Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 25 /15 E 14,–
* Die linken Seiten dieser Ausgabe stammen von Constantin Luser. Er hat aus mehreren tausend hartgelöteten und geschwärzten Messingdrähten Raumzeichnungen geschaffen. Aus unterschiedlichsten Perspektiven entstandene Aufnahmen dieser Zeichnungen im Raum werden nun in Beziehung zu den Texten dieser Ausgabe gesetzt und damit wieder zur zweidimensionalen „Zeichnung“. Auch der Ausgangspunkt für diese Arbeit war Flachware, zumal die Idee für die Raumzeichnungen entstand, als Luser jedes Heft von Quart Nr. 22 mit einem „Impulsstück für eine Wandzeichnung“ als Originalbeilage versah (siehe S. 6). Bleibt noch zu fragen: Wird die Zeichnung wieder zur Skulptur? Dreht sich das Heft? Dreht sich der Kopf?
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Inhalt
Axel Hütte Rettenbachferner, Diptychon, 2014
Zucker und Blut Oder: Sind wir aufgeklärt? Von Philipp Blom
77– 83
Constantin Luser* 4 Inhaltsverzeichnis 5
Wer entscheidet, was passiert ist? Andreas Jungwirth hat Sabine Grubers Roman Stillbach dramatisiert
85–91
Fließtext Von Marcel Beyer
Stets bereith! Ortstermin mit Georg Cadeggianini
93–99
Halotech Lichtfabrik
Schlechte Karten Kultur und Neoliberalismus – Analyse von Stephan Schulmeister
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Von Georg, Albin & Ila Das bislang unbekannte Egger-Lienz-Fotoalbum, aufgeschlagen von Martin Kofler
101–111
112–125
127–131
Die Möglichkeitsform der Bilder Leopold Federmair über die Arbeit von Axel Hütte
17–21
Axel Hütte
23–31
Dunkel, still, bleich, rot Landvermessung No. 4, Sequenz 6 Von Klausen bis zum Rosengarten Von Erwin Uhrmann
33– 45
„Einfachheit ist das Schwierigste.“ Frida Parmeggiani monologisiert für Ina Tartler
Der Sonderling Ein übersinnlicher Briefwechsel von Franzobel und Norbert C. Kaser Wo Bäume in Häusern wohnen Forschungsarbeit in sterbenden Bergdörfern Von Michael Beismann Anna-Maria Bogner „Grenzen unserer Räume“
Satzspiegel Von Bert Wrede
133
47–53
55–65
„Keinen Erfolg hat man, wenn man es allen recht macht.“ Ivo Schneider besucht den Mann der Vorstadtweiber, Uli Brée
67–73
Hubert Kostner Originalbeilage Nr. 25
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www.quart.at 134 / 135 Tiroler Architekten und Ingenieurkonsulenten 136 Haymon Verlag 137 Besetzung, Impressum
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Fließtext*
Von Marcel Beyer
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— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.
Zehn vor acht, ich bin gerade in den Zug eingestiegen, schon steht der Rechner vor mir – auch darum freuen wir uns wohl auf den Monat in Belgrad: Man wird nicht permanent im Turbomodus laufen, laufen müssen. Gestern habe ich versucht, unsere Belgrader Adresse auf dem Stadtplan zu finden, nichts, völlig „hilflos“, ich weiß nicht einmal, was ‚Straße‘ auf Serbisch heißt, erkenne nur ‚dom‘, Haus der sportlichen Jugend oder so ähnlich, schon die Funktion des nächsten ‚dom‘ bleibt mir verschlossen – das ist gut, das macht langsam. Sonne, leichte weiße Schleier am Himmel, angenehm frische Luft – die beschlagenen Autoscheiben, die beschlagenen Glasflächen der Wartehäuschen: Man will unwillkürlich mit dem Finger über diese milchige Schicht streichen, um zu prüfen, ob es nicht den ersten Nachtfrost gegeben hat. Der könnte bald kommen. Und wie schmal die Vögel im Flug sind, hier am Bahnhof, die Taube, die zwei Nebelkrähen – sei es, dass sie sich schmal machen in der Kühle, sei es, dass ihre Silhouetten zusammenschnurren im Licht der über die Stadt steigenden Sonne. Jedesmal, wenn ich hier auf dem Bahnsteig stehe und noch eine Zigarette rauche, bevor der Zug einfährt, der Blick hinüber zur – verkehrstechnischen?, nach sechs Jahren habe ich das wieder vergessen – Hochschule, um zu prüfen, ob auf ihrer Dachkante Krähen aufgereiht hocken. Nein. Um sechs Uhr bin ich aufgestanden, es war noch dunkel, nach einer Viertelstunde kam, mit einemmal, im Küchenbalkontürenfensterausschnitt ein Lichtschimmer, eigentlich nur eine Blaugrauabstufung, im Winkel zwischen linker Eiche und Frölichstraßendächern zum – Vorschein. Dann eine Taube, und dann hockte, ganz still, eine junge Kohlmeise (eine der jüngsten Drillinge oder Vierlinge) auf dem Futterhausdach und schaute herein. Es ist zu kühl, um die Balkontür offen zu halten, und gestern Abend haben wir in der Küche ein bisschen geheizt. Jetzt setzt sich der Zug in Bewegung, drei Minuten nach acht, und außer mir sitzt noch eine einzige Reisende in diesem Waggon – die morgendliche Stunde bis Leipzig, ich kenne sie. Dunstschimmer über den seltsam vor sich hin verrottenden Werkhöfen und Fabrikresten Richtung Elbe (seltsam, weil diese Stimmung mittlerweile anachronistisch wirkt: Erst tat sich fast ein Jahrzehnt nichts, nachdem sich jahrzehntelang ohnehin nichts getan hatte, doch in den vergangenen zwei Jahren wird am Rand der Friedrichstadt renoviert, gebaut), noch immer riesige Pfützen nach den starken Regenfällen bis vorgestern („Über den Lidls / Über den Lidl-Baracken“). Cotta, gleich Kemnitz, dann Cossebaude, bald muss der Katzenfriedhof kommen, den ich allerdings in meinem Leben nur einmal und dann nie wieder gesehen habe. Die Vegetation überall noch, wie sagt man: sehr üppig, Sträucher, Gräser, Kräuter, Baumkronen. Tau. Ein Wegweiser zum Tierheim. Ein Reitplatz. Dresden Stetzsch, nie gehört. Ein flacher Haufen roter Äpfel auf dem Boden. Junge Birken auf den Dächern von Wohn-, Arbeitscontainereinheiten, das habe ich lange nicht gesehen. Als ich nach Dresden, als ich in den Osten kam, gehörten Birken auf den Dächern zum Stadtbild so selbstverständlich wie die Satellitenschüsseln und die bläuliche Beleuchtung der Fenster bei Nacht, deren Sinn ich nie begriffen habe: für die Kakteenzucht auf der Fensterbank? Jetzt haben
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wir die Elbe überquert und fahren auf Radebeul zu und der optische Reiz schwindet. Ein ganzes Buch, das ausschließlich aus Beschreibungen von Landschaftsabschnitten, Geländedraufsichten bestünde – wäre es reizvoll zu lesen, zu schreiben? Die Kunst würde zum einen darin bestehen, zu wiederholen, ohne sich zu wiederholen, und zum anderen darin, sich nicht den zahllosen Ablenkungsmöglichkeiten hinzugeben: Tiere, Menschen. Aber: Man kann kein Gerald Manley Hopkins sein. Bücher solcher Art kennen wir, kommt mir wegen Hopkins in den Sinn, nur in Form von Diarien, Forschungs- und Beobachtungstagebüchern. Das stille Bild, die Folge von stillen Bildern wird in einen Verlauf gebracht, und dieser Verlauf besteht aus der Abfolge von Daten: Morgens stehe ich auf und schaue. Am folgenden Morgen stehe ich wieder auf und schaue. Aha, Friederike Mayröcker und die Erzählformen: „Lection“ – Roland Barthes: „Lection“, seine Antrittsvorlesung von 1977; „cahier“ – Paul Valéry: „Cahiers“. „etudes“ – dazu fällt mir nur Chopin ein? Das deutschsprachige Pendant – auch das Pendant in der Klavierliteratur? – zu den „etudes“: „Vorschule“ und „Schule der Geläufigkeit“: Das ist ja schon eine irre Behauptung, wenn man auf ein so viele Jahrzehnte zurückreichendes Schreibleben schaut. Doch genau hier liegt das Moment („momentum“, äh): Den Blick NICHT zurückzuwerfen – Orpheusbildlichkeit. Wende dich um, und jemand wird sterben. Aus dem – an sich doch lächerlichen – Grund, dass du dich umgewandt hast. Aber unsere Schrift läuft eben nun einmal von links nach rechts, reicht in das Kommende (das zu Sehende, das zu Hörende: das zu Schreibende) hinein, in die Zukunft, unsere Schrift hört und sieht: den noch leeren Teil des Blattes, die kommenden, die zu füllenden, die weißen Seiten des Hefts. (Hier auch: Derrida, wie er einen volle zwei Tage dauernden, vom Papier abzulesenden Vortrag vor Augen hat, wenn er die Seiten mit Wörtern füllt – aber eben ja: nicht mit Wörtern, sondern mit einer Bewegung.) Wie lange dauert „cahier“? Vor Riesa, bevor wir die Elbe erneut überqueren, der Blick nach rechts, in die sonnenbeschienene Landschaft: Dort hinten war Claude Simon (und er hat keine Spuren hinterlassen, und niemand hier weiß davon, und die Landschaft weiß nichts davon, und die Landschaft kümmert es nicht). Immer noch, immer wieder unglaublich. Fünf nach halb neun. Jetzt Peter Handke lesen, „Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.“ Leipzig. Derzeit – um Leipzig herum wird das Schienennetz erneuert oder so – nimmt der Zug auf Leipzig, in sehr langsamer Fahrt, eine andere Route: optisch schöne, „ansprechende“ Gegenden der Stadt, eben weil ich sie nicht kenne, wohingegen ich auf der gewohnten Route nichts mehr „sehe“, wenn ich aus dem Fenster sehe. Wir hielten kurz auf einer Überführung, mit Blick auf ein Eckhaus unten, das mich anzog: wie aus einem französischen oder belgischen Comic, das in der Zwischenkriegszeit oder der Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt (Tardi), roter Ziegel, schmale Fenster, niedrige Etagen, vom Erdgeschoß mit seinem – leeren – Ladenlokal abgesehen, Blick aus dem dritten Stock über Gartensparten und eben diese Bahnbrücke. Ich sah mich aus dem Fenster sehen.
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Schlechte Karten
Eine Polemik gegen die weit verbreitete Meinung, für „die Kunst“ werde viel zu viel Geld ausgegeben, so lautete der Auftrag. Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister antwortet mit einer Analyse – zum Stellenwert kultureller Produktion im Zeitalter des Neoliberalismus.
Seit gut 25 Jahren orientiert sich die europäische Politik an jenen Leitlinien, welche von der (neoliberalen) Schule von Chicago entwickelt wurden – den ideologischen Hauptfeinden des europäischen Sozialmodells: Ent-Fesselung der Finanzmärkte, Bindung der Politik an Regeln (Maastricht-Kriterien, Statut der EZB, Fiskalpakt), Vorrang der Geldwertstabilität gegenüber der (Voll)Beschäftigung, Abbau des Sozialstaats, Senkung der Staatsquote, Deregulierung der Arbeitsmärkte samt Kürzung des Arbeitslosengelds, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit als „Allheilmittel“ etc. Wie in den 1930er Jahren haben diese Therapien in eine Depression geführt, ausgelöst von einer Finanzkrise. Die Kürzung der Kulturbudgets ist Teil der Sparpolitik, welche in ganz Europa zur obersten Maxime der Politik geworden ist. Sie erscheint den Eliten angesichts hoher Budgetdefizite und steigender Staatsverschuldungen unausweichlich („Sachzwang“). Die theoretische Begründung von Sparpolitik und allgemein von Austeritätspolitik liefert die seit den 1970er Jahren zunehmend dominante Weltanschauung des Neoliberalismus. Demnach steuert „der Markt“ wie eine „unsichtbare Hand“ ökonomische Prozesse viel effizienter als bewusstes Handeln der Politik – sei Letzteres auch noch so gut gemeint. Dies gälte nicht nur für die Produktion rein privater Güter, sondern etwa auch für Bildung, Kultur oder Gesundheit. Den Schlussstein des neoliberalen Gedankengebäudes bildet der Begriff der Freiheit: Sie wird negativ begriffen als maximale Abwesenheit von (staatlichem) Zwang, ihr Wert steht über allen anderen Werten und Zielen. Blickt man auf die Nachkriegszeit zurück, so erhebt sich ein Argwohn: Könnte es sein, dass der Neoliberalismus selbst und die daraus abgeleitete „Navigationskarte“ der Politik jene Krisen und damit „Sachzwänge“ produziert haben, welche Sparpolitik und Sozialabbau unausweichlich erscheinen lassen? Ist der Neoliberalismus jene Krankheit, für deren Heilung er sich hält? Vertieft der Lernwiderstand der „Therapeu-
ten“ die Krankheit immer mehr, weil sie sich nicht als deren Verursacher wahrnehmen können? Ein Vergleich der Prosperitätsphase mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte nährt diesen Argwohn. Bis Anfang der 1970er Jahre ist die Staatsverschuldung (relativ zum BIP) stetig gesunken, genau in jener Zeit, als der Sozialstaat ausgebaut wurde. Generell war die Politik in dieser Phase bestrebt, gesellschaftliche Prozesse aktiv (mit) zu gestalten. Sie hat sich dabei an konkreten Zielen orientiert wie Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, Preisstabilität, faire Einkommensverteilung, Förderung von Bildung und Kultur. Das theoretische Fundament war die keynesianische Wirtschaftstheorie, Ergebnis der Aufarbeitung der Weltwirtschaftskrise: Die Gütermärkte wurden liberalisiert, die Finanzmärkte blieben reguliert. Unter diesen Bedingungen konnte sich das Profitstreben nur in der Realwirtschaft entfalten, das „Wirtschaftswunder“ war Folge dieser „realkapitalistischen Spielanordnung“. Dauernde Vollbeschäftigung stärkte in den 1960er Jahren die Gewerkschaften immer mehr, Streiks nahmen zu, eine Umverteilung zu den Löhnen wurde durchgesetzt, der Zeitgeist drehte auf „links“ und blies die Sozialdemokratie in Ländern wie Deutschland und Österreich an die Macht. Damit war die Stunde der neoliberalen Ideologen gekommen: Nur sie hätten immer schon vor Sozialstaat und Gewerkschaften gewarnt! In die Defensive gedrängt wandten sich die Unternehmer(vertreter) dieser Ideologie zu. Die neoliberale Forderung nach einer Ent-Fesselung der Finanzmärkte ändert die Spielanordnung fundamental: 1971 wird das System fester Wechselkurse aufgegeben, der Dollar verliert zweimal massiv an Wert, darauf reagiert die OPEC mit den beiden „Ölpreisschocks“, welche zwei Rezessionen nach sich ziehen. Um 1980 wird das Ziel einer Stabilisierung der Zinsen aufgegeben, seither liegen sie in Europa über der Wachstumsrate. Darauf sowie auf die enormen Schwankungen von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen reagieren die Unternehmen mit einer Verlagerung
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ihres Profitstrebens von Real- zu Finanzinvestitionen, das Wirtschaftswachstum sinkt, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung steigen („finanzkapitalistische Spielanordnung“). Daraufhin verordnet die EU Anfang der 1990er Jahre eine permanente Sparpolitik, Deregulierung der Arbeitsmärkte und sonstige „Strukturreformen“. Diese Politik wird nach der Finanzkrise 2008 intensiviert, Europa schlittert in eine Depression. Begreift man Freiheit sowohl negativ als Abwesenheit von Zwang als auch positiv als Entfaltungsmöglichkeit und somit als die Freiheit, unterschiedliche Lebensentwürfe realisieren zu können, so wird eine fundamentale Paradoxie kenntlich: In einer im Namen der Freiheit gestalteten Wirtschaftsordnung nimmt der Zwang zur Anpassung an „den Markt“ immer mehr zu (vom Sparzwang des Staates bis zum Zwang von immer mehr Menschen, jeden – auch prekären – Job annehmen zu müssen). Gleichzeitig werden die Möglichkeiten der Politik, das gesellschaftliche Leben zu gestalten, immer stärker beschnitten, ebenso wie die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger. Im Sinne von Hegels „Die Wahrheit ist konkret“: In den 1950er und 1960er Jahren war die Freiheit der Politik und der meisten Bürger ungleich größer als heute. Dies gilt insbesondere für die positive Seite der Freiheit, also den Gestaltungsraum des gesellschaftlichen und individuellen Lebens. Die Freiheit der Vermögenden ist freilich stetig gewachsen: Je mehr durch „den Markt“ statt durch die Politik entschieden wird, desto größer ist ihr Einfluss. Denn am Markt wird mit „Geldstimmen“ abgestimmt, in der Demokratie gilt aber „one (wo)man, one vote“. Dies verdeutlicht, warum neoliberale Ideologen mit einem negativen Freiheitsbegriff operieren und diesen weiter einschränken zu „Freiheit von staatlichem Zwang und sozialstaatlicher Bevormundung“. In diesem Sinne sind heute viel mehr Menschen „frei“ als vor 40 Jahren, sie sind insbesondere „frei“ von umfassender Existenzsicherung durch den Sozialstaat, egal ob durch das Gesundheitssystem, das Arbeitslosengeld oder die Altersvorsorge. Verwendet man (auch) den positiven Freiheitsbegriff, so wird klar: Mehr Entfaltungsmöglichkeiten des einen bedeuten meist weniger für den anderen. Denn die Produktion und (damit) die Gesamteinkommen sind ebenso beschränkt wie die natürlichen Ressourcen – letztlich also die „gesamt-
gesellschaftliche Freiheit“. Dieser Konflikt wird in einer realkapitalistischen Wirtschaftsordnung dadurch gemildert, dass der „Gesamtkuchen“ stetig wächst – der Finanzkapitalismus stellt hingegen (bestenfalls) ein Nullsummenspiel dar. Seit gut 20 Jahren vertreten die beiden traditionellen politischen Lager, die christlich-konservativen und die sozialdemokratischen Parteien, neoliberale Grundpositionen. Durch Wahlen konnten sich daher die meisten Bürger nicht gegen Sparpolitik und Sozialabbau wehren, obwohl diese den Interessen der Mehrheit widersprechen. Werden die Opfer immer mehr, so formiert sich Widerstand, entweder in Form rechtspopulistischer Bewegungen, welche die Verbitterung der Deklassierten auf Sündenböcke lenken (mit medialer Unterstützung mancher Vermögender), oder in Form linkssolidarischer Bewegungen, welche die Lage der Schwächsten durch sozialstaatliche Maßnahmen bessern wollen wie in Griechenland und Spanien – erfolgreich trotz medialen Gegenwinds. Damit wird offenkundig: Neoliberalismus und Demokratie sind in letzter Konsequenz nicht kompatibel, nur einer kann der Souverän sein, entweder die Bevölkerung, repräsentiert durch Parlament und Regierung, oder „der Markt“, repräsentiert durch die ökonomischen Eliten als die Deuter der „unsichtbaren Hand“. Dieser Fundamentalkonflikt wird umso klarer, je mehr sich die durch die neoliberale „Navigationskarte“ verursachte Krise zuspitzt. Er wird die gesellschaftliche Entwicklung in ganz Europa in den kommenden Jahren prägen, Griechenland und Spanien sind nur Vorläufer. Die prinzipielle Unvereinbarkeit von Neoliberalismus und Demokratie hat Hayek als erster erkannt. Wenn im Parlament eine „Diktatur der Mehrheit“ ein Gesetz beschließt, welches die individuelle Freiheit einschränkt (etwa die Pflichtmitgliedschaft in einer sozialen Krankenversicherung), so soll eine Art Weisenrat („jury“) dieses aufheben können. Es war daher nur konsequent, dass Hayek Pinochet in Chile besuchte mit der Begründung: „Personally, I prefer a liberal dictator to democratic government lacking in liberalism.“ Mit der Forderung nach einem Primat des Markts über die Politik stellt die neoliberale Ideologie das Verhältnis von Subjekt und Objekt auf den Kopf: Nicht der Mensch bedient sich des Markts als eines Instruments zur Lösung ökonomischer Probleme, sondern
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„der Markt“ wird als Subjekt gedacht, dem sich die Menschen und insbesondere auch die Politik anzupassen hätten. Damit erweist sich der Neoliberalismus als das größte jemals umgesetzte Projekt der GegenAufklärung. Statt des „Ausgangs des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) gegenüber Gott, Kaiser und Kirche im Sinne von „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“ (Brecht), bewirkt die neoliberale Ideologie eine neue Selbst-Entmündigung gegenüber „dem Markt“ als einem höheren Wesen, das die ökonomischen Geschicke mit „unsichtbarer Hand“ lenkt. Bisher habe ich die Staatsausgaben für Kultur noch gar nicht erwähnt – Themenverfehlung? Nein, denn die Sparpolitik in den verschiedenen Bereichen ist eingebettet in den generellen „Sachzwang“ des Sparens. Einschränkungen für die kulturellen Aktivitäten wird man – wie in anderen Bereichen auch – nur dann erfolgreich bekämpfen können, wenn man zweierlei zeigen kann. Erstens: Der „Sachzwang“ der Austeritätspolitik wurde produziert, und zwar durch solche Änderungen in den ökonomischen Anreizbedingungen, die unternehmerische Aktivitäten systematisch schlechter stellen als Finanzalchemie. Nur auf diesem indirekten Weg konnten die machtpolitischen Hauptziele erreicht werden: Schwächung des Sozialstaats und der Gewerkschaften. Zweitens: Die theoretische Basis für diesen Systemwechsel lieferten die neoliberalen „master minds“, ihre Theorien legitimieren nicht die Interessen des Realkapitals, sondern des Finanzkapitals. Allerdings: Der durch die neoliberale „Navigationskarte“ produzierte Sparzwang trifft nicht alle Bereiche staatlicher Aktivitäten in gleicher Weise. Er konzentriert sich auf jene Bereiche, in denen Sozialstaatlichkeit und Gewerkschaften (noch) relativ stark verankert sind, wo gesellschaftskritisches Denken (noch) gepflegt wird und wo die Widerstandskraft der Betroffenen gering ist. In ganz Europa wurde daher am meisten in der Arbeitslosenversicherung und im Pensionssystem gespart, des Weiteren in jenen Bereichen des Bildungssystems, deren „Output“ nicht ökonomischen Effizienzsteigerungen dient („Orchideenstudien“), und schließlich in der Kulturförderung. Im ersten Schritt musste in der öffentlichen bzw. veröffentlichten Meinung ein „common sense“ über den Sparzwang durchgesetzt werden, dann wurde das
„Florianiprinzip“ wirksam: Die einzelnen Gruppen versuchten, ihre Positionen zu verteidigen, und die „Sparpakete“ spielten die Gruppen gegeneinander aus. Unter diesen Bedingungen haben Kulturschaffende aus zwei Gründen besonders schlechte Karten. Erstens: Sie bilden nicht nur keine homogene Gruppe mit einer entsprechenden Interessenvertretung, sondern sind auf Grund ihrer Tätigkeit in hohem Maß Individualisten. Zweitens: Das Bild von Kulturschaffenden wird durch die mediale Präsenz von Stars geprägt, diese sind ohnehin „g’stopft“ und können ruhig mehr Steuern zahlen oder mit weniger Förderung auskommen. Das „färbt“ auf alle Kulturschaffenden ab, auch wenn klar ist, dass „Stars“ ihrem Wesen nach nur die wenigsten werden können. Wie prekär die soziale Lage der allermeisten Kulturschaffenden ist, bleibt der Öffentlichkeit verborgen und wäre wohl auch dann kein Thema politischer Auseinandersetzungen, wenn es bekannt wäre. Schließlich haben die Künstler und die meisten anderen Kulturschaffenden viel mehr Freiheiten als („normale“) Arbeitnehmer … Relativ besser ist die Lage der im Bereich der „Hochkultur“ Tätigen: Schließlich steigern Burg und Oper, die Salzburger und Bregenzer Festspiele etc. die Rentabilität der Tourismus-Wirtschaft. Die Förderung der „Hochkultur“ ist daher ökonomisch gerechtfertigt („rechnet sich“). Dass kulturelles Schaffen in seinen vielfältigen Formen einen Eigenwert darstellt und nicht primär auf Profit abzielt, wird in Zeiten der Ökonomisierung aller Lebensbereiche übersehen. Erst nach einem grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird sich die Lage der Kulturschaffenden ebenso wie jene der „normalen“ Bürger nachhaltig verbessern können. Dafür bestehen zwei notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingungen. Erstens: Eine massive Vertiefung der Krise zwingt die Eliten in der EU, ihren Lernwiderstand zu überwinden und zu erkennen, dass die neoliberalfinanzkapitalistische Spielanordnung selbst sowie die ihr entsprechende (Spar-)Politik die Hauptursachen der europäischen Misere darstellen. Zweitens: Die Opfer der Krise verstärken ihren Widerstand, sei es durch Wahlen, durch Kampagnen der Zivilgesellschaft oder durch ein stärkeres gesellschaftspolitisches Engagement der Kulturschaffenden – nach vielen Jahren „post-moderner“ Abstinenz.
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Die Möglichkeitsform der Bilder
Axel Hütte hat für diese Ausgabe von Quart fotografiert – am Umschlag und auf den folgenden Doppelseiten sind seine Arbeiten zu sehen, die der in Japan lebende Leopold Federmair vorab zu Gesicht bekam, um den nachstehenden Text zu verfassen: 1 Sich halten ans silberne Band, an den Wasserlauf, der den natürlichen Weg zeichnet, der nicht immer geeignet ist für jedes Tier, jeden Menschen, jeden Wanderer, der sich frei zu bewegen glaubt. Anders als Viehsteige, es gibt keine Geländer, keine Gewohnheiten. Ist man das Wegstück gegangen, dreht man sich um, wendet den Kopf, nicht den Körper. Was zu Tal sprang, ist erstarrt, bleibt außerhalb der Zeit, der Sekundenläufe, für immer, zurück. Die sprühenden Tropfen, unzählige Teilchen, sind eins geworden und werden bleiben. Das Band suspendiert die Bewegung. Wir können uns daran halten. Wir gehen weg, das Band bleibt. Es schimmert, wenn wir nicht hier sind, im Mondlicht. An diesem Punkt des Wegs gibt es noch Einzelheiten. Strähnen und Fransen, Zweige und Äste, gefallene Steine. Bewegung zum Licht, Bewegung in die Tiefe. Zwei Gesetze, unbekümmert um einander. Was lebt, hat eine Geschichte, die uns berührt, und will sie erzählen. Erzählt sie, ob sie gehört, gesehen wird oder nicht. Was lebt, wehrt sich gegen die Form, die es einsperrt. Es fügt sich und fügt sich nicht. Der Blick bringt das Lebendige zur Vernunft, indem er beharrt. Was er feststellt, wäre lieblich, ließe er es nicht erstarren. Der Blick zieht den Einzelheiten ihre Form ab und hält sie ihnen vor: Das seid ihr, das bist du und du – gewesen. Aber die Dinge wollen nichts wissen, sie bleiben bei sich, fahren fort mit ihrer eigenen Erzählung, die wir für einen Augenblick, der kürzer gewesen sein wird als ein Lidschlag, vernommen haben. Der Blick hat das unübersehbar Vereinzelte dem Chaos entrissen, der Zusammenhanglosigkeit. Er schafft die Ordnung, die er dort vorfindet. Er geht den Linien nach, simuliert und überzeichnet sie. Es sind Schichten, die auf eine Geschichte verweisen, aber die Geschichte ist versunken, die Erzählung verstummt. Stufen, auf denen wir gehen könnten, wären wir Riesen, aber wir
sind keine Riesen, oder nur in Gedanken, riesenhaft durch Gedanken. Hebungen oder Senkungen, durchschnitten im Fall, der lotrecht wäre, wehte da nicht ein Wind (den wir nicht sehen). Hebungen? Senkungen? Welches Gesetz gilt? Jetzt dieses, jetzt jenes. Mit dem ersten Betrachter betrachten wir, immer noch verharrend, die Landschaft und können uns nicht entscheiden; werden bald erhoben, bald niedergedrückt. Nebel bricht ein, wir gehen zu Boden. Das Naturtheater ist in unsere Phantasie ausgewandert, dort wähnen wir uns frei. Die Landschaft ferngerückt, sie rührt uns nicht mehr. Kein Vorder-, kein Hintergrund, kein Dazwischen. Wir sind auf uns selbst verwiesen. Wie alt ist die Erde? Älter als wir? Man begann die Natur erst zu begreifen, als man sie nicht mehr begriff. Sie war jetzt das Andere, ungerührt und teilnahmslos. Versteinerungen von Blättern, Nadeln, Tropfen, Steinen, Formen. Was uns nahe kommen und nahe sein könnte, in unüberwindliche Fernen gehoben. Wasser steigt als Dunst, der Fall ist beendet, auch wenn er weitergeht. Das andere dort, jenes Verharrende, hat keine Sinne, um uns aufzunehmen, es erwidert nicht unseren Blick, vernimmt nicht den Ruf – falls jemand ruft. Wir bleiben außerhalb und versteinern, diese Lektion haben wir mit dem ersten suspendierten Schritt gelernt. 2 Wir gehen weiter, höher und weiter. Das Lebendige ist zurückgeblieben. Hier stört nichts mehr, wir befinden uns vor dem Bereich des Idealen, der uns ausschließt – die Distanz wäre so oder so unüberwindlich. Die ideale Form ist das Dreieck: die Schwere läuft in der Spitze zusammen, wird leicht, löst sich auf in Nebel, Dunst, Luft. Nicht ideal, die hier verwirklichten Formen. Aber die mehr oder minder geraden, nur leicht gebogenen Umrisslinien streben zum Ideal. Abweisende Glätte, am
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reinsten verwirklicht vom Gletscher, der jedoch eigene Formen hervorbringt, die an das Organische erinnern, weil sie sich danach sehnen. Das Leben des Schnees und des Eises, Schichten und Kristalle, Lagerungen über dem abweisenden Stein, in den keine Stimme dringt. Sehnsucht nach Erlösung, Verwandlung. Der kleinste Wandel ist der Beginn der Erlösung. Unser Auge sucht vergebens nach Anzeichen. Es sucht, immerhin, immerzu. Der bohrende, schmelzende, abgewiesene Blick soll sich auf der Suche verlieren. Nichts stört. Die Formen verweisen auf nichts, sie genügen sich selbst. Natur ist Kunst um der Kunst willen: das beginnen wir einzusehen, nachdem unser Blick verloren ist. Was oben währt, das Unstoffliche, erweist sich als identisch mit der künstlerischen Materie, die man uns reicht: Weiß, Papier, Rechteck. Oben und außerhalb endet das unschuldige Spiel der Dreiecke, Trichter, Pyramiden. Es ist nur noch dieses An-sich. Also mehr als nichts (immerhin) und weniger als nichts (leider). Zum Unstofflichen geleitet uns, nein: geleitet sich der Wasserdunst, der Nebel, das Pneuma. Es handelt sich um eine Art Übergang, also reine Bewegung, unmerkliche Verwandlung: Das Etwas ist und ist nicht mehr; es ist nicht mehr und ist. In lieblicher Landschaft, viel weiter unten, sähen wir Rauch, dieses Zeichen von Reinigung, Vergehen und Werden, und wir wären erleichtert über die Störung im Bild, sei es auch nur, weil wir daran dächten, dass jemand, ein menschliches Wesen, Feuer gemacht hat, um sich zu wärmen oder zu nähren oder beides, es ist ja dasselbe. Welche Anmut, nur weil wir Menschliches ahnen und sehnen dürfen. Dagegen erhaben ist das Unmenschliche. Es vernichtet uns, indem es der Reihe nach alle Attribute vernichtet. Nicht nur unsere eigenen, sondern die Attribute von allem, was wir wahrnehmen und wahrnehmen könnten. Der Rauch zieht eine Spur durch das Bild, aber der Nebel verschleiert nach und nach alles, wie auch der Schnee (der Schnee ist der irdische Schleier). Das Blatt Papier stellt diesen Schleier dar. Licht und Schatten, auf dem Blatt festgehalten, stellen das Verschleierte dar. Was dunkel war, das Irdische, von Bändern durchzogene und gebundene Irdische, erscheint nun geblendet
und blendend. Aber auch gedämpft, ruhig, still. Die Zeit vergeht nicht, wird nie mehr vergehen. Es gibt kein Vor- und kein Nach-diesem-Bild. Die ideale Form ist das Dreieck: Trampolin der Unendlichkeit. 3 Wir gehen zurück und weichen zur Seite, es ist ein Schrumpfungsprozess. Vielleicht haben wir uns, unseren Geist, zu sehr ausgedehnt. Er strebte danach, seiner Bestimmung gemäß, sich über alles zu legen. Wir hatten uns uns vor die Bilder gestellt. Jetzt weichen wir, es ist ein Effekt ihrer Herausforderung. Und so beginnen wir neu zu sehen. Wir lernen zu sehen, das ist der Effekt. Im Paradies der idealen Formen erschließen sich uns die Einzelheiten, die Spuren des Menschlichen, eine Art Rauch. Ja, da ist sogar eine Hütte. Und dort ein Kreuz, ganz oben, wie es sich gehört, und etwas darunter, wie es ins Bild gehört, eine Hütte. Der Schemen der gekreuzten Striche und der dunkle Fleck im Weiß sind etwas, sie verweisen nicht mehr auf sich, sondern auf etwas anderes: ein Ziel, eine Mühe, eine Ebene. Etwas Fernes. Etwas Nahes und Fernes. Von oben könnte jemand herabschauen. Es gibt wieder oben und unten! Es gibt Aufstieg und Fall! Der Gegenblick könnte erfolgen. Der Ruf. Das Echo. Der Raum könnte ausgeschritten, ausgemessen, sogar ausgefüllt werden. Könnte: der hartnäckige Konjunktiv. Es ist nur eine Vorstellung, die Rückkehr der Phantasie. Tatsächlich zeigt sich, dass alles Mögliche eingesprenkelt ist in die unberührbaren Flächen, die unvollkommenen Rechtecke, die schiefen Ebenen, von denen irgendwann – es gibt ein Irgendwann! – etwas rutschen und schließlich fallen könnte. Es sind sogar Bäume, die stehen, aufrecht, wenngleich verschneit, eingeweißt. Es ist ein Raubvogel, oder ein Flugzeug, oder ein fahlblaues Dreieck in der Wolkendecke hinter dem Nebel. Die Harmonie dieser, nicht unserer, Sphäre zerbricht (immer schon), die Risse legen Schichten frei, es ist nicht alles so anders, wie wir denken wollten. Am Ende gibt es das Andere nicht, das Bild war Illusion. Also ist da doch etwas zu sehen, sogar ziemlich viel, unendlich viel. Nur ist dieses Viele einmal zu fern, als dass wir es unterscheiden und also aufnehmen könn-
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ten in unseren Geist, in unsere Phantasie und weiter in unser Sehnen. Und es ist zu nahe, so dass wir den Gletscher mit seinen Stufungen für die Scheibe eines Baumstamms mit seinen Jahresringen halten können oder für das Gewimmel eines Haufens von Ameisen mit ihren endlosen Wegen oder für ein nächtliches Traumbild oder ein Kaleidoskop, dessen Teile und Fügungen jederzeit umspringen könnten (Konjunktiv). Das Blendendweiß und Nebelgrau zeigt sich auf einmal farbig, waldgrün, nachtbunt. Zu nahe, zu fern. Jetzt zu nahe, jetzt zu fern. Kein Vordergrund und kein Hintergrund, kein Mittelgrund, kein Auseinander. Sondern einmal das, dann wieder das, und nur das. Ein Verwirrspiel, Zitterspiel, aber kein Ausgleich, keine Harmonie. Unordnung und Harmonie, jetzt und jetzt und jetzt. Kein Raum tut sich auf, daher keine Wanderung, jede Geste bleibt suspendiert, auch und besonders die großen. Im Naturtheater sind wir am Ende und Anfang der Geschichte. Die Berührung von Anfang und Ende wird – wenn überhaupt etwas – gespielt. Mit Spuren menschlicher Nebendarsteller. Kollateralphänomene. 4 Der gewichene und trotzdem (deshalb) beharrende Blick lässt los, was es loszulassen gibt. Zunächst, am Anfang des Endes, schnellt das silberne Band in den Raum – nicht des Bildes, fürs erste, sondern in den Raum zwischen Bild und Betrachter: gleich einer Zunge, die leckt und sich wieder zurückzieht, wie an der Küste, zwischen Festland und See. Der Mann auf seinem Posten am Gegenhang oder Gegenberg hat geduldig gewartet, bis der Nebel den im selben Vorgang wiedergekehrten Bildinhalt eingekränzt hat, so dicht, dass das Hinweisende mehr Platz einnimmt als das, worauf hingewiesen wird. Dieses scheint also geschrumpft, doch in Wahrheit ist es hervorgehoben; nicht erhoben, sondern intensiviert, obwohl oder weil es sich vom Nebelkranz fast nicht abhebt. Die Schärfe wächst mit der Verfeinerung. Hingewiesen sei auf das, was sich wandelt, jetzt und hier, und auf mehr, das sich wandeln kann. Es reißt auf und macht zu. (Es = Welt = wir.) Es zeigt und verschließt sich. Es ist da, obwohl es nicht da ist, will sagen: Das Verborgene zeigt sich geborgen.
Das Erhabene entfaltet nun seine Anmut, es lässt sich bekränzen. Das Relief der Zacken, der Dreieckszähne, all dieses Reißerische, das sich dem Idealen, gar Himmlischen angebiedert hat wie der böse Wolf im Märchen, wird flach wie das Papier oder der Bildschirm, auf das oder den es gebannt worden war. Der Berg klappt herunter, die Berge, die Zacken, das ganze Gebirge klappt in unser Zimmer, weicht an die Wände, wo wir die Bilder der Reihe nach mit diesem Zögern und Zurückweichen, diesem Entziehen und Hindeuten, aufgehängt haben. So, von rechts oben nach links unten, von rechts unten nach links oben, erzählen sie doch noch eine Geschichte, werden laut, werden leise, flüstern. Der Berg begibt sich mitsamt seinem Gefolge, den Bäumen und Steinen und Quellen und Vögeln, durch die Öffnung des Rahmens, und gleichzeitig, wie kann es anders sein, schmilzt das Eis, wird Wasser, stürzt über Stufen, beruhigt sich im See. Und, fernerer Effekt, eine andere Geschichte: wird auch Holz, wächst als Baum, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Wasser wird Eis, gefrorene Tropfen auf Blättern. Nähe und Ferne spielen wieder ihr Widerspiel. Was so streng aussah, ist voller Nachsicht gegen die Störungen, aus denen Neues, Unerhörtes, Ungesehenes sprießt. Die Blätter hängen an den Wänden. Der Nebel steigt oder sinkt. Der Wasserfall steht auf. Das Bild zieht uns aus der Blickschneise. Wir sind schon ganz in der Nähe. Wir müssen uns nicht ängstigen. Wir müssen nicht einmal resignieren, weil wir wissen, dass wir nie etwas besitzen werden, nicht einmal uns selbst. Wir müssen nicht müssen. Jedes Ziel ist gut, und es wird immer welche geben. Aber kein Endziel. Oder doch? Kümmern wir uns nicht darum! Selbst wenn wir uns heraushalten aus dem, was sich uns aufdrängt, kommen wir weiter. Neugierig geworden, halten wir uns ruhig heraus. Man kann das, was sich dort zu sehen gibt, nicht berühren, denn es entzieht sich, wenn wir das Auge, den Arm, die Fühler auszustrecken beginnen. Unberührbar sitzen wir im Theater, in unserem Zimmer, in unserer Welt. Wir leiden nicht Furcht noch Schrecken. Sondern ziehen, die Augen zu Fühlern geworden, eine warme Spur über glatte Flächen.
S. 23: Imbachhorn, 2014 S. 24: Pötschenhöhe, 2014 S. 25: Kaunertal, 2013 S. 27: Gepatschferner, 2014 S. 28 / 29: Rettenbachferner, Diptychon, 2014 S. 30: Flexenpass 2, 2014
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Der Sonderling
Franzobel hält eine literarische Séance mit Norbert C. Kaser ab.
Vorwort Mit Glück, Zufall und einiger Beharrlichkeit ist es mir im Herbst 2014 gelungen, mit Norbert Conrad Kaser, dem 1978 verstorbenen Südtiroler Schriftsteller, in Kontakt zu treten. Natürlich haben Sie, werter Leser, ein Recht zu erfahren, wie der darauf folgende Briefverkehr mit dem Toten zustande gekommen ist. Nun sind aber a) die Umstände derart kurios, dass man mir ohnehin kaum glauben würde, ist es b) besser, meinem Versprechen nachzukommen und das Medium nicht preiszugeben. Also sei c) nur verraten: So unvermittelt und überraschend, wie sich dieser Kontakt ergeben hat, ist er auch wieder abgerissen. Alle Bemühungen, ihn wiederaufzunehmen, sind gescheitert. Mögen manche diesen Briefverkehr als esoterischen Humbug oder metaphysischen Schwachsinn abtun, für mich steht außer Zweifel, wirklich mit dem Geist Kasers verbunden gewesen zu sein. Im Folgenden werden aus Platzgründen lediglich seine Antworten abgedruckt, sie sind ohnehin der interessantere Teil dieser Kommunikation. Bis auf kleinere orthographische Eingriffe wurden sie so gesetzt, wie sie zu mir gekommen sind. Franzobel, März 2015
jenseits 041014 werter franzobel es ist angenehm & beruhigend zu wissen, daß es noch menschen gibt, denen ich nicht wurscht bin. auch habe ich mich gefreut, wie sie bei ihrer sogenannten graebertour nicht nur beim gatterer in sexten, beim trojer in außervillgraten & beim webern in mittersill, sondern auch bei mir in bruneck gewesen sind & nicht auf mein grab gespuckt haben, sondern meiner gedachten & mir auch noch eine flasche wein & ein paeckchen zigaretten auf das grab legten, wofuer ich ihnen ganz besonders dankbar bin. ich wuerde auch lieber in sexten liegen wie der gatterer & mir am friedhof den totentanz im egger-lienz-stil ansehen, in außervillgraten wie der trojer oder in mittersill wie der webern, anstatt im
unscheinbaren grab am brunecker friedhof, wo nicht viel los ist & auch die aussicht zum scheißen ist. doch nun zu ihren fragen: ueber meine lebensweise hier darf ich nichts verraten, nur so viel, es gibt wenig zu trinken & auch die zigaretten sind knapp bemessen. der kaffee ist stark wie der teufel & beißt in der nase. ich besitze eine eigene schreibmaschine & verfolge mehrere projekte, die mich voll & ganz in beschlag nehmen. der literaturbetrieb wird zwar auch hier wahrgenommen, kuemmert mich aber herzlich wenig, dieses getoese, das die verlage jedes halbjahr um ihre angeblich lange & heiß herbeigesehnten neuerscheinungen veranstalten, damit die buchhaendlerinnen mit augen groß wie pfannen feucht im schritt werden, ist aus meiner perspektive einfach nur laecherlich. aber, das will ich nicht verhehlen, ich beneide die heutigen schreiber & dichter durchaus um ihren materiellen wohlstand. koennen sie sich vorstellen, daß ich noch richtig hungern mußte. mehr als einmal, daß ich zwei, vier tage bloß eine trockene semmel zwischen die rippen bekommen habe, fuer ein gedicht um ein achtel schnorren mußte, auch die ewigen bitt- & bettelbriefe wegen der miete oder den schulden etc. haben mir das leben nicht gerade leicht gemacht. dagegen geht es den heutigen schreibern richtig gut, ein paar werden mit stipendien aufgepaeppelt wie die jungen ferkel. das war zu meiner zeit, in den siebzigern, noch anders, da gab es kaum jemanden, der von seinen texten leben konnte, weil es auch noch kaum stipendien gab. mittlerweile vergibt ja jedes kuhdorf einen literaturpreis, in jeder furche wird eine goldene kuhflade verliehen & in jeder zum wellneßhotel umgebauten scheune hocken ein paar literaten & schreiben, daß die finger krachen. daran kann man sehen, wie schlecht es in der gesellschaft um die identitaet bestellt ist, wenn man so viele identitaets-versicherer und identitaetsstifter braucht. heute wird den jungen dichtern alles in den arsch hinein geschoben. es muß nur einer einmal zwei gerade zeilen zusammenbringen, schon schiebt man ihm hinten & vorne die subventioenchen rein, damit er kaum noch zum atmen kommt, geschweige denn noch weiß, wogegen er eigentlich anschreiben wollte. die jungen schreiber heutzutage werden totgestreichelt.
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aber das ist nicht mein problem. natuerlich weiß ich auch, daß sich mein spaeterer ruhm, was immer das ist, eben diesen, wie man neuerdings sagt, prekaeren lebensumstaenden verdankt. waere ich alt & fett & feist geworden, wuerde heute wohl kein hahn mehr nach mir kraehen. die gesellschaft liebt geschichten von armen poeten, die ueberall angeeckt haben, nichts zu fressen hatten & sich totgesoffen haben, aber erst wenn sie begraben sind & man weiß, daß sie einen in ruhe lassen, einen nicht mit unangenehmen meinungen oder bettelbriefen traktieren. zu lebzeiten will niemand etwas mit ihnen zu tun haben, macht man einen bogen um sie, aber kaum sind sie unter der erde, kommt alles angekrochen und lobt und preist. stellen sie sich vor, man hat sogar die bibliothek in bruneck nach mir benannt, um mich einzuverleiben, um auch aus mir einen großen sohn der stadt bruneck zu machen. darauf scheiße ich. zu lebzeiten mußte ich froh sein, als hilfslehrer arbeiten zu duerfen, um nicht zu verhungern, da hat sich keiner um den großen sohn gekuemmert. für mich war bruneck immer blutruenstig & miserabel & hundsgemein, hinterfotzig und verschlagen. mich hat bruneck genauso angekotzt wie die dolomiten, die rai, der athesia-verlag & der andreas hofer. heute genieße ich einen gewissen nachruhm, aber den kann ich mir ehrlich gesagt sonstwohin stecken, weil ich nicht weiß, was es daran zu genießen gibt. also halte ich steineren schlaf in zerwuehlter waesche & traeume schwere traeume. sie fragen, ob ich heute etwas anders machen wuerde? damit meinen sie wahrscheinlich die frage nach meiner willentlichen vernichtung, die ich mit alkohol konsequent betrieben habe. nein, wuerde ich nicht. ich bin ja so ziemlich der letzte deutschsprachige schriftsteller, der sich totgesoffen hat. sonst fallen mir nur noch werner schwab & der kaerntner georg timber-trattnig ein, mit denen ich hier manchmal ein flaeschchen zwicke. eine weile lang war der schwab ziemlich eingebildet wegen dem erfolg seiner praesidentinnen, aber seit die auch nicht mehr so gut laufen, ist er ganz in ordnung. der schurl dagegen, der noch immer auf seinen durchbruch wartet, ist ein feiner kerl. ich habe mich totgesoffen, weil ich leben wollte. vielleicht war ich auch aengstlich & unsicher. mein vater, von dem sich spaeter herausgestellt hat, er war ueberhaupt nur mein stiefvater, arbeitete als portier, weil er
aus dem krieg mit einem zerschossenen arm zurueckgekommen ist & nicht mehr als tischler arbeiten konnte. jetzt sagen die originalitaetsdeppen immer, man solle der herkunft keine so große bedeutung zuschreiben, sie werde ueberbewertet. aber natuerlich spielt es eine rolle, ob man nun aus einer aerztefamilie, einer juristendynastie, einem landwirtschaftlichen großbetrieb oder einer miefigen portiersloge kommt, ob man etwas hat oder nicht. vor allem, wenn man nichts hat. & wir haben nichts gehabt, nichts, um uns daran festzuhalten, außer vielleicht der flasche. & dabei hat alles gut begonnen, war ich ein fleißiger schueler, ein streber, einer, der alles in tabellen gefaßt hat. es war ja alles andere denn selbstverstaendlich, daß einer wie ich auf das gymnasium geht. fuer einen wie mich war nur die volksschule vorgesehen, aber da ich begabt war & meine mutter hoffte, daß aus mir einmal etwas werden wuerde, ein priester, kam ich auf die hoehere schule & hab mich dort bewaehrt. ich war kein schlechter schueler. bis auf die matura. bei der matura habe ich versagt. zweimal durchgefallen. sogar in deutsch. das muß man sich vorstellen, ich, der ich eine schuelerzeitung herausgegeben habe, der ich klassenbester in deutsch gewesen bin, versage bei der schriftlichen matura. dabei habe ich nicht nur meine arbeit geschrieben, sondern auch noch eine zweite fuer einen klassenkollegen, & diese zweite arbeit, was für eine crux, war positiv, meine nicht. aber wahrscheinlich bin ich nur wegen meinem betragen durchgefallen, weil ich mich nicht einordnen konnte. einer, der immer aufmupft, in der toilette raucht, nicht einmal auf offener straße die zigaretten versteckt, einer, der alles besser weiß, aneckt … das hat man mir dann heimgezahlt, weil wenn die suedtiroler etwas koennen, dann das heimzahlen, da sind sie groß. die matura hat mich gebrochen, hat mir gezeigt, daß doch nicht alles so leicht geht fuer einen, der zum einen kein betragen hat & zum anderen auch noch aus einer portiersloge kommt, kind einer arbeiterin und eines stiefvaters, dem man in rußland den arm zerschossen hat. also habe ich mich nach einem maeßigen anfang, den ich selbst aber als ganz vorzueglich wahrgenommen habe, mich trefflich zum alkoholiker herunterentwickelt, weil ich angst vor der leere hatte, angst, ich koennte mich bereits ausgeschrieben haben, bevor es überhaupt losgegangen ist. aber was hat schon be-
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stand? was hat substanz? was ist es wert, erhalten zu bleiben? ich hatte stets ein großes mißfallen gegenueber jedem pathos; jede große geste war mir von vornherein zuwider, weil sie mir hohl & verlogen erschien, weil ich das geheuchelte & unwahre darin sah, obwohl es mich gleichzeitig hinzog. immer wollte ich etwas schaffen, das gueltig war, etwas, das bewegte, nicht kalt war. ein paarmal ist mir das geglueckt, oft nicht. man muß beim schreiben ruecksichtslos sein, darf keine kompromisse machen, auch wenn es schwerfaellt. bei mir haben sogar die tanten ihr fett abgekriegt, die julie & die luise, verkaeuferin die eine, koechin die andere, obwohl sie die einzigen waren, die mir immer zuflucht gewaehrten, wenn ich mich mit den eltern zerstritten hatte, mir unter die arme griffen, wenn es wieder einmal eng geworden ist, habe ich mich ueber ihr arme-leute-denken, ihr sparen, ihre sturheit & dummheit lustig gemacht. arme julie & luise. ich habe ihnen heimgezahlt, daß sie immer die feuchte wäsche auf meine manuskripte gelegt haben, mich immer traktierten mit ihrem: schalt das radio aus, wenn du gehst, zieh den stecker, dreh das licht aus. so. mehr kann ich ihnen nicht mitteilen. das ist auch alles tiefste, dunkelste vergangenheit. mittlerweile hat sich mein befinden gefestigt, sogar der zustand meiner zaehne hat sich gebessert & auch die nieren geben eine ruh. wissen sie etwas von den suedtiroler kraehen? haben sie sich schon aufgemacht, gleich den schwalben in den sueden zu fahren? herzlichst ihr großer heimzahler norbert conrad kaser
jenseits 121114 geschaetzter franzobel nun, da sie mir keine ruhe lassen & in mich dringen, was ich ueber die gegenwaertigen zustaende der welt zu sagen habe, muß ich sie enttaeuschen, die welt, ja, sie ist groeßer als ein ochsenauge, ist nicht mehr meine sache, war sie vielleicht nie. eine zertengelte sense oder zerquetschte nuß. ich war immer dann am gluecklichsten, wenn ich einigermaßen bei mir gewesen bin, als
hilfslehrer in den dolomiten, in laas oder vernuer, wenn ich mit den volksschulkindern historische gerichtsverhandlungen inszenierte oder die vogelpredigt des heiligen franz an die wand malen ließ, meinetwegen auch als autostopper richtung norwegen – ein scheißland übrigens. oder als katzentotschlaeger. gegen die wand habe ich das vieh, ein kleines sueßes kaetzchen, geschleudert & es dann tot in eine jauchegrube geschmissen. eine stunde spaeter war es wieder da & hat gestunken, & als ich ihm dann den kopf mit einer axt zertruemmerte, als die kleinen katzenschaedelknochen knackten wie eine nuß im nußknacker, das katzenblut über den hackstock rann, in das poröse holz sickerte, sich die kleinen pfoten streckten und die krallen ein letztes mal ausfuhren, war ich ganz bei mir. ganz. ich war immer ein sonderling, einer, der nie dazu gepaßt hat, nicht, weil ich nicht gewollt haette, sondern weil ich nicht konnte. einer, der alles absichtlich macht, ein rebellischer kerl, der im keller & in der toilette raucht. fuer mich waren die annehmlichkeiten des buergerlichen lebens immer mehr bedrohung als verlockung. ich wollte nie eine integrierte leiche sein, die sich nicht mehr wehrt. fuer mich gab es immer nur eine wahrheit, die im wein. trotzdem habe ich mich nach einem geregelten leben gesehnt, nach einer große liebe, die mir versagt geblieben ist, einem leben, das mir ein kontinuierliches schreiben ermoeglicht. im schreiben habe ich zu mir gefunden, bekam die welt eine ordnung & eine schoenheit, die sie sonst nicht hatte. ich habe mich ja nie irgendwelchen moden unterworfen. nehmen sie nur meine frisur. all meine freunde, ja praktisch alle damals haben sich die haare wachsen lassen & koteletten gleich dazu, nur ich nicht, obwohl ich wegen meiner fliegerohren allen grund dazu gehabt haette. ich habe meinen kurzhaarschnitt immer beibehalten – manchmal habe ich mir zum entsetzen meiner umwelt gleich eine glatze scheren lassen. ich war so etwas wie der erste skinhead suedtirols & noch dazu ein linker, einer, den man nicht recht einordnen konnte. stellen sie sich vor, wie ich, ein kleines duennes maennlein mit riesigem lodenumhang & schlapphut, durch bruneck gezogen bin. wie ein eingelaufener andreas hofer muß ich ausgesehen haben. da haben sie geschaut, die leute, daß ihnen fast die kuhaugen rausgefallen sind. meine erste lesung, in innsbruck war das, hielt ich in
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der kutte, weil ich damals novize bei den kapuzinern war – & spaeter dann mitglied bei der kommunistischen partei italiens. wohlgefuehlt habe ich mich da wie dort nicht. die nordtiroler sind harte und unfreundliche knochen & die kommunisten dogmatische meinungsintoleranzler. ich war einer, der nie dazugehoerte. es ist mir einfach schwer gefallen, kompromisse zu machen oder dinge zu tun, von denen ich nicht ueberzeugt war. diese sogenannte pflichterfuellung ging mir immer so etwas von gegen den strich. ueberall, nicht nur in nordtirol oder bei der kpi. als hilfslehrer die erstellung von lehrplaenen oder die fuehrung des klassenbuches … ein graus! einmal ist sogar die polizei ausgerueckt, um mein nicht zurueckerstattetes klassenbuch zu holen. die haben eine richtige staatsaffaere daraus gemacht. ein vermißtes klassenbuch war schlimmer als ein entfuehrter aldo moro. aber der polizeieinsatz war erfolglos. die haben mir ganz umsonst die bude auf den kopf gestellt. sie konnten ja nicht wissen, daß ich dieses verdammte klassenbuch als klopapier in verwendung hatte. gut, ich habe das register dann doch zurueckgegeben, um den kindern von vernuer keine probleme zu bereiten. der sogenannten obrigkeit, den schulbehoerden & direktoren, ging es nie um die kinder oder ihre lernfortschritte, sondern immer nur um die einhaltung der lehrplaene & um dieses bloede klassenbuch, das sie wie das allerheiligste verehrt haben. aber es sind die kinder, die jetzt als erwachsene in der welt leben, & nicht die klassenbuecher. manche haben mich mit dem wittgenstein verglichen, der auch als ungluecklicher schwuler irgendwo in der einoede unterrichtet hat, aber waehrend der wittgenstein kinder geschlagen hat, habe ich meine kinder geliebt – & sie mich auch; einen großteil meines ohnehin geringen lehrergehalts habe ich fuer schulmittel verwendet, farben, stifte & bloecke gekauft. außerdem habe ich texte fuer die diktate verfaßt. waehrend sich der wittgenstein seines schwulseins sicher war, bin ich zwischen den geschlechtern hin & her gependelt wie der ochs zwischen den kuehen. wahrscheinlich ging es mir nur darum, geliebt zu werden, wahrgenommen zu werden, zu sein. ich hatte immer schwierigkeiten mit autoritaeten. kaum wurde ich irgendeiner instanz oder autoritaet gewahr, mußte ich auch schon mein bein heben & zui-
schiffen. ich konnte einfach nicht anders, ganz egal, ob es nun der schuldirektor oder irgendein literaturpapst war, das kleine kasermandl mußte ihn anbrunzen. das ging soweit, daß ich meinem kleinen hund, den ich mir irgendwann zugelegt habe, den namen haymo gab. ich hätte ihn auch paolo, bruno oder hasso nennen können, aber nein, ich nannte ihn haymo nach dem populaeren svp-politiker, langjaehrigen fremdenverkehrsobmann, spaeteren altbuergermeister, raiffeisenmenschen & betreiber des groeßten hotels in bruneck: haymo von grebmer. das war natuerlich ein gaudium: haymo sitz, haymo platz, haymo gusch. & jetzt, weil das leben nicht ohne ironie fuhrwerkt, ist mein kompletter nachlaß beim haymon verlag erschienen …, der aber nichts mit dem haymo zu tun hat, welcher uebrigens noch immer lebt. waehrend der bloede hund kaser mit seinem noch bloederen hund haymo laengst tot sind, ist der feiste altbuergermeister mit seinen rosa baeckchen und seinem schlohweißen haar immer noch da, frißt seinen speck, laeßt sich orden anstecken und die landschaft verbauen. da kommt mir immer noch alles hoch, wenn ich daran denke. zuibrunzen. auch beim schreiben habe ich mich keinen moden angepaßt, zumindest habe ich versucht, etwas eigenes zu finden, etwas, das nichts mit dieser gaengigen heimattuemelei zu tun hat, mit dieser vertrottelten schießbudengesellschaft entleerter seelen. natuerlich habe ich die ganze edition suhrkamp in mich hineingefressen, bis ich nicht mehr wußte, was von mir ist & was angelesen. wie hat die spanische kommunistin dolores ibarruri gesagt, es ist besser auf den fueßen zu sterben, als auf den knien zu leben. & bruneck war schrecklich, lauter grebmers. seit meiner brixener rede bei der studientagung der suedtiroler hochschuelerschaft war ich so eine art teufel, ein schlaechter & gottseibeiuns, einer, dem nichts recht ist, ein revoluzzer, einer, der keine ruhe geben kann, ein zuibrunzer. das hat sich bis bruneck durchgesprochen, wo sich bald darauf einige gasthaeuser weigerten, mich zu bedienen. ich weiß nicht, ob sie sich das vorstellen koennen, dieses verdruckste & duenkelhafte, diese mischung aus minderwertigkeitsgefuehl & großkopfigkeit, diese angst vor den italienern & der gleichzeitigen gewißheit, selbst kein richtiger deutscher zu sein. diese an touristen oder politiker verkaufte identitaet, die einen geradewegs in den alkohol treibt. aber mir wollte man nichts mehr
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geben. wenn mich nicht der paul flora mitgenommen haette, den man damals schon schaetzte, weil er ein anerkannter kuenstler war, haette ich in bruneck ueberhaupt nichts mehr zu saufen gekriegt. natuerlich wollte, nein, mußte ich da weg. aber wien hat sich fuer mich als katastrophe herausgestellt, als großes gefrette, wo es nur gemeines gerede als brotaufstrich gab – und vielleicht noch die tirolerknoedel und wuchteln im tirolerheim zu dornbach unweit der sophienalpe und dem funkturm, wo sogar wien ein bißchen nach tirol schmeckt. diese große stadt, in der so viel passiert & trotzdem nichts los ist. das schrebergartenhaeuschen in der alszeile nummer 64, wo es kein fließendes wasser gab, ein plumpsklo im freien, wo es einem im winter das arschloch zufror, war schrecklich. ein denkbar miserables wetter, immer kalt und feucht und grau. die luft war schwer, zäh & gelb wie eiter & die geheuchelt freundlichen menschen hatten nur eine bezeichnung für mich übrig: bleda provinzla. gut war nur brankowskys wein- und bierhaus & der fruehling, wenn es vom wienerwald den baerlauchgeruch herunterwehte, sonst stank es immer nach biermaische von der ottakringer brauerei oder nach schokolade von der nahegelegenen mannerfabrik oder nach vitamin b, weil man in wien ohne beziehungen zu nichts kommt. außerdem mußte ich immer am hernalser friedhof vorbei, wo der konrad bayer liegt, der sich mit ein&dreißig Jahren vergast hat. ich haette mich vielleicht auch vergast, wenn ich einen gasofen gehabt haette. aber ich hatte nur einen alten kanonenofen. es war ja immer eine unheimlich anmutende trauer in mir, aber nicht wegen dem konrad bayer. der konrad bayer & die wiener gruppe samt ihren konkreten onkeln und tanten waren nie mein ding. die mit ihren kastrierten und hermaphroditischen woertern, mit ihrer wie eine fette sau durch die suempfe gewaelzten literatur, diese wiedergeburten des barocken werden bald vergessen sein. mir dagegen, dem bleden provinzler, ist es immer um die eigene erfahrung gegangen, um die loesung des erlebten von klischeevorstellungen, um die freilegung von kulturellen tiefenschichten. ich wollte immer etwas anrichten mit meiner sprache, treffen, weh tun, zuibrunzen. die trauer in mir kam wegen dem alleinsein, meiner isolation, einsamkeit. ich war ja duerr wie eine wueste, nur die leber war am schluß wie bei einem elefanten.
dann kam, da war ich laengst wieder zurueck in suedtirol, der zusammenbruch. ich war nun einmal kein bauer, knecht oder bauernsohn, keiner, der sich mit einem raiffeisenmenschen arrangiert, ich hatte nicht ihre mentalitaet & meine war ihnen nicht geheuer. mein vollkommen unnormales verhaeltnis zu geld oder karriere, meine freiheitsliebe, meine oft spleenigen vorstellungen & eine seltene form von unbeugsamkeit begannen mich von meinen freunden zu unterscheiden. die waren ja plötzlich alle verheiratet, doktorisiert, verbeamtet & recht integriert, die hatten sich ein buergerliches schneckenhaus gerichtet, waehrend ich immer noch nicht wußte, wer ich war & wo ich hingehoerte. nur eines wußte ich bestimmt, daß ich tausendfach anders war als sie. tausendfach. da ich ein religioeser mensch war, trat ich aus der kirche aus. außerdem war ich nicht bereit, meinen glauben an GOTT zu bezahlen. & diesen glauben habe ich mir nicht austreiben lassen, nicht von einem dicken kooperator, der mit seinen dicken, patzigen orgelspielerfingern in unseren kinderseelen herumwuehlte, nicht von den grauen schwestern zu brixen, die mich tagelang in der nassen windel liegen ließen, nicht von den bigotten seelenschacherern und auch nicht von den besonders scheinheilig tuenden altbuergermeistern, die dann alles zuscheißen mit ihren bauprojekten. soweit fuer heute ihr wilder hund und zuibrunzer norbert conrad kaser
jenseits 071214 lieber franzobel leer sind die tage, ohne inhalt mein leben. ich bin einsam & allein & werde immer hohler. freilich hat es keinen sinn, mit 28 ins gras zu beißen, aber es hat auch keinen sinn, mit 31 ins gras zu beißen. gras schmeckt nur in der pfeife. ich werde nie anders koennen, als von mir aus zu denken, also beurteile ich auch die menschen nur danach, ob sie fuer mich etwas getan haben oder nicht. hans haider zum beispiel, der ein schoenes appartement am altausseersee besitzt, im ehemaligen hotel frischmuth, das hat er sich mit seinen bespre-
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chungshonoraren verdient, hans haider, den viele fuer einen flaschelfurzer halten, hat sich fuer mich eingesetzt, jenem hans haider, der spaeter den holzfaellenskandal um bernhard losgetreten hat, indem er den komponisten lampersberg so lange genervt hat, bis der eine klage einreichte, hatte ich ein literaturstipendium der republik oesterreich zu verdanken. die rettung? von den zwoelf monaten verbrachte ich 14 wochen im spital. mein gesundheitszustand hatte sich rapide verschlechtert, was wohl am unregelmaeßigen lebensrhythmus, der gar nicht ausgewogenen ernaehrung & den gasthaustouren lag. ich habe wie ein wahnsinniger gesoffen – bis die leber nicht mehr konnte. ich habe meine eigene leber unter den tisch gesoffen. zuerst war ich in einer anstalt bei verona, spaeter dann in bad berka, thueringen, wo es ein mittagessen mit sueßem salat & ewigen erdaepfeln gab. natuerlich geriet ich mit den krankenhaeusern genauso in konflikt wie mit allen anderen einrichtungen, mit dem direktor in der schule, den behoerden, dem vorstand im kloster. die aerzte wollten die wunde finden, der ich mein saufen verdankte & sahen nicht, daß alles an mir wunde war, oder alles gaudium, alles tanz. ich bereute nichts, keinen tropfen wein, keinen haß, keine traene, keine liebschaft, keine sexuellen ausfluege, keinen schiß. natuerlich spuerte ich, daß ich mich selbst ruinierte, aber ich war ein fremdling meiner selbst, einer, der trost nur bei wein und schnaps fand – und bei den nazis, den nationale-zigaretten. so lebte ich wie in trance, als ob ich selbst nicht wahr wäre. eigentlich wollte ich das stipendium nuetzen, um endlich einen roman zu schreiben oder ein volksstueck, aber ich hatte angst vor einer groeßeren arbeit, angst vor dem versagen. ein portraet ueber den wirt von vernuer ist gescheitert, weil er gestorben ist. die geplante tragoedie ist gescheitert, der roman ueber den heiligen sebastian nie begonnen, ebenso der geplante große norwegenroman. auch aus dem großen staedtezyklus ist nichts geworden. der totentanz? der roman ueber den spanischen buergerkrieg? nichts. immer habe ich stoffe & ideen gewaelzt, immer waren da vorsaetze, etwas großes zu schreiben, aber geworden ist es nie etwas. so bin ich ein dichter ohne großem werk geblieben, ein dichter, der sein dichtersein weniger durch texte bewiesen hat als mehr durch seine art zu leben. das habe ich mit dem hc artmann gemein. der war auch ein rastlos getrie-
bener, einer, den es nach skandinavien & in die ganze welt gezogen hat, nicht ganz so lebensunfaehig wie ich, weil er immer frauen gefunden hat, die sich um ihn gekuemmert haben. aber auch er hat es verabsaeumt, das große werk zu schaffen, womit er sich fuer immer einen platz in der literaturgeschichte sichern koennte. So kann es sein, daß er wie ich als fußnote endet. der artmann hat ja angeblich 27 sprachen gesprochen, aber das ist eine maer, die er ebenso in die welt gesetzt hat wie seinen phantasie-geburtsort. tatsaechlich war das englisch von dem hc artmann so schlecht, daß er in amerika nicht einmal in der lage war, alleine im hotel einzuchecken. ueberhaupt diese ganzen erfundenen geschichten & selbststilisierungen. wie oft habe ich schon von thomas bernhards vergeblicher suche nach einer neuen zuercher zeitung gehoert, ganz oberoesterreich hat er abgegrast nach dieser zeitung – von gaspoltshofen bis geboltskirchen, von ampflwang bis zipfelwang. aber nie fraegt jemand, warum. warum war der bernhard denn so versessen nach einer zuercher zeitung? weil er so ein mondaener weltenbuerger war, der ohne dieses erzkonservative drecksblatt nicht leben konnte? wobei die zuercher zeitung natuerlich schon ein anderes niveau hatte als zum beispiel die dolomiten, die ein richtiges scheißblatt waren, damals. aber warum war ihm kein weg zu weit, diese bastion des schweizer buergertums, diese gedruckten panzersperren zu erwischen? doch nur, weil er darin eine besprechung seines letzten buches vermutete. etwas anderes hat den doch gar nicht interessiert. aber so sind die meisten herren & damen schriftsteller, verlogen & verheuchelt. & ich wollte da nicht mitmachen, obwohl ich auch jede noch so unwichtige scheißkritik aus jedem unbedeutenden kaeseblatt aufgehoben habe, weil mir noch die kleinste notiz bestaetigt hat, daß es mich gibt, ich schreibe. sie muessen sich vorstellen, es gab fuer mich keine veroeffentlichungsmoeglichkeiten. ja, ich haette suhrkamp, rowohlt oder vielleicht sogar dem walter verlag in olten schreiben koennen, aber ich hatte angst vor einer absage, angst vor einer ablehnung, angst davor, als dichter durchzufallen. ich hatte schiß. wissen sie warum? weil ich sonst nichts hatte. ich habe meine existenz auf der verwegenen idee gegruendet, dichter zu sein, da konnte ich doch nicht riskieren, daß mir dieses einzige fundament, das ich hatte, unter den fueßen weggezogen wird. ich hatte ja sonst nichts – außer
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komplexen, unbaendigem haß & eine spur vielleicht talent. sie muessen sich vorstellen, ich war ein zartes kleines maennlein mit 56 kilo. einer, der nie nachgegeben hat, ein sturer hund, nach außen selbstsicher, vielleicht sogar ueberheblich, arrogant, nach innen aber unsicher, zerfressen von zweifeln. so, bevor ich larmoyant werde & in sentimentalitaet zerrinne, beende ich, eine zahme kraehe im kornleeren winterfeld, die ausnahmsweise keine nieren und auch keine zaehne spuert. es grueßt nck
jenseits 241214 diese nacht ist arg gewesen. meine augen sind matt wie enteneier & die zunge fuehlt sich an wie alter lebkuchen. zu weihnachten ueberkommt mich immer schwermut, die ich still in mich hineinrinnen lassen darf, zu weihnachten habe ich angst, alles falsch gemacht zu haben. ich blicke ueber das land & sehe die baracken der zoellner, die immer oefter wasser abschlagen, was die menschen dann fuer klimawandel halten. auf meinem tisch steht ein strauß leberbluemchen, daneben liegen ihre buecher. danke. ich bin hier in der lage, sie ohne konkurrenzdenken zu lesen. obwohl es auch mir schwerfaellt, zu sehen, wie juengere kommen & einen einfach ueberfluegeln. ihre texte gefallen mir gar nicht schlecht, beachtlich, wie sie auf dem musenroß reiten, & ich entdecke gemeinsamkeiten, etwa die hinwendung zum volkstuemlichen sprechen, zum scheinbar banalen, die skepsis gegenueber jedwedem pathos, die liebe fuer ironie & witz als letzter waffe vor der verlogenheit & dem nicht wahrhaftigen. ich beneide sie um ihre lebensverhaeltnisse, um die moeglichkeit, buecher zu publizieren. Von mir sind zu lebzeiten gerade mal ein paar gedichte in einer im selbstverlag herausgegebenen anthologie erschienen. nicht beneide ich sie um ihre aengste, die den meinen nicht unaehnlich sind. auch das, was sie mir vom literaturbetrieb berichten, dieser versammlung von grasaffen, die vereinsamung im markt, den neid, das nicht mehr vorhandene zusammengehoerigkeitsgefuehl, kann ich mir gut vorstellen,
auch wenn es zu meiner zeit noch keine postings gegeben hat. damals waren es nur leserbriefe, die einen beschimpft haben. aber heute? warum sollte man sich fuer mich interessieren? ich interessiere mich ja auch nicht. ja, von luciana glaser habe ich natuerlich gehoert, immerhin ist die in mich hineingekrochen, um mein eigenbroetlerleben nachzuzeichnen. ihre kleine erzaehlung ueber mich hat mehr verkauft als meine gesammelten werke. leider oder gott sei dank hat sie sich dann als erfindung von walter klier & stefanie holzer herausgestellt, die damit die mechanismen des literaturbetriebes decouvrieren wollten. ob das gelungen ist, weiß ich nicht. sie haben mein leben als aushilfslehrer in den bergen schoen idealisiert, aber so schoen war das nicht, meterhoher schnee im winter, stinkfaule gitschen, zweimal die woche der briefträger & nichts als schroffer karst, dramatische gegenden, wo schwarz schnaps gebrannt & loewenzahn gebraut wird, das koennen sie sich in ihrer handy- und facebookwelt wahrscheinlich nicht vorstellen. da muß man einfach saufen, & ich habe gesoffen, sogar im klassenzimmer. die flucht zu mir selber gelang immer. wenn sie mich nach dem sinn von dem allen fragen, kann ich nicht sagen, daß alles gelernte falsch war, nein, es hatte einen sinn. ich habe erlebt & gesehen, beruehrt & geatmet. das genuegt. man wollte mich verbiegen wie das maedchen vom berg, das man mit genuegend geld in die stadt schickt & heißt, sich einzukleiden: was herauskommt, ist nichts weiter als eine verunsichert miserabel aufgeputzte henne … & der buerger laechelt neckisch ueber die von ihm geschaffene mary. So aehnlich war es auch mit mir, der ich immer eine gehoerige portion phantasie hatte & tatsaechlich eine zeit lang glaubte, irgendwo wuerde irgendwer auf mich warten & mich einkleiden mit der tracht des dichters … froehliche weihnachten wünsche ich ihnen und hoffe, daß sie weder verdursten noch verschwitzen. ihr nck der nichts mehr zu verlieren & nichts mehr zu versaeumen hat
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Wo Bäume in Häusern wohnen
Geographen der Universität Innsbruck erforschen Zustand und Zukunft peripher gelegener Bergdörfer in den Alpen: Können Menschen dort noch dauerhaft leben? Mancherorts registrieren die Forscher nach Jahren der Abwanderung überraschenderweise wieder Zu- statt Abwanderung – zum Beispiel im friulanischen Dordolla. Ein Forschungsbericht von Michael Beismann.
Los geht’s! – „Voilà, orzo dans pâte feuilletée, Gerstelkuchen, un aperitivo della casa per te, Michele!“ Ich blicke von meinem kleinen Tisch auf, an dem ich heute in ungewohnt ordentlicher Manier sitze. Ortsüblich säße man parallel zu den Tischen, diese als Armlehne nutzend, die Hausmauer im Rücken, den allgemeinen Parkplatz des kleinen Bergdorfes im Auge, nebeneinander aufgefädelt wie die Schwalben auf der Schnur. Außer man versucht gerade auf dieser langen, schmalen Terrasse der Bar Alimentari einen Artikel für Quart zu schreiben. Endlich will ich damit beginnen, nachdem ich in Quart Nr. 21 gelesen habe, was Konrad Paul Liessmann über das Schreiben schrieb. „La torta salata d’orzo si combina perfettamente con il tuo bianco“, sagt Annalisa, die Wirtin, nunmehr ganz auf Italienisch eingependelt, und stellt den lokaltypischen Leckerbissen – so willkommen wie unbestellt – mitten auf mein Notizbuch. Sie ist stolz auf ihre gute Küche und empfindet wohl auch so etwas wie mütterliche Fürsorge für den, der da öfter sitzt und immer betont, er sei als Innsbrucker Geograph vor allem zum Forschen hier und nicht nur im Urlaub. Die Untersuchung Seit einigen Jahren habe ich das Vergnügen, mit drei Kollegen und unserem Professor Ernst Steinicke (alle vom Geographischen Institut der Universität Innsbruck, unterstützt vom österreichischen Forschungsfonds FWF) den Zustand und die Zukunftsaussichten von peripher gelegenen alpinen Bergdörfern zu untersuchen. Diese haben in der Regel wegen lang andauernder Abwanderung mit totaler Überalterung und Verfall zu kämpfen. Meine Diplomarbeit erbrachte – als Grundlage für unsere Forschungsprojekte – den erstmaligen Nachweis der Trendwende von einer Abauf überraschende Zuwanderung in solch abgelegenen Regionen. Diesbezügliche qualitative Nachforschungen führen die umtriebige Truppe (bestehend aus Ro-
land Löffler, Judith Walder, Wolfgang Warmuth und mir selbst) in alle ruhigen Alpentäler. So auch ins Val Àupa, dem Herzen des alpinen Friaul, hierher nach Dordolla, Gemeinde Moggio Udinese. Wir wollen auf empirischem Wege der herrschenden Fachmeinung entgegentreten, die besagt, dass eben jene abgelegenen Bergregionen keine Chance mehr hätten, als Dauersiedlungsraum zu überleben. Immerhin seien ja bereits Industrialisierung, Modernisierung und der Einzug des Massentourismus spurlos an ihnen vorübergegangen. Allerdings sind diese scheinbar verpassten Entwicklungen der Grund für den ihnen bis heute eigenen gemütlichen, ursprünglichen Charme. Wir suchen und finden also neu zugewanderte Menschen, vor allem dort, wo die Statistik nach wie vor einen Bevölkerungsrückgang aufweist. Zu den Neuankömmlingen zählen wir allerdings nicht den touristischen Ferienwohnsitz- und den reichen ZweitwohnsitzBesitzer, obwohl beide mit ihrer Renovierungstätigkeit und Zweitwohnsitzsteuer zu einer infrastrukturellen Verbesserung beitragen. Unsere Zielgruppe sind vielmehr die frisch in aussterbende Dörfer übersiedelten Menschen, welche durch ihre Anwesenheit das Dorfleben als solches revitalisieren, unterstützen, überleben lassen. Und: Wir finden alpenweit überall solche Neuankömmlinge, aber nicht so viele, um von einem neuen Massenphänomen sprechen zu können. Noch nicht? Von der Flucht Häufig handelt es sich um Jungfamilien, die den Großstädten und Ebenen entfliehen, um ein neues, gebirgiges Leben zu beginnen, indem sie dieses per se ganz in den Vordergrund stellen: ein aufrichtiges Leben in überschaubaren Strukturen, naturnah, ja natur-gebunden, abseits von Licht-, Luft- und Lärmverschmutzung, auch abseits gewisser sozialer Missstände. In den Städten brummt der Alltag ungeachtet jeglicher Tages- und Jahreszeit, 24/7, erschreckend endlos. „Ich muss nicht
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rund um die Uhr durch leistungsfähiges Internet mit der Welt verbunden sein, allein: sie erwartet das von mir“, sagt Christopher, der noch vorzustellen sein wird. Wo können Kinder in natürlicher Umgebung und menschenwürdigem Rhythmus großwerden, Erwachsene ihre Träume vom entschleunigten Leben leben? Rund um unsere Ballungsräume wachsen urbanisierte Pendler-, Transit- und Schlafdörfer. Wo wir andernorts fern der Stadt auf den ersten Blick noch menschenfreundliche Dorf- und Sozialstrukturen vermuteten, rollt einbis zweimal jährlich die Tourismusflutwelle über das Land und hinterlässt nach ihrem Abfließen hässliche Gräben zwischen Bereicherung und Ausbeutung – sie werden in der Zwischensaison mit Geld und viel Beton wieder aufgefüllt. In dem Raum zwischen den Städten, den urbanisierten Dörfern und dem Tourismusnutzland greift längst schon die Agrarindustrie Platz, soweit sie kann. Auch das sagt Christopher als einer jener, die ihren Rückzugsort in einem ursprünglichen Dorf gefunden haben – auf der Flucht vor Zivilisationskrankheiten, auf der Suche nach echterem Leben. Das Untersuchungsgebiet Wohin sich also wenden, wenn nicht in die vergessenen Täler und die letzten echten Dörfer, die so ausgehungert sind, dass bereits zwei neue Familien die Chance erhöhen, den Betrieb der Schule, des Gasthofes Zur Alten Post, der Gîte de France, der Bar Alimentari, notwendiger Serviceeinrichtungen etc. aufrechtzuerhalten? In sämtlichen Marginalgebieten – statistischen Prognosen zufolge bereits totgesagt und von Fachleuten längst abgeschrieben – finden wir diese Flüchtlinge, also neue Zuwanderer, flächendeckend, wenngleich oft nur in geringer Anzahl pro Dorf: in den französischen Alpen zwischen den lieblichen Hügeln der Provence und den schicken, respektive brutalen Skiresorts von Méribel, wo bereits Anfang der 1960er Jahre von einem Exitus der Bergbevölkerung berichtet wurde; in den unvermarkteten piemontesischen Alpentälern, wo die Bevölkerung fast schon verschwunden war, bevor Rom dessen gewahr wurde, dass auch hier Italiener leben – und Probleme haben zu überleben. Überall finden sich Neue aus der Ebene und aus den Städten, von den stur verbliebenen Alten meist herzlich willkommen geheißen. Und sie packen an, die Neuen, kommen mit frischem Elan und Ideen, die sie ihrer urbanen Sozia-
lisierung verdanken. Die mitgebrachte Spezialisierung auf Nischen ist hier gefragt. Und sie reißen die noch verbliebenen Dorfbewohner mit. Eine Trendwende von Resignation zu Neustart ist die Folge. Und nach der ersten Ernte kommen noch mehr Neue, weil sie sehen: Geht doch! Ein Spezialgebiet Aber doch nicht hier im Friaul! In einer derart von Entsiedelung gepeinigten Gegend mit Erdbeben, gewaltigen Schutthalden und ständig erodierenden Lebensgrundlagen! Eigentlich waren wir nur hier in der hintersten Carnia, um gewisse Phänomene in ihrem letztmöglichen Extremwert zu untersuchen: die legendären friulanischen Geisterdörfer, die sich in den zerklüfteten Bergen verstecken. Aus den Klüften wird seit jeher das Material für die breiten Schotterbetten der Bäche des Kanal- und Eisentales, die wir alle von Urlaubsfahrten nach Istrien kennen, herausgespült – ähnlich wie auch seit Jahrzehnten die dort ansässigen Menschen, Gott sei Dank nur bildlich gesprochen. Die vorletzten Bergbewohner ließen ihre Dörfer brachfallen, von den Zerstörungen ihrer Häuser bei den Erdbeben im Sommer und Herbst 1976 entmutigt. Auch wo noch Einzelne blieben, wuchern bereits, klimatisch durch feuchte Wärme begünstigt, stattliche Bäume aus den dachlosen Ruinen der ehemals stattlichen Siedlungen. Nunmehr sind sie schwer zu finden, ihre Dörfer, weil vom Wald nicht nur bewohnt, sondern auch umstellt, dort, wo noch vor kurzem Tiere grasten und Bäuerinnen mähten. Die Männer waren ja draußen in der Welt, um sich als Bauarbeiter oder Kunsthandwerker zu verdingen. Zu mehr als zum bloßen Überleben reichte es hier kaum. Das Geld kam von außen. Wie möglicherweise in Zukunft ein Teil der Bevölkerung? Kaum anzunehmen. Wir sind nur hier, um mit den Geisterdörfern das Ende vom Lied zu hören, damit wir das Lied an sich besser verstehen lernen. Vom Finden I Die nur zu Fuß erreichbaren, märchenhaft rosenumrankten Geisterdörfer rund um den Glagno-Bach mit seinen romantischen Badeplätzen und smaragdgrünen Wassern – Moggessa di là, Moggessa di qua und Stavoli – erbrachten Erkenntnisse, die nicht zu erwarten waren: Immer wieder finden sich zwischen gefährlich windschiefen Ruinen Gebäude, die erst kürzlich stabi-
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lisiert wurden, um sie mühevoll herzurichten, auf dass ein Hier-heroben-Bleiben über’s Wochenende erstmals wieder möglich wird. In der Kraxe ein Zementsack, Nudeln, dazu ein Beutel Wein und der Plan fürs Wochenende steht: Renovieren und den Ort genießen. Und überall und sogleich heißt es: „Hallo, sucht ihr etwas? Ihr seid doch keine normalen neugierigen Wanderer! Was, von der Uni? Sehr interessant, hereinspaziert, ein Glas Wein trinken – oder habt ihr Hunger, ein Topf Pasta ist schnell gemacht, erzählt, fragt …“ (Nein, ich übertreibe nicht, und ja, ich forsche gerne!) Die fast mit dem Auto erreichbaren Monticello-Dörfer Borc di Mieç, Morolds und Badiuts sind ohnehin komplett saniert und bezugsbereit, wiewohl meistens unbewohnt: die Wiederentdeckung des Wertes von Omas Haus mitten in den Bergen. Schon allein hiermit ist ab sofort und alpenweit erwiesen, dass die Möglichkeit bestünde, langsam aussterbende aber noch zu bewohnende Bergdörfer wieder zu besiedeln. Wenn selbst hier solch unvorstellbare Mühen auf sich genommen und Geisterdörfer in Eigenregie so weit gebracht werden, dass sogar ein ganzjähriges Bewohnen langsam wieder denkbar scheint, ja wo sollte das dann nicht machbar sein? Der Boden ist jedenfalls bereitet. Selbst wenn erst die nächste Generation dauerhaft übersiedeln will, mit einer womöglich noch stärkeren Hinwendung zum naturnahen Leben und – wer weiß? – dann sogar mit politischer Unterstützung anstatt – wie bis jetzt – trotz bürokratischer Hürden. Die Gemäuer halten wieder eine Weile durch. Vom Finden II Alle Dörfer des Val Glagno und des Val Àupa abgeklappert, müde, aber überwältigt von den magischen Plätzen und deren überraschenden Lebenszeichen, kein Geschäftlein, keine einzige Bar angetroffen an diesem Wochenende, entscheiden wir uns noch, das per Fahrzeug erreichbare Dordolla zu besuchen. Kurz vor Einbruch der Dämmerung, nur der Vollständigkeit halber und in der Hoffnung, wenigstens dort noch eine Bar zu finden. Nach mancherlei Windungen durch steilen Wald, gut 100 Meter über der Àupa, vorbei an den ersten Häusern. Sie machen einen dauerhaft bewohnten Eindruck, ein Novum an diesem Wochenende. Noch eine Biegung und wir werden plötzlich des Dorfkerns ansichtig, der sich steil den Hang vor uns hinaufzieht, augenscheinlich nur zu Fuß – und also im wahren
Wortsinn ausschließlich – betretbar. Dann die entwurzelnde Überraschung nach neuerlicher Biegung der Straße, die dort, wo der Dorfkern beginnt, auf einem Parkplatz für 35 Autos endet. Einparken am letzten freien Fleck. Und ungläubiges Staunen gibt es nicht nur unsererseits! Wir sehen das fahlblaue Schild an der Hauswand: Bar Alimentari – Da Fabio, darunter die länglich-schmale Terrasse, auf der gerade – aufgefädelt wie die Schwalben auf der Schnur – gut 25 Leute sitzen. Und damit mehr, als wir das ganze Wochenende zusammengezählt angetroffen haben. Unsererseits schüchternes Durchschreiten der Menge, von der einen Seite kommend, in Richtung der anderen, wo der Eingang der Bar zu sein scheint. „Bonjour, Ciao, Bon Dì, Hi, Mandi Mandi!“ Vier verschiedene Sprachen, wir haben die erste Hälfte geschafft, uns für die zweite das ortsübliche Bon Dì als Antwort zurechtgelegt, und werden dazwischen noch mit „Grüßgott“ überrascht. Hiermit wäre allerdings die Quartessenz über dieses Dorf bereits gesagt und der Rest der Phantasie der Leser überlassen. Jedoch darf bezweifelt werden, ob Phantasie alleine ausreicht. „Ciao, sono Annalisa. Qualcosa da bere?“ „Ja, drei Glas Roten und eine Information, bitte.“ Ob es hier auch Leute gebe, die irgendwoher von außen oder unten gekommen seien und jetzt vollgültig hier wohnten? „Sì“: zum Beispiel die knappe Hälfte der gerade Anwesenden. Darunter Kaspar, der einzige Bauer des Dorfes, er stammt aus dem nahen Kärnten. Sie haben hier aber auch einen jungen Historiker und seine Freundin, die Lehrerin ist, aus Mestre und Padova, außerdem einige Franzosen, ein paar andere Italiener. Sogar ein junges Künstlerpaar aus London lebt seit Jahren hier. Vom Leben in Dordolla Hiermit darf ich endlich vorstellen: Chris, eigentlich Christopher Thomson, Schriftsteller, Künstler, in London studierter Filmemacher, mit Sarah Waring, die gerade ein Buch über Bienenzucht und landlose Landwirtschaft geschrieben hat. Ja, sie leben und arbeiten hier in Dordolla, ja, in der Bar gibt es wuwuwu – per WLAN sogar verfügbar bis in ihr Schlafzimmer. Genauer gesagt nur am vordersten Eck des Fensterbankels, außen, und nur wenn’s nicht regnet. Gelächter auf der Terrasse. Sofort intensiver, auch ernsthafter Austausch mit allen Anwesenden. Aufklärung: In Dordolla finden sich sechs Sprachen. Die älteste, eine ausgestor-
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bene Sprache, wohnt vielen Flurnamen inne, klingt slawisch, ist vorrömisch und beweist damit die persistente Besiedlung der Gegend seit über 2000 Jahren. Neben dem alltäglich gebrauchten Friulan können alle Italienisch. Frisch rückgewanderte Franzosen, die Nachfahren der ausgewanderten Dordollesi, unterhalten sich mit Annalisa, die das Französische liebt, in ihrer Muttersprache, wohingegen „exotische“ Touristen lieber mit Sarah und Chris englisch sprechen. Wer kann, redet mit Kaspar deutsch, obwohl dieser gut italienisch sprechen und vorzüglich auf Friulan fluchen kann. Hier wird in ein und demselben Gespräch allen fünf lebenden Sprachen Platz geboten. Das gipfelt darin, dass mir Roland (der Innsbrucker Kollege) versehentlich etwas auf Englisch übersetzt, was Christopher (der Engländer) ebenso versehentlich auf Italienisch an mich (den Innsbrucker) gerichtet hatte, obwohl er eigentlich weiß, dass mein Italienisch etwas holpert, seit Graziano (ein Ureinwohner) aus Trotz Friulan mit mir spricht, weil ich mir angewöhnt habe, bei Annalisa auf Französisch zu bestellen. Sensationelle Situationskomik in atemberaubendem Takt! Im Winter wohnen hier 45 Leute, ein Drittel davon gehört zu den von uns gesuchten Zuwanderern, die sich vollgültig am Dorfleben beteiligen. Im Sommer kommen noch 25 ebensolche hinzu, die wenigstens so lange bleiben, dass sich ihr privater Gemüsegarten als besonders groß, fruchtbar und gut gepflegt darstellt. Nach der Ernte, knapp vor dem Wintereinbruch, kehren sie wieder in ihre Urheimat zurück, die in den letzten Jahren zur Zweitoder Ausweichheimat wurde. Seit die Neuen hier sind, sagt Graziano, erwacht das Leben, werden alte Bräuche wieder zelebriert, neue Feste und sogar Kulturveranstaltungen erfunden, zu Beginn von einer Hand voll Menschen besucht. Mittlerweile zieht die „Cantiere Continuo“, die „Ewige Baustelle“, hingegen hunderte Leute an, die von der Stadt hierher ins Nirgendwo fahren, um Kunst und Kultur zu genießen, respektive teilzuhaben an Theaterveranstaltungen, Workshops, Konzerten etc. Beiträge namhafter Künstler aus der Region und aus Resteuropa treten mit Dordolla und seinem Leben in Diskurs. Alle Dörfler tragen das Ihre aktiv dazu bei. Vor fünf Jahren war Dordolla selbst in der näheren Umgebung noch weitgehend unbekannt, mittlerweile gibt auch in der Provinzhauptstadt Udine niemand mehr gerne zu, noch nie dort gewesen zu sein. Einmal jährlich tun sich alle zur Sagra di Fieno zusam-
men, um die steilen, dorfnahen Wiesen zu mähen, die leider nicht Kaspar, dem Bauern, gehören. Auf dass mit vereinten Kräften der Wald hintan gehalten werde, wie er, der „Neue“, es ihnen vorgezeigt hat. Sobald es trocken ist, wird das Heu in Säcke verpackt, beim dazugehörigen Fest als Sitzgelegenheit fürs Dorfkonzert verwendet und danach Kaspar, respektive seinen Schafen und Eseln, zu Verfügung gestellt. Noch etwas Spannendes: Chris will einen Kino-Dokumentarfilm über das Tal machen. „The New Wild“ soll höchst ästhetisch und philosophisch angehaucht zeigen, wie sich die Natur die Dörfer des Tales zurückholt – nur nicht Dordolla. Das kling gut, sage ich, wobei: Wir untersuchen seit Jahren, wie die Menschen überall in den Alpen gerade noch dem Wald zuvorkommen und die Dörfer wieder selbst nutzen und pflegen. Nur ist das kaum jemals so erfolgreich wie hier. „Wow“, sagt Chris, „ich glaube jetzt, der Film wird noch besser: The New Wild – Life in the Abandoned Lands!“ Ist ein Dordolla theoretisch überall möglich? Ich bin sofort von der Synergie dieser Zusammenarbeit überzeugt. Zudem tut sich mir plötzlich – nach Jahren des trockenen, wissenschaftlichen Publizierens in einschlägigen Fachjournalen für eine verschwindend kleine Leserschaft – die Möglichkeit auf, interessante Ergebnisse akademischer Grundlagenforschung einem breiteren Teil der Gesellschaft zu präsentieren und ihr damit endlich zurückzugeben, was ihr gehört, was sie vorab und ohne gefragt worden zu sein, bereits zu bezahlen hatte. Am Ziel Dann geht alles recht schnell: den Professor in Kenntnis setzen, sofortiges Wohlwollen bezüglich des Filmprojektes ernten. In Dekanat und Rektorat erfolggekrönt um Zusatzbudget bitten. Chris kommt nach Innsbruck. Der Institutschef gibt den Segen – wir können im Namen der Uni neben dem Publizieren ein bisschen „Film machen“. Loslegen, Kontakte knüpfen, sich breiter aufstellen, Netze auswerfen. Unter anderem in Richtung Quart. Kannst du etwas über deine Forschung und dieses Dorf schreiben? Ich, außerhalb des Elfenbeinturmes? Puls 247. Schnell zusagen, bevor das Denken wieder einsetzt und der Mut erlischt. Handschlag, meinerseits nicht ganz trocken. Ab nach Dordolla, um zu schreiben. Erstmals in dieser Form. Und: Los geht’s!
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Grenzen unserer Räume
Anna-Maria Bogner hat für diese Ausgabe die folgenden Doppelseiten gestaltet und hat uns dazu diesen Text geschrieben:
„In unserem Alltag brauchen wir Grenzen und konstruieren uns weitere, um physische wie soziale Räume in all ihren Dimensionen erfassen zu können. Selbst wenn wir auf Unendliches verweisen, benutzen wir in aller Regel Bilder, mittels derer wir uns unerfassbare Dimensionen plastisch vor Augen führen können. Doch auch diese gedanklichen Visualisierungen bleiben lediglich ein Verweis auf Unendlichkeit. Es geht nicht darum, Grenzen zu überschreiten, sondern diese zu erkennen und einen Blick auf andere Seiten zu erhaschen. So wie ein Test zum farblichen Sehvermögen nicht dazu dient, die Testperson darüber zu belehren, was farbliches Sehen ist, sondern hilft, die Möglichkeiten und Grenzen eigener Wahrnehmung zu erkennen, spielen die Arbeiten mit den eigenen Grenzen und Möglichkeiten. In welchen Räumen bewege ich mich, wie konstituieren sich meine Räume, welche Räume öffnen sich und welche verschließen sich mir? Inwieweit verändert sich der existente Raum in unseren Erinnerungen?
Uns allen ist bewusst, dass unser Gedächtnis keine exakte Widerspiegelung der erlebten Realität hervorbringt. Grenzen verschwimmen, und je weiter wir zurückgreifen, desto deutlicher wird uns diese Tatsache. Mit jeder Schicht, die wir tiefer in unsere Erinnerungen eintauchen, verstärkt sich dieser Effekt. Deutlich wird dadurch nicht nur, dass nicht allein die sozialen, sondern auch die physischen Räume, in denen wir agieren, zunächst kognitive Konstruktionen und eben nicht die Realität widerspiegeln. Diese Unschärfe verleiht den von uns gedachten Räumen einen amorphen Charakter. Je tiefer wir vorstoßen, je weiter wir die Schichten abtragen und über Erinnerungen von Erinnerungen von Raum nachdenken, desto drängender wird die Frage: Was liegt dahinter? Und desto unschärfer erscheinen uns die Grenzen unserer Räume, immer mehr Räume tun sich auf und der Blick rückt zusehends auf andere Seiten.“ o. T., 2015, Zeichnung, Bleistift auf Transparentpapier, 10-teilig, je 30 × 24 cm (3–16 Einzelblätter)
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„Keinen Erfolg hat man, wenn man es allen recht macht.“
Den Quotenhit Vorstadtweiber kennt mittlerweile jeder. Bevor die zweite Staffel über den Bildschirm geht, trifft Ivo Schneider den Mann, der das Drehbuch dazu geschrieben hat. Dabei erfährt er zwar nichts über Frauen, weiß aber jetzt, dass Motorradfahrer leidenschaftlich sind, Österreicher Humor haben und man manchmal einen Protagonisten überraschend sterben lassen muss. Uli Brée, der in Mieming lebt und arbeitet, erzählt von seinem unkonventionellen Weg nach oben.
Ivo Schneider: Herr Brée, sind Sie gerade am Höhepunkt Ihrer Karriere? Uli Brée: Wie soll man das wissen? Als Life is Life in Deutschland der erfolgreichste Fernsehfilm der letzten sieben Jahre wurde, da dachte ich: Wow! Das ist jetzt eine Hausnummer. Und während Vorstadtweiber hier gesendet wurde, war ich gerade in Indien zum Motorradfahren. Am Flughafen sah ich dann überall Bilder von der Serie und mittlerweile ist ein regelrecht polarisierendes Gesellschaftsthema daraus geworden. Nicht nur die Fernsehkritiker, wirklich alle diskutieren darüber, inklusive Modetipps und dem ganzen Quatsch. Das hat mich dann schon überrascht. Ich hab mir vorher überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob das ein Hit wird. Das einzige was ich wirklich gedacht habe war: Ich scheiß mich nix beim Schreiben. Und hab im Grunde genommen sehr amerikanisch gearbeitet – mit strukturellen Brüchen, Wechseln der Figuren, Töten von Protagonisten. Aber Höhepunkt einer Karriere? Geh … wir reden hier ja von Österreich, vom ORF … außerdem – Erfolg sehe ich eine Spur anders. Ich lebe ja noch in einer zweiten, meiner Motorradwelt. Jedes Jahr veranstalte ich die Tridays, das ist das weltweit größte Treffen der Triumph-Fahrer, inzwischen bin ich sogar Markenbotschafter. Als ich dann John Bloor, den Besitzer von Triumph, kennengelernt habe … das war geil! I. S.: Welche Serien oder Filme sehen Sie sich an?
U. B.: House of Cards taugt mir sehr, diese Serie ist perfekt strukturiert. Immer überraschend und sehr intelligent wird hier die Erwartung enttäuscht. Ich schau mir viele Serien an, auch weil ich durch das viele Schreiben es nicht mehr schaffe, am Abend ein Buch zu lesen. Zwei, drei Folgen einer Serie kann ich mir aber ansehen und das tue ich dann sehr analytisch. Da lerne ich etwas für mein Handwerk. Bei Boardwalk Empire zum Beispiel gibt es bei einer Folge der dritten Staffel eine Auflösung, die schon in der ersten Staffel aufgebaut wurde. Vielleicht hat sich das auch nur so ergeben, es ist aber trotzdem sehr gut. Oder die Idee, eine Hauptfigur am Ende der zweiten Staffel zu erschießen – das war mutig. Bei den Vorstadtweibern habe ich dem ORF-Redakteur, mit dem ich immer zusammenarbeite, gesagt, dass ich in der achten Folge eine der Hauptfiguren sterben lassen werde. Der hat mich groß angesehen und gemeint: ,Das kannst du doch nicht machen!‘ Und weil der Redakteur so reagiert hat, musste ich diese Figur sterben lassen. Ich dachte mir, das Publikum wird reagieren wie der Redakteur. Etwas Besseres kann dir aber als Autor gar nicht passieren, als eine derart heftige Reaktion des Publikums zu bekommen. I. S.: Was halten Sie von den Arbeiten Ihrer österreichischen Kollegen? U. B.: Was der David Schalko macht, schätze ich. Auch deshalb, weil er einer der Wegbereiter dafür ist, dass Autoren mutiger erzählen dürfen. Das Problem des ös-
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terreichischen Fernsehens war ja lange, dass versucht wurde, dem deutschen Fernsehen zu entsprechen. Man hat sich angebiedert und lange gebraucht, um zu begreifen, dass man hier etwas kann, was man in Deutschland nicht kann. Wir haben ja etwas, was die Deutschen nicht haben. Wir haben Humor. Wir können Geschichten viel mutiger erzählen. Was das deutsche Fernsehen macht, sehr linear und brav erzählen, niemanden vergrämen, logisch sein, das ist schlicht langweilig. Mich aber interessiert eine emotionale Nachvollziehbarkeit der Figuren, keine logische. I. S.: Sie sind ausgebildeter Schauspieler: Warum haben Sie Ihre Karriere als Schauspieler zugunsten der Karriere als Drehbuchautor aufgegeben? U. B.: Weil ich das gemacht habe, was alle Schauspieler machen: Ich habe gekellnert. Dann habe ich nebenher, nur um kreativ zu sein, mit Freunden das Stück Männer-Schmerzen geschrieben. Das wurde ein großer Erfolg und die Vorstellungen waren sieben Jahre lang ausverkauft. Zwei Wochen, nachdem das Stück angelaufen ist, habe ich mit dem Kellnern aufgehört. Ich habe für unsere Schauspielgruppe geschrieben, für andere Kabarettisten, Sketches und Comedy fürs Fernsehen aber auch Gags fürs Radio. Dann bekamen Rupert Henning und ich vom ORF den Auftrag für einen TV-Film (Anm.: Geliebte Gegner, 1998). Das war eine Geschichte für den Peter Weck, bei der er auch Regie geführt hat. Wir haben damals gar nicht begriffen, wie ungewöhnlich das eigentlich alles gelaufen ist. Die erste Fassung unseres Drehbuchs wurde auch genauso gedreht. Wir wussten damals wirklich nicht, dass man üblicherweise mehrere Fassungen von einem Drehbuch schreiben muss. Im Anschluss daran gab es eine Besprechung mit Kathrin Zechner (Anm.: Zechner war 1998 Programmintendantin des ORF). Da ging es darum, welches Projekt wir als nächstes angehen sollten. Acht Ideen lagen auf dem Tisch und am Ende der Sitzung hatten wir acht Drehbuchaufträge – wir waren euphorisiert und überfordert. Als dann der Film mit dem Peter Weck im Fernsehen kam, wussten wir,
warum man uns so mit Aufträgen eingedeckt hatte. Sämtliche deutsche Privatsender haben angerufen und gefragt, ob wir nicht für sie arbeiten würden. Aber wir konnten nur antworten: Leider nein, wir müssen erst einmal für den ORF schreiben. Kathrin Zechner hat uns aufgebaut, unser Talent erkannt und uns an den ORF gebunden. Das war sehr intelligent von ihr. I. S.: Wo haben Sie das Drehbuchschreiben gelernt? U. B.: Das war Learning by Doing. Aber ich war ja Schauspieler und da lernst du, Dialoge zu sprechen. Dann habe ich auch viel Theaterregie gemacht und daraus ein dramaturgisches Verständnis entwickelt. Das Schreiben von Sketches hat mir geholfen, Dinge auf den Punkt zu bringen, und natürlich habe ich viel durch die Arbeit mit Rupert Henning gelernt. Wir schreiben seit zwanzig Jahren zusammen und ich wundere mich immer wieder, warum er mit mir arbeitet. Ich finde, er ist der viel bessere Autor, und er denkt dasselbe über mich – darauf basiert unsere tiefe Freundschaft. I. S.: Eine Drehbuchseite entspricht ungefähr einer Minute im Film. Wie viele Drehbuchseiten schreiben Sie pro Tag? U. B.: Ich bin ein Schnellschreiber. So zwischen zehn und zwanzig Seiten entstehen täglich. Wenn ich drin bin in einer Geschichte, schreibe ich auch sieben Tage die Woche. Das Schreiben macht mich glücklich. Natürlich gibt es Tage, wo nichts weitergeht. Aber mittlerweile weiß ich, dass es dann besser ist, es sein zu lassen, mich nicht durchzuquälen, und unternehme lieber etwas mit den Kindern oder gehe Motorradfahren. I. S.: Wie reagieren Menschen, wenn Sie erzählen, dass Sie Drehbuchautor sind? U. B.: Da gibt es verschiedene Reaktionen. Die einen sagen: ,Ach, du lebst von deiner Frau?‘ Das amüsiert mich immer sehr. Andere wiederum sind fasziniert und beginnen mich auszufragen. Die dritte Reaktion, und
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die kommt öfter von Schauspielern, ist die Frage, ob ich nicht einen Job hätte. I. S.: Bringt der große Erfolg mit den Vorstadtweibern neben Anerkennung auch die Freiheit zu schreiben, was Sie wollen? U. B.: Vergiss es! Die Öffentlichkeit nimmt mich zwar mehr wahr – Magazine wie Woman oder Wiener, die sich normalerweise nicht für Autoren interessieren, wollen auf einmal Homestories von mir –, aber hinter den Kulissen lädt man bei mir den ganzen Druck ab. Das war überraschend. Menschen, denen du das Fundament geliefert hast für die erfolgreichste Serie der letzten zwanzig Jahre, haben jetzt die totale Panik. Eine zweite Staffel muss her und die muss natürlich genauso erfolgreich sein. Ich konnte bei der ersten Staffel tun und lassen, was ich wollte, und jetzt bekomme ich plötzlich sehr viele Ratschläge. Am Anfang habe ich mir das angehört und war ziemlich irritiert. Jetzt denke ich – ich weiß zwar nicht, wie man Erfolg hat, aber ich weiß, wie man keinen Erfolg hat: Indem man es allen recht macht. Ich habe gerade in Deutschland zuletzt bei einem Projekt meinen Namen zurückgezogen, weil man mich schlecht behandelt hat. Die haben mir vorher den roten Teppich ausgelegt und gesagt: ,Egal was du schreibst, wir wollen es.‘ Und danach waren sie enttäuscht, weil ich eben kein Dienstleister bin. Ich bin kein bequemer Autor. Beim ORF geht es mir aber, trotz der momentanen Probleme, eigentlich sehr gut. Hier rede ich mit, wer Regie führt und wer die Hauptrolle spielt. I. S.: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Rupert Henning? U. B.: Wir treffen uns in Tirol oder in Wien, kasernieren uns irgendwo ein. Wir entwickeln die ganze Geschichte, von der ersten Idee bis zum letzten Satz im Drehbuch gemeinsam. Am Anfang reden wir sehr viel über das Leben, über persönliche Dinge und wundern uns dann immer, warum das Buch schon fertig ist. Wir sind
sehr eingespielt. Das Miteinanderschreiben hat auch einen großen Vorteil: Man erspart sich viele Sackgassen, weil man ein Korrektiv hat. Dieses Korrektiv funktioniert aber nur, wenn man uneitel ist. Es ist immer ein Hin und Her und zum Schluss kann man nicht mehr sagen, wer eigentlich die Idee hatte. I. S.: Sie haben während Ihrer Karriere mehrere Genres bedient. Gibt es eines, wo Sie sich besonders wohl fühlen? U. B.: Ja, bei berührenden Komödien wie Life is Life. Es macht aber auch Spaß, die Vorstadtweiber zu schreiben. Normalerweise schreibe ich Dialoge so, dass der Zuschauer nur zwischen den Zeilen die Wahrheit erfährt. Bei den Vorstadtweibern tue ich das Gegenteil. Da schreibe ich einen zynischen, bösartigen Dialog und meine Figur sagt ansatzlos und aufrichtig, was sie empfindet. Das ist überraschend und ein ganz anderer Stil. I. S.: Wie weit war die Struktur der Geschichten der Vorstadtweiber vor dem Schreiben des Drehbuchs festgelegt? U. B.: Die erste Staffel habe ich sehr konkret gebaut. Bei der zweiten Staffel kenne ich meine Hauptfiguren und bin daher etwas freier. Grundsätzlich mache ich das bei allen Büchern so: Ich strukturiere die Geschichte und beginne zu schreiben. Wenn ich aber merke, die Geschichte verselbstständigt sich, meine Figuren verselbstständigen sich, dann lass ich sie gehen und folge ihnen – und die Geschichte entwickelt sich in eine ganz andere Richtung. I. S.: Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung Ihrer Drehbücher oder wird zu viel daran geändert? U. B.: Wenn du meine Dialoge veränderst, sind wir keine Freunde mehr! Wenn ein Regisseur glaubt, mein Buch zu seinem machen zu müssen, muss er das leider alles wieder zurückschreiben. Ich lese die Regiefassung
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und wenn mir das nicht gefällt, wird der Regisseur kein Buch mehr von mir bekommen. I. S.: Was denken Sie sich, wenn bei den Titeln eines Films steht: Ein Film von … und dann kommt der Name des Regisseurs? U. B.: Ich denke mir, dass das scheiße ist. Es ist ja auch kein Film von mir. Es ist ein Film von allen. Vom Kabelträger, vom Cutter, von allen, die daran beteiligt sind. Bei den Filmen meines Freundes Rupert Henning zum Beispiel steht nie Ein Film von … Das gibt es bei ihm nicht. I. S.: Gibt es in Ihren Drehbüchern Themen, die Sie immer wieder aufgreifen? U. B.: Ich verarbeite immer viele private Geschichten von mir. Herz zieht sich durch. Außerdem versuche ich, nie eine böse oder eine gute Figur zu schreiben. Ich ärgere mich dann, wenn der Schauspieler nur böse gespielt hat, anstatt zu begreifen, dass die Figur auch brüchig und verletzlich ist. Keiner ist nur gut oder nur böse. Ich versuche, Menschen zu erzählen, und je älter ich werde, umso interessanter finde ich das. Ein Thema in meinen Drehbüchern ist sicher auch die Improvisation und wie wir damit unser Leben bewältigen. Permanent improvisieren die Figuren bei mir. Immer versuchen sie, das Leben irgendwie zu ,derstemmen‘. Das tun wir doch alle. I. S.: Hat sich die Qualität Ihrer Arbeiten in den letzten zwanzig Jahren verändert? U. B.: Ja. Ich habe zum Beispiel gerade heute mit meinem Redakteur wegen einer Geschichte heftig diskutiert. Er meinte, eine bestimmte Figur in der Geschichte könnte doch etwas so oder so machen. Ich wollte das nicht, mir war das zu einfach. In so einer Situation nicht den einfachsten Weg zu gehen, das habe ich gelernt. Ich beherrsche mein Handwerk und muss es nicht ständig anwenden. Das ist wie beim Motorrad-
fahren. Ich muss da nicht mehr darüber nachdenken, wie ich in eine Kurve fahre. Mein Hirn hat da noch viel Platz zum Denken und den nutze ich. I. S.: Ihre Arbeiten werden von einem Millionenpublikum gesehen. Kann es sein, dass Sie Ihr Publikum mit Ihrer Sicht der Welt beeinflussen? U. B.: Ach, da würde ich mich aber überschätzen. Aber lustig ist – ich hab ja jetzt ein Woman-Abo (lacht) – und in der neuen Ausgabe steht ein Artikel über ,die wahren Vorstadtweiber‘. Da findet man auch einen Bericht über einen Callboy und der beschreibt, was die Frauen bei ihm suchen. Das war genauso, wie ich es geschrieben habe. Es gab da also eine Art Wechselwirkung mit meiner Arbeit. Aber Leute beeinflussen … Nein. I. S.: Warum leben Sie in Tirol? U. B.: Weil meine Ex-Frau Tirolerin ist. Ich lebe gerne in Tirol. Die Kinder sind hier glücklich und ich bin es auch. Und mit dem Motorrad bin ich in einer Dreiviertelstunde in Italien. I. S.: Was bedeutet Motorradfahren für Sie? U. B.: Wie schon erwähnt, veranstalte ich ja die Tridays. Ich bin da auch in einer Customizer-Szene drin und baue zusammen mit meinem Sohn Motorräder um. Wir sind da beide fanatisch. Die Fernsehwelt ist ja eigentlich eine kreative Welt, doch dort sind viele überhaupt nicht so leidenschaftlich wie meine Motorradfreunde. Die Customizer können sich regelrecht daran ergötzen, wenn sie etwas so oder so gebaut haben. Das ist wunderbar, denn diese Freude, diese lustvolle Leidenschaft, die habe ich auch beim Schreiben.
Hubert Kostner Originalbeilage Nr. 25
Im beiliegenden Plastiksäckchen mit Druckverschluss befindet sich Holzrußpulver (ca. 1 EL). Es kann die Spuren – oder im Wortsinn: das Eingreifen – des Künstlers sichtbar machen. Spurensicherungspulver mit einem weichen Pinsel auf diese Doppelseite auftragen und vorsichtig einreiben, überschüssiges Pulver abschütteln oder abklopfen.
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Zucker und Blut
Ohne Zweifel: Die Werte der Aufklärung erleben eine Renaissance. Aber sind wir aufgeklärt? Zwischenruf von Philipp Blom
Es ist vorbei. Mehr als ein Jahrzehnt verkündigten Politiker und Intellektuelle die Neue Welt, eine Welt der Freiheit und der Demokratie, der liberalen Ideale und der freien Märkte. 1989 war der letzte diktatorische Block zusammengebrochen, der Kommunismus hatte seinen historischen Bankrott erlitten und die Entwicklung der Welt schien überall auf dem Globus unaufhaltsam auf liberale Gesellschaften westlichen Zuschnitts zuzueilen. Dass es nicht so kommen wird, ist spätestens seit 2008 klar. Das siegreiche System des Westens taumelte plötzlich von innen heraus, seine eigene Dynamik brachte es an den Rand des Zusammenbruchs. Mitten in einer Periode von beispiellosem Frieden und Wohlstand in der westlichen Welt wurde plötzlich deutlich, dass der fessellose Markt die Saat seiner eigenen Zerstörung in sich trägt. Ein neuer Riss zieht sich seitdem um den Globus, zwischen Gesellschaften und mitten durch sie durch. Wenn früher rechts und links, Kapitalismus und Kommunismus gegeneinander kämpften, so bildet sich jetzt immer deutlicher ein Bruch zwischen liberalen und autoritären Ideen heraus. Auf der einen Seite stehen westliche Gesellschaften, auf der anderen eine amorphe und fließende Koalition, die von Pegida bis Putin reicht, von Marine Le Pens Front National zum Vlaams Belang, von den Evangelikalen in den USA bis zu von ihnen missionierten Schwulenhassern in Kenia, von Boko Haram bis ISIS. Was diese neuen Feinde der westlichen Welt gemeinsam haben, ist ihr Hass auf die Aufklärung und ihre Werte. Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, Säkularismus und Wissenschaftlichkeit sind ihre erklärten Feinde. Boko Haram, das hauptsächlich in Nigeria die Bevölkerung tyrannisiert, hat seinen Bildungshass
zum eigenen Namen erhoben: Bücher sind unrein. ISIS zerstört Kulturdenkmäler und inspiriert terroristische Einzeltäter, die auf Karikaturisten, Filmemacher und Autoren schießen oder sie auf offener Straße zerhacken. Rechte Ausländerhasser bedrohen ostdeutsche Politiker mit dem Tod, weil sie Flüchtlingen Asyl gewähren wollen. Besonders Mädchen werden bedroht und angegriffen, wenn sie in die Schule gehen wollen, sei es in Pakistan, Afghanistan oder Nigeria. Je suis Charlie? Bei so viel Hass auf die Aufklärung und so viel Angst vor ihrer Wirkung ist es nur verständlich, dass sich westliche Gesellschaften stärker auf ihr Erbe besinnen. Jahrzehntelang galten die Philosophen der Aufklärung bestenfalls als naiv und schlimmstenfalls als geistige Väter von Massenmord und Unterdrückung, jetzt perlen ihre Gedanken und ihre Namen wieder von den Lippen der Politiker in ganz Europa, als beste Waffe gegen die Barbarei. Wir sind die Aufklärung, je suis Charlie. In einer konsumgetriebenen und ideenarmen Gesellschaft hat das Attentat auf Charlie Hebdo die Aufklärung wieder sexy gemacht. Freie Meinungsäußerung, Toleranz und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit, sondern die Resultate eines über viele Generationen andauernden Kampfes, der in der Aufklärung gipfelte. Ihr Leitgestirn ist Voltaire, der Autor von Candide und dem Traité sur la tolérance, das in den letzten Wochen in Frankreich zum Bestseller wurde. Gleich neben Voltaire steht Kant im Regal, der Vordenker der Gerechtigkeit. Der Königsberger ist weniger sexy (ein Philosoph, nach dessen Spaziergang man seine Uhr stellen konnte, ein Mann, der abends lachte,
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nur weil es gut für seine Verdauung war), aber genau darin liegt seine Stärke. Einerseits sind seine langen Texte so unerbittlich wie undurchdringlich, sodass man als Leser versucht ist, seine Schlussfolgerungen einfach zu übernehmen und von da ab als Wahrheiten zu behaupten. Andererseits kann er, selten, wunderbar anschaulich formulieren, wie in seiner Antwort auf die Frage „Was ist Aufklärung?“, die vielleicht kürzeste und beste, die je gegeben wurde: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Ohne Zweifel: Die Werte der Aufklärung erleben eine Renaissance. Gegen die religiösen und antidemokratischen Dunkelmänner, deren Botschaft immer neue, begeisterte Konvertiten findet, erscheint das Licht der aufgeklärten Vernunft (Enlightenment auf Englisch, Lumières auf Französisch) als natürliche Antipode. Aufklärung steht für die Freiheit, Entscheidungen über das eigene Leben (und Denken) zu treffen, für die Gleichheit aller vor dem Gesetz und vor dem Anspruch, des eigenen Glückes Schmied zu sein, Brüderlichkeit, die inzwischen auch und sehr dezidiert Schwestern mit einschließt, ist immer noch ein Aufruf zur Solidarität mit Frauen, mit Minderheiten, mit Schwulen, mit Flüchtlingen. Wie sagt man in Frankreich? On connait la chanson. Leider haben sowohl Geschichte als auch Politik die Angewohnheit, sich nur sehr bedingt nach unseren Idealbildern zu richten. Die Aufklärung hat tatsächlich die Welt revolutioniert und bei Weitem nicht nur die westliche. Sie bestimmt auch heute noch unser Denken. Aber wissen wir auch wie? Die dunkle Seite der Aufklärung Denken und Leben der Aufklärungsphilosophen bieten nicht nur Lösungen für heutige politische Probleme an, sie sind immer auch Teil des Problems. Nehmen wir Voltaire. Seine Verteidigung der Freiheit hielt sich in gewissen Grenzen, die vor allem durch eines markiert wurden: durch Geld. Denn dieser moderne Sokrates
war reich, so reich, dass er auf Schlössern lebte, sein Vermögen im großen Stil an Aristokraten verlieh und im Überseehandel investierte. Der alte Herr in Ferney machte sich von vorneherein keine Illusionen. Er schrieb darüber, dass an jedem Sack Zucker, der aus den Kolonien kam, Blut klebte, aber er investierte in Plantagen und wusste, wie sein Geld sich vermehrte. Er war sich bewusst, dass die Compagnie des Indes, in der er erhebliche Investitionen hatte, ihre enormen Profite auf dem Rücken von afrikanischen Sklaven erwirtschaftete, und er hatte Argumente parat, diese Praxis zu rechtfertigen: „Wir kaufen ausschließlich Neger als Haussklaven. Man wirft uns diesen Handel vor. Ein Volk, das seine eigenen Kinder verkauft, ist noch verdammenswerter als der Käufer. Dieser Handel zeigt auch unsere Überlegenheit; derjenige, der einen Meister akzeptiert, wurde geboren, ihn zu haben.“ Selbst schuld, befand der Philosophenkönig bei Durchsicht seiner Dividenden. Sklaverei war ein Unglück, gewiss. Er selbst hatte in seinen Romanen Zadig und Candide bewegend darüber geschrieben. Wirklich tragisch aber war es eigentlich, wenn es Weiße betraf, denn: „Ich sehe Menschen, die mir den Negern weit überlegen scheinen, wie diese Neger es den Affen gegenüber sind, und die Affen gegenüber den Austern …“ Voltaire, der Rassist? Es war im achtzehnten Jahrhundert durchaus nicht ungewöhnlich, an eine Hierarchie der Menschenrassen zu glauben und daraus moralische Berechtigungen abzuleiten. Enttäuschend ist nur, dass sich der Schutzpatron der Menschlichkeit nicht darüber hinwegsetzte. Nicht anders als Kant und Hegel nach ihm schrieb er mit dem größten Selbstvertrauen über Kontinente, die er noch nie, elegant beschuht, betreten hatte und deren Sprachen und Kulturen er nicht kannte. Europäische Kolonialisten hatten diese Argumente in ihrem geistigen Gepäck, als sie sich mit den „primiti-
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ven“ Indigenen auseinandersetzten und sie kurzerhand der westlichen mission civilisatrice unterwarfen, von der man in Frankreich so gerne sprach. Alle Menschen seien Brüder, schrieb Voltaire, Kinder desselben Gottes. Nur waren eben nicht alle Kinder ebenbürtig. Die Natur mochte sie gleich gemacht haben, die Gesellschaft aber machte sie ungleich: „Auf unserem armseligen Globus ist es unmöglich, dass Menschen, die in Gesellschaften leben, nicht in zwei Klassen geteilt sind: eine der Reichen, die kommandiert, und die andere der Armen, die dient.“ Säubern, Homogenisieren, Beherrschen Die Aufklärung ist unentwirrbar verstrickt in die Geschichte der kolonialen Unterdrückung und damit in die Geschichte der Länder, die jetzt unter dem Gewicht einer als religiöse Bewegung getarnten antimodernen Rebellion zusammenbrechen. Aufgeklärte Verwalter implementierten, was sie in Europa gelernt hatten: den Aufbau von Nationalstaaten mit einem Volk, einer Sprache, einer Geschichte. Schon in Europa waren im Zuge dieser Entwicklung Randgruppen ausgegrenzt, Dialekte verboten und verfolgt, Erinnerungskulturen ausgelöscht worden. Jetzt zogen aufgeklärte Männer Grenzen mit dem Lineal durch Stammesgebiete und jahrhundertealte Traditionen. Sie erfanden stabile Stämme, wo früher nur fluide Traditionen gewesen waren, sie designierten Herrscher, offizielle Sprachen, Gesetze und Machtstrukturen. Heute bringen die Menschen besonders in Afrika und im Nahen Osten die blutige Ernte dieser aufgeklärten Neuordnung ein. Aber auch innerhalb von Europa ist das Erbe des aufgeklärten Denkens ambivalent. Bevölkerungen wurden „gesäubert“ und homogenisiert (von der Sprachpolitik der französischen Revolution, die Dialekte bekämpfte, um aus Bauern, von denen weniger als die Hälfte Französisch sprachen, „Franzosen zu machen“, führt eine direkte Linie zum Holocaust und zur bis heute reichenden Ausgrenzung von Roma etc.). Voltaires robuste Rechtfertigung der Unterdrückung ließ sich ebenso auf Frauen, Kinderarbeiter, die Arbeiterklasse
und auf Außenseiter wie Homosexuelle anwenden und Kant steuerte die Einsicht bei, dass es niemals gerechtfertigt werden kann, gegen eine bestehende Herrschaft zu rebellieren. Tugend war Gehorsam. Die Realität der Aufklärung war die Herrschaft einer gebildeten und wirtschaftlich abgesicherten Elite, deren ökonomische Interessen mit Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung zusammenfielen und die sich auf Kant und Voltaire berufen konnten. Nicht erst Marx erfand die Idee von Religion als Opium fürs Volk. „Das Christentum ist sicherlich die lächerlichste, absurdeste und blutigste Religion, die jemals die Welt infiziert hat“, schrieb Voltaire an Friedrich den Großen und fügte hinzu: „Ich sage das nicht zum Gesindel, das es nicht wert ist, aufgeklärt zu werden und dem jedes Joch passt, ich sage es unter Ehrenmännern, unter Männern, die nachdenken.“ Das gemeine Volk, so Voltaire, sei einfach moralisch zu schwach und zu dumm, um ohne Religion zu leben: „Der Mensch braucht immer eine Bindung und auch wenn es lächerlich ist, Faunen, Waldgöttern und Najaden zu opfern, ist es doch vernünftiger, diese fantastischen Bilder anzubeten, als in den Atheismus abzusinken.“ Ecrasez l’infâme? Später vielleicht. Als junger Mann hatte Voltaire drei Jahre in England verbracht. Dieser Aufenthalt war schlüsselhaft für ihn. Auch wenn die englische Küche ihn kalt ließ, war er tief beeindruckt von der herrschenden relativen Meinungsfreiheit, von der konstitutionellen Monarchie, von der Börse, die er als den eigentlichen Tempel des Landes beschrieb, von der oft durch Pessimismus gekennzeichneten Pragmatik der Engländer. Nur Wirtschaftswachstum konnte eine Gesellschaft offener, toleranter, liberaler und friedlicher machen, war er überzeugt. So konnte materielle Gier zum Motor des Wohlstands werden, der Markt funktionierte auch als soziales Korrektiv und belohnte die Tüchtigen. Kaufleute, nicht die Adeligen, waren die eigentlichen Helden der Gesellschaft.
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Der erste Neoliberale Es ist nicht schwer sich vorzustellen, wie solche Ansichten im absolutistischen und standesverliebten Frankreich gelesen wurden. Für heutige Leser allerdings ergibt sich eine bemerkenswerte Parallele zur neoliberalen Wirtschaftstheorie, die zwar an den Universitäten inzwischen aus der Mode gekommen, auf politischer und kultureller Ebene aber noch immer sehr stark spürbar ist. Wie sich die Bilder gleichen. Voltaire, der erste Neoliberale? Die Ähnlichkeit ist kein Zufall, denn die Ideologie des freien Marktes ist ein Echo der rationalistischen, deistischen Aufklärung nach dem Zuschnitt Voltaires. Beide teilen Grundannahmen wie die Rationalität des Individuums, die individuelle Freiheit, die Toleranz des Marktplatzes, die selbstregulierende Kraft des rationalen Handelns und die meritokratische Elite, die politische und wirtschaftliche Geschicke ganzer Kontinente lenkt. Allerdings wird durch den Markt jeder dieser Werte ökonomisch interpretiert. Die Rationalität wird zur Rationalisierung, die Freiheit zur Deregulierung, die Elite zum Boardroom und Tugend zu wirtschaftlichem Erfolg – eine Parodie der Aufklärung. Voltaire hat diese Entwicklung nicht vorausgesehen und er würde die Banker von heute wohl heimlich verachten, was ihn allerdings nicht daran hindern würde, Geschäfte mit ihnen zu machen. Vielleicht würde er heute diskret im Waffengeschäft investieren, solange die Produkte in obskure Bürgerkriege weit von Europa verschwänden. Als großer Stilist bleibt Voltaire immens zitierbar und sein Genie dafür, Dummheiten aufzuspießen, hat nichts von seiner Aktualität verloren. Seine Philosophie taugt aber nicht dazu, gegen die gesellschaftlichen Verwerfungen der Gegenwart anzudenken. Eine Toleranz, die nur die Gleichgültigkeit des Marktplatzes ist, eine Aufklärung, die einer Elite vorbehalten bleibt, ein Freiheitsbegriff, der die Schwachen für ihr Los verantwortlich macht, und eine Vernunft, die durch Aberglaube
regiert, können weder im ideellen Kampf gegen religiöse Fundamentalismen noch für das Hinterfragen einer durchökonomisierten Gesellschaftsvision nützen. Neue Aufklärung Was ist geworden aus der Aufklärung als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“? Nicht viel, in einer Gesellschaft, in der Entertainment immer attraktiver ist als Verständnis und in der Konsum das erste Mittel ist, sich eine Identität zu basteln, einer Gesellschaft, die ihren Wohlstand noch immer auf Ausbeutung gründet, auch wenn die meisten Ausgebeuteten heute fast unsichtbar geworden sind und auf anderen Kontinenten leben, in einem Markt, der statt Freiheit Unsicherheit geschaffen hat, die nicht nur ihn selbst als System, sondern besonders auch die Marktakteure bedroht, die früher Bürger hießen und jetzt Konsumenten genannt werden, Konsumenten, die nur ein Existenzrecht haben, solange sie noch Kredit bekommen. Wir haben die Unmündigkeit nicht nur als Imperialisten in fernen Ländern durchgesetzt, wir haben sie auch in unsere eigenen Gesellschaften integriert. Wer kann sich noch leisten, wirklich grundlegende Entscheidungen über das eigene Leben zu treffen, ohne den Anschluss an die Transzendenz der Konsumwelt zu verlieren, die einzige Transzendenz, die wir noch haben? Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wir müssen tiefer graben, wenn wir die Aufklärung retten wollen. Wir brauchen nicht weniger als eine neue Aufklärung, um diese großen Ideale, den schönsten Traum, den die Menschheit je geträumt hat, vor sich selbst zu retten.
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Wer entscheidet, was passiert ist? Das Dramatisieren von Romanen, eine an deutschsprachigen Bühnen häufig gepflegte Praxis, ist etwas, was man sich zu einfach macht, was man besser überhaupt nicht oder – wenn schon – dann anders machen sollte. Andreas Jungwirth tat es trotzdem, mit Sabine Grubers Roman Stillbach. Ein Bericht.
Ein Anruf. Sabine Grubers Roman Stillbach oder die Sehnsucht soll für die Bühne bearbeitet werden. Ich kenne den Roman nicht. Lies ihn! Warum macht die Autorin es nicht selbst? Sie ist keine Dramatikerin. Wer wird Regie machen? Das steht noch in den Sternen. Worum geht es? Um Südtiroler Dienstmädchen in Rom. Um drei Frauen, die alle aus Stillbach kommen. Gibt es dieses Stillbach wirklich? Nein, das ist ein fiktiver Ort. Wann ist Premiere? In einem Dreivierteljahr. Eigentlich wollte ich nie wieder einen Roman dramatisieren: Ich gerate zwischen Roman und Regie, erfülle die Wünsche anderer, verliere meine eigene Stimme, trete die innere Flucht an und tue schließlich, was ich schon als Kind gut konnte: Aushalten. Bist du noch dran? Nach dem letzten vergleichbaren Projekt schrieb ich einen Zettel Nie wieder! und habe ihn mit einem Magneten an den Kühlschrank geheftet. Jeden Morgen, wenn ich Milch für den ersten Kaffee heraushole, stimme ich zu. Wie lange darf ich überlegen? Eine Woche. Seit Jahren wabert durch das deutschsprachige Feuilleton eine Diskussion, warum auf den deutschen Bühnen so viele dramatisierte Romane gezeigt werden? Sie wird mit Wut, Vorwürfen und Entrüstung geführt. Diagnose: Eine Krise der zeitgenössischen Dramatik. Ich finde das lächerlich. Das Theater nimmt seit jeher, was es vorfindet und übersetzt es in seine eigene Sprache, für die es kaum noch Gesetze und Regeln gibt. Gut so. So kommt der Roman auf die Bühne, der echte Flüchtling, oder das Britney-Spears-Video. Dabei entstehen mitunter fesselnde, berührende und unterhaltsame Theaterabende. Was soll also die Aufregung? Oftmals nehmen Wut und Entrüstung und Vorwürfe Einzug in
die Kritiken. Es sich zu einfach gemacht zu haben. Es überhaupt gemacht zu haben. Wenn schon, dann hätte man es ganz anders machen müssen. Während ich meinen Zettel am Kühlschrank anstarre, weiß ich im Rücken Mappen mit Kritiken zu Arbeiten mit Arno Geigers Es geht uns gut für die Wiener Festwochen oder Jenny Erpenbecks Aller Tage Abend fürs Wiener Schauspielhaus. Ich dreh mich nicht danach um, weiß auch so, dass sie mich verletzt haben. Ines war Claras engste Freundin aus der Schulzeit. Als sie in Rom stirbt, lässt Clara Mann und Tochter in Wien zurück und macht sich über Stillbach, ihren Heimatort, auf die Reise nach Rom. Beim Auflösen der Wohnung entdeckt sie ein Romanmanuskript, in dem Ines von ihrer Ferienarbeit im Sommer 1978 als Zimmermädchen in einem römischen Hotel erzählt. Und zugleich vom Schicksal einer anderen Stillbacherin, Emma Manente, die damals die Geschäfte führte. Emma, die 1938 ihre Heimat verlassen hatte, Emma, die mit ihrer Größe und ihrem Akzent auffiel, als es schon längst nicht mehr chic war deutsch zu sein. Die Begegnung mit den verborgenen Seiten ihrer Freundin erschüttert Claras Lebensgewissheiten. Zudem lernt sie den Historiker Paul kennen, einen alten Freund und Geliebten Ines’.* Ich folge beim Lesen der Struktur des Romans: Die ersten achtzig Seiten spielen 2010. Sie lese ich im Café Jelinek. Die nächsten zweihundert Seiten, Ines’ Romanmanuskript, im Bett. Die restlichen achtzig Seiten, die die offene Klammer vom Beginn schließen, im EinserWagen der Wiener Linien. Der letzte Absatz funktioniert wie ein Filmabspann: Nach dem Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler am 31. Mai 2010 war Erich Priebke als Bundespräsidentschaftskandidat der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands im Gespräch. Emma Manente starb am 7. Jänner 2011 im römischen Altersheim. Sie liegt neben ihrem Ehemann Remo Manente auf dem Campo Verano, Roms größtem Friedhof.* Heißt das …? Ist Emmas Geschichte ebenso wahr, wie es die Angaben zu dem
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historischen Priebke sind? Obwohl ich weiß, dass Stillbach ein erfundener Ort ist, stelle ich an den Roman von Sabine Gruber Fragen, die Clara, Paul und Emmas Sohn Francesco an Ines’ Manuskript stellen: Ist das alles tatsächlich so passiert? Die Sonne kommt heraus, ich setze mich auf eine Parkbank, lese Glossar und Danksagungen. Wenn ich die Arbeit annehme, erwartet mich ein Prozess, der nur im Zusammenspiel mit anderen funktionieren kann. Ich muss einen Entwurf machen, der Basis ist, eine Vision entwickeln, an der sich jemand reibt, bis ein Feuer entfacht wird. Nehme ich mein Nie wieder!-Gebot nicht mehr ganz so ernst, weil ich in letzter Zeit so viel alleine war mit meiner Hörspielarbeit? Ja. Vermutlich. Und mit dem Stück über Langholzfeld, den Ort, wo ich aufgewachsen bin, komme ich gerade auch nicht voran. Halte ich nicht schon länger Ausschau nach einer Ablenkung? Die halbe Nacht lese ich in Stillbach kreuz und quer. Sabine Gruber inszeniert ein nach innen und nach außen gerichtetes Spiel mit der Realität. Die Roman-imRoman-Konstruktion ist das Offensichtlichste; sie verknüpft die historische Geschichte um das Attentat in der Via Rasella am 23. März 1944 und das darauf folgende Massaker in den Ardeatinischen Höhlen unter Anleitung Herbert Kapplers und der Beteiligung Erich Priebkes mit der Geschichte von Emma Manente; die Autorin selbst wird als mögliche Adressatin für Ines’ Manuskript genannt, um eine Publikation zu ermöglichen; neben den Angaben zu Emmas Sterbedatum platziert sie biographische Details zu Erich Priebke, dem historischen Nazi usw. Alle Figuren in Stillbach sind mit Erinnerung beschäftigt. Und die Sehnsucht hängt an der Erinnerung, auch dann, wenn sie in die Zukunft gerichtet ist. Ich verfolge, wie Sabine Gruber das Erinnern an die Figuren hängt: 1978 ist Emmas Dasein von der Erinnerung an den toten Johann geprägt, den Stillbacher Verlobten, der als Mitglied eines Bozner Polizeiregiments beim Attentat in der Via Rasella ums Leben gekommen ist. Das war der entscheidende Drehpunkt in ihrem Leben. Es folgt eine Schwangerschaft, die Hochzeit mit Remo, dem Vater ihres Kindes und Sohn der Hotelbesitzer. Die Heirat mit einem Italiener machte Emma in Rom zur porca tedesca und in ihrem Heimatort zur Verräterin … alles nachzulesen in Ines’ Manuskript. Emmas Sohn Francesco erinnert sich da ganz anders. Er hält Ines’ biographisch anmutende Schrift für einen
möglichen Racheakt, auf keinen Fall für authentisch. Er hat dafür auch Belege. Vor allem aber hat er ein Bild von seiner Mammina, in das ein deutscher Verlobter nicht passt. Clara bringt ihre Trauer um die Kindheitsfreundin so auf den Punkt: Es erinnert sich niemand mehr mit.* Sie hält Ines’ Manuskript für einen autobiografischen Roman, der erstaunliche Lücken aufweist. Paul ist Historiker mit Spezialgebiet Faschismus, er erinnert sich an Fakten, hat aber vergessen, mit welchen Frauen er geschlafen hat. Ob er mit Ines ein Verhältnis hatte, wie in ihrem Manuskript beschrieben, weiß Paul einfach nicht mehr. Ich wünsche mir: Die Gewissheit darüber, was tatsächlich passiert ist und was nicht, soll dem Zuschauer immer wieder abhandenkommen. Bringe ich ihn auf dieses unsichere Terrain, indem ich die vorgegebene Romanstruktur auflöse? Aus A-B-A wird A-B-B-A-AB-A usw.? Ist Emma die Protagonistin des Stückes, weil ihr Leben in Stillbach das drastischste Beispiel dafür ist, wie die politische Geschichte in die persönlichen Verhältnisse eines Menschen eingreift? Könnte man Clara und Ines nicht mit derselben Schauspielerin besetzen? Welcher Effekt entsteht im Zuschauer, wenn ich die Figuren über sich selbst sprechen lasse? usw. usf. Am nächsten Morgen will ich herausfinden, was funktioniert und was nicht. Ich bin bereit zu gewinnen oder zu verlieren. Als ich Milch für meinen ersten Kaffee aus dem Kühlschrank hole, bin ich auch bereit, die unguten Erinnerungen an meine letzte Arbeit, die ich mit Nie wieder! quittiert habe, beiseite zu schieben. Ich nehme den Zettel ab und lasse ihn in einer Schublade verschwinden. Dann wähle ich die Nummer der Vereinigten Bühnen Bozen und sage: Ja, ich mache mich an die Arbeit. Das Stück soll mit Francescos Besuch im Altenheim beginnen. Die Gedanken der dementen Emma umkreisen Ines’ damalige Ankunft im Hotel. Francesco will dafür sorgen, dass seine Mammina nicht aus der Gegenwart ausbüchst. Nächste Szene: Clara ist mit Paul verabredet, dessen Telefonnummer sie in Ines’ Notizbuch gefunden hat. Sie wollen herausfinden, was sie in dieser Situation für einander sein können. Nächste Szene: Als Clara sich auf den Weg in Ines’ Wohnung macht, kreieren Emmas Gedanken Ines’
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Auftritt im Hotel (1978) und gleichzeitig findet die erste Verwandlung der Schauspielerin von Clara in Ines statt. Nächste Szene: Ines gerät in eine neue Welt, wo sie schnell in Konflikt mit ihrer Kollegin Antonella kommt, mit ihrer neuen Chefin Emma und mit Steg, einem österreichischen Gast, der auf alles geil ist, was einen Rockzipfel hat. Nächste Szene: Ein Gewitter zieht über Rom auf. Antonella, die Städterin, fürchtet sich. Ines, die Stillbacherin, liebt Gewitter. Aber spricht hier nicht auch Clara? Im selben Augenblick bricht Emmas Sehnsucht auf. Jetzt sind die Frauen zum ersten Mal im Wissen um ein und denselben Ort vereinigt. Nächste Szene: Das alles aber ist Handlung aus Ines’ Manuskript, das Clara in der Wohnung der toten Freundin liest. Sie hat einen Roman geschrieben und du kommst auch vor*, sagt Clara zu Paul. Aus dem Roman im Roman entwickelt sich eine erzählte Situation: Aus dem Mitfünfziger Paul wird der junge Paul, der Ines im Hotel begegnet. Ein Versuch: Claras und Pauls Liebesgeschichte und jene von Ines und Paul entwickeln sich parallel, das eine Paar setzt dort fort, wo das andere bereits angekommen ist. Eine Entdeckung: Die Begegnung mit einem anderen Menschen ist in Stillbach immer mit der Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben verknüpft. Clara zieht einen Ausbruch aus ihrer fad gewordenen Ehe in Betracht. Ines sieht sich mit Paul in einer Dachwohnung in Trastevere. Als Emma sich dem langjährigen Gast Hermann Steg endlich offenbart, träumt sie von einer Rückkehr nach Stillbach, an seiner Seite. Wohin das Ganze führen soll: Am Ende des Stückes ziehen sich die Figuren aus der direkten in die indirekte Rede zurück. Sie beobachten sich selbst. Die Zeit, in der die Figuren agieren können, ist vorbei, nur noch die Erinnerung an ihre eigene Geschichte können sie gestalten. Und das Publikum: Im besten Fall soll ein Unbehagen entstehen, es soll die Gewissheit verlieren. Nicht einmal, ob es Johann wirklich gegeben hat, lässt sich mit Sicherheit sagen.
legen Veränderungen, Zuspitzungen, wir montieren Szenen neu und landen schließlich bei der Frage: Wie viel historischer Background muss vermittelt werden? Wie viel weiß das Bozner Publikum über die Südtiroler Geschichte? Muss man erklären, was das Attentat in der Via Rasella war und wie es zum Massaker in den Ardeatinischen Höhlen kam? Wissen alle, wer Erich Priebke war? Was hat der Südtiroler Geschichtsunterricht geleistet? Wie bauen wir die Informationen dramaturgisch sinnvoll ein? Wir entscheiden uns für einen Prolog: Die Ereignisse vom 23. und 24. März 1944 verschneiden wir mit Emmas individuellem Schicksal. Die politischen Ereignisse und die Folgen für Emma. Nachdem das montiert ist, ist Emma endgültig als Protagonistin etabliert. Vieles lässt sich nun weiter im Bezug auf sie entwickeln: Ines’ Sehnsucht, Stillbach zu verlassen, steht in Spannung zu Emmas Sehnsucht, dorthin zurückzukehren. Claras Frage, ob sie ihre eigene Geschichte verlassen soll, um mit Paul weiterzugehen, korrespondiert mit ihrem Bedürfnis, Emmas Anspruch auf ihre eigene Geschichte durchzusetzen, usw.
Die erste Fassung des Theatermanuskripts ist fertig. Die Dramaturgin und ich diskutieren die Personenentwicklung, die verwendeten Mittel, Motive, über-
Ich als Autor plane ein Haus, das andere errichten müssen. Acht Wochen denken die Regisseurin, die Dramaturgin, der Bühnenbildner, die Kostümbildner,
Eine zweite, eine dritte, eine vierte Fassung entsteht. Immer klarer wird der „Ton“, die „Temperatur“, wir sind uns einig: Ein leerer Raum, ein paar Stühle, so kann sich leicht eine Figur aus der anderen entwickeln, eine Szene aus der anderen, eine Zeitebene aus der anderen, ein Monolog aus einem Dialog usw. Wir machen uns Gedanken über die Besetzung. Wer wird Regie führen? Steht immer noch in den Sternen. Ich mache eine letzte Fassung. Ich habe Angst, es fehlt etwas. Etwas habe ich nicht geschafft. Aber was? Ich komme nicht drauf. Ich kann es nicht benennen. Deadline. Die Regisseurin lerne ich erst bei der Konzeptionsprobe kennen. Die Schauspieler sind irritiert, weil sie ein überarbeitetes Manuskript mitbringt. Die Bühne ist nicht leer, sondern eine Hotellobby, zu ebener Erde und im ersten Stock, abgerockt. Die Regisseurin hat zwei neue (stumme) Figuren erfunden: Die junge Emma und Johann. Sie hat eine Umstellung im Manuskript vorgenommen, ein paar Sätze gestrichen, andere aus dem Roman eingebaut. Ergänzt sie auf diese Weise etwas von dem ich denke, dass es fehlt?
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Schauspielerinnen und Schauspieler über den Plan nach, richten ihn auf, aus der zweiten in die dritte Dimension, die Skizze wird zur Handlung, die Textmasse zur Szene. Ich kann als Autor diese Entwicklung begleiten, oder mich zurückziehen. Ich fahre nach Hause. Das Projekt Langholzfeld wartet auf mich. Aus eigenen Erinnerungen und aufgezeichneten Gesprächen mit Bewohnern entwickle ich die Geschichten. Nach Wochen sichte ich wieder das Material. Ich denke an die Proben von Stillbach, an den Roman, an den Roman im Roman, die Verknüpfung von historischem und erfundenem Material. Wer darf mit Recht eine Geschichte behaupten, entlang einer wirklichen Biographie? Ist Stillbach auch ein Roman über das Schreiben von Romanen? Ich lege mein Manuskript beiseite, ich lese wieder in Stillbach. Wer entscheidet, wie über das gesprochen wird, was passiert ist, und somit darüber entscheidet, was passiert ist? Paul, der Historiker? Ines, die Autorin? Francesco, der Sohn? Clara, die Rezipientin? Jeder für sich? Niemand für alle? Wieder quält mich die Frage nach dem, was fehlt. Stelle ich die falsche Frage? Fehlt vielleicht gar nichts? Aus Bozen höre ich, die Proben laufen gut. Aber was heißt das schon? Bei der Premiere fühle ich mich wie beim Lesen eines gut geschriebenen Kriminalromans, ich habe bis zur Auflösung keine Ahnung, wer der Mörder ist, und als ich es endlich weiß, bin ich sicher, ich wäre nie draufgekommen. In meiner Theaterfassung gibt es gegen Schluss eine Konfrontation zwischen Clara und Francesco. Francesco verlangt, dass sie Ines’ Manuskript wegwirft, das seien alles nur Lügen. Einen Johann habe es nie gegeben. Es ist eine Szene im Altenheim, in Anwesenheit von Emma. Mein Vorschlag: Emma will sich gegen die Intervention ihres Sohnes wehren, aber sie hat keine Worte dafür, ihr Widerstand drückt sich bloß in großer körperlicher Unruhe aus. Die Regisseurin hat eine andere Lösung gefunden. Sie öffnet die Szene. Alle Schauspieler und Schauspielerinnen sind auf der Bühne. Nur Francesco fehlt. Er stürzt plötzlich durch den Zuschauerraum, brüllt, dass das alles nicht wahr sei! Er wischt alles weg. Nicht nur Ines’ Manuskript, alles was wir auf der Bühne gesehen haben. Er reißt den Schauspielern ihre Rollen vom Leib. Sie sind verblüfft, wehren sich, sind auch erschöpft, als hätten sie sich zweieinhalb Stunden lang umsonst abgestrampelt.
Und plötzlich ist es da, was mir die ganze Zeit gefehlt hat: Eine große Leere? Ein Moment ohne Sicherheit? Die Gewissheit, dass wir keine Gewissheit haben können? Und doch ist es nicht hoffnungslos. Was? Es. Erst konnte ich nicht sagen, was fehlt, jetzt kann ich nicht sagen, was da ist. Aber plötzlich ist da ein besonderer Moment, einer, der aus der Summe dessen komponiert ist, was zur Verfügung stand: dem Roman, der Dramaturgie, den Schauspielern, dem Bühnenbild, den Kostümen, dem Sound, der Anwesenheit eines Publikums. Ein Moment, den ich nicht beschreiben kann, nur begreifen. Allein dieser Umstand schenkt mir ein wenig Trost. Und ich brauche Trost, habe ich diesen Moment doch nicht im Vorfeld geplant. Am nächsten Tag leite ich einen Dramaturgie-Workshop mit Meraner Schülerinnen und Schülern. Gleich zu Beginn stelle ich ihnen eine Aufgabe: Erinnert Euch an gestern. Skizziert drei Ereignisse, von denen ihr überzeugt seid, sie könnten andere interessieren. Die Jugendlichen erzählen von ihren Fahrstunden, vom Einkaufen, vom Computerspielen, von Begegnungen, von Beobachtungen. Ich höre ihnen zu, erkläre ihnen etwas über Dramaturgie, die sie beherrschen, ohne etwas darüber zu wissen. Am Schluss frage ich, ob jemand etwas erfunden habe. Nein, sagen sie, wir haben nur erzählt, was wirklich passiert ist. Sie werden sich Stillbach oder die Sehnsucht auf der Bühne ansehen. Aber da bin ich längst zurück in Wien und erfahre nicht, ob die Schüler diesen Moment erlebt haben, ob sie verunsichert wurden, die Gewissheit für einen Augenblick verloren haben. Als nach und nach die Kritiken erscheinen, sehe ich aber ein, dass die Kritikerinnen und Kritiker ihn verpasst haben müssen. Zumindest schreibt niemand darüber. Stattdessen formulieren sie die üblichen Vorwürfe: Es sich zu einfach gemacht zu haben. Es überhaupt gemacht zu haben. Wenn schon, dann hätte man es ganz anders machen müssen. Natürlich bin ich verletzt. Also lege ich die Kritiken in einer Mappe ab und stecke sie zu den anderen. Aus der Schublade hole ich den Zettel Nie wieder! und hefte ihn an den Kühlschrank. Und es ist alles wieder so, wie vor einem Dreivierteljahr. Zumindest rein äußerlich.
* Zitate aus: Sabine Gruber Stillbach oder die Sehnsucht, C. H. Beck, München 2011
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Stets bereith!
Ortstermin: Reith bei Kitzbühel. 1050 Gästebetten, 930 Zweitwohnsitze. Die Einheimischen müssen zusammenhalten, sagen die Leute. Weil, was ist ein Dorf ohne Einheimische? Von Georg Cadeggianini
Es sind grauschwarze Wolken, die den Saisonwechsel ankündigen. Einen Moment lang stehen sie in der Luft, hier in Bichlach, einer Anhöhe am Ortsrand von Reith bei Kitzbühel. Gleich werden sie sich dunkel auf den Märzschnee legen. Hans-Peter Foidl taucht die Kelle in den Eimer mit Asche und wirft sie aus, im weiten Bogen wie der Bauer früher seine Saat, die nächste Aschewolke, sie erhebt sich, trübt den Blick auf die zu Türmen gestapelten Holzkisten. Zu Tausenden drängen sie sich dort in einer Traube aneinander, wärmen sich gegenseitig. Schon bald werden sie wieder kreuz und quer durch Reith fliegen, dann, wenn die ersten Frühblüher ihre Blüten öffnen und die Hotels im Dorf zumachen, der Schnee sulzig wird und die Zweitwohnsitzler auch am Wochenende daheim bleiben. Dann beginnt die Saison der Bienen. Sie werden runterfliegen zum Schießstand auf Foidls Grünland, dahin wo er, der Ex-Profi-Biathlet, im Sommer die Schülermannschaft vom Kitzbüheler Skiclub trainiert, jeden Mittwoch Nachmittag – liegend schießen, laufen, stehend schießen; sie werden zum Gegenhang hinüberfliegen, zum Seiwaldbichl, dem Millionärsberg, wo die Freizeitvillen stehen; zum Hügel gleich hinter der Kirche, wo jetzt der Skilift die Kinder der Feriengäste noch ein paar Tage lang nach oben zieht, und weiter zu den Haflingerstuten im Keilhuberhof mit ihren frisch geborenen Fohlen, vielleicht auch ans andere Ende von Reith, zum Schloss Münichau neben dem Golfplatz, wo sogar die Blumenkästen in den Tiroler Landesfarben angemalt sind: rot-weiß, diagonal gestreift, was ein bisschen nach Absperrband aussieht. Luftlinie etwa drei Kilometer, die maximale Entfernung für Bienen, wenn sie vom Nektar, den sie unterwegs finden, noch etwas mit nach Hause bringen sollen. Wieder erhebt sich eine Wolke, legt sich um den Bienenstock. Die schwarze Asche landet auf dem Schnee, sie soll die Sonnenstrahlen absorbieren und die Schnee-
decke anschmelzen. Nicht dass die Bienen, die Foidl mühsam in die nächste Saison gebracht hat, jetzt bei ihren ersten Ausflügen den Schnee aufwirbeln, ihn auf die Flügel bekommen, landen müssen und erfrieren. Foidl zieht ein weißes Brett aus dem Boden der Magazinbeute – „Windel“ nennen das die Imker –, inspiziert es lange und genau. Alles sauber, kein Milbenbefall. „Ohne Imker“, sagt Biobauer Foidl, „ist ein Bienenvolk in Europa zurzeit innerhalb eines Jahres tot.“ Gemeinsam mit einem Freund, dem Sohn seines ersten Trainers, kümmert er sich um die Bienen in Reith. Ein desaströses Jahr liegt hinter ihnen. Die Gefahr kommt von auswärts, von der Varroamilbe, anderthalb Millimeter groß, eigentlich in Asien zu Hause, vermutlich von Forschern eingeschleppt, als sie mit höheren Honigerträgen experimentierten. 70 seiner 90 Völker hat Foidl im vergangenen Jahr verloren. Reith im Tiroler Unterland in einem Seitenarm des Leukentals. Im Norden steht die Zinnmauer des Wilden Kaiser wie die zerklüftete Backenzahnreihe eines Raubtiers. Gipfelnamen wie Totenkirchl oder Fleischbank lassen grausige Geschichten erahnen. Vom Süden her, hinterm Schwarzsee, leuchtet ganz oben die Mausefalle in der Sonne, mit 85 Prozent Gefälle das steilste Stück der Streif, der legendären Rennstrecke auf dem Hahnenkamm. Dazwischen liegt Reith im breiten Tal, umrahmt von den Hausbergen Astberg, Rauher Kopf und Bichlach, die angesichts dieser imposanten Kulisse eher zu Hügeln zusammenschrumpfen: Reith, mit der einspurigen Kohlhoferbrücke am Ortseingang. Mit dem kostenlosen Skilift im Ortskern. Mit einer Langlauf-Loipe, die nach Einbruch der Dunkelheit noch ein paar Stunden beleuchtet wird. Nicht mit grellen Flutlichtern, kleine Schirmlampen stehen da alle 20 Meter – wie Lampions im Schnee. Reith ist der ruhige, erholsame kleine Bruder der mondänen Jetset-
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Diva Kitzbühel. 1050 Gästebetten sind hier gemeldet, dazu kommen 930 Zweitwohnsitzler, Wochenendgäste von auswärts also, die in Reith ihre Freizeitvilla stehen haben. Christina Harisch steht im niedrigen Gewölbe des Schlosshotels Münichau an der Rezeption. Überall dunkles Holz, Türen in Spitzbogenform, ausgestellte Schwerter, schwere Möbel. Den maßgefertigten Aufzug haben sie beim Neuaufbau dem Denkmalschutz abgetrotzt. An die Wand vor der Rezeption sind Wappen gemalt mit Drachen und Einhörnern, Goldverzierungen und Rautenmustern. Noch ein paar Tage, dann sperrt Harisch das Schlosshotel wieder zu, für knapp zwei Monate, genauso wie vor dem Winter: Es ist die Saison der kalten Betten, wenn Restaurants und Hotels in Reith geschlossen bleiben, der Ort Luft holt. „Dann haben wir die schöne Gegend hier wieder für uns“, sagt Harisch. Die Ruhe, das ein bisschen Tote, sie möge das. „Das gehört hier nun einmal dazu. Wenn ich da vier Leute am Tag sehe, dann ist das viel“, sagt Harisch. „Das ist dann schon wie in einer Geisterstadt.“ Aber schlussendlich gehe es um das Zuhause, um Heimat. „Da kann man sich nicht irgendwelche Jahreszeiten herauspicken.“ Sie erzählt von früher, wie sie als kleines Mädchen mit dem Fahrrad zum Krämerladen gegenüber der Kirche geradelt ist, Zigaretten kaufen für den Automaten im Hotel. Vor ein paar Jahren hat der Besitzer sein Geschäft geräumt. Die Pacht, die er für den Laden verlangen konnte, war wohl zu verführerisch, vermutet Harisch. „Als normalverdienender Einheimischer kann man sich das hier schon lange nicht mehr leisten.“ Gäste und Einheimische. Zwei Welten, die in Reith aufeinanderprallen. Da ist zum Beispiel der exklusive „Kitzbühel Country-Club“ (Zirbenholzraum und Zigarren-Lounge-Party, 3600 Euro Aufnahmegebühr, 1800 Euro Jahresgebühr, Infrarotsauna und Kinosaal, Wiener Schnitzel 23,50 Euro) – und ein paar hundert Meter weiter das „Reitherl“ (Straßentische vor dem Lokal, Eiscremewerbung auf den Sonnenschirmen, am
Tresen Roman, der singende Wirt, Pressknödelsuppe 4,50 Euro). Da ist die VIP „Polo Player’s Night“ während des Snow-Polo World Cup – und der Reither Verein der Eisstockschützen direkt neben der Freiwilligen Feuerwehr. Da sind die vielen Q7, X6 und M-KlasseWagen, die sich durch den Ort schieben, oft mit deutschen Nummernschildern – und der rote Suzuki von Bürgermeister Stefan Jöchl. Da wird „leicht begehbares und sehr gepflegtes Jagdrevier mit Aufsichtsjäger“ beworben, während die Reither Schützenkompanie ihren Schießstand im Keller der Volksschule hat. Es sind Welten, die aneinander vorbeileben, sich wenig mischen. Sie sprechen übereinander, in fast modellgleichen Sätzen. „Die Zweitwohnsitzler sind schon ein bisschen eigenbrötlerisch“, sagt zum Beispiel Christina Harisch. „Man kann die nicht mit uns vergleichen.“ Ein paar hundert Meter weiter geht die Rosenheimer Wochenendbesucherin spazieren, mit Pelz auf dem Kopf, den afghanischen Windhund hat sie von der Leine gelassen: „Die Reither mögen es nicht, dass man sich zwischen sie mischt. Die sind da eigen.“ Im Ort grüßt ein Dreimeterplakat, quer über die Hauptstraße gespannt, nachts beleuchtet, befestigt an einem massiven Gerüst, wie man es sonst nur von Autobahnen kennt: „Willkommen in Reith bei Kitzbühel“. Es gibt auffallend viele Schilder in Reith. Schilder, die andere auf Abstand halten, die alles Mögliche, vom Zubringerweg bis zum Garageneinfahrtsfleckchen als „privat“ oder „Privatgrundstück“ auszeichnen. Es gibt Warnschilder, die auf kreuzende Langläufer aufmerksam machen; andere drohen gerichtliche Schritte an, sprechen von „Hundekotaufsammelpflicht“ oder „Hundekotentsorgungszwang“, unterzeichnet mit „Der Bürgermeister“. Man spürt die vielen kleinen Vorgeschichten, was sich da angestaut haben muss, bis es wieder mal hieß: So. Hier kommt jetzt ein Schild hin. Da musste etwas ein für alle Mal gesagt werden. Früher sei das mit den Hundehaltern tatsächlich ein Problem gewesen, sagt Bürgermeister Stefan Jöchl. Inzwischen hätten sie das aber ganz gut im Griff in Reith.
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„Reith bei Kitzbühel“, verbessert er. Das sei wichtig, nicht nur um den Ort nicht mit den anderen Reiths zu verwechseln, etwa mit dem im Alpbachtal oder dem bei Seefeld. Erst das „bei Kitzbühel“ mache den Ort zu dem, was er nun mal sei: die ruhige Alternative. „Und wer das Halligalli mag, ist in zehn Minuten drüben.“ Seit elf Jahren ist Jöchl Bürgermeister der 1700 Einwohner. Ein junger Bürgermeister, 41 Jahre alt. Er erzählt davon, dass er gern zu Fuß geht. Es geht ihm dabei hauptsächlich darum, die Leute zu treffen, einfach so, in ihrem Alltag. „Wenn die anrufen, rufen sie mich doch immer wegen irgendwelcher Probleme an.“ Er hat eine ausladende Art zu gehen, nicht schwankend, eher so, als ob er einfach ein bisschen mehr Standfläche suche. Natürlich kennt auch Jöchl die Monate der kalten Betten, wenn der Seiwaldbichl über Wochen dunkel bleibt. „Das nimmt man schon wahr“, sagt er vorsichtig. „Trotzdem: Jeder hier lebt direkt oder indirekt vom Tourismus.“ Ihm gehe es vor allem darum, die Einheimischen hier zu halten. Deswegen sorgt er sich um bezahlbaren Wohnraum. Die Kommune veräußert Grundstücke teilweise für ein Sechstel des marktüblichen Preises, solange es im öffentlichen Interesse ist. Und öffentliches Interesse bedeutet: Einheimische. „Was ist schon ein Ort ohne Einheimische?“ Jo, wie ihn hier alle nennen, Leiter der Reither Skischule, sitzt seit fünf Uhr morgens in der Pistenraupe: „Nordhang, Südhang – und die Direttissima.“ Es ist ein Übungshang, mit drei Abfahrtsvariationen. Wer die „Reither Streif“ Schuss fährt, landet fast im Kirchturm. „Aber davor kommt noch die Friedhofsmauer“, sagt Jo. Seinen Spitznamen hat Josef Dagn von der ExFreundin aus München. „Du bist der Jo, sagte die. Und so war es auch“, erzählt er. Gut 30 Jahre ist das her, da war er gerade mal volljährig. Der Motor drückt ihn in den Sitz der Pistenraupe – wie beim Flugzeugstart. „Wir Reither halten zusammen“, sagt Jo. „Das ist schon wichtig.“ Dass der Skilift hier nichts kostet, das geht zum Beispiel nur, weil alle zusammenhelfen. Der Eigentümer des Grundstücks, der Reitherwirt, verlangt nichts für die Nutzung; Gemeinde, Bergbahn und
Tourismusverband teilen sich die Kosten für den Lift. Aber braucht es das hier wirklich, einen Gratisskilift? In einem Ort, in dem Gäste 3500 Euro Abschussgebühr zahlen, wenn sie einen Auerhahn erjagen? Jo zuckt mit den Schultern. Er finde das gut. Die Leute müssten doch üben, für die großen Lifte rundherum. Und kostendeckend könne man so was ohnehin nicht betreiben. Bald schon, wenn der Schnee weg ist und der Lift still steht, die Reither Skilehrer wieder in Vorlesungen sitzen, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft arbeiten, wird Jo selbst wieder als Wanderführer unterwegs sein. Und dann erzählt Jo von früher, als der Sommer noch die Hauptsaison war. Wie er als kleiner Junge ab Juni sein Zimmer räumen musste für die Pensionsgäste und gemeinsam mit seinen Geschwistern im Keller auf dem Matratzenlager geschlafen hat, jedes Jahr wieder. Es gebe da doch so ein Lied, sagt er: „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie verkaufen ihre Betten und schlafen auf Stroh.“ Jo lenkt die Pistenraupe rückwärts zwischen die Slalomstangen durch. Am Schluss müsse man immer ein bisschen basteln, wie beim Rasenmähen, sagt er. Und, stimmt das mit dem Strohschlafen? „Über die Zweitwohnsitzler wird schon viel gemosert“, sagt Jo. Dass sie mit vollem Kofferraum ankämen „und uns hier nichts als den Müll dalassen.“ Letztlich, sagt Jo, gehe es doch darum, die Heimat nicht zu verkaufen – und trotzdem davon zu leben. „Aber unsere schönsten Häuser hier sind doch inzwischen von unseren Zweitwohnsitzlern. Das sind doch oft die einzigen, die sich den Tiroler Landhausstil überhaupt noch leisten können.“ Tatsächlich, wer durch den Ort fährt und einen der vielen Tischler oder Wohnraumdesigner dort fragt, bekommt eine ziemlich klare Antwort: Das Geschäft läuft und es läuft gut. Vor allem mit Altholz. Das wollen alle. Es geht um Geschichte, um Authentizität. Und die Auftraggeber sind: Zweitwohnsitzler. Punkt. In Reith gibt es Häuser, große Häuser, die werden nur an Silvester bewohnt. Manchmal werden Einheimische
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dafür bezahlt, ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Ansonsten bleibt es eine tote Adresse. Was macht das mit einem Ort, wenn Häuser nicht mehr zum Wohnen da sind? „Ohne Leben ist Tradition nichts wert“, sagt Elisabeth Leitner vom Keilhuberhof. „Die Zweitwohnsitzler“, sie macht eine kurze Pause, als ob sie den Satz im Kopf noch einmal umdrehe, „die beleben eben das Wochenende.“ Sie ärgert sich darüber, dass die Landwirtschaft mit ihrem Beitrag zum Tourismus so wenig gesehen wird. Es gehe eben nicht nur um Schickimicki. „Auf den Ort aufpassen“, nennt sie das. Es müsse dann eben auch irgendwo eine Kuh stehen und ein Pferd. „Sonst ist das nicht mehr unsere Gegend. Und auch nicht die Gegend, in der die Leute Erholung suchen.“ Leitner geht durch ihren Pferdestall, der aufgeräumter ist als so manches Wohnzimmer. Zehn HaflingerStuten stehen dort, an jeder Box ein Namensschild in Sütterlinschrift, auf einem Sims unter dem Dachstuhl eine Leonhardsfigur, der Schutzpatron der Pferde. Eine Stute schlägt ihre Hufe gegen die Box. „Ihr Bettler, ich weiß schon“, sagt Leitner und gibt jeder eine Kelle Futter. Auf dem Beistelltisch im Stüberl steht ein gerahmtes Bild: Leitner, neben ihr eine Haflingerstute, beide in Bewegung, blonde Mähne und blonde Haare wehen im Wind, darin verfängt sich das Gegenlicht. Hier, im Stüberl, hört man immer wieder die Pferde, ihr Schnauben, Scharren, Scheppern. Geräusche, die einem das Gefühl geben, dass immer jemand zu Hause ist. „Es gibt sie noch, die Leute, die die Traditionen leben“, sagt Leitner und meint damit erst mal sich selbst. Ab Mitte Juni ist sie mit ihren Tieren wieder auf der Alm, so wie die 38 Sommer davor auch. Früher haben sie ihre Tiere noch nicht mit Anhängern transportiert. Damals ging es um vier Uhr morgens los, zum Almabtrieb, mit selbst geflochtenen Kränzen, dazu die Kühe mit festlich geschmückten Glocken um den Hals: ein altes Geläut, das harmonisch gestimmt ist. „Wir waren fanatisch.“ Das, was da heute auf den Viehzügen passiere, habe damit nichts mehr zu tun. Sie erzählt von inszenierten Kuhkolonnen, bei denen dieselben Tiere mehrere Wochenenden hintereinander durch die Stra-
ßen Spalier laufen. „Ich mach das doch nicht mit, nur damit die Wirte hier ein besseres Geschäft machen.“ Oben auf der Sintersbacher Hochalm hat auch sie Pensionsgäste: rund hundert Pferde. Den Almsommer lang sind sie die größte frei lebende Haflingerherde Europas. Jeden Tag geht Leitner dann vier, fünf Stunden durchs Gelände, bis sie jedes einzelne Tier gesehen hat. Kontrolliert hat, dass es ihm gut geht. Sie kennt sie alle beim Namen. „Da oben ist alles noch so wie früher. Da ist keine Liftstütze, die in der Gegend rumsteht. Da ist alles genau so, wie es sein sollte.“ Unten im Dorf, ein paar hundert Meter vom Keilhuberhof entfernt, schwirrt eine Drohne über dem Country Club. Sie hat eine Kamera montiert, neue Werbebilder vielleicht oder ein kleiner Clip? „Kommen Sie nach Hause, in Ihren Club“, lautet einer der Claims. Die Drohne dreht ein paar Runden. Sie bleibt über dem Clubgelände. Das Wochenende beginnt in Reith am Freitag Nachmittag. Wer dann die Landstraße 202 Richtung Kufstein nimmt, Richtung Norden, der kommt sich vor wie ein Geisterfahrer: Nur entgegenkommende Fahrzeuge, dicht an dicht, große, teure Autos, alle von auswärts. Noch sind die Zweitwohnsitzler unterwegs, noch bleiben die Bienen von Hans-Peter Foidl im Stock. Foidl hatte von den vielen reichen Leuten erzählt und ihrem enorm hohen Lebensstandard. „Das sehen die Leute hier und wollen es auch haben.“ Und das sei schon ein Problem. „Auf die Alm“, meinte Elisabeth Leitner, „kommt nur derjenige, den man da auch haben will.“ Das sei schon ein Vorteil. Der Bürgermeister war extra zum kleinen Teich am Astberg gefahren, zum Plattenteich. Im Sommer, nach Feierabend, springt er da gern rein. Das sei Heimat. In großen goldenen Lettern steht über dem 25-MeterNaturstein-Pool im Country Club: „In sich schwimmen und dabei nicht untergehen.“ Reith halt.
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Der erste Blick auf dieses Negativ lässt eine Familienaufnahme erahnen: der sitzende Vater mit den ihn einrahmenden Mitgliedern.
Ins Positiv umgewandelt offenbart sich der Zugang zu einer großbürgerlichen Familie, wohl im eigenen Garten, mit dem Status-Hund, in diesem Fall kein üblicher Bernhardiner, sondern ein Boxer. Dass dessen Name Rex ist, ist nur das Tüpfelchen auf dem „i“ am Ende einer Recherchekette, die bis an den Anfang der Photographiegeschichte von Lienz zurückreicht. Doch bleiben wir noch ein, zwei Momente bei diesem Familien„Ensemble“: Während der schon gealterte Vater als Familien102 / 103
oberhaupt mittig thront, ist es neben ihm einzig der Sohn, der direkt in die Kameralinse sieht, ja geradezu starrt. Mode und Haartracht der weiblichen, fast abwesend blickenden Mitglieder vermitteln bürgerlichen Wohlstand und sind am „Puls der Zeit“. Die fast Altersgleichen sind linkerhand gruppiert, das junge Mädchen rechts umarmt zärtlich die Mutter. Was wird die Zukunft für diese Egger-Lienz-Familie bringen? Wie lange wird diese Einheit währen?
Von Georg, Albin & Ila
Die Familiengeschichte Egger-Lienz in bislang unbekannten Lichtbildern. Von Martin Kofler.
Wenn man in der Hauptstadt Osttirols aufwächst, kommt man an einer Person früher oder später keinesfalls vorbei: Albin Egger-Lienz. Nicht, weil dieser so bekannte Künstler die Ortsbezeichnung als Zusatz in seinen Familiennamen integriert hat, sondern weil das Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck eine wahrlich beachtenswerte Gemälde- und Zeichnungen-Sammlung sein Eigen nennt und seit 1943 in der mittelalterlichen Burg der Grafen von Görz präsentiert. Hantelt man sich über diesbezügliche Provenienz- und NS-Zeit-Forschungsfragen weiter zurück und legt zu guter Letzt via Wilfried Kirschls Standardwerk den Fokus auf die Person des „Meisters“, so geht es besonders um den Familiennamen „Egger“ und um die ganz zentrale Beziehung zwischen Albin und seinem Vater Georg. Da dem aus dem benachbarten kärntnerischen Oberdrauburg stammenden Vater eine künstlerische Karriere verwehrt blieb, betätigte er sich einerseits als nicht untalentierter Kirchenmaler sowie sehr erfolgreicher Pionier der Atelierfotografie und förderte andererseits die künstlerische Ausbildung seines Sohnes Albin in allen Belangen – was dieser sehr zu schätzen wusste. Die Beziehung zwischen Vater Georg und Sohn Albin war eine besondere, intensive, herzliche, was einige nachfolgende Zitate untermauern sollen. Stets kehrte der Sohn gerne in das väterliche Elternhaus der Lienzer Schweizergasse zurück, wo ein reger Austausch über alle möglichen Themen gepflegt wurde. Schwer getroffen war Albin vom Tod seines Vaters 1907. Danach bricht der Kontakt zu Lienz fast vollständig ab. Bis zur Umsetzung der Fresken in der Kriegergedächtniskapelle bei St. Andrä 1925. „(…) Wie herzlich mich mein Vater stehts willkommen heißt. Ich glaube überhaupt, daß ein Verhältnis wie es zwischen uns zweien (Vater und Sohn) besteht, vereinzelt dastehen dürfte. (…) Du weißt ja, daß mein Vater selbst ein rechter Maler werden wollte, später aber Fotograf werden mußte. Und daß er mit innigster Freude mich zur Kunst anregte, habe ich Dir wohl auch schon ausführlicher mitgetheilt.“ (Brief Albin EggerLienz an seine Verlobte Laura von Egger-Möllwald, 24. Mai 1899)
„Ich finde überhaupt, daß so ein mehrthägiger Aufenthalt im Vaterhause mich sehr zum Schaffen anregt, mehr als mitunter ein Gespräch mit ‚sogenannten‘ Collegen.“ (Brief Albin Egger-Lienz an seine Ehefrau Laura, 23. Dezember 1899) „Ich denke schon immerzu: wenn Du wieder da sein wirst, dann machen wir es grad wie wir es immer gemacht haben.“ (Brief Georg Egger an Sohn Albin, 6. März 1901) *** Meine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte Osttirols von 1850 bis zur Gegenwart und die persönliche wertvolle Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Prof. Kirschl legten die Basis für „meinen“ Egger-Lienz. Die jüngste Tätigkeit als Leiter des neuen Tiroler Archivs für photographische Dokumentation und Kunst (TAP) – EU-Interreg-IV-Projekt Italien-Österreich 2011 bis 2015, mit erfreulicher Sonderfinanzierung durch die Länder Tirol und Südtirol 2015/16 – ermöglicht aber einen Quantensprung: Erstmals wird hier eine Serie bislang größtenteils unbekannter Lichtbild-Aufnahmen der Familien Georg Egger und Albin Egger-Lienz präsentiert, die ein Teil der riesigen, 7.056 Glasplattennegative umfassenden Sammlung sind, welche sich als Dauerleihgabe der Stadt Lienz im TAP befindet. Ein entscheidender zeitlicher Bruch bestimmt dabei die Urheberschaft, auch diese Auswahl: Bis zu seinem Ableben 1907 ist Georg Egger als Fotograf zu nennen, danach und bis zu ihrem Lebensende 1951 setzte Tochter Maria das Erbe ihres Vaters in dessen und mit dessen Namen fort. Sie lichtete auch die Kinder ihres Halbbruders Albin – Lorli, Fred und Ila – bis in die späten 1940er Jahre stetig ab. Das vom Vater erlernte Können professionalisierte sie mittels neuer Techniken. Die Bilder erscheinen zeitlos, zeigen den hohen Standard, der in der Lienzer Schweizergasse herrschte, und lassen die Egger-LienzVerwandten in ganz neuem Licht erscheinen. Weiterführende Literatur: www.quart.at
(links) Georg Egger (1835–1907), um 1890: Fotografendynastie- und FamilienBegründer; steter Förderer seines Sohnes Albin, den er im Alter von einem Jahr in seinen neuen Haushalt in Lienz aufnahm. (unten) Eine Hinterhofwohnung in der Umgebung von Wien, um 1882? Weit gefehlt. Nachdem die Berge den dargestellten Ort Lienz sicherstellen, fallen die verzierte Bemalung der Außenfassade und das Glasdach auf. Ganz links am Brunnen: Sohn Albin. Im Schatten der Eingangstür sitzend: Vater Georg. Das Haus in der Lienzer Schweizergasse Nr. 33 (damals Nr. 50) erwarb Georg Egger 1880 und eröffnete im südseitig gelegenen Garten das Fotoatelier, das auch dem später so berühmten Sohn oft als Arbeitsraum diente.
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(oben) Die Familie Georg Egger, um 1895: Neben den Kindern Anna, Eduard und Maria ist im Vordergrund das einzige Mal Mutter Franziska Rotschopf zu sehen, Stiefmutter Albins, des unehelichen Sohns von Georg mit dem Bauernmädchen Maria Trojer. Statisch, hölzern wirkt die Gruppe, doch so waren die damaligen Anweisungen im Atelier, nicht zuletzt aufgrund der längeren Belichtungszeit, die keine Bewegung, kein Lächeln erlaubte. Die hiesigen jungen Leute um die 20 werden ihre Ecken und Kanten erst finden. (rechts) 1906: Der stolze Großvater Georg Egger freut sich mit einem „MonaLisa-Lächeln“ auf die Aufnahme seiner Tochter Maria. Die beiden „Enkelen“ (Manfred) Fred und Lorli machen einen eher verkniffenen Eindruck. Fred ist in dieser Kleidung mit Gürtel auf seinem – fast zeitgleichen – Porträt des Vaters im Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck (bis heute) zu sehen.
(links) Entschlossenheit und Ausdrucksstärke, eine gewisse Eleganz, ein Hauch Reichtum – Albin Egger-Lienz (1868– 1926) vor der Leinwand im heimatlichfamiliären Foto-Atelier, 1907. (unten) „Cowboy“ in Lienz zur Jahrhundertwende … Sohn Albin sticht aus der Mitte seiner Halbgeschwister Maria, Anna und Eduard heraus. Vater Georg, der Souverän. (rechts oben) Ein zufriedener Georg Egger, in jovial-gemütlicher eigener Garten-Atmosphäre mit seinen Kindern Maria und Albin. „Sie hatten hinter dem Haus einen hübschen kleinen Garten; da stand das photographische Atelier, da sah man über die angrenzenden Äcker und Wiesen hinweg zum Spitzkofel hinüber (…) Bei Wein und Pfeife saß er (Albin) dann oft mit seinem Vater in tiefen Gesprächen, das flackernde Windlicht, der milde Abendfriede vertiefte noch die Harmonie des Beisammenseins.“ (Ila Egger-Lienz, 1939, in Erinnerung an Vater und Großvater) (rechts unten) Der Tod des Vaters 1907 traf Albin – hier im Kreise der trauernden Halbgeschwister – hart.
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(links) Das junge Familienglück, 1904 porträtiert von Schwester / Schwägerin / Tante Maria Egger im Lienzer FamilienAtelier: die Kinder in leuchtendem Weiß, sogar Manfred (Fred) trägt, ganz nahe bei der Mutter sitzend, ein Kleidchen. Lorli und der Vater bilden eine kompositorische Einheit. Elegant präsentiert sich eine aufstrebende Familie. (unten) Das „Nesthäkchen“ Frieda (Ila), geboren 1912 – Ehefrau Laura hatte sich so sehr noch einen „Nachzügler“ gewünscht –, wurde sogleich auf das Lichtbild gebannt. Einzig Oberhaupt Albin blickt direkt in die Kamera, Fotografin Maria stand wohl seitlich und lenkte nicht nur die Kinder ab. Der Altersunterschied zwischen Ila und Lorli bzw. Fred ist hier noch eklatant.
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(oben) Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes 1926 hatte die stille, unscheinbare Laura das Erbe des Künstlers zu verwahren und verwalten und sah sich etwa in der NS-Zeit gezwungen, zum Überleben sowohl Gemälde zu verkaufen als auch im Schweizergasse-Garten Obst, Gemüse und Tabakpflanzen zwecks Selbstversorgung oder Weiterverkauf anzubauen. (unten) Fotografin Maria Egger, hier ein Lichtbild um 1945, führte das Lebenswerk ihres Vaters Georg im Atelier in der Lienzer Schweizergasse von 1907 bis zu ihrem Tod 1951 weiter. Dies in Form von zahllosen Familien- oder Einzelporträts, bis hin zu Kriegshochzeitsfotos im Dritten Reich oder Aufnahmen der schottischen Besatzungssoldaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
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Die drei Geschwister: Lorli, Fred und Ila von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter, von circa 1910 bis 1940 – aufgenommen von Tante Maria Egger in Lienz. Allein Ila suchte später aus einer innigen Verbundenheit heraus, dem langen Schatten des (über)mächtigen Vaters beizukommen. Sie ging ihren eigenen Weg, blieb zugleich bis zuletzt die „Tochter“ von Albin Egger-Lienz.
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Dunkel, still, bleich, rot Landvermessung No. 4, Sequenz 6 Von Klausen bis zum Rosengarten Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf den Seiten 112 / 113). Wir befinden uns derzeit auf der Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen ins Trentino führt. Ein Islandpferd, ein Lama und ein Faultier bewegen sich von Klausen über Sankt Ulrich, Kastelruth, Seis und Völs am Schlern nach Sankt Zyprian. Ein Mäandern zwischen Traum und Wirklichkeit. Von Erwin Uhrmann.
Die dunklen Berge Am Abend ist wenig zu sehen außer den dunklen Bergen entlang der schmalen Straße. Es tröpfelt vom Himmel. Meine Frau steuert den Wagen, sie kann besser Autofahren als ich. Am Brenner steigt E. G. Thormassi zu, der isländische Philosoph. In Italien hört der Regen auf. Der Mond ist zu sehen und er scheint nahe. Meine Frau hat vor Jahren einen Text über den Architekten Othmar Barth verfasst, den ersten modernen Architekten Südtirols, das seine Entwicklung in der architektonischen Moderne relativ spät, nach den Kriegen, nachgeholt hatte. Sie ist deswegen einmal in Brixen gewesen und hat sich die Cusanus-Akademie angeschaut. Die Cusanus-Akademie ist ein schlichtes Gebäude aus Sichtbeton und unverputzten Ziegeln. Als Vorbereitung auf die Reise jetzt hat sie einen alten Stoß Bücher von damals und einen Südtiroler Architekturführer eingepackt. Als Thormassi sich angekündigt hatte, war die Reise nach Südtirol schon geplant gewesen. Er kommt ein, zwei Mal im Jahr nach Wien, um mich und meine Frau zu besuchen. Manchmal bleibt er weniger als 24 Stunden, manchmal drei Tage. Für Freunde, die sich selten sehen, ist es wichtig, diese Regelmäßigkeit beizubehalten. Wir schlugen Thormassi deshalb vor, uns zu begleiten. Er sagte, er sei stur und träge wie ein Islandpferd. Ach was, sagte meine Frau, ich bin stur und träge wie ein Lama. Na dann, sagte ich, ich bin stur wie ein Kamel und träge wie ein Faultier. Thormassi bestand darauf, die Hotels zu buchen.
Als wir in Klausen ankommen, ist es finster und völlig still. Diese Stille, sagt Thormassi, kenne ich von Island. Es ist eine dunkle Stille, ohne Baum und nach Moos duftend. Eine politische Stille, der Utopie verwandt, eine achtsame Stille, vom Menschen gewollt, eine europäische Stille durch und durch. Wir bleiben im Hotel „Walther von der Vogelweide“ in der Altstadt, ein Haus aus dem Mittelalter mit Giebeldach und Zinnen an der Front. Den Wagen bittet man uns in die Parkgarage zu stellen, weil am Samstagmorgen Markt ist. Die Zimmer sind alt und es gibt eine große Nische mit einer Bank. Vom Fenster sollte man die Terrassen sehen, es ist aber zu finster. Wenn ich im Bett stehe, erkenne ich ein riesiges Werk von Daniel Buren, das trotz der Dunkelheit schimmert. Eine riesige runde Form, ich ahne, wie es aussieht – ein Rückgrat von rostfarbenen Metallrippen. Wir gehen noch einmal raus, durch die gepflasterte Oberstadt, vorbei an niedrigen Eingängen und bauchigen Häusern. Der Nachthimmel über ganzen Landstrichen wurde hier zum Weltkulturerbe erklärt. Meine Frau hat mir eine Sternkarte geschenkt, die man zusammenknüllen kann. Eine, die sich mit Licht aufladen lässt und dann aufgefaltet wird und leuchtet. Ich hole sie aus dem Wagen und wir schauen in die stille Nacht mit der Karte überm Kopf. Der Mond scheint mir noch immer näher als sonst. Näher als in der Wiener Sternwartestraße, wo wir wohnen. Deshalb gibt es wahrscheinlich diese Sage von den bleichen Bergen: Ein Prinz ist ständig melan-
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cholisch und beobachtet den Mond, der ihm unerreichbar scheint. Eines Tages trifft er in den Bergen einen Mann vom Mond, der ihn mitnimmt. Am Mond lernt er eine attraktive Prinzessin kennen und die beiden verlieben sich ineinander. Jedoch leiden seine Augen unter dem seltsamen Silberlicht am Mond und er droht zu erblinden. Also muss er zurück auf die Erde. Er nimmt die Prinzessin mit. Nach einigen glücklichen Wochen wird die Prinzessin tief depressiv, weil ihr die silbernen Mondberge fehlen. Sie muss zurück, weil sie die riesigen dunklen Berge zu erdrücken scheinen. Der Prinz irrt verzweifelt umher. Niemand kann ihm helfen. Hoch in den Bergen trifft er auf eine verwahrloste Zwergin. Beide klagen sich ihr Leid. Die Zwergin schildert, dass ihr Volk zerstreut über die Erde lebe, hier aber ihre Heimat sei, die ihnen der Mensch genommen habe. Der Prinz überredet daraufhin seinen Vater, die Zwerge in den Bergen wohnen zu lassen. Man einigt sich auf eine friedliche Koexistenz. Die Zwergin dankt dem Prinzen. Und als Tausende von Zwergen in ihre Heimat zurückkehren, spinnen sie aus den Mondstrahlen riesige silberne Netze und legen sie über die Berge. Nun holt der Prinz seine Prinzessin, die sich ab sofort wohlfühlt wie am Mond, weil die Berge nicht mehr dunkel, sondern bleich und silbern sind. Es wird tiefe Nacht. Die stillen Berge Was soll ich sagen, es ist der erste Frühlingstag, und das, obwohl das Wetter ganz anders angesagt war. Um die 19 Grad. Ich spüre die Sonne im Gesicht, ein bisschen sogar in die Augen stechen. Wir haben keine Sonnenbrillen dabei, aber zum Glück gibt es in Klausen ein paar von diesen Geschäften, wo man alles kaufen kann, von der Handpuppe bis zum Schwert. Thormassi folgt uns schweigend. Er sagt, für längere Wanderungen sei er nicht zu haben. Für kurze schon. Der Kurator Günther Oberhollenzer ist unser einziger offizieller Termin auf der Reise. Er wird uns die Vogelweider Terrassen zeigen, über die einmal die Brennerautobahn führte. Oberhollenzer kommt direkt aus Bozen, wir treffen ihn an der Ortseinfahrt Klausen auf einem großen Park-
platz der Eisacktaler Weinkellerei. Er war als Kurator in acht verschiedenen Museen tätig. In einem davon haben meine Frau und ich mit ihm ein paar Jahre zusammengearbeitet. Seinen Durchbruch erreichte er genau damals mit der Ausstellung „Sehnsucht Selbst“, in der er den Foucault’schen Begriff des Dispositivs vor dem Hintergrund narzisstischer Zeiterscheinungen analysierte. Oberhollenzer steigt aus seinem Wagen und wirft die Autotür mit einer heftigen Wucht zu. Dann dreht er sich zu uns und sagt: Oh, ihr seid schon da. Er trägt einen weißen Mantel wie ein Chemiker, kommt uns mit der ausgestreckten Hand entgegen und grüßt mit festem Händedruck. Dann beäugt er uns kurz, seine Wangen sind leicht gerötet, bevor er zum Sprechen ansetzt mit tiefer Stimme: Ich begrüße euch im schönen Herzen von Südtirol. Oberhollenzer benutzte immer schon seine Hände zum Sprechen. Er lächelt, aber sein Mienenspiel schwenkt ins Ernste. Thormassi steigt als letzter aus dem Wagen. Oh, sagt Oberhollenzer, ich begrüße Sie, Herr Thormassi. Das ist aber eine Ehre. Sie haben die weite Anreise aus Island auf sich genommen, um unsere Terrassen zu sehen. Thormassi lächelt, er sagt: Ja, ich will das Weltwunder bestaunen. Es soll ja schön sein wie die hängenden Gärten der Semiramis. Wo sind Sie denn über Nacht geblieben?, fragt Oberhollenzer. Im „Walther von der Vogelweide“. Na, dann haben Sie die Terrassen ja schon gesehen. Nein, sagt meine Frau, wir haben sie nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Wir wollten noch warten. Oberhollenzer lacht. Er bittet uns in seinen Wagen. Wir fahren ein Stück in Richtung Klausen und dann über den Eisack und in einen Tunnel. Wir nehmen die Stiegen, sagt Oberhollenzer. Es sind 281 Stufen. Wir lachen. Nach den ersten etwa hundert Stufen sagt Thormassi, dass Islandpferde keine Stufensteiger seien. Meine Frau und ich sind beide außer Atem. Lamas auch nicht, sagt sie. Oberhollenzer lacht. Es ist nicht mehr weit. Als wir endlich oben sind, gibt uns Oberhollenzer die Fakten: 1784 Meter lang, 28 Meter breit, alles begrünt mit 79 Pflanzenarten, 187 Skulpturen von 87 Künst-
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lerinnen und Künstlern. Dann holt er tief Luft und wir gehen ein Stück. Im Gehen erzählt er uns, dass der Künstler Aldo Berggrün Eichen auf den Terrassen pflanzen wollte. Er selbst sei dafür gewesen, habe aber dann die Bedenken der Ingenieure verstanden, denn die Wurzeln der Bäume sprengen allmählich den Beton der alten Autobahntrasse. Sie kennen vielleicht die New Yorker High Line?, sagt Oberhollenzer. Natürlich, den Park, der auf einer alten Bahntrasse mitten in Manhatten angelegt worden ist. Oben ist alles grün und zu meinem Erstaunen weich. Man sinkt ein Stück in den Boden ein. Das Schöne aber war, sagt Oberhollenzer, dass wir uns nicht auf die Terrasse haben beschränken müssen. Er deutet nach unten. Dort leuchten drei große massive Kugeln aus einem silber glänzenden Metall. Das sind die drei Welten von Hans Kupelwieser, sagt er. Die halb im Boden versenkte Kugel ist die Welt von Gestern, die Kugel, die ein Stück abseits liegt, ist die Welt von Heute und die erhöhte Kugel ist die Welt von Morgen. Morgen, sagt er und zeigt dabei in die Richtung eines kleinen Bunkers, werden wir das da vielleicht nicht mehr brauchen. Er geht vor und wir folgen ihm. Der Innenraum wirkt sakral. Das kubische Gebäude ist aus Sichtbeton, der Boden lackierter Beton. An der Breitseite hängt nur ein Bild, das ist aber monumental groß. Es stammt vom deutschen Künstler Anselm Kiefer. Hinter dem Bunker steht ein Objekt, das mich an eine Harfe erinnert, ein großer Rahmen, sicher 10 Meter hoch, an dem vertikal tausende kleine Fäden gespannt sind. Strings, sagt Thormassi. Richtig, ruft Oberhollenzer und applaudiert. Das Werk ist vom französischen Künstler Anton Kekulé. Der heißt zufällig so ähnlich wie der deutsche Chemiker, der die ringhafte Benzolstruktur aufgrund eines Traumes entdeckte, in dem er eine Ouroborosschlange sah, eine alchimistische Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Vielleicht ist er ja mit dem Chemiker verwandt, sagt meine Frau. Sie lächelt, denn sie weiß, dass sie damit bei Oberhollenzer einen Punkt anspricht, auf den er
stolz ist. Oberhollenzer stammt aus Pfalzen, einem Ort auf einer Hochebene im Pustertal. Dort, auf Burg Schöneck, war der Ritter und Minnesänger Oswald von Wolkenstein geboren. Als man 1973 das Grab von Wolkenstein entdeckte, fand man heraus, dass sein Lidmuskel gelähmt war, weshalb alle seine Darstellungen ihn mit zugekniffenem rechten Auge zeigen. Vor wenigen Jahren wurde dann sein Erbgut analysiert, um seine Herkunft und seine Nachfahren zu erforschen. Aus der Umgebung Pfalzen konnten die Bewohner DNA-Proben abgeben, um einen möglichen Verwandtschaftsgrad mit Wolkenstein eruieren zu lassen. Es sei einfach ein Spaß gewesen, sagt Oberhollenzer. Und dann war es plötzlich wie eine Bombe: Er selbst, stellte sich heraus, sei einer der direkten Nachfahren von Wolkenstein, so etwas wie sein Enkel mit 17 Mal „Ur-“. Kurze Zeit später sei der Auftrag gekommen, das große Terrassenstück der ehemaligen Brennerautobahn über Klausen mit Kunst zu bespielen. Oberhollenzer saß einer Kommission vor, die sowohl die landschaftsgestalterische Lösung als auch einen Museumsbau in Auftrag gab. Er selbst wählte dann Künstler aus, die Auftragswerke für die Terrassen machten. Und er plädierte – seinem eigenen Stammbaum zum Trotz – dafür, dass die Terrassen nach dem Minnesänger Walther von der Vogelweide benannt werden sollten. Das Kunstwerk von Kekulé mit den gespannten Saiten spielt auf die Stringtheorie an, sagt Oberhollenzer. Sie erklärt, warum zwei Teilchen im Universum, die an völlig unterschiedlichen Orten sind, doch miteinander verbunden sind, durch die Strings eben. Thormassi macht sich Notizen und meine Frau fotografiert. Die Autobahn war immer Thema, sagt Oberhollenzer. Wenn Sie in einem kanadischen Dorf leben, sagt Thormassi, dann sind die Bären immer Thema. Wenn Sie in einem Küstenort in der Normandie leben, dann ist das Meer immer Thema. Wenn man in Island lebt, sind die Vulkane immer Thema, sage ich. Pferde sind das Thema, sagt Thormassi und lacht, und auch Vögel, denn die greifen an, wenn sie schlecht gelaunt sind. Genau, sagt Oberhollenzer. Er geht im Reden. Alle Werke kann man nicht erklären, es sind an die 100 Skulpturen, die auf der Trasse zwischen Klausen und
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Lajen stehen. Oberhollenzer weiter: Als die Trassen der Brennerautobahn hier aufgesetzt wurden, war das, als stünden Saurier in der Landschaft. Unten haben wir einen Raum im Museum, der die Geschichte der Autobahn thematisiert. Wenn einmal wo der Lärm war und dann die Ruhe einkehrt, sagt Thormassi, dann ist es Utopie. Oberhollenzer nickt zustimmend. Dann war dies ein Teil der Via Claudia Augusta?, fragt Thormassi. Jein, sagt Oberhollenzer. Die Römer bauten im 2. Jahrhundert – es muss Septimius Severus gewesen sein, der auch die schönen Thermen auf dem Palatin in Rom erbauen ließ – die Via Raetia. Und die Via Raetia löste die alte Via Claudia Augusta ab und schuf eine Verbindung von Norditalien bis in die Provinz Raetia, den süddeutschen Raum. Thormassi nickt zustimmend. Am Ende der Trasse führt eine riesige, breite Treppe hinunter ins Museum. Direkt ins Dach. Das Gebäude ist von Renzo Piano, sagt Oberhollenzer. Wir gehen über die sogenannte Himmelsleiter auf das Dach zu, in dem ein großes Loch ist. Man mündet in die Dunkelheit. Das Loch ist eine große Öffnung im Dach, die direkt in den hohen Museumsinnenraum führt. Meine Frau fotografiert die Dachflächenstruktur. Je nach Sonnenstand, sagt Oberhollenzer, sieht man von oben entweder einen dunklen Raum oder ein hell erleuchtetes Inneres. Am Vormittag entsteht ein Schatten. Kommt die Sonne vom Westen, so wird das Museum durch die Glaswände an der Westseite beleuchtet, und in der Abendstimmung, wenn es auf den Terrassen dunkel wird, sieht man von hier einen hell erleuchteten Museumsraum. Beim Hinuntergehen erkennt man, dass die alte Autobahntrasse das Dach bildet. An der Unterseite sind geometrische Formen aus Stahl appliziert. Die stammen von der Künstlerin Esther Stocker, sagt Oberhollenzer. Wir sitzen lange im Museum, das noch nicht eingerichtet ist. Einstweilen, sagt Oberhollenzer, soll es nur ein Raum sein, der die Atmosphäre einfängt und Schutz gibt. Jeden Samstag ist Markt in Klausen und wir kaufen Schüttelbrot und Gemüse. Oberhollenzer und Thor-
massi kaufen Speck und Käse für sich dazu. Jetzt sieht man die Terrassen vom Ort aus, sie wirken tatsächlich utopisch. Meine Frau möchte zum Kloster Säben. Wir gehen durch die Stadt, vorbei an einer Ecke, die Mineralienecke heißt, wo allerhand volkskundliche Gegenstände hängen, und zwischen zwei Häusern eine Stiege hoch, die uns auf einen Übergang zur Säbener Promenade, einen steilen Weg, führt. Vom Kloster aus ist die Perspektive ungewöhnlich, weil die Terrassen immer über einem thronen, nun sind sie unter uns, grün bewachsen und mit Kunstwerken befüllt. Wir gehen durch einen langen Steintunnel auf die Rückseite des Klosters. Der Tunnel erinnert mich an die Festung des Nekromanten aus dem „Hobbit“. Am Parkplatz der Eisacktaler Weinkellerei verabschieden wir uns von Oberhollenzer. Er schenkt Thormassi und uns ein Buch über die Vogelweider Terrassen. Die bleichen Berge Im Radio läuft „Love’s been good to me“ in der Version von Johnny Cash: I’ve been a rover / I have walked alone / hiked a hundred highways / never found a home. Thormassi summt mit. Vielleicht zum hundertsten Mal erzähle ich die Geschichte vom 13. September 2003, als ich über den Walk of Fame in Los Angeles ging und plötzlich einen mit Blumen und Kerzen bedeckten Stern sah. Es war der von Johnny Cash, der am Vortag gestorben war. Die ganze Reise schon hatte ich im Wagen Johnny Cash gehört, war nach San Quentin gefahren, um an den Toren des Gefängnisses zu stehen, wo sein legendärer Auftritt stattgefunden hatte. Und dann stand ich plötzlich an seinem Stern und er war tot. Als das Lied ausklingt, bleiben wir stehen zum Fotografieren. Hinter uns tauchen helle Berge auf, nackt und ohne Bäume, von Schneefeldern durchzogen. Mit jeder Kurve ändert sich die Perspektive. Die Straße führt uns über Lajen, wo der Vogelweiderhof steht. Wo Walther von der Vogelweide geboren ist, weiß man nicht. Thormassi sagt, man müsse davon ausgehen, dass es hier sei, weil es jetzt durch die Vogelweider Terrassen eine andere Bedeutung für diesen Ort gebe.
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Generell sei es so, dass sich auch die Bedeutung von Dingen in der Vergangenheit durch eine Begebenheit in der Zukunft verändern könne, deshalb könne sich auch die Vergangenheit verändern. In der Physik sei das möglich, aber auch in den Kulturwissenschaften. Ich verstehe, warum man sich diese Geschichte mit den bleichen Bergen erzählt. Der Mond ist nahe und zwischen den dunklen Hügeln stehen diese nackten Felsen wie Pilze im Moos. In Sankt Ulrich scheint jedes zweite Haus von einem Bildhauer oder Holzschnitzer bewohnt zu sein. Das Hotel Cavallino Bianco fällt auf. Ein Paradies der 80er Jahre. Man kann sogar über eine neu gebaute Fußgängerbrücke mitten in diese Hotellandschaft hineingehen, die aus einem Parkbereich, einem Pool, einer Boulderwand, mehreren Kinderspielflächen und Balkonen besteht. Alles in rosa und weiß. Dann geht die Fußgängerzone bergab, vorbei an Geschäften mit Schnitzereien. Im Grödner Bach stehen Skulpturen. Aus Kalk, vermutet meine Frau. Wir gehen nahe heran und sie stellt fest, dass sie aus Eis sind. Unterhalb des Cavallino Bianco steht eine riesengroße Maus. Und im Restaurant am Hauptplatz hängt ein ausgestopfter gehörnter Hase. Er trägt ein Schild, auf dem „Der Betrogene“ steht. Gleich, denke ich, kommt ein Pferd um die Ecke. Das Huftraben entpuppt sich als das Getrappel eines Passanten in Schischuhen. In Sankt Ulrich spricht man ladinisch. Ein Museum ist für Luis Trenker eingerichtet. Wir lesen über die neue Fußgängerbrücke und ein Haus oberhalb des Ortes, die beide im Architekturführer meiner Frau vermerkt sind. Die ständigen Perspektivenwechsel von hellen zu dunklen zu hellen Bergen begleiten uns am Weg nach Kastelruth. Dort am Marinzenweg steht das Haus des Künstlers Hubert Kostner, von Modus Architects geplant. Von der Einfahrtsstraße aus sehen wir mit Dolomitenhintergrund die zwei Gebäudeteile aus Holz, die auf schrägen Stelzen stehen, mit abgeschnittenen Giebeldachformen. Beim Haus angekommen zeigt uns meine Frau, dass es auch einen Gebäudeteil im Hang gibt, wie eine Höhle, in die eine steile Abfahrt führt.
Ich muss an das von Piano geplante Museum denken. Thormassi hat in seinem Buch über die Moderne in Skandinavien einen Aufsatz meiner Frau aufgenommen. Als Schriftsteller habe ich früher nie über Architektur geschrieben, aber durch meine Frau haben sich meine Themen verändert. Sie hat mir die gotischen Kathedralen Englands gezeigt, wir waren in Canterbury, Rochester, Winchester, Salisbury. Winchester hätte die eigentliche Hauptstadt Englands werden sollen. Hätte sie Oliver Cromwell nicht besetzt und damit in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Die Kathedrale dort war auf feuchtem Untergrund gebaut worden und vom Absinken bedroht. Jahrelang tauchte ein Mann hinunter und baute ein neues Fundament. Meine Frau erklärte mir die Scherenbögen in der Kathedrale von Wells. Sie führte mich in den Prager Dom. Und später in die Architektur der Moderne. Wir besuchten das Haus Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe in Brünn, das Haus Schminke von Hans Scharoun in Löbau in Deutschland und die Villa Savoye von Le Corbusier bei Paris. Thormassi weiß nicht, wer die Kastelruther Spatzen sind. Volkstümliche Musik, sagt meine Frau. Aha, sagt Thormassi. Endlich finden wir eine Postkarte, auf der die jungen und die alten Spatzen zu sehen sind. Aha, sagt Thormassi, Folklore. Folklore, sagt meine Frau und lacht. Leider hat die Spatzen-Erlebniswelt geschlossen. Also gibt es keine Folklore für Thormassi. Das Navigationssystem spricht die italienischen Straßennamen leider sehr unverständlich und schlecht aus. Manchmal schweigt es bis kurz vor einer Abzweigung und redet dann sehr schnell. Es lässt mir keine Chance, auf einer steilen Straße bergab eine noch steilere bergan zu nehmen. Ich folge dem System und bin auf 28 Prozent Steigung. Später werde ich lesen, dass die Nigerpassstraße mit 24 Prozent die steilste Passstraße in den Alpen ist. Die Nigerpassstraße werden wir nicht mehr befahren. Die Straße zum Prösels aber müssen wir befahren. Sollte mir ein Fahrzeug begegnen, weiß ich nicht, was geschieht. Der zweite Gang schafft es nicht mehr, ich schalte. Als ich 18 war, begleitete ich meine Eltern auf einen Urlaub nach Osttirol. Einmal
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fuhren wir nach Südtirol in die Sextner Dolomiten, um die Drei Zinnen zu sehen. Auf der hochalpinen Straße schwiegen meine Eltern, unter der Kühlerhaube rauchte es und der Nissan schaffte es mit letzter Kraft auf den Bergparkplatz. Beim Schalten schaue ich direkt in die Sonne. Weil ich dicke Brillen trage, besitze ich keine Sonnenbrillen. Ruhig, sagt meine Frau und greift auf meine am Schalthebel ruhende Hand. Ich muss blind in den ersten Gang schalten. Wenig Gas geht nicht, sonst stehe ich. Langsam, sagt meine Frau und sie meint mich und nicht meine Fahrtgeschwindigkeit. Oben beim Schloss Prösels: umwerfende Aussicht, ich schwitze. Thormassi will im Auto bleiben. Wirklich?, sage ich. Das lassen Sie sich entgehen? Er schaut mürrisch auf. Gehen Sie nicht auch auf Vulkane in Island? Vulkane, wiederholt er und lächelt. Dann steigt er aus und kommt mit. Wir fahren weiter, über Seis am Schlern und Völs am Schlern. Der Schlern ist ein Bergmassiv. Meine Frau entdeckt zwischen den Bäumen die Ruine Hauenfels. Wir bleiben stehen und betrachten die Ruine durch ein Fernglas. Sie war der Sitz von Oswald von Wolkenstein. Nachdem er kreuz und quer durch die damalige Welt gereist war, von Preußen bis Spanien, vom Vorderen Orient bis Italien, und dies alles in seinen Liedern besungen hatte, kehrte er zurück und musste um diese Burg einen Erbstreit ausfechten. Hauenfels soll aus einem einzigen Felsen aus der Nordkette erbaut worden sein. Wir sehen die Ruine wie ein kleines Ungetüm im Wald stehen. Thormassi sieht den Bildnissen von Wolkensteins ein wenig ähnlich. Als er kurz weggeht, stellen meine Frau und ich einige Details fest: sein schwarzes längeres Haar, die leicht untersetzte Statur, die vollen Lippen. Manchmal kneift er ein Auge zu, wenn er sich konzentriert, und sieht aus wie der einäugige Minnesänger. Wir liefern ihn in Bozen ab, von wo er nach Mailand weiterfährt. Ein Freund hatte uns im Vorfeld den Unterschied zwischen einem U-Tal und einem V-Tal erklärt. In einem V-Tal ist alles in den Hang gebaut, weil es keine richtige Talsohle gibt. Da läuft vielleicht ein Fluss oder es
ist eine Schlucht und kein Platz unten. In einem U-Tal hat man geraden Boden unter den Füßen. Das Tierser Tal ist ein V-Tal. Eine Schlucht, ein Straßendorf und vor uns: der Rosengarten. Die roten Berge Es ist kurz nach sechs, als wir den Parkplatz oberhalb des Ortes Sankt Zyprian erreichen. Wir stellen den Wagen ab und steigen aus. Um uns herum ist die Sonne schon untergegangen. Hinter uns legt sich die Dunkelheit auf den Ort und eine Zahnreihe bewaldeter dunkler Berge. Vor uns der Rosengarten ist noch hell, leuchtet golden. Dort oben hat sich die Geschichte vom Zwergenkönig Laurin abgespielt, der eine Prinzessin entführte, sich nach einem wilden Streit mit den Rächern geschlagen gab, als Gefangener seine Festung im Berg verlassen musste und seinen Rosengarten verfluchte und verzauberte, sodass die Rosen für immer unsichtbar sein sollten. In der Dämmerung aber soll der Zauber nicht wirken und überall der Schimmer der roten Rosen zu sehen sein. Meine Frau erinnert mich an die Reise nach England, als wir in Cheddar waren und die einzige Schlucht Englands besucht haben, wo J. R. R. Tolkien auf der Hochzeitsreise war und die Idee für Helms Klamm für „Herr der Ringe“ hatte. Die letzte Sonne färbt die Felsen tatsächlich rot, bis nur mehr die Spitzen zu sehen sind. Dann sind sie wieder bleich. Essen kann man nur im Hotel Enzian, auf dem anderen Flügel des „V“, dort gibt es Pizza, die mit Thymian gewürzt ist. Wir sind früh dran. Zum Glück. Es gibt nur einen kleinen Parkplatz für fünf Wagen. Beim Zurückfahren kommen uns die Kirchgänger der Samstagvorabendmesse entgegen. Ich muss alle paar Meter halten und jemanden vorbeilassen. Wir sind vielleicht die einzigen Gäste in unserem Hotel. Vor der Tür sitzt eine Katze, die sehr viel redet, aber nicht mit hineingeht. Es wird tiefe Nacht, wie in Klausen, die Ruhe ist dieselbe.
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„Einfachheit ist das Schwierigste.“
Frida Parmeggiani zählte zu Europas bedeutendsten Kostümbildnerinnen und wurde vor allem durch ihre 20-jährige intensive Zusammenarbeit mit Regisseur Robert Wilson bekannt. Heute lebt sie zurückgezogen in Meran und beschäftigt sich mit einer Ausstellung, die für Meran und Salzburg geplant ist und für die sie nach Jahren wieder Kostüme entwirft. Ein Monolog, aufgezeichnet von Ina Tartler.
Theater ist für mich passé. Nach vierzig Jahren wollte ich mein Leben anders gestalten: Die Natur erleben. Ich hatte das Bedürfnis, stundenlang zu gehen, am liebsten alleine. Mein Wunsch, einen eigenen Garten zu verwirklichen, bedeutete mir sehr viel. Die Beschäftigung mit diesem empfinde ich als eine Meditation, dort vergesse ich die Zeit. Rückblickend kann ich sagen: Es war ein sehr bewegtes, arbeitsreiches, aufregendes Leben mit spannenden Menschen, welche ich nicht missen möchte. Durch meine Arbeit als Kostümbildnerin habe ich mich in vielen Großstädten weltweit bewegt. 1987 hatte ich das Glück, über Ivan Nagel, den damaligen Intendanten des Stuttgarter Schauspielhauses, Robert Wilson kennenzulernen. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine 20-jährige wunderbare Zusammenarbeit. Künstlerisch entstand ein völliger Bruch zu den Arbeiten, die ich bis dahin als Kostümbildnerin verwirklicht hatte. Durch Bobs abstrakte Bilderwelten fand ich zu einer radikal neuen Ästhetik. Es gibt dazu eine Anekdote: Damals arbeitete ich an der Münchner Staatsoper an Wagners „Ring“, als plötzlich im Atelier das Telefon klingelte. Ivan Nagel war dran, wir kannten uns schon vom Schauspielhaus Hamburg, wo ich angefangen hatte, als Kostümbildnerin zu arbeiten. Er fragte mich, ob ich Zeit hätte, Kostüme für
Heiner Müllers „Quartett“ zu machen, und nannte mir den Zeitraum, woraufhin ich verneinen musste, da ich vertraglich bereits für „Don Carlos“ an der Amsterdamer Oper gebunden war. Es sei nur ein kleines Stück, insistierte Ivan Nagel, das könne ich ja nebenbei machen. Ich erwiderte, dass ich nie an zwei Projekten gleichzeitig arbeite und vier Figuren schwieriger auf die Bühne zu bringen seien als ein ganzer Chor. Je weniger Darsteller auf der Bühne, desto genauer muss man die Kostüme gestalten. Außerdem hätte ich bei Vertragsbruch Konventionalstrafe zahlen müssen. Nach langem Hin und Her fragte ich kurz vor der Verabschiedung, mit welchem Regisseur das Projekt denn gewesen wäre. Antwort: „Mit Robert Wilson.“ Daraufhin ich: „Natürlich mache ich’s! Ja!“ Die erste Begegnung mit Bob fand in der Stuttgarter Theaterkantine statt. Er kam mit seinem Team, Assistenten, Dramaturgen. Ivan Nagel brachte uns in einen Arbeitsraum. Dort saßen wir alle um einen großen Tisch herum. Es herrschte eine für mich ungewohnte Atmosphäre, eiserne Stille. Dann machte Bob kurze Angaben zu den Kostümen von „Quartett“: „No colors, no time and very simple.“ Das war’s. Ich sagte ihm, dass ich keine Figurinen entwerfe. Gerade das fand er gut. Wir würden uns in einer Woche wieder
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sehen, bis dahin solle ich Bildmaterial sammeln. Auf meiner Rückreise im Zug hatte ich große Bedenken: Was mit diesen drei Begriffen wohl gemeint war? Beim nächsten Treffen zeigte ich ihm meine gesammelten Unterlagen. Aus dem Material machte er stillschweigend drei Stapel. Einer war dick, der mittlere war zehn Blätter stark und der kleinste hatte nur zwei Blätter. Dabei sagte er kein Wort. Dann lenkte er seinen Blick zu meiner Freude auf den großen Stapel und sagte: „That’s it, okay.“ Das war eine große Bestätigung für mich am Anfang unserer Zusammenarbeit. Über Wilsons Mitarbeiter hatte ich erfahren, wie glücklich er über meine Arbeit war, und erst nach der Premiere erwähnte er, dass er das nächste Stück wieder mit mir machen wollte. Ich war überglücklich. Darauf folgten zwanzig Jahre Zusammenarbeit mit Bob. Mich haben sein außerordentliches Charisma und sein Humor fasziniert. Er ist sicher einer meiner wichtigsten Menschen. Unsere Arbeit basierte auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Das ermöglichte mir, künstlerisch sehr frei zu arbeiten. Figurinen im klassischen Sinne habe ich nie gezeichnet. Am liebsten entwickelte ich die Kostüme am Darsteller, das heißt, ich gestaltete am lebendigen Körper erste Entwürfe. Diese wurden fotografiert, somit hatten die Werkstätten eine genaue Vorlage für die Kostüme. Bedingt durch Robert Wilsons choreographischen Stil musste ich mich zudem darauf konzentrieren, wie die Darsteller sich bewegten. Dem gerecht zu werden, war eine große Herausforderung. Zuerst stellte sich immer die Frage nach Form und Farbe und daraus abgeleitet jene nach der Konsistenz der Stoffe, also ob ein Stoff zart, transparent, hart, steif usw. ist. Damit sich der
Darsteller durch das Kostüm für seine Rolle unterstützt fühlt, bedarf es von Seiten des Kostümbildners eines großen psychologischen Einfühlungsvermögens. Licht bedeutete schließlich das allerwichtigste für Bob. Licht schafft Räume. Fasziniert beobachtete ich Bobs Lichtgestaltungen, nicht zuletzt, weil die Kostüme zu meiner ganzen Zufriedenheit ausgeleuchtet wurden. Im Laufe der Zusammenarbeit bestand er darauf, dass ich bei den Beleuchtungsproben mitgestaltete. Erstaunlicherweise ergab sich ohne vorherige ausführliche Besprechungen häufig, dass wir unabhängig voneinander dieselben visuellen Ideen zu einem Stück hatten, obwohl wir ganz weit voneinander entfernt lebten: Für das Musical „Black Rider“ (mit Tom Waits) sah ich zum Beispiel schrille Farben und expressionistische Figuren. Unabhängig davon hatte Bob dieselbe Idee für seine Bühne. Für die Oper „Madame Butterfly“ inspirierten mich die verhaltenen Farben der frühen japanischen Malerei. Ebenso dachte Bob die Farben für sein Bühnenbild, als Material wählte er Steine und Gehölz. Das oberste Gesetz in der Gestaltung meiner Kostüme lautet Reduktion, das heißt: Abstraktion und klare Linien. Die sogenannte Einfachheit ist aber das Schwierigste überhaupt. Dies bedarf einer großen Herausforderung für die Realisierung der Kostüme in den Werkstätten. Da ich von mir selbst das Äußerste abverlangte, betraf dies naturgemäß auch meine Mitarbeiter. Das Handwerk habe ich in meiner Heimatstadt Meran gelernt. In den frühen 60er Jahren praktizierte ich hier in einer Haute Couture-Werkstatt und absolvierte eine Schneiderlehre. Dieses Fundament erstklassigen Handwerks nutzte mir in meinem ganzen späteren Berufsleben. Bereits als Jugendliche begeisterte ich mich für
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Stoffe und gestaltete zum Leidwesen meiner Mutter die verrücktesten Kleider für mich, ich wollte mich selbst stilisieren, anders sein, rauskommen aus der bürgerlichen Enge. Eine Aufführung von Peter Stein am Schauspielhaus Zürich war für mich sodann die Offenbarung. Ich wagte es, allein nach Berlin zu reisen, um an der Schaubühne vorzusprechen. Dieses Theater war in den 70er Jahren unter der Leitung von Peter Stein der deutschsprachige Musentempel schlechthin. Hier hospitierte ich bei Steins Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann. Danach wechselte ich für einige Monate an die Deutsche Oper Berlin, weil mich das Musiktheater interessierte, anschließend kam ich als Assistentin für Bühnenbild und Kostüm ans Schillertheater – ein Haus mit drei Spielstätten: Schillertheater, Schlossparktheater und Werkstatt, wo meine erste Zusammenarbeit mit dem großen Schriftsteller Samuel Beckett zustande kam, er inszenierte hier zwei Einakter. Beckett war ein wortkarger, stiller, bescheidener Mensch. Für ihn habe ich mein erstes Kostüm am Theater entworfen, eine wie von Spinnweben eingehüllte Figur. Der damalige Intendant des Schillertheaters, Hans Lietzau, erkannte mein Talent. Er schätzte meine visuellen Vorschläge auf den Proben. Später erfolgten etliche Zusammenarbeiten mit ihm als freiberufliche Kostümbildnerin. Doch zunächst kam ich für zwei Jahre ans Hamburger Schauspielhaus. Mein erster Regisseur dort war Rainer Werner Fassbinder. Er inszenierte „Frauen in New York“, ein Boulevardstück mit ausschließlich fünfzig Frauen auf der Bühne. Die Herausforderung war groß. Meine Entwürfe für dieses Stück wurden im Foyer ausgestellt,
ich allerdings erkannte, dass diese Arbeitsweise künftig nicht die meinige sein würde. Nach meiner ersten Erfahrung entwickelte ich andere Vorgänge für meine Kostümgestaltung, indem ich zum Beispiel aus dem Theaterfundus vorhandene Kostüme total zertrennte und auf Schneiderpuppen neu zusammensetzte. Dazu gehörte ein Vorgang wie Entfärben und Färben, bis der richtige Farbton gefunden wurde. Es entstanden ähnliche Farbtöne wie auf verblichenen Fresken – ein sehr aufwendiges Verfahren. Entscheidend war für mich, einen eigenen Stil zu finden. Absolute Freiheit war für mich Bedingung, um mich künstlerisch entfalten zu können. Keinerlei Einengung vonseiten des Regisseurs, sonst war für mich eine weitere Zusammenarbeit unmöglich. Man musste mich einfach gewähren lassen. Die Arbeit an einer Inszenierung zu unterbrechen bedarf großen Mutes, zumal es auch um wichtige Produktionen und Regisseure ging. Erstaunlicherweise schadete diese Vorgangsweise meiner Karriere nicht. Ganz im Gegenteil. Zurzeit beschäftige ich mich mit einer Kostümausstellung für Meran und Salzburg. Mich reizt an diesem Projekt, dass ich völlig frei aus meiner Phantasie schöpfen kann. Es handelt sich um Abstraktionen, Architektur und Natur mit einbezogen. Keine farbenprächtigen Kostüme sind zu erwarten, lediglich ein Spiel mit Kontrasten hell / dunkel, Licht / Schatten. Meine filmische Vision für die Ausstellung dieser Kostüme wäre eine graue Nebellandschaft mit endlosem Horizont auf einem frisch gepflügten Acker. Frisch aufgeworfene Erde bedeutet für mich eine solche Schönheit! Im Hintergrund lediglich endloser Horizont, Erde und – Nichts.
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Satzspiegel *
von Bert Wrede *
— Nutzfläche auf der Seite eines Buches, einer Zeitschrift oder anderen Druckwerken; ein bedruckten Flächen zugrundeliegendes schematisches Ordnungssystem, das den Grundriss von Schrift, Bild und Fläche definiert. — Aufforderung, Sätze zu formulieren, die für die eigene Arbeit stehen und deren Grundgerüst bilden; das eigene Schaffen zu spiegeln und dabei die tagtäglich gebrauchten professionellen Ausdrucksmittel möglichst außer Acht zu lassen.
Während ich früher wahnsinnig viele Töne in eine Minute meiner Musik pressen konnte, bin ich inzwischen ruhiger und entspannter. Musik auf den Punkt zu bringen, also mit wenigen Tönen auszukommen, ist ebenso spannend wie anspruchsvoll. Denn nicht die Vielzahl der Töne macht es. Oft ist es genau das Gegenteil. Mozart war nicht sparsam mit Tönen und seine Musik ist wunderbar. Mozart funktioniert auch als Klingelton, total reduziert, als sound branding, zwar scheußlich, aber erkennbar. Und auch Venetian Snares, der Breakcore Spezialist aus Kanada, geizt nicht mit Kleinteiligkeit und ist gerade dadurch groß. Ich liebe diese mit vielen Tönen angefüllte Musik. In meiner Arbeit interessiert mich aber die Reduktion viel mehr als der Überfluss. Für mich muss Musik für Theater und Film eher eine Art unvollständiger Musik sein. Musik als Transportmittel, als Container für Gefühle und Stimmung. Besonders interessieren mich dabei eher ungewohnte und überraschende Ansätze. Wenn Musik oder Klang zunächst nicht zum inhaltlichen Kontext zu passen scheinen, plötzlich aber dem Ganzen einen Rahmen, eine neue Perspektive geben. Das erweckt mein Interesse doppelt. Gern arbeite ich mich langsam – wie ein Bildhauer oder Maler – an den Kern der Dinge heran. The least common multiple. Durch das Weglassen des nicht unbedingt Nötigen eine Redundanzfreiheit zu erreichen ist das Ziel. Genau deshalb ist es mitunter ein sehr schmerzhafter Prozess, zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Zunächst nächtelange Qual. Am nächsten Tag vielleicht eine Erkenntnis. Manchmal gewinnt man diese Erkenntnis aber auch erst Wochen, vielleicht sogar Monate später. Doch plötzlich weiß man, was zu viel ist, was weg muss. Und dann ist es da: Das Gefühl, etwas Einzigartiges gemacht zu haben. Musik, von der man selbst nach dem dritten und vierten Hören weiß: „das“ ist es, das ist unique, das ist „das“, wonach ich gesucht habe. Zufälle spielen dabei natürlich auch eine Rolle. Gerne probiere ich Extreme, um später zu interpolieren und
wegzulassen. Ich stelle Fülle und Reduktion einander gegenüber und entscheide mich dann für die Reduktion, wobei die Reduktion ohne die Fülle zuvor meist gar nicht möglich gewesen wäre. Wenn ein musikalischer Gedanke stimmt und gut ist, dann weiß man das. Gefühle in Musik zu fassen ist schwer und leicht zugleich. Bei meiner Arbeit für Film und Theater geht es für mich darum, ein Gefühl weiterzutragen, nichts auszumalen, sondern einen Fantasieraum zu schaffen. Eben Geschichten mit Musik zu erzählen. Letztendlich spielt dabei die Weiterentwicklung der Instrumente eine große Rolle. Seit den 1990er Jahren hat sich durch die massenhafte Verbreitung von Computern und die damit verbundene Entwicklung von Musiksoftware sehr viel getan. Täglich gibt es neue Softwareinstrumente bzw. Klangbearbeitungssoftware. Notenpapier und Stift sind inzwischen dem Notenschreiben und der Arbeit am Rechner gewichen. Ich kenne beides und vermisse es natürlich, Noten mit der Hand zu schreiben. Aber die Möglichkeit, Musik zu machen, die dann wirklich so ist, wie man sie hören will, ist der Gewinn. Während ich früher im Studio saß und dem Toningenieur neben mir stundenlang zu erklären versuchte, was ich meine, kann ich diese Dinge nun selbst tun. Man muss trotzdem – oder genau deshalb – wissen, wonach man sucht und was das Ziel ist, sonst verliert man sich gnadenlos in der Überfülle der Möglichkeiten. Die Einflüsse kommen von überall. Sie sind omnipräsent. Alle Kunstformen, alles was man rezipiert, findet schließlich einen Weg in die Arbeit. Filme, Literatur, Ausstellungen, Theater, Nachrichten, die Beschäftigung mit Kunst, Begegnungen, Gespräche, Kultur und Gesellschaft sind dabei die Quellen. Überall finden sich Dinge, die eine bestimmte Richtung des Denkens anstoßen. Musik zu machen ist wie eine Reise, auf die man sich begibt. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Die Entscheidungen, die man auf diesem Weg trifft, führen zu den Ergebnissen, die man letztendlich zeigt. Zurück bleiben „Schubladen“, angefüllt mit übrig gebliebenen, aussortierten Tönen.
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Besetzung
Michael Beismann, Innsbruck Innsbruck: studierte trotz exponierter Berufungen, z. B. zum olympischen Trainer der Superadler, schlussendlich doch die Geographie fertig und blieb ihr bis heute auch beruflich treu. Hang zu den schönen Künsten, erst recht, wenn sie im Untergrund Regionalität zelebrieren. Momentan versucht er sich von Innsbruck aus im Wissenschaftstransfer zwischen Grundlagenforschung und Gesellschaft, am liebsten via Kunst und Kultur. Dresden: Schriftsteller. Romane, Gedichte, Marcel Beyer, Köln Essays, Libretti. Zuletzt erschienen: „Putins Briefkasten“. Acht Recherchen (Suhrkamp 2012), „Graphit“. Gedichte (Suhrkamp 2014), „XX. Lichtenberg-Poetikvorlesungen“ (Wallstein 2015). Philipp Blom, Hamburg / Detmold Wien: Schriftsteller, Übersetzer, Historiker, Journalist und Moderator, u. a. für Ö1. Mehrere Preise, zuletzt Gleim-Literaturpreis 2011 für „Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung“. Momentan arbeitet Philipp Blom an seinem Buch „At Breaking Point“ – eine historische Übersicht über Kultur und Leben zwischen den Kriegsjahren in Europa und den Vereinigten Staaten. www.philipp-blom.eu Anna-Maria Bogner, Tirol Wien: Bildende Künstlerin. Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zahlreiche Preise und Stipendien. Aktuelle Austellung: DAZWISCHEN, RLB Kunstbrücke Innsbruck. www.ambogner.com Georg Cadeggianini, München München / Hamburg: Buchautor und freier Journalist für ZEIT, SZ-Magazin, Deutschlandfunk, WDR u. a. Hiroshima: unterrichtet dort an der Leopold Federmair, Wels gleichnamigen Universität. Schreibt Romane, Erzählungen, Essays, Literaturkritik und Übersetzungen. Buchveröffentlichungen zuletzt: „Wandlungen des Prinzen Genji“ (Roman, 2014) und „Ins Licht“ (Erzählungen, 2015). Wien / Pichlwang / Buenos Aires / Orth Franzobel, Vöcklabruck an der Donau: Schriftsteller. Mehrere Auszeichnungen, darunter 1995 Ingeborg-Bachmann-Preis und 2002 Arthur-Schnitzler-Preis. Bei Zsolnay erschienen zuletzt „Österreich ist schön“. Ein Märchen (2009), „Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind“. Roman (2012) und sein erster Kriminalroman „Wiener Wunder“ (2014).
u. a. am Landestheater Linz, Staatstheater Darmstadt, Staatstheater Kassel, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Wien und den Vereinigten Bühnen Bozen aufgeführt. Hörspiele für den ORF, WDR, NDR und das Deutschlandradio Berlin. 2014 erschien sein erster Jugendroman „Kein einziges Wort“. www.andreasjungwirth.at Martin Kofler, Lienz Lienz: Studium der Geschichte an der Universität Innsbruck (Mag. phil. und Dr. phil.) und an der University of New Orleans / USA (Master of Arts); bis 2010 Programmleiter des Innsbrucker Studienverlags, auch mehrjähriger Projektmitarbeiter am Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck; seit 2011 Leiter des Tiroler Archivs für photographische Dokumentation und Kunst (TAP); Publikationen zu Österreich im Kalten Krieg, zur Egger-Lienz-Provenienzforschung und zur Geschichte Tirols im 19. und 20. Jahrhundert. Hubert Kostner, Brixen Kastelruth: Studium an der Akademie der Bildenden Künste München, längere Aufenthalte in Madrid und Peking. Einzelausstellungen (Auswahl): Museion Bozen (2015), Kapsula Ljubljana / Slowenien (2011), MAM Contemporary Art Wien und Salzburg (2010). Gruppenausstellungen (Auswahl): Luciano Fasciati Galerie Chur (2014), Galleria Forni, Bologna (2013), III Biennale Gherdeina, Val Gardena / Gröden (2012), Biennale di Venezia, Padiglione Italia, Trentino Alto Adige-Südtirol (2011), RLB Kunstbrücke Innsbruck (2011), Residenzgalerie Salzburg (2011), Künstlerhaus Wien (2011), Museum Liaunig (2011), Kunsthaus Meran (2010 / 11), Holbeinhaus Augsburg (2010), Stadtgalerie Kiel (2010). IV Premio Agenore Fabbri Preisträger. www.hubertkostner.info Wien: Freischaffender Künstler. ZahlConstantin Luser, Graz reiche Ausstellungen im In- und Ausland (Auswahl): Kunsthalle Krems,Vitraria / Palazzo Nani Mocenigo / Venedig, Kunsthalle Wien, Albertina Wien, Galerie Klüser , München , Musée d’art moderne Paris, 1. Moskau Biennale, Secession Wien, Kunsthaus Graz, Atelier Augarten Wien, Palais de Tokyo Paris, Belvedere Wien, Musiktheater Linz, OK Linz. Vertreten durch Rotwand Gallery, Zürich und Galerie Jette Rudolph, Berlin, Galerie Klüser. www.constantinluser.net Ivo Schneider, Wien Wien: schreibt Romane, Drehbücher, einen Blog auf seiner Website und Liebesbriefe an seine Frau. Wenn Zeit bleibt, geht er mit dem Hund spazieren. www.ivo-schneider.at
Axel Hütte, Essen Düsseldorf / Berlin: Fotograf. Gilt als Vertreter der Düsseldorfer Fotoschule. Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Stipendien führten ihn u. a. nach London und Venedig, 1993 erhielt er den Hermann-Claasen-Preis für Kreative Fotografie. Jüngste Einzelausstellungen (Auswahl): Galería Helga de Alvear, Madrid / Spanien (2015), Fondazione Fotografia, Modena / Italien und Fondazione Bevilacqua La Masa, Venezia / Italien (2014), Kiosko Alfonso, A Coruna / Spanien (2013), Galerie Ruzicska, Salzburg (2012), Galerie Wilma Tolksdorf, Frankfurt a. M. (2011).
Stephan Schulmeister, Wien Wien: Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Universitätslektor und selbständiger Wirtschaftsforscher, 1972 bis 2012 Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Forschungsschwerpunkte: Spekulation auf den Finanzmärkten und ihre realwirtschaftlichen Konsequenzen, Einfluss des Zinsniveaus auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Staatsverschuldung, Analyse der „langen Zyklen“ in der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Zahlreiche Publikationen, zuletzt: „Mitten in der großen Krise – ein ‚New Deal‘ für Europa“ (Picus 2010).
Andreas Jungwirth, Linz Wien: Schriftsteller, Dramatiker, Hörspielautor. Schauspielstudium am Konservatorium der Stadt Wien, 1990 erstes Engagement in Deutschland. Anschließend mit dem Komponisten Wolfgang Heisig in einem Duo für Dada und Neue Musik Auftritte im gesamten deutschsprachigen Raum, erste eigene Texte entstanden. Seine Stücke und Roman-Adaptionen wurden
Bozen: geboren 1966 in Transsilvanien, Ina Tartler, Rumänien 1988 Ausreise nach Deutschland. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Psychologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München. 2002 bis 2008 leitende Dramaturgin am Schauspielhaus Salzburg. Seit August 2008 Leitung der Dramaturgie an den Vereinigten Bühnen Bozen.
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Erwin Uhrmann, Niederösterreich Wien: Studium der Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien. Mitbegründer des KünstlerInnenvereins „Kunstwerft“, zahlreiche Kunstprojekte gemeinsam mit Moussa Kone, darunter „Kunstklappe zur Rückgabe gestohlener Kunstwerke“ und „Sammlung Gestohlener Kunst“ (in Wien und Köln), Opernlibretto „Missing: Discourse“. Mehrere Stipendien. Leitung des Programms für zeitgenössische Literatur im Essl Museum. Veröffentlichungen u. a.: „Glauber Rocha“. Erzählung (Limbus Verlag 2011), „Nocturnes“. Lyrik mit Zeichnungen von Moussa Kone (Literaturedition Niederösterreich 2012), „Ich bin die Zukunft“. Roman (Limbus Verlag 2014).
Bert Wrede, Potsdam Berlin: studierte Musik an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Als freier Musiker veröffentlichte er zahlreiche CDs, gastierte auf vielen internationalen Festivals und arbeitete mit Musikern wie Phil Minton, Elliott Sharp und Friedrich Schenker. 1997 erhielt er ein Kompositionsstipendium der Akademie der Künste Berlin, 1998 ein Kompositionsstipendium in New York. Als Bühnenmusiker arbeitet er regelmäßig mit Michael Thalheimer, Martin Kušej, Andrea Breth, Dimiter Gotscheff und Wilfried Minks. 2002 erhielt er den Nestroy-Preis für Albert Ostermaiers „Letzter Aufruf“ unter der Regie von Andrea Breth und 2006 den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Beste Filmmusik für „Knallhart“.
Quart Heft für Kultur Tirol
Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 21,– ( SFr 29,40) · Einzelheft: € 14,– (SFr 20,–) · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Michael Beismann, Marcel Beyer, Philipp Blom, Anna-Maria Bogner, Georg Cadeggianini, Leopold Federmair, Franzobel, Axel Hütte, Andreas Jungwirth, Martin Kofler, Hubert Kostner, Constantin Luser, Ivo Schneider, Stephan Schulmeister, Ina Tartler, Erwin Uhrmann, Bert Wrede Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten: Constantin Luser Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Neutral BP Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 112 /113 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt u. Artaria KG, Kartografische Anstalt. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-7201-4 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2015 · Alle Rechte vorbehalten.