Quart-Leser schauen eh auf keine Werbung.
Auf den linken Seiten dieser Ausgabe findet eine Art Gruppenausstellung statt. Und zwar mit genau jenen neun Künstlern, die anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Galerie im Taxispalais in Innsbruck in der Ausstellung „Zeitsprung“ (Mai bis August 2014) vertreten waren. Sieben von ihnen haben bereits Titelseiten und / oder Originalbeilagen von Quart gestaltet.
S. 60 „UP AGAINST THE WALL MOTHERFUCKER“ Ben Morea in seiner Ausstellung in der Secession Wien 2014, Collage 2014 S. 62 Zitat: Ben Morea, Secession Vienna 2014, Collage 2014 S. 64 Tambulla shrine Sri Lanka 2014 S. 66 „Obdachlose in N. Y. C. 2014, Schlafschachtel Paris 2007“, Collage 2014 S. 68 „hunderte Möglichkeiten“, Collage aus drei Monate New York Times, April bis Juni 2014, Zeitungspapier auf Leinwand, Keilrahmen S. 70 „Inna+Emma“, Collage 2014, Foto Inna Schewtschenko / Femen: Mathias Cremer,
Peter Sandbichler Foto Emma Stone: Internet
Michael Kerbler Arash T. Riahi
Lois Weinberger S. 6
Albert Ostermaier S. 10 „ZEIT“, Originalentwurf Papier, Bleistift, Tusche S. 12 „blau blau“, Originalentwurf Papier, Bleistift, Leinen
Georg Payr Carola Dertnig S. 74–84 Tanzporträt Harald Kreutzberg – 10 Posen, 2014 Collagen, Maße variabel
Heinz Gappmayr S. 14 „weiss“, Originalentwurf Papier, Bleistift
Mirko Bonné
Hans Weigand S. 88–94
Francesca Ferlaino Stefan Abermann
Eva Pfanzelter
Eva Schlegel S. 16–24 no man’s heaven – morse 2014 S. 96–104 no man’s heaven – morse 2014
Eva Schlegel
Iris ter Schiphorst Helga Utz
Thomas D. Trummer Peter Kogler S. 28–32 „Ohne Titel“, 2014 (Collage, mixed media)
S. 106 „Kandalama Inn“, Sri Lanka, Collage 2014, Architekt: Geoffrey Bawa S. 108 „Harmonie“, Lagoon Bungalow, one world, Skulptur
Gabriele Reiterer Peter Sandbichler S. 110 „colorful intervention“, Bogenvillya Sri Lanka 2014, Skulptur S. 112 „Haus Enzian“, Skulptur 1999, Sammlung Tirolwerbung
Petra M. Kraxner Nadja Kwapil und Florian Gasser Martin Gostner S. 36– 42 Fließer Strecke, Infrarot-Licht auf Decken-Relief, 30 × 98 cm, 2014
Martin Walde S. 48–56 „Scansketch / 4 DIM“ # 1– # 5 (2009)
Andrea Winkler 4 / 5
Hans Weigand S. 114–124
Inhalt
Peter Kogler „Ohne Titel“, 2014 Fotografie: Gregor Sailer Halotech Lichtfabrik
Martin Walde „Scansketch / 4 DIM“ # 6 (2009), # 7 (2014) 58 / 59 1 / 132 2 / 3
Gruppenausstellung 4 Inhaltsverzeichnis 5 Fließtext Von Albert Ostermaier 7 Lois Weinberger Kaspar Hausers Powerbook Ausnahmsweise eine Polemik von Mirko Bonné
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„Im Allgemeinen hält die Faszination für unsichtbare Dinge die sichtbaren Dinge am Laufen.“ Die Physikerin Francesca Ferlaino erklärt Stefan Abermann die Wahrscheinlichkeit 17–25 Peter Kogler „Ohne Titel“, 2014 (Collage, mixed media) Das Gesehene schlägt zurück Thomas D. Trummer über die Arbeit von Peter Kogler
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29–33
Peter Kogler „Ohne Titel“, 2014 (Collage, mixed media)
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Alles fließt in Fließ Nadja Kwapil und Florian Gasser besuchen eine Vorzeigegemeinde
37–43
Brenner-Gespräch (11): „Das Problem ist wie so oft die Angst.“ Michael Kerbler im Gespräch mit dem Filmemacher Arash T. Riahi
61–71
Philipp Messner Originalbeilage Nr. 24
72 / 73
Privater Vormärz im Elfenbeinturm Georg Payr folgt Hermann Broch in Tirol
75–85
Carola Dertnig Tanzporträt Harald Kreutzberg – 2 Posen, 2014
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„Es geht immer alles wieder weiter.“ Eine Wirtshaus- und Familiengeschichte, erzählt von Eva Pfanzelter
89 / 95
Brenner-Gespräch (12): „Das Eigentliche, das Geheimnis, geht verloren.“ Die vielseitige Komponistin Iris ter Schiphorst erzählt Helga Utz unerhörte Dinge 97–105 Tradition, Manierismus und Experiment Anmerkungen zum Bauen in den Alpen von Gabriele Reiterer
Anti-Ideologen-Ideologien, Sarkophag-Phobien und weitere WächterInnenperspektiven Petra M. Kraxner geht in eine Ausstellung und findet Abgründe 115– 125 www.quart.at
Martin Gostner Erker(8), „A Cocoon Dropped To Shelter – The Remains Of Hubert Mayr“ Stille Post Landvermessung No. 4, Sequenz 5 Von Sterzing weiter südwärts Von Andrea Winkler
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ART Innsbruck Tiroler Architekten und Ingenieurkonsulenten Besetzung, Impressum
46–57
107–113
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Fließtext*
Von Albert Ostermaier
aus dem fluss regen auf die sonne gewartet tag für tag regen vor die tür gegangen regen aus dem fenster geschaut regen im spiegel mein verregnetes gesicht die ganze visage verhagelt hagel ja regen nein hagel schlägt wie das herz aber der regen sticht messer regnet es in tirol nicht bindfäden regnet es nur messerspitzen stichwunden vom regen wattewolken bräuchte man jodwolken sonnenbrände die ganze seele das herz der rücken durchstochen perforiert vom regen aufgeweicht ein ganz weiches wundes herz vom regen schutzlos abgeschirmt vom himmel der welt regen nichts regt sich ausser dem regen der regen regt mich auf regt mich nicht an ich kann an nichts als den regen denken nasse hände nasse füsse es gibt kein schlechtes wetter aber den regen gibt es lauter striche der regen hat mir seine striche durch die rechnung gemacht ausgestrichen hat er mich zeile für zeile und dann alles verwässert fortgespült springflutartig die zeilen ans zeilenende gespült und dann hinuntergestürzt wie ein wasser fall in die abgrundtiefe dunkle sinnlosigkeit das papier zuvor vollgeschrieben jetzt ist es leer leere seiten ich fühle mich wie
ein leeres blatt papier auf das ich nicht mehr schreiben will keine striche nur stiche dauerregen dauerstiche jeder regentropfen ein stich auf mein wort jedes wort abgestochen vom regen was eine wiese war ist jetzt nur dreck landschaftsdreck alles dreck brauner sumpf verdreckt einen dreck geht mich das an dreckige geschäfte überall wie überall der regen dreckschleudern schlammschlachten während sie in syrien in der ukraine im irak verrecken kümmern sie sich einen dreck darum hier saubere hände saubere geschäfte waffenlieferungen wie der regen aus dem himmel ohne exportbeschränkung nur sich nicht selbst dreckig machen immer die hände in unschuld waschen im regen die anderen stehen lassen im blutregen die schönen berge plötzlich leichenberge bis gras darüber wächst das gras liebt den regen denn der mensch und alles fleisch es ist wie gras singen sie die herzkammern überflutet an den herzwänden wasserschäden die lungen durchgespült die leber schwarzwasser die ache die flüsse sie steigen bis zum hals nur regen die sonne kommt nicht mehr von alleine
*
— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.
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Kaspar Hausers Powerbook
Kunst braucht den Ausnahmezustand – Mirko Bonné polemisiert über einen ausgiebig kolportierten Gedanken.
Ich will ein Reiter werden. Georg Trakl Nur indem ich schreibe, bin ich hellwach und auf eine auch mich verblüffende Weise unterwegs. Dann bin ich ein Reiter. Was mich tagtäglich zum Schreiben bewegt, ist eine Gelassenheit, die stets auf etwas zuhält. „Wide awake“, der englische Ausdruck ist ein herrliches Bild dafür. Wenn ich schreibe, fühle ich mich wach, weil es mich mitten hineinzieht in die offene Welt des Gestern, Heute, Morgen. Weit wacher als bei so vielen anderen Beschäftigungen bin ich, wenn ich dichte, erzähle oder übersetze, und bin eigentlich gar nicht beschäftigt. Ich bin bloß da, aber ganz und gar, ja, in meinem Element, und empfinde ja wirklich das Glück, in einem Wasser zu schwimmen, das mich nicht nur trägt, sondern mir auch alles übermittelt. Als wertvoll und zugleich wehrlos empfinde ich mich, wenn ich schreibe – denn das muss so sein. Was wertvoll ist, das ist auch wehrlos. Und umgekehrt. Marie Luise Kaschnitz nennt diesen Zustand Langeweile, „eine lange Weile des Entlassenseins aus der Beschleunigung, dem Getriebenwerden, Gepeitschtwerden, einem persönlichen Lebensende, einem unpersönlichen, unter Umständen katastrophalen Weltende zu.“ Allerdings hinterfragt sie zugleich den Sinn. Wieso in dieser ganzen Hetzerei überhaupt schreiben, fragt sie, „doch nur um Ruhe zu finden, um entlassen zu werden aus der furchtbaren Beschleunigung, aber man wird nicht entlassen“. Brauche ich den Ausnahmezustand, um schreiben zu können? Welchen? Die Droge, die Fremde, die Stille? Bietet das Fremde, das Stille oder der Rausch die dem Schreiben angemessene Bewusstseinserweiterung? Und wovon wäre sie eigentlich Ausnahme? Ist es nicht eher so, dass ich von einem Ausnahmezustand in den nächsten stürze und mich vor Impulsen, Ansätzen, Möglichkeiten, neuen, wiederentdeckten, zurückerkämpften gar nicht mehr zu retten weiß? Getrieben, gepeitscht, beschleunigt – Bilder für das Unwesen einer Leistungsgesellschaft, die sich alles leistet, solange es sie kein Involviertsein kostet, und die von den sehr
wohl überlieferten Aufgaben der Kunst, der Musik, des Tanzes, des Schauspiels und der Literatur so wenig eine Ahnung hat, wie diese dem seichten Vor-sich-hinDümpeln noch etwas entgegenzusetzen wissen. Hilflos wie ausgediente Gespenster fliegen die Künste hin über ein plastikverseuchtes Meer, in dem Kadaver und Leichen treiben, und stellen bestenfalls die um sich greifende Panik vor der Sinnleere dar. Alternative? Keine. Wie die alte Utopie ist die postmoderne Alternative ein kontaminierter Begriff. Vier Dinge braucht man, um ein Gedicht zu schreiben: einen Zettel, einen Stift, eine Tasche und den wachen Sinn. Immer wünschte ich, letzterer würde genügen, das Gedicht, das mir durch den Kopf geht und das mich wach bleiben lässt, bräuchte weder Niederschrift noch Speicher. Doch der Schwarm Kapsturmvögel, den ich beobachtete, als ich in der Antarktis war, und bei dessen Blinken in Form eines changierenden Schachbretts mir augenblicklich ein Gedicht vorschwebte – einfach deshalb, weil ich so ein vorbeischwirrendes lebendiges Blinken noch nie gesehen hatte –, er bleibt ein Pulk Vögel, in dem vieles vorkommt, nicht aber ich, solange ich mich an dem Gedicht nicht versuche. Die Kapsturmvögel und ich: Oft scheint mir, nur wegen diesem „und“ schreibe ich noch Gedichte. Wäre ich auf einer Insel gestrandet, auf der nichts ist, und hätte bloß Zettel und Stift sowie, um beides zu schützen, eine Tasche, es käme mir nicht in den Sinn, eine Erzählung oder gar einen Roman zu schreiben. Ich würde Gedichte schreiben, vielleicht wie John Keats seine Briefe schrieb: Jede Seite doppelt beschrieben, diagonal und über Kreuz, erst von rechts oben nach links unten, dann von oben links nach unten rechts. Gedichte schreibe ich seit jeher von Hand, auf Blätter und Seiten, die bald kryptische Kritzelanordnungen sind, bevor ich sie zum ersten Mal abtippe, wenn auch nur um zu sehen, welche graphische Gestalt das Gedicht auf dem Bildschirm hat. Dann drucke ich die Vorstufe aus, aber bloß um auch sie mit schnell nur noch mir leserlichen Kürzeln, Pfeilen, Streichungen, Zeichen und immer winzigeren Wörtern zu überkritzeln. Ich
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will damit sagen: So wichtig der Inspirationsraum, der einen neuen Text bedingt oder vorgibt oder sogar eingibt (die Antarktis, die Fremde – die überall ist), und so wichtig darin die Bewegung, die dem Gedankengang, dem Lauf der Wörter, der Verse und Sätze zum Vorbild wird (die Kapsturmvögel, das Irritierende – das überall ist), genauso wichtig ist der Schreibprozess selbst, die Auseinandersetzung mit dem Vorgegebenen und Vorgefundenen („Material?“ – „Nein.“) und das Spüren des eigenen Körpers beim Schreiben – denn nur dann bin ich da, spüre was auf der Haut (und das macht Sinn), und bin nicht in jedem Augenblick bloß meine eigene Erinnerung. Und daher geht es wirklich um das Und, um den Zusammenhang, der zugleich Unterschied und die Membran ist, die zwischen den Erscheinungen („Erscheinungen?“ – „Ja.“) schwingt … und … und … daher geht es um die schwingenden Räume zwischen dem „wahrhaft“ und dem „wahrlich“ und dem „ernsthaft“. „Er wahrlich liebte die Sonne …“ und „Er ernsthaft liebte die Sonne …“ und „Wahrhaft war sein Wohnen im Schatten des Baums …“ Oder war es „ernsthaft“? In der Fahne des erst nach seinem Tod erschienenen Gedichtbands „Sebastian im Traum“ änderte Georg Trakl die beiden Verse in seinem „Kaspar Hauser Lied“ hin und her, her und hin, wieder zurück und doch noch einmal neu. Wie liebt man die Sonne? Wie liebte Kaspar Hauser sie? Wie wohnte er, der die ganze Kindheit hindurch in ein lichtloses Verlies gesperrt gewesen sein soll? Ernsthaft, wahrhaft, wahrlich? Und in diesem Dunkel, wenn man da zum Spielen nur dieses eine kleine Holzpferd hatte, wer würde kein Reiter sein wollen? Von meinen Erzählungen und Romanen gibt es dagegen so gut wie keine handschriftlichen Vorstufen, allenfalls einzelne Notizen zu Figuren, Orten oder Dia logen. Als ich vor einiger Zeit eine Neuübersetzung von F. Scott Fitzgeralds Roman „The Beautiful and Damned“ las, notierte ich mir für ein eigenes neues Manuskript: „Drei Buchteile wie bei Fitzg.: 1. Eine Frage des … 2. Eine Frage der … 3. Keine Fragen mehr“. Die folgenden Notizbuchseiten sind dagegen vollgekliert mit Entwürfen von Versen und Strophen eines Gedichts über einen Nachmittagsspaziergang durch das sommerliche Buenos Aires.
Merkwürdig auch, dass jedes meiner längeren Prosamanuskripte mit einem anderen Gerät entstand. „Die Stunden des Flugbootes“, ein 600-Seiten-Roman, den ich mit 21 aufgab, schrieb ich noch mit Bleistift – wobei selbstgestecktes Ziel war, täglich zumindest ein Wort zu Papier zu bringen. Den Roman „Salomond“ tippte ich auf einer schwarzen Adler-Reiseschreibmaschine, deren „e“ nicht funktionierte, weshalb ich auf 220 Seiten ein jedes handschriftlich nachtrug. Die mit einiger Verspätung dem jungen Peter Handke nacheifernde Erzählung „Blaufuß“ (beendet mit 25, veröffentlicht nie), entstand auf meiner Großmutters olivgrünen Olivetti aus der Konkursmasse ihres Kolonialwarenladens, eine so schwere Maschine, dass man sie nur zu zweit tragen konnte – was immer schön war und heiter stimmte. Sie und die Adler standen später jahrelang einträchtig in ihren Kästen unter der Treppe, um erst vergessen und schließlich auf den Müll geworfen zu werden. Als eine Art digitalen Manuskripteschrank erstand ich meinen ersten Computer, einen Apple Performa mit 4 MB Festplatte, und schrieb darauf mit geröteten Augen und entnervt von seinem Brummen meinen Debütroman „Der junge Fordt“. „Ein langsamer Sturz“ war der erste Roman, den ich auf einem Laptop schrieb, einem Notebook 1500, das mir chronische Schulterbeschwerden eintrug und dessen morgennebelgrauer Bildschirm bald für immer erlosch. Geliebt habe ich das 1800er Powerbook, auf dem ich fünf Jahre lang „Der eiskalte Himmel“ schrieb. Denn als mein Bruder, der Elektroniker ist, es durchgecheckt hatte, vertraute ich dem kleinen grauen Klappapparat blind und begann auch außerhalb meines Schreibzimmers zu schreiben, in Zügen, Hotels, auf Balkonen und in einem Wäschezimmer von der Größe eines Ballonkorbs. Leider gehörte das Gerät meiner damaligen Frau, und mit ihr verließ mich auch dieser treue Begleiter. Wäre es anders gekommen, hätte ich dann weitere Romane auf dem Powerbook geschrieben? Wären sie die Bücher, die es heute gibt, oder sähen sie anders aus? Wer kann es sagen. Im Internet fand ich seinerzeit ein gebrauchtes iBook und nahm es wenig später in die Antarktis mit, um an Bord der „Bremen“ an „Wie wir verschwinden“ weiterzuschreiben. Nur schrieb ich dort in meiner Kabine mit Blick auf Weddellrobben, Kapsturmvögel und Schwarzbrauenalbatrosse kein
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Wort an dem Roman, der im heutigen Versailles spielt, aber zurückführt in das Dorf, in dem Albert Camus tödlich verunglückte. Stattdessen schrieb ich mit der Hand eine Handvoll Gedichte und tippte ansonsten einen Monat lang Beobachtungen in eine Datei namens „Antarktis.doc“, aus der sich mein Reisejournal „Antarktika, Antarktika“ entwickelte. Ob Kaspar Hauser wirklich der um die Thronfolge gebrachte Erbprinz von Baden war oder doch bloß irgendein armer Mensch, spielte vielleicht für ihn und seine vermeintlichen Peiniger eine Rolle. Für die Wissenschaft ist er wieder zu einem Niemand geworden. Nur ist heute jeder ja Kaspar Hauser, tastet sich durch seine Unwirklichkeit und steht leicht wankend und stotternd da auf einem digitalen Marktplatz, um traurig staunend zu verkünden: „A söchtener Reuter möcht i wern, wie mein Voater gwen is!“ Noch Jahre nach der Flucht oder Freilassung aus dem unbekannten Kindheitskerker und dem Aufgegriffenwerden auf dem Nürnberger Unschlittplatz konnte Hauser bei tiefster Dunkelheit lesen, wird behauptet. Er soll botanische Zeichnungen von Pflanzen aus seinen Träumen angefertigt haben, „Blumen, die es auf derer Welt gar net gibt“, nannte sie seine Wirtin Klara Biberbach, die ihn am liebsten erdrosselt hätte für seine Sanftmut, sein Anstaunen noch der kleinsten Dinge und seine geliebten schimmernden Westen, mit denen er draußen umherschritt wie in einem Garten Eden, den nur er sah. Beim Blick aus dem Fenster soll Kaspar Hauser gemeint haben, die Welt komme ihm wie auf Glasscheiben gemalt vor, ein Eindruck, den ich schlagartig nachfühlen konnte, als ich die Stirn an die Sicherheitsfenster des Abenteuerkreuzfahrtschiffes presste und zwischen Tafeleisbergen hindurchfuhr, die größer waren als Hamburg oder Wien. Sicher, durch den Computer hat sich mein Schreiben verändert, aber doch nicht stärker, als es immer aufs Neue geprägt wird von Menschen, Orten, Reisen, Geschichten, neuen Einflüssen und alten, vor allem aber vom Lesen und Betrachten. Mein Laptop ist Zettel, Stift und Tasche in einem, für Konvolute, die mir ansonsten die Nähte sprengen würden und in deren Papierflut ich Notizen für ein Gedicht nicht wiederfände. Von den vier Dingen, die ich brauche, um auf meine Weise mit der Welt in Kontakt zu bleiben, stellt er drei
dar. Das vierte ist ein unerfüllbarer, aber gerade deshalb lebendiger Wunsch: Könnte der wache Sinn doch genügen. Was mag Schiller wohl empfunden haben, wenn er den Duft der alten Äpfel roch, die er nur aus diesem Grund in sein Schreibpult legte? Eine armselige Vorstellung, dass der süßliche Geruch des beginnenden Vermoderns eine erhöhte Synapsentätigkeit in Friedrich Schillers Gehirn auslöste. Ich frage mich, welchen Obstgarten er vor sich sah, und in welchem Herbst er durch welche Felder lief. Wie jung ließ ihn der Apfelduft wieder sein? Wahrscheinlich stand ihm ein bestimmtes Licht vor Augen, ein Gold, ein Grün, ein Wind, ein Gras, ein Kleid. Es ist nicht immer leicht, diese Öffnung der Welt in alle Richtungen und Zeiten auszuhalten, wie sie das Schreiben im besten Fall bereithält. Wenn Trakl einem Freund mitteilt, er habe seine Zuflucht wieder zum Chloroform genommen, so spricht er damit aus, was so viele Künstler nach ihm wortlos mitmachten (ja, mit-), auch deshalb, weil es sie selber verstummen ließ, nämlich hineinzurennen in eine anfangs beseligende, später nur noch fürchterliche Illusion. Wobei ich es für einen ebenso großen Trugschluss halte, Trakls Dichtung wesenhaft mit seinem Rauschmittelkonsum in Verbindung zu bringen. Jeder, der Drogen nimmt, um schreiben zu können, merkt schneller als ihm lieb ist, dass er lediglich einen immer gefräßigeren Automatismus füttert. So ist es nichts als ein Trinkerklischee, wenn man Fitzgerald nachsagt, er hätte „Tender is the Night“ ohne Rotwein gar nicht schreiben können. Denn die Frage ist nicht, welchen Zustand der Dichter herstellt, damit er schreiben kann, sondern wie er dem ihn um den Verstand bringenden Reichtum tagtäglich standhält – und das mit einem Sensorium, das immer einsamer macht. Wer sich ans Schreiben macht, sagt Marie Luise Kaschnitz, versucht den Blick zu lenken auf die wunderbaren Möglichkeiten des Menschen, auf seine tödlichen Gefahren und auf die bestürzende Fülle der Welt.
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„Im Allgemeinen hält die Faszination für unsichtbare Dinge die sichtbaren Dinge am Laufen.“
Seit Juli 2014 ist Francesca Ferlaino wissenschaftliche Direktorin am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Poetry Slammer und Autor Stefan Abermann traf sie in der Institutsbibliothek zum Gespräch – höchstwahrscheinlich.
Stefan Abermann: Frau Ferlaino, man schreibt Albert Einstein gerne den Satz „Gott würfelt nicht“ zu. Daher habe ich Ihnen für Ihr neues Labor ein Geschenk mitgebracht: Ein Würfelbrett mit Becher. Da sind wir schon bei der ersten Frage: Würfeln Sie? Oder besser: Wie sieht Ihre Beziehung zu Wahrscheinlichkeiten aus? Francesca Ferlaino: Es gibt Wörter, die wir im Alltag verwenden, die aber in der Quantenphysik eine ganz andere Bedeutung haben. Die Wahrscheinlichkeit ist das Schlüsselkonzept, das die klassische Physik revolutioniert und aus ihr die Quantenphysik gemacht hat. Wenn man in die Quantenwelt eintritt, geht der Denkansatz verloren, dass man sich der Dinge sicher sein könnte. Im Alltag sehe ich ein Glas auf dem Tisch stehen und bin mir sicher, dass es wirklich da ist. In der Quantentheorie existiert nur noch die Wahrscheinlichkeit, dass das Glas auf dem Tisch steht. Meine ganze Forschung besteht nur aus Wahrscheinlichkeiten. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, ein Atom an einem bestimmten Ort zu finden. Ich erforsche, wie sich diese Wahrscheinlichkeit unter bestimmten Bedingungen entwickelt und wie sie sich mit der Zeit ändert. Doch es gibt einen Unterschied zur Wahrscheinlichkeit des Würfelns. Jeder Wurf hat eine bestimmte Wahrscheinlichkeit. Dann würfelt man wieder und die Wahrscheinlichkeit ist gleich – die Würfe „korrelieren“ nicht, d. h. die Ereignisse beeinflussen sich nicht. In der Quantenphysik hingegen variiert die Wahrscheinlichkeit jedes Mal, wenn die Messung wiederholt wird, abhängig von den inneren Kräften des Teilchens. Und indem wir diese Reaktion beobachten, lernen wir mehr über die Gesetze der Interaktion von Teilchen.
S. A.: Beeinflusst Ihre Beschäftigung mit Wahrscheinlichkeiten auf der Quantenebene auch Ihre Wahrnehmung der Makrowelt? F. F.: Absolut. Ich habe einen gänzlich anderen Blick auf die Welt. Sie können meinen Partner fragen. (lacht) Physikerinnen und Physiker verstehen sich untereinander besser, selbst bei einfachen Dingen wie Zugfahren. Das liegt an unserer Arbeitsweise. Mein Arbeitsgebiet ist die Interaktion von Atomen. Aber ich könnte mich auch mit einem anderen Thema beschäftigen. Physik ist im Grunde die Kunst, die Natur verstehen zu wollen – im Großen wie im Kleinen. Allerdings ist dieser Gegenstand sehr kompliziert. Wir machen daher Annäherungen – wir analysieren das Problem, vereinfachen es, reduzieren die Parameter und erstellen daraus ein Modell. Und dieser Ansatz ist in meinem Alltag stets präsent. Wenn Physiker in den Supermarkt gehen, fangen sie an zu rationalisieren, wie sie mit der geringsten Anzahl von Schritten durch die Regalreihen kommen. (lacht) Das ist vielleicht verrückt, aber es ist unsere Denkweise. Jedes Problem fordert seine schnellste Lösung, mit dem geringsten Aufwand an Energie und Berechnung. S. A.: Führt das zu einer gewissen Entfremdung im Bezug auf andere Menschen? F. F.: Wir stehen natürlich nicht außerhalb der Gesellschaft. Aber auch im Umgang mit Menschen haben wir diesen Zugang: Wir bestimmen jenen Charakterzug eines Menschen, der den Großteil seiner Entscheidungen lenkt.
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In dieser Hinsicht ist es für unser Umfeld oft überraschend, wie schnell wir dynamische Probleme zwischen Menschen durchschauen können. Das ist ein großes Plus. Das große Minus ist, dass wir oft sehr unflexibel sind. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dauert es länger, bis wir unsere Berechnungen angepasst haben. Wir sind weniger gut auf Unfälle und Rückschläge im echten Leben eingestellt. S. A.: Dieses „echte Leben“, also die Öffentlichkeit, hat in den vergangenen Jahren sehr stark auf die Quantentheorie reagiert. Dabei wurde viel Metaphysisches in die großen Rätsel der Quantenphysik hineingelesen. Wie begegnen Sie dieser Außen-Wahrnehmung, die in den Teilchenzusammenhängen fast schon Götter und Monster zu erkennen glaubt? F. F.: Wenn wir Künstlern wie Ihnen begegnen, ist das prinzipiell sehr spannend. Natürlich: Quantenphysik fordert die Vorstellungskraft heraus. Der Gedanke, dass man etwas verstehen will, was man nicht sehen kann, nicht berühren kann, ist eine Herausforderung für jeden. Als Künstler hat man eine romantischere Sicht auf diese Dinge, als Wissenschaftler sieht man das analytischer. Aber im Allgemeinen hält die Faszination für unsichtbare Dinge die sichtbaren Dinge am Laufen. In früheren Zeiten waren deshalb Naturwissenschaft und Philosophie nicht voneinander getrennt. Zu Recht, denn beide Bereiche stellen dieselben Fragen. Lange Zeit war auch ich nicht sicher, welchen der beiden Wege ich einschlagen wollte. Ich sehe auch heute viele Querverbindungen. Viele Physiker sind beispielsweise gute Musiker. Die Musik ist ein verwandtes Feld, sie besteht aus Nummern, Harmonien, dem Zusammenspiel einzelner Teile – es gibt also eine ähnliche Herangehensweise. Sobald wir allerdings von Göttern und Monstern sprechen, geht es mir zu weit. Für uns gibt es keinen Deus ex machina in diesen Dingen. Wir verstecken keine Magie.
S. A.: Für Sie wurde gerade ein Labor freigeräumt, es ist noch vollkommen leer. Wie werden Sie es füllen? F. F.: Ich untersuche das Verhalten von Atomen im Quantenbereich. Normalerweise stellen sich die Leute das Atom als Ball vor. Aber in der Quantenwelt ist es eine Welle. Natürlich untersuchen wir nicht nur eine, sondern Millionen dieser Wellen. Doch wie beeinflussen sie sich, wie sieht die Interferenz aus? Wir sind an einem Punkt, an dem wir volle Kontrolle über diese Atome haben. Das ist unser Vorteil in der Forschung: Wir können das Atom unter Stress setzen und sehen, wie es reagiert. Mehr noch: Wir können uns dazu entscheiden, das Atom so zu beanspruchen, wie auch die Natur es tut. Wir können also artifiziell natürliche Vorgänge simulieren. Das bringt mich an den Anfang unseres Gesprächs zurück: In der Natur sind diese Prozesse sehr komplex. Unsere Arbeit besteht darin, sie auf die entscheidenden Parameter zu reduzieren. Im Labor können wir diese Vorgänge verstehen. Danach können wir wieder den Weg zurück nehmen und das komplexe System der Natur besser erklären. In der Praxis sieht das so aus, dass wir die Atome stark abkühlen und dadurch die störenden Parameter reduzieren. S. A.: Welche Auswirkungen wird Ihre Forschung auf mein Leben in den nächsten Jahrzehnten haben? F. F.: Ich würde sagen, dass unsere Forschung Ihr Leben schon jetzt in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Aber wenn Sie spezifisch nach meiner Forschung fragen, dann ist das eine Frage, die ich – und wahrscheinlich auch alle anderen Kollegen – nur schwer ehrlich und realistisch beantworten kann. Das ist die Schönheit der Wissenschaft: Man weiß nicht, wohin der Weg einen führt. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel für eine Anwendung ultrakalter Atome, die Ihr Leben beeinflusst: GPS. Die Präzision eines GPS-Geräts beruht auf den Grundlagen der Atomphysik. Wir können mit unserer Technik
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Energie-Unterschiede zwischen atomaren Spektren messen. Spektren können von vielen Einflüssen gestört werden: magnetische Felder, elektrische Felder, Temperatur, Druck … wenn Sie aber in den ultrakalten Bereich vordringen, können Sie dort eine „AtomFontäne“ herstellen. Durch Messung der Frequenz der Teilchen erhalten Sie dann einen Zeitstandard. Und genaue Zeit ist das, was Ihr GPS braucht, um Ihre Position zu bestimmen. Geringere zeitliche Präzision bedeutet weniger Präzision in der Ortsbestimmung. Hat man daran gedacht, als man mit der Forschung begonnen hat? Nein. Erst nach einer gewissen Zeit wurde das klar. Aber jetzt beeinflusst es Ihr Leben. S. A.: Wie weit können Forscher überhaupt die Auswirkungen Ihrer Arbeit abschätzen? Sie stehen ja im Zentrum eines Gebiets, das unsere ganze Informationsgesellschaft verändern könnte – etwa durch Quantencomputer. F. F.: Für mich ist schwer abschätzbar, wie weit man gehen wird können. Man muss deutlich sagen: Wir müssen unsere Forschungen auf ehrliche Weise durchführen, unsere beste Arbeit liefern. Aber ob das dann zu einer Revolution führt … um das vorherzusagen, ist es noch zu früh. Wir wissen, dass die möglichen Auswirkungen weitreichend sein können. Forschende im Feld der Quanteninformation wissen das. Aber davon sind wir noch weit entfernt. S. A.: Quantencomputer könnten beispielsweise unsere gängigen Verschlüsselungssysteme brechen. F. F.: Ja, aber man kann auch eine Verschlüsselung erzeugen, die niemand mehr brechen kann. Allein die Tatsache, dass jemand versucht, den Code zu knacken, würde einen Alarm auslösen und die Nachricht zerstören. Wenn Sie einen Spion in der Mitte haben, dann erkennen Sender und Empfänger sofort, dass jemand mithört. Das ist eine Eigenschaft der Quantenphysik:
Wenn man etwas misst, zerstört man es. Das ist in gewisser Weise spionagefreie Verschlüsselung, die also viel sicherer wäre als unsere Systeme heute. Aber auch das geht eigentlich über mein Feld hinaus. Daran arbeiten hier am Institut andere Gruppen. S. A.: Ihre Arbeit zielt eher auf Materialeigenschaften ab. F. F.: Genau, Teilcheninteraktion im Quantensystem. Ich untersuche anisotrope Reaktionen, in der Hoffnung, Materie und Materialien zu verstehen. Ich untersuche, wie bestimmte neutrale Teilchen sich in starken magnetischen Feldern verhalten, in Situationen, in denen geometrische Abhängigkeiten bestehen. Diese Zusammenhänge werden immer wichtiger. S. A.: Könnten Sie versuchen, sich auszumalen, zu welchen Produkten, Anwendungen oder Maschinen Ihre Arbeit uns führen wird? F. F.: Ich könnte Ihnen Beispiele geben, aber ich werde es nicht tun. Das ist genau der Anspruch, den unsere Welt und unsere Gesellschaft heutzutage ständig stellen: Man untersucht etwas, weil man irgendetwas erreichen will. Wir sollten uns aber auf die ursprüngliche Wissenschaft besinnen: wissen wollen, wie die Dinge funktionieren, ohne daran zu denken, auf welchem Markt man die Ergebnisse verkaufen könnte oder welcher praktische Nutzen daraus zu ziehen wäre. Natürlich ist der praktische Nutzen in meiner Arbeit gegeben. Aber er ist mir nicht wichtig. S. A.: Dafür merkt man Ihnen an, dass Ihnen die Freiheit der Wissenschaft wichtig ist. F. F.: Das ist der große Kampf in der Grundlagenforschung. Wenn man heute für eine Forschungsarbeit nach einer Finanzierung sucht, dann gibt es immer mehr Druck, irgendeine mögliche Technologie in Ver-
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bindung zum Forschungsinteresse zu finden. Davor müssen wir uns schützen. Die Technologien stellen sich ein. Aber wir wollen die Natur verstehen. S. A.: Aber könnten Sie sich diesen Zugang überhaupt erlauben, wenn nicht doch vorzeigbare Erfolge „als Nebenprodukte“ abfallen würden? F. F.: Das Verständnis der Natur ist so wichtig! Irgendein Spin-Off ergibt sich immer. Der Punkt ist, dass ich meine Forschung nicht auf diese Weise verkaufen will. S. A.: Aus der Quantentheorie kann man ableiten, dass man nicht alles verstehen kann. Heisenberg sagte einmal: „Wir können die Gegenwart in allen Bestimmungsstücken prinzipiell nicht kennen.“ Denken Sie, dass Sie überhaupt irgendwann zu einem letzten Verständnis der Quantentheorie kommen können? F. F.: Heisenbergs Zitat unterscheidet sich von Ihrer Frage. Die Quantentheorie ist eine Annäherung. Doch die Theorie lässt sich verstehen. Wir müssen nur akzeptieren, dass es eben eine Annäherung ist. An einem bestimmten Punkt erreichen wir bestimmt eine Grenze, wo unsere Theorie nicht mehr funktioniert. Und wir arbeiten in viele verschiedene Richtungen, um diese Grenze zu finden. Dafür gibt es auch schon wunderbare Beispiele. Zum momentanen Zeitpunkt ist die Quantentheorie eine sehr gute Annäherung. Sie ist auf verblüffende Weise einfach und beschreibt doch eine große Zahl von Systemen. S. A.: Es ist beeindruckend, wenn jemand die Quantentheorie „einfach“ nennt. F. F.: Ein Beispiel: Denken Sie sich ein Atom. Sie wissen, es besteht aus Elektronen, Protonen, dem Kern etc. und es ist extrem komplex, warum das Atom nicht auseinanderfällt oder kollabiert, warum sich die Elektronen ständig um den Kern bewegen usw. Doch nun sagt die
Quantentheorie: Vergiss die ganzen Wechselwirkungen. Behandle das Atom einfach als mikroskopische Welle. Das ist einfach. Für uns, die damit arbeiten, ist es überraschend einfach. S. A.: Bei der Arbeit an Atomen haben Forscher über die Jahre immer wieder neue Teilchen postuliert. Daraus resultierte der Vorwurf, dass sie sich Ihre Teilchen „erschaffen“ würden. Geht Ihnen manchmal die Möglichkeit durch den Kopf, dass Ihre Forschung und was Sie umgibt nur Ihre „Schöpfung“ sein könnten? F. F.: (lacht) Nein! Das würde ich nicht anerkennen. Das wäre wie in „Matrix“. Aber gut, denken Sie an das Higgs-Boson, das kürzlich durch die Medien ging. Auch dort hat die Theorie bestimmte Annahmen gemacht. Um den Erhalt von Masse und Energie annehmen zu können, vermutete man ein neues Teilchen. Wenn es dieses Teilchen nicht gegeben hätte, wäre die Theorie zusammengebrochen. In diesem Sinne könnte man sagen, dieses Teilchen wurde künstlich eingefügt. Und ja, so war es auch, aber das waren eben auch Genies mit einer unglaublichen Vorstellungskraft, die dadurch auf dieses Teilchen gekommen sind. Und da man bemerkt hat, wie gut das neue Teilchen sich in die Theorie einfügt, hat man versucht, es zu messen. Und am Ende fand man es! Das war erstaunlich! Wir verändern also nicht die Realität, sondern unsere Vorstellungskraft führt uns zu den Informationen, die uns die Realität nicht von selbst gibt. Sehr oft haben wir damit recht. S. A.: Eine Frage haben wir bislang vermieden: Warum haben sie sich eigentlich für Innsbruck entschieden? Sie hatten ja auch andere Angebote. F. F.: Ganz einfach: Hier gibt es ein fantastisches Zentrum für Quantenphysik. Ich hatte ein sehr gutes Angebot aus Deutschland. Aber ein großer Vorteil Innsbrucks ist, dass hier viele Leute in eigenen Gruppen
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arbeiten und doch an einem Strang ziehen. Für das Verständnis von Quantenphysik ist es ein enormer Vorteil, Synergien zwischen den Abteilungen zu erzielen. Das funktioniert hier großartig. S. A.: Wie sieht die Zusammenarbeit eigentlich im Detail aus? Das Institut ist ja räumlich wie ein Kreis aufgebaut, in dem die Beteiligten als Teilchen kollidieren können. F. F.: Wir führen ganz einfach viele Diskussionen zwischen den Theoretikern und den Experimentatoren. Wir denken zusammen nach und versuchen dann im Labor zu Ergebnissen zu kommen. Momentan arbeiten wir an der Simulation komplexer Festkörpereffekte und elektrischer Leitfähigkeit. Vereinfacht erklärt: In einem Kristall bewegen sich Elektronen und man misst, ob das Material leitend ist. Wir haben einen Kristall aus Laser-Licht erschaffen, in dem wir die Atome einsperren, um zu verstehen, wie Leitung im Metall funktioniert. Wir fanden das interessant, besonders weil „meine“ Atome stark magnetische Eigenschaften aufweisen, wodurch wir Quantenmagnetismus studieren können. Ich bin eine Experimentatorin. Ich weiß sehr gut, wie ich etwas praktisch umsetzen kann, und ich kann mir auch vorstellen, wie es zu erklären ist, aber ich bin doch keine wirkliche Theoretikerin. Also kontaktierte ich Peter Zoller, beschrieb ihm, was wir da hatten, und sofort entstand eine Zusammenarbeit, um gemeinsam Dinge zu diskutieren, die wir noch nicht verstanden. Wir haben die Antwort, doch wir verstehen sie nicht immer ganz. Wir brauchen noch eine Theorie dazu.
den ist. Aber das auf einem Level, auf dem ohnehin nicht mehr unterscheidbar ist, wer Erster oder Zweiter ist. Warum ist es so stark? Weil hier Leute entschieden haben, den Standort als Zentrum für Quantenphysik aufzubauen. Weil die Universität und die Akademie der Wissenschaften verstanden haben, dass hier ein wichtiger Bereich liegt und dass man hier Geld investieren muss. Und dann gab es fantastische Personen, Genies, die es aufbauten. Rainer Blatt, Peter Zoller, Hans Briegel, Rudolf Grimm und Anton Zeilinger – bevor er nach Wien ging – sind allesamt Schlüsselfiguren in der Quanten-Forschung. In 15, 20 Jahren haben sie dieses Institut aufgebaut. Ich habe von dieser Arbeit profitiert. Ich war vorher in Florenz und kam dann hierher. Geplant waren drei Monate, doch dann war es schlicht unglaublich. Also bin ich geblieben. S. A.: Das bringt uns zurück zu den Wahrscheinlichkeiten. Wer hätte gedacht, dass es Sie hierher verschlägt? F. F.: Ich sicher nicht. S. A.: Wir werden sehen, wohin Sie dieses Institut in der Zukunft steuern. F. F.: Das werden wir sehen. Auch dafür muss ich lernen. Aber hier sind Leute, die einem das beibringen können. Und genau das ist das Wichtige hier: Zusammenarbeit. Zusammenarbeit und herausragende Forscherinnen und Forscher.
S. A.: Macht dieses Arbeitsklima das IQOQI auch international speziell? F. F.: Wenn ich bescheiden bleibe, würde ich sagen, dass Innsbruck unter den Top fünf, vielleicht sogar den Top drei der europäischen Quantenphysik-Institute zu fin-
(Anm.: Das Interview wurde auf Englisch geführt und anschließend übersetzt.)
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Das Gesehene schlägt zurück
Peter Kogler hat den Umschlag dieser Ausgabe von Quart gestaltet: In seinem jüngst in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais errichteten Raum inszeniert er den menschlichen Körper in einer „Strömungsanlage“. Von Thomas D. Trummer
Ein engmaschiges Liniengewirr überzieht alle Flächen. Die Striche durchziehen Decke, Boden und Wände ohne erkennbare Unterbrechung. Die meisten laufen parallel, andere durchschneiden, überkreuzen oder verweben sich. Eigentlich besitzen die Linien gleiche Stärken. Doch führen Überlagerung und Engführung zu lokalen Schwärzungen. Ordnungen sind unter diesen Vorzeichen schwer auszumachen, eher chaotische Kurven, Verdichtung und beständiges Fließen. Am ehesten formiert sich Stabilität an den Wänden, wo – mit einiger Mühe – Rasterstrukturen vernehmbar werden. Allenthalben bilden waag- und senkrechte Strichlagen ein dürftig intaktes Maschenwerk. Jedoch werden diese Segmente empfindlich gestaucht. Linien schwingen aus, formen Wülste, Beulen treten auf und Schwellungen. Die Kubatur wird verabschiedet. Die diskrete Form wird derart üppig von linearen Adern durchzogen, dass ein optischer Überschuss entsteht, der dem Auge Unendlichkeit aufdrängt. Gefühlt am stärksten sind die Wölbungsenergien an Decke und Boden. Flächen dringen nach vorn oder nach rückwärts, je nach Blickweise, stülpen ein oder aus, stoßen wie bauchige Wellen aus dem Gemäuer oder schaffen Tiefen und Höhlungen. Fixpunkte gibt es unter diesen sturmgetriebenen Streck- und Dehnschocks keine. Vielmehr wogt der Festkörper des gebauten Raumes unter der Einwirkung spontaner Stürme, quillt unter mysteriösen Druckwellen oder wirbelt wie in einem Sog unwillkürlichen Seegangs. Die Grafik Von Peter Kogler stammen Bild, Raum und Inszenierung. Für seine jüngste Arbeit in Innsbruck wählt er einen rechtwinkeligen Raum in der Galerie im Taxispalais. Maße und Gegebenheiten werden nicht verändert, nur die Bedingungen der Wahrnehmung. Kogler benutzt Grafikprogramme für die Entwicklung raumgreifender Illusionen. Die am Computer entworfenen 3-D-Bilder werden mit Großprintern ausgedruckt und an die realen Wände des Palais appliziert. Jede Arbeit
Koglers ist in situ, das heißt auf den Raum abgestimmt und unverwechselbar. Die Erfahrung mit großformatigen Räumen ist seine Exzellenz. Man denke an die großartige Deckeninstallation am Grazer Hauptbahnhof. Software und Designfacetten sind dafür weniger entscheidend als das Ergebnis, eine Verzahnung aus Raum, Höhle, Bühne und Zeichnung. Am Innsbrucker Raum ist nichts schematisch. Modulstruktur und wiederkehrende Einzelelemente, wie früher, als keine Großplotter zur Verfügung standen, gibt es nicht mehr. Am Ende entsteht eine raumgreifende Grafik, die in ihrer Feinstruktur einem monumentalen Holzschnitt ähnlich wird, so als würde man sich in einer Nahansicht von Dürers Stichwerken verlieren. Doch Kogler geht es weniger um grafische Raffinesse. Programmatisch wird die Veränderung der Bestandsarchitektur durch digital generierte Effekte: die komplette Ausgestaltung eines Realraums und seine optische Mobilisierung durch Wahrnehmungssuggestion. Der Raum Tatsächlich ist der Raum kaum wiederzuerkennen. Aus dem bestehenden White Cube wird eine schwimmende Zelle, eine Strömungsanlage, ein progressiver Sammelraum dynamisierter Perspektiven. Wie im Zeitalter des Barock, als sich an Kirchendecken illusionistisch Räume dehnten, verursachen die Linien bei Kogler famose Täuschungen. Im Barock waren konkrete Punkte am Boden vorgesehen, meist im zentralen Mittelschiff oder unter der Vierung. Von dort aus erhielten reich bevölkerte farbige Decken eine stimmige Fassung. In Koglers Arbeit gibt es diesen irdischen Punkt nicht. Die pointierte Übersicht für das wachende Auge ist aufgegeben. Kogler bedient sich weder einer zentralen Perspektive noch eines klaren Gegenübers, ja selbst die Schwerkraft gerät ins Wanken, da der ganze Raum von der Zentrifugalkraft der fahrenden Schwingungen durchsetzt ist. Es ist die Eigenaktivität des Betrachters und nicht nur ein perfekt gesetzter Augenpunkt, der zum Hauptfaktor für die Illusion wird. Das Sehen wird
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dabei in gewisser Weise dynamisch reflexiv. Wer nämlich den Raum betritt, spürt die Kraft der fließenden Vektoren, die vom eigenen Betrachten ausgehend auf die Befindlichkeit zurückschlagen. Sehen unter solchen Umständen ist irritiertes Eingenommen-Werden. Der Raum umfängt Betrachter/innen mit einer Intensität, die bei manchen Schwindel erzeugen wird, in jedem Fall die Unterscheidung von Selbst und Anderen, von Sehendem und Gesehenem, ins Wanken bringt. Wechselwirkungen treten auf, wobei Verunsicherungen überwiegen. Reale Begegnung trifft auf Verfehlung, Fokus auf Irritation, Bedürfnis nach Selbst- und Sehversicherung auf Irreführung. Das Bild Die Auflösung des herkömmlichen Wahrnehmungsbegriffs erweist sich schon seit Längerem als das stärkste Instrument der zeitgenössischen Kunst. In diesem Sinne denkt Kogler Dasein stets als ein WahrgenommenWerden. Angeregt durch die Computerisierung werden die Distanzverhältnisse von Befindlichkeit und Wahrnehmung umgekehrt. Dazu kommen speziell Räume, die Fluktuation und Verteilung kennzeichnen – wie U-Bahn-Stationen, Flughäfen oder Treppenhäuser – die Kogler immer wieder bespielt. An allen diesen Orten drehen sich Wahrnehmungsautoritäten. Das Gesehene schlägt zurück; wahrscheinlich deshalb, weil durch virtuelle Raumgestalt Umgebungsatmosphären beginnen, mit Beobachtungsräumen zusammenzufallen. Die herkömmliche Hochachtung vor dem Bild, zum Beispiel dem historischen Gemälde, das als visueller Eintritt in die dargestellte Situation verstanden wurde, wird durch den tatsächlichen Eintritt in das Bildgefüge unterhöhlt und zugleich überboten. Aus dem gerahmten Bild, dem Möglichkeitsraum eines Sehfeldes, wird ein Wirklichkeitsraum und Bewegungsareal. Keine Frage, dass dies zur Erschütterung gewöhnlicher Zeigeverhältnisse und Repräsentationsfragen führen muss. Während die traditionelle Kunstausstellung überwiegend gerahmte oder auf Postamente gestellte Objekte zeigt, präsentiert der von Kogler entworfene Raum das Eingebettete und das Einbettende zugleich. Immersion Von Immersion zu sprechen, ist wahrscheinlich der richtige Hinweis, um jene Einebnung zu begreifen, die sich durch konsequente Entrahmung vollzieht. Es wur-
de schon klar: was Augen hier registrieren, ist nur die halbe Wahrheit. Bewegung scheint nötig, doch diese provoziert nur noch mehr Irritation. Bilder verfügen über Rahmen. Diese Rahmen markieren die Grenzen, nach denen klar wird, was sich innerhalb der Illusion und jenseits von ihr zuträgt. Mit anderen Worten, Unterscheidungen sind nötig. Fiktion entsteht nur, wo sich der Vergleich mit dem Realen darbietet. Immersion bedeutet dagegen eine Außerkraftsetzung des Sehens als Distanz-Wahrnehmung und zudem die Aufhebung seiner ontologischen Differenz. Betrachtung zerschmilzt zum Binnenphänomen des Bilds. Der fiktive Aufenthalt vor einer gemalten Illusion, zum Beispiel vor dem Tisch eines Stilllebens, in einem mythologischen Garten oder auf hoher See, erwirbt in diesem Raum Wahrheitsdimension. Wir sehen diese Motive nicht nur, wir befinden uns in ihnen. Seinsunterschiede werden sich dann keine mehr ergeben. Die Sinne Immersion im Visuellen, das ist an diesen Beispielen klar abzulesen, bedarf noch weiterer struktureller Bedingungen, um glaubwürdig zu werden. Optisches Eintauchen kann nämlich nur dann gelingen, wenn sich Visuelles den räumlichen Sinnen vergleichbar macht. Sehbares wird in erfülltem Raumvolumen Hören und Riechen ähnlich werden. Klangereignisse erschüttern ganze Räume, Gerüche durchströmen sie, ohne konkret fasslich zu werden. Das heißt, erst wenn sich der Fokus der Wahrnehmung aufhebt, tritt die ontologische Verwirrung in Kraft. Tatsächlich verliert bei Kogler das Sehen im Wettbewerb der Köpererfahrungen seine Vormachtstellung. Denn wo es keinen Halt und Horizont gibt, wird die blickgerichtete Aufmerksamkeit absurd. Anders gesagt: Betrachter/innen sind erst im Bilde, wenn sie den Bezug zu ihm verlieren. Erfahrungen wie in Koglers Innsbrucker unwirklichem Schnittraum sind solche Erfahrungen. Sie sind de facto Schwingungserlebnissen ähnlich, in denen zu Seherfahrungen die körperlichen der Bewegung, des Raumgefühls und der Befindlichkeit hinzutreten. Der starre Raum verflüssigt sich in Resonanz und Rückbezüglichkeit. Leere Neben den optischen Überschuss tritt sein Gegenteil: das Gefühl der Leere. Die Leere ist die Folge der Über-
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forderung durch das dynamisierte Liniengeschehen. Dabei ist sie weder innen noch außen. Sie resultiert aus einer gefühlten Wahrnehmungsgefährdung. Bekannte Festgrößen des Erlebens werden bipolar und widersprüchlich. Die Standfestigkeit zum Beispiel wird gefährdet, Vagheit überkommt das Körperempfinden, die konvulsivische Bodengestaltung verunsichert den Tritt. Tatsächlich wird angesichts der kontrahierenden Raumenergien die Gravität, die uns normalerweise den aufrechten Gang sichert, wie zu einem zweitrangigen Gesetz. Wer sich in den Raum einfühlt, wird kaum vermeiden können, Zustände psychophysischer Spannungen zu entwickeln oder die Transgression in das Unendliche als erleichternde Selbstauflösung zu betrachten. Nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei Koglers Kunstraum um eine letzte anthropogene Insel handelt, eine Vision zukünftigen Daseins und Einfindens, wo Menschen sich in elastischen Raumgrenzen bewegen, als wären sie Weltraumgänger in biegsamen Allstationen. Kogler weist mich im Gespräch auf „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) hin. Der bekannte ScienceFiction-Film von Stanley Kubrick zirkelt menschliche Bewegungen ohne Gravität. Schauspieler und Figuren werden aus Koordinaten und filmischer Kadrierung entkoppelt, schweben, gleiten, treiben, schwingen. Und trotz dieser Bewegungen bemüht sich Kubrick um eine Langsamkeit. Es ist die geronnene Stille, mit der er Oberflächen – ganz ähnlich wie Dürer – geschmeidig wie Seide werden lässt. So auch bei Kogler, der auf Oberflächen großen Wert legt. Mensch und Raum scheinen wie Symbioten, die in einem optischen Treibhaus koexistieren. Alles Anderssein ist darin verdrängt, vergessen, verschwunden. Vielleicht sei das Wortspiel von einer visuellen Strömungsleere hier erlaubt. Eine Nische für Privatraum oder Persönliches, oder gar ein Raum für Selbstverhältnisse ist nicht vorgesehen. Das Modell Der Raum im Taxispalais ist in diesem Heft als Bild wiedergegeben. Anders ist dies nicht möglich. Wir sehen eine inszenierte Fotografie. Die Aufnahme erinnert ein wenig an Lehrbilder mathematischer Perspektive oder Schulbuchillustrationen zur Wahrnehmungspsychologie. Die Teilhabe an Resonanz, Unendlichkeitsgefühl, Schwindel und Mobilisierung tritt im Foto merklich zurück. Aus dem Raumerlebnis wird in der Bildversion ein flächiges Derivat. Orthogonalen kommen
ins Spiel, das festigende Rahmenwerk und ein geschlossenes Bildgefüge. Kogler kompensiert den Sinnverlust mit der Implementierung eines Fremdkörpers, der der eigene sein könnte. Ein weibliches Modell steht in der Mitte. Sie ermöglicht Größenvergleich und Identifikation, zudem gibt sie den wichtigen Körperbezug mit seinen möglichen Bewegungsradien wieder. In einem Foto blickt sie uns entgegen. In einem zweiten Bild sehen wir sie von hinten, wie sie nach vorne hin wegschreitet, so als würde sie vor uns in den bewegten Raum hineinführen. Das Modell trägt einen körperengen Anzug. Nur Füße, Hände und Kopf sind frei. Ihre Beine sind in elegantem, körperbetonendem Schritt hintereinandergesetzt. Ihr Auftritt erinnert an einen Catwalk, perfekt inszeniert auf einer virtuellen Probebühne. Anstatt sich jedoch durch Mode und Accessoire abzuheben, findet eine optische Angleichung statt. Die Porträtierte nimmt das Liniengewebe des Umgebungsraums auf. Sie absorbiert den schwarz-weißen Strömungsverlauf, als hätte sie die Fähigkeit zu Camouflage und vollkommener Assimilation. Wenn herkömmliche Phänomenologie von Befinden spricht, dann müsste diese Figur als Netzwerkidentität und Containerexistenz benannt werden. Das Modell wird zu einer digital gerenderten Binnenfeldsilhouette, ein Umriss von Knotenpunkten im Kanal schwarzfiguriger Geflechte. Wer ist diese Frau? Ist sie eine Puppe oder eine vom Sockel gestiegene Skulptur? Warum wird sie typisiert wie ein Avatar? Warum ist ihre zweite Haut mit demselben Anstrich lackiert wie der durchgitterte Umgebungsraum? Wie steht es mit dieser Angleichung? Ist die Wesensgleichheit von Figur und Raum erworben oder digitale Vorbestimmung? Ist der menschliche Körper, der weibliche zumal, ein Simulakrum raumplastischer Bewegungskräfte? Oder sind nicht eher die Muskeln, Brüste, Gelenke usf. der Frau die entscheidenden Formreize, nach denen sich die architektonische Umwelt ordnet? Im Grunde gibt es nur zwei mögliche Antworten: Entweder die Mobilisierung des Raumes setzt Kräfte frei, in denen Menschen, die ihn betreten, zu Abziehbildern umweltlicher Spannungen werden. Oder Menschen entwickeln die Fähigkeit, durch Bewegungsverhalten und Illusionskraft bewegliche Raumprofile zu generieren, die der Raum nach ihrem Ebenbilde annimmt. Worin auch die Ursachen zu suchen sind, die virtuelle Welt verschmilzt mit der wirklichen.
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Alles fließt in Fließ Quart schickt die Autoren Nadja Kwapil und Florian Gasser auf die Suche nach einer Gemeinde, die aufgrund ihrer Geschichte sozial und ökonomisch immer noch wunderbar funktioniert – ohne die oft unvermeidlichen Abwanderungsphänomene und unbeschadet von zu dominantem Tourismus. Die beiden fanden Fließ, im Westen Tirols gelegen. Eine Ortserkundung.
Der Kirchturm spießt eine der hauchdünnen Nebelwolken auf, die der Wind eilig über den graublauen Himmel treibt, wie ein Hirte seine Schäfchen über die sattgrünen Wiesen, die sich behaglich an das Tiroler Haufendörfchen Fließ schmiegen. Ab und zu erklingt eine der Glocken der Sankt-Barbara-Kirche, an diesem verregneten Spätnachmittag, zu einer ungewöhnlichen Zeit, viel zu früh. Fast kleinlaut klingt sie, zögernd, als räusperte sich das Gotteshaus, das ein paar Anläufe braucht, um den ehrfurchterregenden Ton in seiner Stimme zu finden. Ein junger Mesner öffnet die schwere Eisentüre, die unter der Bewegung leise ächzt. Gelbliches, warmes Licht dringt aus dem Inneren durch die Türöffnung, vermischt sich mit zerrissenen Orgelgeräuschen, die nur langsam im Raum verhallen. Ein Lächeln huscht über das weiche, rundliche Gesicht des Kirchendieners, der 26-Jährige streift sein Trachtenjackett glatt. „Mia freuen uns so, dass die Sankt-Barbara-Kirche wieder eröffnet wird und nach drei Jahren Renovierung in neuem Glanz erstrahlt“, sagt er dann. Vor jedem Satz weiten sich seine blauen Augen, als hätte er für sich die Bedeutung des Ereignisses längst begriffen, bevor er die passenden Worte dafür suchen konnte. Er zeigt auf einen Mann, der mit zittrigen Beinen eine hohe Leiter emporklettert. „Jetzt werden noch die Apostelleuchter angezündet, heute ist Orgelweihe. Und die zwei Holzfiguren vom heiligen Papst Johannes Paul II. und dem seligen Pfarrer Otto Neururer, der in Fließ seine Wurzeln hat, werden eingeweiht. Wir sind stolz, dass wir diese Figuren haben und auch die Reliquien: vom Papst einen Blutstropfen und vom Otto Neururer die Asche.“ Über drei Tage, bis Sonntag, ziehen sich die Feierlichkeiten. Die Kirchenbänke, prophezeit der Mesner, werden an den nächsten Tagen voll sein. Und auch darüber hinaus, davon ist er überzeugt, denn die Gemeinde wachse und wachse ja stetig. „Bei uns, da tut sich einiges.“ Das bunte Treiben in Fließ grenzt an ein Wunder, denn der Ort hat sich lange Zeit fast gegen seine Bevölke-
rung gewehrt. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Zeit des Bauernsterbens durch die Industrialisierung, sank die Einwohnerzahl. Die Menschen zogen in größere Städte, wo Arbeit und Auskommen zu finden waren. 1933 wütete ein Brand im Ortskern und zerstörte große Teile davon. Der Gemeinde drohte ein Schicksal wie vielen anderen, die in Nebentälern vor sich hinsiechen. Doch nicht zuletzt durch eine geschickte Diversifikation der Wirtschaft und gute Raumplanungspolitik stieg nach dem Zweiten Weltkrieg die Einwohnerzahl der Gemeinde im Oberen Gericht kontinuierlich an. 3.000 Einwohner hat Fließ mittlerweile, doppelt so viele wie nach dem Krieg. 1.400 Menschen leben im Dorfkern, der Rest verteilt über die 80 Weiler, die sich links und rechts des Tals über die Hänge verteilen. Die Furcht vor der Landflucht lässt die meisten hier kalt. Und wer flieht, der tut das nur für paar Stunden, wenn sie nach Zams, Landeck oder Innsbruck pendeln, um dort zu studieren oder zu arbeiten. Aber dort leben wollen die meisten nicht. „Wir haben versucht, unsere Mitbürger davon zu überzeugen, dass es auch am Land recht schön ist“, sagt Bürgermeister Hans-Peter Bock. „Wir können ihnen den Wunsch nach einem Eigenheim im Grünen erfüllen, das im Gegensatz zu den Horrorpreisen in Ischgl oder Zams auch noch günstig zu haben ist. Eigentum, das die Leute natürlich auch an die Ortschaft bindet. Wie auch ein reges Vereinswesen, wir haben über 80 Vereine. Da entsteht einfach ein anderer Bezug zum Ort.“ Ohne große Gesten, dafür in druckreifen Sätzen spricht der ausgebildete Tiefbautechniker. Das grelle Neonlicht, das von der Decke fällt, holt einen schimmernden Glanz aus seinem pechschwarzen Haar. Der Ausblick auf die grünen Hügel, die sich vor seinem Fenster wie Schildkrötenrücken ducken, wirkt wie ins Bild geschnitten, mitten in das kleine Bürozimmer, in dem sich dutzende Ringordner in hellen Holzregalen
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dicht aneinanderreihen. Nebelschwade um Nebelschwade zieht draußen vorbei. Seit seiner Geburt, seit 57 Jahren, lebt Hans-Peter Bock in Fließ, erzählt er fast stolz. Der Sozialdemokrat fand seine politische Heimat, als Bruno Kreisky während eines Wahlkampfs den Ort besuchte. Gerne zitiert er den „Sonnenkönig“ und streut einen fast missionarischen Unterton in seine linken Ideen für dieses Dorf „mit bäuerlichem Charakter“. Wo missioniert wird, erscheint vieles als unreif. Eine willkommene Rechtfertigung für einen Bürgermeister mit starkem Tatendrang. „Als Sozialdemokrat bin ich nicht gerade der bäuerlichen Fraktion verschrieben“, sagt er. Sein Lachen schlägt sich mit dem Ernst in seinen dunklen Augen. Den Landwirten habe das Dorf viel zu verdanken, den Erhalt der Kulturlandschaft, zum Beispiel. Doch die meisten von ihnen sind Nebenerwerbsbauern und wirtschaften auf kleinstrukturierten Höfen, die sich über vier bis fünf Hektar Land erstrecken. Mit der Landwirtschaft verdienen sie ein „kleines Zubrot“ oder ersparen sich den Kauf von Lebensmitteln. Vollerwerbsbauern gebe es nur noch einen. Das sei nichts, über das man sich wundern müsse, die Gemeinde habe nie allein von Landwirtschaft gelebt. Vielmehr gefällt sie sich in der Rolle des geschickten Immobilienmaklers. „Wir haben uns früh bemüht, Grundstücke anzukaufen und günstig zu vermieten. Wir haben auch Grund aus Versteigerungen erworben, um ihn vermarkten und vermieten zu können. So können wir auch Jungunternehmern günstigen Wirtschaftsraum anbieten.“ Einen großen Teil ihrer Einnahmen zapft Fließ von umliegenden Gemeinden oder dort angesiedelten Unternehmen ab, die Bock einst in heftigen Diskussionen erstritt. „Da haben wir unten um den Inn die Auen, die Gewerbegebiet sind“, sagt er und deutet mit dem Kopf Richtung Fenster, „da tröpfelt es Kommunalsteuern und von den umliegenden Kraftwerken erhalten wir Entschädigungszahlungen für Immissionen oder Emissionen, die höher sind als die Kommunalsteuer.“ Wenn sich in den umliegenden brodelnden Urlaubsmetropolen wie Ischgl zigtausende Skifahrer den Hang hinunterstürzen, profitiert der Ort indirekt. Viele Fließer arbeiten in den mondänen Wintersportgebieten, während die Gemeinde selbst kaum in die Tourismusbranche investiert. Die jährliche Nächtigungsrate ist im Vergleich zum restlichen Tirol so gering wie ein Messfehler: Nur 76.000 Übernachtungen verzeichnet Fließ. Und das soll auch so bleiben, meint Bock, „Wir
brauchen diese touristischen Orte zwar, die Abwanderungsproblematik träfe uns sonst sicher auch, aber eine stärkere Anbindung an diese Orte wollen wir nicht. Das passt nicht zu uns, zum Ort, verstehen Sie.“ „Verstehen Sie“, das sagt er oft. Ins Handwerk, ins Handwerk müsse man investieren, meint der Bürgermeister, das sei ein starker, stetig wachsender Sektor in Fließ. An Peppi Walch denkt der Bürgermeister, unter anderem. An einen der Tischler im Ort. „Hobel muss man gut behandeln“, sagt Walch nebenbei, so, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Er klemmt ein helles quadratisches Zirbenbrett zwischen eine Eisenvorrichtung an eine Werkbank, schleift es, hobelt es glatt, von hohen Tönen begleitet. „Es muss richtig pfeifen“, sagt er, dann mache man es richtig. Die Hobelspäne springen nach allen Seiten und rollen sich zu Kringeln ein. Sieben bis acht Stunden verbringt er täglich in seiner „Wohnwerkstatt“. Das darüberliegende Wohnhaus hat er selbst geplant und gebaut. Vor seiner Werkstatt, auf der Terrasse, arbeitet gerade sein Schwiegersohn, „griaß di“, sagt er, und vertieft sich wieder in die Arbeit. Ein Teil des Hauses muss renoviert werden. Überall im Garten stapeln sich die schmalen Holzbretter. „Unser Holz ist unser Stolz, mein Stolz. Die Haselfichte wächst da oben, wunderbar, beste Qualität. Haselfichte ist geeignet für den Instrumentenbau, Geigenholz in bester Qualität, gut gelagert, und mit dem Rest davon mach ich Böden oder so etwas.“ Peppi Walch war maßgeblich bei der Neugestaltung des Fließer Dorfkerns engagiert, in dem ein neues Gemeindezentrum entsteht. Mitten auf dem Dorfplatz steht der Rohbau, ein quadratisches Haus, das wie hineingewürfelt wirkt zwischen die ländlichen Holzhäuser. Während in anderen Landgemeinden die Daseinsvorsorge stetig abnimmt und es oft unmöglich ist, auch nur eine Packung Milch zu kaufen ohne mit dem Auto fahren zu müssen, entstehen hier ein Supermarkt, günstige Mietwohnungen, und die Gemeinde wird selbst zum Postpartner, um vernünftige Öffnungszeiten garantieren zu können. „Ich hätte ja ein Holzhaus gebaut, aber der Bürgermeister betoniert so gern, das kann er gut“, sagt Peppi Walch über das neue Gemeindezentrum. Er meint es nicht ganz ernst, er ist ein Freund des schwarzen Humors. Ihn freut die Betriebsamkeit im Ort. Er trägt ein
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braunes Sakko, ein beigefarbenes Hemd und Turnschuhe. Sein dunkles dichtes Haar umrahmt einen schüchternen Gesichtsausdruck. Nein, beschweren möchte er sich über das neue Gebäude wirklich nicht, alles wurde schließlich gerecht entschieden, gemeinsam, in einem Bürgerbeteiligungsverfahren. „Jeder in der Gemeinde konnte Vorschläge machen und dann wurden die Architekten geladen.“ Viele tolle Projekte und Ideen seien damals eingetrudelt. In Fließ geschehe alles nach genossenschaftlichen Prinzipien, „ich sag immer, mag sein, dass in Griechenland die Demokratie erfunden wurde, hier in diesem Dorf wurde der Kommunismus erfunden“, sagt Walch, der einst nicht zum Zivildienst durfte, weil er der Gewissenskommission erklärte, dass Che Guevara eigentlich ganz in Ordnung gewesen sei – im Tirol der Sechziger und Siebziger, als einige noch zur Beichte gingen, wenn sie nicht ÖVP wählten, fast eine Todsünde. Noch heute ist Walch der Überzeugung, der Kommunismus sei dem Kapitalismus vorzuziehen. Die Glocken läuten, laut und klar, auf dem Weg ins Zentrum. Gartentore öffnen sich, aus den Häusern tröpfeln langsam Menschen Richtung Kirche. Kinder laufen lachend und kreischend die steile Straße hinunter, die direkt vor den Eingang der Sankt-BarbaraKirche führt. Eine elegant bekleidete Frau schlendert in Begleitung zweier Frauen Richtung Kirche. Frau Maria heißt sie, „Ich bin Frau Maria“, wiederholt sie. „Ich bin hier aufgewachsen in Fließ, meine Trauung war hier und auch meine Silberhochzeit. Mein Mann ist jetzt seit 12 Jahren tot. Und mich berührt es, dass die Sankt-Barbara-Kirche jetzt eingeweiht wird.“ Zu dem Großereignis hat Frau Maria ihre holländischen Gäste mitgebracht und eine kleine Reise auf sich genommen: „Ich wohne in Ried. Ich habe sechs Jahre lang im Geschäft meines Vaters gearbeitet und dann, irgendwann, hab ich mich nach etwas anderem umsehen wollen, bin nach Ried und hab meinen Chef dort geheiratet. So war mein Lauf.“ Frau Maria lacht, ein lautes Lachen, ein herzliches Lachen. „Schönen Abend, schönen Abend, es wird ein schöner Abend“, sagt sie und winkt, bevor sie im Inneren der Kirche verschwindet. Hans-Peter Bock wird die Messe an diesem Tag schwänzen. So Messen, das ist nicht so seines, als Sozialdemokrat. Er sitzt in einem kleinen Café im Gemeindezentrum, vor einem kleinen Glas Bier. Seine Arme
hängen ausgebreitet über der Sitzbank. Geschichten wie die von Frau Maria sind ihm nicht fremd. Sie zeigen, dass die Bevölkerungsdichte in Fließ nicht immer so stabil war, Abwanderungswellen gab es auch hier. „In den 60er Jahren sind sicher mehr Menschen abgewandert, weil fast alle Einheimischen lange der Ansicht waren, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Noch heute denken zu viele so“, sagt der Bürgermeister. Doch in den letzten zwanzig Jahren habe sich Fließ zu wandeln begonnen, es brauche immer eine Weile, bis hier Neues akzeptiert werde – wie die neue Betreuungseinrichtung für Kinder, zum Beispiel: „Ich bin ja fast geprügelt worden dafür, als ich die neue Kinderbetreuungsstätte eröffnet habe. Nein, das brauchen wir nicht, haben sie gesagt, wir brauchen keine Ersatzmütter. Ich habe gezittert, ob wir überhaupt aufsperren können, ob wir genügend Kinder zusammenbekommen. Aber dann, am Ende, war der Saal voll.“ Seitdem geht es kontinuierlich bergauf mit der Geburtenrate, die Fließer Gemeinde ist eine junge Gemeinde. Die Jugend ist gestresst, mit Studium, mit Job, Selbstfindung, geistig urban eben, die sich um die älteren Menschen, die meist in entlegenen Häusern wohnen, kaum mehr kümmern kann. Wegziehen wollen auch die Älteren nicht, weg von ihren Gewohnheiten, ihren Erinnerungen, ihrer Heimat. „Wohin also mit jenen, die zusehends vereinsamen? Ins nächst gelegene Altersheim?“, fragte der Bürgermeister eines Tages in einer Gemeindeversammlung. Die Fließer schüttelten empört ihre hochroten Köpfe. „Das war lange Zeit verpönt, ältere Menschen ins Heim abzuschieben. Geschämt haben sich alle dafür, sowohl Junge als auch Alte“, sagt Bock. Dann entbrannte auch noch ein Streit um die Errichtung neuer Mietwohnungen. „Damit bringt man nur die Sozialschmarotzer ins Dorf“, sollen viele Einwohner gewettert haben. Der Bürgermeister hörte auf zu fragen und entschied, die zwei verteufelten Projekte miteinander zu verbinden: Auf einem weiteren Grundstück der Gemeinde, gleich hinter dem neuen Gemeindezentrum, entsteht ein Haus mit Mietwohnungen, in denen künftig ältere Menschen betreut werden sollen. Noch steht das Gebäude leer, die blankgeputzten Fenster starren kühl in die Landschaft. Doch auf dem Papier ist das Haus bereits voll besetzt, so viele Anmeldungen gibt es bereits. Damit die Einrichtung nicht einfach als „Alters-Heim“ abgestempelt wird, soll sie auch für
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Junge zur Anmietung offenstehen. Die Gesellschaft soll sich auf engem Raum durchmischen. „Man muss halt immer wissen, was man will“, sagt Hans-Peter Bock, greift zu seinem Glas, legt den Kopf in den Nacken. Ein Schluck. Die Leute müssen manchmal gezielt in eine Richtung gesteuert werden, damit sich etwas verändert, meint er. „Verstehen Sie.“ Manchmal auch gegen ihren Willen, damit sie andere Perspektiven gewinnen. Da öffne sich Raum für neue Erkenntnisse – natürlich auch für den, der steuere. „In der Tiefgarage des neuen Gemeindezentrums, die auch umstritten war, haben wir ein Haus aus der Hallstattzeit entdeckt. Das haben wir geschützt. Das ist eine der wenigen Tiefgaragen, die eine Kulturstätte mit eingebaut hat.“ Dunkel ist es in der Tiefgarage. Der Dorfarzt Walter Stefan balanciert über ein dünnes Stahlgitter, schlüpft unter einem aufgespannten Draht hindurch, stolpert über aufgeschüttete Steinhügelchen und Lehm hinein in die Kulturstätte. Er rückt sein leicht verrutschtes Brillengestell gerade und zieht seine orangefarbene Steppjacke enger um den schmächtigen Oberkörper. „Wir stehen hier mitten im Haus drinnen, und man sieht den gewinkelten Bereich, der zu diesem rätischen Haus gehört. Hier wurde ein Mann in Hockerstellung entdeckt, er lebte im 3. Jahrhundert vor Christus.“ Denkt Stefan noch an seinen letzten Patient von heute Nacht? Wie oft er wohl heute ausrücken musste? Seine Augen sehen müde aus, doch den Arzt sucht man an diesem Tag vergeblich. Nach dem Frühdienst möchte er jetzt als Obmann des Fließer Museumsvereines funktionieren, fast täglich führt er Interessierte durch den Ort, nicht nur Touristen. Der Mediziner ist mittlerweile der dorfeigene Bildungsbotschafter, ein gebürtiger Kärntner, der einst nach Fließ kam, als die Gemeinde einen Dorfarzt suchte. Er ließ sich nieder, gründete eine Familie. Vier Kinder hat er, sein Sohn wird einmal die Praxis übernehmen. Er selbst wird sich dann ganz seinem Hobby widmen, der Archäologie und dem Museumsverein. Für seine archäologischen Funde und Ausgrabungsstätten ist Fließ bekannt. Da gibt es den Kathrein-Fund, einen hallstattzeitlichen Schatz oder einen Schatzfund aus der Bronzezeit, der einst in der Kaplanei Piller gefunden wurde. In der Römerzeit war Fließ eine wichtige Raststation. Die Funde sind im Museum am Dorfplatz im „Weißen Kreuz“ ausgestellt, einem früheren
Gasthaus mit einer fast vierhundertjährigen Geschichte, das der Dorfarzt gemeinsam mit dem Tischler Peppi Walch renoviert hat. Walch hat den Raum, in dem manche der Funde ausgestellt sind, selbst geplant und gezimmert. In hell beleuchteten Glasvitrinen werden die Schätze aus der Bronzezeit präsentiert. Ein Jahr und ein paar Monate haben sie gebraucht, erzählt Peppi Walch, bis alles fertig war. Sein Sohn Elias, ebenfalls Tischler, habe mitgeholfen, „eifrig gezinkt hat er das duftende Zirbenholz“, sagt er, fast wehmütig klingt es. Seine feingliedrige Hand streichelt liebevoll über einen der Tische. Die Besucher kommen von weit her, um das Museum und die Ausgrabungsstücke anzusehen. Auch bei der „Langen Nacht der Museen“ ist die Gemeinde Fließ dabei. Manchmal, sagt Peppi Walch, da sehne er sich aber nach mehr Kultur, nicht immer nur nach alten, gefriergetrockneten Knochen und bronzenem Schmuck. „Meine Frau ist Soziologin, von ihr habe ich Pierre Bourdieu lesen gelernt.“ Sie habe ihn mit ihrem Bildungshunger angesteckt und drei seiner vier Kinder haben mittlerweile studiert. Seine 17-jährige Tochter geht noch zur Schule. An manchen Tagen fährt er nach Innsbruck zu Vorträgen oder holt Vortragende in die Gemeinde – nicht er persönlich, der „Museums-Verein“. Wo „Museum“ draufsteht, ist nicht immer nur Museum drin. Der Verein ist vielmehr ein verstecktes Vehikel für Avantgarde und mutige Kunstprojekte, die nicht gleich als solche erkannt werden sollen. Die Fließer sollen nicht abgeschreckt werden. Und so organisiert der Museumsverein immer häufiger auch gewagte, polyrhythmische Jazz-Konzerte. Der Wind weht das Geräusch von Almglocken ins Dorf, crescendo, das „Muhen“ der Kühe mischt sich dazwischen. Unter blauen Schirmen stehen Jugendliche am Dorfplatz und verkaufen Fleischkäsesemmeln und Getränke. Die Sonne bricht durch die dunklen Wolken, als sich die Kühe dem Dorfplatz nähern und langsam an dem neuen, noch leeren Gemeindezentrum vorbeiziehen, flankiert von einer bunten Menschentraube. „Almabtrieb!“, ruft ein Bauer in Latzhosen und Gummistiefeln, läuft dann einer Kuh hinterher, die planwidrig nach links eingebogen ist, statt stur geradeaus hinter der Herde weiterzutrotten.
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Martin Gostner, Erker(8), „A Cocoon Dropped To Shelter – The Remains Of Hubert Mayr“, Ab 13.08.2013, Villgrater Berge, N 46° 48.680´ E 012° 28.677´, 1947 m, Watte vernäht Errichtet zum 100. Geburtsjahr von Hubert Mayr
Hubert Mayr, „Der James Bond von Tirol“ Leutnant der britischen SOE (Special Operations Executive) Tiroler Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Nazismus von 1937 bis 1945 Posthumer Träger des österreichischen Ehrenzeichens für Verdienste um die Befreiung Österreichs Geboren 28.11.1913 in Innsbruck Verschollen ab 12.10.1944 in den Villgrater Bergen 1945 von den Alliierten für tot erklärt Literatur: Peter Wallgram: Hubert Mayr Ein Leben im Kampf für die Freiheit, Studienverlag Innsbruck 2005. Verein aegide: http://www.aegide.at/de/
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Stille Post Landvermessung No. 4, Sequenz 5 Von Sterzing weiter südwärts
Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf der vorhergehenden Doppelseite). Wir befinden uns derzeit auf der Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen ins Trentino führt. Andrea Winkler fährt von Sterzing nach Klausen, um von dort aus Barbian bzw. Bad Dreikirchen kennenzulernen, und macht schlussendlich einen Abstecher nach Meran. Dabei begnügt sie sich mit dem Anblick schroffer Bergspitzen, verwandelt sich in einen Gecko und hört Musik, die wie ein Gruß aus der Ewigkeit klingt.
Kein Zweifel, ich reise. Der Bahnhof, an dem ich kehrtmache, wird mir für lange Zeit als der schönste, den ich die letzten Jahre entdeckt habe, in Erinnerung bleiben, und der Geruch des Zuges, in dem die Reisenden die Fenster noch selber öffnen dürfen, wird mich tiefer in den Sessel sinken lassen. All das bedeutet übrigens so wenig wie das Gras, das überall neben Schienen wächst wie aus steinigem Boden, und das, gleichviel wo, die seltsamsten Empfindungen in mir weckt. Plötzlich, von einer Sekunde zur andern, wiegt es nichts mehr, dass Züge von da nach dort fahren, und Reisende schwere Koffer hinter sich her rollen, Koffer voller austauschbarer, beiläufig erworbener Dinge, die bei einigen falschen Bewegungen sich über Gehsteige und Vorplätze ergießen. Und was ich vergessen will, wiegt auch nichts mehr, wiegt noch weniger als das, was ich mitnehme, einen einzigen Satz im Notizbuch: Mit der Schnelligkeit des Blitzes durchschlage den linden Frühlingswind. Wovor soll sich fürchten, wer im Augenblick der Gefahr derartiges zu sagen weiß? Wolken ziehen vorüber, vermehren, verdichten und verlieren sich wieder, und wo auch immer ich aus dem Zug steige, regnet es und im Handumdrehen wird der Platz, die Straße, der Waldweg von Menschen leer gefegt sein, so leer,
wie Orte es sein können, durch die eine Gasse mit Geschäften zieht, wo verkauft wird, was überall in der Welt verkauft wird, unter dem gleichen Namen und einer unerschütterlich gewordenen Gesetzmäßigkeit. Wenn sich die Verkäuferinnen aber auf der Schwelle an die Eingangstür der Läden lehnen und hinausschauen, werden die Kleider hinter ihnen durchsichtig und wollen alle gleichzeitig von ihren Bügeln rutschen, um als luftige, freie Gestalten eine Karawane zu bilden, die im Chor HUNGER ruft, DURST, MÜDIGKEIT. Hat jemand etwas anderes zu verrichten als seine tägliche Arbeit, dieses Warten auf Kunden und Gäste, dieses Tragen und Laufen und Verrechnen? Nur gibt es jetzt nirgends warme Küche, und das Gasthofzimmer schaut so traurig in den Korridor, dass die Kellnerin fragt, ob alles in Ordnung sei. „Hier ist es nämlich immer so, tagaus, tagein. Ich wohne im gleichen Zimmer einen Stock höher. Lange Zeit habe ich nicht begriffen, wie man so leben kann, aber mit einer Nachttischlampe geht es. Sie haben die Ihre nicht gefunden? Nehmen Sie Ihre Hand zu Hilfe und tasten Sie die Holzleiste über Ihrem Bett ab, Sie werden den entscheidenden Schalter nicht verfehlen. Wenn der Herbst kommt, fahre ich nach Hause, drei Länder weiter Richtung Osten.
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Erstaunlich, nicht wahr, dass der Herbst doch noch kommt? Immer wieder glaube ich es nicht.“ Wenn das wirklich geschieht (und es geschieht so sicher, wie sich das Gras neben den Schienen beugen muss, wenn der Wind weht), folge ich im Regen dem Wegweiser, der durch eines der Tore aus der kleinen Stadt hinausführt. Gehen werde ich, gehen, gehen, gehen, und wenn ich nicht weiß, wohin, werde ich mir sagen, egal, ganz egal, denn ein Mensch kann, wo immer er sich aufhält, eine Tür öffnen und gehen, auch wenn er bleiben muss. Wie soll sich ihm dann nicht ganz von allein Naheliegendes in Fremdes und Unbekanntes verwandeln und die Bewegung sich einstellen, die zu bewachen nicht mehr nötig ist? Irgendwo führt sie immer hin, auch wenn sie fehl geht. Da! Der Vogel, der sich in dem hohen Gewölbe der Kirche verirrt hat. Schlägt sein Kopf etwa an die Decke? An die Wand? Die Frauen in den vorderen Reihen sprechen in ihrem schläfrigen Rhythmus die Gebete, die kaum einer versteht, und Simon hilft Jesus das Kreuz tragen. Allerdings kann er nicht anders, man hat ihn gezwungen. Von da, wo ich sitze, sieht es aus, als würde die halbe Kraft der beiden ausreichen, um das Gewicht zu tragen. Simon blickt zur Seite, als verstünde er nicht, und die Hand öffnet und hebt er, als wollte er aus der Luft empfangen, was fehlt. Hat Simon immer noch Hoffnungen? Der Regen verstummt, das Auf und Ab der Gebete zieht sich zurück, das schwere Tor schließt beinah lautlos. Und weiter geht es in ein kleines Dorf, wo aus dem Hahn, der sich in den schönen Dorfbrunnen neigt, kein Tropfen Wasser kommt. Wie viel fauliges Laub auf seinem Grund schwimmt! Da senkt sich ein anderer Hahn ins Bild, ein Hahn, der sich kürzlich aus der Wand eines Museums weit über das Becken unter ihm hinausbeugte, sodass sein Wasserstrahl immer danebenging. Wenn das Wasser nie in sein Ziel strömt
und sich nirgendwo sammelt, was ins Leere rinnt, kann ich getrost, am Friedhof vorbei, zurück in den Gasthof gehen, mich an die Bar setzen und mir vorstellen, dass plötzlich ein alter Bekannter hier auftaucht. Und wenn nicht hier, dann drei Städte weiter. Und falls auch da nicht, schicke ich Post, mit Nachdruck an die falsche Adresse: Mir sind seit geraumer Zeit ganz und gar die Hände gebunden; wie es kam, weiß ich nicht. Morgen trinke ich auf dem Platz vor dem südlichen Tor einen Kaffee mit Milch, und bestimmt wird es irgendwann wieder regnen, vielleicht sogar hageln. Sollte ich nichts Bedeutsames erleben, außer den Anblick einer schroffen Bergspitze, nimm es mir bitte nicht krumm. Mir genügt das nämlich lange schon. Wobei es auch sein könnte, dass ich einen Baum treffe, der alle Nadeln verloren hat und doch aussieht, als stünde er inmitten von Grün. Aber das Grün kommt von der Haselnussstaude, die sich um ihn rankt. Nur dass du Bescheid weißt. Jetzt gehe ich schlafen. Und wieder rollt der Koffer, Obstplantagen fliegen vorbei, Türme, Dörfer, ein Fluss, hohes Gras, Kirchen in der Ferne, Berge und Abhänge, ein Stein. Sitzt ein Reisender aus alten Zeiten darauf, um über den Lauf der Welt nachzusinnen und zu keinem glücklichen Ende zu gelangen? Trotzdem singt er, stetig und wach, und gibt sich am Ende zufrieden, wenn seine Wehrufe im Universum verklingen. Irgendwo, ich wiederhole mich, kommt einer immer an. „Wie viele Stationen sind es noch bis ans Ziel?“ – „Herzlich willkommen, seien Sie, wo immer Sie auch aussteigen, herzlich willkommen. Wandeln Sie durch die Stadt wie ein Toter, wie ein vollkommen Toter, und dann machen Sie, was recht ist.“ In der Mittagshitze, in der alles schläft, schlage ich zuerst die falsche Richtung ein und gehe aus der Stadt hinaus, obwohl ich in ihrem Zentrum wohne. Arbeiter sitzen im Schatten neben den Straßen, die sie ausgraben, und
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Mütter schieben an ihnen vorbei ihre Kinder und telefonieren. Ein Busfahrer hupt, ein Autofahrer schreit. Nur die Vögel klingen hier anders, lauter, drängender, und, dies wahrnehmend, werde ich mich erinnern, dass ich hier schon einmal war, zumindest im Traum. Ich lief durch die Stadt, lief und lief, als suchte ich jemandes Wohnung, ohne zu wissen, wo sie lag. Ich lief und lief, und eine alte Dame, die so groß war, dass sie fast die Wolken berührte, schüttelte lächelnd den Kopf, als sie an mir vorüberging. Da verwandelte ich mich in einen Gecko und glitt die Hausmauern entlang, nur Gasthöfe, einer nach dem andern, nicht ein einziges Haus, in dem einer wohnen konnte, der nicht auf Durchreise war. Weiß jemand, wo der wohnt, den ich suche? Mir war der Name jäh entfallen, aber kaum, dass er namenlos geworden war, stand ich ganz sicher vor seinem Haus, mit beiden Beinen auf fester Erde. Nur hörte ich es von überall her NEIN rufen, NEIN, NEIN, NEIN. Ich wurde davon so müde, dass ich mit einem Schlag nichts mehr wollte, und schlug eine andere Richtung ein und ging, als bewegte ein anderer meine Gliedmaßen und zwar so, dass mir nichts mehr zu tun blieb. Macht das Sinn, dass ich in einem Vergnügungspark endete, auf einer Bank, wo ich einschlief? Bis heute begreife ich nichts davon. Aber gleichviel, denn kaum, dass ich durch das Stadttor biege und etwas vom Rauschen des nahen Flusses ahne, verschwindet der letzte Wunsch zu verstehen in seinen Wellen. Etwa nicht? Darüber hinaus wird es mich beruhigen, dass das dunkle Zimmer des Hotels auf eine Gasse mit einem Lokal schaut, in dem ein einziger Gast seinen Kaffee umrührt. Und wie erst der Wind, der die Vorhänge in den höher gelegenen Stockwerken aufbläht, während die Rezeptionistin, die neben mir hergeht wie eine Erinnerung an mich selbst, zu mir spricht: „Wenn Sie nach zehn Uhr abends
kommen, nehmen Sie den Hintereingang. Das Schloss klemmt, aber kein Problem für Sie. Rütteln Sie einfach ein wenig an den Gitterstäben, dann springt die Tür sogar von allein auf. Dann überqueren Sie den Parkplatz und schließen mit dem Zimmerschlüssel den zweiten hinteren Eingang auf. Sehen Sie die Dame die Stiegen hinaufgehen? Dort ist es. Wenn es so dunkel ist, dass Sie es schwer haben, den Lichtschalter zu finden, nehmen Sie Ihr Telefon zu Hilfe und erhellen Sie das Stiegenhaus mit ihm. Sie haben doch immer eins bei sich?“ Kann sein, aber wahrscheinlicher ist, dass ich es vergessen werde. Wozu es brauchen, wenn ich vor dem Tulpenbaum stehe, auf dem eine einzige Tulpe blüht? Wozu es brauchen, wenn die alte Frau, die den Rollator vor sich herschiebt, mich grüßt, als wäre ich, wenn ich nur wollte, die Person, deretwegen sie jeden Tag auf den nächsten wartet? Ich werde die Augen schließen, weil ich es nicht bin, und auf die Figur deuten, die in der Steinrosette an der Wand der alten Kapelle auf dem besten Weg ist, aus ihrer Mitte hinauszugehen, und zwar so, dass sich die Rosette selbst mitdreht. Dass sie nichts weiter als eine mit der Zeit entstandene Verfärbung ist, ändert nichts daran, dass sie sich eben jetzt aus dem Kreis hinausbewegt, hinaus aus dem Zentrum, in dem sie stillsteht, so vollkommen wie ein Baum an einem Sommertag, an dem sich kein Windhauch regt. Das verstehe einer, am besten der, der nicht einmal zufällig zur Tür hereinkommt! Ich flüstere, am Fluss sitzend, in sein stetes Rauschen stille Post, auf dass an seinen Ufern, wo alles verboten ist, was Menschen Freude macht, Unkraut aus dem Rasen wächst. Seit einiger Zeit verstehe ich noch weniger als zuvor, und ich möchte immer noch weniger verstehen. Das wird allerdings noch so lange dauern wie der Tulpenbaum Zeit braucht, um in vollkommener Blüte zu stehen, was, wie ich mir sagen habe lassen, hierzulande kaum jemals geschehen kann. Tatsächlich wachsen hier Maulbeer-
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und Granatapfelbäume. Auch das verstehe ich nicht, finde es aber sehr schön. Ich möchte sprechen wie ein Zirkusdirektor, der weiß, dass er an einem Ort gastiert, wo nie auch nur ein einziger Besucher hinkommt. Die leeren Sesselreihen sind ihm die größte Freude, wenn er das Mikrofon zur Hand nimmt und den Elefanten ankündigt, der seinen Rüssel in die Höhe streckt und in den Sand taucht. Wie schön, dass alle Kunststücke so belanglos geworden sind wie dieses hier und seine Stimme sich in Gärten überträgt, wo keiner sich aufhält. Ausgestorben sind alle Orte, die er bereist, und leer sind die Bahnhöfe, die zu den Orten gehören. Aber mich macht die Tatsache, dass er, angekleidet wie eh und je, im Sand steht, vollkommen glücklich. Welche Fragen soll diese Handlung denn hervorrufen? Wen soll sie erschüttern? Ich sollte ins Hotel und schlafen. Fest steht nämlich, dass auf diesen Tag ein anderer folgt und ich aufwachen werde, schon allein, um einen Weg zu gehen, den jeder geht, der hier durchreist. Er führt an Bäumen vorbei, die aussehen, als trügen ihre Zweige Perücken, die wie buschige Staubwolken um sie herum schwirren, und an Hinweisen, die niemand je vergisst: Halten Sie inne, Werden Sie ruhig, Genießen Sie die Ansicht der Berge, Danken Sie dem Stifter dieser Bank, Besinnen Sie sich, Tanken Sie Kraft. Die Sessel des Lifts, der an meinen Augen vorüberzieht, schaukeln im Wind, und in einem von ihnen werde ich mich wiederfinden, damit es so sei wie in den Träumen, wo die Zeit zu kurz ist, um eine Entscheidung zu treffen, ehe man einsteigt. Ich will fortan nur noch solcher Übung wegen reisen, und reisen wie einer, der sich in alles fügt, was geschieht, sogar in Verbotsschilder, die keinen Sinn ergeben, und Wegweiser, die in die Irre führen. Ich werde es singen, summen, pfeifen und trällern und mich dabei nur noch an niemanden wenden, mit solcher Konsequenz, dass der Boden davon Risse
bekommt. Was für schöne Erinnerungen sich da auftun! An Menschen, die von Zuhause aufbrachen, mit nichts in der Hand als einem Beutel voller Dinge, die verloren gehen, und ein paar Liedern, die alle Jahreszeiten überdauern. Wie unbemerkt sich ihre Zukunft zwischen Augenblicken sammelte, in denen nichts sich drehte als das Rad, über das im Fluss Wasser lief, und wie entschieden ihre Gegenwart nichts anderes war als stetes Tropfen von der Dachrinne. Wie sollte von da ein Weg nachhause zurückführen? Darum weiter und vorbei an salbeiblättrigen Zistrosen und Schwänen, die fauchen, weil man ihre Ruhe gestört hat, und vorbei an einem Hang-Spieler, der auf dem Platz vor der Kirche den Verkauf von Trüffeln begleitet. Aber er weiß davon nichts, er weiß von allem um ihn herum nur, dass es da ist, ob er will oder nicht. Er weiß, dass zwischen Morgen und Abend fünf Dutzend Koffer über den Platz rollen und zwischendurch einer stehenbleibt und sich auf den Koffer setzt und die Beine überkreuzt. Der will nicht mehr mehr, jetzt nicht und später nicht. Aber da sitze ich schon an der Promenade unter dem Schirm und sehe Mütter ihre Wägen schieben und telefonieren und Kellnerinnen Brot und Wein zu Tischen tragen. Und weit und breit keiner, der an den Ufern Verbotenes tut, und keiner, der die Füße ins klare Wasser hängen lässt. Aber ein Herr kommt und lädt mich ins Casino ein, nur muss ich dankend abwinken, denn ich würde nicht entsprechen. Wie schön, dass es Dinge gibt, die derart zweifelsfrei sind! Lieber verständige ich mich, wenn es Zeit ist, mit dem Nachbarn aus dem Haus gegenüber. Er beugt sich, wenn alles schläft, aus dem Fenster und raucht, und die Rauchwolken bilden und verlieren sich so zart wie die Worte, die ich regelmäßig an niemanden mehr richte. Wenn meine Zeit hier zu Ende geht, möchte ich, dass alles klar geworden ist, vollkommen klar. Stell dir vor, eine solche Einigung! Die vergangenen Jahre werden wie Zitronenfalter
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durch die Lüfte schwirren und der Liegestuhl, der alle Entrümpelungen überdauert hat, wird im Garten als ewige Einladung stehenbleiben. Es wird der Zirkusdirektor darin einen Vortrag über den wechselnden Lauf der Zeit halten, und die Musik, die in kleinen Orten von einem zum andern Ende ertönt, derart, dass man nicht weiß, wo sie herkommt, weshalb man nicht anders kann, als in ihr einen Gruß aus der Ewigkeit zu hören. Allerdings wird der Zirkusdirektor im Liegestuhl nicht ein einziges Wort sagen, sondern den Hut lüften und ihn, mit einer angewehten Jasminblüte versehen, auf das Dach des Schuppens legen. Zum Dank würde ich mich nicht verneigen und auch nicht applaudieren, sondern fortfahren zu tun, was ich gerade tue, allerdings so, als würde es von jemand anders für mich getan. Ich glaube, dann wäre es Zeit. Zeit, den Bahnhof als den schönsten zu rühmen, den ich seit langer Zeit entdeckt habe, so schön, dass ich sehr viel länger als nötig die Milch in der Kaffeetasse umrühre. Die Flaschen und Gläser hinter der Ausschank leuchten gelb und grün in den Raum, genauso, wie es hier sein soll, und die Kellnerin beschreibt mit ihrer Hand einen Berg und schüttelt den Kopf. „So weit hinauf, mit diesem Rucksack? Hier kommt jeden Tag zur selben Zeit Hugo vorbei. Hugo, rufe ich dann, ein Glas Wein? Und Hugo antwortet, er wolle kommenden Sonntag auf den Berg steigen, denn die Wetteraussichten stünden gut, und wer weiß, wie lange er noch lebe, und er könne doch an seinem Ende nicht nie auf diesen Berg gegangen sein. Darum warten Sie doch auf Hugo und nehmen Sie ihn mit. Sie sehen mir ganz danach aus, Sie sehen so freundlich aus!“ Schade, dass ich sie enttäuschen muss, denn ich trage den Rucksack nicht den Berg hinauf, sondern ziehe seine Räder heraus und rolle ihn hinter mir her in den Zug, wo die Reisenden die Fenster noch selber öffnen kön-
nen und es nach trockenem Staub und Sommer riecht, derart, dass ich mich daran erinnern werde, während ich alles andere vergesse. Dann werde ich nichts denken, nichts, nur dass ich hier sitze und in den Garten schaue, als wäre der Garten die Welt, und der Vogel, der vor meinen Augen hin und herüber streicht, ein Wanderer, dem ich bald zu folgen habe. Soll ich den Fuß in eine alte Gasse, auf einen holprigen Gehsteig oder einen Waldweg setzen? Sprechen werde ich so gut wie nichts, außer hie und da ein entschiedenes JA, zum Beispiel, wenn einer, der sich, ohne es zu bemerken, als Indianer verkleidet hat, den Speisewagen betritt und fragt, ob er hier richtig sei. „Ich fahre zu einem Konzert in die Hauptstadt, habe allerdings keine Eintrittskarte. Gerne möchte ich jetzt essen und bestelle darum Suppe, Hauptspeise, Nachspeise. Den ganzen Tag habe ich im Haushalt geschuftet, jetzt ist Feierabend. Die Kellnerinnen hier sind sehr hübsch, aber nicht die schnellsten. Soll mir recht sein.“ Was für ein Jubel, wenn einer wie dieser auftaucht! Es singt wie das Gartentor, das an den Zaun schlägt, und es pfeift wie das Signal, das den Zug ankündigt, der alle zweieinhalb Stunden durch den Ort fährt. Der Weg zum Bahnhof führt über eine Brücke und die Brücke führt über einen Fluss, in dem winters wie sommers Schwäne dahinziehen; und auf der Steintreppe kann ein jeder innehalten, die Füße ins Wasser hängen und den Traum der letzten Nacht vergessen: grundlos eingesperrt in einem Land mit der übelsten aller Regierungen zu sitzen und auf die Gunst der Freunde zu warten, die, hoffen wir es, keine Mühe scheuen, um den Irrtum aufzuklären. Wer möchte da nicht lieber hier sitzen und den Augenblick erwarten, in dem der Streifzug der Vögel zwingend wird? Ich will nichts mehr tun, bevor es Zeit ist. Lieber soll der Wind in den Blättern rauschen und die Fliege ums Kerzenlicht summen und die Vogelscheuche ihren Dienst tun, ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden.
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Brenner-Gespräch (11): „Das Problem ist wie so oft die Angst.“ So viele Leute fahren über die Alpen nach Italien. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 11: Arash T. Riahi, der österreichische Filmemacher mit iranischen Wurzeln, spricht mit Michael Kerbler über seinen jüngsten Film „Everday Rebellion“, die Macht des gewaltfreien Widerstandes, das Verschmelzen mit der Kamera und ein gelungenes Leben.
Michael Kerbler: Stéphane Hessel, der große alte Mann der französischen Menschenrechtsbewegung, initiierte den Aufruf „Empört euch!“ Er schrieb: „Neues schaffen heißt Widerstand leisten, und Widerstand leisten heißt Neues schaffen“. Ihren Film „Everyday Rebellion“ könnte man auch mit „Empört euch!“ übertiteln. Wann ist die Idee zu diesem Film entstanden? Arash T. Riahi: Anlass für das Projekt, das ich mit meinem Bruder Arman gemacht habe, war im Jahr 2009 die grüne Protestbewegung im Iran. Da gingen Millionen Menschen auf die Straßen, um friedlich zu protestieren. Es gab einen großen Schweigemarsch und da kam plötzlich Hoffnung auf. Bis dahin hatten wir uns immer gefragt: Wie kann es sein, dass im Iran nichts passiert, warum akzeptieren die Menschen dieses System? Wir sind ja beide Kinder von Flüchtlingen. Anfang der 1980er-Jahre sind wir mit unseren Eltern nach Österreich gekommen und seitdem können wir nicht zurück in den Iran. Das heißt, wir haben ein prinzipielles, natürliches Problem mit Diktaturen und mit der Diktatur im Iran. Wir hatten auch schon vorher eines – mein Vater war als Linker auch unter dem Schah fünf Jahre lang im Gefängnis. Uns ist durch die Erziehung der Eltern – sagen wir – ein humanistischer Geist in die Wiege gelegt worden. Als 2009 diese grüne Bewegung im Iran entstand, dachten wir: Wir müssen etwas machen! Es war auch die Zeit, wo Mobiltelefone zu Zeugen der Ereignisse, zu Zeugen der Realität wurden. Die Protestbewegungen begannen, ihre eigenen Medien zu kreieren und sich nicht mehr darauf zu verlassen, dass Massenmedien über ihre Bewegung berichten müssen, um als relevant dazustehen. Plötzlich standen hunderttausende Videos auf YouTube, und zwar sofort, man
konnte sie nicht alle löschen und verschwinden lassen. Plötzlich gab es eine neue Art von Rebellion. M. K.: Sie wollten also einen Film über die grüne Bewegung im Iran, über das Aufbegehren dort, machen? A. R.: Ganz genau, der Arbeitstitel lautete „Iran Evolution“. Es ging uns um das Phänomen „zwei Gesellschaften in einer“, darum, dass hinter einer Fassade plötzlich etwas ganz anderes geschieht. Doch dann kam der Arabische Frühling, die Indignados-Bewegung entstand und „Occupy Wall Street“ wurde zu einem weltweiten Phänomen. Allen diesen Bewegungen war ihre horizontale Struktur gemeinsam, keine hatte einen „Führer“, auch die Maidan-Bewegung nicht, die später entstand. M. K.: Aber es gab noch ein weiteres gemeinsames Merkmal dieser Bewegungen. A. R.: Ja, wir haben erkannt, dass alle diese Bewegungen gewaltlos agieren, dass das eigentlich der wichtige gemeinsame Nenner ist. Der historische Erfolg von Gewaltlosigkeit ist inzwischen empirisch bewiesen. Erica Chenoweth und Maria Stephan haben ein Buch verfasst – „Why Civil Resistance Works“ – und die beiden haben Protestbewegungen seit 1900 bis 2006 untersucht. Erica Chenoweth kommt eigentlich aus dem Militärberaterbereich, sie war selbst von dem Faktum überrascht, dass gewaltloser Protest eine um zwei Drittel höhere Chance hat, positive Veränderungen zu bewirken. Auch wenn wir heute unglaublich viel Gewalt in den Medien sehen, in der Realität gibt es heutzutage weniger Gewalt als vor 100 Jahren – statistisch gesehen.
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M. K.: Die Botschaft Nummer eins des Films lautet: Gewaltfrei Widerstand zu leisten ist on the long run erfolgreicher als gewaltsam Widerstand zu leisten. Die zweite Botschaft haben Sie schon kurz angesprochen: Die neuen Bewegungen sind „kopflos“. A. R.: Es ist eine Tatsache, dass man einen Anführer oder eine Führerriege leichter fassen und eliminieren kann. Der Demokratisierungsprozess, der in den Aufstandsbewegungen stattgefunden hat, macht die Gruppen stärker. Es gibt eben nicht mehr die Anmaßung zu sagen: Ich weiß es besser als ihr, ihr macht, was ich euch sage und ich werde dann später zum nächsten autoritären Herrscher. Das ist etwas, so glaube ich, was die Menschen aus der Geschichte gelernt haben. Dieser Demokratisierungsprozess hat bewirkt, dass man jetzt versucht, aus der Kraft der Community heraus und mit der Gemeinschaft eine neue Welt zu bauen und nicht aus der Intellektualität eines Führers oder eines charismatischen Rebellen heraus. Wir haben ja in der Geschichte gesehen, wie schlecht das gelaufen ist. M. K.: Was man akzeptieren muss, ist, dass gewaltfreier Widerstand dort eine Chance hat, wo es eine aufgeklärte Öffentlichkeit und demokratische Massenmedien gibt, die als Kontrollinstanzen fungieren. Gewaltfreier Widerstand gegen die Dschihadisten des Islamischen Staats (IS) oder gegen Baschar al-Assad oder in autokratischen Systemen wie in der Volksrepublik China würde bald enden, weil es weder eine große Öffentlichkeit noch freie Massenmedien gibt, die darüber berichten dürfen. Mahatma Gandhi hatte das Glück, es mit einem demokratisch verfassten Staat, nämlich England, zu tun zu haben. Hätte er es mit Muammar Gaddafi zu tun gehabt, hätte der Aufstand sicherlich nicht so geendet, wie es geschichtlich gelaufen ist – wage ich jetzt mal zu behaupten. A. R.: Ich wage das Gegenteil zu behaupten. Was sagen Sie zu Ägypten? Mubarak war genauso. Oder in Tunesien? Was ist mit Polen gewesen – Solidarność? Was ist mit der Apartheid-Bewegung in Südafrika gewesen? Es gibt genug Gegenbeispiele. Es geht um die Taktiken des gewaltlosen Widerstands. Empirisch ist belegt: Wenn
man es schafft, eine gewaltlose Kampagne mindestens zweieinhalb Jahre durchzuhalten, dann hat man Erfolg. In Syrien waren es nur sechs, sieben Monate. IS wäre nie so schnell vorangekommen, wenn die Landlords und die Stämme und Stammesfürsten in diesen Gegenden nicht mitgemacht hätten. Natürlich, wenn man sich auf der Straße gegen blutrünstige Mörder stellt und gewaltlos protestiert und demonstriert, dann kennen die kein Erbarmen. Trotzdem – die können 100 Leute erschießen, aber sie können nicht 100.000 Leute erschießen. Das Problem ist wie so oft die Angst. Alle Populisten, alle rechten und nationalistischen Parteien, alle islamistischen Parteien beziehungsweise radikalreligiösen Parteien – all diese Gruppierungen benutzen das Instrument der Angst. Und ein Grundsatz des gewaltlosen Widerstands lautet: Den Menschen muss man die Angst nehmen, durch lebendige Proteste, durch Humor, durch’s Lachen. Menschen, die lachen, haben weniger Angst, die trauen sich etwas. M. K.: Wenn man Ihre „Everyday Rebellion“-Website besucht, kann man lesen: „Everyday Rebellion ist ein Kino-Dokumentarfilm mit Crossmedia-Plattform über die Macht des gewaltlosen Widerstands und neue Formen des zivilen Ungehorsams in einer Zeit des globalen Umbruchs.“ Zusätzlich gibt es auch eine App für Smartphones. Wozu dient die? Als eine Art Anleitung zur Frage „Wie organisiere ich gewaltfreien Widerstand“? A. R.: Nein. Unser Ziel war es, einen Kino-Dokumentarfilm zu drehen, der verschiedene Aktivisten über einen bestimmten Zeitraum begleitet, was auch als eine Art Zeitzeugnis über die Bewegungen „Occupy Wall Street“, Indignados, FEMEN, die iranische Bewegung und die arabischen Bewegungen gesehen werden kann. Überdies nutzen wir die Online-Plattform, weil wir die Grenzen des Kinos, des Kinobetriebs und des Films überwinden wollen. Ein Film wird vielleicht irgendwann alt, er kann ja nicht mehr verändert werden, wenn er fertig ist. Für uns ist das Ganze eine Art Lebensprojekt, weil wir wollen, dass das Thema weiter besteht und auf dieser Plattform weiterentwickelt wird, da wir neue Inhalte hinzufügen können. Aus diesem
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Grund haben wir jetzt auch diese mobile App, diese „Everyday Rebellion“-App kreiert. Mit der kann man spielerisch umgehen. Die zwei Hauptideen sind: Erstens kann man Graffitis oder Slogans, die man auf der Straße sieht, fotografieren. Wir laden auch internationale Graffiti Artists ein mitzumachen. Wir wollen diese Fotos von den Künstlern und den Aktivisten bekommen, damit wir sie verewigen können, denn die Graffitis, die am nächsten Tag vielleicht wieder weg sind, sollen für immer erhalten bleiben. Zweitens hat jeder Benützer der App eine Auswahl von Slogans zur Verfügung, zum Beispiel „The only good system is a sound system“ oder „Their fear is our power“ – diese Sprüche kann man der App entnehmen. Zusätzlich gibt’s über die Plattform Zugang zu Videos oder Programmen, die man im Alltag brauchen kann, etwa wenn man mithilfe einer Software wie Callnet miteinander in Verbindung treten möchte oder wenn das Internet abgedreht wurde. Oder wie man einen Protest filmen soll, ohne jemanden in Gefahr zu bringen. Wie man eine Presseaussendung schreibt und eine Message darin versteckt. Was man machen kann, wenn man in einen Tränengasangriff gerät. M. K.: Das heißt, dieser Film wird nie zu Ende sein. A. R.: Ja … und das wiederum beschert uns ein Problem, denn Filme haben nur eine bestimmte Summe Geld, mit der man arbeiten kann. Uns geht deshalb das Geld aus. Wir wollen im nächsten Monat eine Crowdfunding-Kampagne starten, um die Community, die wir aufgebaut haben, zu mobilisieren, damit sie uns finanziell unterstützt, um die Plattform weiter am Leben zu erhalten. M. K.: Der deutsche Soziologe Wolf Lepenies hat, als die 68er-Bewegung aktiv war, zum Thema Film und Revolution gemeint: „Der Film mag Revolutionen zeigen. Durchs Zeigen kann er keine Revolutionen stimulieren, auch kein revolutionäres Bewusstsein und erst recht keine revolutionäre Gewalt.“ – Kann „Everyday Rebellion“ etwas, was der Film damals nicht gekonnt hat? A. R.: Ich bin zu hundert Prozent überzeugt, dass ein
Projekt wie „Everyday Rebellion“ gesellschaftspolitische Zustände verändern kann, ja. Wir sehen, dass die Web-Plattform benützt wird. Zum Beispiel wurden von syrischen Aktivisten 23 Videos angefordert, die sie arabisch untertitelt haben und jetzt im syrischen Untergrund verwenden. Wir bekommen laufend Anfragen, letztens aus Ungarn. Die wollen, dass wir dort das Projekt präsentieren, weil die politische Situation dort so schlimm geworden ist, dass sie Anleitungen bekommen möchten, wie sie was machen sollen. Und wir haben zum Beispiel von der Gezi-Bewegung in Istanbul gehört, dass der Link zu unserer Website und der Trailer permanent verschickt werden. M. K.: Sie kennen sicherlich jenen Gedanken von JeanLuc Godard, es gelte, keine politischen Filme zu machen, sondern Filme politisch zu machen. Ist das, was Sie gedreht haben, ein politischer Film, oder ist es ein Film, der auch eine politische Botschaft hat, aber nicht in dem Sinne, als Werkzeug, als Aufruf zur Rebellion oder Revolution zu dienen? A. R.: Ich glaube, beides fließt ineinander. Das kann man nicht so kategorisch voneinander trennen. Die Plattform ist sicher ein Werkzeug, um Tools des Widerstands, Inspiration und Ideen zu verbreiten. Was den Film angeht: Wir sehen uns vordergründig auf jeden Fall als Filmemacher und wir haben versucht, einen Film zu machen, der als Kinofilm funktioniert, auch wenn man viele Inhalte und Tipps mitbekommt. Diesmal wollten wir in den Vordergrund stellen, dass es verdammt viele Menschen gibt, die etwas gegen diese ungerechten Zustände unternehmen, und dass jeder von uns ein Teil davon sein kann. Aber noch etwas wollten wir vermitteln: die Sinnlichkeit des Protests. Deswegen sieht der Film auch so aus, wie er aussieht. Er ist kein verwackelter Aktivistenfilm, sondern einfach ein schöner, ästhetisch ansprechender Film, der allerdings nicht ästhetisierend ist, sondern – und das wurde in sehr vielen Kritiken positiv bewertet – versucht, dieses besondere Gefühl zu vermitteln, die Poesie und Schönheit dieser Menschen. – Schönheit in dem Sinne, dass jeder, der aufsteht und etwas macht, etwas Schönes an sich hat.
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M. K.: Hätte Godard den Film gesehen, dann hätte er vielleicht seine Aussage wiederholt: „Ein guter Regisseur ist eine Person, die die Kamera dazu benutzt, um etwas zu sehen, was man ohne Kamera nicht sieht.“ – Es gibt einige Filmsequenzen, wo ich mir gedacht habe, solche Details sieht man nur mit der Kamera. Ich meine damit etwa jene Filmszene, wo ein junger Mann vor einem Berg gelb-oranger Pingpong-Bälle sitzt und etwas in arabischer Schrift daraufschreibt. A. R.: Ja, „free Syria“. M. K.: Später kollern hunderte dieser Pingpong-Bälle, einem Wasserfall ähnlich, die Treppen hinunter und die Menschen heben die Bälle auf und lesen und beginnen miteinander zu reden. Diese Gesichter, die man dann sieht, die Reaktionen, die Überraschung, das alles sieht man so nur mit der Kamera. A. R.: Oder die Szene, wo dieser eine Luftballon in New York zwischen den Autos und der Polizei schwebt – und nichts kann ihn aufhalten. Das ist schon etwas, was für mich persönlich ganz wichtig ist, diese poetischen Elemente, diese Dinge, die man eben, wenn man ganz tief drinnen ist, entdecken kann und die auch nie in einem Massenmedium gezeigt werden würden, weil man sich nie die Zeit nehmen würde in unserer schnelllebigen Zeit der Schlagzeilen. M. K.: Ein letztes Mal Godard – A. R.: Ich liebe ihn! M. K.: Er hat diesen wunderbaren Film „Der kleine Soldat“ gedreht. Da lässt er seinen Protagonisten sagen: „Das Kino ist die Wahrheit 24 mal pro Sekunde.“ – Welche Wahrheit wollen Sie mit dieser Art von Dokumentation in „Everyday Rebellion“ zeigen? A. R.: Ich will Bilder zeigen und Menschen, die sonst nicht so zu Wort kommen. Bilder, die man vielleicht nicht sehr oft sieht. Ich schere mich nicht um Dogmen, um die Dokumentarfilm-Polizei, die sagt, ein Dokumentarfilm darf keine Musik enthalten, das oder jenes
darf nicht vorkommen. Mir geht’s eigentlich um die Frage: Was genau ist das Thema und wie spricht das Thema zu mir? Ich glaube, es war Michelangelo, der einmal gesagt hat: „Man muss die Statue vom Marmor rundherum befreien.“ So ist das oft auch mit Filmthemen. Ich sehe etwas in der Realität, und die Realität des gewaltlosen Widerstands ist extrem vielseitig, extrem lebendig. Es wäre, finde ich, nicht der richtige Zugang, wenn man dort einen trockenen, rein beobachtenden „Direct Cinema“-Zugang wählen würde. Dann würde man sehr vieles nicht verstehen. M. K.: Ursprünglich waren Interviews in „Everyday Rebellion“ nicht vorgesehen, richtig? A. R.: Ja, richtig, die waren eigentlich nur für die Recherche gedacht. Wir sind dann allerdings draufgekommen, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich von der amerikanischen Aktivistin Monica Hunken selbst erfahre, warum sie auf der Straße demonstriert und dass ihr Vater in einer Fabrik Krebs bekommen hat, weil die Lüftungsanlagen verseucht waren und nichts dagegen getan wurde. Es ist auch wichtig, dass ich bei jemandem wie Inna Schewtschenko von FEMEN verstehe, dass ihr Hintergrund ein ganz anderer ist: Sie kommt aus einer guten Familie und hat in der besten Universität Journalismus studiert. Und einmal, an einem Tag, wo sie protestieren ging – nicht einmal „oben ohne“ – hat ihr der Arbeitgeber am nächsten Tag gesagt, entweder du protestierst oder du arbeitest. Ihre Motivation war: Sie kämpft für die anderen. Deshalb wurde sie entlassen. Das sind wichtige Aspekte, die man sonst nicht erfahren hätte. Im westlichen Kino spielt die Distanz immer eine sehr wichtige Rolle. Man betont, es sei wichtig, dass man Distanz zu seinem Thema bewahre. Ich will eigentlich das Gegenteil. Ich will ganz nah ran, ich will das verstehen. Wenn ich einen Film über einen Obdachlosen mache, dann kann ich den nicht die ganze Zeit beobachten, sondern muss mit dem in sein Loch gehen, ich muss vielleicht dort schlafen, ein Teil von seinem Leben werden, um das wirklich mit Haut und Haar zu spüren. Und so haben wir auch bei den Aktivisten gearbeitet. Wir haben denen gesagt, wir sind da, das ist unser Background. Wir waren mit
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denen Tag und Nacht unterwegs, und deswegen haben sie sich uns gegenüber geöffnet. M. K.: Um bei dem Satz zu bleiben, den Sie eben von Michelangelo zitiert haben: Sie sitzen im Schneideraum vor hunderten Stunden Material und dort entsteht doch tatsächlich erst die Statue. Wie wichtig ist der Schneideraum als Entstehungsort der finalen Filmversion? A. R.: Der Schneideraum war in diesem Fall extrem wichtig. Dokumentarfilme entstehen für mich definitiv im Schneideraum – es sei denn, man hat sie gescriptet. Wir hatten 1.400 Stunden Material, daraus haben wir über ein Jahr lang diesen Film herauskristallisiert. Es gäbe hunderte Versionen, hunderte Möglichkeiten, wie dieser Film hätte sein können. Wir haben uns schließlich darauf konzentriert herauszuarbeiten, was bei jeder einzelnen Bürgerbewegung besonders gut darzustellen war. Bei „Occupy“ war sehr gut aufzuzeigen, wie man sich auf der Straße organisieren kann, wie sich Gruppen bilden. Bei den Indignados in Spanien war die Community-Geschichte sehr gut nachzuvollziehen, also die Art und Weise, wie man gemeinsam in der Community einzelnen Menschen helfen kann. Bei den Bewegungen im Iran und in Syrien wollten wir dokumentieren, was man trotzdem machen kann, auch wenn man in Diktaturen lebt. M. K.: Ich habe mit Schriftstellern, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, gesprochen. Ilija Trojanow etwa sagt, eigentlich sei die Sprache seine Heimat geworden. Ist es in Ihrem Fall die Bildersprache, in der Sie beheimatet sind? A. R.: Ich glaube, meine Heimat ist eigentlich meine Fantasie, manchmal ist es auch die Kamera. Wenn ich selbst die Kamera mache, dann verschmelze ich mit ihr. Es gibt Augenblicke, wo man der ganzen Sache noch näher ist, weil man sich bestimmte Aspekte heran zoomen und Details sehen kann, die man mit dem bloßen Auge wahrscheinlich nicht erfassen könnte. Das ist dann wirklich ein Glücksgefühl, das ich verspüre. Genauso ist es auch, wenn man im Schneideraum sitzt
und aus gutem Material etwas anderes bauen kann. Wenn also ein Bild und ein weiteres Bild ein drittes Bild ergeben und dadurch etwas anderes entsteht und in dieser Kombination, in dieser assoziativen Art der Montage eine höhere Wahrheit, ja eine Wahrhaftigkeit entsteht, die man so nicht sehen würde, dann sind das jene Momente, in denen man glücklich ist. Beim Filmemachen gibt es auch solche Momente, zum Beispiel bei meinem Spielfilm „Ein Augenblick Freiheit“: Am Ende des Films geht eine Frau, deren Mann sich umgebracht hat, zurück in den Iran, um dort weiterzukämpfen, also den Weg ihres Mannes fortzusetzen. In dem Augenblick, wo ich das gedreht habe, habe ich eine Gänsehaut bekommen. In diesem Augenblick wurde die Schauspielerin zu einer echten Person und ihr Gehen zu einem Akt des Widerstands. Und der ganze Film und dieser Prozess, in dem wir drinnen waren, wurde zu etwas Größerem. Ich finde diese Momente sehr schön, die mir das Gefühl geben, okay, das ist es: Trotz Dauerstress und Mühe ist es wirklich das, was mich erfüllt. Manchmal beobachte ich im Kino die Zuschauer, die sich den Film anschauen, und ihre Gesichtsausdrücke. Es ist ergreifend, wie bestimmte Szenen eine so universelle Wirkung haben, wie Menschen lachen und weinen. Da spürt man die Kraft des Kinos. Da weiß man einfach, es passiert etwas in diesen Menschen, weil sie Emotionen zeigen. Und das ist der gemeinsame Nenner all meiner Arbeit: Mir sind Emotionen wichtig und ich habe keine Angst davor, dass man vielleicht weint oder jemanden zeigt, der weint. M. K.: Theodor Adorno hat gesagt, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Adorno ging es darum, in seiner ästhetischen Theorie eine Vorstellung vom Nichtsagbaren zu formulieren – zu dem, was nicht gesagt oder erzählt werden kann. Mich würde interessieren, was Sie nicht zeigen, was für Sie das Unzeigbare ist, was Sie in Ihren Filmen nicht herzeigen können oder auch nicht wollen. A. R.: Wir haben jetzt im Zuge von „Everyday Rebellion“ sehr viele Videos aus dem Internet heruntergeladen, die Menschenrechtsverletzungen der brutalsten Art zeigen, in denen Menschen geköpft oder geschän-
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det werden. Eine unserer Assistentinnen hat sogar einen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie das Material aufbereiten, sichten und kategorisieren musste. Es gibt Bilder, die wir nicht zeigen wollen, weil sie einfach in die falsche Richtung gehen. Gewalttätigkeiten, Brutalitäten wollen wir deshalb nicht zeigen, weil wir nicht jene Bilder nutzen wollen, die bestimmte Menschen oder eine bestimmte Gruppe von Menschen generiert haben, um Angst zu erzeugen. Ich finde es übrigens echt absurd, dass zum Beispiel auf Facebook Bilder Geköpfter gezeigt werden können, aber die FacebookSeite von FEMEN schon mehrmals mit der Begründung gesperrt wurde, dass „Oben ohne“-Fotos von Frauen zu sehen sind. Diese Doppelmoral ist wirklich hirnverbrannt! Wir wollen also Gegenbilder schaffen, die man nicht jeden Tag in den Massenmedien sieht. M. K.: Wann ist ein Film ein gelungener Film? A. R.: Da gibt es für mich drei Kategorien. Die erste Kategorie sind Filme, die mich emotional berühren, die mir die Augen öffnen. Zur zweiten Kategorie gehören Filme, die mich intellektuell berühren, die vielleicht kühler, analytischer sind, aber bei denen ich mit Hochachtung aus dem Kino rausgehe und mir denke, wow! Und dann gibt es die Filme der dritten Kategorie, das sind zum Beispiel gute Actionfilme, die ich mir auch gern anschaue, etwa Teil 2 von Spiderman oder Batman Dark Night. Auch vor diesen Filmen habe ich Hochachtung, weil sie es schaffen, ein Massenpublikum zu erreichen. Sie sind handwerklich so perfekt und auch fantasiemäßig so speziell, dass sie es schaffen können, Haltungen oder Einstellungen von Menschen zu verändern. „The Day After Tomorrow“ von Roland Emmerich – nicht gerade ein Superbeispiel für einen super kommerziellen Film – hat nachweislich die Meinung der Amerikaner zum Klimawandel verändert, weil ihn so viele Menschen gesehen haben. Das ist etwas, was man als Art House-Filmregisseur oder Dokumentarfilmemacher akzeptieren muss. Eine bittere Pille ist das, die man schlucken muss, nun ja, vielleicht keine wirklich bittere Pille, aber eine Tatsache, die man nicht ignorieren darf: Dass es nämlich gut ist, etwas Kommerzielles zu machen, mit dem man
viele Menschen erreichen kann und in dem man seine Botschaften versteckt. M. K.: Was ein gelungener Film ist, ist wahrscheinlich leichter zu beantworten als meine nächste Frage: Was ist ein gelungenes Leben? A. R.: Ein gelungenes Leben … ein gelungenes Leben ist, wenn man seinen Träumen nachgehen kann, dass man sich frei entscheiden und auch falsche Entscheidungen treffen kann, die man dann, weil man frei ist, auch wieder ausbessern kann, wenn’s geht. Bewusst zu leben, glaube ich, ist ein wichtiger Punkt. Und nicht zu egoistisch sein. Ich glaube auch, das Glück liegt in der Gemeinschaft, das Glück liegt nicht nur in einem selbst, sondern in dem, wie man für seine Umgebung da ist und was man für die Gesellschaft leisten kann, ohne ein Opfer der Leistungsgesellschaft zu sein. Es geht vielmehr darum, wie man eigentlich Widerstand den Dingen gegenüber leisten kann, die nicht passen, um zu einem Fortschritt in der Gesellschaft, zu einem humanistischeren Weltbild beizutragen. Und was im Endeffekt von einem übrig bleibt, das gehört wahrscheinlich doch auch zu einem gelungenen Leben. M. K.: Wenn Ihr Leben ein Film wäre, welchen Titel würden Sie denn wählen? A. R.: Gute Frage. Letztens kam mir der Gedanke, welchen Spruch ich auf mein Grab schreiben würde, und irgendwo habe ich einen Spruch gelesen: „Dieses Grab ist zu klein für mich, ich will raus.“ – Ich weiß es noch nicht. Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht schreibe ich den Satz dann auf mein Grab.
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Philipp Messner Originalbeilage Nr. 24
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Privater Vormärz im Elfenbeinturm
Hermann Broch schrieb „Die Verzauberung“ 1935/36 in Mösern nahe Seefeld. Der Tänzer Harald Kreutzberg lebte in demselben Zeitraum ebenfalls in Seefeld. Eine Nachforschung von Georg Payr, Collage: Carola Dertnig
Man kann sich einem Roman auch physisch nähern: zum Bücherregal hingehen, das mit allen dazugehörigen Begleiterscheinungen in die Jahre gekommene Ordnungssystem verwünschen, den gesuchten Buchrücken entdecken, den Roman herausnehmen. Da ist man ihm physisch ganz nahe. Man kann sich aber mit etwas mehr Aufwand und ohne Fluchen auch dem Schauplatz eines Romans nähern: Nach Davos fahren und manches wiedererkennen, was im Zauberberg an Örtlichkeiten eine Rolle spielt; nach Wien fahren und dort im 9. Bezirk die Strudlhofstiege besuchen und den gleichnamigen Roman von Heimito von Doderer ab dort regelrecht als Stadtplan verwenden; nach Dublin fliegen und feststellen, dass es stimmt, was James Joyce über Ulysses gesagt hat: „Ich möchte ein Abbild von Dublin erschaffen, so vollständig, dass, wenn die Stadt eines Tages plötzlich vom Erdboden verschwände, sie aus meinem Buch heraus wieder aufgebaut werden könnte.“ Und Kuppron? Kuppron gibt es nicht, jedenfalls nicht in den Atlanten und auf den Straßenkarten dieser Welt. Nicht einmal auf ganz großmaßstäbigen Wanderkarten lässt es sich finden. Und trotzdem bin ich dort. „Hier also“, denke ich mir. Das „Hier“ ist Mösern, viereinhalb Straßenkilometer bzw. weniger als dreieinhalb Luftlinienkilometer vom weltberühmten Tourismuszentrum Seefeld entfernt. Mösern wird beherrscht von den Süd- und Ostwänden der gewaltigen Hohen Munde, aber diese Wände sind so weit weg, dass sie nicht die Kuppronwand sein können. Von dieser schreibt der Erzähler des Romans Die Verzauberung: „Die Kuppronwand, an deren Abhang mein Haus liegt, kann ich nicht sehen, auch nicht von den Fenstern der Rückseite aus, sie ist vom Wald verdeckt, aber ihr Vorhandensein ist immerzu spürbar.“ Ich versuche, dem nachzuspüren. Ich bin im Garten des Hauses des Erzählers. Oder
ist es gar nicht das Haus des Erzählers, ist es nur das Haus, in dem der Schöpfer des Erzählers, Hermann Broch, lebte, als er den Roman schrieb oder vielmehr: um den Roman zu schreiben? Schließlich weiß ich ja, dass Autor und Erzähler immer auseinander gehalten werden müssen, aber ich will, dass das Haus, in dessen Garten ich stehe, das ist, in dem der Erzähler lebte. Von der Kuppronwand kann keine Rede sein, weder von der noch von irgendeiner, von keinerlei Wand kann die Rede sein. Das Haus steht an keiner Wand, erst recht nicht an der Wand der Hohen Munde, die viel zu weit weg ist, ungefähr sechs Kilometer sind es, die Haus und Wand trennen, zu viel, um das „Wasser, das über das Gestein der Kuppronwand tropfte und rieselte“, für den Erzähler im Haus gleichsam greifbar zu machen. Hat Hermann Broch die Hohe Munde und ihre Wände einfach hierher verpflanzt, ganz nahe an sein Haus, und sie zur Kuppronwand gemacht? „Die Kuppronwand, an deren Abhang mein Haus liegt.“ Ja, von einem Abhang, an dem das Haus liegt, kann die Rede sein, von einer Wand nicht. Es gibt sie ebenso wenig wie ein Ober- oder ein Unterdorf, obwohl es das geben müsste, denn der Erzähler wohnt im Oberdorf und arbeitet im Unterdorf. Eine Stunde Fußmarsch trennt die beiden Ortsteile voneinander, bergauf. Ist das Unterdorf Sagl? Bairbach? Oder gleich Telfs? Die Gehzeit von dort nach Mösern hinauf könnte diese eine Stunde betragen. Der Erzähler marschiert auf der Landstraße, die Trasse mag damals schon jene gewesen sein, die heute eine vor allem bei Motorradfahrern überaus beliebte Strecke ist. Im Winter fährt er manchmal mit den Skiern hinunter. Broch konnte das wohl nicht, was sein Erzähler kann. An seine Cousine Alice Schmutzer schreibt er am 7. Dezember 1935: „Im Übrigen ist es hier herrlich. Im November noch ein großartiger Nachsommer und jetzt Schneesonne und Sonnenschnee. Nur müsste man jetzt Ski fahren; jede andere Fortbewegung
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ist beinahe unmöglich.“ Vielleicht missdeute ich aber dieses „Nur müsste man jetzt Ski fahren.“ Immerhin steht kein „können“ dabei. Vielleicht konnte Broch ja Ski fahren und der Konjunktiv verweist nur auf die Unmöglichkeit des Es-auch-Tuns, aber aus anderen Gründen als dem, es nicht zu beherrschen. Broch war ja nicht zum Vergnügen in Mösern, sondern zum Schreiben, also zum Arbeiten. Das mit dem Wetter will ich aber doch überprüfen, ganz so, als zweifelte ich an dem, was Broch geschrieben hat. Also forsche ich nach. Der Erzähler in der Verzauberung brauchte eine Stunde vom Unter- ins Oberdorf, ich bin in fünf Sekunden im Internet. Die Karten aus dem fast hundert Jahre zurückreichenden Wetterarchiv einer Wetterseite sind rasch aufgerufen. Der November 1935 war tatsächlich ein insgesamt warmer, sonniger Monat und Anfang Dezember kam der Winter mit großer Macht. Was soll das? Ich suche das Oberdorf und das Unterdorf, suche die Kuppronwand, suche eine spätgotische Kapelle, von der im Roman die Rede ist, und finde zumindest eine aus dem 19. Jahrhundert, ich schaue nach, ob das Meteorologische in einem Brief stimmt. Ich vermische Fiktion und Wirklichkeit, ganz anders, als es Broch getan hat. Mösern sollte ja nicht als Mösern erkennbar sein. In einem Brief an die schottische Schriftstellerin und Übersetzerin Willa Muir schreibt Hermann Broch im März 1935, er habe sich nun endlich wieder zum Schreiben entschlossen und einen großen Roman begonnen. Zum Zwecke des Schreibens habe er sich nach Baden bei Wien zurückgezogen und dann nach Laxenburg und es wäre alles großartig, wenn er nur „diese flache Landschaft“ vertragen könnte. „Aber ich kann sie nicht mehr sehen, und so werde ich wohl bald wieder flüchten.“ Orkney schwebt ihm vor, aber auch Tirol. Und es wird Tirol. Es wird Kuppron, das er erfindet, hier lässt er Die Verzauberung spielen, in der sich ein Wiener Mediziner, des Wissenschaftsbetriebs, in den er eingespannt ist, überdrüssig (aber auch, wie man erst gegen Mitte des Romans erfährt, aus einem
anderen Grund), als Landarzt niederlässt und eine nur mäßig gehende Praxis eröffnet. Mösern gefällt Broch. Es ist der ideale Ort für die „Produktion“ des auf drei Teile angelegten Bergromans (auch Bauernroman oder Alpenroman nennt er ihn in Briefen), von dem nur der erste Teil, eben Die Verzauberung, fertig wurde. Habe ich wirklich „Produktion“ geschrieben? Ja, wirklich, aber wenigstens unter Anführungszeichen. Wieso „Produktion“? Broch war ja kein Aschenbach aus dem Tod in Venedig, jenes Alter Ego Thomas Manns, das (ich stocke: das? der?) sich ganz der Produktion des Werks hingibt, der diese Produktion gleichsam als Dienstauftrag sieht, als Dienstauftrag des Volkes, das er erziehen will und ästhetisch berühren. (In einem Kommentar zur Verzauberung schreibt Broch: „Meine Hoffnung bei all dem war: die erzieherische Wirkung ethischer Dichtung.“ Also doch ein bisschen Mann/Aschenbach?) Broch war auch kein Claudio aus Hofmannsthals Der Tor und der Tod, der das bäuerliche Leben, weit jenseits des Fensters in seinem Elfenbeinturm, aus dem er blickt, vollkommen verklärt, ohne ihm nahe sein zu können. Wie bin ich nur auf „Produktion“ gekommen? Ah ja, wegen der Stelle in einem Brief an Stefan Zweig, geschrieben in Mösern am 7. Juni 1936: „Ich sollte schon längst in England sein. Indes, noch immer sitze ich hier an diesem Buche, verhaftet der lebensunfähigen Kategorie des Ästhetischen und Artistischen.“ Diese Stelle brachte mich auf Thomas Mann. Und auf Hofmannsthal. Überhaupt auf den Elfenbeinturm. In einem solchen sitzt Broch in Mösern tatsächlich. Wieder an Stefan Zweig schreibt er: „Ich sitze nun schon seit Monaten hier, in strengster Abgeschiedenheit, allerdings auch in herrlichster Landschaft, und baue an einem Buch herum, das die Gestalt eines Romans hat, eigentlich aber etwas anderes ist und das mir zu glücken scheint (dies mit aller Vorsicht gesagt, denn in der Einsamkeit dieses Elfenbeinturms relativieren sich alle Begriffe und Anschauungen).“ Und an Daisy Brody, die Frau seines Verlegers Daniel Brody: „Vorderhand suche ich mich möglichst im Elfenbeinturm einzukapseln und einen privaten Vormärz herzustellen.“
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Strengste Abgeschiedenheit, herrlichste Landschaft. Die Landschaft ist geblieben, die Abgeschiedenheit ist gegangen, wohl wegen der herrlichen Landschaft. Mösern hat inzwischen ein Fünf-Sterne-Hotel, drei Vier-Sterne-Hotels, acht Drei-Sterne-Hotels und fünf Zwei-Sterne- bzw. Ein-Stern-Hotels, dazu gewerbliche und private Ferienwohnungen sowie Privatquartiere in beachtlicher Zahl. Knapp 1.500 Gästebetten stellt es den Menschen, die sich von der herrlichen Landschaft angesprochen fühlen, zur Verfügung, fast 42.000 Gäste sind im Jahr 2013 dort angekommen und haben 180.000-mal übernachtet. Einen Satz wie „Mein Einsamkeitsbedürfnis ist ungeheuer groß, und wäre es nicht so, so würde ich nicht in Mösern sitzen“ könnte man heute nicht mehr so einfach schreiben. Broch konnte es in einem Brief an Willa Muir. Im heute touristisch also voll erschlossenen Mösern gab es allerdings auch schon 1935/36, als Broch dort lebte, Fremdenverkehr, natürlich in bescheidenem Umfang. Trotz der 1.000-Mark-Sperre kamen Touristen und ermöglichten Möserer Bauern, die Fremdenzimmer vermieteten, einen kleinen Zuverdienst. Viel war es nicht, denn sie mussten ihre Gästebetten billig verkaufen, um überhaupt noch jemanden zu bekommen. Hermann Broch kann sich, weil er nach dem Verkauf der väterlichen Textilfabrik in finanzielle Engpässe gerät, keine teuren Unterkünfte leisten, weshalb ihm das günstige Mösern und dort das Haus Klotz gelegen kommt. „Mösern ist für mich noch immer das Ideal“, schreibt er im Mai 1937, also ein Jahr nach Beendigung seines Mösern-Aufenthaltes, an den österreichischen, im englischen Exil lebenden Schriftsteller Robert Neumann, aus dessen Feder übrigens eine Parodie auf Brochs Schlafwandler stammt. Die Unterkunft in Mösern sei „meist tadellos, nicht nur im Hause Klotz“. Auch andere Häuser seien empfehlenswert, „Sommerpreise S 1,50 pro Bett“. (Ein Schilling von damals entspricht etwa 3 Euro.) Allerdings werde das Ganze dadurch verteuert, „dass viele Vermieter im Sommer auf Verabreichung von Frühstück mit S 1,– pro Person bestehen“. Als Nachteil sieht Broch die Größe der Häuser. Neumann erfährt in diesem
Brief, in dem Broch auf seine Frage nach einem österreichischen Arbeitsplatz antwortet, auch, dass ein Haus allein nicht zu haben sei. „Sie enthalten alle 5 bis 10 Zimmer, und während der Sommermonate hat man auf Nachbarschaft zu rechnen.“ Und wie schaut es mit den Parkmöglichkeiten für ein Auto aus? Broch schreibt: „Die Garagierung wird nicht leicht sein, denn darauf sind die Leute nicht eingerichtet, umso weniger, als ja die Straße nach Seefeld nur gegen spezielle Erlaubnis autobefahrbar ist.“ Auch zu den Gasthauspreisen äußert sich Broch: Vollpension im „sehr empfehlenswerten“ Gasthof Neuner: 7 bis 9 Schilling, in den „Nobelhäusern“ Menthof und Kasselhof zirka 12 Schilling. Neumann möge sich, sollte er wirklich die Absicht hegen, in Mösern zu arbeiten, an den jungen Schriftsteller Herbert Burgmüller wenden, der später Mitherausgeber der Münchner Literaturzeitschrift Die Fähre wird, die u. a. Texte der Exilautoren Musil und Broch veröffentlicht. Er, Broch, habe Burgmüller im Haus Klotz untergebracht, Burgmüller könne „genauen Bericht“ geben „resp. für Sie mieten“. Im Brief führt Broch auch ein paar weitere Tiroler Orte an, in denen er sich genau über die Unterkunftspreise erkundigt hat, und die er knapp charakterisiert. Nauders sei, wie Mösern, „herrlich gelegen“, jedoch seien die Unterkünfte „miserabel“, „sogar die Hotels!“ Im einzigen empfehlenswerten Haus, „nämlich beim Verwalter des Schlosses Nauders“, gebe es aber „kein W. C., nur ein Loch“. In Gries im Sellrain hält er nur den Gasthof Grieser Hof für akzeptabel, Pensionspreis 9 Schilling, „Aufstieg ins Kühtai etc.“ Von Wenns im Pitztal, wo er allerdings nur einen Tag gewesen ist, hat er „den besten Eindruck“. „Der Gasthof ‚Post‘ wird sehr gelobt“, schreibt er. „Alles sehr sonnig, hell, ein ausgesprochener Arbeitsaufenthalt.“ Im hinteren Pitztal, „das sehr eng, sehr düster, aber wunderschön ist“, findet er den Gasthof Wies. „Aber auch bei Bauern lässt sich dort im ganzen Tal wohnen, nur müsste man von Haus zu Haus suchen.“ Vom Stubaital („Fulpmes, Telfes etc.“) ist Broch „nicht begeistert“. Es sei „nicht sonderlich billig, zumindest nicht die Gasthöfe, die meistenteils ‚Post‘ heißen, hingegen höchst nazistisch“, was aber
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„nichts Besonderes“ sei. Am Ende des Briefs fragt Broch, warum er, Neumann, unbedingt nach Österreich wolle. „Warum nicht in das wesentlich billigere Jugoslawien? Oder nach Italien, d. h. ins italienische Tirol?“, fragt er. Immerhin werde gesagt, dass es „um Klausen herum wunderschön“ sei und „höchst billig“ dazu. „Ebenso der Gardasee.“ Während Broch also jemand anderem Tiroler Dörfer empfiehlt oder auch nicht empfiehlt, wird ihm selbst Mösern zu so etwas wie einer Heimat. Als er von einem Aufenthalt in München nach Mösern zurückkehrt, in „ziemlich mäßiger Verfassung“ ob der politischen Atmosphäre dort, bezeichnet er das als eine Fast-Heimkehr: „Ich weiß nicht“, schreibt er im Februar 1936 an Daisy Brody, „ob ich Ihnen in meinem letzten Brief schon gemeldet habe, wie deprimiert ich aus München hierher zurückgekehrt bin, fast könnte man schon heimgekehrt sagen.“ „Hier in Mösern habe ich es phantastisch schön. 1.250 m hoch und 600 m über dem Inntal, das man mit all seinen Gebirgen viele Kilometer lang überschaut, denn der Berg, auf dem das Dorf liegt, ragt wie eine Halbinsel in das Tal hinein.“ So beschreibt Broch in einem Brief an Willa Muir die Lage Möserns und den viel gerühmten Blick ins Oberinntal. Wer diesen Blick kennt, kann es Broch nachempfinden, wenn er im selben Brief schreibt, dass er „vor lauter Aus-dem-FensterSchauen“ fast nichts arbeite. Trotz dieser berückenden Ablenkung ist das Bauernhaus Klotz für ihn aber „ein idealer Arbeitsplatz“, auch wenn er noch nichts über das Tempo, mit dem seine Arbeit voranschreiten wird, sagen könne. Er hofft nur „auf ein gutes Arbeitstempo“. Diese Hoffnung sollte sich nur teilweise erfüllen. An Alice Schmutzer schreibt Broch schon fast am Ende seiner Möserer Zeit, dass er mit dem Buch „ungeheuere Schwierigkeiten“ habe. Neun Kapitel seien druckfertig, es fehlten die drei letzten. (Es handelt sich hierbei allerdings um eine nie fertiggestellte zweite Fassung.) „Dabei ist all die Plage ein Irrsinn“, klagt er, und er klagt auch über die potenzielle Leserschaft, von der niemand etwas wissen wolle von den „Problemen
der Architektonik eines Buches“, niemand wolle sich „mit der Hintersinnigkeit beschäftigen“. Und weiter: „Interessieren tut nur, ob die Leute miteinander schlafen oder nicht.“ Doch Broch gesteht: „Ich lese Bücher doch auch nicht anders.“ Trotzdem plage er sich weiter „mit dieser ganzen Stilistik, Architektonik und weiß Gott noch was herum“, und er brauche dazu „eine übermenschliche Konzentration“. Broch schreibt aber nicht nur, er liest auch, zum Beispiel ein Romanmanuskript, das ihm Herbert Burgmüller zugesandt hat. Gabor ist der Titel, der Roman bleibt unveröffentlicht. Vielleicht deshalb, weil Broch, der sich intensiv mit dem Manuskript beschäftigt, kein gutes Haar daran lässt? Der „Hauptfehler“ des Buches sei, so schreibt er im April 1936 an Burgmüller, seine „gewandte Unpersönlichkeit, der Mangel jeglicher eigenen Note“. Wenn es Burgmüller nicht gelinge, dies abzustellen, sei „jede Mühe umsonst“. „Wenn man Ihnen ein Stück Gewandtheit und Routiniertheit und Belesenheit wegnehmen könnte, so wäre dies ein Glück.“ Er fordert Burgmüller auf, sich nicht selbst zu sehr zu kontrollieren, auch „auf die Gefahr hin, dass es scheinbar ein Schund wird“. Denn hinterher sei es keiner. Und er rät dem jungen Autor, William Faulkner und Thomas Wolfe zu lesen, und diesen Rat versieht er mit zwei Rufzeichen!! Auch wenn Faulkner „verengt sein mag in Grausamkeit“ und auch wenn Wolfe „vor Eindrücken manchmal ersaufen“ mag, es sei doch „etwas Großartiges“ in beiden. Wenn Burgmüller einigermaßen „dorthin gelangen“ könnte, dann wäre er „gesund“. Im selben Brief befasst sich Broch auch mit einem Gedicht, das ihm Burgmüller geschickt hat. Er geht damit hart ins Gericht. Zwar räumt er ein, dass er „als Fünfzigjähriger die Gedichte der neuen Generation“ womöglich nicht mehr verstehe, trotzdem sei er mit dem Gedicht „noch lange nicht einverstanden“. Denn „im Vorfrühlingsmittag spielt Ihnen Ihr einfühlendes unbewusstes Gedächtnis arge Streiche, da spuken Ihnen fremde Gedichtsphrasen wie Gassenhauer im Kopf herum“. Broch versucht, dem Gedicht Burgmüllers das Pathos zu nehmen (und bezeichnet diesen
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Versuch gleich als „Witz“, aber wohl nur, weil ihm das Ganze ein bisschen unangenehm ist und er nicht als der große Alleskönner erscheinen möchte), indem er ihm vor allem die Vergleiche nimmt („denn der Vergleich muss in sich ruhen“). Schade, dass das Original nicht vorliegt. Brochs Version jedenfalls geht so: Widerschein vom müden Tage sind die Fenster bleich entglommen und mit einem Flügelschlage ist die Dämmerung gekommen. Weich und grau wird schon die Straße strauchverdunkelt ist der Zaun, aber alle Himmelsmassen träumen türkisgrünen Traum blassen zu den Trauerfernen weißumwölkt des Mondes Stein: und die trüben Gaslaternen surren mild den Abend ein. Der Brief endet mit „Schluss für heute. Ich dürfte überhaupt keine Briefe mehr schreiben.“ „Vom Kirchturm unten tönte es zehn herauf. Das Meer des Morgens war aus dem Tal gewichen, grün liegt das bebaute Land in der Tiefe, dunkler im Grün dort, wo die vielen Almbächlein zueinanderstrebend das Gefilde durchziehen, dunkler im Grün nun auch schon die Obstgärten des Unterdorfs und die waldbestandenen Höhen des jenseitigen Talufers, und von den verstreuten Gehöften klingeln die Kuhschellen herauf.“ Lässt sich an diesem Ausschnitt aus der Verzauberung der Inntal-Blick erkennen? Gewiss, wenn man will. Doch es ließe sich auch Fiss erkennen oder Stummerberg oder eine Landschaft im Wallis oder im Engadin. Eine fast vergebliche topographische Spurensuche im Roman. Auf den Wanderkarten sucht man erfolglos den Rauhen Venten. Vent gibt es in Tirol und manche Gipfel, die in ihrem Namen ein „Rauher“ führen. Und wenn Broch schon Wenns kannte, dann wird er sich dort den Venet als Namensgeber für den Kupproner Rauhen Venten ausgesucht haben. Oder auch nicht. Das Plombenter Tal findet man nur im Buch, auf der
Karte dafür ein Mühltal, ein Köhlertal, ein Geiernest. Broch tat alles, um keine Verortung des Roman-Schauplatzes in der Wirklichkeit zu ermöglichen. Kuppron ist ein modellhaftes Pars pro Toto, als Besonderheit mag es den aufgelassenen Bergbau haben, natürlich auch etwas, was es in Mösern nie gab. Wer Hans Leberts grandiosen Roman Die Wolfshaut kennt, weiß, wie sehr die Schilderung des Wetters eine Geschichte fast schon zu tragen vermag. Auch in der Verzauberung gibt es Wetter, das nicht nur ist, sondern das beschrieben wird. Und wer im Laufe eines Wetterjahres mehrmals in Mösern ist, wird vieles von dem wiederfinden, was im Roman steht: einen Himmel aus stählerner Seide, weiche, weiße Wolken, die sich an ihn schmiegen, weiche Wolkengebirge, zwischen denen die Sterne erscheinen, wenn der föhnige Septemberwind weht, Regen, der rasch wieder abflaut und bloß einen leichten Dunst zurücklässt, der in den Wärmestunden des Tages aufsteigt, das Grün der Berge verdeckt, die Kühle des Herbstes und seine Wärme, die herbstliche Trockenheit, des Herbstes Weichheit und sein Licht. Kein Winterwetter? Doch, natürlich auch Winterwetter: „Alles war vergessen. Der Schnee hatte es zugedeckt. Mit einem Schlag war der zurückgedrängte Winter wieder hervorgebrochen, mit einem Schneegewitter war er über die Kuppronwand, hinter der er sich verborgen gehalten hatte, wieder ins Tal herübergesprungen, zwei Tage und zwei Nächte fielen die Flocken, und als der Wind dann wechselte und von Norden blies, da strahlte die Sonne über einer Landschaft, in der auf silberweiß polierten Straßen die Schlitten Weihnachten zurückklingelten.“ Die Romanszenen sind in das Wetter eingebettet, kein Wunder, ist doch Mösern / Kuppron ein Ort, den sich auch ein professioneller oder auch nur ein passionierter Wetterbeobachter aussuchen würde für sein Schauen: freier Blick nach Westen, von wo in unseren Breiten das Wetter in der Regel kommt, ein weiter Horizont. Die Suche nach topographisch in der Realität festmachbaren Schauplätzen des Romans scheitert, die nach meteorologischen Zuständen und Abläufen nicht
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(wie auch!). Finden wir in den Namen der handelnden Romanfiguren Ähnlichkeiten mit dem wirklichen Mösern? Dort heißen die Menschen Kratzer und Haselwanter, Neuner und Trois, Heidkamp, Putz und Klotz. Und wahrscheinlich auch Seelos, denn Seefeld ist nicht weit. Die Romanfiguren heißen Gisson und Lax, Suck und Sabest, Krimuß, Hulles und Johanni. Und Bergmathias, aber das ist nur ein Rufname. Ein Fremder, der eines Tages in Kuppron auftaucht, heißt Ratti. Er bringt das Unheil. Niemand in Mösern wird seine Vorfahren oder gar sich also wiedererkennen, auch hier hat Broch jedes Anstreifen am Tatsächlichen vermieden. Ratti, Marius Ratti, bringt also das Unheil. Er ist einer von außerhalb, der, wie Broch in einer Inhaltsangabe der Verzauberung schreibt, in dieses „Primitiv-Dorf“ kommt, das aus der alten Knappensiedlung OberKuppron und dem Bauerndorf Unter-Kuppron besteht. Für die Unterdörfler sind die „Insassen“ (so Broch) des Oberdorfs minderwertige Menschen, denn Knappen können niemals richtige Bauern sein. Auch nicht die Nachkommen von Knappen können das. Marius Ratti werden anfangs keine Sympathien entgegengebracht, in seiner Schrulligkeit und wegen seiner pseudo-mystischen Ideen von der „Heiligkeit der Erde“ und von der „Bezwingung des Berges“ wirkt er, ganz im Gegenteil, abstoßend auf die Kupproner. Doch nach und nach bringt er sie auf seine Seite, ganz besonders die jungen sind zunehmend fasziniert von seinen Ideen, vor allem von jener, das aufgelassene Bergwerk wieder in Betrieb zu nehmen, weil aus dem Berg durchaus noch Gold zu holen sei. Darin, dass besonders die jungen Kupproner Ratti verfallen, folgt Broch, wie der Literaturwissenschaftler Bernhard Fetz feststellt, der „Realität faschistischer Jugendbewegungen“. Die „Verführungskraft demagogischer Heilssprecher“ wirke ganz besonders bei jungen Menschen. Genau so ein Heilssprecher ist Ratti, der mit der Zeit das ganze Dorf in seinem Bann hat. Auch die Älteren folgen Ratti, weil einige Großbauern aus dem Unterdorf, wenn sie ihn unterstützen, ihren eigenen Nutzen sehen. Nun beginnen in allen Kuppronern heidnische und mythologische Vorstel-
lungen aufzubrechen, „alle sadistischen Triebe“, wie Broch schreibt, „brechen hervor“, denen die Gegenspielerin Rattis, eine alte und weise Frau, die die Prinzipien der Güte und Humanität verkörpert, zum Opfer fällt. Vom Geschehen lässt Broch seinen Erzähler, der, obwohl er anfänglich der größte aller Ratti-Kritiker ist, selbst dem allgemeinen Taumel verfällt, in Form von Tagebucheintragungen berichten, trotzdem ist der Roman kein eigentlicher Tagebuch-Roman, wohl aber eine Variante davon. Der Erzähler schreibt, sich zurückerinnernd, die Ereignisse bestimmter Tage eines gewissen Zeitraums nieder und stellt dieses Niedergeschriebene dann zu einem Buch zusammen. In zehn der 14 Kapitel des Romans wird jeweils das Geschehen eines einzigen Tages erzählt, in vier Kapiteln das von zwei Tagen. „In dem Roman habe ich versucht, das deutsche Geschehen mit all seinen magischen und mystischen Hintergründen, mit seinen massenwahnartigen Trieben, mit seiner ‚ nüchternen Blindheit und nüchternen Berauschtheit ‘ in seinen Wurzeln aufzudecken, d. h. nicht abzukonterfeien, sondern es auf eine dichterisch einfachste Formel zu bringen, um solcherart das eigentlich Menschliche, wie es aus den Tiefen der Seele und ihrer Naturverbundenheit aufsteigt, zum Ausdruck zu bringen.“ So fasst Broch 1941 seine Intention, die er mit der Verzauberung verfolgt habe, zusammen. Das Kunstdorf Kuppron diente ihm dazu als Bühne. Als Broch im Exil gefragt wurde, ob er Heimweh habe, meinte er: „Noch einmal im Leben möchte ich auf einer österreichischen Bergwiese liegen. Das ist das Einzige, was ich mit der Heimat verbinde.“
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„Es geht immer alles wieder weiter.“ Am 19. April 1940 wurden im Südtiroler Kastelruth 37 Familienoberhäupter von den italienischen Carabinieri verhaftet und wegen illegaler Tätigkeit zur „Sofortauswanderung“ binnen 24 Stunden gezwungen. Einer ihrer Anführer, Hans Scherlin vom Schulmeisterhof, ließ sich mit seiner Familie im Tiroler Dorf Erl nieder, wo er den bis heute bei Besuchern aus nah und fern bekannten Gasthof „Blaue Quelle“ errichtete. Eine Wirtshaus- und Familiengeschichte zwischen italienischem Faschismus, NS-Regime und Wiederaufbauzeit. Von Eva Pfanzelter
Wer heute im traditionsreichen Passionsspielhaus oder im modernen Festspielhaus im tirolerischen Erl nahe der bayrisch-österreichischen Grenze dem Kulturgenuss frönt, kommt früher oder später unweigerlich an der daneben liegenden blauen Quelle vorbei. Der kristallklare, aquamarinblaue Weiher steht unter Naturschutz und ist der Ursprung des Baches durch den Mühlgraben. Früher wurde das Wasser der Quelle zum Kühlen der Bierfässer in die Brauerei beim Gasthof „Mühlgraben“ geleitet. Diese befand sich nur wenige Meter entfernt in der heutigen „Flössermühle“. Den Namen erhielt das Gebäude allerdings erst nach 1945 von den neuen Besitzern, der Familie Scherlin. Er sollte ein Andenken an den Vater von Elisabeth Scherlin, den alten Flössermüller Wastl aus Kastelruth in Südtirol, sein. Auch das Gasthaus wurde umbenannt: Als „Blaue Quelle“ wurde es nicht nur zum kulinarischen Treffpunkt für Besucher des Ende der 1950er wieder aufgebauten Passionsspielhauses, sondern auch Angelpunkt eines regen, nachhaltigen Austausches zwischen Nord- und Südtirol. Die heutigen Besitzer der „Blauen Quelle“ sind Nachfahren von Lies und Johann Scherlin (1904–1996) vom Schulmeisterhof in Kastelruth. Hans lernte seine zukünftige Frau, die Lies vom Stampfeterhof, 1922 kennen. Im Februar 1926 war Hochzeit und das Ehepaar zog in das bäuerliche Anwesen, das Hans 1919 völlig heruntergekommen von seinem Vater übernommen hatte. Tatkräftig unterstützt von seiner jungen Frau sanierte sich der Landwirt, sodass die Hofstelle, idyllisch gelegen inmitten nährreicher Felder am Fuße des Dorfes und mit einem einzigartigen Blick auf den Schlern, bald zu den reichsten Bauernhöfen Kastelruths gehörte. Aus der Ehe gingen zwischen 1927 und 1945 neun Kinder hervor, acht davon überlebten.
Doch das Leben für die ehemals Tiroler Bauern wandelte sich in der Zwischenkriegszeit erheblich. Lies Scherlin schreibt in ihren Erinnerungen: „Italienische Besetzung war da, da hieß es vorsichtig sein! Die Amtspersonen waren nun die Italiener. […] Aber die Gasse war leer von Menschen, die Bauern verschwanden in ihren Häusern! Langsam hatten auch wir Kinder schon mitbekommen, was dies alles zu bedeuten hat, und daß wir uns ruhig zu verhalten hatten.“ Das Programm des faschistischen Italien für die deutsche Minderheit in Südtirol hieß Italianisierung, also eine rigorose Einschränkung alles Deutschen, und Majorisierung, also Zuwanderung aus dem Süden. Die Reaktionsmöglichkeiten der Minderheit waren begrenzt. Ausgeschlossen von politischer und öffentlicher Partizipation radikalisierten sich vor allem politisierte Jugendschichten. Gleichzeitig kam es zu einer politischen Umorientierung: Aus dem K.-u.-k.-Monarchismus wurde ein radikalisiertes Tirolertum. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 erhielten diese verschiedenen Strömungen bald eine einheitliche, deutschnationale Ausrichtung am „Tausendjährigen Reich“. Politisch sammelten sich die unterschiedlichen Widerstandsbünde 1934 im Völkischen Kampfring Südtirols (VKS), der illegalen NS-Bewegung. Spätestens 1938 übernahm er die ideologische Führung der Minderheit. Die Mitglieder der Familie Scherlin erlebten die Phasen der Italianisierung unterschiedlich. Sohn Gottfried (1927–2005) und Tochter Notburga (Burgl, geb. 1928), später auch Elisabeth (Lisl, geb. 1929) und Anna (geb. 1931) besuchten den italienischen Kindergarten, danach die italienische Volksschule. Italienisch lernten die Kinder recht schnell, doch im Elternhaus waren die Sprache und die damit einhergehende Kultur verpönt.
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Die Eltern bemühten sich im Gegenteil, den Kindern durch die illegale „Katakombenschule“ ein Minimum an Deutschkenntnissen beizubringen. Mutter Lies nutzte indes den aufkommenden Italien-Tourismus, um die obere Stube an italienische Sommerfrischler zu vermieten. Vater Hans jedoch begann zunehmend zu politisieren. Ab 1938 nahm er an illegalen Treffen „treugesinnter Männer“ aus Kastelruth teil, die oft vom künftigen Präfekten, dem Kastelruther VKS-Leiter und „Volksgruppenführer“, Peter Hofer, geleitet wurden. Dann kam das Abkommen über die Umsiedlung vom 23. Juni 1939 zwischen Berlin und Rom, in dem die Aussiedlung der deutschsprachigen „Elemente“ aus Südtirol beschlossen wurde. „Option“ wurde das genannt, da die Südtiroler die Wahl, also die Option haben sollten, entweder in Italien zu bleiben oder ins Deutsche Reich abzuwandern. Die VKS-Führung beschloss am 15. Juli die geschlossene Abwanderung der deutschen Minderheit aus Italien. Es begann ein Propagandafeldzug bis dahin ungekannten Ausmaßes, an dessen Ende die Menschen in Südtirol untereinander völlig zerstritten waren. Bis 31. Dezember 1939 stimmten etwa 86 Prozent der Südtiroler für die Abwanderung ins Deutsche Reich. In Kastelruth folgten die Menschen dem Ruf der Propagandisten: In der Dorfchronik sind 91,3 Prozent, in der Pfarrchronik 95 Prozent Deutschlandoptanten niedergeschrieben. Dennoch wurden die Treffen der ehemals Illegalen weiter abgehalten. Immer wieder ging es dabei um Strategien, wie die Auswanderung trotz oder gerade wegen der Optionsergebnisse hinausgezögert bzw. vielleicht sogar verhindert werden könne. Viele der Treffen fanden im Schulmeisterhof statt. So auch eines am 19. April 1940: 37 Familienoberhäupter trafen sich zu einer politischen Versammlung in der oberen Stube. Einer der Anwesenden brachte ein Schreiben mit, in dem es um eine Gesamtanklage Mussolinis und Hitlers ging. Doch das Treffen war vermutlich verraten worden, denn italienische Carabinieri stürmten die Versammlung und verhafteten die Anwesenden. Hans Scherlin beklagte später oft, dass einer der Männer mit dem Schriftstück in der Hand neben dem Ofen gestanden, es jedoch verabsäumt habe, das inkriminierende Schreiben zu verbrennen. Die Verhafteten wurden am
nächsten Tag wieder entlassen, durften aber nur für kurze Zeit nach Hause zurück. Ein paar Tage später gaben die Carabinieri öffentlich auf dem Dorfplatz die Ausweisung – „Sofortabwanderung“ wurde das genannt – der Männer binnen 24 Stunden und die Konfiszierung ihrer Güter bekannt. Eine letzte Nacht verbrachten sie bei ihren Familien, am folgenden Morgen mussten sie im Gasthaus „Rössl“ im Dorfzentrum bei der Wertfestsetzungskommission die Übergabe ihrer Besitztümer besprechen. Da es sich bei den Verhafteten zum Teil um einflussreiche Vertreter unterschiedlicher Berufe handelte – die Müller, Bauern, Schmiede, Tischler, Arbeiter und Angestellten waren zwischen 19 und 79 Jahre alt – fuhr die italienische Verwaltung an jenem Morgen mit schwerer Bewachung auf: Sogar ein Maschinengewehr wurde auf dem Kirchturm aufgestellt. Danach wurden die Männer mit unbekanntem Ziel abtransportiert. In der letzten deutschsprachigen, von den faschistischen Behörden herausgegebenen Alpenzeitung war zu lesen: „Wegen Verkennung ihrer Pflicht – Achsenstörung – wurden die Männer evakuiert.“ Die Ausweisung war also offenbar in Einvernehmen zwischen deutschen und italienischen Behörden erfolgt. Hans Scherlin und seine Mitstreiter kamen zuerst nach Innsbruck, dann ins Stift Stams. Hans besuchte im Herbst 1940 Kurse in der Landwirtschaftsschule in Rotholz und wurde so zum „Landwirtschaftlichen Sachverständigen“. Im Sommer 1941 erhielt er eine Stelle als „Treuhänder und Wirtschaftsberater“ beim Reichsnährstand in Innsbruck. Mutter Lies Scherlin konnte ihren Mann in dieser Zeit ein paar Mal besuchen, hie und da gingen einige der Männer auch illegal über die Grenze ins Heimatdorf. Die älteren Kinder holte Hans Scherlin nach Nordtirol: Burgl und Anna kamen in die Hauptschule nach Pfaffenhofen, der älteste Sohn Gottfried in die Landwirtschaftsschule nach Rotholz. Hans selbst wohnte im „Österreichischen Hof“ in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck und war für die Entschuldung von Höfen in Tirol zuständig. Obwohl das Deutsche Reich an einer Unterstützung der in Tirol hoch verschuldeten Bauernschaft interessiert war, wurde dabei jedoch nicht allen Landwirten geholfen: Manche Höfe wurden von den NS-Behörden übernommen und meist zunächst in Pachtverträgen, oft auch zu einem geringen Kaufpreis
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vorzugsweise Südtiroler Optantenfamilien zugeteilt. Hans Scherlin erhielt im März 1942 von den italienischen Behörden den Bescheid über die Enteignung des Schulmeisterhofes zu einem Gegenwert von 450.000 Lire. Zeit seines Lebens war Scherlin verbittert über diese „schuftige Ablöse“ seines Heimatgehöftes, für das er glaubte, auf dem freien Markt leicht das Doppelte erzielen zu können. Für die Familie Scherlin bedeutete die Enteignung, dass sie sich jenseits der Brennergrenze eine neue Heimstätte suchen musste. Als Treuhänder kannte Hans die Möglichkeiten, die den Auswandernden zur Verfügung standen. Deshalb ließ er seine Frau mehrfach nach Nordtirol kommen, einmal fuhr das Ehepaar ins Sudetenland, ein anderes Mal nach Oberösterreich. Schließlich besichtigte das Ehepaar eine armselige Hofstelle nahe der bayrischösterreichischen Grenze, den Mühlgraben in Erl. Die Gebäude waren in einem katastrophalen Zustand, der Besitz vernachlässigt. Dennoch fiel beim Mittagessen im nahe gelegenen Gasthaus „Schachner“ die Entscheidung zum Kauf des Anwesens. Mutter Elisabeth Scherlin schrieb dazu in ihren Erinnerungen: „Das hat mir […] so gut gefallen und wohl auch die ganze Umgebung hat mia so schian deucht, weils halt a bißl Tirol no war, mit ebane Wiesn, und das Kaisergebirge nicht weit von Erl is so wunderschean und tuat a bißl hoamalan. Und die Blaue Quelle is a so was schians!“ Dann ging es in Kastelruth ans Zusammenpacken: Der Tischler verschlug Möbel, zimmerte Kästen und Truhen, Koffer wurden gepackt. Die Habseligkeiten wurden vorausgeschickt, die Familie blieb im beinahe leeren Haus zurück. Noch einmal wanderte Mutter Lies mit den Kindern über den Puflatsch auf die Seiser Alm, die Mädchen gingen ein letztes Mal auf den Schlern, scherzten und beteten, dass ihnen die Abwanderung erspart bliebe. Die letzte Nacht verbrachten die Familienmitglieder bei unterschiedlichen Verwandten, dann kam am nächsten Tag der tränenreiche Abschied vom Dorfplatz. Mit dem Postauto fuhr Mutter Scherlin mit den vier jüngeren Kindern und leichtem Gepäck nach Waidbruck und mit dem Zug weiter nach Innsbruck. Mit Datum vom 11. November 1943 und abgestempelt in Innsbruck erreichte die Schwestern Burgl und Anna im Internat in Pfaffenhofen dann eine Postkarte, in der die Mutter die Mädchen anwies, in den nächsten
Ferien in die neue Heimat nach Erl zu kommen, in die sie sich soeben mit den beiden Töchtern Lisl und Giuliana (genannt Juli, geb. 1934) sowie den Söhnen Hans (geb. 1937) und Sepp (geb. 1939) auf den Weg machte. Über die Ankunft in Erl erzählen die Mutter und die Geschwister ausnahmslos, dass es sich um einen kalten, trüben, regnerischen Tag gehandelt habe und die künftige Heimat somit keinen guten ersten Eindruck machte – ob diese Beschreibungen überdies den Gemütszustand der Familie wiedergaben, bleibt der Interpretation überlassen. Die Aufnahme der Familie in Erl war ambivalent: Die angekauften Gebäude im Mühlgraben waren verpachtet, doch die Pächterin des Gasthauses „Mühlgraben“ bot der Familie Unterkunft und Verpflegung an und die unmittelbaren Nachbarn halfen tatkräftig beim Einrichten einer Wohnung. Andererseits hatten wohl andere Dorfbewohner den Kamin in der oberen Stube im Metzgerhaus, die die Familie im Herbst 1943 schließlich bezog, zugemauert. Die Kinder wurden wegen ihres Dialektes im Dorf gehänselt, besonders Tochter Juli hatte es in der Schule nicht leicht. Mutter Lies litt lange Zeit unter entsetzlichem Heimweh. Zuerst richtete die Familie das Gasthaus her. Die „historische Gaststätte am Ende von Tirol“, wie über dem Hauseingang geschrieben stand, war in einem desolaten Zustand und musste von Grund auf renoviert werden. In Abwesenheit von Vater Hans und Sohn Gottfried, die beide in die Wehrmacht eingezogen worden waren, brachte der Rest der Familie das Haus notdürftig in Stand, betrieb eine bescheidene Gastwirtschaft und bearbeitete den Hof. Ein wirklicher Neuanfang für die Familie in Erl war allerdings erst einige Zeit nach Kriegsende möglich. Dabei sollte sich als Glücksfall erweisen, dass die einziehenden Amerikaner ausgerechnet die Scherliner Felder zum Aufschlagen ihrer Lager zugewiesen bekamen: So wurde das Gasthaus zum Treffpunkt nicht nur für die Besatzer, sondern auch für die Jugend aus dem Dorf. Bevor sich die Lage allerdings vollends stabilisierte, sollte es zu Problemen wegen der Übernahme des Gebäudeensembles am Mühlgraben kommen. Die ehemalige Besitzerin, Viktoria Huber, war mit dem Gasthaus 1936 in Konkurs gegangen und 1942, angeblich wegen ihres unsteten Lebenswandels, inhaftiert sowie ihr Hab und Gut veräußert worden. Nach 1945 stand ihr damit
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als „politischer Häftling“ Wiedergutmachung zu und sie verlangte die Rückgabe des Besitzes. Nach zwei Jahren kam es zu einem Vergleich, die Klägerin erhielt ein größeres Grundstück und eine Ablöse. Danach ging es kontinuierlich bergauf: Der Gasthof „Blaue Quelle“ wurde von Grund auf saniert, Gästezimmer kamen hinzu und bald schon war er ein beliebtes Ausflugsziel, in das vor allem Mutter Lies viel Energie und Herzblut steckte. Eine Rückkehr nach Südtirol war für Familie Scherlin aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich. Unmittelbar nach Unterzeichnung der Rücksiedlungsabkommen 1948 suchte Hans um die italienische Staatsbürgerschaft an – sie wurde ihm verweigert, ebenso eine Entschädigung des Besitzes in Kastelruth. Der nun volljährige Sohn Gottfried erhielt die italienische Staatsbürgerschaft zwar problemlos, gleichzeitig ereilte ihn jedoch die Einberufung zum italienischen Militärdienst. Da er zudem in Erl gerade mit dem Bau eines Hofes begonnen hatte, war ein Rückkauf des von italienischen Behörden verpachteten Schulmeisterhofes in Kastelruth aus finanziellen Gründen unmöglich. So blieben die Scherlins in Erl, das Gasthaus „Blaue Quelle“ wurde ihr Lebensmittelpunkt. Für die älteren Kinder hatte Kastelruth als zweite Heimat jedoch weiterhin Bestand. Es gab wohl kaum einen Markttag auf der Seiser-Alm, den Gottfried versäumte, wobei er Freunden und Verwandten, die er aus Erl zu diesen Ausflügen in seine alte Heimat mitnahm, einzigartige und gern erinnerte Erholungszeiten bescherte. Burgl wiederum erbte ein Wohnrecht in einem Haus am Rande von Kastelruth. Die Wohnung diente lange Jahre den Geschwistern und deren Nachkommen als Urlaubsort. Andererseits wurde die „Blaue Quelle“ in Erl zur unvermeidlichen Einkehrstation für Kastelruther Vereine, vom Kirchenchor bis zur Musikkapelle, auf ihrem Weg nach oder von Deutschland. Vater Hans blieb allerdings Zeit seines Lebens unversöhnlich: Die faschistische Herrschaft über Südtirol, die Zeit der Option, die Enteignung des Schulmeisterhofes und die Ausweisung ins Bundesland Tirol konnten weder die privaten Erfolgsgeschichten der Familie, noch die Autonomie für Südtirol, noch das Wegfallen der Grenze durch den EU-Beitritt Österreichs 1995 wettmachen.
Wer heute ins Gasthaus „Blaue Quelle“ kommt, wird von der dritten Generation Scherlin, der Familie von Enkelin Gaby, versorgt. Auf der Speisekarte stehen nach wie vor der „Südtiroler Bauernsalat“ oder die „Südtiroler Schlutzkrapfen“ und wenn man Glück hat, bekommt man als Nachspeise „Kastelruther Krapfen“ serviert. Im Herbst findet traditionelles Südtiroler Törggelen statt, die „Südtiroler Wochen“ sind kulinarisch weithin bekannt und beliebt. Und obwohl nicht immer ein Südtiroler Wein auf der Empfehlungsliste des Koches steht, finden sich nach wie vor Jahrgangsausflügler aus Kastelruth gern im Gasthaus ein, ebenso wie die Altherren-Mannschaft von Erl oft zum Jahresausflug nach Kastelruth fährt. Nicht nur einmal ist es aufgrund des regen Austausches zu weiteren Hochzeiten zwischen jungen Frauen und Männern aus Kastelruth und Erl gekommen. Vielleicht zeigt diese Familiengeschichte der Scherlins viel mehr, als Mutter Lies in ihren Erinnerungen resümiert, wenn sie meint: „Es kann nichts stehen bleiben. Es geht immer alles wieder weiter.“ Vielleicht zeigt diese Migrationsgeschichte, dass trotz faschistischer Diktaturen und rechtspopulärer Nationalismen auch jene, die opportunistisch zum Menschenmaterial degradiert werden, Botschafter eines Landes in einem anderen Land werden und umgekehrt. Und das ist durchwegs als Bereicherung zu werten.
Literatur: Pfanzelter, Eva, Die Option der deutschen Minderheit in Südtirol 1939, in: Dies., Option und Gedächtnis. Erinnerungsorte der Südtiroler Umsiedlung 1939, Bozen 2014, S. 9–45. Pfanzelter, Eva, Interviews mit vier Töchtern von Johann und Elisabeth Scherlin: Notburga Scherlin, Elisabeth Kronthaler, Anna Mair und Giuliana Hüttner, am 3.7.2013, abgehalten in Erl, Aufnahmen und Transkriptionen im Besitz der Autorin. Scherlin, Elisabeth geb. Rabanser, Lebenslauf Kastelruth und Erl. Erinnerungen aufgezeichnet um 1971. Maschinengeschriebenes Manuskript, 54 Seiten. Seberich, Rainer, Vom alten zum neuen Kastelruth. Kastelruth 1850–1927. Aus dem Leben einer Tiroler Gemeinde, in: Gemeinde Kastelruth. Vergangenheit und Gegenwart, Red. Josef Nössing, Kastelruth 1983, S. 305–334.
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Brenner-Gespräch (12): „Das Eigentliche, das Geheimnis, geht verloren.“
So viele Leute fahren über die Alpen nach Italien. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 12: Die Komponistin und Musikerin Iris ter Schiphorst erzählt im Gespräch mit der Dramaturgin Helga Utz von virtuellen Glücksgefühlen, fehlenden Probenzeiten und dem Don-Giovanni-Phänomen in der Neuen Musik.
Helga Utz: Du blickst jetzt schon auf Jahrzehnte im sogenannten Musikbetrieb zurück. Was wundert dich am meisten?
neuer Ismen – wie man es beim sogenannten „Neuen Konzeptualismus“ sehr schön beobachten kann. H. U.: Was würdest du dir anders wünschen?
Iris ter Schiphorst: Ich finde im Moment interessant, dass die junge Generation der männlichen Komponisten sich zu Netzwerken zusammenschließt und die momentane Diskussion bestimmt. Mit den Begriffen „Diesseitigkeit“ und „Neuer Konzeptualismus“ gibt es eine Schiene, die auf das Feuilleton des Musikbetriebs, aber auch zunehmend auf die Programmierung zugreift. H. U.: Worauf führst du das zurück? I. t. S.: Es gibt eine starke Sehnsucht, sich vom Erbe der großen deutschen Musik zu befreien. Offenbar erzählt diese Musik nichts mehr, was die ganz junge Generation, die sogenannten „digital natives“, anspricht. Die neue „Neue Musik“ soll mit den eigenen Lebenswelten vernetzt werden, man will ihr – und damit sich selbst – mehr Bedeutung geben. Man will einerseits die Selbstreferenzialität aufbrechen und steht andererseits der konsequenten Entwicklung in der Musik des 20. Jahrhunderts ambivalent gegenüber. Da gibt es einen großen Widerspruch. Fast alle dieser jungen Komponisten bezeichnen sich als „Söhne“ von Helmut Lachenmann, Nicolaus A. Huber, Brian Ferneyhough oder Matthias Spahlinger. Zugleich beharren sie auf ihrem Eigenen und propagieren den turn hin zu ihren digitalen „alltäglichen“ Lebenswelten. Das wird zum Teil sehr programmatisch formuliert, bis hin zum Ausrufen
I. t. S.: Mehr kontroverse inhaltliche Debatten und weniger Wettbewerb um Distinktionsgewinne, weniger Abgrenzung, trotz des heftigen Kampfs um Ressourcen. Was mich betrifft: Gegen den momentanen Trend im Diskurs der Neuen Musik, alles semantisieren zu wollen (und zu sollen), versuche ich herauszufinden, ob man nicht doch in den Bahnen des Klanglich-Phänomenologischen weiterdenken kann. Es scheint ja so zu sein, dass dem Klanglich-Phänomenologischen heute nicht mehr getraut wird. Die Diesseitigkeitskomponisten und auch die Neuen Konzeptionalisten suchen das Musikalische durch das Semantische abzusichern. Aber das Semantische kann im Kontext von Kunst oder Musik auch schnell ins Pädagogische abrutschen – man will zu verstehen geben. Ich finde das sympathisch, kann dem aber für meine Arbeit nicht viel abgewinnen. Ich setze eher auf Verstören: Kunst oder Musik als Irritation der eigenen (scheinbar gesicherten) Wahrnehmung, der Gefühle etc. Ich glaube, dass darin eine Möglichkeit liegt, für Anderes, für Unbekanntes – auch im Selbst – zu sensibilisieren. H. U.: Wie siehst du dich als Komponistin? Als Schöpferin von Musik? I. t. S.: Ich nehme wahr. Ich höre, ich sehe, ich lese, ich denke, ich suche, ich sammle Klänge. Das bringt mich
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an den Tisch oder zum Aufnahmegerät oder an den Computer. Mich interessieren Klänge und ihre Kontexte, ich arbeite gern mit Musikern und frage mich, was das Erbe dieser bürgerlichen Kunst namens Musik heute sein könnte. Meine letzten Stücke tragen alle den Untertitel „Die Aufgabe von Musik“, natürlich ist das mehrdeutig gemeint. H. U.: Was hältst du selbst für dein wichtigstes Stück? I. t. S.: Für meinen „Eintritt“ in die Gemeinde der Neuen Musik war meine Ballade für Orchester: Hundert Komma Null (1999) ganz sicher ausschlaggebend. DISLOKATIONEN für Orchester, Solo-Klavier und Sampler (2006–2008) halte ich persönlich für mein wichtigstes Stück. H. U.: Du erwähntest vorher Deutschland – wie national oder international schätzt du denn die Szene der Neuen Musik ein? I. t. S.: Sicher gibt es in Frankreich oder Italien eine spezielle Ästhetik, die durchschlägt, aber viel gravierender ist der Abstand zu Osteuropa. Ich höre von Kollegen, z. B. von Uros Rojko, dass es sich dort ganz anders darstellt; beim Warschauer Herbst zum Beispiel werden die Stücke offensichtlich nach völlig anderen Kriterien selektiert und wohl auch anders wahrgenommen als zum Beispiel, sagen wir, in Witten. Wir im deutschsprachigen Raum – ich glaube, man kann Österreich da weitgehend einbeziehen – sind massiv geprägt durch die deutsche Geschichte und die Schlüsse, die wir daraus gezogen haben. Die Katastrophen, die Tabula rasa nach 1945 und der Neuanfang, der Serialismus – das alles wirkt immer noch.
an. Ich bin auf Umwegen zur Komposition gekommen und diese Umwege sind sicher auch bezeichnend. Ich habe mich viel mit Philosophie auseinandergesetzt und mir immer wieder die Frage gestellt: Wie kann man im späten 20. oder 21. Jahrhundert über Musik nachdenken? Wie kann man das, was zum Beispiel der Dekonstruktivismus in Bezug auf Literatur, Gesellschaftstheorien oder Philosophie gedacht hat, in Bezug auf Musik denken. Viele Dinge waren mir dadurch von vorneherein suspekt, anderes hat mich wieder sehr in den Bann gezogen. Besonders der Widerspruch war faszinierend, dass sich ein spannender Diskurs beim Hören nicht gespiegelt hat, oder auch umgekehrt, dass ich etwas phänomenologisch interessant fand, was aber vom Diskurs nicht unterstützt wurde – das alles war für meine Auseinandersetzung ein starker Motor. Mir haben Dinge gefallen, die in den 1980er-Jahren überhaupt nicht angesagt waren. H. U.: Kannst du Beispiele nennen? Du lachst? I. t. S.: Ja, mir fällt ein, man sagt in Bezug auf die Achtziger: Wer sich daran erinnern kann, war nicht dabei! Also ich kann mich sehr gut erinnern. Mir hat damals z. B. das Stück Kontakte 1 von Stockhausen gut gefallen, ich fand es ein geniales Stück, auch wie es notiert war, es hat mich zutiefst inspiriert. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass es dieses Stück war, das mich dazu gebracht hat, selber in diesem „Genre“ zu komponieren. Und Stockhausen war damals alles andere als angesagt. H. U.: Und diese Faszination hat bis heute gehalten?
H. U.: Und lebst du kulturell in deutschen Zusammenhängen?
I. t. S.: Sicher. Ich finde Kontakte nach wie vor gut! Oder auch: Mikrophonie 2, das halte ich nach wie vor für ein starkes Stück! Von der ganzen Idee her und was da klingt.
I. t. S.: Ja, obwohl ich das mit einer gewissen Distanz betrachten kann, mir haftet durchaus ein fremder Blick
H. U.: Wenn du über Diskurs sprichst – der war ja in den Achtzigern viel präsenter!
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I. t. S.: Ja und nein. Einen Diskurs gibt es heute auch, es gibt provokante Thesen, die Neue Musik wird für tot erklärt, oder jemand verkündet öffentlich, aus der Neuen Musik auszutreten3 und löst damit einen für mich nicht nachvollziehbaren Hype in der Szene aus. Die Digitalisierungs-Apologeten melden sich regelmäßig zu Wort, und immer wieder kreisen bestimmte Diskussionen um Fragen nach dem Gehalt von Musik, interessante Anstöße kommen hier etwa von Harry Lehmann, wenngleich ich mit Vielem nicht übereinstimme.4 Interessanterweise wird der Diskurs zum Teil von Leuten getragen, die originär gar nicht von der Musik her kommen. Vielleicht muss man auch die Zeitschrift „positionen“ von Gisela Nauck nennen, die tapfer versucht, den Überblick zu behalten über all das, was sich in Deutschland gerade so tut. Und es gibt den „bad blog of music“, der immer lustig zu lesen ist. Manche Komponisten haben ihren eigenen Blog. Aber weißt du, was mir gerade auffällt? Es sind eigentlich fast immer die Jungs, die schreiben, sich zu Wort melden. Und (lacht) ich vergesse dabei prompt, dass ich ja beim Klangzeitort die Reihe Neue Musik im Diskurs mitkuratiere und betreue. Die Idee dieser Reihe ist, nicht die typischen Insider der Neuen Musik zu Wort kommen zu lassen, sondern einen Blick von außen auf unser Biotop Neue Musik zu gewinnen. Für uns haben bereits der Systemtheoretiker Peter Fuchs, der Soziologe Ulrich Bröckling, die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun und der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen geschrieben. Diese Beiträge kann man nachlesen auf der Homepage von Klangzeitort. 5 H. U.: Du kommst immer wieder auf das Problem der Vermittlung zu sprechen. Komponieren besteht zunächst einmal darin, die Ideen aufs Papier zu bringen, man muss dabei eine mehr oder weniger unzulängliche Notenschrift benutzen … I. t. S.: … ja, die Notation, das ist ein gutes Stichwort! Die musst du heutzutage schon dermaßen auf Vordermann gebracht haben, dafür kann keine Minute
Probenzeit verwendet werden! Selbst die großartigsten Ensembles, die führenden in der Neuen Musik, haben einen enormen Druck, es gibt wenig Zeit für Proben, anders wäre es ökonomisch gar nicht mehr machbar! Der „Betrieb“ ist wirklich einer. Der ist so geschliffen, so durchökonomisiert, dass die Kommunikation der Künstler untereinander auf das absolute Minimum heruntergefahren werden muss. Das, was stattfinden könnte zwischen Notentext, Musikern und Komponist, was zu Dingen führen würde, die vielleicht (noch) nicht notiert sind, das findet traurigerweise nicht mehr statt! Diesem Phänomen des Marktes unterliegen meiner Meinung nach alle, auch die ganz jungen Ensembles. Dazu kommt das oft beklagte Kuriosum, dass der deutsche Festivalmarkt immer nur auf das Brandneue setzt, die Uraufführung wird zum Sinn und Ziel erklärt, egal ob gut oder nicht. Das ist ein gewisses DonGiovanni-Phänomen – jede Nacht ’ne andere, ohne sich wirklich darauf einzulassen. Der Komponist darf schon froh sein, wenn er seine Komposition zu 60 Prozent so zu hören bekommt, wie er es sich vorgestellt hat. Das ist natürlich eine Bankrotterklärung und ein Abgesang auf jegliches künstlerische Tun. Die Ökonomisierung und dieses „Neu! Neu! Neu!“, ohne aber dem Neuen einen Raum zu geben, das alles lässt dem kreativen Prozess keinen Atem. Das „Fertigprodukt“ wird beim Kauf schon eingeschätzt und eingetaktet. H. U.: Die vielen schönen neuen Möglichkeiten, die sich dem Komponisten heute bieten, die erweiterten klanglichen Potenzen, die vor Kurzem noch Utopie waren, werden quasi geschluckt von der Unmöglichkeit, diese in einen kreativen Prozess umzuleiten. I. t. S.: Vor 30 Jahren war die Neue Musik viel exotischer. Heute kann man alles studieren, alternative Spielweisen und Notationen, da sind die Jungen sehr firm, alles Abfragbare, Messbare ist vorhanden – aber warum jemand komponiert, das Eigentliche, das Geheimnis, das kommt kaum vor. Seinerzeit ist man weit gereist, um ein Werk zu hören, um eine Auseinander-
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setzung führen zu können, um etwas zu erfahren oder der Schüler von jemandem zu werden. Heute wähnen wir uns in sicherem Besitz. Das gute Niveau der handwerklichen Ausbildung verhindert geradezu die Reflexion und es fördert die ökonomischen Ansprüche. Eine wunderbare Partitur abzuliefern mit originellen Spielweisen, unbekannten Instrumenten, gespickt mit der ganzen Palette an Klangmöglichkeiten, die im letzten Jahrhundert entdeckt worden sind, mit einem passenden Einleitungstext, der möglichst ein wenig provokant wirkt, das geht schnell! Hier knüpft ja auch der oben erwähnte Diesseitigkeitsdiskurs an, das muss man fairerweise sagen, der schon danach fragt, was das alles soll, was das mit unserer Lebenswelt zu tun hat. H. U.: Beneidest du manchmal Maler oder Literaten, die mit einem konkreteren Material umgehen und nicht so sehr abhängen von einer ganzen Maschinerie? I. t. S.: Bestimmt! Wobei die bildenden Künstler ja auch Umwege machen müssen, aber Literaten beneide ich sehr! Die haben auch das Privileg, dass sie viel genauer mit der semantischen Ebene operieren können. Wir Komponisten müssen um so viele Ecken denken, und man kann immer nur hoffen, dass sich das, was man sich ausdenkt, über die Schrift und den Interpreten schließlich auch vermittelt, das ist oft wie Stille PostSpielen. H. U.: Welche Rolle spielt denn das Publikum bei diesem „getakteten“ Musikbetrieb? I. t. S.: Da gibt es interessante Entwicklungen. Das Publikum wird immer jünger, die Angebote werden angenommen; meiner Beobachtung nach ist das Publikum immer weniger einheitlich, aus dem Ausland kommen immer mehr Menschen hinzu, gerade hier in Berlin scheint es eine große Neugier zu geben auf das, was stattfinden könnte. Wenn man den Begriff Neue Musik weit genug fasst, nicht unbedingt auf die klassischen Konzertreihen beschränkt, sondern auf Begriffe wie
Klangkunst erweitert, kann von Ghettoisierung, wie es lange Zeit in der Betrachtung üblich war, keine Rede sein – Klangerlebnisse aller Art sind beliebt! H. U.: Gibt es deinen ganz persönlichen Erfahrungen nach eine Diskrepanz zwischen Urteil deines direkten Publikums und den Reaktionen der Fachkreise? I. t. S.: Ich glaube, den „Fachkreisen“ war und bin ich immer noch suspekt. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, werde ich meistens als „die Rocklady“ vorgestellt, als die rockige, unkonventionelle Person, die Powerfrau, die zwar nicht so gut denken kann, aber einen frischen Blick bietet. Kein anderer Aspekt meiner Biographie wird dermaßen in den Vordergrund gerückt wie die paar Jahre, in denen ich Rockmusik gemacht habe. Die Reaktionen des „normalen“ Publikums sind vielschichtiger, das Publikum ist sowieso nicht mehr so leicht zu fassen. Die Diversität schreitet voran, jedes kleine Grüppchen hat einen eigenen Kreis, junge Komponisten haben ihr Publikum, da gibt es persönliche Bindungen und Vorlieben, die sich ideologisch offensichtlich nicht vereinnahmen lassen. Kleine unbekannte Orte sind oft rappelvoll. Das schwarzgekleidete, intellektuelle und etwas verhärmte Neue-Musik-Publikum, das einer bestimmten Richtung folgt und diese im Konsens feiert, ist in die Jahre gekommen – wobei man anerkennen muss, dass es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Leistung war, diese klassischen Stätten der Neuen Musik zu etablieren und zu verteidigen. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem die Neue Musik nur den Bedingungen des freien Marktes ausgeliefert ist und von einigen spendablen Gönnern abhängt. Ich glaube, unsere subventionierte Kunst und Musik macht – bei aller berechtigten Kritik – ein autonomes Kunstsystem überhaupt erst möglich. Bei den jungen Leuten gibt es aber darüber hinaus offensichtlich ganz andere informelle Wege. H. U.: Hast du ein Instrument, das du als Komponistin besonders liebst?
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I. t. S.: Mein Lieblings-Hass-Instrument ist sicherlich das Klavier. Ich habe das selbst studiert, meine Mutter war Pianistin, und bei uns zu Hause gingen ihre Klavierschüler ein und aus. Sie hat mich musikalisch immer unterstützt, aber eben als Dienerin von Beethoven, Brahms und Schubert. Selbst zu komponieren lag außerhalb meiner Vorstellungskraft – den völlig anderen Blick auf Musik, auf das Kreative dabei, habe ich erst in der Punk- und Rockszene erfahren. Das Klavier, um das ich mich immer wieder bemühe, hat seine besten Zeiten aber hinter sich. Gerade schreibe ich für Kontrabassklarinette, das ist ein ganz unerforschtes Instrument. Dabei kommt man in eine Forschersituation. Ich finde es anregend, was dieses Instrument klanglich möglich macht. Das Gleiche gilt für die Große Pauke, für die ich einmal schreiben will. Da schwebt mir allerhand vor. Mich fasziniert dieses Instrument, am liebsten hätte ich eine. H. U.: Und wie geht es dir mit der menschlichen Stimme? I. t. S.: Die finde ich kompliziert! Nichts finde ich schrecklicher als diesen Gesangsstil, der sich in der Schönberg-Nachfolge herausgebildet hat. Das hat natürlich alles seine historische Berechtigung, es gibt wunderbare Stücke, keine Frage, aber grundsätzlich finde ich dieses Singen ganz grauenvoll! Trotzdem denke ich viel darüber nach und versuche damit umzugehen, dass jemand, der singt, sofort zur Figur wird. Jeder Musiker ist eine Figur, und so behandle ich ihn auch, man müsste immer mit einem Musiker auch als Musikerkörper arbeiten! H. U.: Gerade arbeitest du an einem Stück, das durch Gesang bestimmt wird. I. t. S.: Ich schreibe gerade ein „Kunstlied“, bei dieser Gattung ist man konfrontiert mit der Tradition, mit dieser Menge an wunderschönen Liedern, aber die Frage ist: Wie kann man das heute machen? Was kann
das sein, ein Kunstlied, für mich, hier und heute. Diese Ungebrochenheit, die Verschmelzung von Wort und Musik, die Expression der singenden Person auf der Bühne, das funktioniert heute nicht mehr. H. U.: Letzte Frage: Was ist das Schönste an deinem Beruf? I. t. S.: Das Schönste, das muss ich zugeben, sind die Gefühle, die sich manchmal beim Komponieren einstellen, ganz starke innere Klangvorstellungen. Dieser Beruf hat so viele Höhen und Tiefen, und oft ist man in schwarzer Verzweiflung, weil man das nicht findet, was man „verklanglichen“ will. Aber es gibt eben auch diese Momente, wo man meint, man hat es entdeckt! Oft suchst du ja Tage oder auch Wochen, und plötzlich merkst du: Das ist es! Das Merkwürdige dabei ist, dass gar nichts passiert: Ich sitze am Tisch und stell mir etwas vor, und dabei überkommt mich ein solches Glücksgefühl, als hätte ich ein unwahrscheinlich tiefes Erlebnis gehabt. Hab ich aber gar nicht! Man hört es ja gar nicht, das ist ein rein virtuelles Gefühl. Es kann natürlich passieren, dass ich ein, zwei Tage später alles revidieren muss, dann war das zwar ein wunderbarer Moment, aber die Suche geht weiter. Es macht aber nichts, denn ich fühle mich dabei sehr lebendig.
1 Karlheinz Stockhausen, Kontakte für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1959 / 60) 2 Karlheinz Stockhausen, Mikrophonie I, Nr. 15 für Tam-Tam, 2 Mikrophone, 2 Filter und Regler (1964) 3 Michael Rebhahn, Hiermit trete ich aus der Neuen Musik aus; in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik, Band 22, hg. Michael Rebhahn und Thomas Schäfer, 2014 Schott Music, Mainz. Der Vortrag wurde 2012 gehalten. 4 http://www.harrylehmann.net/texte/ 5 http://www.klangzeitort.de/index.php?page=neuemusikim diskurs.html
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Tradition, Manierismus und Experiment
Zitate und deren unbewusste Ironisierung, die Entdeckung des Gefühls für Landschaft und das Haus mit dem Kometen über der Eingangstüre. Anmerkungen zum Bauen in den Bergen. Von Gabriele Reiterer
In den neunzehnhundertsiebziger Jahren entstand im Tiroler Raum plötzlich ein Faible, das vehement um sich griff. Die seltsame Grille des architektonischen Zitierens mit Fragmenten alpin-bäuerlicher Geschichte fiel in die Zeit der größten Ignoranz des traditionellen, autochthonen Bauens. Alte Bauernhäuser wurden abgetragen und Teile davon an anderer Stelle wieder aufgebaut. Eine weitere Spielart war der Einbau von altem Interieur, etwa eine ganze getäfelte Bauernstube, in ein neu errichtetes Haus. Bei diesem Phänomen handelte es sich um eine spezielle Inszenierung regionaler Geschichte. Der unbekümmerte Umgang mit traditioneller Vergangenheit spiegelte ein an Lächerlichkeit grenzendes gestalterisches anything goes, das zwischen kultureller Ignoranz und gleichzeitiger Sehnsucht nach Herkunft, Identität und Ausdruck oszillierte. Eine urban ausgerichtete Schicht inszenierte so ihr gestalterisches Spiel zwischen moderner Gegenwart und romantisierender Bezugnahme auf die regionale Geschichte. Unbekümmerte Zitate paarten sich mit der völligen Aufhebung des genius loci. Es war eine Hinwendung zur Geschichte und deren unbewusste Ironisierung zugleich. So entstanden im Tiroler Raum in den neunzehnhundertsiebziger Jahren seltsame Mischungen von alt und neu. Sie führten zu wilden Manierismen. Der freimütige Umgang mit dem bäuerlich-regionalen Erbe war eine kurzlebige, aber intensive Erscheinung des Zeitgeistes. Zitate und manieristische Spielarten waren allerdings in der Geschichte des Bauens im Tiroler Raum nichts Neues. Das Bauen im europäischen alpinen Raum ist seit jeher Gegenstand hitziger Debatten. Es ist eine Geschichte von Polaritäten, Extremen und rückblickend fehlgedeuteten baulichen Spielarten. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird die Frage nach angemessenem Bauen in den Bergen gestellt. Ging es damals eher um den entsprechenden Stil, stehen gegenwärtig auch Technologie
und ökologische Verträglichkeit im Vordergrund. Die formalästhetische Frage ist jedoch damals wie heute Anlass zu oftmals ideologisch aufgeladenen Debatten. Seit nahezu einem Jahrhundert wird vehement der Verfall der autochthonen Baukunst beklagt. Bei näherer Betrachtung stellt sich das Feld vielschichtiger dar. Neben eklektizistischen und eigenwilligen Typologien entstanden in den letzten hundert Jahren auch bemerkenswerte Beispiele herausragender Architektur. Manierismen des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben ebenso wie reformistische Spielarten und Typologien der klassischen Moderne die architektonische Besiedelung geprägt. Auch individuelle, abseits von Stilen und Trends liegende Ergebnisse formten die Geschichte und Gegenwart des Bauens in den Bergen. Ein Blick auf das letzte Jahrhundert ermöglicht ein besseres Verständnis und zeigt, dass nicht nur der Verlust traditioneller Bauweisen zu beklagen ist. Gefühl, Natur und Landschaft Die Geschichte der Architektur im Tiroler Raum ist zugleich eine Geschichte der Wahrnehmung der Natur. Bereits an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verblasste ein vormals ideales Bild, an dessen Stelle trat eine zunehmend malerische Wahrnehmung. Die „Entdeckung“ des Gefühls für Landschaft und Natur löste mit eine reformistische Bewegung aus. Der scheinbar rasenden Geschwindigkeit eines technokratischen Fortschritts wurde zivilisationskritisch die Reinheit der Natur gegenübergestellt. Allen voran lag England, da hier die Industrialisierung früh eingesetzt hatte. Auf dem Kontinent übte die Architektur noch einen distanzierten Umgang mit der Landschaft. Die Grenze zwischen außen und innen war aufrecht. Die Natur bildete eine Kulisse, ein abgezirkeltes und kontrolliertes Bild. Das historistische alpine Grandhotel glich einem in die Natur versetzten städtischen Mikrokosmos. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden
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die Alpen jedoch immer populärer. Zunehmend erschloss eine breitere Schicht die als heilsam erachtete Kraft der Berge. Die Architektur zeigte erstmals interessante Ergebnisse abseits eines eklektizistischen, historistischen Formenrepertoires. Die „kubischen“ Häuser der Jahrhundertwende zeigen eine progressive Auseinandersetzung mit symmetrischen Ordnungen und Regelsystemen. Vorbild war unter anderem das englische Haus, das gleichsam Symbol der Kritik gegen den Historismus war. Im alpinen Raum entstand eine spezielle typologische Ausdrucksform, die manieristisch mit dem Formenvokabular der Geschichte und der traditionellen Umgebung spielte. Noch heute lehnt die Architekturgeschichtsschreibung diese Ausprägung sehr undifferenziert als leere eklektizistische Bauweise ab. Dabei handelt es sich bei genauerer Sicht um eine Spielart reformistischer Architektur, die gezielt mit Zitaten arbeitete. Ein herausragender Bau findet sich in der Südtiroler Kurstadt Meran. Das Haus des Kometen Als der preußische Generalmajor Carl Weste entschied, in Meran ein Wohnhaus für sich und seine Familie zu erbauen, beauftragte er 1909 den Freiherrn Wilhelm Richard Elimar von Tettau mit der Planung. Das Haus mit dem Hinweis auf den Kometen Halley über der Eingangstüre ist ein eindrucksvolles und bis heute unverändertes Bauwerk. Es fällt nicht vordergründig auf, im Gegenteil, eine gewisse respektierliche Zurücknahme ziert den Bau. Name und Werk des Architekten, Wilhelm Richard Elimar Freiherr von Tettau, werden in der Geschichte der Architektur nur mehr an Eingeweihte weitergereicht. Der klare, kompakte Baukörper mit Zeltdach, Erker, Putz und besonderen Details nimmt mit seiner einfachen Raumaufteilung intelligent und auch ein klein wenig ironisch Bezug auf den kulturellen Kontext. Zugleich spricht die Villa Niedersachsen die bürgerlich-kosmopolitische Sprache des begabten Architekten und seines Auftraggebers. Von Tettau vermied alpenländische Klischees, die an Häusern in der Nachbarschaft zu beobachten sind. Tettau reagierte ironisch-spielerisch auf den ländlichen Bezug, er setzte satirische Gesten, wie schmiedeeiserne
Herzen in den kleinen quadratischen Fenstern, die an der Fassade einer seltsamen (Un)Ordnung, gehorchen. Die asymmetrische Fassade der Straßenseite ist gleichhin das Markenzeichen des Hauses. Tettau versetzte dem schlichten, auf angenehme Weise unauffälligen Haus einige ordentlich verdrehte Züge. Die gleichsam achtlose Durchbrechung der Symmetrie an den empfindlichsten Stellen geißeln das Auge. Da einem Architekten von seinem Range – Tettau verfügte damals bereits über einen Namen und gehobene Auftragslage – sicher keine Fehler unterlaufen waren, stellt sich demnach nur eine Frage: Was bezweckte der Freiherr mit den, im Übrigen äußerst gekonnten Brechungen und Beugungen? In jenen Jahren zeigte sich in den Bauaufgaben für das Bürgertum ein großes Interesse am architektonischen Experiment. Die Suche nach Identität der neuen sozialen Schicht spiegelte sich in baugestalterischer Form. Das liberale Bürgertum strebte nach Reform und in seinen Wohnhäusern nach adäquatem Ausdruck. So finden sich demnach vor allem in den Einfamilienhäusern jener Zeit Manierismen der Gestaltung. Im virtuosen Umgang mit Zitaten und historischen Anspielungen ging es nicht um eine Nachahmung von Stil, sondern um eine gestalterische Botschaft. Der Freiherr von Tettau brachte es hierin zur Meisterschaft. Ulrich Maximilian Schumann, der in seiner hervorragenden Studie Leben und Werk von Tettaus erforscht hat, schreibt vom inszenierten Wahrnehmungsspiel, das Ordnung und Unordnung in ein und demselben Werk unmittelbar nebeneinander thematisiert. Er erkennt in der künstlerischen Überstilisierung einer auf den ersten Blick malerischen Architektur einen Manierismus. Neue Tendenzen und klassische Moderne Neue Tendenzen der Architektur im alpinen Tiroler Raum zeigten sich zuerst im Privathaus. Lois Welzenbachers Haus Settari (um 1919 in Bad Dreikirchen, Südtirol, gebaut) ist die Inkunabel einer neuen Architektur in den Bergen. Das Haus ist das Ergebnis eines nahezu magischen Verständnisses für den Bauplatz und die umliegende Natur. Die Grenzen zum Außen sind aufgehoben, die Natur ist keine Kulisse mehr.
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Der Grundriss und die räumliche Aufteilung richten sich panoramatisch zur atemberaubenden Bergwelt. Typologisch mutet das Haus seltsam an. Die Einheimischen tauften es zu Recht die Kaffeemühle, die Gestaltung des Hauses Settari erscheint willkürlich und formalästhetisch schräg. Es ist der radikale und konsequente Schritt in eine Gestaltung, die ihre Vorgaben ausschließlich aus den topographischen und topologischen Gegebenheiten begriff. Lois Welzenbacher selbst war eine authentische und gestalterisch-charismatische Persönlichkeit, dessen Werk sich einer methodischen Zuordnung im positivsten Sinne entzieht. Ab jenen Jahren verband sich das Bauen im alpinen Raum untrennbar mit der Geschichte des Tourismus. Mit Ende des Ersten Weltkrieges gab es in Europa eine Verschiebung der sozialen Schichtung. Den adligen und großbürgerlich nobel distanzierten Gast im luxuriösen Grandhotel in den Bergen löste der Sporttourist ab. Neue Auftraggeber kamen aus der Hotellerie. Diese unternehmerische Elite war offen für eine entsprechende Architektur. In den folgenden Jahren wurde der Ausbau der touristischen Infrastrukturen intensiv vorangetrieben, der neue Sporttourismus bildete einen zunehmend wichtigen Wirtschaftsfaktor. Der Tourismus galt als ein äußerst fortschrittlicher Bereich, dessen innovativer Geist ein neues ästhetisches Vokabular der Architektur begrüßte. In diesen Jahren entstanden in Nordtirol Hotelbauten der klassischen Moderne in regionaler Ausprägung. Franz Baumann und Siegfried Mazagg zählten zu den Protagonisten. Typologisch scheinen diese Bauten nahezu ex novo und konnten kaum auf Vorgänger zurückgreifen. Es folgten die großen infrastrukturellen Erschließungen der Berge, wie der Bau der Nordkettenbahn in Innsbruck und ein geplantes Großprojekt, das nie zur Ausführung kam. Der ehrgeizige Plan zum Bau der „größten Seilbahnanlage der Welt“ und einer umfassenden touristischen Erschließung des gesamten Dolomitengebiets des Mailänder Architekten Gio Ponti wurde vom italienischen Fremdenverkehrsministerium und durch die faschistische Partei unmittelbar unterstützt. Gebaut wurde vom Großprojekt 1935 einzig ein Hotelbau im Südtiroler Martelltal nahe der Grenze zur Schweiz. Das Hotel Paradiso ist ein formensprachlich
beeindruckendes, von österreichischen Architekten wie Franz Baumann und Lois Welzenbacher beeinflusstes Bauwerk. Zugleich zählt es aufgrund seiner brisanten politischen Geschichte zu einem höchst enigmatischen Bau der alpinen Architektur. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg erreichte die regionale Ausprägung der Moderne einen Höhepunkt. Ausdruck und Form der klassisch modernen alpinen Architektur vereinen auf höchstem Niveau traditionelle Bauweise mit modernen Elementen. Der Ausbruch des Krieges unterbrach eine fruchtbare Entwicklung. Genius loci und Lebensraum Ab den neunzehnhundertfünfziger Jahren befasste sich eine architektonische Debatte zunehmend mit psychologischen Implikationen von Architektur. Ab diesem Zeitraum entstanden neue Gedanken zum Begriff der Landschaft. Ein Ort wurde als Raum mit einem bestimmten, eigenen Charakter betrachtet, der genius loci sei der Geist, der an einem Ort herrscht. Dessen konkreter Realität steht der Mensch in seinem täglichen Leben gegenüber. Architektur bedeutete, so die zeitgeistige Architekturtheorie, demnach Visualisierung des genius loci. Die Aufgabe des Architekten sei es daher, sinnvolle Orte zu schaffen, durch die er den Menschen zum Wohnen verhelfen kann. Ort und Raum werden als Lebensraum im Sinne existenzieller Sinngebungen angesehen. Eine überaus wichtige Rolle spielte das Denken des Philosophen Martin Heidegger. Im Werk Sein und Zeit von 1926, sowie in der legendären Schrift Bauen Wohnen Denken von 1951 erfasste der Philosoph grundlegende humane Voraussetzungen und Bedingungen des Bauens und Wohnens. Heidegger sprach vom Geviert als eine Art mythischen Raum in einer sinnhaften Totalität, mit Beziehungen, die weit über eine Berechenbarkeit hinausreichen. Dieser zutiefst existentielle Zugang zur Architektur, den die klassische Moderne eher ausgeschlossen hatte, belebte die Debatte um das Bauen in den Bergen neu. Das Phänomen des Ortes, Wesen und Struktur bildeten nunmehr ein Zentrum der Auseinandersetzung. Auch der Gedanke der direkten Erfahrung, der phänomenologischen Annäherung an Objekte, Räume und Orte
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anstelle des abstrakten Denkens des Philosophen Maurice Merleau-Ponty war wesentlich. Ein Beispiel aus jenen Jahren bildete Edoardo Gellners Feriensiedlung Corte di Cadore in der italienischen Provinz Belluno nahe Cortina d’Ampezzo. 1958 für den italienischen Energiekonzern ENI erbaut, ist es als hervorragendes Beispiel für Bauen in den Bergen und als Tourismusarchitektur in die Geschichtsschreibung eingegangen. Auf einem über zweihundert Hektar großen Areal konnten über dreitausend Gäste in 252.000 Kubikmeter verbautem Volumen beherbergt werden. An dieser Bauaufgabe schulte Gellner die Hervorbringung eines architektonischen Prototypen bis zur Perfektion und befasste sich in einem offenen und experimentellen Prozess mit Materialien, Farben, konstruktiven Möglichkeiten und unterschiedlichen Grundrissen. Regionale Baustoffe und ein zu jener Zeit noch neuartiger Umgang mit ökologischen Themen kennzeichnen die Siedlung. Der Gedanke prototypischer Präfabrikation vereinte sich mit einer autochthonen Haltung, die Gellner über eine differenzierte Auseinandersetzung mit Region und Landschaft erreichte. Massentourismus, Krise und Wende Mit den frühen neunzehnhundertsiebziger Jahren begann eine ambivalente Zeit. In diesen Jahren des Massentourismus überzog eine Flut der Unarchitektur die Landschaften. Viele Nord- und Südtiroler Regionen erfuhren in jenen Dekaden einen zerstörerischen Umgang. Das Erbe aus jener Zeit sind nicht nur gestalterische Bausünden, sondern drastische Folgen eines mangelnden Bewusstseins für den Umgang mit Landschaft und Natur. Zu den offensichtlichen architektonischen Verfehlungen, die bis heute andauern, stellt sich eine, vielleicht provokante, Frage. Jene Bauwerke, die vor einem guten Jahrhundert als stilistische Entgleisungen gewertet wurden, hat im Lauf der Geschichte eine milde Patina umhüllt, die sie in unseren Augen ästhetisch versöhnt. Mit dem entsprechenden zeitlichen und historischen Abstand neigt das Auge dazu, zu romantisieren. So könnte es durchaus sein, dass wir in einigen Dekaden manch alpine Architekturmelange der jüngeren Zeit weitaus milder beurteilen.
Die dramatisch aus den Fugen geratene Balance von Natur, Landschaft und Tourismus jener Jahre wird jedoch immer eine unverrückbare Entgleisung bleiben. Ein neues Bewusstsein für das sensible Gleichgewicht von Mensch und Natur entstand vor allem durch die Krise der Tourismusindustrie in den späten neunzehnhundertachtziger Jahren. Sie führte zum Umdenken und neuen Konzeptionen. In Ländern des Alpenraumes entstanden zunehmend wieder vorbildhafte Bauten, die formal als auch konzeptiv von einem neuen Gleichgewicht von Mensch und Natur zeugen. Die Trilogie Natur, Architektur und Tourismus scheint sich langsam wieder zu versöhnen. Die Erschließung des alpinen Raums im letzten Jahrhundert fand ihren architektonischen Ausdruck in Experimenten und manieristischen Spielarten. Traditionelle autochthone Bauweisen wurden zurückgedrängt, genius loci und die Bedeutung des Geviertes im Sinne eines Gesamtzusammenhanges ging verloren. Veränderte gesellschaftliche, kulturelle und regionale Aspekte definierten ab der Wende zum 20. Jahrhundert neue Entstehungsbedingungen des Bauens in den Bergen und schufen gestalterische Handlungsspielräume. Eine neue soziale Schicht suchte ihre Ausdrucksform und Identität. Den Weg vom autochthonen Bauen zu den neuen Voraussetzungen alpiner Architektur kennzeichneten konstruierte Landschaft, veränderte gesellschaftliche und kulturelle Befindlichkeiten sowie technologische und ökologische Bedingungen. Vom alleinigen Verlust der autochthonen Baukultur zu sprechen, wäre jedoch verfehlt. Auf die neuen Bedingungen folgten unterschiedlichste Lösungen. Die Ergebnisse sind nicht nur das Erbe der Massenarchitektur, sondern auch experimentelle und gelungene Spielarten des Bauens.
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Anti-Ideologen-Ideologien, Sarkophag-Phobien und weitere WächterInnenperspektiven
Die in Berlin lebende Tiroler Theaterautorin Petra M. Kraxner wurde von der Redaktion in eine unweit von Innsbruck gelegene Großstadt geschickt, um dort der Frage auf den Grund zu gehen: „Wie verändert sich durch das wochenlange Hinschauen der Zugang zu zeitgenössischer Kunst?“ – Gefunden hat Kraxner drei Figuren, die den Durchblick behalten und – ey, common! – Wiedergeburt für möglich halten.
I KOLLEGIN P.ONTIAC FIREBIRD TRANS AM 10 Uhr Schichtbeginn. Wie seit bereits vier Monaten dieselbe Ausstellung: Wrack-Wiederauferstehung – unser Titel. So sehr dem Kollegen C., der heute schon wieder zu spät dran ist, die Särge und trüben Skulpturen auf den Magen schlagen, weil er sie extrem unheimlich findet, das Zarterl, so sehr gehen die mir am Arsch vorbei. Als hätte der Metallhaufen da drinnen irgendeine größere Bedeutung. Eisen, Bronze, Messing, Gold – da muss man doch nur eins und eins zusammenzählen und man weiß, was es mit dem ganzen Klimbim auf sich hat: Ein überhebliches, aufgeblasenes Ego-Arschloch, das arg-schwer darunter leidet, dass es an nichts anderes als an sich selbst denken kann, geht ein paar Jahre lang in sich und kommt zum Schluss, dass sein Leid nur gedrosselt werden kann, wenn es nicht nur von sich, sondern auch vom Rest der Welt geliebt wird. Und das geht klarerweise am besten, indem man sich schmückt wie ein Vieh bei der Balz. Denn seit jeher gilt: je größer, je schräger, je schwerer und wertvoller – umso mehr Aufmerksamkeit bekommst du. Also karrt es ein paar Tonnen hochwertiges Metall zusammen und macht, damit es nicht so ausschaut, als würde es hier nur ums Materielle gehen, weil das mögen die ganzen Pseudolinken-Kunst-Gutmenschen nicht, einen verdammten Riesenevent daraus, poliert die Scheiße mit ein paar Geschichten und tiefgründigem Vokabular auf – und schon rennen ihm die ganzen anderen gestörten Deppen die Bude ein. So einfach ist das.
Also wie die das alle ernst nehmen können? Ich weiß nicht, das ist doch, wenn man genau hinschaut, so was von offensichtlich nicht unheimlich, dass ich mir wirklich Sorgen um den Kollegen C. machen darf. Er sah schlecht aus, der Kollege C., die letzten Wochen. Er hat ziemlich übel gerochen, nach Schweiß und noch irgendetwas. Seit seiner Scheidung kann man ihm direkt beim Zerfall zusehen. Arme Haut. Ob er säuft? Muss ja nicht gleich jeder saufen, der in Trennung lebt. Obwohl es mir ja so vorkommt. Alles Säufer, alles Singles. Da wundere sich noch wer über die omnipräsente Resignation. Zurückhaltung auf allen Ebenen. Nur niemanden zu nahe kommen lassen. Nur nicht zu sehr involviert werden, in egal was. Auf der anderen Seite: Die ganzen ekelerregend-übermotiviert Übereifrigen, zu denen definitiv die Kollegin F. gehört. Was die heut früh schon wieder für spirituelle Scheiß-Sprüche abgeliefert hat: „Jeder Dienstbeginn ist wie eine Wiedergeburt.“ Ob die das alles ernst meint? Oder ob sie sich doch ein bisserl über die Ausstellung hier lustig machen wollte? Ich befürchte ja fast, dass nicht. Immer gut gelaunt. Immer besserwissend. Immer einen Lösungsansatz auf der Zungenspitze. Optimistisch zum Erbrechen. Blutjung, zukunftsorientiert, erfolgszentriert. Sie hat ihr Leben noch vor sich. Sie lässt keine Gelegenheit aus, mir das mitzuteilen.
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Das hier, diesen Job hier, sieht die Kollegin F. als energiespendendes Projekt, als Geschenk, auf ihrem Weg nach oben, wo das Licht noch intensiver ist. Überhaupt hat es die Kollegin F. mit Licht. Jedes Mal, wenn eine Minute übrig ist, monologisiert sie über das Licht hier, in diesem Haus hier und überhaupt überwältige sie diese Kraft hier, die von diesem Ort ausginge, schon als ganz kleines Kind wusste sie, dass sie irgendwann in ihrem Leben, in einem von Energie durchtränkten Gebäude wie diesem hier viel Zeit verbringen werde, damit das konzentrierte Potential auf sie überginge. Aus dem Gemäuer / dem Kunstwerk hinaus, in sie hinein. Mir bleibt an dieser Stelle meistens die Spucke weg, was ihr nie auffällt, wie auch, sie labert so oder so weiter. Heut früh über Kraftorte wie dieses Museum hier – das Museum überhaupt. Münchens monumentale Bauwerke übten bereits als Kind im Mutterleibe große Reize auf sie aus. Ihre Mutter, die sonst eher ungerne ins Museum ging, fühlte sich während ihrer Schwangerschaft magisch von Häusern der Kunst, Kathedralen, Regierungs-, Universitäts- und Theatergebäuden angezogen. Also ich fühle mich von nichts angezogen, in dieser Ausstellung schon gar nicht. Gut, es gab schon mal das ein oder andere Bild, das ich recht ansehnlich fand, vor ein paar Jahren mal, ein Gemälde, richtig gut gemacht, richtiges Handwerk, eine Frau und ein Kind stehen an einer Lacke, die Farben eisig, der Himmel glitzert im See – blau, weiß, grau in hundert Schattierungen – echt gut gemacht, die Spiegelung vor allem – das Mädchen, die Wolken – zerbrechlich, wie Eis … Aber dass ich daraus gleich so ein Trara mach, so eine Ideologie konstruier, wie die Kollegin F., also ich – sicher nicht. Mein Gefühl ist immer das gleiche, wenn ich die Frühschicht bei den Wracks hab: Der Schritt zügig – durch
den ersten Raum durch – vorbei am Guss, der ausschaut wie ein überdimensionaler, mit Rostnägeln durchzogener Maulwurfhügel, Hauptsache noch ein Hackerl aus Gold obendrauf – weiter durch den zweiten Raum, in dem der kopfstehende Dachboden, der ein ScheißHolzschiff – oder umgekehrt, das Scheiß-Holzschiff, das einen auf dem Kopf stehenden Dachboden darstellen soll, biege rechts in den Raum Nummer 12, wo ein paar Bücher auf Salzblöcken herumgammeln, an der Stelle kommt’s mir immer: „Bravo Herr Künstler, was für ein Meisterwerk Herr Künstler“, manchmal lach ich vor lauter Hohn laut vor mich hin, bevor ich im Raum 10 die Zinkguss-Kronen-Teile checke. Da liegen sie, wie immer, wo sollte der Krempel auch hin verschwinden, obwohl, wenn ich nicht Wächterin, sondern Diebin wär, würd ich wohl am ehesten den vergoldeten Kühlergrill als Beute anvisieren. „Hätte, wäre, würde sind Wörter, die Gedankengänge dummer, schwacher Menschen einleiten“, hat die Kollegin F. heut früh gesagt – das Gör hat die Weisheit nicht nur mit Löffeln gefressen, sondern von Geburt an aus der Scheißmilch ihrer Mutter gezuzelt. Wurst. Das berührt mich nicht, sicher nicht, auf mich färbt kein Raum ab, kein Kunstwerk und kein Kollege. Mein Schritt ist fest. Links abbiegen. Eine Runde um den eingerosteten Springbrunnen – welthaltig, rätselhaft und total nichtssagend aussagekräftig, wie alles hier – unnütz, unschön und mir eh total gleichgültig. Job ist Job, also weiter in Raum 7, vorbei am 25-Tönner – „der größte nichtindustrielle Eisenguss der Geschichte“, da haben wir’s wieder, die Guinness-Buchder-Rekorde-Mentalität – und wenn man ganz nüchtern draufschaut, liegt da einfach ein plattgestampfter Kuhfladen willkürlich im Weg herum. Also wie bitte kann man so etwas unheimlich finden? Da muss man sich ganz schön in Zeugs reinsteigern. Der eine so, die andre so, obwohl’s die Kollegin F. an-
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scheinend besser verträgt, das Hineinsteigern, als der Kollege C., der übrigens immer noch nicht aufgekreuzt ist! So geht das nicht weiter mit ihm. Irgendetwas muss ich da unternehmen. Nur was? Wenn er zwischen 10.30 und 11.00 Uhr kommt, werde ich ihm eine Broschüre der Anonymen Alkoholiker ins Schließfach legen. Die Tür öffnet sich. Der erste Besucher. Montag 10.11 Uhr und schon in der ReinkarnationsHölle. Schau ihn dir an, den hörigen Lulatsch. Wie er brav stehenbleibt, vor jedem Scheißschildchen. Wie er brav jeden Scheißhinweis liest. Wie er seine Fresse brav in das Scheiß-Ausstellungsheftchen steckt. Übel, mir ist richtig übel, Halsweh, fiebrig, vielleicht hat mich die Grippe erwischt. Die Chefin kommt. Wehe, der Kollege C. hat sich schon wieder krankschreiben lassen! II KOLLEGE C.HRYSLER CROWN IMPERIAL Sarkophag. Schwefel. Vogelleiche. Die halbe Nacht: Sarkophag. Schwefel. Einschusslöcher. Blut auf weißem Federkleid. Schwarze Schatten ziehen lange Gesichter. Wenn der Tag sich in die Nacht schleicht. Was passiert mit mir? Wo ist der Rest von mir hinverschwunden. Ich bin nur ein Bruchteil meiner selbst. Sie ist weg. Aus mir hinausgerissen. An ihrer Stelle eine goldene Kugel. Durch mich hindurch. Sie steckt im Schnabel. Fluss ohne Wiederkehr. Ich toter Ibis. Aufwachen. Aufwachen. Ich bin angekommen. Ich laufe durch den Flur. Ich bin hier. Ich bin zerstückelt. Ich bin lediglich ein Teil. Von mir zumindest. Schichtbeginn. Die Uhr hat Speed gezogen. Fester Schritt aus Vaseline. Was macht mein Körper? Wieder. Mir zuwider. Immer wieder. Folgt mir nicht. Steuert weiter. Vorbei
am Wiederauferstehungseingang. Meine Schicht. Ich muss. Nein. Ich kann nicht. Vorbei. Nichts wie weiter. Richtung Projektion von Sigmund Freud, dem Maler. Vermeiden. Das Vermeiden meiden. Sich nicht allem aussetzen. Nicht länger verkraften. Verschwindet, ihr. Bilder. Schieß euch weg. Ein, zwei, drei Sekunden. Ruhe. Vorahnung. Zu mächtig. Zu mächtig seid ihr. Eine geballte Ladung Bilder bumerangt retour. Schwanke ich? Bebt der Boden? Ich stehe. Ich habe es bis hierher geschafft. Ich bin aufgestanden. Ich habe mich angezogen. Ich bin mit dem Bus hierhergefahren. Ich weiß, dass ich zu spät bin. Aber. Ich bin hier. Alles ist gut. Ein Schritt folgt auf den nächsten Schritt. Montag morgen. Erste Schicht. Ich bin zu spät. Aber. Ich bin hier. Ich bewege mich fort. Ich konzentriere mich auf mich. Ich atme aus. Ich werde ruhiger. Die Ruhe im Chaos finden. Die Details wahrnehmen. Die Skizzen, die zarten. Hinter der Vitrine, versteckt. Die geöffneten Bücher. Die Buchstaben. Die Striche. Die Einfachheit. Schwarz auf weiß auf Salz. Wenn ich mich auf das Einfache fokussiere, kann mir nichts passieren. Es ist lächerlich. Es sind nur Dinge. Sie können mir nichts tun. Sie umgeben mich. Sie durchdringen mich nicht. Es ist lächerlich. Ich muss Sicherheit ausstrahlen. Ich bin aus Fleisch / durchdringen / mich nicht. Durchlöchern. Kugel aus Gold. Ein Schuss. Nein. Bitte nicht. Stehen bleiben. Umdrehen. Stehenbleiben. Weitergehen. Die Hände tropfen von mir ab. Pulsgalopp. Ich kann nicht. Ich ertrage das nicht. Diese Bilderwucht. Heute ertrage ich sie nicht. Tauschen. Ich muss die Schicht tauschen. Die Projek-
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tion lockt, das Modell auf Freuds Couch, Goldkettchen am Fußgelenk. So tun als ob. Kollegin F. soll sich um die Sarkophage kümmern. Zu schwer die Bilder. Bis in den Traum verfolgt. Eisen, Blei, Messing. Tod durch Symbol-Überdosierung. Kupfer sticht durch mich durch. Erschossener Vogel bleib wo du bist! Meine Füße wissen, wohin sie gehen. Ganz unbewusst. Dr. Freud wie immer zur Stelle. Vertieft in seinen Block. Lieblingsbild im Treppenhaus. Schritt festigen. Im Augenwinkel die Chefin. Schweiß tropft. Weitergehen. Nicht umdrehen. Sie ruft. Nein. Sie brüllt meinen Namen. Stehenbleiben. Nicht schwanken. Hände falten gegen’s Flattern. Was will sie? Sie sagt etwas. Wörter prasseln ab an Salzblöcken, die sich fiebrig vor mich schieben. Ein Vogel-Kreischen ist alles, was durchdringt. Ich nicke. Nicke ich? Sie klapst mir auf die Schulter. Sie macht kehrt. Sie geht. Sie geht! War sie real? Freud wie ist die Diagnose? Therapieerfolg in Sicht? Ich liege Ihnen zu Füßen, während mein Überbleibsel die Stiege hinaufrinnt. Er schlussfolgert für mich die Erkenntnis: a) Die goldene Kugel wird aus mir herausfallen. b) Ich werde die Kugel werden. c) Aus den Löchern wächst salziges Gras drüber. Egal. Nicht egal! Es wird besser? Irgendwann. Wie lange? Warten. Aus dem Weg gehen. Abstand. Grenzen ziehen. Bin ich richtig? Meine Füße wissen den Weg. Auf meinen Körper ist (noch) Verlass. Kollegin F. starrt mich an. Sie schaut erstaunter als normalerweise. Normal.
Was ist normal? Die Einsamkeit frisst mich von innen auf. Ich bin hohl. Jede Sekunden könnte ich zerfallen. Ich artikuliere: Tauschen, bitte. Es ist wichtig. Lebenswichtig. Sie hält kurz inne. Setzt zum Sprechen an. Ihre Stimme Honigfluss. Beruhigung bahnt sich an. Sie räumt den Platz. Hinsetzen. Endlich. Zur Ruhe kommen. Kein Besucher in Sicht. Den Blick geradeaus. Eine Stelle fixieren. Keine Bewegung. Kein Schwefel. Keine Bronze. Kein Blei. Kein Sarkophag. Kein erschossener Vogel im Gestrüpp. Grenzen ziehen. Traum. Realität. Trennung. Realität. Körper. Sarkophag. Bitte nicht wiedergeboren werden. Bitte nicht. Wunden lecken. Irgendwann wieder stehen können. Halt unter den Füßen. Irgendwann wieder. Bitte. Ein bisschen weniger von allem. III KOLLEGIN F.ORD CROWN VICTORIA Mein Kollege riecht so unsagbar abgestanden, aus dem könnte man Geruchsmunition gewinnen. Guter Spruch, ist ein guter Spruch, könnte ich posten. Nein. Zu diffamierend. Ist aber so. Hat total durch ausgesehen, irgendetwas von Sarkophag gefaselt, dass ich ihn verstehen würde. Klar, wenn die Haut zu dünn, dringt der Schwefel durch. Das Mächtige ist nichts für Schwache. Ist so. Guter Spruch. Könnt ich posten. Nein. Geht nicht. Macht mich unbeliebt. Die ganzen Neider. Nur die, die an die Grenzen gehen, verstehen. Der Spruch mit dem Geruch war besser. Da lässt sich was daraus machen. Ich – als Jean-Baptiste Grenouille des Hauses – mache mich auf die Suche nach dem Geruchs-Elixier: Anti-Alles. Ein Tropfen von diesem Duft und die Dämonen bist du los. Ha! Schick ich Max, den Spruch. Und Ann. Sich immer gut stellen mit den Kollegen, egal was kommt, auch wenn sie die totalen Loser sind. Reicht,
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wenn ich ihnen meine Meinung am letzten Tag stecke. Oder auch nicht. Manche haben meine Meinung nicht verdient. Zu kostbar – ein Gedanke. Außerdem steht dieses Ungleichgewicht zwischen ihnen und mir. Nur, dass mir das völlig klar ist. Ich, die Jüngste im Team, kann – aus ihrem eingeschränkt / verbrauchten Blickwinkel heraus – nichts besser wissen. Alles, was ich für sie sein kann, ist eine Besserwisserin. Altklug – auch schön. So gesehen ist es pure Zeit- und Energieverschwendung, bei einer Person wie Kollegin P. auf ihre offensichtlich paradoxe Einstellung bezüglich Ideologie, die sie wie besessen bei mir, wie bei allen anderen auch, wittert, zu reagieren; ey total typisch für diese total ideologischen Anti-Ideologen, die vom kulturellen Background zu gefühlten 99,9% fette Portionen Ideologie mit sich herum karren und diese so vehement abwehren, dass sie genauso vehement agieren und argumentieren. Ha! Darüber sollte ich eine Seminararbeit schreiben, gute Idee. „Die radikale Ideologiekritik der Nicht…“ – wie war das noch? „… der Passivmenschen“. Ha! Das ist mein Titel. Sehr genialer Spruch. Remixed. Mein Spruch, könnte ich posten, nein, der ist zu gut, wird mir nur gestohlen. Aber notieren. Unbedingt notieren. Neue Nachricht von Max: Bist auf Arbeit? Hast wegen Freikarten gefragt? ?(…)? Was wollte ich? Notiz. Ideologiekritik der Passivmenschen. Also. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin es nicht, die Wörter, deren Bedeutung total facettenreich sind und zur Diskussion anregen, auf eine Gehobene-Zeigefinger-Mahnung reduziert. Ich werde nie involviert, nur belehrt. Bleiben die Jüngeren immer unwissende Kinder in den Köpfen der Älteren? Warum dieses ständige Überstülpen von Erkenntnissen? Ideologie ist ihr Trip, nicht meiner. Sie macht ihr Thema zu meinem Thema. Und das witzigste dabei: Sie behaup-
tet, dass egal wofür ich mich begeistere (als müsste ich mich bei ihr für meine Begeisterungsfähigkeit entschuldigen, soweit kommt’s noch – ha – ich lach mich tot!) ideologisch sei, oft auch zischt sie mit dem Wort spirituell, wenn ich irgendetwas, um die allgemeine Stimmung zu heben, erzähle, es ist schließlich nicht so, dass ich freiwillig mit den ganzen Runterziehern kommuniziere – das ist für mich pure Überlebensstrategie. Sie wiederum – und jetzt kommt’s – ha! – legt ihre Eigenverantwortung permanent in die Hände des Schicksals! Und ist sich dessen nicht mal bewusst. Wenn es um wichtige Angelegenheiten … wie z. B. … den Dienstplan geht, zieht sie es vor – ha! – die Münze entscheiden zu lassen. Kopf oder Zahl. Hallo?! Noch besser: Einmal hat sie es tatsächlich von der „Besucherzahl bis 12 Uhr 15“ abhängig gemacht, ob sie mit mir die Spätschicht tauscht oder nicht. Wie irrational ist das bitte? Logisch, dass man es mit solchen Strategien zu nichts bringen kann, im Leben. Außerdem kann ich nichts dafür, dass sie ihr Studium abgebrochen und sich mit diesem Job / diesem Leben abgegeben hat. Selbstaufgabe ist das abscheulichste überhaupt. Dafür habe ich kein Verständnis. Wenn ich ihr das sagen würde: Explosion! Ha! Das wäre eine total spektakuläre Performance. Diskussionsexplosion, ey, ihr Pessimismus hat durchaus Potential. Hatte mal was von Adorno geshared: Wo Qual ist, wächst Genuss. Dennoch: Für Menschen, die sich dermaßen kleinmütig verhalten, sehe ich schwarz. Kohlenschwarz. Bei denen wird nichts explodieren, weil kein Funke, kein Feuerchen mehr da ist. Alles verpufft. Schließlich verlangt die Qual nach konsequent haltlosem Leiden, nicht nach Resignation. Nein. Das wird mir nicht passieren. Definitiv nicht. Alle Türen offen. Hereinspaziert. Sie schaut grimmig drein. (Es muss schwer sein, sie zu sein. Wie gut, dass ich ich bin.)
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Was ich hier mache? (Euphorie verbreiten, das hasst sie am meisten. Die personifizierte Misanthropie.) Den Kollegen ersetzen. Wieso ersetzen? Wir haben getauscht. Ob das die Chefin wisse; wann genau er angekommen sei. Was das zur Sache tut? (Dieser Hang zum Einmischen. Total erbärmlich!) Sie setze sich um zum Kühlergrill, ist weniger los, ihr wäre nicht wohl, eine Erkältung bahne sich an. Überhaupt kein Problem. Wie sie wolle. Ich bin überall gerne. Hier ist jeder Quadratmeter von Energie durchtränkt. Mir öffnet sich jeden Augenblick eine neue Perspektive, weil ich es zulasse. Pst! (Ermahnt sie mich jetzt etwa auch noch? Zuerst belehren, dann ermahnen. Total total erbärmlich!) Drei Besucher im Raum, ey, common! Was für ein vernichtender Blick. Dennoch: Sich immer gut mit den Kollegen stellen, egal was kommt. Ich biete die Besorgung von Kräutertee und Vitaminpräparaten sowie frischem Obst an. Sie wehrt ab. Nichts anderes war zu erwarten. Sie solle sich melden, wenn sich ihre Situation verschlechtere. Da geht sie hin. Sie und ich. Wir werden keine Freunde werden. Jeder Staubkrümel in diesem Raum hat ein positiveres Karma. Auch ein guter Spruch, könnte ich posten: Wenn Krümel mehr Karma als Menschen haben, sind die Philosophie der einen Generation auf den gesunden Menschenverstand der nächsten getroffen. Nein, das ist wirr, total zusammenhangslos und unverständlich, so ein Spruch bringt keine Likes. Etwas Schönes wäre gut. Etwas Imposantes. Wie graviertes Messing im Messingrahmen. Im Zentrum ein Kreis, Stern im äußeren Drittel der Galaxis. Schnitte
wie Strahlen. Gespiegelte Skulptur im Hintergrund. Ha! Jetzt weiß ich, was ich poste: Ich, gespiegelt im Messingbild. Sonnengöttin. Total genial. Zwei neue Nachrichten: Mama: Liebes. Melde dich doch bitte, wenn du Zeit findest. Es ist wichtig. Drück dich. Mama. // Ann: krass. schon gesehen – deine ex hat ein neues profilbild ≥ total-omg!!! ?(…)? Was wollte ich? Handykamera starten. Kein Besucher im Raum. Niemand sonst in Sicht. Mein Kopf nimmt den Platz der Sonne ein. Einen Schritt nach vorn, ein paar Zentimeter nach links, Schöpfung oder ich im Hinter- oder Vordergrund? Immer schön den Kopf zentrieren. Heiterer Blick. Ernster Blick. Euphorischer Blick. Denkerblick. Wahnsinnsblick. Skeptischer Blick. Denkerblick. Definitiv Denkerblick. Schritte nähern sich. Mist. Mich dezent in den Hintergrund ziehen und so tun als wäre ich mit Leib und Seele ganz ausschließlich nur Museumswächterin: unsichtbar und wachsam – passioniert wie keine andere. Neues Profilbild total OMG? Einloggen. 5 neue Nachrichten. 9 Benachrichtigungen. 3 Veranstaltungseinladungen. Eine Markierung zur Freigabe. Sie hat ein Bild von UNS – von ihr und mir – als neues Profilbild? Öffentlich! 98 Menschen gefällt das? Jetzt dreht sie durch. Total. Bin ich denn der einzige Mensch auf diesem Planeten, der den Durchblick behält? Höchstwahrscheinlich. Gott sei Dank habe ich diese Person verlassen. Ey, jede Trennung wie eine Wiedergeburt.
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Stefan Abermann, Innsbruck Innsbruck: freier Autor und Poetry Slammer. Ö-Slam-Champ 2008 und Gründer der Lesebühne „Text ohne Reiter“. Schreibt neben Slam-Texten auch Erzählungen, Theaterstücke und Romane; zahlreiche Stipendien und Preise. Soeben erschien die Textsammlung „Schatzkästlein des reinlichen Hausfreundes“. Hamburg: Schriftsteller und ÜbersetMirko Bonné, Tegernsee zer. Zuletzt erschienen: „Emily Dickinson“. Liebesgedichte (2012), „Traklpark“. Gedichte (2012), „Nie mehr Nacht“. Roman (2013). Marie Luise Kaschnitz-Preis 2010, Rainer-Malkowski-Preis 2014. Carola Dertnig, Innsbruck Wien: Bildende Künstlerin. Seit 2006 leitet sie den Fachbereich Performance Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien und war als Gastprofessorin an der CAL ARTS in Los Angeles tätig. Dertnigs Arbeit ist in zahlreichen Ausstellungen in Museen und Galerien gezeigt worden, u. a. PS1 MoMA, New York; Mumok, Wien; GfZK Leipzig. Heinz Gappmayr, geboren 1925 in Innsbruck, gestorben 2010. Er gilt als wichtiger Vertreter der Konkreten und der Visuellen Poesie. Florian Gasser, Innsbruck Wien: Journalist im Wiener Büro der ZEIT (seit 2011). Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Innsbruck, Wien und Perugia. Von 2006 an freier Journalist und Mitarbeiter beim Monatsmagazin DATUM. Martin Gostner, Innsbruck Innsbruck / Düsseldorf, Bildender Künstler. Seit 2004 Professur für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. 1979–1983 Studium an der Akademie der bildenden Künste, Wien. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Projekte im öffentlichen Raum in Europa und USA. Wien: Journalist. Zählt zu den promiMichael Kerbler, Wien nentesten Rundfunkjournalisten Österreichs in unterschiedlichen Funktionen, u. a. Wirtschaftsredakteur, ORF-Auslandskorrespondent in Bonn und stellv. Ressortleiter Außenpolitik / Hörfunk. Kerbler berichtete mehrfach aus Ostafrika, der arabischen Welt, dem Iran und auch aus der DDR. Ab 1998 ORF-Chefredakteur Hörfunk, danach Chefredakteur des ORF-Auslandsradios. Ab 2003 Leiter der Ö1-Sendereihe „Im Gespräch“. Seit Jahresbeginn arbeitet Michael Kerbler als freier Journalist. Wien: Bildender Künstler. Zahlreiche Peter Kogler, Innsbruck Einzelausstellungen, u. a. Mamco, Genf; Kölnischer Kunstverein; Kulturforum Prag; Kunsthaus Bregenz. Aktuell: MSU – Museum of Contemporary Art, Zagreb. Ausstellungsbeteiligungen, z. B.: Documenta Kassel; MoMA, New York, Biennale di Venezia / Österreichischer Pavillon. Die Realisierung seiner Arbeit in der Galerie im Taxispalais wurde unterstützt von Galerie Johann Widauer. Berlin: Schriftstellerin. VeröffentPetra Maria Kraxner, Zams lichungen von Gedichten in Zeitschriften, Anthologien sowie auf Fotografien. Ihre Theaterstücke wurden u. a. beim Fringe Festival in Prag und Edinburgh und im Burgtheater Wien gespielt. Wien: Journalistin bei Ö1, freie Autorin, Nadja Kwapil, Wien unter anderem für die ZEIT. Beiträge in österreichischen Zeitungen und Magazinen. Studiert Cello und Philosophie und schreibt an ihrem ersten Roman. München: Bildender Künstler. AufgePhilipp Messner, Bozen wachsen in den Dolomiten, lebt und arbeitet in München. 130 / 131
Albert Ostermaier, München München: Schriftsteller. Neben seinen zahlreichen Lyrikbänden und Theaterstücken schrieb er 2008 seinen ersten Roman „Zephyr“ und 2011 „Schwarze Sonne scheine“, der auch als Hörbuch erschien und mit dem Preis der Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Seit 2013 ist der neue Roman „Seine Zeit zu sterben“ auf dem Markt und aktuell sind zwei neue Lyrikbände bei Suhrkamp erschienen. Weitere Informationen unter www.albert-ostermaier.com Georg Payr, Innsbruck Innsbruck: Lehrer am BORG Innsbruck, Schriftsteller. Buchveröffentlichungen: „An der Schwelle“ (Erzählung, Haymon), „Die Entmachtung“ (Erzählung, Haymon), „Vom Drücken des Schuhs“ (Roman, Haymon), „Das ewig Päpstliche zieht uns hinan“ (Erzählungen, Kyrene). Eva Pfanzelter, Bozen Niederndorf: Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Studium in Innsbruck, Salzburg, Charleston (Illinois, USA). Lehre und Forschung am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck seit 1996. Forschungsschwerpunkte: Europäische und regionale Zeitgeschichte, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, Digital Humanities. Aktuelles Forschungsprojekt: „75 Jahre Südtiroler Option: 1939 und die Folgen – Rezeption, Erinnerungs- und Erfahrungsgeschichte, museale Darstellung“. Gabriele Reiterer, Meran Wien: Architekturtheoretikerin. Lehrte Geschichte und Theorie der Architektur an der Technischen Universität Wien, der Akademie der bildenden Künste Wien sowie der Bauhaus-Universität Weimar. Zahlreiche Veröffentlichungen. Führt ein Büro für Architekturkommunikation in Wien. Wien: Bildender Künstler. Studium Peter Sandbichler, Kufstein in New York, Wien und Frankfurt; Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen sowie Projekte im öffentlichen Raum. Aktuell: Fassadengestaltung AK Wien; Lehraufträge und Jurytätigkeiten. www.petersandbichler.com Wien: Bildende Künstlerin. 1979 – Eva Schlegel, Hall in Tirol 1985 Hochschule für Angewandte Kunst (Meisterklasse Oberhuber). 1997–2006 Professorin für Kunst und Fotografie an der Akademie der bildenden Künste, Wien. 2011 Kommissärin für den Österreich Pavillon der 54. Biennale von Venedig. 2014 Gallery Wendi Norris, San Francisco, Photobiennale Moscow, Ekaterina Cultural Foundation, Shades of Black on White, Galeri Bo Bjerggaard, Copenhagen, Zeitsprung, Galerie im Taxispalais, Innsbruck. www.evaschlegel.com Thomas D. Trummer, Bruck an der Mur Mainz: Künstlerischer Leiter der Kunsthalle Mainz und designierter Direktor des Kunsthaus Bregenz (KUB). Davor war er Projektleiter für bildende Kunst beim Siemens Arts Program und der Siemens Stiftung in München (2007–2012). Er war Visiting Scholar am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA (2010–2011) und Hall Curatorial Fellow am Aldrich Museum of Contemporary Art, Ridgefield, USA (2006–2007). Zuvor war er als Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst am Belvedere Wien und als Gastkurator am Grazer Kunstverein tätig. Helga Utz, Lienz Wien: widmet sich dem Theater in jeder interessanten Form, vor allem dem mit Musik. Opern- und Konzertdramaturgin in Stuttgart, Darmstadt, Wien, Schwerpunkt zeitgenössisches Musiktheater. Schreibt Libretti, Theoretisches und Lyrisches und gründete 2009 „oper unterwegs“ (www.oper-unterwegs.at).
Martin Walde, Innsbruck Wien: Bildender Künstler. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Max Weiler und Arnulf Rainer. Einzelausstellungen (Auswahl): Generali Foundation Wien, Wiener Secession, Fuchu Art Museum Tokyo, Galerie im Taxispalais Innsbruck, ZKM Karlsruhe, Kunstraum Dornbirn. Zahlreiche Gruppenausstellungen (Auswahl) Biennale di Venezia, documenta X, The Hayward Gallery London. Wien: Bildender Künstler. ZahlHans Weigand, Hall in Tirol reiche Gruppen- und Einzelausstellungen. Lois Weinberger, Stams Gars am Kamp: Bildender Künstler. Beginnt in den 1970er Jahren mit ethnopoetischen Arbeiten, welche die Basis bilden für die seit Jahrzehnten entwickelte künstlerische Auseinandersetzung mit dem Natur- und Zivilisationsraum. Ruderal-Pflanzen – „Unkraut“ – die alle Bereiche unseres Lebens
tangieren, sind Ausgangs- und Orientierungspunkt für Notizen, Zeichnungen, Fotos, Objekte, Texte, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum. Zahlreiche Einzelausstellungen u. a. Musée d’Art Moderne Saint Etienne, S.M.A.K. Stedelijk Museum voor Actuele Kunst Ghent, Freud-Museum London, Museum Moderner Kunst 20er Haus Wien, WATARI-UM, Museum of Contemporary Art Tokyo sowie Beteiligungen u. a. Biennale Venedig, Österreichischer Pavillon, documenta X Kassel, 21. Biennale Sao Paulo. Andrea Winkler, Freistadt / Oberösterreich Wien: wo sie u. a. Germanistik und Theaterwissenschaft studiert hat. Bisher sind erschienen: „Arme Närrchen“. Selbstgespräche (Droschl 2006), „Hanna und ich“ (Droschl 2008), „Drei, vier Töne, nicht mehr.“ Elf Rufe (Zsolnay 2010), „König, Hofnarr und Volk“. Einbildungsroman (Zsolnay 2013), „Ich weiß, wo ich bin“. Betrachtungen zur Literatur (Klever 2013). Zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Quart Heft für Kultur Tirol
Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 21,– ( SFr 28,90) · Einzelheft: € 14,– (SFr 19,50) · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Stefan Abermann, Mirko Bonné, Carola Dertnig, Heinz Gappmayr, Florian Gasser, Martin Gostner, Michael Kerbler, Peter Kogler, Petra Maria Kraxner, Nadja Kwapil, Philipp Messner, Albert Ostermaier, Georg Payr, Eva Pfanzelter, Gabriele Reiterer, Peter Sandbichler, Eva Schlegel, Thomas D. Trummer, Helga Utz, Martin Walde, Hans Weigand, Lois Weinberger, Andrea Winkler Fotografie Cover: Gregor Sailer (www.gregorsailer.com); Model: Alina Jäger; Styling: Claudia Lajda; Make-up: Sandra Strele (www. sandrastrele.com) Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten: Carola Dertnig, Heinz Gappmayr, Martin Gostner, Peter Kogler, Peter Sandbichler, Eva Schlegel, Martin Walde, Hans Weigand, Lois Weinberger Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Neutral Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 46 /47 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Fotografie S. 86 / 87: Katharina Cibulka (courtesy Galerie Andreas Huber) Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-7167-3 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2014 · Alle Rechte vorbehalten.