphänomen des Kristalls inspiriert. Der Kristall jedoch hat seine physische Grundlage in der Ausbildung von Symmetrien. Löst man sich auch noch von der Symmetriepflicht, eröffnet sich die Möglichkeit, Raum jenseits aller Konventionen nur noch für das Funktionieren zu gestalten. Und zwar nicht etwa für das Funktionieren einfacher Entwurfs- und Bauführungsprozesse, sondern für das Funktionieren des menschlichen Erlebens, Bewegens, Interagierens und Handelns. Proportionen, traditionell zwischen Tragen und Lasten, Wand und Dach gesucht, vervielfältigen sich, sobald der Gesamtraum aus geometrischen Teilflächen aufgespannt ist, die alle in proportionalen Verhältnissen zueinander stehen. Die alte Unterscheidung zwischen „gerade“ und „schief“ kann nicht mehr getroffen werden. Nicht im rechten, im funktional richtigen Winkel bewegt sich dann jede Fläche, die Raum einräumt und konturiert.


Besetzung

Stefan Abermann, Innsbruck Innsbruck: Autor, Mitglied von „Text ohne Reiter“. Veröffentlichungen: „Hundestaffel“ (Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2011) sowie in div. Zeitschriften (Dum, Kolik, Lichtungen, The Gap) und in der Anthologie „Innsbruck liest!“, 2007; Ö-Slam-Sieger 2008; www.stefanabermann.org Delugan-Meissl: 1993 Gründung des Architekturbüros Delugan_ Meissl ZT GmbH [Elke Delugan_Meissl und Roman Delugan], 2004 Erweiterung des Büros zu Delugan Meissl Associated Architects [Partner: Dietmar Feistel, Martin Josst]. Elke DeluganMeissl, 1983–1987 Studium an der Technischen Universität Innsbruck, 1987 Diplom bei Prof. Othmar Barth. Seit 2010 Gastdozentin an der Hochschule für Angewandte Kunst, Wien. Roman Delugan, Studium an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Meisterklasse Prof. Wilhelm Holzbauer. 1984–1985 Mitarbeit am Forschungsprojekt „Architektur des 20. Jahrhunderts in Österreich“ bei Prof. Friedrich Achleitner. www.deluganmeissl.at Beate Ermacora, Wien Innsbruck: Direktorin Galerie im Taxispalais/Galerie des Landes Tirol. Studium: Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie an der Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck. 1986–1988 Kuratorin Galerie im Taxispalais. 1988–1993 freie Kuratorin und Autorin, Düsseldorf. 1993–2000 Kustodin der Gemälde- und Skulpturensammlung Kunsthalle zu Kiel. 2000– 2002 Kommissarische Direktorin Kunsthalle zu Kiel. 2002–2005 Stellvertretende Direktorin Kunstmuseen Krefeld. 2005–2009 Direktorin Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr. Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen zur Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, Schwerpunkt zeitgenössische Kunst. Barbara Frischmuth, Altaussee Altaussee: Schriftstellerin. 1968 erschien ihr erstes Werk „Die Klosterschule“ bei Suhrkamp. Seitdem publizierte sie Romane, Erzählungen, Dramen, Hörspiele und Übersetzungen. Zuletzt erschienen: „Die Kuh, der Bock, seine Geiß und ihr Liebhaber“, Berlin 2010, Aufbau-Verlag; „Traum der Literatur – Literatur des Traums“, Münchner Poetik-Vorlesungen, Wien 2009, Sonderzahl (= edition graz. 3.). Innsbruck: Autor, Mitglied von „Text ohne Martin Fritz, Rum Reiter“. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik; Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien; Auszeichnungen: 3. Preis der Landeshauptstadt Innsbruck für künstlerisches Schaffen 2008; Finalist des 16. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin 2008; FM4 Wortlaut Literaturpreis 2009; Rauriser Förderpreis 2010. assotsiationsklimbim. twoday.net München: Schriftsteller und Arzt. Daniel Grohn, Seattle/USA Studierte Medizin und Philosophie und arbeitet als Arzt in München. 2006 erschien sein Roman „Kind oder Zwerg“ (Deutsche Verlagsanstalt, München). Walter Grond, Mautern Aggsbach Dorf: Schriftsteller. Leitet die Europäische Plattform für Literatur readme.cc und organisiert die Europäischen Literaturtage in der Wachau. Zuletzt erschienen: Draußen in der Wachau (Hrsg.) 2011; Der gelbe Diwan, Roman 2009 (beide: Haymon Verlag, Innsbruck) Andreas Hapkemeyer, Osnabrück Bozen: 2000–2007 Leiter des Museion Bozen. 2007–2008 Koordinator der Manifesta 7. Heute Verantwortlicher der Forschungsabteilung im Museion. Dozent an den Universitäten Innsbruck und Bozen (Germanistik, 130 / 131

Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft). Mitglied des Vorstands der International Foundation Manifesta (Amsterdam). Zahlreiche Ausstellungen, u. a. mit Künstlern wie Hamish Fulton, Heinz Gappmayr, Matt Mullican, Maurizio Nannucci, Raymond Pettibon, Lawrence Weiner. Umfangreiche Publikationen (Ingeborg Bachmann, Friedrich Dürrenmatt, Language in Art, zum Verhältnis von Kunst und Werbung u. a.). In Vorbereitung ist eine Publikation über einige Aspekte des Verhältnisses zwischen Lyrik und Kunst seit 1945. Krista Hauser, Innsbruck Wien: Kulturjournalistin, Dokumentarfilmerin und Autorin. 1969–1972 Kulturkorrespondentin für die Tiroler Tageszeitung (TT) in Wien; 1972 Übernahme der redaktionellen Leitung von „horizont. Kulturbeilage der TT“; 1974–1982 Leiterin des Kulturressorts der TT; 1982–1984 Redakteurin im Aktuellen Dienst des ORF Landesstudio Tirol; 1984–2002 Kulturredakteurin beim ORF / TV in Wien; zahlreiche Dokumentationen und Porträts, u. a. über Karl Kraus, Elias Canetti, Erich Fried, H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Max Weiler, Günter Brus, Franz West und Gustav Klimt. Bücher über Hubert Prachensky, Ruth Drexel, Lore Maurer Arnold. Markus Koschuh, Innsbruck Innsbruck: Autor, Kolumnist, Moderator, Kabarettist, Mitglied von „Text ohne Reiter“. SoloProgramme: „LebensMittel.Punkt“ (2006), „Das Leben des Fritz“ (2008), „Unter uns gesagt“ (2010); Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien, DVD im Eigenverlag; Ö-Slam Sieger 2010 & Vize-Europameister im Poetry Slam 2010; www.derkoschuh.at Wien: Bildende Künstlerin. Studium an Sonia Leimer, Meran der Akademie der Bildenden Künste Wien. Ausstellungen u. a. im Kunstverein Basis Frankfurt, Bawag Foundation Contemporary Wien, Salzburger Kunstverein, Galerie im Taxispalais Innsbruck, Galerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Manifesta 7 / Rovereto. Sie erhielt das Schindler-Stipendium Los Angeles des MAK, das Margarete Schütte-Lihotzky-Stipendium und das Staatsstipendium für bildende Kunst. Macau London: Fotograf, Autor. Edgar Martins, Portugal Studium am Royal College of Art/London; Ausstellungen in Asien, Amerika, Europa; zahlreiche Preise für seine fotografische Arbeit. Ausstellungen u. a.: The National Media Museum (Bradford, UK); Dallas Museum of Art (Dallas, USA); The Calouste Gulbenkian Foundation (Lissabon). Sein erstes Buch „Black Holes & Other Inconsistencies“ wurde mit dem Thames & Hudson-Preis und dem RCA Society Book Art-Preis ausgezeichnet. 2010 zeigte das Centre Culturel Calouste Gulbenkian (Paris) Edgar Martins erste Retrospektive. 2009 bekam er den Terry O’Neil Award (UK) und er wurde mit dem renommierten BES Photo-Preis (Portugal) ausgezeichnet. Zuletzt: SONY World Photography Award (Kategorie: Landschaft); 1. Preis International Photography Awards (Kategorie: Fine Art Abstract). Martins wird auch bei der heurigen Biennale in Venedig vertreten sein, begleitet von der Veröffentlichung zweier neuer Monographien (herausgegeben von Dewi Lewis und The Moth House). Innsbruck: Mit seinem in Mils bei Hall Wolfgang Pöschl, Telfs i.T. angesiedelten Büro tatanka ideenvertriebsgmbh jüngst mit dem Österreichischen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet. Igls: Musiker und Journalist. Wolfgang Praxmarer, Innsbruck Studien in Innsbruck, bis 1991 Lehrer an einem Innsbrucker Gymnasium, 1991–2009 leitender Musikredakteur beim ORF.


Othmar Prenner, Vinschgau München: Bildender Künstler. Studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Prof. Asta Gröting. 2001 Arbeitsstipendium New York. Projekte: „Sag lächelnd good bye“ – Städtische Friedhofsverwaltung München, „Lebenslauf“ – Akademiegalerie München, „In Schottland“ – ECA/Edinburgh, „Mindesthöhe 2m“ – Reschenpass, „Jeder Tag ein Alltag“ – Galerie Museum Bozen, „Der Traum vom Paradies“ – Himmelfahrtskirche München, „Transportale“ – Museumsquartier Wien. Diverse Architektur- und Designprojekte. Robert Prosser, Alpbach Wien: Autor, Mitglied von „Text ohne Reiter“. Studium Komparatistik sowie Kultur- und Sozialanthropologie in Innsbruck und Wien. Veröffentlichungen: „Strom“ (Klever Verlag, 2009), „Feuerwerk“ (Klever Verlag, 2011); Beiträge für Zeitschriften, Anthologien, Rundfunk und Internet. Auszeichnungen u. a.: Aufenthaltsstipendium Schloss Wiepersdorf 2010; Österreichisches Staatsstipendium für Literatur 2010/2011; Literaturpreis Floriana 2010; www.robertprosser.at

London: Schriftsteller und Musiker, JourCyrus Shahrad, Iran nalist. Seine Kurzgeschichten wurden in einer Reihe von Magazinen veröffentlicht. Für den Wettbewerb „Novel In A Year“ des Daily Telegraph schrieb er 2007 „The Wide World“. Wenn er nicht schreibt, macht er iranisch beeinflusste elektronische Musik. www.facebook.com/hiatusmusic Ernst Trawöger, lebt und arbeitet in Innsbruck. Karl Unterfrauner, Meran Bozen: Bildender Künstler. Einzelausstellungen (Auswahl): Eurac tower, Bozen (2010), Galerie Andreas Höhne, München (2009), Galerie Johann Widauer, Innsbruck, (2008), AR/GE KUNST Galerie Museum, Bozen (2005) Sandra Unterweger, Lienz Innsbruck: bis 2010 wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv; Lehrtätigkeit und Erwachsenenbildung.

Quart Heft für Kultur Tirol

Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)1 740407814, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 19,– / SFr 31,90 · Einzelheft: € 13,– / SFr 22,50 (Preise inkl. MwSt., zuzügl. Versand) Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Stefan Abermann, , Delugan – Meissl, Beate Ermacora, Barbara Frischmuth, Martin Fritz, Daniel Grohn, Walter Grond, Andreas Hapkemeyer, Krista Hauser, Markus Koschuh, Sonia Leimer, Edgar Martins, Wolfgang Pöschl, Wolfgang Praxmarer, Othmar Prenner, Robert Prosser, Cyrus Shahrad, Ernst Trawöger, Karl Unterfrauner, Sandra Unterweger Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten – Inhalt und Konzeption: Text ohne Reiter, Layout-Konzept: Circus Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck–Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Neutral BP Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 88/89 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-85218-700-6 · © Haymon Verlag, Innsbruck–Wien 2011 · Alle Rechte vorbehalten.



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.