Quart Nr. 23

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Teresa Präauer als Papiertiger. Foto: Katharina Manojlovic, 2014

* Die linken Seiten dieser Ausgabe wurden von Teresa Präauer gestaltet.

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Inhalt Walter Niedermayr „Portrait 10“, 2012 / „Portrait 36“, 2012 Halotech Lichtfabrik Teresa Präauer* Inhaltsverzeichnis Fließtext Von Michael Köhlmeier Walter Niedermayr „Portrait 01“, 2012 Das wahre Gesicht Beate Ermacora zu Walter Niedermayrs neuester Werkgruppe „Portraits“ Walter Niedermayr „Portrait 20“, 2013 Brenner-Gespräch (10): „Wer hat schon Ahnung von Kunst?“ Der Koch und Kunstliebhaber Vincent Klink im Gespräch mit Thomas Wördehoff

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Walter Niedermayr „Portrait 08“, 2013

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„Licht ist eigentlich das Leben!“ Architekt Hanno Schlögl unterhält sich mit dem Lichtplaner und -forscher Christian Bartenbach

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Walter Niedermayr „Portrait 32“, 2012

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Diese gezackte Linie Landvermessung No. 4, Sequenz 4 Vom Gschnitztal nach Sterzing Von Linda Stift

80– 91

Walter Niedermayr „Portrait 14“, 2012 Tiroler Zukünfte Eine Polemik aus Empathie. Von Arno Ritter

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www.quart.at

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Korrespondenzen Emanuel Danesch und David Rych im zeichnerischen Austausch

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33–39

Notabene, ein Remake Erich Kästner undercover in Tirol Von Christoph W. Bauer

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Blind sehen Von Susanne Kircher-Liner

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Walter Niedermayr „Portrait 04“, 2013

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Ewig, ewig! Ein Bekenntnis von Hans Platzgumer

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Satzspiegel Von Christian Schubert

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Haymon Verlag Tiroler Architekten und Ingenieurkonsulenten

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Walter Niedermayr „Portrait 11“, 2012 Reine Maskerade Ortstermin: Mayrhofen. Von Christa Zöchling

Walter Niedermayr „Portrait 18“, 2012

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„Heimat ist alles“ Elisabeth Thaler und Alexander Kratzer über die Hintergründe eines Theaterprojekts 61– 67 Michael Kienzer Originalbeilage Nr. 23

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Besetzung, Impressum

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Fließtext*

Von Michael Köhlmeier

Diese Mensch wie Mir Von dem ist ncihts merh übrig. Den hats durch den wolf gedreht. Der ist unten. hackfleisch mit Flüssigem sozusagen. Und dann rinnt das ab wie ncihts. Durch den Boden. Dann regnets drauf. Das setzt sich in den Boden. Und auf einmal ist es Boden. Gras wächst drüber oder sonst grünes Zeug. Und weg ist es. so hat mans uns erzählt. wie ncihts. Der war der Vorfahrer gewesen, der Vorfahr, Tschuldigung. es tut mir leid, dass ich nicht schreiben kann, und einen angaschiert habe, der das kann, aber auch nicht gut. ich sag ihm, was er schreiben muss. Und sag ihm, dass er es schreiben muss, wie ich es will, und kein wort weniger oder mehr, weil er sonst die Gabel ins Ohr krigt. Das ist so ein spruch bei uns. in der Famely. Gabel ins Ohr. Kann man sich leicht vorstellen, was das weh tut. Der Vorfahr, ich habs ausgerechnet, der Urgroßvater war es von mir, auch nicht richtig, weiter hinter. Gibt’s da einen namen dafür? Dr Mensch halt. Mit dem hat die Mensch angefangen, die wir sind. Diese Mensch wie mir. was hat der gemacht? erstens war der ein Angeber. Der hat sachen erzählt, angeblich! hat grad reden können und sachen erzählt. Der hat nicht richtig reden, hat der nicht gekonnt, nein. Und hat erzählt. sagenhafte sachen. wär er so einer nicht gewesen, der ganze Berge in Kirchen und Paläste hinübergeredet hat, wie in einem Traum, den ich einmal hatte, wo aus einem Felsen hundert Meer hoch auf einmal eine Tür heraus gebrochen ist, dann die Trümmer gefallen sind, und dann war der Felsen eine Kirche, so hat es der Vorfahr gemacht, der der Urgroßvater oder wie war von mir, hätte er’s nicht so gemacht, dann würde keiner mehr seinen namen wissen heute, und ich müsste sachen erzählen, die keiner weiß, und das kann ich nicht so gut, und müsste ständig mich aufplustern, sonst würde es keiner glauben, das wäre anstrengend, ich würde es lassen. Und wer ihm nicht geglaubt hat, dem hat er das Messer ins Ohr gehauen. Von da kommt der Ausdruck. Aber er hats gemacht. ich bis jetzt nicht. Kann noch kommen. er schon, der. Bei ihm wars nicht ein Ausdruck, der nur geredet wird. hat denen, die ihm irgendwie gekommen sind, das Messer ins Ohr gehauen. war seine spezialität von dem. Man musste ihm nur irgendwie kommen. Und stecken lassen. stecken lassen hat er das Messer im Ohr von dem. Und verboten, dass es jemand herausnimmt. Das war ein Aff, ein Mann wie ein Aff. haare am rücken zu Beispiel. wenn der aus dem Pool heraus ist zum Beispiel, dann war das wie schlamm an seinem rücken. schwarzer schlamm. An dem ist das wasser abgeronnen. Und an der Brust und am Bauch auch.

Den schwanz hat man angeblich gar nicht gesehen, so viele haare. sackhaare bis zu den Knien. Und im Gesicht auch. einen schädel, ich sag dir, schreib das, einmal hat ihm einer das Beil in die stirn hauen wollen, ist nicht durchgekommen. Am ende hat man, nach dem Tod, mein ich, hat man seine Knochen gemahlen und mit Zement zusammen und wasser und eine Mauer gebaut und das Fleisch, das habe ich schon gesagt, durch den wolf gedreht und mit wasser verdünnt. schreib das genau so! Aber die haare erst abrasiert und in ein Kissen gestopft, von ganzen Körper die haare, das ist mein Kissen bis heut. riecht noch nach ihm. riecht nach warmen Keks und ein bisschen Fisch und verbranntem Gummi. hat mir der Papa geschenkt. ich brauch kein Argament. ich sags einfach, wies ist. Der Papa hats von seinem Papa geschenkt bekommen. Und so weiter. es gibt glaub ich keinen namen für den Vorfahr. wers in der Family kriegt, das Kissen nämlich, ist der wichtigste. Da gibt es keine genaue Bezeichnung dafür. Braucht es auch nicht. ¶ Und bei dem fang ich an. Bei dem Aff. Das dürft ich nicht laut sagen in der Family. Aber jeder in der Family denkt sich das Gleiche, wenn er das Foto anschaut, wie der Vorfahr, der Aff eben, wie der am Tisch sitzt und eine Zigarre in der hand und vor sich einen Konjak und einen Kaffee, was ein gestelltes Foto ist, er hat gedacht, das ist ein vornehmer Mensch so einer, der einen Konjak vor sich hat und eine Zigarre und einen Kaffee und dabei schaut, als würde er denken. hat er nicht. Der hat nie gedacht. Der hat auch nie ein Argament nötig gehabt. Aber einen smoking hat er sich angezogen für dieses Foto. wer von uns in der Famely das Kissen hat, braucht kein Argament. Das sagt man bei uns. ist aber etwas Lustiges. weil so viel wissen wir dann schon, ich meine ich weiß so viel, dass das ein falsches wort ist. ein Beispiel, in dem auch der smoking vorkommt, erzähl ich jetzt, der smoking vom Vorfahr, weil sonst nicht klar ist, warum der smoking auf dem Foto ist, also: Der Aff. Der herr Mondsteiger. so hat er nicht geheißen. Geheißen hat er blöd. so wie er geheißen hat, war der nicht, der Aff. so harmlos. wie ein hosenscheißer. ein name wie ein hosenscheißer. Mir haben den namen nicht mehr. Manchmal oder einmal hat einer zu ihm gesagt, er soll doch den richtigen namen sagen, dann denkt sich der Feind, das ist ein hosenscheißer, und nimmt nicht die große waffe mit, sondern gar keine, und dann soll er auf ihn draufhauen mit dem schläger, bis alles eben ist und keiner mehr weiß, wo Arsch und Gesicht hingehören. Das hat er abgelehnt. Auf jeden Fall: Kommen wir zum smoking. ich glaub fast, dass mit dem smoking alles anfängt. ein paar sachen schon. er war einmal eingeladen bei den Adlern. Der Aff. ist wahr. ich hau dir nicht das Messer ins


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Ohr, wenn dus nichts glaubst. sag, du glaubst es nichts. sag einfach, du glaubst es nichts. ich tu nichts. schau, wo ich die hände habe. ich könnt die wolken melken. Die Adler, das weiß ich schon, die hätten einen von uns nie eingeladen, drum glaubst dus ja auch nichts, die haben uns gar nicht angeschaut, lieber die Augen herausgenommen und im hosensack vergraben und haut drüber wachsen lassen, als uns anschauen, die eingebildeten die, die eingebildeten rohfleischfresser. Kommt noch, kommt noch! weil aber der Vorfahr, der Aff, der herr Mondsteiger, in unserem Acker, in unserer straße, meine ich, Acker drum, weil alles, was weib ist, hat er gevögelt in der straße, samen aussäen, das war seines, darum Acker, also, weil er in unserem Acker herumerzählt hat, als er einmal wieder weg war vom Fenster so zwei wochen lang, dass er bei den Adlern gewesen war, das hat er erzählt, der Angeber. hat ihm logisch niemand geglaubt. Aber er hat niemand Messer ins Ohr gehauen. was eh schon ein wunder war. Der hat gestunken aus dem Arsch, das kann sich heute niemand mehr vorstellen, wo alle Vitamine essen, das nebenbei. er hat herumerzählt, dass er von den Adlern eingeladen war und gegessen hat bei denen, was die halt so auf den Tisch laden, wenn einer ein Gast ist von denen, ein heiliger. Und er hat aufgezählt, was das ist, und dass er die Adler halb arm gefressen hat und gesoffen hat. Und dass die nichts dagegen tun können. hat sich einen holzfuß gelacht, der Aff: Die können ncihts dagegen tun, weil der Gast heilig ist, der denen die Tapeten von der wand schlecken, nichts, nicht können sie tun, müssen ihm sogar neue Tapeten anbieten. so gelacht, wie der hat, meine Güte. Und dass sie irgendwann, logisch bei dem riesenmaul von dem Vorfahr, dass sich nichts mehr gehabt haben zum Anbieten. Und da? Da. Jetzt schreib das genauso. so hat er es nämlich gesagt. er war nicht so, alles gelogen, aber so hat er es gesagt. Dass er den Tochter von den Adlern, der jüngsten nämlich, der mit dem schönsten runden Arsch, der bei jedem schritt den rock gespannt hat, so ein Arsch, dass er in genau den Arsch hinein gebissen hat vor hunger. Und da stand eines Tages der Depp von den Adlern in der Tür, der, den sie immer dann geschickt haben, wenn etwas Kleines zu erledigen war, das ohne jedes Blut gemacht werden kann. Und der Depp hat gesagt: so, so, so. so, so, so. so, so, so. Und das hat geheißen, jetzt pass auf: Das hat geheißen: Jetzt bist du dran, Mondsteiger. Jetzt kommen die Adler zu dir auf Besuch. Du hast bei ihnen gefressen und gesoffen, dass sich dein Arschloch beim scheißen gedehnt hat wie ein schlangenmaul, wenn die schlange einen Ochs frisst, nur dass der Ochs herausgekommen ist und nicht hineingegangen ist, so, und darum kommen jetzt die Adler zu dir und wollen auch in dieser Art

fressen und saufen. so, so, so. Da kann einer hinlegen, sag ich dir. Da genügt nicht salami und Marmelade. Dem Mondsteiger ist die Muffe gegangen. Mit dem Karren hat er Zeug hergeschafft und gekocht. Und Brot geschmiert. Auf das eine das, auf das andere etwas anderes. Aber zu wievielt sind sie gekommen? sieben erst, dann hats noch einmal geschellt, wieder sieben. Zähls du zusammen. Zähl mit! Dann hats noch einmal geschellt. wieder sieben. Oder sechs. Am schluss acht. Und nachts um eins sagt die Tochter, die mit dem hintern, dem feinen, dass sie da etwas gehört hat, wo er angeblich noch hinein gebissen hat, der Mondsteiger. Und dass sie nicht böse ist, dass er das gesagt hat, im Gegenteil, weil so ja auch ihr hintern berühmt wird. Und wer hat nicht gern einen berühmten hintern. Aber! Und jetzt: sie will dafür Osso Bucko oder wie das heißt, auf das ist sie ganz verrückt. in wirklichkeit, sag ich dir, hat sie den Text auswendig gelernt. ich war nicht dabei, aber ich sage es. Mein Papa hat das gesagt, der war auch nicht dabei. Und dem hat es sein Papa gesagt, und der war auch nicht dabei und so weiter. Bis zurück. sie war ein blitzblödes Ding, die nie auf die idee gekommen ist, auf die sie gekommen ist, und Osso Bucko oder wie das heißt, wie soll das in diesen blöden Kopf hinein. Das hat der alte Adler sich ausgedacht. Aber der Vorfahr hat nicht gewusst, was das ist. – was ist Osso Bucko? – Beinfleisch. – Beinfleisch mit dem Knochen in der Mitte. – woher soll er das nehmen. Und da haben sie, die Adler, einer nach dem anderen, angeblich alle. wieviel sind es? Du hast doch mitgezählt. Alle haben, einer nach dem anderen, auf das Bein vom Mondsteiger draufgedrückt mit dem Finger. – Das da. Das ist ein Bein. ist das ein Bein? – Das ist mein Bein. – Und ist in dem Bein ein Knochen? – Logisch. wird schon sein. – Da will ich ein stück, hat die Tochter gesagt. Du hast mir in den hintern gebissen vor hunger, und ich will Osso Bucko von dein Bein. Da hätt der Aff gern gesagt, dass alles gelogen ist. hat er aber nicht. wie geht das, hat er gefragt. – eine säge musst du nehmen, und mit der säge musst du dir das Bein absägen und dann von dem abgesägten stück noch so eine scheibe absägen. Das ist besser, als von dem Bein selber dann noch eine scheibe absägen. warum? weil es dann zweimal weh tut, und das muss nicht sein.

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— Text, der in einem stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der hand zu geben.




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Das wahre Gesicht

Zu Walter Niedermayrs neuester Werkgruppe „Portraits“, die in dieser Ausgabe von Quart erstmals zu sehen ist – am Umschlag und quer durch das Heft verteilt. Von Beate Ermacora

„Sie sind stumme Zeugen unserer Zeit. Sie stehen in der Landschaft als personifizierter Ausdruck unserer Konsumgesellschaft. Manchmal verändern sie ihr Gesicht, wenn der Wind sie berührt. Sie warten in der Landschaft, auf dass sie den Winter entweder verlängern oder überhaupt erst möglich machen. Dafür wird ihr Gesicht dann enthüllt, wenn es kalt genug ist, und sie dürfen ihr wahres Gesicht zeigen. Mit lautem Getöse speien sie aus ihrem runden Maul, in dem sich ein turbinenartiger Flügel dreht, einen Strahl von weißem Schnee in die manchmal noch schneelose Landschaft.“ Walter Niedermayr Walter Niedermayrs neueste Werkgruppe trägt den Titel „Portraits“. Sie reiht sich ein in seine fotografische Untersuchung, Dokumentation und Interpretation der hochalpinen Landschaft, die er seit Ende der 1980er Jahre vornimmt. Seine groß angelegte Serie „Die Bleichen Berge“, für die er 1995 mit dem European Photography Award ausgezeichnet wurde, machte den Südtiroler Künstler international bekannt. Niedermayr nähert sich dem bislang in der zeitgenössischen Kunst eher verpönten Alpenbild auf völlig neue, kritisch beobachtende Weise. Dem seit der Romantik mit Sehnsüchten und Klischees behafteten Sujet der erhabenen Berge begegnet er, egal ob in den italienischen, österreichischen, Schweizer und französischen Alpen oder im amerikanischen Aspen, mit nüchterner, konzeptueller Distanz. In seinen Bildern verweist er stets subtil auf die zivilisatorische Erschließung und die allgegenwärtige Präsenz des Menschen selbst in den abgelegens-

ten Winkeln der Bergwelt. Einer Bergwelt, deren Orte einander immer ähnlicher werden, wie er feststellt, „… was die Gleichförmigkeit und die Strukturierung durch Freizeitanlagen und touristische Infrastrukturen betrifft. Der alpine Raum ist eine Topografie, wo sich Gesellschaft exemplarisch in den verschiedensten Spielformen unserer Konsumwelt manifestiert.“ 1 Teil der alpinen Eventkultur mit ihren gebietsübergreifenden Schischaukeln, den geglätteten Abfahrten und den Versprechungen von Fun und Action in der Natur ist das Phänomen, dass die diversen Aktivitäten den Menschen zusehends von der Landschaft und dem Naturerlebnis abzukoppeln scheinen. Walter Niedermayr arbeitet seit 2012 an der Serie eigenwilliger „Portraits“, mit der er Schneekanonen im gesamten Alpenraum ins Visier nimmt. Vergleicht man sie mit seinen vorangegangenen Fotozyklen, die sich mit der alpinen Landschaft auseinandersetzen, so stellt man fest, dass der Künstler seine fotografische Strategie hier signifikant geändert hat. Die meist mehrteilig angelegten Panoramen von Gletschern, Felswänden und steilen Abhängen, in denen man erst bei genauerem Hinsehen Wege, Hütten, Schilifte und Menschen entdeckt, waren aus einer bestimmten Entfenung fotografiert. Personen, die Gletscher besichtigen oder ihrem 1 Walter Niedermayr, „Vom Gefüge der Räume. Ein Interview mit Walter Niedermayr von Andrea Domesle“, in: Walter Niedermayr. Raumfolgen 1991–2001, Eikon Sonderdruck # 7, Wien 2001, S. 4–6, hier: S. 4.


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touristischen Freizeitvergnügen in Form von Schifahren oder Snowboarden nachgehen, wirken in den landschaftlichen Weiten wie Ameisen. Sie erscheinen in den Aufnahmen, deren räumliche Ausdehnung und Tiefe durch nachträgliche Unterbelichtung ins Flächige und damit Grundlose transponiert werden, wie grafische, ornamentale Elemente. Alle Bilddetails sind gleichwertig behandelt, nichts sticht dominierend heraus. Mit seinen neuen Motiven jedoch geht Niedermayr nun gleichsam auf Tuchfühlung, um die zunehmende Diskrepanz zwischen Mensch und Natur noch deutlicher herauszuarbeiten. Er fotografiert sie aus nächster Nähe, rückt sie in den Vordergrund und in die Mitte des Bildausschnitts. Auch wendet er nicht mehr die für ihn bislang typische Methode an, die Fotoarbeiten als Polyptychen anzulegen, die es ihm erlaubte, durch Überlappungen, Verdoppelungen und Brüche minimale zeitliche und bildräumliche Verschiebungen zu erzielen, um die Gleichsetzung von Bild und Wirklichkeit zu unterlaufen. Die Farben sind wie in allen Arbeiten Niedermayrs durch nachträgliche Bearbeitung blass und wenig kontrastreich. Jedes einzelne Foto steht für sich, obwohl es Teil einer breit angelegten Untersuchungsreihe ist, in der es sich in Gesellschaft weiterer Portraits wiederfindet. Außerdem wird die oftmals eingenommene Perspektive aus einer monumentalisierenden Untersicht zu einer inhaltlich aufgeladenen Bedeutungsperspektive. Damit trägt Niedermayr einer rasanten Entwicklung der alpinen Tourismusindustrie Rechnung, in der der Bau von Beschneiungsanlagen boomt, um angesichts des Klimawandels und der stetig steigenden Ansprüche der Urlauber Schneesicherheit zu gewährleisten. Wurde anfangs nur zur Pistenkorrektur beschneit, so kommt der Kunstschnee nun in allen Alpenländern flächendeckend auch in hohen Lagen zum

Einsatz. Die Schneekanonen fotografiert der Künstler allerdings nicht im Winter, sondern im Sommer. Fallen sie in Winterlandschaften nicht so sehr ins Auge, weil sie bereits irgendwie zum modernen Schizirkus dazugehören, so stellen sie im Sommer, wenn sie plötzlich völlig losgelöst von ihrer Funktion in der Landschaft stehen, absolute Fremdkörper dar. Wie uns die Fotos zeigen, hat sich ihr Äußeres auch gravierend verändert, denn die Schneekanonen sind nun liebevoll umhüllt und bekleidet. Bergsteiger, die nicht mit den neuesten Entwicklungen im Wintersport vertraut sind, mögen sich wundern, was es mit diesen Gebilden auf sich hat. Die technoiden, metallischen, geometrischen Formen, die ohne Schnörkel, zweckgebunden und fernab jeder Ästhetik entworfen wurden, verschwinden unter bunten Ummantelungen und tuchartigen, Falten werfenden Überwürfen aus Kunststoff. Vermutlich geschieht dies, um die teuren Maschinen vor Witterungseinflüssen oder der Beschmutzung und Beschädigung durch Tiere und Menschen zu schützen. Gerade dieses absurde Moment der optischen Verwandlung von Technischem in Organisches hat den Künstler dazu inspiriert, die merkwürdigen Gerätschaften als Figuren zu sehen und sie zu personifizieren. Wenn Walter Niedermayr davon spricht, dass es ihm ein Anliegen ist, mit dieser Werkgruppe so etwas wie eine Gesellschaft zu portraitieren, die von Schigebiet zu Schigebiet leichte Unterschiede aufweist, jedoch unübersehbar immer größeres Terrain erobert, so hat er humorvoll, ironisch und trotzdem mit äußerstem Ernst eine treffende Metapher gefunden, um über gesellschaftliche Entwicklungen und Auswüchse nachzudenken. Es gelingt ihm, dies fotografisch so zu formulieren, dass der Betrachter atmosphärisch mitgerissen wird. Ein bisschen ist man an den vierten


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Teil von Felix Mitterers „Piefke-Saga“ erinnert, der 1993 eine Zukunftsvision präsentierte, die der heutigen Wirklichkeit schon bedrohlich nahe gekommen zu sein scheint. Niedermayrs Intention lässt sich jedoch vor allem mit jener von August Sander, einem der bedeutendsten Wegbereiter der dokumentarischen und sachlich-konzeptuellen Fotografie vergleichen. 1924 entstand dessen aus 45 Mappen und hunderten von Fotografien bestehendes Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“, in dem er anhand von Portraits von Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten eine Typologie erstellte. Mit dieser vergleichenden Art der Fotografie, die auf unmittelbarer Beobachtung beruhte, schuf er sowohl ein Abbild als auch ein facettenreiches Panorama der Gesellschaft seiner Zeit. Walter Benjamin attestierte seinem methodisch angelegten Portraitwerk eine aufklärerische Wirkung. Walter Niedermayr verfolgt, vergleichbar mit Sander, eine vorurteilsfreie und wirklichkeitsnahe Darstellung. Dabei kommt es zu einer interessanten Situation, die unvermutet zwischen Dokumentation und Erzählung angesiedelt zu sein scheint. Denn so wie er die bekleideten Schneekanonen ins Bild setzt und inszeniert, sei es in der Wiese vor einer Baumkulisse, in Geröllhalden oder auf Geländekuppen, bekommt man den Eindruck, als hätte man es tatsächlich mit Wesen zu tun. Allerdings mit Wesen, die vermummt sind oder in einer Rüstung stecken. Mitunter meint man, dass sie den Betrachter aus Augenschlitzen beobachten. Durch die Art, wie Niedermayr sie portraitiert, scheint es, als würde man einer Gesellschaft von Wächtern oder archaischen Rittern begegnen. Sie wirken wehrhaft, als wären sie die Hüter und Verteidiger des sie umgebenden Gebiets. Diese maskierten Gestalten, die die Landschaft wie mythische Sagenfiguren besetzen und ihr wahres Gesicht nicht preisgeben,

verkörpern eine Gesellschaft von Stellvertretern. Sie stehen, und als solche hat Walter Niedermayr sie genauer unter die Lupe genommen, für Menschen, ihre Macht- und Interessenverbände, die vor allem den Profit vor Augen haben, mit der Erhaltung von Arbeitsplätzen argumentieren und entgegen aller Mahnungen und Einsprüche von Ökologen und Umweltschützern weiter immens viel Geld in Lifte, Pisten oder Hotels stecken, um Tourismusgebiete attraktiver zu machen. Niedermayrs Schneekanonenportraits erweisen sich als überaus effektive Denkbilder. Denn bei allem Amüsement, das sie doch auch hervorrufen, ziehen sie einen Rattenschwanz an Fragen nach sich. Man beginnt zu überlegen, wie die Beschneiungsgeräte zu ihrem Strom kommen oder wo sich die Wasserspeicherseen befinden, ohne die die Anlagen nicht funktionieren würden. Man erinnert sich, schon einmal gehört zu haben, dass der Einsatz von Kunstschnee einen enormen Verbrauch an Wasser und Energie verursacht oder dass die empfindliche Vegetation vor allem in hochalpinen Lagen unwiederbringlich zerstört wird. Auch wenn sich Walter Niedermayr intensiv und seit langen Jahren damit auseinandersetzt, wie durch menschliche Eingriffe in die Natur ursprüngliche Landschaften überformt werden und völlig neue künstliche Landschaften entstehen, so ist seine Haltung neutral. Seine Arbeiten sind auf gesellschaftliche Prozesse bezogen und verweisen auf soziale und politische Gegebenheiten. Er arbeitet den seit der Aufklärung schwelenden philosophischen Disput um die Wertigkeiten von Natur und Kultur immer wieder heraus und legt nahe, die menschliche Einflussnahme auf die Natur neu zu bedenken. In Anlehnung an August Sander könnte man daher seine „Portraits“ durchaus treffend als „Menschen des 21. Jahrhunderts“ bezeichnen.




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Brenner-Gespräch (10): „Wer hat schon Ahnung von Kunst?“ So viele Leute fahren über die Alpen nach Italien. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 10: der von seinem Stuttgarter Restaurant „Wielandshöhe“ und aus dem Fernsehen bekannte Koch, Autor, Literatur-, Bücher- und Jazzliebhaber Vincent Klink im Gespräch mit Thomas Wördehoff, dem Intendanten der Ludwigsburger Schlossfestspiele.

Thomas Wördehoff: Am Anfang stand ich vor einem echten Problem: Wie bereitet man sich am besten auf ein Gespräch mit einem Haubenkönig vor? Vincent Klink: Echt? T. W.: Bei Ihnen war das Verfahren schnell geklärt: Mit ein paar Jazz-Platten zur Einstimmung gestern Abend schien mir die erforderliche Lockerheit für unser kleines Kolloquium gewährleistet. Immerhin treffen wir uns in aller Frühe. Bei aller Entspanntheit: Sie sind ein total organisierter Mensch, so scheint es … V. K.: Bin ich. Sonst geht’s nicht. Locker tun ist gut. Ich hab mir das ein bisschen abgeguckt: Erfolgreiche Künstler tun nur so, als wären sie locker. Nehmen Sie mal den Till Brönner oder den Dieter Ilg, die kommen so flockig daher. Dahinter steckt tägliches Üben, anders geht es gar nicht! Es gibt natürlich auch Künstler, die etwa 80 Prozent ihrer Kraft für die angemessene Außendarstellung verwenden, inklusive Pferdeschwanz und allem, was dazugehört. Für die künstlerische Arbeit bleiben da oft gar keine Ressourcen mehr. T. W.: Neulich hab ich mir eine Dokumentation über Arno Schmidt angeschaut. Er selbst sah ja aus, als hätte er die Buchhaltung erfunden – muss aber tatsächlich penibelst organisiert gewesen sein, sonst hätte er diesen Wahnsinn nicht erzählen können. V. K.: Der war ja nun ein Extrem. Ich habe zusammen mit Jan Philipp Reemtsma sein Haus in der Lüneburger Heide besichtigen dürfen. Der Schmidt war ja fast eine Vaterfigur für Reemtsma gewesen. Dieses Haus ist natürlich gedanklich ein Riesenkosmos – rein menschlich allerdings a very small world. So eng! Aber wenn man den Fokus enger dreht, kommt man gut auf den Punkt. Seine Sachen kann auch nur ein Pedant lesen.

T. W.: Haben Sie Zettel’s Traum gelesen? V. K.: Ich und den Zettel lesen? Wer das liest, kommt ins Irrenhaus. Es soll allerdings Leute geben, die das überlebt haben. Aber: Arno Schmidt ist einfach eine gute Schule. Man kann den nur mögen, wenn man richtig diszipliniert ist und seinen Hirnkasten zum Vibrieren bringt. Wenn du etwa von Kühe in Halbtrauer nur zwei Seiten liest, dann hast du im Kopf so viel geschafft, als hättest du drei Bestseller gelesen. Das ist richtig gut für die Birne. Ähnlich ist es bei Musil. Den Mann ohne Eigenschaften sollte man stückweise lesen. Aber ich genieße jeden Satz. Bloß nicht nach der Handlung suchen! Die ganze Konstruktion ist so unendlich weiträumig angelegt. An jeder Seite hat man eine ganze Woche zu verdauen. T. W.: Welche Rolle spielt der Jazz für Sie? V. K.: Der Jazz ist ja im Grunde höhere Mathematik. Und trotzdem bietet er eine Menge Freiraum. Genau so empfinde ich das Kochen. Ich koche ja nicht nach Rezept, deshalb bin ich im Backen nicht so richtig fit. Beim Backen hab ich zu wenig Erfahrung, um das aus dem Ärmel schütteln zu können. Man muss ja was im Ärmel haben, um auch etwas herauschütteln zu können. Als wir vor zwanzig Jahren nach Frankreich gefahren sind, hab ich später die Sachen frei Schnauze nachgekocht. Nach einiger Zeit kriegt man dann ein Repertoire drauf. Deswegen ist der Jazz eigentlich mit meiner Kocherei identisch, auch wegen der Improvisation. T. W.: Beim Kochen ist allerdings einer der Chef. V. K.: Es ist absolut identisch. Ich bin hier der Bandleader in der Küche. Aber ohne meine „Musiker“ wäre ich verloren.


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T. W.: Kriegen Ihre Mitstreiter auch ihre Soli? V. K.: Na klar. Diesen brennenden Ehrgeiz von früher verliert man ja ein bisschen mit der Zeit, wenn der Erfolg eingesetzt hat. Und irgendwann hat man die Reife, die es gerne zulässt, dass ein anderer einem hilft. Außerdem kommt dazu, dass ich in einem Internat aufgewachsen bin. Dort wurde der sportliche Wettkampf übrigens ganz im Licht des Verlierens betrachtet. Das Verlieren lernen ist für mich der Sinn des Sports. Die Idee kommt aus England: Niederlagen gut verkraften zu können, kann man am besten im Sport vermitteln. Natürlich muss man auch gewinnen – dauernd zu verlieren ist ja auch blöd. Aber diese ständige Beschäftigung mit dem Fehlschlag ist ein wichtiger Bestandteil der jesuitischen Erziehung: stetige Erniedrigung und danach immer wieder Aufstehen – das empfanden die als gutes pädagogisches Modell. Das ist natürlich überholt, aber das Verlieren lernen hab ich von Kindheit an geübt. Genau das hat mich dann in die Lage versetzt, dass ich mich mit dem Pianisten Patrick Bebelaar auf die Bühne gestellt habe, ohne dass ich eine Tonleiter hätte ordentlich spielen können. Das ist Scheiße – jeder Auftritt ist eine Niederlage. Nur auf Grund meiner Ausstrahlung war das Publikum happy. Und ich habe davor täglich drei Stunden geübt, das half. T. W.: Hochstapelei hat bei uns ja einen Ruf wie fauler Fisch. Sehen Sie das auch so? V. K.: Ich sehe das auch so. Da bin ich vielleicht zu schwäbisch. Das, was man anbietet, sollte eigentlich der Erwartung standhalten. Ich schätze den umgekehrten Bluff, wenn der Kunde mehr kriegt, als er erwartet. Aber der Bluff, hinter dem rein gar nichts steckt – das ist einfach nur blöd. T. W.: Sergej Eisenstein erzählte die Geschichte eines Komikers, der in einer Operette kurzfristig für einen Tenor einspringen musste. „Aber du kannst gar nicht singen!“, gaben seine Freunde aufgeregt zu bedenken. „Ach“, antwortete der Komiker ungerührt, „wenn ich einen Ton nicht schaffen sollte, dann spiel ich ihn halt mit der Hand!“ V. K.: Na klar, hinter diesem Bluff steckt ja Qualität. Ich hab da auch ein Beispiel. Mein Vater war Tier-

arzt, ein total bodenständiger Biertyp. Er war auch Präsident des Boxvereins Schwäbisch Gmünd. Dass ich da später mit meiner Riesennase auch trainieren musste, war eine Katastrophe, vor allem, weil ich ein eher schwächlicher Typ war. Mein Vater aber hatte immer Angst, ich würde schwul werden, weil ich mich für Kunst interessierte und sowieso eine Jammergestalt war. Heute kann man darüber lachen. Mein Onkel aber hatte einen 110 kg-Bierbauch, und man war nach Zürich zu einem Länderkampf gereist. Da passierte es: Der württembergische Starboxer konnte nicht antreten, er war total besoffen. Mein Onkel Conny hat gesagt: Ich mach das! Nun hatte der seit einem Jahr nicht mehr geboxt oder trainiert – Kondition null. Dem Conny war völlig klar, dass er nicht länger als eine Minute im Ring überstehen würde, und plusterte sich schon beim Wiegen mächtig auf: Wen er in der Vergangenheit alles zusammengeschlagen habe, dass er heut teuflisch gut in Form sei und vieles mehr. Conny beherrschte so eine Art Schattenboxen wie Cassius Clay – jedenfalls war der Kampf nach einer Minute zu Ende, der Schweizer Landesmeister hatte aufgegeben! „Noch eine halbe Minute – und ich wäre von selber umgefallen“, meinte Conny später zu uns. Mein Onkel war halt ein verdammt guter Schauspieler. Er hatte kraft seiner Persönlichkeit den Laden gerissen. Wenn man das auf das Kochen überträgt: Das perfekte Kochen funktioniert überhaupt nicht, wenn man es nicht schafft, dem Gast auch eine perfekte Illusion anzudrehen. Das reine Essen reicht nicht. Illusion muss dabei sein. T. W.: Viele Restaurants schmücken ihre Teller reichlich mit Saucen-Mustern oder Kräuterarrangements, jeder Bäcker verkauft heute seine belegten Brötchen mit Salatblatt … V. K.: … reine Illusionsnummer, Vitamine gleich null! T. W.: Wie gestalten Sie Ihre Erzählung? Eine Illusion ist ja schließlich eine Art Erzählung, die man dem Essen beimischt. V. K.: Bei uns ist nicht so arg viel Illusion. Um diese zu verkaufen, muss man ja auch Illusionist sein. Und da bin ich nicht so perfekt, weil ich mich immer gern auf ein gutes Handwerk zurückziehe. Und je mehr man das


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macht, um so illusionsloser wird es. Wenn ich mir manche Kollegen angucke – die machen hier drei Pünktchen und dort einen Strich. All das löst im Kopf des Gastes die Idee aus: Hier geht es um Kunst! In diesem Moment ist der Gast verunsichert, wenn er nicht das nötige Hintergrundwissen hat. Aber wer hat schon eine Ahnung von Kunst? Das sind die wenigsten. Vielen Köchen wäre allerdings gut geholfen, wenn Sie den Satz verinnerlichen würden: Kunst sollte größtmögliche Reduzierung und Abstraktion sein. Es sollte also um das Gegenteil von Applikation und Beiwerk gehen. T. W.: Ich frag mich halt immer: Darf ich mit dem Fleisch durch den Saucenstrich und die Pünktchen fahren oder mach ich dann alles kaputt. V. K.: In erster Linie will man den Eindruck des Neuen vermitteln, eben eine Art Grundrauschen von Kunst. Über Tellerverzierung sollten wir aber gnädig schweigen, das ist zu bekloppt … Oswald Egger, ein Freund von mir, ist Autor bei Suhrkamp. Von dem, was er schreibt, verstehe ich kaum einen Satz. Wenn ich es meinen Literaten-Freunden zeige, sieht es ähnlich aus. Und dann kenn ich ein paar Leute, die nicht besonders helle sind, und die sagen: Das ist ja großartig! Was bei Suhrkamp veröffentlicht wird, kann schließlich kein Mist sein. Wenn aber ein Literat wie der Verleger Ulrich Keicher aus Warmbronn, ein ziemlich ausgekochter Fuchs in Sachen literarische Moderne, das toll findet – dann halte ich mal lieber die Schnauze. Vielleicht bin ich doch zu blöd. Das ist so ein Hin und Her. T. W.: Oft genug, wenn ich mit Bekannten in die Oper oder ins Konzert gehe, bekomme ich am Ende auf meine Frage, wie es denn gefallen habe, die Antwort: Ich verstehe leider zu wenig von Musik. Darauf antworte ich meistens, ob ich denn etwas von Önologie verstehen müsse, damit sie mit mir noch einen Wein trinken. Ich finde, man sollte Musik, Literatur oder auch Küche vor seinem persönlichen biografischen Hintergrund beurteilen. Jeder hat das Recht Bob Dylan wichtiger zu finden als Schubert oder Janáček. Ich habe das Recht aufs Gegenteil. Muss ich etwas vom Kochen verstehen, wenn ich bei Ihnen esse? V. K.: Die meisten wollen immer wissen, wie ich das mache. Wenn ich einen tollen Geiger höre, muss ich

auch nicht wissen, wie der das macht. Wichtig ist nur eins: Man muss genussfähig sein. Ich hab beispielsweise eine Freundin, die studierte Konzertpianistin ist. Mit ihr kann ich unter keinen Umständen in ein Konzert gehen, weil sie sich sofort auf jeden Fehler stürzt, Fehler übrigens, die sonst kein Mensch hört. Das gibt’s bei mir im Lokal auch, Gäste, die nur darauf warten, dass zuviel Pfeffer verwendet wurde. T. W.: Das ist die immerwährende Suche nach dem Perfekten und Absoluten, nach dem Makellosen, auf das man schließlich ein Recht hat. V. K.: Und da kommt der sogenannte kritische Bürger ins Spiel. Mit dem Status des Klugscheißers kann man sich nach unten hin, zu den noch Dümmeren abgrenzen. Verflucht nochmal. Natürlich soll man kritisch sein. Das Wort, aus dem Griechischen, hat schwer was mit Unterscheiden zu tun. Dazu ist aber Wissen nötig. Was mir auf den Keks geht, ist diese aufgeregte Hallo-ich-bin-wichtig-Einstellung, die man oft auch bei Facebook findet. Die sogenannten sozialen Netzwerke sind inzwischen ein solcher Datensumpf von idiotischen Meinungen geworden, dass ich sicher bin, dass sich das auf Dauer von selbst lahmlegt. Im Grunde hänge ich ja einem Elite-Gedanken nach. Elite hat in Deutschland immer einen negativen Beigeschmack. Mit Elite sind auch nicht die Leute gemeint, die in irgendwelchen Bentleys oder Ferraris herumfahren – das sind zum Großteil eh Waffenhändler oder komische Typen und weiter gar nicht relevant. Ich spreche von der Elite des Kopfs und des Herzens. Von den Leuten, die sinnlich empfinden können. T. W.: Ein französischer Spitzenkoch hat mir gegenüber mal die Höllenpforte seiner Seele geöffnet und die Ahnungslosigkeit seiner reichen Gäste in den galligsten Farben geschildert. Eigentlich hat er seine gutsituierten Kunden verachtet. Sie bewirten in der Wielandshöhe in Stuttgart täglich etwa hundert Besucher. Nehmen Sie den individuellen Gast geistig noch auf? V. K.: Ja, absolut. Ich kann mir sogar die Gesichter merken von Leuten, die nach einem Jahr wiederkommen. Namen merk ich mir nicht, nur Gesichter. Es ist allerdings völlig illusorisch zu glauben, ich würde alle gleich lieben. Wenn aber Gäste erkennen, wie wir hier


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konzentriert arbeiten, dann finde ich das toll. Oder wenn sie es schätzen, dass wir hier beispielsweise keine Deko verwenden, um noch einmal darauf zurückzukommen – Deko ist im Moment das Schlimmste für mich überhaupt! Wir machen das Gegenteil. Man dekoriert ja nur das, was in sich nicht funktioniert oder nicht ausreichend ist. Das waren früher bei so Karren wie etwa Opel Rekord die Zierleisten – die mussten ran, vielleicht dazu noch ein Fuchsschwanz an die Antenne, wenn die Kiste sonst nichts hergab. Die Autoindustrie hat das inzwischen prima hingekriegt: Je teurer ein Auto ist, desto weniger ist dran. In der Malerei ist das auch so, und wenn sich in der Literatur einer verquast und den direkten Strang vernachlässigt, taugt auch das nichts. Das Weglassenkönnen spricht für große Meisterschaft. T. W.: Eine der großen Errungenschaften der österreichischen Küche ist das Schnittlauchbrot. Nichts ist schöner zum Frühstück …

trockenen blöden Zeugs, so toll findet. Dann war ich Anfang November in der Nähe von Palermo in einem Tal, in dem nur Ökobauern arbeiten. Ich geh also zu einem Baum und pflücke mir eine Mandel, die hängen geblieben war, und fass es nicht: Jetzt bist du 65 Jahre alt und hast deine erste gute Mandel gegessen! Ich will damit verdeutlichen, wie schwierig es ist, an was wirklich Gutes zu kommen. Nächste Woche kommen auch zwanzig Kisten Orangen. Das hat mit den Orangen, die wir kennen, einfach nichts zu tun. Weil die am Baum gereift sind und nicht im Kühlhaus. Die Orangen werden ja normalerweise grün geerntet, dann schmeißen die Großhändler die Früchte in irgendwelche Kühlhäuser – und schon sind die Dinger orangefarben. In der Natur kriegen Orangen erst durch den Winter ihre Farbe, meistens so im Januar. Für den Laien ist es viel zu aufwändig, sich so was zu besorgen. Es gehört ein Grundwissen für die Zutaten dazu, aber auch Niederlagen. Was glauben Sie, was für einen Mist ich schon gekauft habe, wie oft ich mich geirrt habe!

V. K.: … das schmeckt eigentlich den ganzen Tag lang, wenn Brot und Butter etwas taugen.

T. W.: In diesem Jahr arbeiten Sie seit 40 Jahren als selbstständiger Koch. Was fällt Ihnen da zuerst ein?

T. W.: Sie selber frühstücken mit einer Scheibe Brot von Ihrem Bäcker, gesalzener Butter aus der Normandie und einer Tasse Espresso. Vom Einfachen das Beste: Ist das das Vaterunser Ihrer Küche?

V. K.: Dass ich in diesen 40 Jahren nicht ein einziges Mal am Strand gelegen habe. Weder in St. Tropez noch sonst wo. Es war immer die Frage: Wo ist die Kneipe, in der dieser Wunderknabe kocht? Da muss ich hin. Wo sind diese Bauern? Dann streif ich durch Sizilien. Hinter dem Vesuv ist eine Gegend, bei Torre Annunziata, da ziehen die Bauern fantastisches Gemüse. Oder: Wer in Wien ein Gulasch gegessen hat, weiß einfach, wo der Hammer hängt.

V. K.: Das ist das Schwierigste überhaupt. Das Stück Fleisch, das wir in der Küche zubereiten, ist so beim Metzger nicht zu bekommen. Das ist dann auch nicht vakuumiert, sondern es ist, was gerade so in Mode ist, dry aged. Ich hab nie was anderes gemacht, und als ich als junger Kerl in der Metzgerei gelernt habe, gab es noch gar kein Vakuumiergerät. Das Grundprodukt ist das Schwierigste überhaupt, gerade auch für den Laien, denn die meisten Leute wissen nun mal nicht, was richtig gut ist. Ich bekomme nächste Woche einen Sattelschlepper aus Sizilien, mit ungefähr einem Zentner Mandeln, einer alten Hartweizensorte, die es schon seit den Römern gab, Wein ist dabei, 1.000 Liter Olivenöl, Pistazien. Und da lerne ich auch ständig dazu. Wir verarbeiten bei uns pro Woche etwa zwei Kilo Mandeln. Die haben mir eigentlich nie richtig geschmeckt. Und ich hab mich gefragt, was die Menschheit – bis zurück in die Antike – an ihren verdammten Mandeln, diesem

T. W.: Nur wer faul ist, lässt sich was Fortschrittliches einfallen, hat Ihr Vater gesagt. Stimmt das auch für Sie? V. K.: Ja unbedingt. Nehmen Sie Gottlieb Daimler. Ich nehme an, dass der nicht gerne gewandert ist, sonst hätte er wohl nie das Auto erfunden. Er war einfach zu faul zu laufen. Um eine Gastronomie zu machen wie ich, muss ich eine gewisse Faulheit haben. Gewisse unbequeme Dinge müssen eben die anderen machen. Bei mir kommt noch was dazu: Ich bin einfach ein Genießertyp. Bei mir ist diese ganze Kocherei eine todernste Sache – das wird mit zunehmendem Alter immer schlimmer. Das ist die totale Leidenschaft. Und


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deshalb habe ich auch lauter Köchinnen und Köche um mich, die nicht cool sind, sondern richtig heiß. Die denken so wie ich. Da spielt Zeit keine Rolle, da spielt Geld keine Rolle. Ich hab zum Beispiel keine Ahnung, welche Kosten mit diesem Sattelschlepper aus Sizilien auf mich zukommen. Es muss einfach her, das Zeug. T. W.: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie möglichst immer ganze Tiere kaufen, um auch die vergessenen Gerichte wiederzuentdecken. Das heißt, dass Sie sich besonders für jenes Fleisch interessieren, das in der Arme-Leute-Küche verarbeitet wurde. Über diese Methode finden Sie einen direkten Weg zur Geschichte und Identität unserer Kochkulturen. V. K.: Wir leben in einer Epoche der Überfeinerung. Das Ende einer Kultur erkennt man immer an ihrer Überfeinerung. Sie führt dazu, dass die Wohlhabenden die edlen Teile wegessen. Die billigen Stücke sind immer sehr arbeitsintensiv. Deshalb ist zum Beispiel die römische Küche heute zu 80 Prozent eine InnereienKüche. Warum? Weil der Vatikan die ganzen Filets wegfrisst. Es gibt ein berühmtes Gericht in Rom, das aus Kalbs- oder Lammdärmen besteht. Die Därme werden in Streifen geschnitten, gebraten und unter die Rigatoni oder Maccheroni gemischt. Das nennt sich Pajata – also ärmer geht’s nimmer! Diese Därme haben eine Art Kuttelgeschmack, wie Trippa alla romana halt. Das ist billig, schmeckt aber teuflisch gut. Wie das Herz oder das Kalbsgekröse. In all diesen Stücken ist wesentlich mehr Aroma als in einem Filet. Je weiter ich bei einem Tier ins Innere gehe, desto mehr Geschmack finde ich. Aber es gibt immer mehr Leute, die mit starken Aromen gar nicht klarkommen. T. W.: In der Musik läuft das ähnlich. Alles, was viel Eigenaroma hat, wird erstmal gemieden. V. K.: Das erklärt auch die Bedeutung von Easy Listening. Der Name sagt schon alles: Wenn einer nicht mehr zuhören kann – mit Easy Listening kriegt er es gerade noch hin. Deshalb ist auch manches Restaurant in der Spitzengastronomie mit Easy Listening zu vergleichen. Beim Wein ist es das gleiche. Die ganze moderne Richtung für die Weinkultur kommt aus den USA: immer mehr Alkohol in winzigen Portionen für Degustationszauderer. Aber ein Weinkenner wünscht

sich ja von einem guten Tropfen einen gewissen Widerstand, der mit zwei Schlückchen nicht zu überwinden ist. Es ist wie in der Musik: Eine Musik, bei der man beim zweiten Ton schon dahinschmilzt, halte ich nicht lange durch. Man braucht die Steigerung, man muss sich in die Materie einleben. Und beim Kochen vertrete ich das auch: Ich kann diese Amuse-Gueule-Küche nicht leiden. Man isst ein Löffelchen von irgendwas, dieser Vorgang wiederholt sich dann verschiedenartig zwanzigmal. Als würde man stundenlang die Instrumente stimmen – und das Konzert beginnt nie. Da ist mir eine ordentliche Portion Rehbraten lieber, bei dem ich am Schluss Aromen erfahre, die ich beim ersten Bissen noch gar nicht registriert habe. T. W.: Das hat sicher auch mit der Genussfähigkeit der Gäste zu tun. Oder mit der Liebesfähigkeit: Wie sehr ist jemand bereit, sich auf Ungewöhnliches, Neues einzulassen? V. K.: Sich einzulassen reicht nicht, man muss sich hineinschaffen ins Neue, ins gewisse Aroma. Die Entwicklung ist insgesamt aber gar nicht so schlecht, jedenfalls, was das Essen angeht. In der Kultur ist es problematischer. Das sieht man schon daran, dass komplexere Formen ohne Mäzenatentum – sei es von privater oder staatlicher Seite – gar nicht mehr existenzfähig sind. Beim Essen gibt’s kein Mäzenatentum, aber das Publikum hat in den letzten Jahren sehr zugenommen. Die Leute erkennen inzwischen an, dass ein gutes Zitroneneis aus echten Zitronen nicht so günstig verkauft werden kann wie das Kunsteis aus der Packung. Die Nische ist dennoch klein: Wir haben in Deutschland rund 80 Millionen Einwohner, da gibt es etwa 500.000 Leute, die beim Essen relativ gut durchblicken. Und es gibt vielleicht zusätzlich eine Million, die sich auch noch ein bisschen Mühe gibt. Dem Rest ist es egal, aber diesen Rest will ich auch nicht missionieren. T. W.: In den restlichen Bereichen läuft es nicht ganz so rund. V. K.: Und da fängt der Untergang unserer Kultur an: Nur das wird noch estimiert, was Ertrag bringt, was sich rechnet. Wenn Kunst den Bach runtergeht, dann geht am Ende auch meine Arbeit unter.




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Reine Maskerade

Mayrhofen. Eine Ortsbegehung von Christa Zöchling

Die Anreise aus Wien im Zug zerrt an den Nerven. Dabei haben wir nicht einmal Ski dabei, die jeden Augenblick auf den Abteilboden krachen könnten, bloß kleines Gepäck, ausgeborgte Bergschuhe für ausgedehnte Wanderungen. Als rechterhand endlich die drohenden Berge aufsteigen, bizarre Spitzen im Dunst, blaue Gletscher in Falten gelegt, schiebt sich linkerhand ein Mann mit fahlem Teint und scheppernder Mini-Bar an uns vorbei. Das knittrige Hemd hängt ihm aus der Hose, aus blassen Semmeln quillt käsige Soße. In seinem Gefolge der Schaffner, der barsch einen Ausweis von mir verlangt. Ich höre und staune. Das Ticket im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit hat seine Tücken. Sämtliche Fahrgäste in diesem „Railjet“ könnten mit meiner Fahrkarte unterwegs sein. Ich hätte sie hundertfach ausdrucken und sämtliche Sandler am Wiener Westbahnhof einladen können, mir ins Zillertal zu folgen. Daran hatte ich nicht gedacht. Auch nicht an meinen Reisepass. Ich bin nämlich inkognito unterwegs. Ich bin Journalistin aus Wien und fahre nach Mayrhofen, dorthin wo einst die „Piefke-Saga“ spielte und wo schon einmal ein Wiener Journalist von den Einheimischen fast zu Tode geprügelt wurde, wer weiß, ob im wirklichen Leben oder in der Fernsehserie. Auch die Mayrhofener konnten das damals nicht so recht auseinanderhalten. Ich hatte nicht vorgehabt, meine Herkunft zu outen, und alles, was mich verraten könnte, vorsorglich daheim gelassen. Ich hatte mich darauf eingestellt, beim Kontakt mit den Einheimischen den Mund zu halten und meine beste Freundin, eine Tirolerin, die Verhandlungen führen zu lassen. Für den absoluten Notfall hatte ich nur meine E-Card mitgenommen. Der Schaffner lässt sie als Ausweis durchgehen, obwohl gerade E-Cards massenhaft gestohlen werden. Nach der ersten Beunruhigung stecke ich meine Nase wieder in ein altes Buch über Mayrhofen. Zur Einstimmung. „Eine Geduldsprobe im überfüllten Zug, welche von

der frohen Erwartung leidlich gekürzt wird. Mit Hintansetzung der gewohnten Bequemlichkeit wird hier ein neuer Lebenswandel begonnen: zeitiges Schlafengehen, frühes Aufstehen, reizlose Kost, Feldarbeit, Holzhacken und sonstige ausgiebige Bewegung bewirken bald eine merkliche Abnahme der rundlichen Leiber und bringen mitunter die schmerzlich vermisste Schlankheit zurück.“ So habe ich mir die bevorstehenden Tage der teilnehmenden Beobachtung eigentlich nicht vorgestellt. Das Bauernleben, kein Warten mehr auf Geblüh und Gedeih, sondern auf Überweisungen aus Brüssel. Für die Landschaftspflege. Man bringt mit der Nagelschere Hecken und Sträucher in Façon in Erwartung der Sommergäste. Man hält ein paar Hühner und einen Hahn, damit die Kinder der Sommergäste sich von flaumigen Küken in der Handhöhle kitzeln lassen können. Ich schaue aus dem Fenster: Dieser Tage rumpeln noch Lastkraftwagen in Kolonnen durch das Tal, mit schmutzigem Schnee auf der Ladefläche, der zur Talabfahrt gebracht wird. Zur Unterstützung der Schneekanonen. In der legendären Zillertalbahn sind die besten Plätze am Fenster von Einheimischen besetzt. Ein Naturgesetz. Sie tippen in ihr Smartphone. Sie haben das alles schon tausendmal gesehen und wollen es doch nicht teilen. Auch in den Wiener Ringstraßenbahnen sitzen immer übel gelaunte Wiener am Fenster und die Touristen verrenken sich die Hälse, um einen Blick auf Oper, Parlament und Burgtheater zu erhaschen. Auf den Bergspitzen, die beidseitig hochragen, glimmen rosig die letzten Sonnenstrahlen. Dort scheint es ruhig und friedlich, während das Leben hier einen immer größeren Lärmpegel erreicht. Dutzende Kinder haben den Waggon gestürmt, werfen Taschen und Mützen auf Bänke, markieren ihr Territorium wie junge Hunde und rempeln einen Fremden fort, einen Paradiesvogel in blaugrünglänzendem Dolce & Gabbana-Ganzkörperanzug mit Kapuze. Dieser Mann flucht leise auf


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russisch vor sich hin und sitzt jetzt uns gegenüber. Mit glasigem Blick. Höhensonne oder Hüttentee? Mit Touristen scheint man hier selbstbewusst umzuspringen, gar nicht anbiedernd wie erwartet. Das dunkle Tal, das Kreischen der Kinder, die schroffen Berge, spitzgiebelige Kirchtürme und Maschinen, die auf dunklen Wiesen geometrische Muster hinterlassen haben – all das bringt unser Gespräch unwillkürlich auf einen Film, den wir einmal im Kino gesehen haben: über das nordkoreanische Lager 14, den „Kaechon Gulag“. Es gibt da einen versteckten Zusammenhang. Trotz der erlittenen Hölle, sagt der entflohene Insasse in dieser preisgekrönten Dokumentation, wollte er wieder dorthin zurück. Warum? Wegen der mythischen Reinheit der Menschen unter den Bedingungen der Internierung. „Seid ihr auf Urlaub da?“ Eine Kinderstimme platzt mitten in unsere existentialistischen Überlegungen. „Wir haben einen Verleih, einen Skilift und eine Skischule. Meinen Eltern gehört diese Hütte dort oben“, kräht der Anführer der Kinderbande und weist gen Himmel, seine Äuglein blitzen vor Geschäftslust. Es fehlte nicht viel und wir wären mit einem Wochenskipass und der Buchung für einen Privatskilehrer in Mayrhofen angekommen. Wer hier aufgewachsen ist, hat den Tourismus im Blut. Er liebt die Fremden und er hasst sie. Seit über einhundertfünfzig Jahren leben die Mayrhofener und die Zillertaler von den Bergen und den Fremden, die diese Berge erobern und auf das Tal herunterschauen. Die englischen Romantiker waren die ersten, die im 19. Jahrhundert in dieser Bergwelt schwelgten. Es folgten brave deutsche Bergsteiger und deutsche Geschäftsleute. Zur Kaiserzeit waren fast alle Schutzhütten in deutscher Hand. Nach dem Krieg, in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders, kamen die deutschen Sommerfrischler, die auch in die Berge wollten, aber bitte mit Seilbahn und Sessellift. Heute stampfen massenhaft Russen in schweren Skischuhen durch den Ort mit blonden Frauen in paillettenbesetzten Bloussons und blonden Mädchen mit glitzernden Haarspangen, die Après-Ski-Outfits spazie-

ren führen. Der Bahnhofskiosk hat vereinzelt deutsche Zeitungen ausgelegt, doch haufenweise russische Illustrierte. Im Ort werben die Geschäfte in cyrillischer Schrift um Kunden, ebenso die Speisekarten in den Restaurants. Am Vorabend bin ich mit den Bildern der Piefke-Saga auf meiner Netzhaut eingeschlafen. Und so wirkt am Tag danach alles sehr vertraut, als hätte ich hier meine Kindheit verbracht. Es sieht hier wirklich so elend aus wie in diesem Fernsehfilm aus den 90er Jahren. Geschmackloser Zierrat, verkitschte Balkone, verlogene Idylle. Eine Gruppe junger Frauen in bodenlangen Festtagsdirndln schwebt vorbei. Kellnerinnen in der Arbeitspause. „Wie die Finger einer Hand spreizt sich die Naturparkregion von Mayrhofen aus in seine Seitentäler. Eine Hochgebirgslandschaft mit zerklüfteten Gletschern, tosenden Bächen, Wasserfällen, schroffen Felsen und einsamen Gipfeln – viele davon über 3.000 Meter hoch. Der einsichtige und erfahrene Wanderer steuert vorsichtig durch die Hindernisse der Jagdrechte und vorbei an den Fallgruben der Hotelwirtschaften bis zum strudelnden Felsenquell, den er immer frisch angeschlagen findet. Alles, was der Herr sich wünscht, bietet der Rucksack, das drückendste Übel der Berge, aber auch der unzertrennlichste Freund aller, die auf sich selbst gestellt erscheinen und ihre Mahlzeit auf naturgedeckter Tafel nehmen, an der sie auch in Hemdsärmeln erscheinen dürfen und kein Stoppelgeld zu zahlen brauchen.“ – So steht’s in einem alten Reiseführer. Und so hätt’ ich es auch gern. Alles hier drängt nach oben. Auch wir. Der erste Tag ist dem Aufstieg auf den „Ahorn“ gewidmet. Es geht durch einen Hohlweg stetig bergan. Sehnsüchtig schauen wir immer wieder auf die andere Seite des Tales, den Berg gegenüber, der in strahlendem Sonnenschein liegt und auf dem die schönsten Wanderwege zu sehen sind. Durch den Nadelwald schimmert eine weiße Kunstschneepiste. Ein sehr schmaler Streifen. Wie ein Läufer liegt er in der Landschaft. Alle zwanzig Meter ragen dünne Rohre in die Höhe, aus denen bei Bedarf der Schnee geblasen wird. Ein eisiges weißes Band, das sich


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an einer Stelle in einem Winkel von fast 90 Grad der Ortschaft zuneigt. Man hört Kratzen von der Piste. Ein Snowboarder, der allein mit der Bewegung seiner Hüften nach unten schwingt. Später dann auch ein, zwei Skifahrer, die weniger elegant talwärts schürfen. Wir schnaufen nach oben. Da – ein Mädchen im Schneepflug, es scheint nichts zu ahnen … Im Kino weiß man, dass hinter der nächsten Biegung der tödliche Strudel lauert. Sollen wir rufen? Nach einer Stunde, die mir vorkommt wie eine Ewigkeit, stoßen wir selbst auf die Piste. Sie ist an dieser Stelle sehr steil und bretthart. Wer hier zu Fall kommt, den hält nichts mehr. Der rutscht bis nach Mayrhofen hinunter. Der steht nicht mehr auf. Auf der anderen Seite der Piste liegt ein Gasthof, ein Sehnsuchtsort. Kaffee und Kuchen. Unerreichbar. Wir wagen uns nicht aufs Eis. Wir gehen lieber zurück, auf einem Weg, wo der Waldboden weich und doch nicht derselbe ist, auf dem wir gekommen sind. Nach ein paar Biegungen stoßen wir auf ein Skelett, eine Gams, so vermuten wir. Der Kopf ist ausgeweidet, wie alles andere auch, die Knochen sind von blutiger Farbe, Fellbüschel liegen verstreut. Die leeren Augenhöhlen sind das schlimmste. Wer war das? Ist das ein Omen? Ein Vodoozauber? Welches Ungeheuer könnte diese Gams gerissen und so zugerichtet haben? Ein Bär, ein Wolf? Wie verhält man sich, wenn ein Bär herangetrottet kommt? Wohin fliehen? Stürzten wir uns links hinunter in die Schlucht, ins abschüssige Unterholz? Könnten wir uns irgendwo anhalten? Wie clever sind eigentlich Bären? Über all den Überlegungen haben wir ein beachtliches Tempo erreicht. Die Äpfel und Jausenbrote und Wasserflaschen hüpfen im Takt der Schritte im Rucksack. Erst unten bei der Talstation der Ahornbahn in einem Kiosk kommen wir zur Ruhe. Ein Imbiss, in Wirklichkeit eher eine Saufbude, in der sich die Einheimischen vom Tourismus-Business erholen. Glückliche Paare, die sich in die Arme sinken. Der zweite Tag: Ich muss auf den Penken, den Berg gegenüber, der in der Vormittagssonne liegt und mit idyllischen Wanderwegen lockt. Laut einer Tourismuszei-

tung eines weit zurückliegenden Sommers plätschern hier fröhliche Bächlein ins Tal und starke Männer in Knickerbockern tragen Frauen in Knickerbockern über die Wasserfälle. Oben bei der Bergstation der Penkenseilbahn soll es weite Hänge, Firnschnee und braungebrannte Tirolerburschen geben. Die Penkenbahn beschäftigt die Mayrhofener seit geraumer Zeit. Die Gemeinde hat sich an der Frage gespalten, ob die alte Seilbahn renoviert oder eine neue an einer anderen Stelle gebaut werden soll. Feindliche Lager sind entstanden. Die Penkenbahn ist ein Sargnagel für die Dorfgemeinschaft. Es geht steiler bergan, als ich dachte. Nach ein, zwei Stunden plumpst ein rotgesichtiger, in Schweiß gebadeter Mann über Stock und Stein herab, mir direkt vor die Füße. Er ist kaum noch bei Sinnen. Ein blonder Schopf, ein labbriges T-Shirt, kurze Hosen und – nun ja, ziemlich übergewichtig. Ich frage, wie weit es noch sei bis zur „Bergrast“, meinem einzigen Ziel. Und er prahlt (auf Englisch): nicht weit, praktisch um die Ecke. Ich schöpfe wieder Mut, doch nach zwei weiteren Stunden wird mir klar, dass ich einem Aufschneider auf den Leim gegangen bin. Ich bin bereits nah am Bergtod, kann nur noch auf das Erscheinen der verflixten „Bergrast“ hoffen. Immer wieder ist sie angeschrieben. Und noch eine Biegung und noch eine und noch immer nichts. Hinter mir ist jetzt eine junge Frau mit Teleskopstecken unterwegs, die nach oben strebt wie ein Duracellhase. Gleichmäßig rasch und lautlos kommt sie näher und zieht an mir vorbei. Ihr Blick streift mich kurz und ihr Mund kräuselt sich verächtlich. So jemanden fragt man nicht. Vor einer solchen Bergziege gibt man sich keine Blöße. Den darauffolgenden Weg erinnere ich kaum. Stechen in der Brust, Pochen im Kopf, verschwimmende Aussicht. Über allen Wipfeln ist Ruh, doch meiner Lunge entfährt rhythmisch ein stampfendes Geräusch. Meine Augen sind auf den Waldboden gerichtet. Endlich! Schnee! Das heißt: Skifahrer und Skizirkus und eine Seilbahn, die mich wieder lebendig nach unten bringt. Endlich sehe ich Ausläufer der Piste, bunte Fähnchen lugen hinter einem Hügel hervor und dann höre ich


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auch schon Musik und Gegröle. „We are the Champions“, „Schifoan, foan, foan“. Ich bin in der Skihölle gelandet, so wie ich sie mir vorgestellt habe. Zwei, drei, vier Bars umringen die Seilbahnstation. Knallbunte Kostüme wie im Karneval und jeder hier hat diesen ungelenken Gang wie die Männer auf dem Mond. Sonnenbrillen spiegeln, Haarbänder flattern und der Schnee glitzert und die Sonne gleißt. Ein Skilehrer oder Animateur kreischt auf einer Sonnenterrasse in ein Mikrophon und verhöhnt zufällig vorbeikommende Mädchen: „Du da, die Blaue mein ich, mit dem Pferdehintern, lass schauen …“. Auf einer Tafel steht sinnig: „Achtung vor freilaufenden Elchen“, denn man macht hier auf lustig, und das ist die „Elchbar“ und die meisten Gäste hängen vollkommen apathisch auf den Holzbänken. Volltrunken, komplett erschöpft. Später am Abend ereignet sich ein großer Glücksfall. Meine Freundin will unbedingt die Kirche sehen und ich trotte hinterher. Die Kirche ist das schönste an Mayrhofen. Ein schlichter, strahlend weißer Innenraum mit einem wunderschönen Altar. Beidseitig flankiert von riesengroßen Engelstatuen aus Gold mit machtvollen Flügeln, der eine Engel zertritt mit seinem linken Fuß den Teufel, der andere beschützt ein kleines Mädchen. An der Decke ein Bild von Max Weiler. Und dann ertönen zarteste Männerstimmen und eine Harfe. Der Männergesangsverein von Mayrhofen singt die „Waldlermesse“. Jetzt erst sind wir angekommen. Der letzte Tag: zum Waldfriedhof und auf den Steinerkogel. An den Grabsteinen sieht man, dass eine Handvoll Familien seit Jahrhunderten hier herrschen, die Vorfahren der großen Gastwirte, der Bäcker und Fleischer. Ein Dutzend Namen. Sogar Urnen gibt es hier. Ungläubige. Heimliche Protestanten. Viele sind einst auch ausgewandert ins Riesengebirge, weil sie nicht abschwören wollten. Auf den Steinerkogel gehen die Mayrhofner wie die Wiener in den Prater spazieren. Menschen jeden Alters ziehen nach oben. Ohne Mühe. Kleine Kinder springen über Stock und Stein, dass einem bange wird.

Und wieder muss ich keuchen. Aber – je weiter wir nach oben kommen, desto schöner wirkt Mayrhofen. Es zeigt sich ein Ortskern und eine gewachsene Struktur. Bis jetzt hatte ich dieses Fleckchen Erde für gottverdammt hässlich gehalten: für eine sich irgendwie den Begebenheiten anpassende bloße Durchgangsstraße, mal nach links, mal nach rechts sich wendend, ohne Plan, ohne die Ästhetik einer gewollten Architektur und einer von menschlicher Intelligenz geleiteten Gestaltung, kurz: ohne Schönheit. Ich hatte nur die vereinzelten Häuser gesehen, mit zu großen, ja maßlos überdimensionierten Kitschbalkonen, so rustikal wie unzweckmäßig, als würde hier ein endloser Heimatfilm gedreht werden. Ich hatte mich weggeduckt unter der ganzjährigen Weihnachtsbeleuchtung, den künstlichen Lichterketten in den Bäumen. Ich hatte das alles nicht gemocht, diesen Dauertourismus, der einen aus jedem Haus und jedem Restaurant anschreit: Was man hier essen soll und trinken soll, was man dort alles tun und machen kann. Doch auf einmal bekam alles eine Kontur, von diesem Gipfel aus: Es war eine menschliche Siedlung, eine Gemeinde. Menschen lebten dort seit Urzeiten zusammen. Ihre Kinder spielten und lärmten im zentralen Schulgebäude, man konnte es sogar von hier aus hören. Ich sah das Schreibwarengeschäft nun ganz anders, en miniature, den Friseur, das Lebensmittelgeschäft, die Drogerie und Parfümerie, das Gemeindeamt und vieles andere. Ich begriff, dass der Tourismus nur die Maske ist, die diese Region trägt. All die schrecklichen papageienbunten Ski- und Sportklamotten, die Kunststoffhelme, Plastikutensilien, Acrylhosen und Spiegelbrillen sind reine Maskerade, wie beim Karneval in Rio das aggressive Faschings-Outfit. Und das hemmungslose Saufen und Grölen nur die nach außen gewendete Angst von Menschen, die sich verirrt haben. Hinter all diesen Erscheinungen liegt das echte Mayrhofen. Eine zeitlose Bergwelt, deren Wahrheit unzerstörbar ist. Und hier oben herrscht, welch Wunder: Stille.














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Ewig, ewig!

In dieser Zeitschrift erscheinen in unregelmäßigen Abständen Polemiken zu platitüdenhaften Aussagen, die in der Welt der Kunst und Kultur gang und gäbe sind. Der Musiker und Autor Hans Platzgumer übernahm die Aufgabe, den Satz „Meine Zeit wird kommen!“ zu bedenken. Und lieferte mehr ein Bekennerschreiben denn eine Polemik: „Ja, ich gestehe, auch ich bin Künstler, bin eingedrungen in diese Gruppe Geisteskranker, die Halt in sich selber suchen.“

Millionen von Künstlerinnen und Künstlern schwirren herum, durch alle Sparten, in allen Qualitäten, bildnerisch, musisch, literarisch, sonstwie veranlagt, mehr oder weniger talentiert, mehr oder weniger ambitioniert, mitten unter uns leben sie, solche, die uns leider nicht auffallen, und solche, die leider schon auffallen. Die, die nachkommen, gibt es, und die, die vorher zu schaffen hatten (vielleicht immer noch schaffen, aber niemand nimmt es ihnen ab), nicht zu vergessen die, die ausgestorben sind. Die Neuen werden an den Alten gemessen, als wäre Kunst messbar und jede Kunstart eine Sportart, ergebnisorientiert, leistungsorientiert. Für die Alten ist es aus und vorbei, sofern sie nicht in den Kanon der Kenner aufgenommen werden, wo festgelegt ist, was für alle Zeit Wert zu haben hat oder nicht. Zu verblühen, ohne in den Kanon aufgenommen zu werden, ist der Schrecken jedes Künstlers (ich wechsle der Einfachheit halber ins Maskulinum, auch wenn sich fortan alles auf beide Geschlechter bezieht). Er hat sein Ablaufdatum vor Augen, weiß, seine Zeit ist begrenzt, sie läuft ab, er muss dagegen anstemmen. Nur wie? Soll er alles auf eine Karte setzen, das schnöde Leben beiseite schieben und sich nur seiner Kunst opfern? Erwartet das die Gesellschaft von ihm, oder er von sich selbst? Die Gesellschaft erwartet nichts dergleichen, muss er einsehen, nichts will sie von ihm, früher tat sie es vielleicht, heute soll er funktionieren wie andere Dienstleister und Diensttreiber auch. Nichts wird ihm geschenkt, kein Mitleid, kein Unterhalt, keine Reifezeit, zu viel seiner Art gibt es bereits, zu viel von allem. Wer nicht liefert, wird vom Nächsten abgelöst, der willig sein wird zu liefern und unkomplizierter obendrein. Das ist die Fessel der heutigen Kunst, die sie wie alles auf das Praktische reduziert. Funktionskunst soll sie werden, Gebrauchskunst, er-

stickt in Konsumfreundlichkeit und unüberschaubarer Fülle, entwertet, entkräftet. Der Künstler, der an dieser Stelle noch Künstler zu bleiben entscheidet, muss, will er sich Prinzipien nicht unterordnen, die der Kunst als filigrane Ausdrucksform an sich widersprechen, sich nach Innen orientieren – sofern er dort den unerschütterlichen Drang verspürt, seine unbeugsame, allen Sinnwidrigkeiten zum Trotz gelebte Kunst weiter zu betreiben. Bon Courage! Spätestens hier spalten sich die eingangs erwähnten Millionen Artists in einen großen Teil, der klein beigibt und einsichtig ist mit den Lehren der Marktwirtschaft, und einen kleinen auf, der – warum auch immer – sich der Einsicht verweigert. Ersterer wird fortan den Markt überschwemmen, sich dessen Regeln und Strategien beugen, das Leistungsprinzip und jenes von Angebot und Nachfrage befolgen und ökonomisch mit seiner Kunst hantieren, die zum Hobby wird, sobald sie nicht als Beruf taugt. Zweiterer wendet sich an sein eigenes Ich, um Bestätigung, Anerkennung, Erfolg und Euphorie des Kunstwesens zu erfahren. Was ihm von Außen enthalten wird, muss er innerlich kompensieren. Wenn das Außen ihm Schwäche, Nutzlos- oder Mangelhaftigkeit attestiert, muss er es als Genialiät, Sublimität, Großartigkeit deuten. Solang niemand seinen Genius erkennt, muss er ihn doppelt anerkennen. Santé! Dass dies auf Dauer nicht gesund ist, liegt auf der Hand. Warum tut er es trotzdem? Wurde er als Kind nicht genug geliebt, gelobt und ist dazu verdammt, sein Leben lang nichts als Anerkennung zu suchen, die niemals genug sein kann, weil das Reservoir, wenn in der Kindheit nicht gefüllt, im Erwachsenenalter nicht mehr geflutet


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werden kann? Wie lang hält er durch, wie krankhaft besessen von sich selbst und seinem Kunstideal schafft er es zu sein, bevor er einknickt? Hier spaltet sich die verbleibende Künstlerschaft ein weiteres Mal und lässt neben den Aufgebenden und Abfallenden (den Menschlicheren) jene Luftwesen übrig, die sich, egal auf welchen Widerhall sie stoßen, vom eingeschlagenen Weg nicht abbringen lassen. So dünnhäutig sie sind, so hartnäckig ist irgendetwas in ihnen. Fatalerweise liegt aber ihr Weg nicht immer klar umrissen vor Augen, sondern will (muss!) erkundet werden. Der Künstler weiß nicht, wohin er will, aber er will und muss. Seine Kunst wird zum Befall, zur Besessenheit, Krankheit. Und hier wird sie interessant, denn erst jetzt trennt sich Vision von Konsens, erst jetzt übernimmt die Kunst vollkommen. Ungezügelt, befreit wirft sie Ballast ab und fliegt davon, der Mensch, in dem sie steckt, mit ihr, nur mehr Hülle ist er, seine Materie bloß Sammelbecken für Materieloses. Wie die Lichtesser meinen, nur von Licht allein zu leben, meint der Künstler, nur von der Kunst zu leben, die ihn durchströmt, so brotlos sie auch sein mag, denn Brotgewinn ist sekundär, nichtssagend im Vergleich zum Eigentlichen, was im Künstler steckt, er zumindest meint, in sich zu sehen, das Seine, das nur er in orgiastischer Weise erfährt oder ihn vernichtet und zerfrisst. Wir befinden uns nun in einem kleinen erlauchten Kreis, einer Runde von Wahnsinnigen, die sich gegenseitig weiter in den Wahnsinn treiben, wenn sie aufeinandertreffen, oder verbluten, wenn sie zu lang der Isolation nicht entkommen (sei sie selbstgewählt oder fremdverschuldet). In diesem engen Zirkel lebt es sich gefährlich. Ein Leben an der Klippe ist es, täglich geben Kleinigkeiten den Ausschlag, ob die gebeutelte Künstlerseele himmelhoch hinaufschnellt oder in abgründigste Tiefen stürzt. Eine falsche Kritik, ein ungerechtes Wort, ein Lüftchen, das von außen hereinweht und nicht abgefangen wird, lässt die Welt der auf dieser Klippe Stehenden ebenso zusammenbrechen wie eine Schreibblockade, ein misslungener Ton, missratener Strich oder einfach auch nur Nichts, Nichts allein. Ich kenne es, habe es am eigenen Leib erfahren, lang genug ist mein künstliches Universum wieder und wieder zerbrochen und habe ich versucht, die Scherben aufzu-

sammeln, wenn auch nur, um mir mit einer davon den Gnadenstoß zu versetzen. Ja, ich gestehe, auch ich bin Künstler, mein Leben lang war ich nichts anderes, ich bin eingedrungen in diese Gruppe Geisteskranker, die Halt in sich selber suchen, obwohl der Hausverstand ihnen schon sagt, dass in ihnen kein Halt zu finden ist. Wir können nicht anders, taugen zu nichts anderem, jede selbstherrliche Phase unserer Künstlerkarriere bezeugt, wie unsere Gabe eine Qual und das Kreieren ein Leiden ist, ein womöglich sinnloses obendrein. Über die Jahre (bei mir sind es nun drei Jahrzehnte, in denen ich als professioneller Kunstschaffender gesehen werden muss), mit dem Älterwerden wird es besser. Da gewöhnt der Kunstmensch sich daran, einer zu sein, wie man irgendwann allem gegenüber eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Mit jeder Krankheit, die einem nicht sofort das Leben nimmt, kann man lernen umzugehen, auch mit dem Kunstbefall in seinem äußersten Stadium. Weder etwas Göttliches ist es nämlich, als das es oft dargestellt wird, noch Teuflisches, als das es sich dem verfluchten Künstler selbst offenbart, nein, etwas durch und durch Menschliches ist es, das muss der Homo Sapiens anerkennen. Die Menschheit braucht, ob sie es begreift oder nicht, das Unlogische, Metaphysische, Ungreifbare, das sie unlogisch metaphysisch ergreift und berührt bei allen Sinnen, sie überfällt, gefangen nimmt, ihr den Verstand raubt. Und niemand kann das produzieren, außer jene unheilbar Kranken, die an der Klippe stehen und sich der Gefahr aussetzen, vom nächsten Windstoß hinweggefegt zu werden. Es ist nicht wegzudiskutieren, wie sehr die Menschen ihre Künstler brauchen, immer schon gebraucht haben, vom Faustkeil des Homo Erectus bis zu Mapping Projections und darüber hinaus. Nur, wie offenkundig Konsumenten ihrem Kunstverlangen nachgeben, ändert sich durch die Epochen und Kulturen und den Grad der Evolution und Dekadenz, den das Menschenhirn gerade erreicht. Was unverändert bleibt in allen Phasen ist, dass nur einem kleinen Prozentsatz der Klippenlemminge Erfolg und Respekt zuteil wird. Das ist die letzte Spaltung der Künstlerschaft: Die Auserwählten, die in den Kanon eingehen, stehen den Gepeinigten gegenüber, deren Schicksal es ist, unentdeckt zu bleiben. The Winner takes it all. Doch ob er zu beneiden ist, ist eine andere


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der Bühne zu schaffen, haben die Schauspieler und der Regisseur sie einige Male besucht. Man hat miteinander gekocht, Ausflüge unternommen oder einen Abend miteinander verbracht. Dabei sind sehr vertrauliche, herzliche und freundschaftliche Beziehungen entstanden, die in der Folge ein offenes Miteinander auf der Bühne ermöglicht haben. Bei all diesen Begegnungen kam es zu lustigen, manchmal auch ergreifenden Situationen. Bei einem Ausflug erzählte eine Zeitzeugin mit Blick auf ein Bergmassiv im Vinschgau, dass sie alle Berge hier kenne, überall oben gewesen sei, aber bei der Wand da oben: „Da hab ich das einzige Mal in meinem Leben Angst gehabt!“ Als die Dame im Probenraum mit herrlichem Blick auf den Rosengarten erzählte, dass sie auch all diese Gipfel bestiegen hätte und in einer Rinne in Not geraten sei und Angst gehabt habe, fragte sie der Regisseur, ob die einzige Angst nicht damals im Vinschgau aufgetreten sei. Ihre lapidare Antwort: „Im Vinschgau hatte ich Angst. Da in der Rinne war ich nur in Lebensgefahr. Tun Sie mir das nicht verwechseln, junger Mann!“ Einer der Zeitzeugen machte einen Spaziergang durch seinen Geburtsort, zeigte dem Schauspieler die Plätze seiner Kindheit. Zwischen den beiden entstand eine schöne Männerfreundschaft, in der man sich auch Geheimnisse anvertraut. So sagte der Herr einmal: „Könnte ich noch einmal von vorn anfangen, würde ich zum Theater gehen. Ich würde hineingehen in das Theater da und die erste Frau, die mir begegnet, würde ich sofort heiraten. Alle da sind so nett! Und ich hab immer gedacht, die Leute vom Theater sind nur Spinner. Man darf einfach keine Vorurteile haben!“ Der Herr kann auf eine über 70-jährige Mitgliedschaft beim Chor seines Dorfes zurückblicken. In all den Jahren hat er nie eine Probe ausgelassen. „Nur wegen dem Krieg. Aber jetzt hab ich gesagt, im Feber müssen sie ohne mich auskommen. Ich hab jetzt eine neue künstlerische Richtung.“ Auf der Bühne erzählte er dann die Geschichte, wie bei seinem Heimathaus die Fenster eingeschlagen wurden, weil er aus einer Dableiberfamilie stammte. Die Urheber des Attentats waren ihm unbekannt. Es gab nur Vermutungen. Bei der letzten Vorstellung berichtete er aber: „Heute nach der Kirche hat mich einer angeredet. Er hat das Theater da gesehen und mich gefragt, ob ich wirklich nicht weiß, wer mir die Fenster eingeschlagen hat damals. Und dann hat er mir gesagt, wer es war.

Meine Vermutung, die ich über 70 Jahre gehabt habe, war falsch. Es war jemand anderer. Zum Glück hab ich nie einen Namen gesagt.“ Ein anderer Herr, sportlich und auch sonst noch sehr aktiv, hat irgendwann angekündigt, dass er bei den letzten zwei Vorstellungen leider nicht dabei sein könne, da er zu einem Meeting des Internationalen Olympischen Komitees nach Genf fahren müsse. Ein paar Tage vor dem Termin antwortete der Herr auf die Frage, wie es denn ausschaue mit den letzten Vorstellungen: „Ich bleib da! Das lass ich mir nicht entgehen!“ Da dieser 80-jährige Zeitzeuge noch aktiver Schifahrer ist, schlug der Regisseur als Aktivität zum Kennenlernen einen gemeinsamen Schitag mit dem Schauspieler vor: „Das machen wir nicht! Beim Schifahren tut man Schifahren. Da kann man nichts erzählen. Auf dem Lift sind fremde Menschen. Da kann man nichts erzählen. Und in der Hütte tut man essen. Da kann man auch nichts erzählen. Wir machen einen kleinen Spaziergang. Da kann man erzählen. Drei bis fünf Stunden. Ziehen’s gute Schuh an!“ Als wir ihm den doch recht zeitaufwändigen Probenplan vorlegten, sagte er: „Laienfrage. Machen wir da jeden Tag dasselbe? Ist das wirklich notwendig?“ Wir fragten eine Dame aus Brixen, ob sie denn bereit wäre, bei unserem Projekt mitzumachen. Sie erbat sich ein paar Tage Bedenkzeit, dann meinte sie: „Das wird sicher sehr anstrengend. Mein Kopf sagt nein. Mein Herz sagt ja. Ich habe in meinem Leben gelernt, dass man auf sein Herz hören sollte. Ich glaube, danach werde ich glücklich sein.“ Also hatten wir die Zusage. Als die Dame aber den Zeitplan für die Vorstellungen sah, tauchte ein neues Problem auf: „Wir spielen um 20 Uhr? Das geht nicht. Um halb acht stelle ich das Radio zum Bett, höre Nachrichten und um acht schlafe ich schon. Kann man das den Menschen nicht erklären und ein bisschen früher anfangen?“ Wir haben die Zeitzeugin öfters besucht, fuhren über die Autobahn von Bozen nach Brixen. Einmal, es war schlechtes Wetter und schneite leicht, begrüßte sie uns mit den Worten: „Bin ich froh, dass ihr heil angekommen seid! Ihr müsst durch diesen gefährlichen Lawinenstrich fahren. Alles nur wegen mir! Kommt rein, wärmt euch auf!“ Dann galt es noch einige Fragen über die Formulierungen, die man auf der Bühne benutzen darf, zu klären: „Wenn ich sag die ,Walschen‘, das geht nicht.“ – „Aber damals hat man das doch so gesagt.“ – „Ja schon, aber wenn da ,Walsche‘ im Publikum sitzen




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„Heimat ist alles“ Die Frauen und Männer auf der Bühne sind zwischen 78 und 92 Jahre alt. Sie erzählen von „der Option“, jenem Ereignis in der Geschichte Südtirols, das bis heute nachwirkt. Eine zeitgeschichtliche Recherche, ein Theaterprojekt – und die Hintergründe. Von Elisabeth Thaler und Alexander Kratzer

„Der Hitler hat uns verkauft“ – mit diesen Worten beschreiben viele Südtirolerinnen und Südtiroler den Umsiedlungsvertrag, den Hitler und Mussolini 1939 unterzeichnet hatten und der unter dem Schlagwort „Option“ in die Geschichte eingegangen ist. Damit wurden knapp 235.000 Südtiroler vor die Wahl gestellt, im faschistischen Italien zu bleiben oder ins nationalsozialistische Deutsche Reich auszuwandern. Die bis dahin einheitliche deutsche Bevölkerung Südtirols spaltete sich in Optanten und Dableiber. Eine Entscheidung musste gefällt werden, „für da oder für aussi“. Eine Zeitzeugin erinnert sich an den letzten Wahltag: „Am Silvestertag ist der letzte Wahltag gewesen. Sie hat Nachtmahl gerichtet gehabt, die Mutter. Sagt sie: Endlich, jetzt ist dieser Tag auch herum. Jetzt wird man doch bald die selige Ruh haben, hat sie gesagt. Nachher haben sie die Mutter halt doch noch überredet, dass sie ein wenig etwas anderes angezogen hat und das Ross gerichtet und hineingefahren und … wählen, mit hartem, mit schmerzendem Herzen. Dann hat sie gesagt: Morgen ist Neujahrtag, ist immer eher ein Festtag gewesen, aber morgen bin –, kann –, steh –, kann ich nicht mehr aufstehen.“ 2014 – 75 Jahre später kommen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen noch einmal zu Wort. Rund um das Theaterprojekt „Option. Spuren der Erinnerung“ der Vereinigten Bühnen Bozen erzählen Menschen von ihren Erinnerungen. Sie waren Kinder und junge Erwachsene, als die Geschichte ihr Leben prägend beeinflusst hat. Bilder, Gefühle und einschneidende Momente haben die Jahre überlebt in den Köpfen und Herzen vieler Südtirolerinnen und Südtiroler. Über einen Aufruf in den Medien im Juni 2013 suchten die Vereinigten Bühnen Bozen Menschen, die bereit waren, über die grausame und schwere Zeit der Option zu sprechen. Kurze Zeit später kam ein Anruf nach dem anderen. Frauen und Männer brachten zum Ausdruck, wie wichtig es ihnen sei, die nächsten Generationen an ihrer persönlichen Geschichte teilhaben zu lassen. Dass die Erlebnisse der Optionszeit noch stark in den Menschen präsent ist, zeigte sich auch daran,

dass sie bereits am Telefon zu erzählen begannen: von den inneren Kämpfen, was wohl die richtige Entscheidung sei, wie sie rausgefahren seien ins Ungewisse, mit welchen Schikanen sie konfrontiert gewesen seien hier und draußen, wie sie ohne Papiere und unter Lebensgefahr nach dem Krieg wieder über die Grenze geflüchtet seien, um heimzukommen. Klare Sätze, leise Stimmen, lange Pausen – es war spürbar, dass etwas in Bewegung gesetzt wurde. Ein Mann berichtete am Telefon sehr konfus, unzusammenhängend und sprunghaft von Erinnerungen an die damalige Zeit. Monate später besuchte ein Team des Theaters gemeinsam mit Historikern der Universität Innsbruck diesen Zeitzeugen auf seinem Hof. Begrüßt wurden sie von der Frau mit den Worten, ihr Mann leide an Demenz. Sie wisse nicht genau, warum er sich überhaupt auf diesen Aufruf gemeldet habe, es scheine ihm wohl wichtig zu sein, man solle sich aber nicht zu viel erwarten, er könne keine klaren Zusammenhänge mehr herstellen. Die Kamera wurde aufgestellt, das Gespräch begann und der Mann antwortete eine Stunde präzise auf Fragen, erzählte von seinen Kriegserlebnissen und davon, wie zur Zeit der Option jeder Baum, jeder Hof geschätzt werden musste, falls es zur Auswanderung käme und der Besitz ausbezahlt werden müsse. Der Wunsch, sich zu erinnern und mitzuteilen, hat für kurze Zeit die Krankheit überwunden, er wollte Zeugnis ablegen, und es ist ihm gelungen. Die über 60 Besuche bei Zeitzeugen in ganz Südtirol, aber auch in Nordtirol, Linz und Wien gestalteten sich spannend und emotional. Alle wurden zu Hause interviewt. Die gewohnte Umgebung, die heimelige Atmosphäre erleichterte vielen das Sprechen über ein Thema, das Jahrzehnte totgeschwiegen wurde. „Wir haben einfach nicht mehr darüber geredet. Nach dem Krieg hieß es Aufbauen, Zusammenhalten. Es hätte nichts gebracht, sich weiterhin zu bekämpfen“, so die Aussage von vielen. Bis heute spricht man wenig. Die Kluft zwischen Optanten und Dableibern sei auch jetzt noch zu spüren, so eine Dableiberin. „Man grüßt sich in der Stadt, aber man spricht nicht miteinander.“


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Der Riss ging nicht nur durch Dorfgemeinschaften und Freundschaften, er ging vielfach auch durch die eigene Familie: „Und dann ist schon eigentlich in der Familie … Die Brüder haben sich lassen aufreden fürs Hinaus. Und der Vater und die Eltern, die sind halt fürs Hinaus nicht einverstanden gewesen. Ich weiß noch, ich weiß noch genug wie der Vater gesagt hat: Nein, haltet doch noch zu uns. Und zieht nicht weg von daheim! Bleibt! Aber da sind halt mehr solche Buben gewesen, die sich aufreden haben lassen. Und wie diese Wahlen dann … Da ist ein Durcheinander geworden dann in den Familien. Ein richtiges Durcheinander in den Familien.“ Oft hielt das Schweigen zwischen den Generationen ein Leben lang an. Zeitzeugen berichteten von Vätern, die bei der Hochzeit der eigenen Tochter nicht anwesend waren, von Geschwistern, die zeitlebens kein Wort mehr miteinander wechselten, und von Familientreffen, die immer wieder in harten Diskussionen endeten. Viele Wege trennten sich, der Schmerz blieb. Manchmal kam er beim Erzählen sichtbar zum Ausdruck, manchmal im Stillen. Ein Ehepaar mit sehr unterschiedlichen Erinnerungen an die damalige Zeit meldete sich. Am Tag des Besuches war der Mann erkrankt und die Frau – eine Dableiberin – erzählte ruhig und in klaren Bildern von Anfeindungen im Dorf, als sie nur noch „walsch“ gegrüßt wurden, vom Ausgegrenztsein, wenn die Schwester als einzige keine Lilie bei der Erstkommunion mittragen durfte, und vom Schmerz des Vaters, als die Kundschaft ausblieb, denn „Nähen lassen wir bei einem walschen Schneider nix mehr, das ist jetzt aus.“ Nach dem Gespräch kam der Mann doch noch aus dem Zimmer, erzählen wollte er jedoch nicht. Während die Mutter und ihre Töchter redeten und scherzten, hielt die laufende Kamera einen Moment fest, der berührte: Der Mann schaute lange auf ein Blatt Papier, auf dem Stichworte über die Optionszeit notiert waren. Er war in seine Gedanken vertieft, bekam nicht mehr mit, was rund um ihn passierte, und sichtlich bewegt kamen Erinnerungen hoch. Auch wenn sie unausgesprochen blieben, erzählten diese Momente ebenso viel wie Worte. Sie auszuhalten, stehen zu lassen, nicht zu unterbrechen, war auch die Kunst der Interviewer. In den vielen stillen Momenten bauten die Zeitzeugen Brücken zu Geschichten, die kein Fragender je entdeckt hätte. Manchmal konnte man „zusehen“, wie Filme im Inneren vorüberzogen, und man hätte viel gegeben, einen kurzen Einblick in diese Bilder zu erhaschen. Ein-

prägsam war ein langer stiller Moment einer Zeitzeugin, an deren Ende sie nur das Wort „Friede“ sprach – es fasste wohl alles zusammen, was sie bewegte. Sehr präsent ist vielen Rücksiedlern und Nichtrückoptanten der Tag des Abschiednehmens. „Für uns Kinder ist es nett gewesen, mal aussi zu fahren, auf einen Wagen aufsitzen wie ein Ausflug heute für junge Leute. Das hat sich dann schon geändert.“ Ein Abenteuer war es meist für die jungen Menschen, aufregend, neu, spannend. Nicht der eigene Schmerz machte ihnen zu schaffen, sondern vielmehr der Schmerz der Eltern. Die Kinder haben das „Warum“ nicht verstanden, aber sie haben gespürt, dass diese Reise keine positive war. Unvergessliche Erinnerungen spiegelten dieses Gefühl wider: „Ich sehe meinen Vater Möbel zerschlagen.“ „Die Mutter war die ganze Reise neben sich vor lauter Schmerz. Rotz und Wasser hat sie geheult.“ „Was ich jetzt weiß und immer schon wusste, war mein Blick bei der letzten Kurve aus dem Eisenbahnfenster – irgendwie – trotz meiner kindhaften Naivität, hat es mir weh getan. Brixen siehst du nicht mehr. Das weiß ich noch.“ Jenseits des Brenners zerplatzte der Traum: kein großer Empfang am Bahnhof, kein einheitliches Siedlungsgebiet, keine großen Bauernhöfe. Man hatte davon geträumt, in die Heimat zu gehen, und kam in der Fremde an. Die eigens für die Auswanderer erbauten „Südtiroler Siedlungen“ waren den Einheimischen oft ein Dorn im Auge. Was ist Heimat? Diese Frage stand am Ende eines jeden Interviews. „Heimat ist alles“, war die häufigste Antwort. HEIMAT – mit diesem Wort endete auch der Theaterabend in Bozen, wo 10 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Teile ihrer Geschichte live erzählten. Dableiber, Optanten, Rücksiedler und ein Nichtrückoptant saßen gemeinsam auf der Bühne und ließen das Publikum teilhaben an ihren Erinnerungen. Fünf Schauspieler traten in einen Dialog mit den Menschen auf der Bühne. Anderen Erzählungen von Zeitzeugen liehen sie ihre Stimmen. Die Probenarbeit war eine ganz besondere. Natürlich wurden Zwischenszenen – aus Interviews transkribierte Montagen und historisches Material – „normal“ im Theater geprobt, die verschiedenen Puzzleteile wie Musik, Szenen und Zeitzeugenberichte auf der Bühne zusammengesetzt. Um für die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine möglichst vertraute Atmosphäre auf


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der Bühne zu schaffen, haben die Schauspieler und der Regisseur sie einige Male besucht. Man hat miteinander gekocht, Ausflüge unternommen oder einen Abend miteinander verbracht. Dabei sind sehr vertrauliche, herzliche und freundschaftliche Beziehungen entstanden, die in der Folge ein offenes Miteinander auf der Bühne ermöglicht haben. Bei all diesen Begegnungen kam es zu lustigen, manchmal auch ergreifenden Situationen. Bei einem Ausflug erzählte eine Zeitzeugin mit Blick auf ein Bergmassiv im Vinschgau, dass sie alle Berge hier kenne, überall oben gewesen sei, aber bei der Wand da oben: „Da hab ich das einzige Mal in meinem Leben Angst gehabt!“ Als die Dame im Probenraum mit herrlichem Blick auf den Rosengarten erzählte, dass sie auch all diese Gipfel bestiegen hätte und in einer Rinne in Not geraten sei und Angst gehabt habe, fragte sie der Regisseur, ob die einzige Angst nicht damals im Vinschgau aufgetreten sei. Ihre lapidare Antwort: „Im Vinschgau hatte ich Angst. Da in der Rinne war ich nur in Lebensgefahr. Tun Sie mir das nicht verwechseln, junger Mann!“ Einer der Zeitzeugen machte einen Spaziergang durch seinen Geburtsort, zeigte dem Schauspieler die Plätze seiner Kindheit. Zwischen den beiden entstand eine schöne Männerfreundschaft, in der man sich auch Geheimnisse anvertraut. So sagte der Herr einmal: „Könnte ich noch einmal von vorn anfangen, würde ich zum Theater gehen. Ich würde hineingehen in das Theater da und die erste Frau, die mir begegnet, würde ich sofort heiraten. Alle da sind so nett! Und ich hab immer gedacht, die Leute vom Theater sind nur Spinner. Man darf einfach keine Vorurteile haben!“ Der Herr kann auf eine über 70-jährige Mitgliedschaft beim Chor seines Dorfes zurückblicken. In all den Jahren hat er nie eine Probe ausgelassen. „Nur wegen dem Krieg. Aber jetzt hab ich gesagt, im Feber müssen sie ohne mich auskommen. Ich hab jetzt eine neue künstlerische Richtung.“ Auf der Bühne erzählte er dann die Geschichte, wie bei seinem Heimathaus die Fenster eingeschlagen wurden, weil er aus einer Dableiberfamilie stammte. Die Urheber des Attentats waren ihm unbekannt. Es gab nur Vermutungen. Bei der letzten Vorstellung berichtete er aber: „Heute nach der Kirche hat mich einer angeredet. Er hat das Theater da gesehen und mich gefragt, ob ich wirklich nicht weiß, wer mir die Fenster eingeschlagen hat damals. Und dann hat er mir gesagt, wer es war.

Meine Vermutung, die ich über 70 Jahre gehabt habe, war falsch. Es war jemand anderer. Zum Glück hab ich nie einen Namen gesagt.“ Ein anderer Herr, sportlich und auch sonst noch sehr aktiv, hat irgendwann angekündigt, dass er bei den letzten zwei Vorstellungen leider nicht dabei sein könne, da er zu einem Meeting des Internationalen Olympischen Komitees nach Genf fahren müsse. Ein paar Tage vor dem Termin antwortete der Herr auf die Frage, wie es denn ausschaue mit den letzten Vorstellungen: „Ich bleib da! Das lass ich mir nicht entgehen!“ Da dieser 80-jährige Zeitzeuge noch aktiver Schifahrer ist, schlug der Regisseur als Aktivität zum Kennenlernen einen gemeinsamen Schitag mit dem Schauspieler vor: „Das machen wir nicht! Beim Schifahren tut man Schifahren. Da kann man nichts erzählen. Auf dem Lift sind fremde Menschen. Da kann man nichts erzählen. Und in der Hütte tut man essen. Da kann man auch nichts erzählen. Wir machen einen kleinen Spaziergang. Da kann man erzählen. Drei bis fünf Stunden. Ziehen’s gute Schuh an!“ Als wir ihm den doch recht zeitaufwändigen Probenplan vorlegten, sagte er: „Laienfrage. Machen wir da jeden Tag dasselbe? Ist das wirklich notwendig?“ Wir fragten eine Dame aus Brixen, ob sie denn bereit wäre, bei unserem Projekt mitzumachen. Sie erbat sich ein paar Tage Bedenkzeit, dann meinte sie: „Das wird sicher sehr anstrengend. Mein Kopf sagt nein. Mein Herz sagt ja. Ich habe in meinem Leben gelernt, dass man auf sein Herz hören sollte. Ich glaube, danach werde ich glücklich sein.“ Also hatten wir die Zusage. Als die Dame aber den Zeitplan für die Vorstellungen sah, tauchte ein neues Problem auf: „Wir spielen um 20 Uhr? Das geht nicht. Um halb acht stelle ich das Radio zum Bett, höre Nachrichten und um acht schlafe ich schon. Kann man das den Menschen nicht erklären und ein bisschen früher anfangen?“ Wir haben die Zeitzeugin öfters besucht, fuhren über die Autobahn von Bozen nach Brixen. Einmal, es war schlechtes Wetter und schneite leicht, begrüßte sie uns mit den Worten: „Bin ich froh, dass ihr heil angekommen seid! Ihr müsst durch diesen gefährlichen Lawinenstrich fahren. Alles nur wegen mir! Kommt rein, wärmt euch auf!“ Dann galt es noch einige Fragen über die Formulierungen, die man auf der Bühne benutzen darf, zu klären: „Wenn ich sag die ,Walschen‘, das geht nicht.“ – „Aber damals hat man das doch so gesagt.“ – „Ja schon, aber wenn da ,Walsche‘ im Publikum sitzen


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und ich sag ,Walsche‘, dann kommen die Carabinieri und verhaften mich.“ – „Wir garantieren Ihnen, dass das heutzutage nicht mehr passiert.“ – „Glauben Sie? Aber einen schwarzen Punkt bekomm ich. Das ist sicher!“ Die Dame hat schließlich am Projekt teilgenommen, ist jeden Tag durch den Lawinenstrich gefahren, hat sich im eigens aufgestellten Bett in der Garderobe vor den Vorstellungen ein bisschen ausgeruht und hat an manchen Abenden doch „Walsche“ gesagt, ist nicht verhaftet, sondern für ihren Charme vom Publikum sehr geliebt worden. Eine weitere besondere Begegnung hatten wir auch mit einer Frau aus Bozen, einer Rücksiedlerin. Wir besuchten sie in ihrem kleinen Häuschen, das früher einmal auf freiem Feld stand. Wir standen im Garten. Ringsherum wurden in den letzten Jahren Wohnblocks errichtet: „Da wohnen 5.000 Leute und da 3.000.“ – „Wie geht es Ihnen damit?“ – „Das sind alles Menschen, die brauchen einen Platz zum Leben. Viele davon sind Ausländer. Die sind nicht freiwillig hier. Mit denen muss man freundlich sein, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man entwurzelt ist. Da drüben hab ich eine italienische Freundin und in dem Haus dort eine albanische. Die kommen jeden Mittwoch zu mir.“ – „Und was machen Sie dann?“ – „Was werden wir schon machen? Kaffee trinken und quak quak quak!“ Wir waren im Spätsommer in ihrem Garten, sie bedauerte, dass sie wegen der Mücken den Garten nicht mehr so nützen könne. Gutgemeinter Tipp unsererseits: „Es gibt so Mückensprays, dann stechen sie nicht so viel.“ – „Das wollte ich immer schon kaufen. Aber es wird immer vergessen. Das Alter!“ – „Wird man im Alter vergesslicher?“ – „Ja das merke ich schon sehr. Vor allem bei meiner Tochter! Die geht jetzt dann in Pension und kann sich gar nichts mehr merken. Den Mückenspray vergisst sie immer!“ Bei den Proben war es für sie manchmal ein Problem, dass sie nicht mehr alles gut verstand. Ihre Kinder drängen schon seit Jahren darauf, sie möge sich ein Hörgerät zulegen. „Aber ich hab mir immer gedacht, ich alte Schachtel brauch das nicht mehr. Aber jetzt geht es mir auf die Nerven. Und wie ich jetzt seh, werde ich ja noch gebraucht, deshalb kauf ich mir jetzt so ein Ding. Wer weiß, was das Leben noch für Überraschungen für mich hat. Die will ich nicht überhören!“ Die Dame erzählte während der Vorstellungen, dass sie mehr als 70 Jahre über traumatische Erlebnisse geschwiegen hätte: „Und jetzt, hier, hab ich endlich den Mut, darüber zu reden.“

Eine weitere Dame war sich nicht sicher, ob ihr die Vorstellungsreihe nicht zu anstrengend, oder wie man in Südtirol sagt, „zu streng“ werden würde. Also haben wir uns gemeinsam mit dem Plan hingesetzt. „Die Hauptproben sind ausverkauft. Mit Schülern.“ – „Da komm ich. Junge Leute sind mir wichtig.“ – „Dann haben wir Premiere.“ – „Da bin ich natürlich dabei! Das ist ja klar!“ – „Dann haben wir am Sonntag eine Nachmittagsvorstellung. Um 17 Uhr.“ – „17 Uhr? Das ist kein Problem.“ – „Dann am Dienstag und Mittwoch Schülervorstellungen um 10 Uhr.“ – „Junge Leute sind mir wichtig, das hab ich doch schon gesagt.“ – „Am Donnerstag ist dann wieder Vorstellung um 20 Uhr.“ – „Das heißt, ich kann mich von Mittwoch mittags bis Donnerstag abends ausruhen. Die mach ich auch!“ – „Freitag ebenfalls um 20 Uhr.“ – „Da komme ich nicht.“ – „Am Samstag ist dann wieder um 20 Uhr. Die letzte Abendvorstellung.“ – „Da komme ich dann wieder.“ – „Am Sonntag dann die letzte Vorstellung um 17 Uhr. Derniere. Das ist was Besonderes!“ – „Das ist kein Problem, 17 Uhr ist eine gute Zeit.“ – „Das heißt, zusammengefasst, Sie kommen nur am Freitag nicht.“ – „Schauen wir mal!“ Sie hat dann an allen Vorstellungen teilgenommen und war auch bei den Nachbesprechungen mit den Schülern anwesend! Natürlich haben wir auch Menschen angefragt, die uns abgesagt haben: „Nach Bozen am Abend? In die Stadt? Das ist mir zu unheimlich mit all den komischen Vögeln auf den Straßen.“ Oder: „Wo ist dann dieses Theater? In Bozen? Nein, da komm ich nicht. In Bozen war ich schon.“ Am Ende standen dann doch 10 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf der Bühne. Alle haben jeden Abend einen Teil ihrer Lebensgeschichte erzählt. Und alle – die Zeitzeugen, die Schauspieler, die Musiker und die anderen Beteiligten – haben jeden Abend genossen und sind mit Standing Ovations belohnt worden. Nach der letzten Vorstellung meinte eine Zeitzeugin: „Und was ist morgen? Was mach ich denn da?“ Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen halten untereinander Kontakt, telefonieren, schreiben sich und schicken sich kleine Geschenke. Auch die Schauspieler werden angerufen. Und im Herbst gibt es auf Grund des großen Erfolgs noch einmal ein paar Vorstellungen von „Option. Spuren der Erinnerung“.






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„Licht ist eigentlich das Leben!“

Architekt Hanno Schlögl im Gespräch mit dem Lichtplaner und -forscher Christian Bartenbach: über Glauben in der Wissenschaft, das Auge als Konstrukteur, Licht als Geheimnis und die große Ruhe beim Hochseefischen.

Hanno Schlögl: Die evolutionstheoretischen Schriften des Jesuitenpaters Teilhard de Chardin haben dich immer schon beschäftigt. Er untersuchte Mitte des 20. Jahrhunderts die Widersprüchlichkeit zwischen der Schöpfungsgeschichte und den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und wollte das christliche Denken auf eine zukunftsweisende Basis stellen. Wenn ich die von Josef Lackner geschaffene Architektur für euer Firmengebäude, das Lichtlabor Bartenbach, mit ihrer schraubenförmigen Anordnung der Büros betrachte, muss ich immer auch an Chardin denken. Gibt es da eine Verbindung? Christian Bartenbach: Nein, das ist nicht der Fall. Die Gebäudetypologie ergab sich aus den Tageslichtabläufen. Da könnte man viel darüber erzählen. Josef Lackner und ich haben uns mit 30 Jahren kennengelernt und bis zu seinem Tode mit 70 Jahren waren wir befreundet, in einem sehr, ich will nicht sagen distanzierten, sondern vernünftigen, sachlichen Verhältnis. Zur geistigen Auseinandersetzung hat er sehr viel beigetragen. Chardin war eine Gemeinsamkeit unter vielen. Auch die Diskussionen mit Johann Gsteu, Ottokar Uhl oder mit den Dreiviertlern, also mit Spalt, Holzbauer und Kurrent waren prägend. Wir waren damals sehr jung und haben uns gefragt, wohin geht das Ganze und wie weit geht das Bauen philosophisch. Ich war Techniker und am Anfang etwas überfordert mit diesem Diskurs. Ein Architekt hat ja einen besseren philosophischen Hintergrund, schon auf Grund seiner Ausbildung. Ich musste mir „das Warum“ immer selbst beweisen. Ich wollte immer wissen, warum etwas ist. So bin ich unter anderem auf Chardin gestoßen. Die

Beschäftigung mit solchen Denkern hat mir geholfen, bei all den Leuten, die ich genannt habe, eine eigene Meinung zu verteidigen oder zu begründen. Sonst wäre ich hoffnungslos verloren gewesen. Und wie du sagst: Diese Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Glauben hat mich immer schon interessiert. Mit der Kunst war ja auch stark der Glaube verbunden. Und der fällt in Wirklichkeit genauso in den Bereich der Wissenschaft, das weiß man heute, weil das auch Konstrukte unseres Gehirns sind. H. S.: Chardin sprach ja nicht vom Sehen. Er nannte es „Schauen“. C. B.: Mir war schon sehr früh klar oder einsichtig, dass das Licht mehr ist als das Sehen. Das Sehen – oder „das Schauen“ bei Chardin – ist ein geistiger Vorgang, ein wesentlicher Bereich der Wahrnehmung, der viel Platz in unserem Gehirn einnimmt und uns dabei fast zur Gänze nicht bewusst ist. Uns ist gar nicht bewusst, was da genau vor sich geht. Dass wir sehen, dass wir uns anpassen, dass wir Auto fahren, dass wir reagieren können usw. – das alles funktioniert bei uns ja autonom. Denken nützt da wenig. Wenn ich Klavier spiele und nachdenke, welche Tasten ich drücken muss, greife ich hundertprozentig daneben. Wenn ich autonom spiele, wie ich es gelernt habe, funktioniert es. Sehen ist ein kaum zu ergründendes Phänomen. Es geht dabei stark ums Erkennen. Das ist vor allem eine Frage der Aufmerksamkeit. Und Erkennen ist letztlich die Grundlage des Gedächtnisses, der Speicherung, sodass ich mich wieder erinnern kann. „Der Mensch ist Erinnerung“, sagt Daniel L. Schacter, der amerikanische


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Gedächtnisforscher. Um zur Erinnerung zu kommen, ist Bewusstsein notwendig. Und was das Bewusstsein ist, weiß man nicht genau. Wir können nur das als bewusst bezeichnen, worüber wir sprechen können, sagen die Neurobiologen. Worüber wir nicht sprechen können, das ist das Unbewusste. Hier, in allen diesen Denkbewegungen, liegt für mich der Schlüssel zum Licht. Wenn wir all die Faktoren kennen würden, die zu diesen Konstruktionen des Sehens führen, würde das einen sehr starken Einfluss auf die Architektur haben. Ich sage darum Architektur, weil man das nicht trennen kann, Visualität und Architektur. Das Wissen um das Sehen müsste wortwörtlich mehr eingebaut werden. Das ist aber sehr schwierig, weil wir das Licht nicht sehen. Licht ist etwas Abstraktes. H. S.: Licht macht sichtbar. C. B.: Licht macht sichtbar, ist aber nicht sichtbar. Wir verstehen gar nicht, was da genau passiert und warum wir etwas so oder so empfinden. H. S.: Das Atmosphärische spielt eine wesentliche Rolle. C. B.: Darüber forschen wir intensiv. Zum Beispiel untersuchen wir die Wirkung von Farbigkeit, Farbtemperatur und spektralen Verläufen, die uns stark beeinflussen, weitgehend unbewusst. Wir haben festgestellt, dass Farborte, Farben und Texturen der Umgebung sehr starken Einfluss auf die Raumwirkung, die visuelle Leistung, aber auch auf die Herzfrequenzvariabilität haben, das heißt auf die Steuerung der Aktivität und der Entspannung. Wenn man zum Beispiel entspannen will, meint man immer, die warmen Lichttöne seien wichtig. In Wirklichkeit sind es die blauen. Auch die Hormonsteuerung hängt von der Lichteinwirkung ab, etwa die Bildung von Melotonin oder Serotonin. Und damit sind wir bei Schlafstörungen, Depressionen usw.

H. S.: Deine Auftraggeber kommen aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen, was den Diskurs sicher bereichert. Im Unterschied zu den westlichen Industrienationen legen beispielsweise die Japaner in ihren traditionellen Häusern besonderen Wert auf die Inszenierung des Schattens, die Betonung des Lichts spielt für sie eine fast nachgeordnete Rolle. C. B.: Licht ist Information. Ich muss mich beim Licht und bei den Räumen ja auch mit den verschiedenen Kulturen oder Religionen befassen, etwa mit dem Islam. Und wenn man zum Beispiel den Lichtvers von Allah nimmt: Allah, also Gott, ist Licht … dann heißt das ja nichts anderes! Über das Licht und über die Aufmerksamkeit, die womöglich durch Kontemplation oder Meditation erreicht wird, gelangen wir zur Information. In Wirklichkeit ist Licht Information und ist eigentlich das Leben. Man kann dazu auch Goethe zitieren, und zwar nicht wegen der Farbenlehre, sondern weil er den Newton beschimpft hat, er solle das Licht nicht anrühren, weil sich Licht nicht zerlegen lasse. Und das bestätigt sich auch. H. S.: Und wie verhält es sich mit dem Auge als „Werkzeug“ des Erkennens? C. B.: Die Natur hat das mit dem menschlichen Auge optimal geregelt. Konrad Lorenz hat das einmal gut erklärt, in seinem Buch „So kam der Mensch auf den Hund“: Wenn man einen Hund sieht, der erregt ist, darf man ihn nicht anschauen. Warum? Der Hund sieht mit der gesamten Netzhaut. Er fokussiert nur dann, wenn er eine Beute erahnt oder wenn er angegriffen wird. Die meiste Zeit liegt das Hauptaugenmerk auf der Gesamtperspektive: Wenn er nämlich beobachtet wird, heißt das unter Umständen, dass er selbst angegriffen oder gefressen wird. Wir Menschen


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haben ein ähnliches Gesichtsfeld, nur fokussieren wir ständig. Wir haben eine biologische Programmierung, die uns immer erkennen lässt. Wir schauen ununterbrochen, bis wir den Aufmerksamkeitsmoment haben. Dann schauen wir’s an und dann geht’s wieder weiter. Daraus folgt, dass wir auf keinen Fall abgelenkt werden dürfen. Nicht die Blendung ist die wichtige Frage, die große Gefahr ist die Ablenkung! Diesbezüglich muss ich auf eine Absurdität hinweisen: Wenn ich eine Schule baue und ich mache große Fenster, wie das heute oft der Fall ist, damit die Schüler hinaussehen, dann ist die gerichtete Aufmerksamkeit, die zur Bewusstseinsbildung nötig ist, gewaltig reduziert! Das heißt nicht, dass Schulen keine Fenster haben sollen. Aber die genannten Zusammenhänge sind auch bei riesigen Glasbauten sehr kritisch zu betrachten. Ablenkung bringt uns große Einbußen in der Bewusstseinsbildung. Und da ist die menschliche Anlage von Natur aus gut, weil wir ständig fokussieren. Darum haben wir ja auch Brillen. Ein Tier braucht keine Brillen, weil es nicht so fixiert. Wir haben immer mehr zu fixieren gelernt, darum gibt es diese Schwäche, die viele haben, deswegen tragen so viele Menschen Brillen, um besser fokussieren zu können, um besser aufmerksam zu sein. Überhaupt muss man sich einmal vorstellen, was das Auge und das Gehirn leisten! Man darf nicht vergessen, dass das Auge auf der Netzhaut nur eine zweidimensionale Fläche erzeugt. Und alles, was aus dem zweidimensionalen Flächenpunkt kommt, verarbeitet das Gehirn zu unserem räumlichen Eindruck. Da muss man schon auch an eine höhere Ordnung glauben, weil wir da nicht mehr hineinsehen. Da fängt meine Gläubigkeit an. Man kann nicht sagen, wir werden einmal einen Computer bauen, der das auch macht. H. S.: Du bist ja auch ein hervorragender Fliegenfischer, auf La Palma, wo du ein Ferienhaus hast, widmest du dich intensiv der Hochseefischerei.

C. B.: Ja, in La Palma bin ich, weil dort die Fische sind. H. S.: Ist neben dem Licht das Fischen deine zweite Obsession? C. B.: Ja, unbedingt. Das hat mit Entspannung zu tun. Und mit meiner Jugend. Es war damals noch Krieg, wir hatten ein Fischwasser und ich musste Fische zum Essen fangen. Damals habe ich das Fliegenbinden gelernt. Ich habe mich mein Leben lang beim Fischen immer wieder entspannt und bin ins Fantasieren gekommen. Ich arbeite da eigentlich auch, ich denke halt nach, was der Fisch macht … Und ich bin kein Trophäenfänger. Ich würde nie einen Haifisch wegen seiner Zähne behalten. Wenn ich Fische nicht essen kann, fange ich sie schon gar nicht. Auch nicht die Marline, also die Speerfische, die für einen Hochseefischer das Höchste sind … da denke ich an Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Jetzt, wo ich gemerkt habe, dass die quecksilberhaltig sind, fange ich sie nicht mehr. In meinem Alter, ich bin jetzt 84, ist es mir auch zu anstrengend, so einen 300-Kilo-Fisch, der 100 Stundenkilometer draufhat, zu fangen. Ich esse kleinere, also 20-, 30-, 40-, 50-Kilo-Fische und stelle mich beim Hochseefischen darauf ein. Am liebsten sind mir aber immer noch die Äsche und die Forelle und der Waller. Und ich tu das alles wahnsinnig gern, vor allem auch, weil es eine meditative Sache ist. Man muss immer wach sein. H. S.: Und Geduld braucht man. C. B.: Ja. Gerade bei Großfischen, weil wenn sie nicht da sind, sind sie nicht da. Da kann man sehr gut nachdenken und das Unbewusste laufen lassen.




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Diese gezackte Linie Landvermessung No. 4, Sequenz 4 Vom Gschnitztal nach Sterzing

Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Wir befinden uns nun auf einer Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen bis ins Trentino führt. Linda Stift wird von dem Skifahrer Christof Innerhofer angelächelt, lässt andere Frauen bergsteigen und kauft schlussendlich doch keine Bialetti-Espressokanne.

Meine Reise beginnt „unten“, in Sterzing in Südtirol, und führt dann nach Gschnitz, Tirol, „hinauf“. Sterzing, 1. Tag Akklimatisierung durch mehrmaliges Auf- und Abgehen in der Fußgängerzone der Sterzinger Altstadt, dem historischen Zentrum – immerhin ist Sterzing mit 948 Höhenmetern eine der höchst gelegenen Städte in den Alpen. Die lange Einkaufsstraße ist unterteilt in eine Città Vecchia und eine Città Nuova, der Zwölferturm birgt den Durchgang zur Neustadt, die sich von der Altstadt architektonisch nicht unterscheidet. Da wie dort: hübsche Bürgerhäuser mit Giebeln, Türmchen, Fresken und Maschen. Nein, Maschen nicht gerade, aber die Fassaden sind aufgehübscht mit frischen Farben und neu lackierten Holzbalken, wie in einer Kulisse für einen Märchenfilm. Die Häuser wurden im 15. Jahrhundert errichtet oder umgebaut, nach patrizischem Vorbild, denn die Silberminen im Wipptal brachten den Wohlstand nach Sterzing. Durch die günstige geographische Lage war Sterzing seit dem 13. Jahrhundert ein viel besuchter Markt- und Handelsplatz. Jedes Haus hat im Erdgeschoss ein Geschäft oder ein Lokal (oder mehrere), kein Raum steht leer. Souvenirläden, Sportbekleidung, Optiker, Boutiquen, Schuhgeschäfte, Haushaltswarenparadiese mit Auslagen voller Espressokannen in allen Größen und Farben – jedem Italiener und jedem Touristen seine Bialetti (wenn ich nicht schon drei Bialettis zu Hause hätte, hätte ich eine gekauft, eine ferrarirote für drei Tassen, und eigentlich

hätte ich sie doch kaufen sollen, denke ich während des Schreibens), Trafiken, Papier- und Spielzeuggeschäfte, Bäckereien und kleine Lebensmittelgeschäfte, alles da. Der jahrhundertealte Sterzinger Sog zum Konsum erfasst auch mich. Ich shoppe: ein neues Armband für meine Uhr (das alte war brüchig und an den Seiten „abgenagt“) und eine Batterie, eine weiße Keramiktasse in Knitterästhetik (ich brauche immer eine neue Tasse, wenn ich unterwegs bin), einen schwarzen Plastiklöffel, zehn Deka Schinken, ein Ciabattino und drei Joghurts (Vanille, Kaffee, Kirsche), rote, mit Fleece gefütterte Wollhandschuhe in Norwegermuster, mit abgeschnittenen Fingern und einer Klappe, die man über die Finger ziehen und auf diese Art Fäustlinge daraus machen kann, eine Wintersonnenbrille und ein Buch von Reinhold Messner: On Top, Frauen ganz oben. Und, leider, keine Bialetti in ferrarirot. Was auffällt: Gegen Nachmittag sind zunehmend Menschen im Skianzug und in Skischuhen unterwegs. Aber ohne Skier. Sie flanieren. Sehen sich die Auslagen der Sport- und Dessousgeschäfte an oder setzen sich in ein Straßencafé und trinken Cappuccinos. Aber warum ziehen sie nicht andere Schuhe an, wenn sie die Skier schon losgeworden sind? Das Gehen mit den Skischuhen muss mühsam sein. Sind nur die Skier geborgt und nicht die Schuhe? Ein Rätsel für mich Nicht-Skifahrerin. Wenigstens fühle ich mich in meinen plüschgefütterten und geschnürten Eskimoboots nicht mehr fehl am Platz (wie Stunden zuvor am Innsbrucker Bahnhof,


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der von Passanten in polierten Lederschuhen und feinen Wollmänteln bevölkert war), obwohl in der Altstadt kaum Schnee liegt (auch nicht in der Neustadt). Pause in einem Café: 1 Pizzaschnitte, ½ Liter Wasser aus den Dolomiten, 1 Apfelstrudel (interessant: der Teig ist kein Strudelteig, sondern eine Art Mürbteig), 1 Cappuccino. Die Pizzaschnitte schmeckt ausgezeichnet und der Apfelstrudel sowieso. Der Cappuccino hat eher französische Café-au-lait-Ausmaße, ist aber stark wie in Sizilien. Aus dem „Südtirol Magazin“ lächelt mir der Südtiroler Skirennläufer Christof Innerhofer zu, nur mit einem Slip bekleidet, er modelt nebenberuflich für eine italienische Unterwäschefirma. In Sotschi hat er sich vor einigen Tagen im Rennanzug Silber und Bronze geholt. Ich schließe die erste provisorische Vermessung der Sterzinger Fußgängerzone ab und gehe in mein Hotel, das eigentlich ein großer Gasthof mit Fremdenzimmern ist. Vermutlich bin ich der einzige Gast, der nicht zum Skifahren hier ist. Die Sprossenwand in meinem Zimmer gibt mir ein Rätsel auf. Ich versuche mich draufzuhängen, um meinen Rücken zu entspannen, aber sie scheint etwas locker zu sein. Ich fädle meinen Schal zwischen die Sprossen und komme damit dem Rätsel auf die Spur. Es handelt sich nicht um ein Turngerät, sondern dient der Trocknung von nasser Skibekleidung. Die Lebensmittel stelle ich außen auf die Fensterbank zum Kühlen, die übrigen Schätze breite ich auf dem Bett aus und beginne im Messner-Buch zu lesen. Es geht um die Pionierinnen im Bergsteigen, die ersten Frauen, die sich auf die höchsten Berge gewagt haben, anfangs mit Hilfe ihrer Männer, bald allein und unabhängig. Zuerst noch in langen mehrschichtigen Röcken, bald in Pumphosen. 1838 stand die zweite Frau auf dem Gipfel des Mont Blanc, die erste, Marie Paradis, wurde 30 Jahre zuvor mehr schlecht als recht hinaufgebracht, zählt also nicht ganz. „Mitten am Berg, zwischen Schneefeldern und Gletscherspalten überkam sie die Bergkrankheit. Marie Paradis warf

sich in den Schnee, weinte, schrie hysterisch. Sie wollte nie wieder aufstehen. Ihre Führer aber trugen, zogen, ja schleppten sie auf den Gipfel. Ob sie wollte oder nicht, sie musste hinauf! […] Marie Paradis sah die Gipfel, die zuletzt unter ihr lagen, nicht. Sie hielt die Augen geschlossen, sprach nicht, atmete schwer.“ 1 Die Französin Henriette d’Angeville hingegen hatte es aus eigener Kraft geschafft und gönnte sich am Gipfel ein Gläschen Champagner. Interessant, was ihre Karawane alles den Berg hinauftragen musste, unter anderem: „24 Hühner, 18 Flaschen Bordeaux, ein Fässchen Wein und viel Suppe“. 2 Man ließ es sich gutgehen, so nahe dem Himmel. Aus meinem Fenster sehe ich mit Schnee bedeckte Bergzüge, nach meiner Berechnung müsste es der 2.189 Meter hohe Rosskopf sein, der „Haus- und Freizeitberg“ der Sterzinger, mit der längsten beleuchteten Rodelbahn Italiens (9,6 Kilometer). Im Italienischen hat er seinen Kopf verloren, er heißt nur noch Monte Cavallo. Für die ersten Alpinistinnen war der Rosskopf wohl nicht mehr als ein sanfter Hügel zum Spazierengehen, dessen Gipfel im Sommer sogar begrast ist und der zu Decke und Picknickkorb einlädt. Für mich ist er nur ein Ausblick, den Rosskopf werde ich nicht besteigen, auch nicht berodeln, ich plane für den nächsten Tag einen Spaziergang rund um Sterzing, denn die Berge sind mir unheimlich, ich kann Marie Paradis gut verstehen, die Vorstellung, auf einem Gipfel zu stehen und hinunter auf die Welt zu schauen, rundherum nichts zum Festhalten oder Anlehnen außer einem wackeligen Gipfelkreuz vielleicht, das verursacht mir Schwindel. Wäre es Sommer, würde ich mich hinaufwagen, denn der Aufstieg soll moderat sein, aber mit einer Rodel zehn Kilometer den Berg hinunterzurasen, das kann niemand von mir verlangen. Auch Gondelfahrten sind mir unangenehm, der Mensch wurde nicht dafür gemacht, in einer winzigen schwebenden Kabine auf einen Berg gezogen zu werden, und das weiß auch mein Körper. Vermutlich leide ich unter Höhen- und Geschwindigkeitsangst, wobei ich nicht finde, dass „die Angst der Situation gegenüber unan-


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gemessen ist, da keine oder nur geringe objektive Gefahr besteht“3. Im Gegenteil. Ich finde, die Angst oder besser der Respekt und die Fassungslosigkeit, die ich dieser Art von Natur gegenüber empfinde, sind durchaus angemessen, und die Gefahr besteht offensichtlich. Überhaupt ist die rasche Pathologisierung von Ängsten eine Anmaßung, dagegen haftet dem Begriff „Bergkrankheit“ fast etwas Liebevolles und Fürsorgliches an, denn diese Krankheit kann jeden treffen und die Heilung ist einfach: Runter vom Berg. Phobien aber müssen langwierig psychotherapeutisch oder / und medikamentös behandelt werden. Sterzing, 2. Tag Frühstück mit ausgezeichnetem Kaffee, obwohl er aus einem riesigen Behälter in eine Metallkanne abgefüllt wird. In Italien ist der Kaffee offenbar nicht umzubringen. Dazu eine Kanne mit heißer geschäumter Milch, das Büffet sieht lieblos aus, unknusprige Semmeln, Nutella- und Marmeladedöschen, aufgeschnittener Schinken und Käse in fragwürdiger Qualität. Abholen der Uhr mit neuem Uhrband und Batterie, die Uhrmacherin verwickelt mich in ein längeres Gespräch, weil ich nicht Südtirolerisch spreche. Sie allerdings auch nicht, sie kam vor 40 Jahren aus Sachsen hierher, um Ski zu fahren, und ist der Liebe wegen geblieben. Eine halbe Stunde später komme ich aus dem Uhrenladen heraus und an einem Hotel vorbei, das ein Rezept für „seinen“ Apfelstrudel auf Plakatgröße ausgehängt hat, was ich bemerkenswert finde. Das Hotel Sacher hütet sein Sachertortenrezept seit mehr als hundert Jahren und verfolgt Epigonen der Sachertorte sogar gerichtlich, wenn sie unter dem Namen „Original Sacher-Torte“ verkauft werden. Und hier kann jeder Passant das Strudelrezept abschreiben. Dann gehe ich drei Stunden spazieren, in der unmittelbaren, flachen Umgebung von Sterzing. Immer wieder unterquere ich Überführungen der Autobahn und ihrer Zubringer, die Landschaft des Tales wäre schön, wäre

sie nicht kreuz und quer durchschnitten von den breiten Asphaltbändern. Rundherum Bergketten, die Stubaier Alpen vor allem, die zwischen mir und Gschnitz liegen, und die ich leider nicht überqueren kann, sondern mit Bahn und Bus umfahren muss. Zu Hause hatte ich mir noch vorgestellt, eine Winterwanderung zu machen, hatte diese Idee aber nach kurzer Recherche fallen gelassen, dafür hätte ich mich konditionell monatelang vorbereiten müssen, ich hätte eine spezielle Ausrüstung gebraucht und auf alle Fälle einen Führer und vor allem viel mehr Zeit. Durchs Pflerschtal und über den Tribulaun hätte ich gehen müssen, 3.097 Höhenmeter überschreiten mit einem schweren Rucksack, etwas für Henriette d’Angeville, aber nicht für mich, und schon gar nicht im Winter. Der Pflerscher Tribulaun hat den Schwierigkeitsgrad III und gilt als „der schwierigste erreichbare Gipfel der Stubaier Alpen“ 4, 1869 wurde er noch für unbesteigbar gehalten, 1872 gelang die Erstbesteigung, 1874 gingen zwei Männer barfuß hinauf. Wie dieses Tal früher ausgesehen haben mag, frage ich mich. Dichte Wälder müssen hier gestanden haben, mit wilden, inzwischen vertriebenen oder ausgestorbenen Tieren wie Bären, Luchse, Einhörner. Mit Pflanzen, die man heute nicht mehr kennt, und vielleicht gab es auch Elfen und andere fremde Wesen wie im Ausseerland oder im Bergmassiv der Dolomiten, in dem sich König Laurins Rosengarten befindet, wenn man zur richtigen Zeit unter den richtigen Lichtverhältnissen hinschaut. Über die Sterzinger Wiesen laufen nur noch gezüchtete Hunde, für eine halbe Stunde dürfen sie sich hier „austoben“, dann werden sie in die Autos verfrachtet und in ihre Häuser gebracht. Ich gehe zurück in die Sterzinger Fußgängerzone, wieder sind die Skifahrer unterwegs mit ihren schweren Schuhen und verschwitzten Haaren, es ist zu warm für die Jahreszeit und den Ort, auf den Spazierwegen lag ein wenig Schnee, aber jetzt hat es mindestens fünf Grad, ich bin viel zu dick angezogen mit meiner Funktionsjacke namens Iceland. Der Wettlauf der Bergstei-


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gerinnen um die 14 Achttausender zieht mich zurück ins Hotel. Als Proviant nehme ich mir einen Caffè latte und ein Säckchen Mandeln mit. Das Feilschen um Zeiten und Stile und Meter scheint angesichts der ungeheuerlichen Fels- und Eismassen, welche die Alpinistinnen im Laufe der Jahrzehnte bezwangen, absurd. Inzwischen wächst das höchste Gebirge der Welt, der Karakorum, der sieben Acht- und 63 Siebentausender umfasst, um einen Zentimeter pro Jahr, weil der „indische Subkontinent mit einer Geschwindigkeit von 4 cm pro Jahr weiter in die asiatische Landmasse hineinstößt“. 5 Erdbeben und Lawinen sind die Folge, die Extrembergsteigern oft das Leben kosten. Die Landvermessung ist nicht mehr als eine Momentaufnahme und die Vermessenheit der Menschen ist grenzenlos. „[…] kein Erfolg an den Achttausendern ist geschenkt. Es ist gegen die menschliche Natur, so hoch zu steigen. Alles da oben ist Anstrengung“ 6, sagt Reinhold Messner am Ende seines Buches, und ich nicke traurig. Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen, sagte Blaise Pascal. Der Mensch will hinaus, er gibt keine Ruhe, weiter, höher, schneller muss er sein, wie auch die Olympischen Spiele in Sotschi beweisen, die ohne Ton im winzigen Fernseher laufen. Olympiasiegerin Anna Fenninger holte sich am Vormittag noch Silber zu ihrer Goldmedaille, jetzt wird sie im Österreichhaus gefeiert. Später sehe ich einen Krimi im Alpenmilieu – merkwürdiger Zufall –, die Kommissarin bringt ein von der Pädophilenmafia verfolgtes Kind in die Berghütte ihres Vaters, um es dort zu verstecken. Der Profikiller, der Kommissarin und Kind dennoch auf der entlegenen Alm aufstöbert, wird vom Vater mit einem Holzscheit niedergestreckt. Sterzing, 3. Tag / Gschnitz 1. Tag Einpacken – der Rucksack hat enorm an Gewicht zugelegt –, Frühstück, kurz zum Riesenslalom der Herren

in Sotschi schalten – Marcel Hirscher steht noch oben, ich werde seinen Lauf versäumen –, dann zu Fuß zum Bahnhof. Heute ist es bedeutend kälter als gestern und für Gschnitz ist sogar Schneefall angesagt. Ich muss zum Grenzübergang Brennero / Brenner, dort umsteigen in einen Regionalzug Richtung Innsbruck, aussteigen in Steinach und dann mit dem Bus nach Gschnitz. Ein ziemlicher Aufwand für die eigentlich kurze Strecke, leider gibt es die direkte Buslinie zwischen Sterzing und Gschnitz, die ich mir kühn vorgestellt habe, nicht. Die Tourismusinformation in Sterzing kannte sie nicht, obwohl ich ganz sicher war, sie im Internet aus den Augenwinkeln gesehen zu haben. Am Brenner finde ich das sogenannte Stumpfgleis nicht, und verpasse deswegen den Anschlusszug. Eine Bahnangestellte kann mir auch nicht helfen. Den Ausdruck Stumpfgleis hat sie noch nie gehört, sie ist selbst auf der Suche nach Gleis 3 A. Sie trägt eine Plastiktasche mit einem Bialetti-Aufdruck in der Hand, und ich denke mit Wehmut an die Ferrarirote. Sollte sie mir noch einmal begegnen, werde ich sie nicht wieder zurücklassen. Ich muss den Bahnhof mehrmals umrunden und öfter die Treppen auf- und absteigen, bis ich das Stumpfgleis finde, wobei mir dreimal die Bahnmitarbeiterin mit dem Bialettisackerl entgegenkommt und mir jedesmal zuwinkt. Der Regionalzug nach Innsbruck steht bereit, einige Leute sitzen darin (ein gutes Zeichen!), ich steige erleichtert ein. Ich bin beschämt, fühle mich wie ein Bahnamateur, als ob ich in meinem Leben nicht schon hunderte Zugfahrten unternommen hätte, ausgerechnet am Brenner irre ich wie ein blindes Huhn umher. Gerne würde ich auch meine Probleme mit dem italienischen Fahrkartenautomaten und dem Entwerten des Tickets auf der Herfahrt verschweigen, aber ich soll ja alles wahrheitsgemäß dokumentieren: Anstatt das Ticket einzuscannen – oder was auch immer der Automat von mir erwartet hatte –, drückte ich es in einen Schlitz, der nicht dafür vorgesehen war, und machte damit den Automaten kaputt, er blinkte rot und gab ein nervöses Rattern von sich, das Ticket war natürlich


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verloren, und ich musste ein neues kaufen. Dadurch verpasste ich den vermeintlichen Anschlusszug, der, wie sich später herausstellte, nicht Richtung Sterzing gefahren wäre, sondern nach Innsbruck. In Steinach steige ich aus und laufe aus dem Bahnhof, ich weiß, auf dem Vorplatz müsste abfahrbereit der Bus nach Gschnitz stehen, ich will nicht wieder eine Stunde verlieren, die Bahnhöfe werden immer kleiner, immer weniger Infrastruktur steht zur Verfügung, das Warten auf die nächste Verbindung wird immer ungemütlicher. Außerdem würde ich gerne den 2. Durchgang des Riesentorlaufes in Sotschi sehen. Ob ich keine Skier dabei hätte, fragt mich der Fahrer, und ich schüttle den Kopf. Ahso, sagt er. Ich werde rot. Es beginnt zu schneien. Während der Fahrt wird es draußen sukzessive weißer, die Straße verengt sich zu einer Serpentine, abwechselnd links oder rechts geht es steil hinunter. Alle Farben außer dem Weiß werden blasser, löchriger, bald bedeckt das Weiß alles. Die Dächer der schönen alten Tiroler Höfe und die Dächer der protzigen Nachbauten, die meist Hotels sind. Die Objekte in der Landschaft werden undeutlicher, weicher, das Weiß wird dichter. Als ich in Gschnitz aus dem Bus steige – Ted Ligety führt im ersten Durchgang, meine Handyinternetverbindung hielt bis Trins, Magdalenahof, dann brach sie ab –, bin ich mitten im Winter angekommen. Ich befinde mich auf 1.242 Höhenmetern. Es ist kalt, das Tal tief verschneit, die Luft klar und fast berauschend. An so viel Sauerstoff bin ich nicht gewöhnt. Kündigt sich schon ein Höhenrausch an? Die Wirtin der Alpenrose begrüßt mich mit den Worten: „Schade, dass heute so ein schlechtes Wetter ist!“ Für mich ist das Wetter perfekt, endlich bekomme ich meinen Spaziergang im Schnee. Ich folge der Spur einer Langlaufloipe, kein einziger Langläufer kommt mir entgegen oder überholt mich, das Schneegestöber hält die Menschen in ihren Zimmern fest. Jetzt machen sich meine Eskimoboots und meine Iceland bezahlt. Die Schneestille wird hin und wieder durchbrochen von

dem Ruf eines Vogels oder vom gedämpften Brummens eines Autos oder Traktors. Für meine Großstadtohren, die einem ständigen Rauschen, Dröhnen und den Folgetönen unterschiedlicher Alarmsirenen ausgesetzt sind, ist diese Ruhe beinahe unheimlich. Ich ahne, wie es sein könnte, gäbe es keinen Verkehr. Irgendwann drehe ich um und gehe dieselbe Strecke zurück, ich sehe höchstens noch einen Meter weit, meine Fußspuren sind gerade noch zu erkennen, in einer halben Stunde werden sie gänzlich verschwunden sein. Gschnitz, 2. Tag Es herrscht strahlender Sonnenschein, auch die Wirtin strahlt nun und serviert mir den besten Kaffee bisher auf dieser Reise, die besten weichen Eier und die knusprigsten Semmeln. Leider muss ich schon wieder abreisen, immer ist zu wenig Zeit, zu wenig Muße. Beim Warten auf den Postbus nach Steinach versuche ich mir die Silhouetten und die Beschaffenheit der Bergzüge einzuprägen. Die Berge sind hier viel näher als in Sterzing. Man kann die steilen schiefergrauen Felswände, durchsetzt von Schnee- und Eisflecken, sehen, man kann sogar ihre schroffe Struktur erkennen, ihre Kanten und Schichten, ihre Scharten und Vorsprünge. Ich möchte diese gezackte Linie im Herzen behalten. Für meine Bergsteigerinnen wäre es ein Leichtes, da hinaufzusteigen, die eine barfuß, die andere im Reifrock, für mich unmöglich, man müsste mich wie Marie Paradis mit Seilen hinaufziehen und oben festhalten. Aber die Augen würde ich aufmachen, ganz bestimmt.

1 Reinhold Messner, „On Top. Frauen ganz oben“, München 2010, S. 48 2 Ebda, S. 51. 3 Wikipedia, „Akrophobie“, abgerufen am 7.3.2014. 4 Wikipedia, „Pflerscher Tribulaun“, abgerufen am 11.3.2014. 5 Wikipedia, „Karakorum“, abgerufen am 13.3.2014. 6 Messner, „On Top“, S. 340.




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Tiroler Zukünfte Das Dorf als Serviceeinrichtung für Touristen, als lebensfähiges Soziotop, als Ansammlung von Zweitwohnsitzen vermögender Personen oder als alpine Brache, die wieder der Natur übergeben wird? Eine Polemik aus Empathie. Von Arno Ritter

Prolog Ich bin einer von zahllosen Zuwanderern in Tirol, lebe seit 1995 in Innsbruck, lese mittlerweile täglich die Tiroler Tageszeitung und zunehmend auch die Todesanzeigen, wurde in Wien geboren und werde trotzdem im folgenden Text über Tirol aus einer Wir-Perspektive schreiben. Denn seit meinem 5. Lebensjahr habe ich ein empathisches, aber auch ambivalentes Verhältnis zu diesem Land, und das kam so: Bereits meine Großmutter mütterlicherseits kam als junge Wienerin Ende der 1920er Jahre nach Obertilliach auf Sommerfrische. Meine Mutter und Tochter der besagten Großmutter spielte ab 1936 als Kind einige Sommer in Tilliach und ich, Sohn meiner Mutter und meines angeheirateten Vaters, fuhr ab 1970 fast jedes Jahr in den Sommerurlaub nach Obertilliach zur ehemaligen Spielgefährtin meiner Mutter, nämlich zu Berta, mittlerweile verheiratete Lugger, vulgo Niederster, nach Bergen 6. Für mich als Stadtkind aus dem 3. Bezirk waren diese zwei Wochen die reinste Idylle, „all inclusive“ mit Familienanschluss: vom gemeinsamen Essen aus einer Schüssel, über die eigene Kuh im Stall, die ich täglich molk, die Mitarbeit bei der Mahd und das Heueinbringen auf den Bergwiesen, bis hin zu meinen Gummistiefeln, die ich am Ende des Aufenthalts weinend in ein Plastiksackerl steckte, dieses luftdicht verschnürte, um den Geruch des Sehnsuchtsorts danach am Klopfbalkon in der Dapontegasse 7 riechen zu können. In kindlichen Konfliktfällen mit meiner Mutter drohte ich angeblich immer wieder nach Tilliach auszuwandern, da es dort viel besser und schöner sei. An die Worte kann ich mich nicht mehr erinnern, an das Gefühl schon. Später, als im Fernsehen das eigenartige Sendeformat „Wetterpanorama“ flimmerte, schaute ich oft nach Osttirol, vor allem wenn es in Wien nebelig und ungemütlich war. Ein Ritual, das meine Mutter bis heute aufrecht hält, wobei sich ihr Blick mittlerweile mehr nach Innsbruck richtet. Eigentlich wurde ich in eine bürgerliche Familientradition der Sommerfrische – auf 1.500 m Meereshöhe! – hineingeboren, sah infolge dessen erst mit 12 Jahren

das Meer (in Holland), war aber glücklich mit diesem alpinen Zufall, da es für mich damals gut war. Zu jener Zeit, als ich das Meer bei Scheveningen zum ersten Mal sah, entstanden kleine Risse in der Beziehung zu meinem antiurbanen Fluchtpunkt, zuerst schleichend. Erst später, mit etwa 15 Jahren, als ich die ersten Anzeichen der Pubertät spürte, wurde mir bewusst, dass die realen Verhältnisse in Obertilliach mit meiner Wiener Prägung und Lebenseinstellung nicht mehr kompatibel waren. Dieses Gefühl entstand nicht aus aktiver Analyse, sondern verfestigte sich während der Gespräche mit Sepp – dem Sohn von Berta – am Söller. Denn nachdem wir die Stallarbeit erledigt hatten, landeten wir in diesem Raum zwischen Heu und Landschaft, zwischen seinem Alltag und meinem urban geprägten Blick als Gast. Er war Anfang zwanzig, sollte den Hof von seinem Vater, dem Tate, übernehmen, war Schiliftwart im Winter, Holzfäller für andere im Sommer und von seinen Eltern abhängiger Jungbauer in seiner Freizeit. Im Gegensatz zum Tate, der das tat, was zu tun war und es seit Generationen so gemacht wurde, dachte Sepp in einem anderen Verständnis. Er wollte in Zukunft nur mehr das tun, was er gefördert bekommen würde, sonst „zahle“ es sich nicht aus. Die Bergwiese, die der Tate noch wegen der Qualität des Heus – er nannte es Medizin – mähte, wollte er nur wegen der Prämie, aber nicht wie der Vater mit der Sense, sondern mit dem Balgenmäher schneiden. Gleichzeitig schilderte er mir seine Konflikte mit der väterlichen Autorität in Bezug auf seine Träume als zukünftiger Bauer und seine Liebschaften – damals vornehmlich aus dem bundesdeutschen Sprachraum. Letztere nahm er zwar nicht ernst, aber die Reaktion seines Vaters in beiden Fällen machten ihm die Differenz ihres Denkens, in seinen Augen zwischen Tradition und Zeitgeist, bewusst. Für mich war damals die Haltung des Tate unverständlich, obwohl ich ihn verehrte, und die von Sepp auch nicht ganz nachvollziehbar. Heute würde ich sagen, dass beide recht hatten und ich sie nun verstehe. Der Tate starb 2004 und Berta vor drei Jahren. Sepp lebt heute, verheiratet mit der Tochter des direkten Nachbarn, als Schiliftwart im Winter und geförderter Biobauer mit drei Kindern in Obertilliach, in Bergen 6 b.


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Die Zukünfte Eigentlich hätten wir alle ganz gerne eine klare Zukunft, eine in Einzahlform, die verbindlich und so sein soll, wie man sich diese vorstellt und letztlich will. Heute bastelt sich fast jeder seine eigene Zukunft, nicht selten auf Kosten der anderen, und erwartet sich, dass die anderen diese akzeptieren und sie sogar politisch unterstützt wird. Wir wollen die eigene Zukunft mit dem Kollektiv nicht teilen, mit einer Perspektive der Mehrzahl, die vielfach ein Gefühl der Unsicherheit erzeugt. Wir wollen eine individuelle Zukunft, aber mit kollektivem Sanctus. Denn als Kinder der Moderne sind wir es gewöhnt, dass das Licht der Aufklärung und des Fortschritts den Weg in die Zukunft leuchtet und diese eindeutig besser ist. Aber die Moderne hat sich als ambivalentes Projekt, auch als intellektuelle wie emotionale Kompensationsstrategie herausgestellt und eine ihr inhärente Dynamik führte zu selbstverschuldeten Krisenphänomenen, mit denen wir uns heute global auseinandersetzen müssen. Ihre Versprechungen, die leider sehr oft zu Ideologien mutierten, führten zu großen Enttäuschungen und herben Verlusten. Eine radikale Moderne fraß nicht selten ihre Kinder und im Namen des Fortschritts ihre eigene Geschichte – und das ohne Pardon. Aus mir unerklärlichen Gründen hat es die Moderne nicht wirklich geschafft, ein kollektives Denken der Ambivalenz zu etablieren, das darin gipfeln würde, dass man die Spannung des „Sowohl-als-auch“ aushält und daraus noch dazu einen Mehrwert zieht, der produktiv wird. Doch in Anbetracht der heute öffentlich verhandelten Themen – vom Klimawandel bis hin zu den sozialen Verwerfungen rund um die Welt – scheint mir eine Übergangsphase – „Sattelzeit“ – zu einer Epoche des komplexeren Denkens und einfacheren Handelns angebrochen zu sein. In Reaktion auf ein System, das uns global an den Rand des Abgrunds manövrierte, die Entsolidarisierung betrieb und auf der Ausbeutung von Mensch und Ressourcen aufbaute, etablieren sich alternative Denkmuster, die daran orientiert sind, Lösungsansätze zu formulieren und zu leben, die global nachhaltig gedacht sind. Vom Melkschemel zum Naturschutz Tirol reibt sich seit Jahren ideologisch an einer Zukunftsstrategie und erkennt nicht, dass es eigentlich viele parallele und sehr verschiedene Zukünfte haben wird, die aufgrund der regional sehr unterschiedlichen Geschichten vorprogrammiert sind. Eigentlich ist Tirol

ein aus ärmlichen Verhältnissen stammender, gesellschaftlich ambivalenter Raum, der sich innerhalb von zwei Generationen dynamisch verändert hat, mental urbaner wurde, gleichzeitig aber seine rurale Imprägnierung nicht aufgab. Parallel zur technischen Modernisierung des Landes, seitdem sich die Dynamik der Veränderungen sichtbar beschleunigte, existieren auch Gegenbewegungen, die konservativ und progressiv waren, weil sie einerseits „Werte“ erhalten, andererseits unzeitgemäße gesellschaftspolitische Änderungen wollten. Der Heimatschutz war eine dieser Kräfte, die eine differenzierte Haltung gegen den „gedankenlosen“ Fortschritt und die Zerstörung von Orten, Bauten und Landschaften einnahm. Die Protagonisten kamen aus dem städtischen Umfeld und waren nicht prinzipiell gegen die Moderne, sonst hätten sie nicht mit Architekten wie Lois Welzenbacher und Clemens Holzmeister zusammen gearbeitet. Im Zuge der Renationalisierung der Gesellschaft und der reaktionären Wende kippte der Heimatschutz in Tirol und Österreich – im Gegensatz zur Schweiz – ins rechte Eck und verlor seine anfängliche Ambivalenz. Als in den 1970er Jahren europaweit Protestbewegungen gegen die Atomkraft, die Kulturpolitik, das ökonomische System etc. entstanden, die zugleich für den Naturschutz eintraten, schwappte diese Welle auch auf Tirol über. Eine konservierende Perspektive auf Kultur, Natur und Landschaft leitete den Protest, zuerst langhaarig und politisch verzopft, später grün und bürgerlich bewegt, immer zwischen den Spannungsfeldern Konservativismus und Progressivität. Die „alternative“ Sicht auf die Natur war, dass diese nicht mehr nur genutzt, geformt oder ausgebeutet, sondern auch sich selber überlassen werden sollte. Diese urban geprägte Haltung ist von den direkten Zwängen der Natur befreit wie entfremdet und ermöglicht daher die Ästhetisierung der Natur zur Landschaft, steht aber im Gegensatz zum ruralen Blick, der traditionellerweise durch ein Bearbeitungs- und Nutzungsverhältnis bestimmt ist. Für einen Bauern ist die Landschaft nicht „schön“ und die Natur keine Idylle, er ringt ihnen mühsam seinen Lebensunterhalt ab und steht in widerständiger wie zähmender Beziehung zu ihnen. Erst der Blitzableiter machte den Herrgottswinkel überflüssig und das Gewitter zu einem ästhetischen Schauspiel. Die Familienaufstellung von Tirol ist in diesem Sinne seit Jahren von einer internen Spannung geprägt, die sich grob folgendermaßen beschreiben lässt: Zwischen


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den Polen technischer Fortschritt und Naturschutz, gesellschaftspolitische Progressivität und Wertkonservativismus läuft die Diskussion. Ich schätze diese Spannung, halte sie manchmal zwar nur schwer aus, wenn die Debatten entweder heimattümlich, modernistisch oder anderweitig ideologisch werden, sehe darin aber ein Potenzial, das genutzt werden müsste. Letztlich münden alle Diskussionen und Analysen im Politischen, wo das Ziel der Ausgleich zwischen den widerstrebenden Interessen im Sinne des Gemeinwohles sein sollte. Im Folgenden möchte ich aus meinen Beobachtungen seit 1995 Szenarien von möglichen Zukünften der Raumentwicklung Tirols skizzieren, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, analytische Dichte oder gar daraus abzuleitende politische Handlungsanweisungen. Das Bschlabs-Symptom oder der Mythos des Glasfaserkabels In der letzten Ausgabe von Quart wurde die Situation von Bschlabs beschrieben, doch Bschlabs steht für ein Symptom, das im ganzen Alpenraum weit verbreitet ist – die Abwanderung. Zwar nimmt die Bevölkerung Tirols nominell zu, jedoch sind vorwiegend ländlich strukturierte Regionen und Gemeinden, aber auch touristisch geprägte Orte zunehmend mit dem Phänomen konfrontiert, dass vor allem die Generation der 20bis 30-Jährigen, gut ausgebildet und mobil, abwandert und damit demografisch ein soziales Ungleichgewicht entsteht, das politisch nur schwer auszugleichen ist. Trotz vorhandener Infrastruktur wie Straßen und Gemeindeamt, traumhafter Landschaft und öffentlichen Förderungen scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, dass wir zukünftig in Tirol mit der Selbstauflösung von Orten als soziale und ökonomisch lebensfähige Gemeinschaften rechnen müssen. Auch der Ausbau des Glasfasernetzes wird daran nicht viel ändern können, da diese technische Fortschrittsstrategie alleine nicht ausreicht, um den geänderten gesellschaftlichen Lebensvorstellungen gerecht zu werden, da es zum Leben mehr braucht als eine schöne Landschaft mit Anschluss ans Worldwideweb. Diese Orte werden vielleicht zu Projektionsflächen von Liebhabern, die es sich leisten können, dorthin zu ziehen, wo nichts ist und davon nicht leben müssen. Schlimmstenfalls entwickeln sich alpine Brachen, die der Natur wieder übergeben werden oder Dörfer, die zeitweise benutzt, erhalten, aber nicht mehr durchgängig bewohnt werden.

Die Natur schlägt zurück oder der Mythos des technischen Fortschritts Über Jahrhunderte wurde der alpinen Landschaft Lebensraum abgerungen, die Bergwelt erschlossen und die Natur mit Schutzbauten gezähmt. Doch aufgrund des globalen Klimawandels und der prekären öffentlichen Haushalte scheint diese Strategie langsam an ihr Ende zu kommen. Wir können zwar noch immer mit technischen wie baulichen Einrichtungen den Naturgefahren trotzen, aber mit der faktischen Erderwärmung, der prognostizierten Zunahme an Wetterextremen, wie dem nachweisbaren Ansteigen der Permafrostgrenze, werden wir es uns in naher Zukunft sowohl ökonomisch, ökologisch wie letztlich auch ästhetisch nicht mehr leisten können, alle Siedlungen oder Straßen vor Lawinen, Steinschlag oder Hochwasser zu sichern. Vergleicht man die Zonenpläne aus den 1980er Jahren mit den aktuellen, so ist erkennbar, dass die rot eingefärbten Flächen in Tirol massiv zugenommen haben. Wir sollten uns daher darauf vorbereiten, in Zukunft mit der mentalen Kränkung leben zu müssen, dass wir Personen absiedeln, Siedlungen aufgeben und Flächen der Natur zurückgeben müssen, um ein ökonomisches wie ökologisches Gleichgewicht in unserem Lebensraum zu schaffen. Das lebensfähige, aber prekäre Soziotop oder der Mythos der Eigenständigkeit Es gibt sie noch, die Gemeinden oder Dörfer, die aufgrund ihrer Geschichte sozial und ökonomisch breit aufgestellt sind, weder unter einer massiven Abwanderung leiden, noch existenziell mit großen demografischen oder ökonomischen Problemen kämpfen. Diese Kommunen haben meist eine Biografie, in der zwar auf den Tourismus gesetzt wurde, aber nicht ausschließlich, die Betriebe angesiedelt haben, aber im kleinen Maßstab, die noch immer landwirtschaftlich strukturiert sind, aber zunehmend im Nebenerwerb, und Geburtenzahlen aufweisen, die den Betrieb von Kindergärten und Schulen ermöglichen. Die meisten dieser Orte sind zwar mit dem Auspendeln konfrontiert, aber diese Arbeitenden kommen jeden Abend wieder und beteiligen sich am kollektiven Leben, von den Vereinen bis hin zur Kirche. Auf politischer Ebene ist ein ständiges Austarieren dieser Soziotope und ihrer Bewegungen notwendig, es werden gesellschaftspolitische Entscheidungen erforderlich, die meist jenseits traditioneller Muster liegen, da sonst die Gefahr besteht, dass die


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differenziert aufgestellte Gemeinschaft und der soziale Kitt brüchig werden. Die Herausforderungen reichen von einer zeitgemäßen Frauen- und Familienpolitik (von der Kinderkrippe bis zur Altenbetreuung, um auf die geänderten Lebensentwürfe und Arbeitsverhältnisse zu reagieren) über alternative Mobilitätskonzepte und eine funktionierende Nahversorgung bis hin zu einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Landwirtschaft, Gewerbebetrieben und Landschaft. Ungeachtet der Steuerleistung vor Ort sind diese Gemeinden von Geldflüssen aus dem Finanzausgleich oder von Förderungen des Landes und der EU angewiesen, da sie aus eigener ökonomischer Kraft die vielfältigen Aufgaben nicht erfüllen können. Solange diese Umverteilung gesellschaftlich getragen und ökonomisch leistbar ist, die Gemeinden kollektiv erarbeitete Strategien entwickeln, um den neuen Herausforderungen begegnen und ihre Biografie fortzuschreiben zu können, werden diese Dörfer lebensfähige, aber prekäre Soziotope bleiben.

den Gästen für ihren Aufenthalt das Kinderzimmer zur Verfügung gestellt, kann man heute erkennen, dass in einigen Gemeinden die Tendenz besteht, den Ort zur Gänze den Touristen zu übergeben. Damit verschiebt sich der Wohnort und das Alltagsleben der „Einheimischen“ in die Speckgürtel, da Grund und Boden im Zentrum so teuer wurden, dass man lieber in den Tourismus investiert, als selber dort zu wohnen. Das Dorf als Kulisse, als von außen servicierte Kubatur, das aufgrund des monokausalen Handels immer mehr an Alltags- und Lebensqualität verliert und in eine Spirale der Selbstaufgabe gerät. Zwar sind diese Orte und Regionen ökonomisch reich, verarmen aber zunehmend in ihrer Struktur. Denn diese Entwicklung einer monofunktionalen Urbanisierung lässt die Balance zwischen Ökonomie und weichen Faktoren (wie etwa Lebensqualität) zugunsten des Kapitals kippen, geht mit Verlusten an Identitäten und Kollektivitäten einher, die zur Verödung der Orte und zur Abwanderung führen.

Die Tourismusindustrie oder der Mythos des Wachstums

Das Dorf ohne Einwohner oder der Mythos des Reichtums

Betrachtet man Fotografien aus den 1950er Jahren von heute touristisch geprägten Orten, so kann man sich gar nicht vorstellen, wie die Entwicklung vom Melkschemel zu dermaßen urbanisierten Strukturen (bis hin zur U-Bahn in Schigebieten) vonstatten gehen konnte. Es waren meist Einzelpersonen, Familien oder kleine Gruppen, die, von einer Idee beseelt, sowohl die Einwohner wie auch die Landespolitik davon überzeugten, Gletscher zu erschließen, Lifte, Hotels, Pensionen sowie Straßen zu bauen, um eine bessere Zukunft zu haben. Diese Kraftanstrengung führte dazu, dass sich Tirol zu der touristischen „Weltmacht“ entwickelte, die 2013 mehr Nächtigungen hatte als London oder die Metropolen Paris, Berlin und Wien zusammen. In keinem anderen Land der Erde fallen pro Einwohner mehr Nächtigungen an als im „heiligen Land“, nämlich rund 61. Jede Nacht könnten sich theoretisch 340.000 Gäste gleichzeitig zur Ruhe begeben, da so viele Betten zur Verfügung stehen. Mit einer Bruttowertschöpfung von 4 Mrd. Euro und einem Anteil von ca. 16 % des BIP von Tirol mutierte der Tourismus zu einem das Land und die Landschaft prägenden ökonomischen wie gesellschaftspolitischen Machtfaktor. Einerseits blieben damit viele Regionen lebensfähig, andererseits führte diese Dynamik des Massentourismus auch zu Monokulturen, die soziale wie ökonomische Verwerfungen nach sich zogen. Wurde in den Anfänge des Tourismus

In einer gewissen Nähe zu dem oben beschriebenen Szenario lässt sich in einigen Regionen Tirols die Zunahme des Phänomens der „kalten Betten“ beobachten. Meist im Windschatten touristischer Destinationen entwickeln sich Orte und Landschaften zwar baulich ausufernd, aber langfristig in eine soziale wie ökonomische Sackgasse, da fast ausschließlich Zweitwohnsitze von vermögenden Personen errichtet werden, die im Odeur des Geldes für wenige Tage im Jahr ihre Freizeit dort verleben. Es entstehen Siedlungsgebiete, die sich durch heruntergezogene Jalousien und Leblosigkeit auszeichnen. Ähnlich wie in den Tourismuszentren hat diese Dynamik zur Folge, dass die Grundstückskosten und Immobilienpreise explodieren, damit ein Verdrängungsprozess breiter Bevölkerungsschichten, eine Gentrifizierung ganzer Landstriche einhergeht, die zu Freizeit-Monokulturen und zur Verödung kollektiver Strukturen führen. Zwar steht die Kirche noch im Dorf, aber es gibt keine Einwohner mehr, die sie besuchen. In Relation zur Baumasse leben nur mehr wenige „Einheimische“ in diesen Dörfern, es gibt kein öffentliches Leben und damit auch keine öffentlichen Räume der Kommunikation. Abgesehen davon, dass diese Ferienwohnungsbesitzer in der Regel kein Interesse am Gemeindeleben haben, bringen sie den Kommunen nur geringe Steuereinnahmen, die in keinem Verhältnis zu den öffentlichen Infrastruktur- und Erhaltungskosten


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des Siedlungsraumes stehen. Zwar versucht man das Verhältnis zwischen der Einwohnerzahl und den Ferienwohnsitzen zu regeln, um das Kippen der dörflichen Strukturen zu verhindern, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass es in manchen Regionen Tirols schon zu spät sein könnte. Grundsätzlich sollten wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob wir mit einer systemimmanenten Logik einverstanden sind, wonach Gewinne privatisiert, die Verluste oder infrastrukturellen Aufwendungen dagegen kollektiviert werden und ob wir uns zukünftig die Interessen des privaten Kapitals öffentlich noch leisten können und /oder wollen? Die Stadt als Anziehungspunkt oder der Mythos der Grenze Tirol hat so genannte zentrale Orte und Ballungsräume, die eine Sogwirkung ausüben, stetig wachsen und sich verdichten. Ihre Dynamik macht ihren Reiz aus, schafft aber wieder Probleme, denn was anziehend und begehrenswert ist, wird in unserem ökonomischen Systemdenken langfristig teuer und führt letztlich zur Gentrifizierung und zur Verdrängung urbaner Qualitäten wie sozialer Durchmischung. Nehmen wir zum Beispiel die fiktive Stadt I, jener kleine Wasserkopf Tirols, der stetig wächst, da es Ausbildungsstätten, Universitäten, Kultureinrichtungen gibt, wo die Verwaltungseinrichtungen und wichtige Wirtschaftsbetriebe existieren, weswegen sowohl Tiroler, Studenten aus allen Ländern (vornehmlich aus dem deutschen Sprachraum), und Gastarbeiter (vornehmlich aus dem deutschen Sprachraum) zuziehen, um am breiten Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsstellen wie an der Lebensqualität partizipieren zu können. In politische Verwaltungsgrenzen unterteilt und mit beschränkten Flächenressourcen fürs Wohnen und Arbeiten ausgestattet, wird der Lebensraum zunehmend verdichtet, da Grund und Boden teuer ist. Wer es sich nicht mehr leisten kann, zieht an die Peripherie, in die wuchernden Speckgürtel der Ballungsräume, um in der vermeintlichen Idylle zwischen Thujenhecken daran mitzuhelfen, dass diese Regionen immer mehr veröden und der Individualverkehr zunimmt. Könnte man, wie man sollte, müsste man das überkommene Denken der Kirchturmpolitik, vor allem im steuertechnischen wie raumplanerischen Sinn, über Bord werfen, um den realen Verhältnissen begegnen zu können. Denn Tirol hat sich zu einem subtilen Geflecht entwickelt, das nicht mehr über das Planen und Handeln in Verwaltungsgrenzen lenkbar ist. Die Macht des Faktischen erzeugt

räumliche Absurditäten und steuertechnisch getragene Entscheidungen, die langfristig unseren Lebensraum zerstören und uns noch dazu volkswirtschaftlich teuer zu stehen kommen werden. Die Landschaft und die Natur als Kapital oder der Mythos der Erschließung Letztlich münden alle von mir skizzierten Szenarien in der Frage, wie wir in Zukunft die räumliche Entwicklung von Tirol so gestalten können, dass diese nach Kriterien der Gemeinwohl-Ökonomie und nicht nach Einzel- oder Lobbyinteressen erfolgt, und wie wir es schaffen, die gesamte alpine Region als mittlerweile urbanes Beziehungsgeflecht zu denken, damit ein wesentliches Kapital des Landes erhalten bleibt: die Landschaft, die Natur und damit unser Lebensraum. Denn dieses geerbte Kapital ist in Gefahr, zwischen den unterschiedlichen Kräften und Einzelinteressen zerrieben zu werden. Daher benötigen wir langfristig angelegte integrale Strategien, die im Sinne des Gemeinwohls und in Anbetracht der globalen Entwicklungen – von denen wir uns nicht abkoppeln können – eine nachhaltige Synthese zwischen den Wirkkräften anstreben, über Legislaturperioden hinausreichen, vor allem aber öffentlich und partizipativ ausverhandelt werden. Um den Klimazielen gerecht zu werden, wird der Fokus des zukünftigen Denkens und Handelns auf der Vermeidung des CO2-Ausstoßes liegen müssen. Der Umbau unseres gesamten Denksystems auf eine komplexe Nachhaltigkeit wird dazu führen, dass wir Tirol als verflochtene Stadtlandschaft, als eine Art Netzstruktur, verbunden mit europäischen bzw. globalen Entwicklungen erkennen werden und sich damit die realitätsfremde Teilung in „die“ Stadt und „das“ Land sowie in die darin gezogenen Verwaltungsgrenzen sukzessive auflösen wird müssen. Diese mental und begrifflich noch getrennten Systeme werden sich auspendeln und lebensweltlich angleichen. In Zukunft werden auch die Landschaft, die Landwirtschaft und die Mobilität eine andere Bedeutung erhalten, da der „CO2-Fußabdruck“ unserer Lebensweise eine zentrale Richtschnur des politischen Handelns sein wird und „neue“ Bewertungskriterien und „Werte“ eine Rolle spielen werden – denn letztlich geht es um unsere Lebensqualität und die Zukünfte uns folgender Generationen.


















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Notabene, ein Remake

Erich Kästner in Tirol. Von Christoph W. Bauer

Ein Remake bescherte mir den ersten Kinobesuch meines Lebens. Ich war sechs, sieben Jahre alt, Joachim Fuchsberger lächelte von der Leinwand, sein Name sagte mir nichts. Auch vom Schriftsteller, auf dessen Romanvorlage der Streifen basierte, hatte ich noch nie gehört. Aber der Titel des Films übte außerordentliche Strahlkraft auf mich aus: Das fliegende Klassenzimmer. Wenige Szenen sind mir in Erinnerung geblieben, und ich weiß heute nicht, was mich mehr beeindruckte, die Filmhandlung oder der Umstand, dass ich ihr im mittlerweile aufgelassenen Kinosaal einer Tiroler Landgemeinde beiwohnen konnte. Einige Jahre später las ich Das fliegende Klassenzimmer. Wieder verbündete ich mich mit Jonathan „Johnny“ Trotz, diese Figur hatte es mir schon im Film angetan. Der Außenseiter und Träumer, der Schriftsteller werden wollte, wurde zu meinem Wegbegleiter – und Erich Kästner avancierte zu einem meiner Lieblingsautoren früher Lesejahre. Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton – wie die Generationen vor mir, verschlang ich diese Bücher. Dass mich ihr schnoddriger Tonfall an meine Verwandtschaft in Norddeutschland erinnerte, tat ein Übriges. Mein Vater Hannoveraner, den es in die Tiroler Berge verschlagen hatte, dort war jeder Deutsche ein Piefke von vornherein. Das ließ man mich spüren, Johnny kam also wie gerufen. Kurzum, ich fühlte mich von Kästner verstanden und glaubte nicht zuletzt daher, ihn zu verstehen. Ich rieb mich nicht an wiederkehrenden Stereotypen und moralisierenden Fingerzeigen – hätte ein Kind diese denn erkannt? In einem von Tourismus und sportlichen Aktivitäten dominierten Umfeld floh ich aus Mangel an Alternativen in Bücher, machte Erich Kästner mich zum Leser. Dass der 1899 in Dresden geborene Kästner zu den verfemten Autoren des Dritten Reichs gehörte, lernte ich in der Schule, wenig hingegen erfuhr ich über den Nationalsozialismus. Ich bin mir sicher, dass der Name des Tiroler Gauleiters Franz Hofer kein einziges Mal fiel. Die Morde und Übergriffe beim Innsbrucker Novemberpogrom 1938 wurden völlig ausgespart. Das war in den 1980er-Jahren, noch vor der Waldheim-Affäre, in deren Windschatten der damalige

Bundeskanzler Franz Vranitzky nicht nur die bis dahin hochgehaltene Opferthese relativierte, sondern von einer Mitschuld der Österreicher am Zweiten Weltkrieg sprach. Somit wurde offiziell, was ohnehin bekannt war, das geistige Klima im Land änderte sich kaum. Umso wichtiger wurde für mich ein Werk, das ich kurz nach Schulabschluss in die Hände bekam, Erich Kästners Notabene 45. In diesem 1961 veröffentlichten Tagebuch beschreibt er detailliert seine Lebensumstände vom 7. Februar bis zum 2. August 1945, die ihn als Mitglied eines sechzigköpfigen UFA-Teams nach Tirol führen, wo angeblich ein Film gedreht werden soll. Man habe eben „ein paar konsequente Lügner beim Wort genommen, nichts weiter. Da der Endsieg feststehe, müssten deutsche Filme gedreht werden. Es sei ein Teilbeweis für die unerschütterliche Zuversicht der obersten Führung. Und weil das Produktionsrisiko in den Filmateliers bei Berlin täglich wachse, müsse man Stoffe mit Außenaufnahmen bevorzugen.“ Dieserart werden ungläubige Zeitzeugen abgespeist, bemerkt Kästner in typischem Sarkasmus. Klar, das ganze Unternehmen ist Posse, ist gewagtes Spiel zugleich, auf das aber auch Goebbels hereingefallen sei. Also macht sich der Tross auf den Weg nach Tirol, um dort das absehbare Kriegsende abzuwarten. In die Rolle als Produktionsleiter schlüpft Kästners Freund Eberhard Schmidt. Der produzierte schon 1942 den wohl ambitioniertesten Film der Nazi-Ära, Münchhausen. Für die vermeintlichen Hauptrollen sind Ullrich Haupt und Hannelore Schroth vorgesehen, Herbert Witt wird neben Kästner als Drehbuchautor ausgewiesen. Abreise in Berlin, Eberhard Schmidt in einem zweisitzigen DKW neben Kästner, „hinter Potsdam wurden wir zum ersten Mal von der Feldgendarmerie kontrolliert.“ Durchs Fränkische Jura Richtung München, von dort mit dem Zug über Garmisch nach Innsbruck. Die Wartezeit am Bahnhof wird von einer Luftwarnung unterbrochen, Kästner notiert: „Die Sirene wirkte wie das Megaphon eines Regisseurs, der einen Monsterfilm inszeniert.“ Auf ihr Kommando seien „von allen Seiten Komparsen mit Klappstühlen, Kindern, Kissen und


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Koffern“ herbeigeströmt und „in langer Polonaise“ im gegenüberliegenden Berg verschwunden. Abends geht’s weiter ins Tiroler Unterland und von Jenbach „mit der Zillertaler Lokalbahn nach Mayrhofen hinauf. Der Fahrplan lässt sich leicht behalten. Der Zug fährt einmal täglich von Jenbach nach Mayrhofen und ebenso häufig von Mayrhofen nach Jenbach. Mayrhofen ist die Endstation, hat etwa zweitausend Einwohner und lebt, sei nun Krieg oder Frieden, nicht zuletzt vom Fremdenverkehr.“ Etwas später trifft auch Kästners Lebensgefährtin Luiselotte Enderle als UFA-Dramaturgin in Mayrhofen ein. Von Mitte März bis Anfang Juni beziehen die beiden ein Zimmer in der Pension Steiner, bei „sehr freundlichen Leuten. Er hält Vieh. Sie ist die Hebamme des Ortes. Viktoria, die Tochter, hilft im Haus.“ Ein Sohn der Familie Steiner ist gefallen, der andere steht noch an der Front. Gemeinsam mit den „Berlinern“ sitzen sie in der „warmen Stube“ vor dem Volksempfänger, hören die Wehrmachtsberichte. „Die Fotografie des Gefallenen ist nicht der einzige Zimmerschmuck. An den Wänden hängen, einander gegenüber, ein geschnitztes Kruzifix und ein buntes Hitlerbild.“ Wiederholt geht Kästner auf die Einheimischen ein, deren Ablehnung mitunter „in ohnmächtigen Hass“ umgeschlagen sei. Dies erklärt er mit dem Wesen des Fremdenverkehrs, wenn die Gäste, „statt selber zu erscheinen, die Gelder per Post überwiesen, wäre Eintracht möglich.“ Und: „Nicht sie sind schuld, dass sie den Krieg mitverlieren und dass ihre Söhne mitfallen, sondern wir.“ Gestört fühlt sich auch die Leiterin eines evakuierten Lehrerinnenseminars, dessen Schülerinnen in diversen Hotels untergebracht sind. Ihre Direktorin ist befreundet mit Gauleiter Hofer und federführend beim Versuch, die unliebsamen Fremden für den Volkssturm heranzuziehen, wozu es letztlich nicht kommt. Kästner und das Filmteam bemühen sich also, die Einheimischen bei Laune zu halten, und so bekommen die Mayrhofener die Welturaufführung Josef von Bákys Via Mala zu sehen (der Film, 1944 fertiggestellt, wird erst 1948 in deutschen Kinos gezeigt). Die Tage vertreibt sich Kästner mit Spaziergängen und Beobachtungen. Täglich treffen Lastwägen und Busse mit Flüchtlingen im Zillertal ein, die Gemeinde erteilt keine Aufenthaltsgenehmigungen mehr, „es sei denn man zöge zehntausend Reichsmark aus der Tasche.“

Oft besucht er das Waldkaffee, seit Ende der 1920erJahre ein beliebter Treffpunkt im Dorf und bekannt für seine Tanzveranstaltungen. In den letzten Kriegswochen jedoch wird das Lokal zum Zufluchtsort für Vertriebene, „die nicht wissen, wohin sie gehören und was sie anfangen sollen.“ Auch die Nahrungsmittel werden immer knapper, Kästner beschreibt das Feilschen um Brot, Butter und Käse. Unterbrochen wird der Handel von Bomberverbänden, die über den Bergen auftauchen, ihr Ziel sind die Bahnknotenpunkte im Inntal. Am 25. März überbringen der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter den Steiners die Nachricht, dass auch ihr zweiter, erst achtzehnjähriger Sohn gefallen ist. „Der Vater erlitt einen Herzanfall. Die Mutter riss das Hitlerbild von der Wand. Sie wollte es zertreten … Heute früh hing das Hitlerbild wieder an der Wand. Und vor Hansl Steiners schwarzumrahmter Fotografie, nicht weit von der des Bruders, stand ein Teller mit Gebackenem.“ Wenige Wochen später ist der Krieg vorbei, Kästner notiert am 4. Mai 1945: „Die Ostmark heißt wieder Österreich.“ Noch gut ein Monat lang hält er sich in Mayrhofen auf und hält fest, wie rasch sich die Heimischen der Vergangenheit entledigen. „Farbsatte Rechtecke an den Wänden erzählten uns, wie leicht Tapeten zu verschießen pflegen und wie groß die Hitlerbilder gewesen waren.“ Aus den Hakenkreuzfahnen nähen die Bäuerinnen mithilfe von Betttüchern österreichische Fahnen, vor den Spiegeln stehen „Hausväter“ und schaben, „ohne rechten Sinn für Pietät, ihr tertiäres Geschlechtsmerkmal, das Führerbärtchen, von der Oberlippe.“ Solche und ähnliche Passagen beeindruckten mich bei der ersten Lektüre von Notabene 45 vor mehr als zwanzig Jahren sehr. Nach Kriegsende begründet Kästner sein Verbleiben in Deutschland mit der Absicht, er habe Augen- und Ohrenzeuge bleiben wollen, um alsbald den großen Roman des Dritten Reichs schreiben zu können. Es ist eine Zeit der Stimmungsmache gegen geflohene Emigranten, Thomas Manns Weigerung, nach Deutschland zurückzukehren, löst Kontroversen aus. Und Manns Ablehnung scheint auch Kästner übel aufzustoßen, er verfasst einen boshaft-ironischen Text, in dem er sich an die „lieben Kinder“ wendet, ein dankbares Publi-


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kum, mit anderen Worten, er weicht der Debatte aus. Ungeachtet dessen setzt bei ihm nach 1945 noch einmal eine enorme Produktionstätigkeit ein. Er ist populär wie in jenen Tagen, als er mit dem Roman Fabian Erfolge feierte. Nun wird er Feuilletonchef der von der amerikanischen Militärregierung in München herausgegebenen Neuen Zeitung, er schreibt Reportagen, Rezensionen, Kinderbücher und zahlreiche KabarettTexte für die Schaubude. Bereits 1946 erscheint Bei Durchsicht meiner Bücher, eine vom Autor selbst vorgenommene Zusammenstellung aus vier bis 1932 erschienenen Gedichtbänden. Die Gedichte „sollen zeigen, wie ein junger Mann durch Ironie, Kritik, Anklage, Hohn und Gelächter zu warnen versuchte“, heißt es im Vorwort, das Kästner so eröffnet: „Mein erstes Buch, der Gedichtband Herz auf Taille, erschien 1927. Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herren Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen.“ In der Neuen Zeitung hatte er sich wie folgt vorgestellt: „Nun, E. K. war im Lauf der letzten zwölf Jahre elfeinhalb Jahre verboten. Das klingt lustiger, als es war. Trotzdem blieb er während der ganzen Zeit in der Heimat … und fühlte Deutschland den Puls. Eines Tages wird er versuchen, die Krankengeschichte niederzuschreiben.“ Was klingt daran lustig, möchte man fragen. Gleichwohl, Kästner hält bis an sein Lebensende an dieser Selbststilisierung fest. In den von ihm verfassten KurzViten entsteht der Eindruck, er habe zwölf Jahre nichts publiziert, nicht einmal im Ausland. Zweimal wurde er von der Gestapo verhaftet, seine Anträge um Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer wurden abgelehnt, vom Rückgang seiner Produktivität kann indes nicht die Rede sein. Gerade in den ersten Jahren nach Hitlers Machtergreifung erscheinen einige seiner bis heute beliebtesten Bücher, Das fliegende Klassenzimmer kann sogar noch in Deutschland verlegt werden, alle übrigen Werke im Ausland. Darunter das Kinderbuch Emil und die drei Zwillinge, die Unterhaltungsromane

Drei Männer im Schnee und Der kleine Grenzverkehr sowie die Sammlung unpolitischer Gedichte mit dem Titel Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke. Ferner erscheinen während der zwölf Jahre Diktatur insgesamt 26 Übersetzungen von Kästner-Büchern. Als er tatsächlich mit Schreibverbot belegt wird, liefert er unter Pseudonym Theatertexte und Filmdrehbücher für die Unterhaltungsindustrie des Dritten Reichs. 1942 schreibt er als „Berthold Bürger“ das Skript zu Münchhausen, Goebbels persönlich hatte dies genehmigt. An Kästners Regime-Gegnerschaft gibt es keinen Zweifel. Er hing an einer Kette von Fehleinschätzungen, das wurde ihm früh bewusst. Auch die enge Bindung zu seiner Mutter dürfte ihn zum Bleiben veranlasst haben. Aber nicht zu Unrecht nennt ihn Paul Flora in seinen Erinnerungen eine ambivalente Persönlichkeit. Andere gehen härter mit ihm ins Gericht, werfen Kästner Opportunismus vor, heißen ihn einen Moralisten mit doppeltem Boden. Walter Benjamin will in ihm schon in den frühen 1930er-Jahren einen Satiriker erkennen, der sich vor „wirklichen Problemen“ gedrückt habe, Ruth Klüger folgert: „Daß Kästner in Kinderbücher auswich und sich dann gewissermaßen zum Präzeptor eines jungen Deutschland stilisierte, war wohl kein Zufall.“ Dreharbeiten in Mayrhofen: „Die Kamera surrte, die Silberblenden glänzten, der Regisseur befahl, die Schauspieler agierten, der Aufnahmeleiter tummelte sich, der Friseur überpuderte die Schminkgesichter, die Dorfjugend staunte. Wie erstaunt wäre sie erst gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass die Filmkassette der Kamera leer war. Rohfilm ist kostbar. Bluff genügt. Der Titel des Meisterwerks, Das verlorene Gesicht, ist noch hintergründiger, als ich dachte.“ Hinter das Gesicht ließ sich Erich Kästner nie blicken. Auch in Notabene 45 nicht. Einmal mehr erweist er sich als begnadeter Selbstdarsteller: „Ich war eine Ameise, die Tagebuch führte. Ich notierte, was ich im Laufen sah und hörte. Ich ignorierte, was ich hoffte und befürchtete, während ich mich tot stellte“, heißt es im Vorwort. Seine Arbeitsmethode erklärt er so: „Meine Aufgabe war, die Notizen behutsam auseinanderzufalten. Ich musste nicht nur die Stenographie, sondern auch die unsichtbare Schrift leserlich machen … Ich musste das Original angreifen, ohne dessen Au-


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thentizität anzutasten.“ Wie soll das gehen? „Ich habe den Text geändert, doch am Inhalt kein Jota.“ Und an anderer Stelle: „Ich habe nicht daran gerührt. Denn ich bin nicht vom Verschönerungsverein. Vom Selbstverschönerungsverein schon gar nicht.“ Notabene 45 widerspricht, die gedruckte Fassung weicht mitunter deutlich vom Original-Tagebuch ab, das Kästner ab 1941 führte, es wurde erst Jahre nach seinem Tod im Nachlass entdeckt. „Kunstgriffe wären verbotene Eingriffe“, postuliert er im Vorwort und wendet sie sonder Zahl an. Die letzte Eintragung in Berlin: „Ich klebe hier fest wie eine Fliege an der Leimtüte“, die erste in Mayrhofen: „Die Fliege klebt nicht mehr an der Tüte. Es hat ihr jemand aus dem Leim geholfen. Eine Art Tierfreund? Der Vergleich hinkt.“ Auf diese Art baut er immer wieder an der Dramaturgie des Buchs – und wenn ein Vergleich hinkt, warum ihn bemühen? Zudem zieht Kästner eine Kommentarebene ein, die mit Sicherheit erst vor Abdruck von Notabene 45 entstanden ist. Im Original: „Hitler ist in Berlin gefallen.“ In der gedruckten Version: „Hitler liegt, nach neuester Version, nicht im Sterben, sondern ist ,in Berlin gefallen‘! Da man auf vielerlei Art sterben, aber nur fallen kann, wenn man kämpft, will man also zum Ausdruck bringen, dass er gekämpft hat. Das ist nicht wahrscheinlich. Ich kann mir die entsprechende Szene nicht vorstellen. Er hätte dabei mit Ärgerem rechnen müssen … und dieses Spektakel konnte er nicht wollen. Ergo: er ist nicht ,gefallen‘.“ Nicht nur in dieser Passage unterläuft Kästner die im Vorwort behauptete Authentizität. Manche Eintragungen lässt er in der gedruckten Fassung vorsorglich weg, etwa: „Am besten hat sich noch Goebbels aus der Affäre gezogen, der Intellektuelle, als er mit seiner Familie gemeinsam Schluss machte.“ Andere aber fügt er beflissen hinzu, wie: „Gestern warnte mich jemand. Die SS, das wisse er aus zuverlässiger Quelle, plane, bevor die Russen einzögen, eine blutige Abschiedsfeier, eine ,Nacht der langen Messer‘. Auch mein Name stünde auf der Liste. Das ist kein erhebender Gedanke.“ Ist es wahrlich nicht, aber Kästners Selbsteinschätzung wird offenbar. Auch dass er die „Achillesferse“ in Mayrhofen gewesen sei, ist unglaubhaft. „Wir können nur hoffen, dass die örtlichen Amts- und Würdenträger meinen Namen nie gehört oder längst vergessen ha-

ben.“ Die Enttarnung der Dreharbeiten als Posse hätte Gauleiter Hofer als Grund gereicht, Maßnahmen zu ergreifen. Ob ihm an solchen noch gelegen sein konnte, bleibt fraglich, er paktierte längst mit den Alliierten. Zweifelsohne will Kästner mit Notabene 45 zumindest in Anflügen jenen Zeitroman ersetzen, mit dem er seine innere Emigration legitimierte. Aber die Rückblenden auf die zwölf Jahre der Diktatur wirken an vielen Stellen übermotiviert, Kästners Pointen-Jagd bricht mancher Peinlichkeit Bahn. Beispielsweise wenn er die Geschehnisse in Deutschland und während des Krieges in Film- und Theatermetaphorik einwebt, Hitler spiele Dramen nach, „die Österreicher haben eben Theaterblut.“ Unter dem Aspekt der Überzeichnung auch seine Darstellung der „Ostmärker“. Stets hat Kästner ein Aperçu parat, das den nüchternen Duktus des Originals erschlägt, ein Bonmot jagt das andere. Beispielhaft dafür die mich einst packende Passage von der Überbringung der Todesnachricht: Die Mutter reißt das Hitlerbild von der Wand, hängt es am nächsten Tag wieder auf, vor der schwarzumrahmten Fotografie des Gefallenen ein Teller mit Gebackenem. Dass Kästner ein Gedicht für die Sterbeanzeige des Johann Steiner verfasste, findet weder im Tagebuch noch in anderen Ausgaben Erwähnung. Kein besonders gutes Gedicht, aber es zeigt einen unmittelbaren Autor. „Tagebücher präsentieren gewesenes Präsens“, offensichtlich misstraut er seinem Diktum, will mehr aus dem Erlebten machen. Das ist ihm gelungen. Schmälert es den Wert von Notabene 45? In der Zillertaler Heimatstimme aus dem Jahr 2005 die Überschrift: Dr. Erich Kästner fand eine schützende Bleibe in Mayrhofen. Der Artikel beginnt mit Kästners sprichwörtlicher Moral: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Es folgt eine frisierte Kurz-Vita in Kästner’schem Sinn, dann die Beschreibung seines Aufenthalts „an der Schwelle vom Krieg zum Frieden“. Wie Österreich über diese „Schwelle“ tritt, erfahren die Leser mit keinem Wort. Nicht nur ihnen sei Kästners Journal anempfohlen. Es ist ein ambitioniertes Buch, ein früher Schritt, den Alltag im Dritten Reich zu dokumentieren. Freilich, wie beim Film, der mir den ersten Kinobesuch meines Lebens bescherte, handelt es sich auch bei Notabene 45 um ein Remake.




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Satzspiegel *

von Christian Schubert *

— Nutzfläche auf der Seite eines Buches, einer Zeitschrift oder anderen Druckwerken; ein bedruckten Flächen zugrundeliegendes schematisches Ordnungssystem, das den Grundriss von Schrift, Bild und Fläche definiert. — Aufforderung, Sätze zu formulieren, die für die eigene Arbeit stehen und deren Grundgerüst bilden; das eigene Schaffen zu spiegeln und dabei die tagtäglich gebrauchten professionellen Ausdrucksmittel möglichst außer Acht zu lassen.

Zur BeDeutuNGSlOSiGkeit humANmeDiZiNiSCher FOrSChuNG „… und alle Welt denkt an nichts als Bergwerke … und industrie … und Geldverdienen … Brav, das alles, höchst brav! Aber ein bisschen stupide, von der anderen Seite, so auf die Dauer – wie?“ 1

Die biomedizinische ideologie ist mechanistisch und reduktionistisch „unsere Ärzte stellten nach der Sektion das Vorhandensein von Geistesstörung vollständig und mit aller entschiedenheit in Abrede.“ 2 „… ihr Zimmermädchen seid gewohnt, durch das Schlüsselloch zu spionieren und davon behaltet ihr die Denkweise, von einer kleinigkeit, die ihr wirklich seht, ebenso großartig wie falsch auf das Ganze zu schließen …“ 3 „… Studier einmal den Bau des Auges; ich möchte wohl wissen, ob du den Stoff zu dem rätselhaften Blick, von dem du sprachst, darin finden wirst …“ 4

und folgt dem leib-Seele-Dualismus „… Die Wahrheit wird unterdrückt, sie kommt nicht zum Worte … und warum? einem idiotischen, veralteten, hinfälligen Zustand zuliebe, der, wie jedermann weiß, früher oder später ja dennoch abgeschafft werden wird … ich glaube, Sie begreifen diese Gemeinheit gar nicht! Die Gewalt, die dumme, rohe, augenblickliche Polizistengewalt, ganz ohne Verständnis für das Geistige und Neue …“ 5

mit Dummheit und Arroganz. „,Wenn es dies nur wäre‘, fuhr er fort, indem er mit der hand an seiner linken Seite hinunterstrich, ohne seinen körper zu berühren … ,es ist kein Schmerz, es ist eine Qual, weißt du, eine beständige, unbestimmte Qual. Doktor Drögemüller in hamburg hat mir gesagt, daß an dieser Seite alle Nerven zu kurz sind … Stelle dir vor, an der ganzen linken Seite sind alle Nerven zu kurz bei mir! es ist sonderbar … manchmal ist mir, als ob hier an der Seite irgend ein krampf oder eine lähmung stattfinden müßte, eine lähmung für immer …‘“ 6 „,Nun der effekt der Bäder und der guten luft wird schon noch nachkommen … schon noch nachkommen!‘ sagte er, indem er dem kleinen Johann auf die Schulter klopfte, ihn von sich schob und mit einem kopfnicken gegen die Senatorin und ida Jungmann – dem

überlegenen, wohlwollenden und ermunternden kopfnicken des wissenden Arztes, an dessen Augen und lippen man hängt, sich erhob und die konsultation beendete …“ 7

Schluss. „… Aber was sind denn das für menschen, von denen ich mich abgewandt habe? Feinde des lebendigen lebens, abgelebte liberale, die vor ihrer eigenen unabhängigkeit einen Schreck bekommen haben, lakaien des Gedankens, Feinde der Persönlichkeit und der Freiheit, altersschwache Prediger der Fäulnis und Verwesung! Was ist denn auf ihrer Seite zu finden: Greisenhaftigkeit, goldene mittelstraße, die spießbürgerlichste, gemeinste talentlosigkeit, eine neidische Gleichheit, eine Gleichheit ohne eigenes Verdienst, eine Gleichheit, wie ein lakai sie billigt, oder wie sie die Franzosen von 1793 billigten … und, was die hauptsache ist: überall Schurken, Schurken und Schurken!“ 8 „Frau Odinzowa warf, als sie ihn so finster mit niedergeschlagenen Augen dasitzen sah, zwei- oder dreimal einen verstohlenen Blick auf sein strenges, galliges Gesicht mit dem Gepräge verächtlicher Festigkeit und sagte sich: ,Nein, nein, nein!‘“ 9 „… Diesen Grundsatz gedenke ich heilig zu halten bis an mein lebensende, obgleich man ja hie und da in Zweifel geraten kann angesichts von leuten, die ohne solche Prinzipien scheinbar besser fahren …“ 10

1 thomas mann, Buddenbrooks, 57. Aufl., Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 28. 2 Fjodor Dostojewski, Die Dämonen, 1. Aufl., insel Verlag, Frankfurt a. m., leipzig, S. 929. 3 Franz kafka, Das Schloss, kritische Ausgabe, Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 369. 4 iwan turgenjew, Väter und Söhne, insel Verlag, Frankfurt a. m., leipzig, S. 52. 5 thomas mann, Buddenbrooks, 57. Aufl., Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 137. 6 thomas mann, Buddenbrooks, 57. Aufl., Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 404. 7 thomas mann, Buddenbrooks, 57. Aufl., Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 638f. 8 Fjodor Dostojewski, Die Dämonen, 1. Aufl., insel Verlag, Frankfurt a. m., leipzig, S. 801f. 9 iwan turgenjew, Väter und Söhne, insel Verlag, Frankfurt a. m., leipzig, S. 148. 10 thomas mann, Buddenbrooks, 57. Aufl., Fischer taschenbuch Verlag, Frankfurt a. m., S. 174.


Besetzung

Christoph W. Bauer, Kolbnitz / Kärnten Innsbruck: Freier Autor. Lyrik, Prosa, Hörspiele, Essays, Libretti, Texte für Kinder und Jugendliche. 2012 Lehrauftrag an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; 2013 Poetik-Vorlesung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen, diverse Auszeichnungen. Jüngste Publikationen: „In einer Bar unter dem Meer“, Erzählungen, 2013; „Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder“, 2013 (alle: Haymon Verlag). Wien: Künstler. Studium an der Emanuel Danesch, Innsbruck Universität für angewandte Kunst Wien und an der Akademie der bildenden Künste Wien (1994–2001). Diagonale-Filmpreis für den besten Kurzdokumentar- / Kurzspielfilm (2008). Seit 2012 Ausbildung zum Psychotherapeuten. Beate Ermacora, Wien Innsbruck: Direktorin der Galerie im Taxispalais, Innsbruck (seit 2009). Studium der Kunstgeschichte und Europäischen Ethnologie, Universität Innsbruck. 1993–2000 Kuratorin und kommissarische Direktorin der Kunsthalle zu Kiel; 2002–2005 stellvertretende Direktorin der Kunstmuseen Krefeld; 2005–2009 Direktorin des Kunstmuseums Mülheim an der Ruhr. Zahlreiche Ausstellungen und wissenschaftliche Publikationen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Wien: Bildender Künstler. Hinterfragt Michael Kienzer, Steyr mit seinen Installationen in Erweiterung des Skulpturenbegriffs die Wahrnehmung von Raum, Zeit und Form, wobei hauptsächlich Materialien wie Aluminium, Gummi, Glas und Textilien zum Einsatz kommen und die Funktion und Bedeutung von Dingen und Alltagsgegenständen überhöht oder in ihr Gegenteil verkehrt wird. Ausstellungen (Auswahl): Kunsthaus Graz, ISCP New York, ACF Prag, MUMOK Wien, MAK Wien, Biennale Venedig, L. A. Biennale, Kunsthaus Zug / Schweiz, Galerie Peter Pakesch Wien, Galerie Thoman Innsbruck / Wien, Galerie Bernard Jordan Paris / Zürich, Galerie Michael Cosar Düsseldorf. Auszeichnungen: OttoMauer Preis, Art Austria Preis, Österreichischer Kunstpreis u. a. Schwaz: 2009–2010 Studium Susanne Kircher-Liner, Schwaz an der Kunstakademie Düsseldorf (Klasse Prof. Martin Gostner). Ausstellungen (Auswahl): Galerie der Stadt Schwaz (2008/09, 2010, 2011), Art Forums Berlin (2010), Galerie Miro Prag / Galerie Michael Haas Berlin (2010), Galerie Frank Schlag Essen (2010), Kunstraum Innsbruck (2009). www.kircher-liner.at Michael Köhlmeier, Hard am Bodensee Hohenems / Wien: Schriftsteller. Zuletzt erschienen bei Hanser der Gedichtband „Der Liebhaber bald nach dem Frühstück“ (Edition Lyrik Kabinett 2012) und der Roman „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ (2013). Alexander Kratzer, Innsbruck Innsbruck / Bozen: Regisseur, Autor und Schauspieler. 2001–2004 Ensemblemitglied am Tiroler Landestheater Innsbruck. Künstlerischer Leiter des Theaters StromBomBoli. Zahlreiche Engagements als Regisseur und Schauspieler u. a. am Theater Phönix Linz, Tiroler Landestheater Innsbruck, Schauspielhaus Salzburg, Innsbrucker Kellertheater, Theater des Kindes Linz, Stadttheater Bruneck, Theater an der Effingerstrasse Bern, Volkstheater Wien. Bozen: Fotograf. Arbeitet seit 1985 Walter Niedermayr, Bozen an Projekten, in denen er den Raum als von Menschen besetzte und gestaltete Realität untersucht und die ephemeren Bereiche zwischen Vorstellung und Imagination hinterfragt. Dieses künstlerische Interesse kommt in verschiedenen Werkgruppen 134 / 135

zum Ausdruck: „Alpine Landschaften (Alpine Landscapes)“ seit 1987, „Raumfolgen (Space Con / Sequences)“ seit 1991, „Rohbauten (Shell Constructions)“ seit 1997, „Artefakte (Artifacts)“ seit 1992, „Bildraum (Image-Space)“ seit 2001. Zwischen 2005 und 2008 sind Bildserien im Iran entstanden, zwischen 2009 und 2010 arbeitete er am Projekt „The Aspen Series“. Seit 2011 leitet er den Fachkurs für künstlerische Fotografie an der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen. Teilnahme an der Architektur-Biennale 2014. Monografien (Auswahl): „The Aspen Series“, Hatje Cantz 2013; „Conjonctions“, Istituto Italiano di Cultura de Paris 2012; „Mose“, Walther König 2011; „Appearances“, Skira Milano 2011; „Recollection“, Hatje Cantz 2010; Walter Niedermayr / Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa / Sanaa, Hatje Cantz 2007. Dornbirn: Schriftsteller, Musiker, Hans Platzgumer, Innsbruck Komponist, geboren 1969 in Innsbruck, hat in vielen Teilen der Welt gelebt und eine Vielfalt von Veröffentlichungen produziert, darunter dutzende Alben, Theatermusiken, sechs Bücher und zwei Opern. Sein aktueller Roman „Korridorwelt“ ist bei Nautilus / Hamburg erschienen. Wien: Autorin und bildende Künstlerin. Teresa Präauer, Linz 2012 aspekte-Literaturpreis für „Für den Herrscher aus Übersee“ (Wallstein). 2010 „Die Gans im Gegenteil“ mit Wolf Haas (Hoffmann & Campe), 2009 „Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken“ (Edition Krill). Illustrationen für Zeitschriften und Magazine wie den „Rolling Stone“. Im Herbst 2014 erscheint ihr neuer Roman „Johnny und Jean“ (Wallstein). Innsbruck: Seit 1995 Leiter von „aut. archiArno Ritter, Wien tektur und tirol“ in Innsbruck (vormals Architekturforum Tirol). Studium der Publizistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien. 1992–1995 Sekretär der Österreichischen Gesellschaft für Architektur; seit 1999 Mitglied des Landeskulturbeirates für Tirol; 2000–2005 Vorstandsmitglied der „Architekturstiftung Österreich“; seit 2003 Lehraufträge für „Architekturkritik“ und für „Kuratorische Praxis“ an der Architekturfakultät der Universität Innsbruck. 2005–2009 Mitglied des Beirats „Kunst und Bau“ des Landes Vorarlberg (zusammen mit Brigitte Kowanz und Edelbert Köb); 2009–2010 Lehrauftrag an der Hochschule für Angewandte Kunst, Lehrstuhl „Transmediale Kunst“; 2012 Kommissär des Österreichischen Pavillons auf der Architekturbiennale von Venedig. David Rych, Innsbruck Berlin: Künstler und Filmemacher. Ausstellungen (Auswahl): AGORA, 4. Athen Biennale (2013); 7. Berlin Biennale (2012); Künstlerhaus Büchsenhausen, Innsbruck (2012); Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2010); NGBK, Berlin (2010), MANIFESTA 8, Murcia (2010); M100 – Centro Cultural Matucana 100, Santiago de Chile (2009); O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz (2008); TBA21 – Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien (2008 und 2006); 11th Biennial of Visual Arts, Pancevo (2004); Secession, Wien (2001). www.parakanal.com Hanno Schlögl, Hall i.T. Innsbruck. Architekt; 1967 Diplom an der Akademie der Bildenden Künste Wien, 1973 eigenes Büro. Lehraufträge: Mozarteum Salzburg, Technische Fakultät der Universität Innsbruck. Seit 2003 Büro Schlögl & Süß Architekten. Christian Schubert, Oldenburg Innsbruck: Arzt, Psychologe und Psychotherapeut. Professor an der Universitätsklinik für Me-


dizinische Psychologie, Medizinische Universität Innsbruck. Seit 1995 Leiter des Forschungslabors für Psychoneuroimmunologie (PNI). Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt in der Entwicklung eines Forschungsansatzes zur Untersuchung psychosomatischer Komplexität mit Hilfe von qualitativen Methoden und Zeitreihenanalyse am Einzelfall. 2011 wurde von ihm das Lehrbuch „Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie“ herausgegeben. Wien: Schriftstellerin und Lektorin. StudiLinda Stift, Wagna um der Deutschen Philologie. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften. Bücher: „Kingpeng“, Roman, Deuticke 2005; „Stierhunger“, Roman, Deuticke 2007; „Alle Wege. 13 Romgeschichten“ (Hrsg.), Sonderzahl 2010; „Kein einziger Tag“, Roman, Deuticke 2011. Elisabeth Thaler, Bozen Bozen: Dramaturgin an den Vereinigten Bühnen Bozen. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik an der Universität Innsbruck. Arbeiten u. a. mit Bettina Bruinier, Agnese Cornelio, Philipp Jescheck, Carina Riedl, Georg Schmiedleitner, Katharina Schwarz.

Thomas Wördehoff, Kierspe / Westfalen Ludwigsburg / Wien: Studium der Musikwissenschaften, Deutsch und Englisch in Frankfurt am Main. Engagements als Spielleiter an der Hamburgischen Staatsoper, als Produktionsleiter und Dramaturg an der Oper Frankfurt, der Deutschen Oper Berlin, der Pariser Oper, bei den Bregenzer und den Salzburger Festspielen. Zusammenarbeit u. a. mit Luc Bondy, Jürgen Flimm, William Forsythe, Hans Neuenfels und John Neumeier. Nach 1986 Autor, Redakteur und später Leiter des Feuilletons der Schweizer „Weltwoche“. 2001 bis 2008 Chefdramaturg der Ruhrtriennale, 2009 künstlerischer Berater der Ruhrtriennale. Seit 2010 Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Christa Zöchling, Graz Wien: Geboren 1959 in Graz. Geschichte- und Germanistik-Studium in Graz und Wien. Deutschkurse für Ausländer an der Universität Wien. Mitarbeit an Projekten zur Zeitgeschichte. Der journalistische Lebensweg begann im Jahre 1989 bei der „AZ“, kurz nachdem diese von der SPÖ verkauft worden war. Zwischenspiel beim „Kurier“. Seit 1992 Redakteurin beim Nachrichtenmagazin „profil“.

Quart Heft für Kultur Tirol

Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 21,– ( SFr 28,90) · Einzelheft: € 14,– (SFr 19,50) · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Christoph W. Bauer, Emanuel Danesch, Beate Ermacora, Michael Kienzer, Susanne Kircher-Liner, Michael Köhlmeier, Alexander Kratzer, Walter Niedermayr, Hans Platzgumer, Teresa Präauer, Arno Ritter, David Rych, Hanno Schlögl, Christian Schubert, Linda Stift, Elisabeth Thaler, Thomas Wördehoff, Christa Zöchling Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten: Teresa Präauer Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 80 / 81 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-7143-7 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2014 · Alle Rechte vorbehalten.



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