Quart Nr. 26

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Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 26 /15 € 14,–


www.guenterrichardwett.com

Hotel Pacherhof, alter Weinkeller. Neustift-Vahrn. bergmeisterwolf architekten



So sehe ich überhaupt nicht aus. Die, die ich gefragt habe, wie ich denn aussähe, sagen: Weicher. Das Strenge liegt vielleicht an dem Kleid mit Spitzenkragen, das ich weder besitze noch tragen wollen würde. Aber ich wollte nicht nur nett aussehen, sondern auch ein wenig gefährlich. Immerhin arbeite ich mit Messern. Die Leute sagen auch: Ich sei in Wahrheit kleiner, nicht so groß. Das Kleine, Zusammengekauerte kommt vom Zeichnen. Stundenlang sitze ich hier mit krummem Rücken und kann fast die Tischplatte riechen. Dabei atme ich den Staub ein, der entsteht, wenn ich meine Bilder kratze. Mit einem Teppichmesser schabe ich das Schwarz vom Weiß. Genau betrachtet füge ich den linken Seiten dieses Heftes nichts hinzu, ich habe ihnen nur das Dunkle genommen. 4/5

Mein bester und zugleich schlechtester Witz kommt übrigens auf S. 118. Niveaulos werden ihn vermutlich vor allem die Österreicher finden. Hier in Hamburg ist das allerdings ein Knaller-Gag, bestimmt auch in meiner Heimat Ostwestfalen-Lippe. Manche behaupten, wir Ostwestfalen seien schenkelklopfende Bauern, was uns womöglich mit gewissen inneralpinen Regionen verbindet – humortechnisch halte ich uns eher für die Briten Deutschlands. Line Hoven

P.S.: Eigentlich bin ich vielmehr der kleine weiße Dough Boy. Oder wollte zumindest immer sein wie er.


Inhalt

Gregor Schneider „Odenkirchener Str. 202“ Halotech Lichtfabrik Line Hoven Inhaltsverzeichnis Fließtext von Paulus Hochgatterer „Wir haben die Dinge im Griff.“ Anton Zeilinger eröffnet Michael Kerbler neue Welten „Die Quelle des Bösen“ Ulrich Loock über die Arbeit von Gregor Schneider

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Blumentöpfe sind nicht rückgängig zu machen Schriftsteller Rudolf Borchardt in Tirol. Von Iris Kathan 75–83

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Nicole Weniger Originalbeilage Nr. 26

84 / 85

„Zack, und sofort geht’s weiter!“ Raffael Fritz steigt auf zu Reinhold Scherer

87–93

7–9

11–17

19–21

Gregor Schneider „Odenkirchener Str. 202“

22–37

Ein Loch im Dorf Ortsbegehung von Bernhard Flieher

39–45

Durch das enge Tal und weiter Landvermessung No. 4, Sequenz 7 Vom Eggental über den Karerpass ins Fassatal und Fleimstal Von Bernd Schuchter Bienen Traube Schwarmverhalten im Grödnertal. Von Philipp Messner

107–111

Brenner-Gespräch (14): „Bei Operette kriege ich Depressionen.“ Elizabeth Mortimer trifft Christian Gerhaher

113–119

Die Gestaltung des Gedankens Dörte Lyssewski über die Initiative „bilding“ 47–57

Satzspiegel von Brigitte Labs-Ehlert

Brenner-Gespräch (13): Sekretär der Sprache Der Dichter und Verleger Michael Krüger im Gespräch mit Dorothea Zanon

Eigenwerbung

Verwurzelung Florian Raditsch zeichnet sich aus

59–65

Wagner’sche Buchhandlung col legno music Besetzung, Impressum

67–73

94–105

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Der Ttomatensaft 6/7


Fließtext*

Von Paulus

Hochgatterer

Wenn ich ins Flugzeug steige, versuche ich vorbereitet zu sein. Ich kenne meinen Sitzplatz, ich weiß ungefähr, welche Filme ich sehen möchte, ich mache mir eine Vorstellung vom Essen und auch die Getränke überlasse ich nicht dem Zufall. Wenn du die Getränke dem Zufall überlässt, nimmst du am Ende Tomatensaft, unweigerlich. Alle tun das. Ttomatensaft mit Salz und Pfeffer. Außerhalb von Flugzeugen trinkt das keiner. Ich bereite mich also vor und vielleicht spreche ich auch halblaut vor mich hin: „Ein Gin-Tonic, ja, ordentlich Gin und ja, bitte, Eis und eine Zitronenscheibe.“ Die Maschine ist ein Airbus A 380. Eins dieser doppelstöckigen Monstren, die gegen jeden physikalischen Augenschein wirklich fliegen können. Das Ding hat zwei Eingänge, einen für die First Class, die Business Class, die Premium Economy und wie die sonst noch heißen, für die Reichen jedenfalls, und einen für die Armen, Oberdeck und Unterdeck. Zeitungen gibt es auch unten, die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine, USA Today. Sitz 83 A, am Fenster, im Bild ein Ausschnitt der Tragfläche, groß wie ein Fußballfeld. Der Mann, der sich rechts neben mir E-Mail: Winter Pre-Sale bis zu –50 % auf Winterware! Bei Sports Direct gibt’s den besten Winterservice – zum

in den Sitz zwängt, trägt eine beige Hose und ein weißes Hemd mit feinen gelben Streifen. Er sieht aus, als freue er sich auf seinen Tomatensaft. Ich schalte den Bildschirm vor mir an, klicke die Sicherheitsinformationen weg und blättere im Filmprogrammm. „The Gunman“ mit Sean Penn und Javier Bardem und „A True Story“ mit James Franco, die Geschichte eines Journalisten, der über einen psychopathischen Mörder im Gefängnis schreibt. Ich weiß jetzt schon, dass sich der Abflug um eine Viertelstunde verzögern wird. Der Mann E-Mail: Ihr PayPal-Konto wurde vor_berbesten Preis!

gehend eingeschr_nkt. Bitte aktualisieren Sie Ihre Konto Informationen um zuk_nftige Probleme zu vermeiden. Fuckfuckfuck! steckt ein Taschenbuch

vor sich ins Fach unterhalb des Klapptischchens, einen Kommunikationsratgeber mit gelbem Umschlag. „Ein Gin-Tonic, ja, mit Eis und einer Zitrnenscheibe. Eher mehr SMS: Ihre A1 VISA KARTEN Umsätze: 29.10. ZAHLUNG A1 VISA RECHNUNG

Gin.“ Tut mir leid, aber ich spreche manchmal laut vor mich hin. Wir werden zwanzig Minuten später starten und der Pilot wird mit total viel Optimismus in der Stimme behaupten, dass wir das leicht wieder aufholen werden. Die Flugbegleiterin, die die Gepäcksfächer schließt, hat etwas in ihrem Blick, das man auf dem Un1274,34 EUR

*

— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.


Eigentlich ist Stockholm ja zu klein fĂźr vier Tage 8/9


terdeck erwartet – die Verachtung derjenigen, die weiß, dass sie selbst niemals irgendwoanders hingehören wird. „Wissen Sie, wo ich zuletzt war?“, fragt mich der Mann. „Nein“, sage ich. „In Stockholm, ich war vier Tage in Stockholm.“ Was tut so ein Mensch in Stockholm? „Interessant“, sage ich. Hemden kaufen, ich wette. „Eigentlich ist Stockholm ja zu klein für vier Tage“, sagt er, „genau genommen hat man die wichtigen Dinge in zwei Tagen durch.“ Ich sage nichts. „Wissen Sie, was ich gemacht habe?“, fragt er. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Ihre elektronischen Geräte während des Starts … „Ich war dreimal hintereinander im selben Museum“, sagt er. „Kennen Sie das Vasa-Museum, das Schiff?“ Ein einziges Mal habe ich schon vor dem Abflug etwas zu trinken bekommen; das war in Thessaloniki, und wir sind eineinhalb Stunden in der prallen Sonne gestanden, weil sie den Betankungsschlauch nicht vom Einfüllstutzen loskriegten. Alle konnten es sehen. Alpha Bier, daran kann ich mich erinnern. „Die Vasa war das größte Kriegsschiff ihrer Zeit“, sagt der Mann, „der schwedische König war so stolz auf sie, dass er sie mit einer zweiten Reihe Kanonen bestücken hat lassen.“ Ich tue so, als würde ich mein BlackBerry in den Flugmodus schalten. E-Mail: WooDeal.de – 1) GPRS-Tracker mit 12V-Verdrahtung –74 % 2) Kevlar-Schutzhandschuhe

Ich mag diesen biederen Nervenkitzel. Die Vorstellung, mein BlackBerry wühlt sich in die Elektronik des Flugzeugs wie ein böses Bakterium. „Auf dem Oberdeck“, sagt der Mann, „das war ein Fehler. Zu schwer und zu hoch oben. Zur Probe haben sie dreißig Soldaten von Backbord nach Steuerbord laufen lassen und zurück und das Schiff hat geschwankt wie nur was.“ SMS: guten flug, lgvkr „Man sollte sich immer an die Physik halten“, sagt der SMS: ps: hoffe, du hast nette gesellschaft ;-) r Mann, „und an die Mathematik. Man berechnet den Schwerpunkt und es passiert nichts, weil man nicht fünfzig zusätzliche Kanonen aufs Oberdeck stellt.“ Eigentlich spielt sonst Javier Bardem die psychopathischen Mörder. James Franco?? Sean Penn, der Held, der immer traurig schaut. „Die Fahrt der Vasa hat zwanzig Minuten gedauert, dann blubblubblubb mitten im Hafenbecken. Man sieht das alles. Du gehst buchstäblich durch ein gesunkenes Schiff, auf und ab.“ E-Mail: The –42 % 3) Oberkörper Trainigskorsett –50 %

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mit Eis und Zitro


Dies ist keine Pfeife 10 / 11


„Wir haben die Dinge im Griff.“ Fahrradfahren ist eigentlich Physik und Beamen funktioniert anders als im Science-Fiction-Film. Wer sich solche Dinge erklären lassen will, fragt am besten den österreichischen Quantenphysiker Anton Zeilinger. Im Gespräch mit Michael Kerbler beklagt Zeilinger, der bahnbrechende Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik lieferte, den Verlust von Religion in unserem Kulturkreis, geißelt den abendländischen Kulturpessimismus und hofft auf Kontakt zu außerirdischem Leben – als beste Medizin gegen Arroganz.

Michael Kerbler: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar, hat der Maler Paul Klee gesagt. Wenn ich diesen Satz abwandle, und sage: Die Quantenphysik gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar – ist diese Aussage gültig? Anton Zeilinger: Ja. Es kommt natürlich darauf an, was ich mit sichtbar meine. Paul Klee hat es sicher so verstanden, dass ein neuer Blick eröffnet wird – und dann stimmt diese Analogie. M. K.: Welche Parallelen bestehen Ihrer Meinung nach zwischen der Bildenden Kunst und der Quantenphysik? René Magritte zum Beispiel hat in einer Reihe von Bildern auf die Unterschiede zwischen Abbildung und Realität hingewiesen. Ich denke an das berühmte Bild mit der Pfeife, wo darunter steht: Dies ist keine Pfeife. Selbst die realistischste Abbildung eines Objekts ist nicht mit dem Objekt ident. Gilt dieser Denkansatz auch für die Quantenphysik – die Realität ist nicht die Wirklichkeit? A. Z.: Da sind wir in der Physik, glaube ich, weiter. Die meisten Analysen der Art, wie Sie es gerade formuliert haben, fokussieren darauf, dass es eine Realität gibt. Und das Problem ist, diese Art von Realität abzubilden, in einen Kontext zu bringen. In der Quantenphysik ist die Situation abstrakter. Da spricht man im Letzten nur noch von Wahrscheinlichkeitsfeldern, von Wahrscheinlichkeiten dafür, dass etwas Realität, nämlich Beobachtetes – und das ist jetzt sehr wichtig – sein kann. Das heißt aber nicht, dass es vor der Beobachtung existiert. Die Beobachtung ist konstitutiv für das, was wirklich sein kann. Es ist also nicht nur ein Herausziehen von Information aus dem, was schon existiert. M. K.: Die Realität ist nicht die Wirklichkeit – da möchte ich doch nachfragen: Was ist dann die Wirklichkeit?

A. Z.: Für mich in meiner Arbeit sind zwei Dinge Wirklichkeit: erstens der Apparat, den ich aufbaue. Das sind massive Stücke aus Stahl, Glas, Laser usw. – das ist die Wirklichkeit und steht außer Diskussion. Das Zweite, was wirklich ist, sind die Messergebnisse. Wenn ich dann jedoch von einem Quantensystem spreche, dann steckt da sehr viel theoretische Konstruktion dahinter. Und da wäre ich vorsichtiger mit dem Wirklichkeitsbegriff. M. K.: Da wir über die Parallelen zwischen Kunst und Naturwissenschaft sprechen – traut sich der Naturwissenschaftler zuzugeben, dass Kategorien wie Kreativität oder Intuition für seine Arbeit wichtig sind? A. Z.: Ja, selbstverständlich. Ich verstehe nicht, warum Sie die Formulierung traut sich verwenden. Es ist jedem Wissenschaftler klar, dass Kreativität und Intuition absolut wichtig sind. Das Interessante an der Wissenschaft spielt sich dort ab, wo man eben nicht alle Dinge eindeutig logisch herleiten kann, sondern nur mit der Intuition weiterkommt. M. K.: In der Naturwissenschaft – insbesondere in der Mathematik – ist etwas, was nicht messbar ist, nicht gültig und wird daher nicht akzeptiert. Trotzdem sind die Intuition, oder das sogenannte Bauchgefühl also für einen Forscher auch in diesen Disziplinen extrem wichtig? A. Z.: Ich finde den Ausdruck Bauchgefühl einfach dumm. Das hat mit dem Bauch überhaupt nichts zu tun. Das ist Intuition und Intuition ist in meinen Augen ein Background Processing, das im Gehirn abläuft, zum Teil nach logischen Grundsätzen, aber zum Teil rein assoziativ. Also nicht, aus A folgt B, aus B folgt C usw., sondern C und Q könnten vielleicht was miteinander zu tun haben.


Der quantenmechanische Zustand 12 / 13


M. K.: Die Gemeinsamkeit von Quantenphysik und Kunst ist – jetzt zitiere ich Sie –, „dass man versucht, die Welt zu verstehen. Das neue philosophische Weltbild muss noch ausgearbeitet werden und ich sage immer, uns fehlt ein Immanuel Kant der Quantenphysik“. Es gab Philosophen, die zu Ihnen ans Institut gekommen sind und den Physikern in den Labors über die Schulter geschaut haben. Welches Ergebnis hatte die Begegnung zwischen Quantenphysikern und Philosophen eigentlich? A. Z.: Wir haben ein paar Kollegen überzeugen können – indem sie die Experimente selber gesehen haben –, dass man nicht zu einem gewissen Realismus zurückkehren kann. Sie müssen wissen, es gibt eher realistische Interpretationen der Quantenmechanik, sie versuchen – ich sag’ immer: verzweifelt – den Begriff einer Wirklichkeit zu retten, die unabhängig von unserer Beobachtung existiert. Und wir haben doch ein paar Kollegen überzeugen können, dass das eigentlich kein fruchtbarer Weg ist, sondern vielmehr auf der Kopenhagener Interpretation aufgebaut werden sollte. M. K.: Die Kopenhagener Interpretation von Niels Bohr und Werner Heisenberg in zwei Sätzen zusammengefasst lautet? A. Z.: Die Kopenhagener Interpretation à la Bohr und Heisenberg besagt, dass der quantenmechanische Zustand unser Wissen über die Situation repräsentiert und nicht die Wirklichkeit. Eigentlich repräsentiert es das Wissen über die Situation und die Wahrscheinlichkeit für künftige Messresultate – und nicht mehr. Es macht keine Aussage über das, was wirklich an sich existiert. M. K.: Ich möchte noch bei der Beziehung zwischen Philosophie und Naturwissenschaften bleiben. Arthur Schopenhauer hat einmal gesagt: „Empirische Wissenschaften, rein ihrer selbst wegen und ohne philosophische Tendenz betrieben, gleichen einem Antlitz ohne Augen.“ Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Naturwissenschaft und die Philosophie auseinanderentwickelt haben? War der Druck der Ökonomisierung auf die Naturwissenschaften, auf die Forschung so stark, wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse zu liefern? A. Z.: Das ist sicher so. Es hat bestimmt damit zu tun, dass sich der Schwerpunkt der Wissenschaft vom konti-

nentaleuropäischen Raum in den angloamerikanischen Raum verschoben hat. Der Niedergang der Kontinentalphilosophie ist ja auch eine Tragödie. Das ist schade. Ich bedaure den Sieg der sogenannten analytischen Philosophie, weil das letztlich eine unfruchtbare Richtung der Philosophie ist. Ein Grund dafür ist dieser amerikanische hemdsärmelig-produktive Zugang, let’s do something, Ärmel hochkrempeln und los. Was mir am meisten gefehlt hat, als ich nach Amerika ans MIT (Massachusetts Institute of Technology) kam, war dieses gewisse fundamentale Interesse an grundsätzlichen Fragen, die schon fast philosophischer Natur sind. Und da ist Wien ein spezieller Platz – nach wie vor. M. K.: Also das, wofür Wien vor 100 Jahren in Wissenschaft und Forschung stand. A. Z.: Richtig, ja. Das gibt’s sonst nirgendwo in dem Maß. Und wir sollten das stärker pflegen, denn wirkliche Durchbrüche kommen sehr oft von einer sorgfältigen Analyse der Grundbegriffe, die man verwendet. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Relativitätstheorie. Für die Relativitätstheorie, hat Einstein einmal gesagt, war die Kritik der Konzepte von Raum und Zeit durch Ernst Mach ganz wichtig. Heute wird es oft so dargestellt, als ob die Experimente wichtig waren. Aber die Experimente, die man gemacht hat, waren für Einstein gar nicht so relevant, denn die Natur hatte keine Chance, sich anders zu verhalten. M. K.: Sie haben vor einiger Zeit in einem Gespräch mit mir gemeint, die wichtigste Erkenntnis des 20. Jahrhunderts für Sie sei, dass es quantenmechanische Einzelprozesse gibt … A. Z.: … dass es diese quantenmechanischen Einzelprozesse gibt und dass sie zufällig sind. M. K.: Zufällig? A. Z.: Dass der quantenmechanische Einzelprozess zufällig und nicht einer kausalen Erklärung zugänglich ist. M. K.: Das gilt immer noch? A. Z.: Das gilt immer noch und das wird wahrscheinlich auch – wie Wolfgang Pauli gesagt hat – noch lange so bleiben.


Materie und Geist 14 / 15


M. K.: Aber warum ist das so wichtig? Weil nicht alles vorherbestimmt ist? A. Z.: Erstens ist es ein Ende des naturwissenschaftlichen Programms in einem ganz spezifischen Punkt: nämlich für alles die Ursache zu finden. Wir wissen, es gibt Dinge – nämlich das quantenmechanische Einzelereignis –, für die es eben keine Ursache gibt, und ich würde sagen, das widerspricht nicht nur diesem Programm, sondern auch dem sogenannten gesunden Menschenverstand. Jeder Mensch versucht, für alles, was passiert, eine Ursache zu finden, dabei sollte er einfach akzeptieren, dass Dinge eben passieren. M. K.: Ist die positive Seite dieser Medaille, dass der freie Wille existiert? A. Z.: Es hat nur dann etwas mit freiem Willen zu tun, wenn ich annehme, dass unser heutiges materialistisches Weltbild falsch ist. Denn wenn ich sage, dass der freie Wille Einfluss nimmt auf das Einzelereignis, dann muss ich annehmen, dass der freie Wille in einer Welt lebt, die nicht die materialistische Welt ist. Dann muss ich annehmen, dass es so etwas gibt wie einen Dualismus, eine Welt des Geistes und eine Welt der Materie. M. K.: Nach der Aufklärung, jener Zeit, in der Materie und Geist voneinander geschieden wurden, waren die Wissenschaften für die Materie zuständig und die Kirchen für den Geist. Würde es sich lohnen, diese beiden – Materie und Geist – wieder zusammenzuführen? A. Z.: Nein, derzeit gibt es nichts zum Zusammenführen, weil das vorherrschende Weltbild ein materialistisches ist, zumindest für die meisten. M. K.: Sie haben als Nicht-Tiroler Tiroler im Jahr 2013 eine der höchsten Auszeichnungen des Landes Tirol bekommen, den Großen Tiroler Adler-Orden. Damals haben Sie sich besorgt über die Entspiritualisierung der Gesellschaft geäußert. Ich zitiere: „Tragisch ist die Entspiritualisierung beziehungsweise der Verlust von Religion in unserem Kulturkreis. Da geht etwas Wichtiges verloren, und das ist auch gefährlich. Natürlich haben dazu auch die Kirchen das Ihre beigetragen, aber es geht tiefer, und das ist ein Problem. Letztlich geht es darum, ob es neben der materiellen Existenz noch etwas anderes gibt in der Welt.“ – Gibt es Ihrer Ansicht nach etwas anderes in der Welt?

A. Z.: Ich persönlich bin dieser Meinung. Aber das ist die persönliche Meinung des Anton Zeilinger als Mensch und nicht des Physikers Anton Zeilinger. M. K.: Ludwig Feuerbach hat gesagt, ein Eskimo stellt sich den lieben Gott als Eskimo vor und ein Indianer stellt sich Gott als Rothaut vor und natürlich ein Europäer ein weißgesichtiges Wesen. Der Physiker Zeilinger stellt sich Gott als – A. Z.: Entschuldigung, das ist mir eine zu flache Argumentation. Ich glaube nämlich nicht einmal, dass das so stimmt, dass sich der Eskimo Gott als Eskimo vorstellt. Das ist eine Projektion einer gewissen europäischen Sichtweise nach außen. M. K.: Vom Physiker David Bohm stammt der Satz: „Jeder Erscheinung in der expliziten Ordnung – das heißt in der sinnlich wahrnehmbaren Welt – liegt eine unmanifestierte Essenz im Urgrund der impliziten Ordnung zugrunde.“ Das ist doch eigentlich eine Überzeugung, die man im Taoismus oder im Hinduismus, auch im Buddhismus finden kann? A. Z.: Erstens einmal weiß ich nicht, ob der Bohm hier recht gehabt hat. Und zweitens: es gibt immer wieder Behauptungen, dass das, was man in der Quantenphysik gefunden hat, auch in der Version A, B oder C eines östlichen Mystizismus vorkommt. Das ist in meinen Augen alles an den Haaren herbeigezogen. M. K.: Aber ebenso unwahrscheinlich ist es doch – so es ihn gibt –, dass man Gott beweisen kann. A. Z.: Gott kann man nie beweisen. Gott beweisen wollen und an Gott glauben sind inhärente Widersprüche. In dem Moment, wo jemand Gott beweisen möchte, ist er am falschen Dampfer. Das hat keinen Sinn. M. K.: Walter Thirring, der österreichische Physiker, hat aber von so etwas wie einer geistigen Architektur des Universums gesprochen und gemeint, man könne eine Brücke zwischen der Physik und dem Glauben schlagen. A. Z.: Das kann man schon. Das heißt aber noch nicht, dass man damit irgendwas beweisen kann. Für sich selber kann man sehr wohl eine Brücke schlagen – das ist klar.


Abendländische Untergangsstimmung 16 / 17


M. K.: Die wesentliche Erkenntnis der Quantenphysik für mich ist die Aussage, dass alles mit allem zusammenhängt.

noch – sofern wir uns nicht selber auslöschen – eine große Wegstrecke vor uns, Erkenntnisse über unser Woher und Wohin zu sammeln.

A. Z.: Nein, so ist das nicht. Alles kann mit allem zusammenhängen – kann! Ob es wirklich der Fall ist, das wissen wir nicht. Das ist schon wieder eine fast esoterische Interpretation, die ich als einer, der im Labor arbeitet und forscht, nicht nachvollziehen kann, weil es nicht beweisbar ist. Könnte sein, könnte auch nicht sein. That’s outside science!

A. Z.: Ich muss einmal zuerst sagen, wenn Leute von Auslöschen der Menschheit reden, diesen Kulturpessimismus teile ich überhaupt nicht. Ich verstehe diese abendländische Untergangsstimmung nicht. Es gibt keinen Grund dafür – uns geht es so gut, wie noch nie. Wir haben die Dinge im Griff. Selbst die Umweltprobleme haben wir heute in einer Weise im Griff, wie es vor 20 Jahren noch undenkbar war.

M. K.: Ihre Forschungserfolge in der Teleportation haben Ihnen zum Spitznamen Mister Beam verholfen und für Aufmerksamkeit gesorgt. Beamen ist Ihrer Meinung nach nur für nicht große Teile möglich. Auch der Begriff ist nicht wirklich richtig, weil es wird ja Information und nicht Materie teleportiert. A. Z.: Das ist aber beim Beamen in dem Science-Fiction-Film auch nicht klar. Es ist nicht gesagt, dass da Materie übertragen wird. Es wird die ganze Information aus einer Person herausgezogen, übertragen und derjenige wird neu konstituiert. Ob das aus den ursprünglichen Atomen besteht oder nicht, dazu wird keine Aussage getroffen. Ich rekonstituiere ein Objekt, das alle Eigenschaften des Originals hat, aber das bedingt nicht, dass es die gleichen Atome hat. M. K.: Das würde ja heißen, dass Anton Zeilinger sagt, es gibt doch eine Wahrscheinlichkeit, dass eines Tages auch Menschen gebeamt werden … A. Z.: Das ist eine Diskussion, die ich nicht mag. Das hat nichts mit Physik zu tun. Die Teleportation ist an sich eine extrem elegante Methode, Information zu übertragen, weil in dem Moment, wo ich die Information übertrage, keine Verbindung zwischen Empfänger und Sender bestehen muss. Das ist an sich wirklich super. Und die Quantenteleportation wird von vielen Leuten als die ideale Methode zur Übertragung von Information zwischen künftigen Quantencomputern gesehen, aber dass es eine Reisemöglichkeit werden wird, das glaube ich nicht. M. K.: Wenn wir uns anschauen, seit wann das Universum existiert und seit wann es Wissenschaft und Forschung im heutigen Sinn gibt, dann entspricht das im Vergleich einem Fingerschnippen.Wir haben also

M. K.: Wir könnten aber wohl längere Zeit über die Klimaerwärmung, das Bevölkerungswachstum oder die Ressourcenausbeutung und vieles andere debattieren. A. Z.: Ja, aber auch das werden wir alles in den Griff kriegen. Das sind zwar Riesenherausforderungen, aber die werden nicht zu einer Auslöschung der Menschheit führen. M. K.: Was interessiert Anton Zeilinger bei seiner Arbeit mehr: woher wir gekommen sind oder wohin wir uns entwickeln können? A. Z.: Muss ich das reihen? Ich bin überzeugt, es gibt Zivilisationen im Universum, die Jahrmillionen älter sind als wir. Ich bin gespannt, was passiert, wenn wir aufeinandertreffen, mit denen kommunizieren können. Das wird eine revolutionäre Änderung unserer Weltsicht bedeuten, die alles in den Schatten stellt, was wir bisher gesehen haben. Wenn es eine zweite Spezies Mensch gäbe, die neben uns lebt, dann wären wir viel weniger arrogant. Schauen Sie sich die Entdeckung der Planeten näher an. Die ersten waren riesige Gasplaneten in der Nähe von Sternen. Und dann hat es geheißen, vielleicht gibt es keine erdähnlichen Planeten. Aber immer dann, wenn die astronomischen Methoden so weit waren, dass man die nächste Stufe entdecken konnte, hat man sie entdeckt. Daraus schließe ich, irgendwann wird man Planeten entdecken, auf denen Leben möglich ist. Irgendwann wird man das Leben auf Planeten entdecken und irgendwann wird man Signaturen von intelligentem Leben auf Planeten entdecken. Und irgendwann wird der Tag kommen, da werden wir auch mit diesen Zivilisationen kommunizieren. Das wird gewaltig!


Hörvorschlag

Tortoise »TNT« 18 / 19


Die Quelle des Bösen Ulrich Loock über die Arbeit von Gregor Schneider, von dem diesmal das Cover und eine Bildstrecke auf den folgenden Seiten stammt.

Die Folge von Gregor Schneiders Bildern zu dem Haus an der Odenkirchener Straße 202 in Rheydt, dem Geburtshaus von Joseph Goebbels, das er entdeckt, gekauft und im Jahr 2014 zum Gegenstand einer künstlerischen Arbeit mit dem Titel unsubscribe gemacht hat, zeigt einen klaren Ablauf. Es führt eine Treppe in den ersten Stock zu einem Wohnzimmer, einem Badezimmer und einer Küche, die bis vor Kurzem von einem alleinstehenden Mann bewohnt wurden. Am Küchentisch sitzt ein junger Mann, nicht der letzte Mieter, sondern Gregor Schneider selber, und leert einen Teller Suppe. Anschließend sind die nackten Mauern des entkernten Hauses mit dem dunklen Zugang zum Treppenschacht zu sehen und schließlich ein Loch, vom Keller in den Erdboden gegraben. Die räumliche und zeitliche Bewegung verläuft in die Vergangenheit und in die Zukunft; in Form von Handlungen an und mit dem Haus exponiert Schneider eine mythische Erzählung, deren Protagonist er selber als Künstler ist. Die Erzählung hat folgende Stationen: Begegnung mit einem verdrängten Phantom – Identifikation – Exorzismus – Tod / Wiedergeburt. Während Schneiders früheres Werk durch den Einbau von Räumen in Räume und deren Verdoppelung an unterschiedlichen Orten geprägt ist, gehört unsubscribe zu einer Reihe von neueren Arbeiten, die sich auf vollständige Gebäude beziehen. Er hat ein (für Nicht-Muslime) unzugängliches Bauwerk, die Kaaba, an einem Ort rekonstruiert, der für das westliche Publikum erreichbar ist, später eine der wenigen unzerstörten Synagogen in Deutschland hinter der vorgeblendeten Fassade eines banalen Einfamilienhauses zum Verschwinden gebracht und nun das Geburtshaus von Joseph Goebbels mit Ausnahme von dessen Außenwänden zerstört – Schneider sagt, er habe das Haus pulverisiert.1 Nach kurzer Ausstellung in einem offenen Lastwagen vor der Nationalgalerie Zache˛ta in Warschau und der Volksbühne in Berlin wurde der Schutt auf eine Deponie gefahren. In seinen Aussagen zu unsubscribe mischt Schneider das Interesse an sozio-politischer Aufklärung mit einem Interesse an der Herkunft, die ihn selber mit dem ebenfalls in Rheydt geborenen Goebbels verbindet.

Doch die Herkunft entspricht keiner abgeschlossenen Zeit. Vielmehr lässt Schneider seine Überzeugung deutlich werden, etwas vom „Geist des Nazismus“ habe sich in dem Haus erhalten. Er selbst habe versucht, dort zu wohnen, aber „die Gegenwart dieses ,Geistes‘ in den Mauern war unerträglich“2. Wie um dem möglichen Vorwurf magischen Denkens vorzubeugen, erklärt Schneider, er habe die andauernde Manifestation des „Geistes der Nazizeit“ erkannt, als er in dem Haus Bücher und Zeitschriften jener Zeit und sogar ein Gerät zur kraniometrischen Untersuchung vorgefunden habe. Diese Dinge gehörten Nachkommen des Erbauers des Hauses, Heinrich Schmitz, der die Wohnung an die Eltern von Joseph Goebbels vermietet hatte. Schneider traf auf Titel wie Der weibliche Körper, Die menschlichen Formengesetze als Schlüssel zur Rassenkunde, Selbstmassage. Pflege der Haut oder Gymnastik am Boxball. Daneben fanden sich Fotos eines Walter Schmitz, die ohne Zweifel in der Nazizeit hergestellt wurden und mit dem Narzissmus getränkt sind, den einer der Biographen von Joseph Goebbels, Peter Longerich, bei Hitlers Propagandaminister diagnostizierte. Schneider konnte also nicht nur feststellen, dass bis zum Verkauf des Hauses an ihn Verwandte des ursprünglichen Hauseigentümers und Vermieters dort Naziliteratur aufbewahrten, sondern er konnte in den Fotos des Walter Schmitz auch die spätere Inkarnation eines Bildes erkennen, das Joseph Goebbels von sich selbst gehabt haben mag – das Fortleben eines Phantasmas in der Person eines jüngeren Mannes. Mit unsubscribe betreibt Schneider keine Aufklärung, obwohl er in seinen begleitenden Stellungnahmen darauf anspricht. Stattdessen artikuliert er die eigene Identifikation mit dem früheren Bewohner des Hauses. Als Teil der Ausstellung in der Nationalgalerie Zache˛ta in Warschau projizierte Schneider einen Videofilm, der, mit unbewegter Kamera aufgenommen, ihn selbst am Küchentisch in der Goebbels-Wohnung zeigt, wie er mit regelmäßigen, gemessenen Bewegungen, einen Teller Suppe auslöffelt – „Essen“. Ein zweiter Film zeigt ihn unbeweglich, mit geschlossenen Augen im Bett des Geburtszimmers von Joseph Goebbels – „Schlafen“. Mit Hilfe verschiedener Darsteller (Fotos des narzisstischen Walter Schmitz, er selbst beim Essen und


Hörvorschlag

Bonnie ‘Prince’ Billy »I See A Darkness« 20 / 21


Schlafen) bringt Schneider das Haus als Phantom eines bewohnten Ortes hervor. Er begegnet nicht der historischen Figur, sondern nimmt deren Stelle ein und versetzt sich an einen Ort, der anders ist als alle anderen Orte. Man könnte ihn die Quelle des Bösen nennen. Wie eine Umkehrung der identifikatorischen Inszenierungen erscheint ein weiterer Videofilm, der zeigt, wie Schneider mit einem Hammer den Putz von Wand und Decke des von ihm als Geburtszimmer bezeichneten Raumes schlägt. Er sagt, er sei vorgegangen wie ein Chirurg.3 Mit der Zeit wird der Staub so dicht, dass der arbeitende Körper verschwindet. Schneider demoliert das Zimmer als Teil einer vollständigen „Entkernung“ des Hauses. Nachdem er das Haus zunächst durch seine Inszenierung zu einem Phantom mit dem möglichen Namen „Quelle des Bösen“ gemacht und entsprechende Spuren festgehalten und entziffert hatte, räumte er nun das entstellte Gebilde mit Gewalt aus dem Weg. Schließlich blieben nur die Außenmauern des Hauses stehen – aus statischen Gründen, wie Schneider erklärt. Anderenfalls hätte er das Geburtshaus von Goebbels bis auf die Grundmauern abgerissen, und er behält sich dessen vollkommene Zerstörung für später vor. Durch seine Identifikation lässt Schneider das Phantom des Geburtshauses hervortreten, dessen ihm eingeprägte Zeichen es zu deuten und zu bannen gilt. Der Akt der Bannung besteht in der Verwandlung des Hauses zu Schutt. Dessen Transport nach Warschau, in eine Stadt, die extrem unter der Grausamkeit und Zerstörungswut der Nazis gelitten hat, und der Weitertransport nach Berlin, in die Stadt, von der das Terrorregime der Nazis ausgegangen ist, erscheint wie eine Authentifizierung des exorzistischen Aktes. Als dessen Besiegelung lässt Schneider den Schutt auf einer entsprechenden Deponie abladen. Doch wer die exemplarische Austreibung des „Geistes der Nazizeit“ auf dem unausweichlichen Weg der Identifizierung vornimmt, hat einen hohen Preis zu zahlen: Er zahlt mit dem eigenen Verschwinden im dichter werdenden Staub. Symbolisch löscht er sich mit der Zerstörung des „aufgeladenen“ Hauses auch selber aus. Die Selbstauslöschung durch einen exorzistischen Akt erklärt den andernfalls rätselhaften Titel der Arbeit. Schneider erklärte seinem Gesprächspartner Stefano Vastano, es habe ihn die Vorstellung fasziniert, sich mit einer an sich selbst gerichteten Mail vom Netz abzukoppeln. Diese Abkoppelung nimmt er

mit der exorzistischen Zerstörung der Mauern vor, in denen sich der Geist der Nazizeit gehalten hat und mit dessen Exponenten Schneider eine inszenierte Identifikation einzugehen hatte. Ein weiterer Videofilm zeigt, wie Schneider ein Loch in den festgestampften Sand des Kellerbodens schaufelt. Als Bildhauer habe er das Haus von allen Seiten untersuchen wollen, einen Tunnel unter dem Haus gegraben und versucht, diesen vom Keller her zu erreichen.4 In irritierender Weise kommt er auf eine Vorstellung zurück, die er schon vor beinahe zwanzig Jahren formuliert hat: „Ich träume davon, das ganze Haus [gemeint ist Haus u r, Schneiders erste große Arbeit mit einem Haus, auch dieses in Rheydt gelegen] mitzunehmen und anderswo zu bauen. Da wohnen dann mein Vater und meine Mutter, die älteren Verwandten liegen dann tot im Keller, die Brüder wohnen oben, drum herum leben Frauen und Männer, die gerade nicht wissen, wohin. Irgendwo in der Ecke sitzt die große Frau, die ständig Kinder macht, in die Welt wirft. Ich bin dann irgendwo drin und grabe ständig alles um.“5 Schon bevor er mit dem Bau von Haus u r begann, hat Schneider Löcher gegraben, sich selbst eingegraben.6 Entsprechende Fotos zeigen ihn am Boden eines Lochs in fötaler Stellung, so dass auch an eine Geburt aus der Erde zu denken ist, wo er selbst von einem Begräbnis spricht. Die Bedeutung des Lochs, das Schneider im Keller des Geburtshauses von Goebbels gräbt, wird nicht eindeutig klar. Es könnte für den Tod und ein unausweichliches Ende stehen, es könnte aber auch ein Ort der Verpuppung und Wiedergeburt sein. Doch auch dann bleibt offen, welchen Ausgang eine Wiedergeburt haben würde. Leicht zu übersehen, lag auf dem Boden eines Ausstellungsraums der Warschauer Nationalgalerie Zache˛ta ein USB-Stick, auf dem die Daten des vollständig gescannten Hauses gespeichert sind. Schneider nennt ihn einen „Toten Briefkasten“7. Das Geburtshaus von Goebbels, die Quelle des Bösen, könnte originalgetreu wieder aufgebaut werden.

1 „Demolire Goebbels“, Interview von Stefano Vastano mit Gregor Schneider, in: L’Espresso, 5. Februar 2015, S. 78 2 ebd. 3 ebd. 4 ebd. 5 Gregor Schneider und Ulrich Loock, „… ich schmeisse nichts weg, ich mache immer weiter …“, in: Gregor Schneider, Ausst.Kat. Kunsthalle Bern, Bern 1996, S. 55 6 Vgl. ebd., S. 40 7 Mitteilung an den Autor vom 1. März 2015


















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Ein Loch im Dorf

Indian Butter Chicken und Jasmin-Reis gegen Tiroler Herrengröstl mit Krautsalat. Ist das ein Kulturkampf oder das unvermeidliche Eindringen der Globalisierung auf den Dorfplatz? Ortsbegehung, Mils bei Hall. Von Bernhard Flieher

Im Zweifelsfall? Im Zweifelsfall das Herrengröstl. Das folgt aber in keiner Weise irgendeiner Geschmacksfrage. Die Welt hat sich aufgelöst. Da schmeckt doch allen alles. Oder? Die Entscheidung für das Herrengröstl fällt allerdings bloß wegen einer anzunehmenden höheren Wahrscheinlichkeit, die Richtigen zu treffen. Wahrscheinlich sitzen nämlich beim Kirchenwirt – einem alten, klassischen Wirtshaus, ein bisserl düster, eine bisserl Resopal – ein paar Leute, die immer schon da sitzen und erzählen können, wie es war und wie es ist und wie es sein soll. Es sitzen dann aber nur ein paar da vor der Frittatensuppe und dem Gröstl, die jetzt schon seit ein paar Wochen immer herkommen. Zur Arbeit. Das ist durchaus bemerkenswert, denn die meisten fahren nicht nach Mils zur Arbeit, sondern müssen von hier weg, um zur Arbeit zu kommen. Nach Hall. Nach Wattens. Nach Innsbruck. Es heißt aber nicht nur „Mils“, weil dann könnte man dieses Mils mit dem Namenskollegendorf nahe Imst verwechseln (erst recht am Navigationsgerät, das einen von hinter der Schallschutzwand an der A 12 hervorlockt ins richtige Mils). Also heißt es „Mils bei Hall“. Und also bei Innsbruck, neben Absam, unter der Nordkette, am Inn. Getrennt bloß noch von Ortsschildern oder einem Bacherl wird hier in den Dörfern, die längst Kleinstädte sind, die verwaltungsorganisatorische Zugehörigkeit unterschieden. Ohne die Ortstafeln wüsste keiner, der hier bloß durchkommt, wo er sich bewegt. Aus weiterer Ferne noch unterscheidbar wegen der Kirchtürme sind die Örtchen. Aus der Nähe gesehen verschmelzen sie zu einer Ortskette, aufgefädelt an der Bundesstraße B 171. Zentralraum wird das gern genannt, aber selten wird es dann auch so zentral, also aus einer Mitte heraus, gedacht. Und schon gar nicht wird das gedacht, wenn sich ein Dorf eine Feuerwehr, einen Sportplatz oder eben ein Zentrum schaffen will. Und wegen eines neuen Zentrums für Mils sitzen die Burschen in ihren Arbeitslatzhosen jetzt in ihrer Mit-

tagspause vor dem Gröstl beim Kirchenwirt. Betonieren, Tiefgarage, sagt einer auf die Frage, was sie zu tun haben. Ums Eck vom Kirchenwirt klafft die größte Wunde von Mils. Ein Loch, darüber Kräne, drinnen schwere Baufahrzeuge. 3768 Quadratmeter Nutzfläche wird es haben, das „Dorfzentrum“. Es wird, so steht in der Beschreibung, ein öffentlicher Raum mitten im Ort mit „vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten“. Und wegen Faltelementen, die rundum oder in Teilbereichen geschlossen werden können, wird auch der Regen keine Rolle mehr spielen mitten in Mils. Jetzt hält das Frühherbstnieselwetter die Bauarbeiter ein paar Minuten länger als geplant im Kirchenwirt. Um’s Eck vom Grünegg Café & Bistro, einem schicken zeitgenössischen, geradlinigen, hellen Gebäude, in dessen ebenso geradlinigem, hellen Gastraum das Indian Chicken auf den Plan steht, liegt eine feine Sportanlage. Auf der Straßenseite gegenüber jenes Gelände, auf dem sich in den vergangenen Jahren das neue Mils ausgebreitet hat. Mils wächst rasant und wuchert dementsprechend. In den vergangenen rund 40 Jahren hat sich die Einwohnerzahl etwa verdoppelt. So ein Zuzug verbraucht Fläche und lässt Strukturen wanken. Planerischer Stumpfsinn passiert. Individualisierte, sogenannte moderne, aber doch nur zeitgeistige Bauformen wachsen sich aus zu einem Konglomerat aus gebautem Eigensinn. Da werden weniger individuelle Spitzenleistungen der Baukultur und eine sozial verträgliche Raumordnung befördert als einer massenhaften Gleichförmigkeit die Bauplätze in feiner Lage gewährt. In Mils lässt sich diese grundsätzliche Einförmigkeit leicht benennen: Sie heißt Einfamilienhaus oder auch kleinteilige Wohnanlage oder Reihenhaus. Eine Wanderung durch Mils erweist sich als Ausflug in eine Art


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Versuchslabor der Vergärtelung und Verhäuselung der Landschaft. Baumeister-Ideen finden ihren intensivsten Ausdruck in überdimensionieren Wintergärten. Türmchenfortsätze ragen aus Dächern, als müssten sie wie Wehranlagen das heilige Land Tirol verteidigen. Gegen wen? Gegen den nächsten Nachbarn, weil der eine Garage hinklotzte, in der locker ein Panzer parken könnte. Das Ortsübliche, von dem in politischen Reden über die Entwicklung von Orten gerne gesprochen wird, ist hier exemplarisch aufgelöst worden in ein Zusiedlungsallerei. Architektur, die mehr möchte als bloß eine gemauerte Grenze zwischen Außenwelt und Innenwelt zu schaffen, wächst wenig. Neuer Lebensraum, der zunächst auch nur ein als Baufläche gewidmetes Stück Boden ist, lässt sich hier, begrenzt – oder gar eingesperrt – von den steilen, waldigen Ausläufern der Nordkette und südlich von Eisenbahn und Inn recht einfach schaffen. Die Topologie für Neubauten ist günstig – günstiger jedenfalls als in einem Gebirgstal oder in den Schluchten und Baulücken einer Stadt. Sanft steigt Mils vom Inn bis zur Kante der Nordkette bergan. Wer hier baut, braucht keinen logistischen Großaufwand. Die andere Attraktion des Ortes als Bauland liegt an der sozialen, strukturellen und mittlerweile auch baulichen Zwitterstellung zwischen Land und Stadt. Niemand würde ernsthaft behaupten, dass Mils eine Stadt sei. Dafür fehlt zu viel. Aber ein Dorf in klassischem Sinn ist es – auch wegen der gut 4000 Einwohner – schon lange nicht mehr. Die urbanen Annehmlichkeiten (und dadurch auch alltägliche Notwendigkeiten) – Arbeitsplatz, höhere Schule, Intensivshopping – sind, jedenfalls mit dem eigenen Auto, leicht erreichbar. Was also ist das Dorf nun? Stadtrandgemeinde? Urbanisiertes Dorf? Stadtdorf? Vorstadtparadies? Einfamilienhausidylle? Bauplatzanbieter?

Egal, wie man diese Ansiedelungen im Spannungsfeld zwischen Wohnort, Schlafplatz, Pendelzentrum, Vereinshausleben benennt: Klar ist nicht nur im Tiroler Inntal, dass Orte wie Mils – ein bisschen überfordert von der Bautätigkeit, aber doch immer noch halbwegs intakt in seinen Grundstrukturen – boomen. Sie tun es, weil es längere Zeit schon eine Art trendiger Sucht und Sehnsucht nach einem dörflichen Dasein mit den Annehmlichkeiten der Urbanität gibt (oder jedenfalls sollen diese Annehmlichkeiten oder Gewohnheiten bloß kurze Autofahrten entfernt sein). Ja, solche Orte boomen nicht nur, sie wuchern sich dann auch breit ins Land. Und die ehemaligen Zentren dieser Orte, kleinstrukturiert, überschaubar, taugen dann nicht für solchen Zuzug und bleiben als bisweilen bloß noch romantisch-ländliche Idylle übrig (oder werden verlassen und verfallen vor sich hin). Und wo soll dann eine Neo-Dorfgemeinschaft zusammenkommen? Mils schafft also ein neues Zentrum. Überhaupt wurde rasant ein neues Dorf geschaffen zwischen Waldrand und dem Ufer des Weißenbaches. Keineswegs habe man dafür in den vergangenen zehn Jahren viel neues Bauland ausgewiesen, sagt der Bürgermeister. „Praktisch alle Bauvorhaben wurden von privaten Bauherren auf bereits seit Jahrzehnten gewidmeten Grundstücken errichtet“, zitiert das Milser Dorfblatt den Ortschef Peter Hanser. Man hatte quasi vorgebaut. Es war also genug Bauland da. So viel, dass ein Plakat an der Stallwand eines Hofes nahe der Kirche die Wirklichkeit für alle handelnden Parteien leicht zusammenfasst: „Ein Hoch der Bauherrschaft“, steht auf dem Plakat. Wer die Kräne im Ort sieht, wer an den Baustellen vorbeischlendert, die es in Mils gibt, für den lässt sich dieses Wort „Bauherrschaft“ durchaus zweideutig lesen. Die Herrschaft ist hoch und mächtig und die Bauherren schaffen fleißig. „Schaffung“ eines neuen Zentrums klingt eindeutig nach Plan, nach – struktureller und daher von höherer, also politischer Ebene vorgenommener – Einteilung und Bestimmung. Nach geraden Straßen klingt das, von denen dann, wieder recht gerade und akkurat, Straßen abzweigen. Ein Raster entsteht. Zwischen den Straßen wird gebaut und also später in diesem Raster aus Verhäuselung auch gewohnt. An Mils lässt sich


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geradezu exemplarisch ablesen, in welchem Gegensatz solch eine „Schaffung“ zu einer quasi natürlichen, den Bedingungen der Landschaft (und des Großgrundbesitzes) folgenden „Entstehung“ oder einem historischtraditionellen „Wachstum“ steht. Das „alte“ Mils mit seinen Höfen, manche herrschaftlich protzend, manche eher in Kleinhäusler-Manier geduckt, läuft – simpel eingeteilt in Unterdorf und Oberdorf – an der Kirche, beim Wirt, bei den Brunnen und also an den einstigen sozialen Treffpunkten eines Dorfes zusammen. Ein „neues“ Mils kennt so ein Zentrum nicht. Simpel gesagt, lässt sich das „neue“ Mils als der westliche (und damit auch hin zum aus Innsbruck heraus wuchernden Stadtrand ausgerichtete) Teil des Ortes beschreiben, getrennt vom alten Dorf im Prinzip durch eine Nord-Süd-Achse, die von Brunnholzstraße und Schneeburgstraße gebildet wird. Diese Straßenlinie beginnt im Gewerbegebiet und endet im Wald. Sie erstreckt sich geradezu symbolisch vom Ort des Erwerbs hin zum Platz der Erholung, von der Arbeitsstätte zur Wohnstätte. Und diese Straßen stellen gleichzeitig die Demarkationslinie einer gesellschaftlichen Entwicklung dar, die sich an der Wohn- und Bauweise ablesen lässt: Im alten Dorf im Osten eine – auch baulich – fest in Tradition verankerte Ewigkeit, der die Zeit verloren geht. Im westlichen, neueren Teil eine Explosion aus Einfamilienhäusern und kleiner Mehrfamilien-Wohnanlagen, eine Demonstration einer Individualisierung, eines neuen Wohlstandes, in dem als Zentrum eines gemeinschaftlichen Geschehens vielfach der Griller vor dem kleinen Pool mit Gegenstromanlage ausreicht. Die Baustruktur im über Jahrhunderte gewachsenen Dorf richtet sich vielfach nach außen, zu dem Ort hin, wo sich einst ereignete, was die eigene Welt vergrößern konnte. Die Hoftore öffnen sich zur Straße. Balkone, so dieser Luxus überhaupt vorhanden ist, blicken auf die Brunnen. Die Zäune kleiner Vorgärten – meist nur ein paar Holzspreißel – dienen als Grundstücksmarkierung, aber niemals als Schutzwall. Es wuchert in den Gärten wild. Auf der anderen Seite des Dorfes kommt so etwas

offensichtlich nicht in Frage. Dort, so möchte man vermuten, genügt sich eine Welt selbst, weil sie hinter verschlossenen Türen ohnehin das Internetprogramm öffnen kann. In Reih und Glied wird da gewohnt. Fein. Säuberlich. Überwiegend jedenfalls. Und jedenfalls dann, wenn den Anweisungen für eine funktionierende Gemeinschaft auch ganz gemeinschaftlich Folge geleistet wird. Ein geschniegelter und gestriegelter Garten trägt dazu noch nichts bei, ist quasi nur die innere Keimzelle der Überordnung. Ein Garten erfüllt eher nicht die Anforderungen einer kommunalen Gemeinschaft. Ein Garten bildet zuallererst das Reich und das Rückzugsrefugium für eine Gesellschaft in grassierender Vereinzelung. Das Einfamilienhaus, bei Umfragen immer noch ganz weit vorne unter den materiellen Zukunftsträumen der Österreicher, wird dann freilich gerne und machtvoll als Trutzburg interpretiert. Der Traum im Grünen will verteidigt sein. Wie kleine Festungen behaupten viele dieser Bauten an schön duftig benamten Sträßchen wie Wacholder-, Birken- oder Farnweg ihre kleine Macht. Die Grenzen nach außen werden – von jeder dieser Einzelhaus-Festungen für sich ganz allein – klar gezogen. Steinmauern stemmen sich gegen den sanften Hang. Hinter oder vor den Holzbrettern, die ein paar Kilometer weiter im Baumarkt in Neurum als „Jägerzaun“ verkauft werden, werden zur Unterstützung der Abgrenzung üppige Stauden angepflanzt. Hecken, dicht und undurchsichtig wie Mauern, stehen stramm. Und die vielen Carports in dieser Wohnlandschaft bloß als einen Abstellplatz für Autos zu bezeichnen, kommt einer groben Beleidigung gleich. Platz ist ja Mangelware. Also werden die Autohütterl auch als Windfang konstruiert, als Eingangsbereich vor der eigentlichen Haustüre, als weiterer Schutzwall zum öffentlichen Raum. Gefolgt wird praktischen Überlegungen. Ästhetische Fragen prallen an Grundgrenzen ab. „Wo jeder – zwar in einer großen Menge, aber doch in gewissen Sinne für sich allein –, als Individuum in einer Masse mit etwa gleichen Interessen lebt, erübrigen sich Fragen nach einem ästhetischen Gemeinsinn“, schrieb der Soziologe Mike Davis einmal. Er schrieb es über die „ökonomisch bedingte Simplifizierung“ von Wohnarealen in Vorstädten. Er schrieb es über die von


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einer gehobenen Mittelschicht eroberten Landflächen, die im Nahgebiet von Ballungszentren zu Vorstädten wurden. Und er schrieb es über die USA. Doch diese USA hat sich längst auch im Inntal angesiedelt. Diese Simplifizierung – in einer Baukultur, die den Namen nur tragen kann, weil es keine andere adäquate Bezeichnung zu geben scheint – habe aber nicht damit zu tun, dass das Leben einfacher werde, sondern dass es sich weg bewege von einem Sinn für das Gemeinschaftliche. Auf das Mitdenken von Bedürfnissen, die allen zu Gute kommen könnten, wird massiv verzichtet. In solchen Vorstädten – oder im Fall von Mils der Vervorstädterung eines ehemaligen Dorfes – reduziert sich der öffentliche Raum rasch auf ein Bankerl an der Bushaltestelle und den Parkplatz vor einem kleinen Supermarkt – und also auf die Straße. „… die freie Sicht über den Straßenverlauf oder auf die Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs“ – das ist von solcher Bedeutung, dass im Milser Dorfblatt, Ausgabe Oktober 2015, dringlich die Bedeutung des „Lichtraumprofils“ herausgestrichen werden muss. Es wird dazu aufgefordert, „umgehend“ Hecken, Bäume und andere wachsende, grundbegrenzende Elemente so zu stutzen, dass der Straßenraum nicht nur problemlos benutzbar, sondern von der öffentlichen Hand auch ungehindert gepflegt werden kann. Da und dort stehen neue – oder zumindest frisch polierte – Kruzifixe zwischen den Wohnanlagen und Häuserreihen. Sie ducken sich nicht weg, stehen dem Lichtraumprofil der Fahr- und Gehwege aber keinesfalls ungünstig im Weg. Und dass eines dieser Kruzifixe an der Ecke Sandegg und Holzweg steht, ist bestimmt ein Zufall. Und doch: Holzweg passt schon. Da mag ein Großteil Tirols immer noch so katholisch tun, dass man sich andernorts unter Gleichgläubigen schier bekreuzigt vor lauter Ehrfurcht, aber auch dieser Zusammenhalt erodiert. Auch deshalb wird das Loch in der Mitte des Dorfes mit gesellschaftlichen Erwartungen und sozialen Hoffnungen zugeschüttet. Die Kirche als einende, allumfassende Kraft rutscht unaufhaltsam aus dem Zentrum. Und in Mils kann man das ganz wörtlich nehmen. 800 Jahre nach der ersten urkundlichen Nennung der Kir-

che Mariä Himmelfahrt im Jahr 1215 steht das Gebäude nur eine Straße von der größten Baustelle der Dorfgeschichte getrennt und schaut zu, wie ein neues Zentrum geschaffen wird. Mittendrin in der Baustelle erlebt die Alte Volksschule, also eine andere klassische Dorfinstitution, die Neudefinition des Dorfplatzes. Und diese alte Institution muss gestützt werden, damit die neue überhaupt entstehen kann. Mit Spritzbeton wurde das alte Schulgebäude gesichert, damit sein Fundament nicht nachgibt. „Unser neuer Lieblingsplatz“, schreibt das ausführende Architekturbüro DIN4-Architektur über das Projekt Dorfzentrum. Die Gemeinde war nach einem Wettbewerb von der „identitätsstiftenden Gestaltung“ für diesen Platz, der Wiese nahe dem Dorfzentrum, überzeugt. Wenn, wo jetzt in dem Loch mitten im Dorf schon tonnenweise Beton für die Tiefgarage vergossen ist, alles gefüllt, bebaut und bepflanzt sein wird, wenn sich ein Plattenbelag als „Dorflandschaft“ ausbreitet, dann wird es Wohneinheiten für betreutes Wohnen geben, ein Café und auch einen Pfarrsaal. Dann wird, nach der geplanten Fertigstellung im kommenden Jahr, an der Belebung gearbeitet werden. Vor dem Loch sind mehrere Bauplanen als Sicht- und Schmutzschutz aufgestellt. Auf einer Plane sind die baulichen Eckdaten des knapp zehn Millionen Euro teuren Projektes angegeben. Darauf sieht man auch ein schönes Bild, eine Animation, die vorwegnimmt, wie es aussehen soll, das neue Dorfzentrum. Da sieht man schicke Menschen in schicken Designersesseln sitzen auf einem schick geschaffenen, erfundenen Dorfplatz. Fesch schaut das aus. Einladend und frisch. Wie ein Dorf – im Sinn einer gewachsenen Gemeinschaft – sieht es nicht aus. Das Bild zeigt eine Szene, die überall sein könnte. Nur markante, in Nebel getauchte Berge schauen auf dem Bild als unverrückbare Macht auf den Platz herunten und verorten den Platz so zumindest irgendwo im Alpenland.


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Die Gestaltung des Gedankens Im Innsbrucker Rapoldipark entstand aus privater Initiative „bilding“, eine gänzlich einzigartige Kunst- und Architekturschule für Kinder und Jugendliche. Schauspielerin und Autorin Dörte Lyssewski hat einen Lokalaugenschein unternommen und mit den treibenden Kräften gesprochen.

ANKUNFT Ein immenser Wolkenlindwurm schlängelt sich um die Flanken der Berge und zieht niedrig, fast auf Wiesenniveau weiter ins Tal, Richtung Innsbruck. Die Berge sehen stachelig aus, wie unrasiert. Der Zug, der Verspätung haben sollte, erreicht pünktlich den Bahnhof. Der vorhergesagte Regen erweist sich als Sonnenschein. Erwartungen werden über den Haufen geworfen. Die umliegende Landschaft ist alles andere als symmetrisch, linear oder gleichförmig, sondern, wenn auch langsam, eine sich verändernde. Schneller, scheint es, als die Häuser der Stadt. Hügel, Tal, Berg, Sanftheit und Schroffheit wechseln einander ab. Es dampft aus allen Schluchten und Tälern. Die Stadt wirkt steinern, gedrungen, eng und schwer, auch wenn sie lebendig ist, was sicher zu einem Großteil den mehr als 30.000 Studenten zu verdanken ist. Hier scheint gegen Jahreszeiten, Witterung und Zerstörung gebaut worden zu sein, mit den Bergen als Lehrer, Bedrohung und Schutz als Essenz ihrer Erfahrung. bilding hingegen will flüchtig sein. Trotzdem scheint es eine, wenn auch kleine Tradition des selbstlosen Engagements einzelner Bürger für Bildung zu geben. Auf der Einfahrt mit dem Zug in die Stadt fährt man an einem großen Gebäude vorbei, auf dessen Fassade gemeißelt steht: „Der Stadt Innsbruck gewidmet von einem Patrioten“. Es ist die Daniel-Sailer-Schule. Johann von Sieberer, selbst ein ehemaliges Waisenkind, machte seine Fortune mit einer Versicherungsgesellschaft und begründete 1885 das erste Waisenhaus in Innsbruck, später ein Greisenasyl u. v. a. – insgesamt eine Investition im Gegenwert von heute 140 Mio €. Was muss man sein: Patriot, Egoist, Idealist, Enttäuschter, Mäzen, Träumer, Aufklärer, Könner, Philanthrop, Visionär? Das Bahnhofsviertel, auf dessen Rückseite die Sill fließt und der Rapoldipark liegt, benannt nach dem ehemaligen Vizebürgermeister der Zwischenkriegszeit, ist wie viele Bahnhofsviertel im Krieg 1943/44 schwer zerbombt worden und entsprechend peu à peu in allen Stilrichtungen wiederaufgebaut worden. Der Rapoldipark wurde Ende der Siebziger erweitert, indem

ein ehemaliges Gaswerkgelände begrünt und einbezogen wurde. Der Park sollte seit seinem Entstehen ein Volkspark sein, anders als die Hofgärten, deren Grünflächen man nicht betreten und nicht auf ihnen herumtollen und liegen kann. Wenn man von geformter Natur ausgeht, wie es die Definition jedes Parks impliziert, insbesondere des Landschaftsparks, so sind die Elemente, die der Formung dienen, in letzter Konsequenz auch Natur. An der Ecke vor der Unterführung der Gleise, Luftlinie 200 m vom bilding entfernt, befindet sich die KOMFÜDRO (Kommunikationszentrum für Drogenabhängige der Caritas Innsbruck), in der frische Spritzen und Löffel ausgegeben werden. Dort herrscht gerade Rushhour, im gegenüberliegenden Striptease-Lokal die Happyhour zu reduzierten Preisen. In der Ausgabestelle, die nur wenige Stunden am Tag geöffnet ist, sind alle aufgeregt, warten ungeduldig und sehnsüchtig. Das Aussehen der Abhängigen ist erschreckend. Es ist wohl die traurigste Sucht. In der Drogenstelle blättert ein Sozialarbeiter durch einen Aktenordner und findet außer einem Vorfall, bei dem sich ein Kind an einer herumliegenden Spritze infiziert hat, jedoch keine gesundheitlichen Schäden davongetragen hat, nichts Gravierendes im Laufe von 20 Jahren. Vor zehn Jahren wurde eine Studentin im Park ermordet. Der Fall wurde nach acht Jahren aufgeklärt. Und sonst? Überwachungskameras und Polizeikontrollen wurden eingeführt. Dass ein offener Park ein gewisses Eigenleben hat, eine Passage unterschiedlichster Menschen darstellt, wird nie zu ändern sein, dafür ist er ja Park. Ansonsten wird er, wie bereits in vielen Städten geschehen, wehrhaft umzäunt und abends geschlossen. Das hat dann den Charakter eines Zoos. Eine Aufwertung des Parks? Wie kann das gehen, wenn sich die Probleme nur verlagern, insbesondere die Drogenszene. Der Park als öffentlicher Raum soll für alle da sein und genau das geschieht. Dass sich weltweit auch Dealer und zwielichtige Gestalten in einem Park aufhalten, erstaunt nicht. Das war schon immer so und wird auch so bleiben, es sei denn, sie werden vertrieben. Eintritt in den Park. Muss die Handtasche enger an den Körper gezogen werden nach all den Vorinforma-


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tionen? Ein junger Mann kommt den Weg Richtung Sillsteg entlang. Sein Plastiksackerl reißt und dutzende Bierdosen fallen heraus. In der Ferne sitzt ein Mann auf einer Bank und zittert am ganzen Körper, wie ein Körper sich nur unter schwerem Entzug schütteln kann. Auf der sogenannten Sillinsel ist ein schicker Neubaukomplex entstanden mit schwindelerregenden Quadratmeterpreisen, kühlem creme-schwarzem Design, Blick auf den Fluss. Das untere Geschoss ist mit Metalltüren versehen, die dem Ganzen das Aussehen einer Sicherheitsverwahrung geben. Zur Flussseite ist es von Mauern eingefasst, zum Schutz vor Menschen und Fluten. Eine eher geschlossene, abweisende Architektur. Laternen, teilweise mit eingebauten Kameras, säumen die Wege. In den Rasen eingelassene Felsbänke, die stufenartig zum Fluss hinabführen, sollen Rudimente eines ehemaligen Amphitheaters zitieren. Der Fluss strömt wild, ist milchig und kühl. Ein unter einer Linde aufgestellter Fahrradzähler der Stadt Innsbruck zeigt in Leuchtziffern den 1316. Radfahrer an, der gerade vorbeigestrampelt ist. Insgesamt kann er sich im Kreise der übrigen 560.011 dieses Jahres rühmen. Es müsste eigentlich auch aufgestellte Zähler geben für Zwillingsgeburten, Zahnlose, Verschuldete, Ehebrecher, Stempler, Steuerhinterzieher, Drögler oder Unglückliche. „Achtung. Betreten auf eigene Gefahr!“ bezieht sich wohl auf die Nähe des abschüssigen Ufers. Der Park ist bestückt mit Leuten, die lesen, telefonieren, Hunde ausführen, Einkäufe nach Hause tragen, ihre Kinder ausführen, essen. Viele verschiedene Sprachen ziehen in Wortfetzen vorüber. Das Ganze wird begleitet vom unablässigen Rauschen eines künstlichen Wasserfalls, der aus der Rückseite eines Einkaufszentrums strömt und als hauseigenes Kraftwerk des EKZ, das 1990 gebaut wurde, über siebzig Geschäfte in seinem Bauch beherbergt, nicht zu vergessen die Kinderbetreuung im eigenen „Kinderparadies“, mit Strom versorgt. Daneben stapeln sich morsche Paletten und ausgediente Sonnenschirme. Die 35 km lange Sill mündet nicht weit von hier in den Inn. Stellt man sich ein Hochwasser vor, das den ganzen Park verschlammen, die Bäume entwurzeln würde, so würde das bilding-Gebäude, so hat man den Eindruck, nur losgerissen aus seiner Verankerung und würde sich samt Kommandobrücke (Medienraum) und Deck (Terrassen) auf die Fahrt begeben, die Sill hinabtreiben, dann in den Inn gleiten, in die Donau einfließen und irgendwann am Schwarzen Meer, vielleicht in Sewastopol vor Anker gehen, die Kinder älter geworden, die

Architekten mit grauen Haaren, die Eltern zurückgelassen, denen man dann selbstgebastelte Postkarten mit Motiven der schönen Uferpromenade schickte. Bis dahin geht das Ganze auch mit Papierschiffchen. Auf der Rückseite von bilding findet man eine Pfarre, einen Tauchsportclub, eine Volksschule, einen Sozialdienst, ein Tattoostudio, einen kleinen Kiosk mit angrenzendem Café und Terrasse, nicht demolierten Fahrradständern, sauberen Toiletten. Die Bäume und Sträucher sind beschnitten, der Rasen gemäht. Merkwürdig nur, dass man beargwöhnt wird, ein scheinbar ungewohntes Bild, wenn man mit einem Notizblock durch die Straßen geht. Man wird mit Verdacht angeschaut, als trüge man eine Waffe. PRÄMISSE Die Suche nach dem kreativen Ausdruck, der entdeckt und gefördert werden kann, bevor er verschüttet wird. Eine Suche, die weitergegeben werden soll. Der Mensch im Menschsein. Aufklärung. Der Mensch in Betracht all seiner Fähigkeiten. Bildung wurde und wird seit jeher begriffen als Verteidigung des Menschlichen, letztendlich mit dem Ziel, die Menschen zu bessern, was immer das heißt. Mündigkeit? Vielleicht, denn betrachtet unter dem Aspekt, weshalb die immer noch sogenannte Bildung für wichtig erachtet wurde und wird, entspricht die Herangehensweise des Kollektivs von Menschen, die bilding erdacht und realisiert haben, genau den Grundinteressen des humanistischen Menschenbildes: Bildung im Sinne der Schöpfung, des Bildnis, der Gestalt. Der Idealismus des Bildens, des Formens, des Erziehens, der Aneignung, des Zu-eigenMachens durchzieht als unerlässlicher Grundgedanke alle Gespräche der Beteiligten. DIE IDEE Arno Ritter: „2006 stieß Monika Abendstein zu ‚architektur und tirol‘ (aut), einer Architektenvereinigung, die ich seit 1995 leite und wo wir uns um die Entwicklung und Präsentation von Architektur, Kunst und Design kümmern. Monika übernahm das Kinderprogramm, das damals noch recht marginal war. Es kamen Lehrer von Schulen zu uns und klagten, dass sie weder Lehrmittel noch Know-how hätten, um das Thema Architektur in den Unterricht einzubringen. bilding ist eine Antwort darauf, dass der Unterricht in Kunst und Architektur an den Schulen entschieden gekürzt wurde und wird, teilweise bis zum Verschwinden. In der Bildung hat sich


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das neoliberale Prinzip durchgesetzt, nur Bereiche zu unterrichten, die einen sogenannten Zweck haben. Dabei sind wir ein barockes Land. Es gibt bis heute eine Kreativität, die durch Widerstand gegen das Land und seine Kultur entsteht, ja sie erst ermöglicht. Der von mir bei der Architekturbiennale 2012 kuratierte Beitrag im Österreich-Pavillon beschäftigte sich deshalb u. a. mit der Barocken Kultur Österreichs als Kunstgen. Bei der Biennale kam es auch zu einer neuerlichen Begegnung mit Monika, die inzwischen ein Netzwerk von Schulen und Kindergärten – über Tirol hinaus, bis nach Finnland – aufgebaut hatte. 2009 hatte sie bereits die Kunstschule gegründet, eine gemeinsame Initiative mit Künstlern, Designern und Architekten, die teilweise heute noch bei bilding wirken, mit dem Ziel, das Thema der wegrationalisierten Kunst und des künstlerischen Gestaltens aufzufangen. bilding entstand aus der Melange von ‚Das Bild‘ und ‚Das Ding‘. Es wurde ein Verein gegründet und beschlossen, etwas zu bauen. Als Ziel beim Bau im öffentlichen Raum wurde angestrebt, dass es keine optischen oder anders gearteten Hemmschwellen gibt. Der Rapoldipark war ein prekärer Ort, er bot jedoch ideale Voraussetzungen für einen Bau im öffentlichen Raum, da es soviel Aufenthaltsmöglichkeiten in ihm gibt und eine große Durchmischung in der Alters- und Sozialstruktur. In Absprache mit der Stadt hat sich ein auf sieben Jahre begrenztes Nutzungsrecht ergeben. Falls das Hallenbad aus der Zwischenkriegszeit, das in unmittelbarer Nachbarschaft liegt, erweitert werden sollte, müsste man weichen. Die erste Idee war: Man lädt die ganze Architektenschaft von aut ein, gemeinsam dieses Projekt zu entwickeln. Der Hauptakzent lag auf dem Partizipativen. Nach einem Dreivierteljahr stellte man fest: Diese Vorgehensweise funktioniert nicht. Die Architekten sind zu sehr auf Wettbewerbe konditioniert, haben zu unterschiedliche Haltungen. In diesen Monaten wurden jedoch Entscheidungsgrundlagen in punkto Raumkonzept und -funktion getroffen. Und man entschied sich, das Gebäude ohne öffentliche Mittel zu errichten. Es steht in einer gewissen Tradition, das, was der Politik nichts mehr wert ist, mit Unterstützung der Zivilgesellschaft zu errichten, um den Wert, den die Gesellschaft diesem Thema einräumt, symbolisch sichtbar zu machen. Zwei Leute waren bereits im Prozess des Architektenkollektivs involviert gewesen: Walter Prenner und Verena Rauch vom Architektenkollektiv ‚Columbus

Next‘ und seit Jahren Assistenten an der ArchitekturUni. Mit ihnen entstand die Idee, den Bau am Institut für experimentelle Architektur der Uni Innsbruck zu realisieren. Für ein zweisemestriges Bachelor-Studienprojekt meldeten sich 27 Studenten im Alter zwischen 20 und 24 Jahren. Es gab zwei Vorgaben: Es musste ein Holzbau werden und es musste leicht zu bauen und wieder abzubauen sein. Die Wahl von Holz als primärem Baumaterial hatte auch technische Gründe: Die von Robotern per Computersteuerung vorgeschnittenen riesigen Platten kann man zusammensetzen wie Legobausteine. Im Dezember 2014 wurde aus 17 Entwürfen von einer Jury einer ausgewählt. Die Prämisse lautete: Es gibt keine Handschrift, es gibt keinen Autor. Von Ende April bis Mitte Juli haben die Studenten dann selbst Hand angelegt, mit Unterstützung von Profis, die ehrenamtlich gearbeitet haben. Der Gegenwert des jetzigen Gebäudes liegt bei 400.000 €. Spenden, Sponsoren – auch für Materialien – und unentgeltliche Arbeitskraft waren unerlässliche Faktoren bei der Realisierung. Die Künstler, Designer und Architekten arbeiten bei bilding auf Stundenbasis und werden vom Verein bezahlt. Der Verein erhält 20.000 € von der Stadt, 30.000 € vom Land und 20.000 € vom Bund. Alle Kurse, alle Programme, die Malerei, Bildhauerei, Architektur, neue Medien, Film und Design umfassen, sind gratis. Das wird seitens der Politik und von Teilen der Gesellschaft kritisiert. Begründung: Was nichts kostet, ist nichts wert. Wenn man an einen öffentlichen Ort geht mit dem Anspruch, Kinder, auch aus Migrantenfamilien oder mit sozial schwächerem Hintergrund, einzubeziehen, kann man nicht eine pekuniäre Hemmschwelle aufbauen. Da hilft nur das Argument: Was wir hier machen, ist so wertvoll, das kannst du nicht zahlen!“ DAS GEBÄUDE Raum ist Alles. Kein Raum, der geschont werden soll. Das Gesicht des Hauses entspricht dem Entstehungsprozess, entspricht den Menschen, auf die die Idee und die schlussendliche Realisierung zurückzuführen ist. Und es entspricht dem, was dann nach der Auflösung der Grenzziehung Innen-Außen, dem temporären Körper, in und um ihn tätig ist. Das Lebendige steht über dem Funktionellen, schließt es nicht aus, sondern definiert das Funktionelle um. Insofern ist Raumkörper die treffendere Bezeichnung für diesen Ort. Welche Funktion hat ein Haus, das gar kein Haus sein will? Das erste Bild war ein Foto aus der Entstehungsphase


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von bilding, in der das blanke Holzdach noch nicht verkleidet war, aufgenommen aus der Vogelperspektive. Das, was man da sah, wirkte, als hätte das Kind eines Riesen sein Holzspielzeug fallen lassen, das nun auf einem geordnet-ungeordneten großen Haufen quer übereinandergelagert dalag. Geordnetes Chaos. Wie nach einem Erdbeben. Die Erde Innsbrucks bebt jährlich um die einhundertsechzig Mal, das letzte Beben war erst jüngst im August. Starke Beben haben im Lauf der Jahrhunderte Risse an Häusern, kleine Einstürze verursacht. Doch beim Lokalaugenschein merkt man: Käme jetzt ein stärkeres Erdbeben, würde es bilding nicht viel ausmachen. In den Verschränkungen seiner Achsen macht es einen stabileren Eindruck, bei gleichzeitiger Fragilität und Elastizität, als die üblichen Klötze. Ein grandioser Kataklysmus. bilding liegt zwischen der Friedensbrücke und dem Sillsteg, eingebettet wie ein gestrandetes Schiff oder ein Raumschiff vor / nach seinem Einsatz. Vom Ufer aus ist es nicht zu sehen, auch nicht beim näheren Herantreten. Ein schützender, überdachter Eingang, querverlegt, dient als Rampe, die in den Bauch des Gebäudes führt. Die Welt aus den Fugen. Riesige Glassegmente wechseln mit schmalen Streifen aus Glas und spitz zulaufenden Scheiben ab. Es gibt keinen geraden Winkel, keine Verstrebung gleicht einer anderen. Ein schräges Schiff. Im und um das Haus befinden sich Holzstege und Plateaus, innen aus Fichte, draußen aus Lärche gefertigt. Transparenz wohin man schaut. Der Blick kann und darf schweifen, er wird nicht aufgehalten durch Mauern. Statt dessen Einblicke, Ausblicke, Durch- und Aussicht im Radius von 360°: Blick auf den Park, die Wolken, den Fluss und einen der Weiher des Parks, den Himmel, die Berge, die ihre Geröllzungen zeigen, die Büsche, die Bäume, Eschen, Eiben, Weiden, Ahorn, Huflattich, Bambus, Brombeerranken, durch die Wind und Licht gehen, die Terrassen, Blick in die anderen Arbeitsräume und das Büro der Leitung. Vor dem Büro steht ein noch kleiner Bambuswald, der nicht nur der Begrünung dient, sondern gleichzeitig als nachwachsendes Bau-Arbeitsmaterial dient. Alle Wände, Böden, Regale und Türen sind aus Holz, einzig die Türklinken, die unverputzten Leitungsrohre, die Belüftungsanlage und die Lampen sind aus Metall. Unter den großen Waschbecken zur Säuberung des Arbeitswerkzeuges verläuft eine schräge Rampe als Boden, so dass die Kinder wie die Daltons je nach Größe alle an das Becken kommen, ohne Schemel benutzen zu müssen. Auf den hölzernen Terrassen im Außenbereich kann

ebenfalls gearbeitet werden, im Sommer kommt kühle und frische Luft vom Fluss. Die Holzplateaus sind mit Kieselsteinen gerahmt, die aussehen, als hätte einer der Sturzbäche aus den Bergen sie mit dem letzten Regen angespült. Das Haus und das Dach sind mit atmungsaktiver weißer Folie als Nässeschutz bespannt. Der Boden des Werkraums ist übersät mit futuristischen Gebäuden, die die Gastkinder des „Schnuppertages“ gebaut haben: der Entwurf einer kommenden Stadt. Meterlange Regale sind gefüllt mit Stiften, Papiermessern, Bändern, Drähten, Pinseln, Schläuchen, Hölzern, Papieren, Folien, Pappen usw. Die Riesenscheiben geben dem Ganzen einen angenehmen Aquariumscharakter, wobei nicht klar ist, ob man Fisch ist oder Betrachter. Die einzige akustische Irritation, nur auffällig für Nicht-Innsbrucker, sind die extremen Tiefflüge der landenden Flugzeuge, die die Stadt überfliegen. Gegenwart und Zukunft, Einzigartigkeit von Erfahrung, Einzigartigkeit von Ding und Mensch. KOLLEKTIV Walter Prenner (W. P.) und Verena Rauch (V. R.) V. R.: „Das Gebäude fungiert als Vermittler oder als architektonischer Botschafter für den Park, die Passanten werden aufmerksam auf das, was hier stattfindet. Der Zaun, der das Grundstück umgab, wurde auf Drängen der Studenten entfernt, damit der Ort sich insgesamt zum Park hin öffnet. Jetzt fließt der Park zum Gebäude hin. Das Gebäude selbst hat auch eine Art ‚Landschaft‘ um sich, die in die Parklandschaft nahtlos übergeht. Auf Geheiß der Studenten hat die Stadt ebenfalls die Beleuchtung verstärkt, um den Ort abends heller und dadurch auch sicherer und sichtbarer zu machen.“ W. P.: „Es war ein soziales Experiment, das Gebäude in diesen Park mit diesem diffizilen Beigeschmack zu setzen, denn Gebäude wie diese können einen Ort verändern. Das ist eine Frage der Überzeugung. Und es ist ein soziales Experiment auch in der Hinsicht, dass es mit Studenten der Universität erarbeitet wurde. Es wurde bis nach Semesterende gebaut, auch an den Wochenenden. Fünf, zuweilen sechs Gruppen sind zusammengestellt worden, eine Zimmermannsgruppe, die Außenraumgruppe, eine Fassadengruppe, die Foliengruppe, die Möbelgruppe und die, die mit Elektrikern und Installateuren zusammengearbeitet hat.“ V. R.: „Selbst das Glas musste in Eigenverantwortung vermessen werden. Das war ein heikler Prozess bei Scheiben, die teilweise vier Meter hoch sind und schräg, ohne rechte Winkel – das sind sogenannte


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Modellgläser. Im Falle eines Verschnitts sind sie nicht durch Maßware zu ersetzen. Jedes Brett musste individuell zugeschnitten werden, sowohl für die Wände, als auch für den Boden und für die Möbel. Alles war Maßarbeit.“ W. P.: „Und genau da war der sogenannte Lerneffekt für die Studierenden am größten, weil sie ganz praktisch verstanden haben, was es bedeutet, etwas Derartiges zu bauen, ohne Kompromisse zu machen oder einzuknicken.“ V. R.: „Die Hoffnung liegt darin, dass sie für ihr künftiges Leben eine Ahnung mitbekommen haben und dass diese in ihre Arbeit mit einfließen wird. Die architektonische Gestalt, die hier entstanden ist, besitzt einen spezifischen Charakter. Wenn man einen Architekten hineinführen und ihn auffordern würde, den Grundriss zu zeichnen, hätte er Schwierigkeiten. Das Raumkontinuum besteht aus unterschiedlichen Höhen, die allein im phantastischen Deckenspiel Form angenommen haben, in Ein- und Ausgängen, Innen- und Außenräumen, Schrägen, Spiegelungen und Transparenzen. Es sind Raumsequenzen, bei denen man Zeit braucht, um zu verstehen, wo sich welche Linien schneiden.“ Kinder stehen in gewisser Weise für Chaos, nicht durchgegliederte, durchkonstruierte Umwelt. Es gibt noch keine Kontinuität im Empfinden von Form, sie wird Moment für Moment erfunden, infrage gestellt, verworfen, spielend neu erfunden. Es gibt nur die Urteilskraft von Moment zu Moment, meist gespeist durch Empfindung oder Reize. Der Raum an sich. Ein Raum, der der Kunst zugedacht ist, sollte die Qualität besitzen, durch Geruch, Farbe, Temperatur, Struktur an und durch sich bereits Reizgeber zu sein. Wie Kinder irrlichtern, scheint dieser Raum zu irrlichtern. Kann also Kreativität auch in / aus der „Kiste“ entstehen? Kann man nicht auch eine bestehende Wohnung herrichten als Stätte der Kreativität? W. P.: „Architektur soll eine gewisse Zeichenhaftigkeit besitzen, es sollte ja ein besonderer Ort werden. Der Raum wirkt sich immer auf die Entwicklung aus. Das hier ist Gebrauchsarchitektur, es kann und soll Katalysator sein, der viele Dinge zulässt, u. a. durch die Menschen, die es benutzen. Lässt das Gebäude das Zusammenspiel zu oder nicht? Daran misst sich der Anspruch.“ In zehn Jahren sieht das Haus ganz anders aus. Das Haus wird gezeichnet sein, Spuren werden hinterlassen worden sein, durch eingeschlagene Nägel, Farbe, Ritzungen, Schnitte, Tritte, Kleister, es wird selber zum

Kunstobjekt werden, Wesenhaftigkeit erlangen durch die Wesen, die es belebt haben und ihre Spuren hinterlassen durften. Entgegen der Tendenz, Spuren zu verwischen. Der Charakter wird einem ständigen Wechsel unterliegen. Auch durch Vegetation und Witterung. V. R.: „Die Studenten identifizieren sich mit ihrem Bau. Sie kommen regelmäßig vorbei um zu schauen, was ‚ihr Haus‘ macht, bekommen seine Veränderungen mit.“ Wie bei Kindern. Was ist eigentlich aus Franz geworden? Wie bei einem Garten. Trägt der Baum schon Früchte? PRAXIS Löcher in die Luft starren. Gute Langeweile. Muße haben. Glotz, Holz, Holzen, Hotzenplotz. Hineinschauen in den Raum, der das Kind umgibt. Es sitzt vor dem leeren Papier. In den Himmel schauen. Durch Baumfluchten gleiten mit dem Blick. Aufs Holz glotzen, das umgibt. Zum Beispiel. Das gelebte Leben der Bäume. Spuren in Form, Farbe, Geruch. Die Unterschiedlichkeit der Astlöcher. Ihre Ellipsen erinnern an eine Kniescheibe, an ein Elefantenauge, dann an überreifes Obst, dann an ein weibliches Geschlecht und an das abgeschnittene Ohr Vincent van Goghs. Das Kind malt ein Ohr in Gedanken. Die Kapillare, die sichtbaren Adern, die jetzt Raum und Schutz bieten, wirken einladend, nicht abstoßend. Die Streifen der Maserung ein möglicher erster Pinselstrich. Maserung kann man auch Textur oder Zeichnung nennen. Das Blatt ist nicht mehr leer. Fladern ist nichts anderes. Das Holz wird mit Strich und Farbe in seiner Struktur imitiert. Die Fladerung wird auch Blume genannt. Das Kind malt eine Blume. Holz, Material, das bearbeitet werden will, vom Wald, zur Idee, zum Bau, zur Obhut. Es atmet, es bewegt sich minimal, es schwitzt. Genau wie die in ihm sich bewegenden Körper der Kinder. Das Kind schaut weiter. Es schließt die Augen, riecht das Holz und glaubt sich im Rumpf eines Schiffes oder allein in einem Bootsschuppen, der Umkleidekabine einer Badeanstalt, bei Regen in einer Bushaltestelle wartend, der Werkstatt der Großeltern oder im alten Baumhaus, das längst abgerissen wurde, oder mitten im Wald. Das ist keine vertane Zeit. Das ist Traum. Das Auge darf schweifen von Jahresring zu Jahresring, Fläche zu Fläche, Sichtflucht zu Sichtflucht. Es gibt keine Begrenzung. Wo ist das Holz gewachsen, auf welchem Berg, an welchem Hang, wer hat es geschlagen, war es bei Mondschein, hat der Sägewerker auch Kinder? Ich werde älter wer-


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den und das Holz wird verwittern. Das Holz bietet Schutz, den Tieren und Wanderern, es hält den Boden zusammen, schützt vor Muren, Lawinen, Steinschlag und vielleicht vor Drogen. Es riecht ein bisschen nach Turnhalle und Käsefüßen. Wenn es wieder Sommer wird und das Holz sich erwärmt, wird es nach Harz riechen, denkt das Kind vor seinem Blatt, der Pinsel ist ihm aus der Hand gefallen. Und das riecht dann nach Weihrauch, wie in der Kirche. Das Harz dient eigentlich dem Verschließen der Wunden der Bäume. Muss es erst wehtun, damit etwas entsteht? Durch Anzapfen rinnt das Harz aus dem Baum. Die Rinne sieht spiralförmig, schneckenförmig aus und erinnert an die Struktur des Turms zu Babel, bevor er zusammenstürzte. Auch Babel war eine Chance. Und hier? Kunstjunkies? Pinsel statt Spritze, Zirkel statt Nadel, Pigmente statt Kokain? DER MOTOR Monika Abendstein: „Der freie Zugang und die direkte Umsetzung haben etwas Menschliches und unterliegen nicht der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen. Die Künstler, die bei bilding arbeiten, tun das, weil es sie interessiert, wie ein junger, unbedarfter Mensch – ein noch offener Geist – die Dinge sieht und was für Zugänge das erlaubt.“ Ist es, dass man als bereits etablierter Künstler immer wieder diesen Punkt der Unschuld, der Unvoreingenommenheit, des Spontanen, Anarchischen, des Anachronistischen, der Naivität im Alltag mühsam suchen muss? Den bewertungsfreien Zugang zum Werk, die unmittelbare Intuition zum Entstehen. Alles vergessen an Wissen, Praktiken, Historie, alle bereits durchlaufenen Deklinationen der Kunst und des Selbst. Eigentlich eine Tankstelle. 2 + 2 = grün. „Wir hatten die Idee, einen Freiraum zu schaffen, in dem man sich ohne Zwang, aus freien Stücken und ohne Ziel im Sinne von Leistung oder Kompetenz entdecken kann. Das Tun der Kinder ist absichtslos, ihr Handeln hat keinen Zweck. Unser langfristiges Ziel ist es: Kein Programm zu haben, aber Raum. Das Programmdenken weckt Erwartungshaltungen, die den weiten Bereich des Möglichen einschränken. Wichtig ist, dass man Zeit hat. Und die kommenden zehn Jahre werden spannend, weil man sehen wird, ob die Beschäftigung mit Kunst und Architektur die Lebenseinstellung beeinflussen oder verändern wird und wenn ja, in welchem Maße.“

Wird das Gemüt verändert, gar erweitert? Kann man Dinge anders wahrnehmen danach? Es wird in ihnen als Erfahrungen weiter existieren. Als Schläfer? Sie sind und bleiben Teil der Gesellschaft und ihre Erfahrungen fließen durch sie in die Gesellschaft ein. Die Lunte ist lang. Die Kenntnis von sich selbst. Wird man auf diese Weise nicht so leicht aus der Bahn geworfen? Man fällt nicht so leicht aus sich selbst oder aus der Welt. Gewisse Dinge sind ein Bestandteil von mir als Mensch. Und die kann mir keiner nehmen. Das gibt Sicherheit. Diese Entdeckung reicht bereits. „Auch die Kinder sind irritiert, dass es bei uns nichts kostet, sie fragen: Wer zahlt das? Sie begreifen das aber relativ schnell: Du kannst dich hier als Kind denken – es ist eine Anstrengung anderer nur für mich! Es ist eine Wertschätzung für den anderen. Irgendwann verstehen das die Kinder und mit den Kindern irgendwann die Eltern. Eltern sind sonst gewohnt zu glauben, sie könnten mit ihrem Beitrag eine gewisse Leistung einfordern. Wenn man kein Geld nimmt, ist man wesentlich freier in dem, was man macht. ‚Das steckt man rein, das bekommt man raus‘ – dieses Prinzip wird bei uns außer Kraft gesetzt.“ Der Raum wirkt an diesem „Schnuppertag“ wie ein großer Klangkörper. Das Holz schwingt. Draußen am Weiher kontrollieren gerade zwei Polizisten die Papiere zweier Männer; sie telefonieren, die Männer ziehen ab. „Rücksichtnahme, Ruhe und Konzentration und eine gewisse Disziplin sind ein Grundprinzip in unserer Arbeit. Der Begriff ‚Schule‘ ist nicht nur negativ zu bewerten, denn Schule heißt auch Lernen. Ein geschützter Raum, der Bestand hat und eine ihm innewohnende Ernsthaftigkeit dessen, was man in ihm tut. Aber ob ‚Werkstatt‘ oder ‚Schule‘ – den Kindern ist es sowieso vollkommen egal, wie man das nennt.“ Die Polizisten sind fort, die Männer sind wieder da und setzen sich erneut an das Ufer des Weihers. „Wer hat das geschrieben? Peter Handke, glaube ich: ‚Nur Schauen ist Denken‘. Das Beobachten führt zur Erkenntnis. Ein guter Freund von mir hat gesagt: Was ist der Sinn des Lebens? Der Sinn des Lebens ist, zu verstehen und verstanden zu werden. Ich denke: Ab und zu braucht man, um verstanden zu werden, die Gestaltung des Gedankens. Das braucht man. Und Zeit. Wie ich mir wünsche, dass mir einmal langweilig wäre! Wenn das Ganze hier einmal läuft und auf sicheren Beinen steht, habe ich die Hoffnung, dass ich mich einmal wieder lang-weilig fühlen kann.“


Die Stunde fĂźr die Liebe 58 / 59


Brenner-Gespräch (13): Sekretär der Sprache

So viele Leute fahren über die Alpen nach Italien. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 13: der Dichter und Verleger Michael Krüger im Gespräch mit der Lektorin Dorothea Zanon über Poesie ohne Intention, die Lektüre von Gedichten als zivilisierendem Prozess und darüber, wie er einmal Picasso fast begegnet wäre.

Dorothea Zanon: Ich beginne mit einem Zitat, das von einer deiner Figuren stammt, von Leo Himmelfarb aus dem gleichnamigen Roman „Himmelfarb“: Er sagt, es habe ihm immer eine Stunde am Tag gefehlt. Diese Aussage beanspruchst du gern auch für dich selber. Der Rest der Welt um dich herum hingegen, der deine Laufbahn und dein immenses Arbeitspensum kennt, ist sich sicher, dass Michael Krügers Tage zumindest ein paar Stunden mehr haben als die Tage aller anderen. Wie geht das zusammen? Michael Krüger: Ich glaube, das ist eine prinzipielle Haltung zur Welt. Der eine ist zufrieden, wenn er den Tag rumgebracht und sich um alle Fettnäpfchen herum bewegt hat ohne reinzutreten. Und der andere hat immer das Gefühl, dass ihm eine Stunde fehlt. So war’s bei mir. Ich hab, soweit ich mich erinnern kann, mein ganzes Leben lang wahnsinnig viel gearbeitet, und trotzdem haben mir immer Stunden gefehlt: eine Stunde für das Nichtstun, eine Stunde für die Liebe, eine Stunde für die Lektüre … D. Z.: Du hast deine Stunden also mit Arbeit gefüllt, hast über 25 Jahre lang sehr erfolgreich die Carl Hanser Literaturverlage geleitet. Parallel dazu hast du immer auch geschrieben, mehrere Romane, mehrere Gedichtbände, ganz abgesehen von zahllosen Vor- und Nachworten, Beiträgen für Zeitungen – wie hat diese Parallelführung, Verleger und Autor gleichzeitig zu sein, konkret ausgesehen? M. K.: Ich habe den Verlag, die Verlage, immer als eine Art von Akademie aufgefasst. D. h. jedes Buch, das verlegt wurde, sollte mir etwas beibringen. Ich hasse Bücher, die etwas so wiederholen, wie ich es schon

hundertmal gelesen habe, und ich halte es für eine entsetzliche Zeitverschwendung, wenn man zu viele Romane liest, die einen eigentlich kaltlassen. Es gibt ein berühmtes Wort von Walter Benjamin, anlässlich der Rezension von Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Der moderne Roman, sagt er, hat unsere Seelen verwüstet. Statt selber bestimmte Erfahrungen zu machen, lassen wir uns von modernen Romanen erzählen, was wir über uns und über die Welt wissen sollen. Ich habe immer sehr früh am Morgen geschrieben. Wenn man aufwacht und zur Welt kommt, sieht man sie noch mit eigenen Augen. Von sechs bis acht Uhr, im Sommer manchmal von fünf bis acht, habe ich dann meine Sachen geschrieben, ganz egal, ob das eine Rede zur Pensionierung eines Mitarbeiters war, ein Gedicht oder ein Roman. Oder auch nichts. Das Nicht-Schreiben ist ja die Bedingung für Schreiben. D. Z.: Du hast in diesen beschränkten Stunden viele wunderbare Bücher geschrieben. Was für ein Werk wäre es geworden, wenn du dich vor 30 Jahren dazu entschieden hättest, hauptberuflich Autor zu werden? M. K.: Das ist eine Frage, die ich mir natürlich oft gestellt habe. Ich bin wahrscheinlich aus einer kleinbürgerlichen Angst heraus nicht einfach Autor geworden, habe es mir nicht zugetraut, das Leben eines freien Schriftstellers zu führen. Stattdessen war ich immer auf der Suche nach Rationalisierungen, warum ich das andere gewählt habe. Und die Rationalisierung lautet: In einem Verlag zu arbeiten, ist eine sehr ehrenvolle, kulturell bedeutsame, institutionell wunderbare Angelegenheit. Zudem komme ich ja auch aus einer Bauernfamilie, und da hieß es, man muss den Garten bestellen, man muss selber mit Hand anlegen, und mir kam das


Das anthropologische Ereignis 60 / 61


„Nur“-Schreiben eben manchmal auch so vor, als sei es etwas, das mit Arbeit nichts zu tun hat. D. Z.: Man kennt dich heute als Apologet der Lyrik, als Verteidiger des Poetischen – dafür nutzt du alle Kanäle, um so viele Lesende wie möglich für die Lektüre von Gedichten zu erwärmen. Du hast an einer Stelle sogar einmal vorgeschlagen, man sollte die Sitzungen im Bundestag mit dem Vortrag eines Gedichts beginnen. Nicht zuletzt bist du selbst Autor von vielen Gedichtbänden, die auch schon in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. In welcher Stimmung schreibst du Gedichte? M. K.: Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, Gedichte zu schreiben. Die eine ist, dass man sich als Dichter fühlt und unbedingt Gedichte verfassen will. Man versucht sich in eine bestimmte Stimmung zu versetzen, um eine ganz bestimmte Ausdrucksweise für die Dinge zu finden. Das sind meistens Gedichte, die man zur Kenntnis nehmen kann, die einen aber nicht besonders interessieren. Dann gibt es die Dichter, die Gottfried Benn gefolgt sind: Ein Gedicht wird gemacht. Die setzen sich morgens hin und sagen, bis abends muss ich ein Gedicht geschafft haben – geschaffen und geschafft –, denn in anderthalb Jahren muss ein neuer Band raus. Das sind Menschen, die davon leben. Sie müssen dauernd produzieren, sonst verlieren sie den Kontakt zu ihrem eigenen Selbst. Mich interessieren ganz andere Gedichte. Mich interessiert eine Poesie, in der die vielfältigsten Echos von der Welt, von der Geschichte, von der Wahrnehmung der Welt vorkommen, aber ohne Intention. Ich meine damit: das Gedicht als „anthropologisches Ereignis“, wie es Peter von Matt genannt hat, nicht als eine Herstellung von Text. Wir leben in einer Welt, in der alles hergestellt werden kann. Man analysiert die Dinge so lange, bis man die einzelnen Teile voneinander unterscheiden kann. Aber was ist damit gewonnen? Mich interessiert, ob das entstandene Gedicht tatsächlich sowohl seine Wurzeln hat, die bis in die Frühe gehen, als auch oben Zweige trägt, die länger im Wind sich bewegen, als man selber auf der Welt ist. Von diesen Gedichten gibt’s gar nicht so viele, aber das sind die, die einem auch das ganze Leben lang

bleiben. Das gute Gedicht, und das ist sein Geheimnis, das nicht zu lösen ist, das gute Gedicht lässt sich nicht herstellen. Das beste Beispiel ist Rilke, der lange, lange Monate der Verzweiflung hinter sich hatte, weil ihm nichts mehr einfallen wollte, weil er nichts mehr schreiben konnte. Und dann hat er innerhalb von 14 Tagen die Sonette an Orpheus geschrieben – aus sich herausgeschrieben, als hätte sie ihm jemand diktiert, wie er selber vermutete. D. Z.: In welcher Stimmung liest du Gedichte? M. K.: Ich lese Gedichte immer. Ich halte die Lektüre von Gedichten eigentlich für eine unverzichtbare Tätigkeit für jeden zivilisierten Menschen. Dass wir in dieser Welt darauf verzichten, oder glauben, darauf verzichten zu können, zeigt nur, wie sehr wir uns von allen Ursprüngen entfernt haben. Wir sind nicht mehr in der Lage, Gedichte als etwas Schönes zu empfinden. Das Schöne entsteht, um dem Tod etwas entgegenzusetzen. Und da wir alle nach wie vor mit dem Tod zu rechnen haben, ist also das Schöne der Versuch, ihm etwas zu entreißen. Und das gilt für jeden von uns. Deshalb habe ich damals – das ging auf eine Anregung von Joseph Brodsky zurück, einem russischen Dichter, der in New York lebte – gesagt: Stell dir vor, man würde in allen Institutionen, und wenn es die Alpe Adria ist, morgens, bevor man anfängt, sich übers Ohr zu hauen, ein Gedicht von Ingeborg Bachmann lesen, oder von Paul Celan. Dann wären diese Gangster doch nicht in der Lage, so schnell sich über Recht und Ordnung hinwegzusetzen. Ich glaube, Gedichte lesen ist ein zivilisierender Prozess. Aber da wir uns alle unzivilisiert benehmen – das ist die Moderne –, können viele Leute auf Gedichte verzichten. Das ist schade. D. Z.: Was hat dich an den Autorinnen und Autoren, die du verlegt hast, am stärksten interessiert? M. K.: Ich wollte immer verstehen, warum Autoren schreiben, was sie schreiben. Den Antrieb, das Movens verstehen. Als Verleger wollte ich nicht einfach ein Buch einkaufen, wie das heute nicht nur in Amerika üblich ist. Dort sagt man: Ich brauche noch zehn


Der Programmschriftsteller 62 / 63


Liebesromane, drei politische Romane und fünf Kriminalromane. Können Sie mir ein Angebot machen? Da will man die Autoren um Gottes willen bitte nicht kennenlernen. Aber so, wie ich meinen Beruf verstanden habe, gehörte es dazu, herauszufinden: Warum schreibt der ausgerechnet das? Was treibt den, das so und nicht anders zu sehen? Ob das nun ein philosophischer Kopf war, ein historischer, ein politischer oder ein literarischer. Ich habe gerne Bücher verkauft. Aber noch lieber war es mir, ihr Betriebsgeheimnis zu durchschauen. Und dafür musste man die Leute natürlich kennen, wobei das wiederum eine Zeitfrage war. D. Z.: Was ist dein Movens? M. K.: Beim Prosaschreiben ist es so, dass ich mich – es gelingt nicht immer – doch noch einmal den Sätzen überlassen möchte. Dem überlassen möchte, was mir die Wörter zu sagen haben. Ich bin sozusagen nur der Sekretär der Sprache. Aber bei den Gedichten, und es sind ja mittlerweile mehr als zehn Bände, war es doch immer der Versuch herauszufinden, wie und warum jemand wie ich so und nicht anders auf die Welt reagiert. Warum interessiere ich mich dafür, wie eine Kirche riecht oder wie ein Garten funktioniert, warum ist für mich die Enstehung, die Wirkung, ja, die „Farbe“ des Windes interessanter als die Erfindung eines Computers. Warum sind technische Details für mich nicht so wichtig wie eine Naturbeobachtung, usw. Das sind ja hunderttausend Winzigkeiten. Aber wenn man dann alle zusammenliest, sieht man plötzlich, dass das Schreiben eine Perspektive hat, die sich natürlich im Laufe des Lebens verändert und entwickelt. Aber die Generallinie setzt sich durch. Und das ist bei mir der Versuch, die Frage zu beantworten, was ich auf dieser Welt eigentlich zu suchen habe. D. Z.: Du meinst, die Frage selber ist Teil des Gedichts bzw. des Textes? M. K.: Ja. Man sollte immer sehr hoch greifen – der Absturz kommt sowieso. Aber ich war nie jemand, der gesagt hat, ich schreibe jetzt einen Roman über die moderne Ehe, oder darüber, wie sich die Liebesver-

hältnisse geändert haben, oder was in einem Transsexuellen vorgeht. Programmschriftsteller waren mir immer verdächtig, deren Herangehensweise war mir immer vollkommen fremd. Ich bin eher auf der Seite der Dichter als auf der Seite dieser Prosaschreiber, die das ultimative Buch über dies und jenes planen und dann ein Exposé verfassen, wo genau drinsteht, was zu erwarten ist. Ich glaube da überhaupt nicht dran. Und Autoren, denen das Schreiben kein Problem ist, ist natürlich auch nicht zu trauen. D. Z.: Wir führen dieses Gespräch für Quart, ein Heft, das ebenso wie du der Bildenden Kunst sehr verbunden ist. Manchmal wirkt es so, als würde dir die Bildende Kunst mehr am Herzen liegen als die Literatur. Welche Kunstform kommt der jeweiligen Gegenwart am nächsten – das Schreiben oder die Malerei? M. K.: Retrospektiv hat natürlich die Malerei gewonnen. Zur Zeit der ganz frühen Malerei gab es keine Literatur, zumindest nur wenig, und vor allem nicht in der deutschen Sprache. Wir lesen Dante und wir lesen Petrarca oder Boccaccio, und wir wissen, dass das die Anfänge der modernen Literatur sind. Aber gleichzeitig wissen wir, dass zu dieser Zeit 300, 400 Maler und Bildhauer tätig waren, die die theoretischen und praktischen Anleitungen zum Leben unendlich subtil in große Kunstwerke übersetzt haben. Ob das heute auch noch der Fall ist, ist eine andere Frage. Seit Kunst partout nicht mehr „Kunst“ sein will, ist die Lage kritisch geworden. Von welchem Künstler nach Duchamp kann man sagen, er hat mein Leben verändert? An einem Maler wie beispielsweise Picasso kann man das verdeutlichen. Der hat an einem Tag manchmal drei, vier Bilder gemalt, dann zwischendurch eine kleine Plastik gemacht und noch eine Lithographie, und irgendjemand hat ihm einen Stein hingelegt, da hat er auch noch eine Sonne raufgemalt, einen Stierkampf oder sonst was, dazu noch Zeichnungen etc. Er hat ununterbrochen produziert. Aber die Produktion von Kunst ist natürlich noch keine Kunst. Einmal wäre ich Picasso fast begegnet, ein Kapitel, das zu den Fast-Begegnungen gehört, die ja im Leben oft entscheidender sind als die wirklichen Begegnungen.


Das Trotzdem 64 / 65


Wir waren auf Urlaub in Südfrankreich, Herbert Marcuse, Reinhard Lettau und ich. In der Zeitung Nice Matin gab’s eine Rubrik, wer an Prominenz gerade eingetroffen war. Da wurde mitgeteilt, dass eben der Philosoph Marcuse angekommen sei, in Cabris, einem kleinen Dorf oberhalb von Grasse. Wir wurden natürlich nicht erwähnt, da uns keiner kannte. Jedenfalls las Picasso offensichtlich diese Kolumne und hat ein Telegramm geschickt an Marcuse, wir möchten ihn doch bitte in Vallauris besuchen. Und der große Philosoph Marcuse – damals so berühmt, wie man es sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, Spiegel-Titel, auf der ganzen Welt gelesen, der gefragteste Redner und Diskutant – war so voller Scham, Picasso zu besuchen. Mit meinen theoretischen Büchern kann ich doch nicht einem großen Künstler wie Picasso gegenübertreten, war seine Meinung. Und wir, Lettau und ich, haben mit ihm zwei Tage lang darüber diskutiert, was wertvoller ist – in jenem historischen Moment, das muss man vor allem bedenken, denn zu dieser Zeit war Marcuse für sehr viele Menschen eben wichtiger als ein Maler, der konnte noch so berühmt sein. Damals dachte man, Marcuse bringt die Zeit auf den Punkt, den Weltgeist, er bringt den Weltgeist zu sich selber in seiner Theorie. Eine Zeichnung von Picasso hingegen ist die tausendste Zeichnung einer erotischen Obsession. Aber Marcuse war genau gegenteiliger Ansicht und sagte: Alles, was ich gemacht habe, ist ja doch nur eine Fußnote zu den Zeichnungen und Bildern von Picasso. Nach zwei Tagen angestrengter theoretischer, ästhetischer Diskussion wurde Picasso ein Telegramm geschickt: Wir müssen leider wieder abreisen.

transzendierte Wirklichkeit muss weiterbestehen, trotz oder wegen des Elends. Und dieses Insistieren auf der Kunst – das ist an Picasso zu bewundern. Die Theorien über Kunst und Gesellschaft kommen und gehen, aber seine Kunst bleibt bestehen. Und was Marcuses Entscheidung betrifft, ganz ehrlich: Wir haben natürlich gedacht, dass Picasso jedem von uns ein Bild zum Abschied schenkt und wir dann endlich Besitzer eines Originals von Picasso gewesen wären … D. Z.: Eine Bedingung also, unter der Picasso damals gemalt hat, ist die Bedingung des Trotzdem. Wie lautet die Bedingung, unter der man heute Kunst macht, unter der heutige Autoren schreiben? M. K.: Jeder Autor, der heute schreibt, muss damit rechnen, dass in dieser Welt sich kein Mensch für ihn interessiert. Das ist so. Wenn er aber in diesem Bewusstsein schreiben würde, würde er sofort den Griffel fallen lassen. Er muss die Tatsache also während des Schreibens verdrängen. Aber er muss damit rechnen. Er muss damit rechnen, dass vielleicht 2000 Leute das Buch kaufen, dass es in irgendwelchen Bibliotheken verstaubt, dass nach einem halben Jahr kein Mensch mehr darüber redet. Das ist die Bedingung, unter der man heute schreibt. Und gleichzeitig gibt es dieses Dennoch. Das ist das epikureische Projekt der Dankbarkeit gegenüber dem, was schon da ist, und der Hoffnung, dass man dem, was da ist, noch etwas hinzufügen kann. D. Z.: Und auch du folgst beständig dieser Formel, wie es aussieht. Was ist als Nächstes geplant?

D. Z.: Unglaublich. War es die richtige Entscheidung? M. K.: Es ist vielleicht albern, das zu sagen, aber ich sag’s trotzdem: Ein solch merkwürdiger Künstler wie Picasso stößt einen ab in seiner unendlichen Produktivität, in seinem Verschleiß von der Welt, und gleichzeitig ist er unendlich anziehend, weil er das Elend der Welt wirklich erfahren hat: Erster Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg, Emigration – das ganze Elend. Und trotzdem hat er darauf beharrt, dass man weiter malen muss. Die Kunst als Abstraktion, als

M. K.: Wenn man so alt ist wie ich, soll man nicht zu viel planen. Das wäre Größenwahn. Man soll die Worte einladen, sich noch einmal einzufinden, um mit ihnen ein Gespräch zu führen. Da ich ja nun mal die Schrift dazu benutze, um mich irgendwie zu orientieren, werde ich sicher weiterhin schreiben. Aber was daraus wird, das weiß ich nicht.


Hörvorschlag

Nick Drake »Five Leaves Left« 66 / 67


Verwurzelung

Florian Raditsch – in Kalifornien geboren und aufgewachsen und seit wenigen Jahren in Wien lebend – hat im Auftrag von Quart Tirol bereist und dabei zwei Bäume bei Meran sowie ein Kruzifix im Obernberger Tal gezeichnet. Marianne Oberladstätter schreibt über die Arbeit des Zeichners:

„Florian Raditsch stellt sich in seinen Arbeiten der Herausforderung, dem dreidimensionalen Körper Leben einzuhauchen. Seine Darstellungen faszinieren durch die Nähe zur Wirklichkeit. Die künstlerische Intention endet aber nicht in der Fähigkeit, das Motiv abzuschreiben und es fotorealistisch festzuhalten, sondern führt über die reine Form hinaus, in die Beseelung des Sujets. Raditsch will in seiner Kunst sensibilisieren und translozieren. Im virtuos geformten Liniengeflecht zeigt sich die Idee einer anima movens, einer bewegten Seele. Je näher der Mensch der Natur ist, desto intensiver wird die Bindung. Aus ihr strömt etwas, das wir nicht sehen, sehr wohl aber fühlen. Etwas, das uns Kraft gibt und das uns mit ihr verwurzeln lässt. Eben diese Verwurzelung mit der Natur, respektive der Landschaft ist es, die Raditsch sucht und fängt und die all seinen Arbeiten werkimmanent ist. In den Bergen und der Landschaft Tirols fühlt Raditsch eine starke Parallele zu Kalifornien. Nicht nur deswegen, weil ihn die Alpen an die imposante Gebirgswelt der Sierra Nevada erinnern. Er ist in einer österrei-

chischen Familie aufgewachsen und lernte sehr früh – fernab des Landes, in Amerika – die österreichische Kultur und Tradition kennen. Raditsch leistet mit seinen Arbeiten einen Beitrag zur Wiederentdeckung unserer Bindungs-Verpflichtung zu Natur und Landschaft, in die wir geboren wurden. Sein Werk ist aber auch ein Ansporn zur Wiederbelebung von Kultur und Tradition. Das Gewachsene, das Ureigene, das Regionale ist das große Thema. Die tiefe Verwurzelung! Seine Bilder gleichen einem Wachrütteln zur Besinnung auf die eigene Herkunft und Zugehörigkeit, die wir als mondän Entwurzelte gar nicht mehr in uns tragen.“ S. 68–69: Zeit I (Meran), 2015, 55 × 77 cm, Kohle auf braunem Marpa Papier S. 70–71: Zeit II (Meran), 2015, 55 × 77 cm, Kohle auf braunem Marpa Papier S. 72–73: Obernberg, 2015, 55 × 77 cm, Kohle auf braunem Marpa Papier








»Der Herr der Worte« 74 / 75


Blumentöpfe sind nicht rückgängig zu machen

Der Schriftsteller Rudolf Borchardt landete in den Kriegswirren des Herbstes 1944 mit seiner Familie in einem Hotel in Trins, wo er nach wenigen Wochen starb und dort auch begraben liegt. Unfreiwillig verpflanzt in eine Landschaft, die ihm nicht behagte („unerträglicher Anblick von Bergen“), pries er den Garten als Menschheitsleistung, der ohne Wanderschaft, ohne kulturellen Austausch nicht denkbar wäre: „Es muß zugewandert werden wie von je.“ Von Iris Kathan

August 1944. Villa Poggio al Debbio, San Michele di Moriano nahe Lucca. Hier hat die Familie Borchardt, Rudolf und Marie Luise, die Söhne Kaspar (23), Johann Gottfried (17), Christoph Cornelius (16), bei der befreundeten Familie Castoldi seit Mai 1944 mit ihrem gesamten Hausrat Unterschlupf gefunden. Die Stimmung ist angespannt. Borchardt verachtet die Hausherrin Estella Castoldi, die lange Zeit mit dem Nazi-Regime sympathisiert. Fühlt sich unter Fremden, unverbunden, mühsam aufrecht erhaltene Höflichkeit. Man ist aber aufeinander angewiesen, versucht sich miteinander zu arrangieren. Rom ist seit Anfang Juni von Alliierten besetzt. Die Landung in der Normandie erfolgt. Alles harrt der Befreiung durch die Alliierten. Gleichzeitig: sich zurückziehende deutsche Truppen, Spuren der Verwüstung hinterlassend, Vernichtungswille, Partisanenerschießungen, Exekutionen. Am 12. August verüben Truppen der Waffen-SS das Massaker von Sant’Anna di Stazzema. 560 Tote, darunter viele Kinder. Etwa eine Woche darauf: In die Villa der Castoldis ist der Stabsarzt Dr. Schneider eingezogen, SS-Offizier, doch das weiß noch niemand. Man teilt die Mahlzeiten, redet miteinander. Borchardt übersetzt. Eines Abends kommt es zu unvorsichtigen Äußerungen gegen Wehrmacht und SS. Erstmals wird die Familie durch den Feld-Pastor gewarnt, Schneider sei Angehöriger des Sicherheitsdiensts. Schon am darauffolgenden Tag wird Borchardt vom Artillerie-Hauptmann dazu aufgefordert, sich und die Familie für den nächsten Morgen zur Abfahrt bereitzuhalten: Rückführungstransport „heim ins Reich“. Zu diesem Zeitpunkt stehen die alliierten Truppen kurz davor, Lucca ein-

zunehmen, sind nur mehr wenige Kilometer entfernt, man rechnet jeden Tag mit ihrer Ankunft. Verzweifelter Fluchtversuch. Nur für kurze Zeit gelingt es der Familie, die auf diese Situation nicht vorbereitet ist, im Umland unterzutauchen. Überall deutsche Soldaten, man fahndet nach den Borchardts, die bald aufgegriffen und festgenommen werden. Rudolf Borchardt ist eine schillernde, schwer fassbare Figur. Viele Bilder, Etiketten auch. Ostpreußischer Jude, der vor allem deutsch sein wollte, ein Einzelgänger, Solitär, ein Dandy, exaltiert und inszenierungswütig, ein Hochstapler, aber auch poeta doctus, Übersetzer und Vermittler, konservativ und antimodernistisch eingestellt, mit Dünkel, elitär. Im Zug zwischen Moskau und Königsberg zur Welt gebracht worden, dauernd wechselnde Wohnorte, ein Heimatloser. Ab 1903 lebt er mit Unterbrechungen vor allem in Italien. Aus der frei gewählten Emigration wird mit der Machtergreifung Hitlers erzwungenes Exil, hier lebt er, wie er mehrmals schreibt, als „politisch Selbstverbannter“, in einer Art Paralleluniversum, weitgehend unberührt von Zugriffen des NS-Staates. Weil er im Reichsgebiet nicht veröffentlichen kann, sind die Borchardts auf zahlende Sommergäste angewiesen. Der Autor zeigt sich in der Rolle des zurückgezogen lebenden Gelehrten, betreibt vor allem philologische und kulturhistorische Studien, verschwindet, wie er selbst schreibt, „in der Hülle eines weltfremden Gelehrten irgendwo in der Toskana zwischen Bach und Hügel“ und das ist keine „Spielerei“, ist „grimmiger Ernst“. Gänzlich unpolitisch ist Borchardt nicht. 1935 entstehen als Reaktion auf die Nürnberger Rassengesetze seine erst postum


»Das Buch Joram« 76 / 77


erschienenen Jamben, darin wirft er dem Regime entgegen: „Dies ist schlechterdings / Dreck. Trockener, angemachter, aufgeweichter Dreck, / Zerfallener Dreck, gepreßter Dreck, / Gedruckter, Scheißdreck, dreckige / Visage, frech wie Straßendreck, / Dreckseelen, Selbstverdreckung, Schund und darum Dreck“. Am 2. September setzt sich die Marschkolonne, die die Familie Borchardt transportiert, in Bewegung Richtung Norden. Bewacht wird die Familie von dem aus Magdeburg stammenden Feldwebel Paul Müller, „mit einem stets von seiner Schulter hängenden, durchgeladenen MG“, wie sich Cornelius Borchardt erinnert. „Nagende Ungewissheit“, niemand weiß den eigentlichen Grund für diesen Rückführungstransport, der vordergründige, nämlich die Musterung und Rekrutierung der Söhne Borchardts, scheint unglaubwürdig, zumindest zweifelhaft. Große Angst, man befürchtet das Allerschlimmste. Cornelius Borchardt: „Was genau liegt gegen uns vor? Warum dieser zwangsweise Rücktransport unter militärischer Bewachung? Traut man uns nicht mehr, weil wir geflohen sind? Wird unser Transport im KZ enden?“ Rudolf Borchardt, offiziell Auslandsdeutscher mit (1942 abgelaufenem) Reisepass ohne Vermerk zu seinen jüdischen Wurzeln, die er zeitlebens zu bemänteln sucht, ist von der Verfolgung und systematischen Ermordung der Juden familiengeschichtlich unmittelbar betroffen: Borchardts Mutter nimmt sich im März 1943 89-jährig das Leben, um einer bevorstehenden Deportation nach Theresienstadt zu entgehen. In Theresienstadt stirbt im Januar 1944 Borchardts erste Frau, die Malerin Karoline Borchardt geb. Ehrmann, hierher gerät auch Borchardts Schwester Helene noch 1945. Andere Geschwister entkommen nur knapp, leben im Exil. Borchardts Eltern sind in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Christentum konvertiert, nach den Kriterien nationalsozialistischer Rassengesetzgebung ist Borchardt also „Volljude“. In Mantua, wo längerer Aufenthalt gemacht wird, versucht er Gift von einem Arzt zu bekommen. Bei dieser Gelegenheit erfährt seine Frau, dass der 67Jährige schwer krank, „ein Todeskanditat (sic!) ist“. Von Verona schließlich werden die Borchardts, bewacht von Feldwebel Müller, mit dem Zug nach Inns-

bruck gebracht, wo sie am 13. September in den frühen Morgenstunden ankommen. Hier geschieht dann das völlig Unerwartete, nämlich nichts. Bei der Gauleitung am Landhausplatz, Gauleiter Franz Hofer ist noch nicht im Amt, werden Marie Luise Borchardt ein Aufenthaltsschein, Lebensmittel- und Raucherkarten ausgehändigt. Die Familie ist frei. Die Geschichte von Borchardts Gefangennahme in quasi letzter Sekunde – „im letzten Moment musste es meine Haut streifen“, schreibt Borchardt –, der überraschenden Befreiung und schließlich seinem absurd anmutenden Tod in einem kleinen Tiroler Gebirgskaff ist voller Unbekannten und Leerstellen. Mit ihren unerwarteten Wendungen und in ihrer Tragik ist es eine Geschichte, die haften bleibt, erzählt werden will. Es verwundert nicht, dass, nach Rudolf Borchardt gefragt, nur wenige etwas zu sagen wissen, es aber doch bei vielen zumindest ein vages Bild seines tragischen Endes in Trins gibt. In Lebens-Erinnerungen, Nachrufen und Artikeln werden die letzten Lebensmonate Borchardts immer wieder neu erinnert, erzählt und je nach Perspektive und zeitlichem Kontext anders gedeutet. Früh kommt es zur Bildung von Legenden. Wohl nicht zufällig häufig erzählt wird jene Version der Geschichte, in der Feldwebel Müller den mutmaßlichen Deportationsbefehl, der das Schicksal der Familie besiegeln soll, in Innsbruck vor den Augen Marie Luise Borchardts zerreißt und, wie es in einem Nachruf von 1946 heißt, sagt: „Nun ist also alles in bester Ordnung; verstecken Sie den Mann.“ Während der doch beinahe zwei Wochen dauernden Reise durch Oberitalien nach Innsbruck sind sich Bewacher und Bewachte näher, vor allem ins Gespräch gekommen. Die Fahrer des Konvois entpuppen sich zunehmend als „Anti-Nazis“, auch Müller, „der Kettenhund“, wird mit der Zeit offener und gesprächiger. Cornelius Borchardt: „Mein Vater hat ihn bei den Mahlzeiten etwas zu uns gezogen, ihn mit Fragen nach seiner Familie und freundlichem Eingehen auf dessen Fragen gewogener gemacht, wohl auch aus seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg erzählt.“ Zwei Helden kennt diese Geschichte, die von Menschlichkeit erzählt inmitten des Grauens. Den einfachen Feldwebel, „unser Feldwebel“, wie ihn die


»Anabasis« 78 / 79


Borchardts 1984 familiär nennen, dessen Sehnen, wie es heißt, nur darum ging, „wie komm ich so schnell wie möglich nach Magdeburg“, heim also zu den Seinen. Und natürlich Borchardt selbst, Zeitzeugen nach nicht nur ein großer Redenschreiber, sondern auch begnadeter Redner, der hier mit Sprache bloß das verschlossene Gegenüber bezwingt, „die Ketten“, wie es wo heißt, in Anlehnung an ein Gedicht von Bertran de Born, „mit einem Hauche seines Geistes entzweibricht“. Borchardt selbst ist der Erste, der seine Geschichte in die Welt zu setzen gewillt ist. Kurz nach Ankunft in Innsbruck, Ende September 1944, macht sich der Autor an die Niederschrift von Anabasis. In Bezug auf Xenophons Anabasis – ein Text, den Borchardt Überlieferungen zufolge stets in seiner Jackentasche herumgetragen haben soll – will er die Geschichte seiner „zwangsweisen Verschleppung und wundersamen Befreiung“ literarisch verdichten. Nicht zuletzt ist Anabasis Höhe- und Schlusspunkt einer langen Reihe von autobiographischen Selbstsetzungen Borchardts. Der Fragment gebliebene Text beginnt mit Borchardts Auszug aus der geliebten Villa Saltocchio Ende 1942 und endet mit seiner Verhaftung im August 1944. Borchardt inszeniert dabei den Einzug in die Villa der Castoldis als fatalen Wendepunkt in der eigenen Lebensgeschichte. Der plastischen und scharfen Portraitierung der geltungshungrigen Hausherrin, der hier ein Verrat zugetraut wird, aber auch des raubtier- und wieselartigen SS-Mannes kommen viel Raum zu. Eindrücklich ist die Schilderung der „kopflosen Verwilderung“ einer „hungernden und moralisch haltlosen Armee“, deren Handlungsweisen der Autor entsetzt registriert: „Mit dem letzten rein militärischen Platzkommandanten von Lucca der sein Amt an die SS abgab, begann die absolute Plünderung, die systematische Verwüstung der Kulturlandschaft die seit dem Mittelalter keinen Feind auf ihren Boden gesehen hatte, die grässliche Menschenjagd, die auch unsere nächsten Freunde auf ihren altberühmten Villen nicht ausnahm […]“ Borchardts Entsetzen muss umso größer sein, als es „die eigenen Landsleute“ sind, die die von ihm so hoch gehaltene Kulturlandschaft sinnlos verwüsten, über das ihm so „heilige Land wälzen“, und nur mit

Grauen kann er die Vertreter „dieser so schändlichen wie unsinnigen Mord- und Selbstmordpolitik“ sich seiner Sprache bedienen hören. Was er beobachtet, muss ihm als schreckliche Karikatur dessen scheinen, was er als deutsch empfand. Borchardt, durch und durch Patriot, sich als Bürge deutscher Tradition und Kultur verstehend, sieht sein gesamtes Lebenswerk, sich selbst verlöschen. Wütend beschwört Borchardt auf den letzten Seiten des Textes die Freiheit als die ihm wichtigste und am Ende einzig bleibende Lebenskonstante: „Nie, Niemals, Nie! Solange noch ein einziger Ausweg war, ein einziges Mittel unversucht um meine Freiheit durchzusetzen, würde ich nicht mich beugen lassen. […] ich lebte in Italien fast nur, weil diese selbstbestimmte, Niemandem Rechenschaft schuldige, keine Behörde, Registrierung, Polizierung, Bevormundung kennende Landabgeschlossenheit des geschützten Fremden der einzige in Europa erhalten gebliebene Rest der alten Freiheit des Individuums war.“ In Innsbruck finden die Borchardts Unterkunft im Speckbacher Hof. Das Hotel entspricht nicht den Erwartungen der Familie. Die Betten starren vor Dreck, es wird nicht geheizt, es gibt keine Lampe zum Lesen. Durch die Vermittlung eines Bremer Freundes, den Marie Luise Borchardt zufällig auf der Straße trifft, übersiedelt die Familie ins Gschnitztal, flüchtet geradezu „in die Unwegsamkeit des Gebirges“, wie Borchardt seinem Freund Rudolf A. Schröder schreibt, „da jenes für unsere Bedürfnisse keineswegs geeignete Hotel und auch das bäurische Benehmen der Leute nicht länger zu ertragen war.“ Am 24. Oktober erreichen die Borchardts Trins, ein damals etwa 500 Seelen zählendes Haufendorf, verwinkelt und dicht verbaut, auch heute noch. Früher Wintereinbruch, es ist sehr kalt. Borchardt, der Garten- und Pflanzenliebhaber, sieht das Laub der Bäume, die herbstlichen Wiesen nur mehr für wenige Tage. Bald versinkt die Welt im Schnee, man ist abgeschnitten von der Welt, „eingeschlossen“, wie Borchardt in seinem Brief schreibt, nichts kommt mehr durch, keine Autos, keine Reisenden, Versorgungsgüter, Boten. Die alpine Landschaft, wie übrigens auch das Meer, ist nicht Borchardts Landschaft. Er mag die Berge nicht. Wo man in Trins auch hinschaut, von allen


»Der leidenschaftliche Gärtner« 80 / 81


Seiten drängen sich hier steile Wände auf, rücken an einen heran, „bietet sich“, so Borchardt, „ein unerträglicher Anblick von Bergen, Wäldern, Eis und sehr hoher Schneemassen auf dem Gipfel“. Die Familie bezieht drei Zimmer im am östlichen Ortseingang gelegenen, erst 1927 erbauten Alpenhotel Trinser Hof. Es ist ein dem Schriftsteller Rudolf Borchardt unwürdiger Ort, an dem er seine letzten Lebenswochen verbringt, möchte man sagen, ein unwürdiger Ort zum Sterben auch. Auf der einen Seite Rudolf Borchardt, der Liebhaber und intime Kenner der italienischen Villa, dem diese Bauform mehr als bloße Architektur ist, vielmehr stein- und formgewordene Geschichte, verwachsen mit der Landschaft, in der sie steht, verbunden mit Generationen von Bewohnern, für den Autor „die einzige ideell und praktisch denkbare Lebensform“, wie sein Sohn Cornelius schreibt. Auf der anderen Seite das Hotel, gebaut für die Bedürfnisse von Touristen, jenem Typus des modernen Reisenden, für den der Autor nur Verachtung übrig hat, geschichtslos, lokale Bindungen negierend, marktschreierisch. Und dennoch, vor dem Hintergrund der eben gemachten Erfahrungen und auch angesichts der Bedürfnisse und Gewohnheiten der Familie erweist sich dieses Hotel als beglückend, ist, wie Borchardt euphorisch schreibt, „in jeder Hinsicht vollkommen, und im Verhältnis zu den Engpässen der Zeit auch mit jeder Art von Nahrungsmitteln versehen. So kommt es, dass wir in der Tat begonnen haben, das Hungern mit einem gewissen Überfluss zu vertauschen“. Die findige Hoteliersfamilie Covi versteht es, in diesen letzten Kriegsmonaten für ihre Gäste einen gewissen Komfort sicherzustellen. Es sind durchwegs zahlungskräftige Gäste, die hier Unterkunft finden. Hohes Militär vor allem, auch ein Angehöriger der SS findet sich im Gästebuch. Prominenz. 1941 heiratet hier der Volksgruppenführer Südtirols, Peter Hofer. Attila Hörbiger wohnt hier 1942 während der Dreharbeiten am Propagandafilm Wetterleuchten um Barbara. Karl Renner schreibt 1947 ins Gästebuch. Rudolf Borchardts Namenszug scheint nicht auf. Es muss eine gespenstische Gesellschaft sein, die sich hier im Winter 1944/45 zusammenfindet. Eine indifferente Gesellschaft, einzig verbunden durch den

Wunsch, das Ende des Krieges möglichst unerkannt abzuwarten. Vermutlich ist man einfach froh, über den Anderen nicht allzu viel zu wissen. Froh geborgen zu sein in diesem Seitental, in das kaum jemand kommt, in dem es keine Fliegerangriffe gibt, während die nahe gelegene Brennerstrecke täglich bombardiert wird. Rudolf Borchardt, zeitlebens auf Wanderschaft, am Ende des Lebens unfreiwillig verpflanzt in eine Landschaft, in eine Klimazone, die ihm wohl nicht behagt, „im engen fremden Raum“, wie es in seinem letzten Gedicht heißt. Sein 1922 entworfenes, 1938 ausgearbeitetes und erst postum erschienenes und erstaunliches Buch Der leidenschaftliche Gärtner kann in seinem Subtext als der Entwurf einer Theorie gelesen werden, die sich für einen transnationalen Kulturbegriff ausspricht. Borchardt versteht den Garten als kulturelle Leistung, als Spiegel des Humanen, er ist „wie die Bühne und das Museum, wie die Bibliothek und die Kuppel des Sternenwächters, wie Orchester und Tempel und Thronsaal, eine geheiligte Umgrenzung unserer höchsten Würde“ und er ist ohne Wanderschaft, ohne „importierende Kultur“ nicht denkbar. „Es muß zugewandert werden wie von je.“ Borchardt, dem jeder Rassenbegriff und Biologismus fremd ist, richtet sich hier gegen die nationalsozialistischen Vorstellungen von Reinheit, setzt ihnen den Begriff der Mischung gegenüber. Menschlich ist es, das scheinbar Fremde, das scheinbar Unpassende allen Umständen zum Trotz heimisch machen zu wollen: „Es gibt unzweifelhaft solche Dinge wie Blumentöpfe, und sie sind nicht rückgängig zu machen; sogar Kuhställe gibt es, und der bayrische und tiroler Bauer, auf dessen Begonien, Fuchsien und Nelken der vorüberfahrende elegante Fremde mit sehr begreiflichem Neide blickt, hat sich für die Erhaltung seiner Lieblinge in bitteren Wintern vortrefflich zu helfen gewußt. Die Liebe ist ein entscheidenderes Kriterium der Zweckmäßigkeit als die Winterhärte. Der Mensch der etwas liebt, ist ein Abenteurer und ein hartnäckiger Werber, Erfinder und Erzwinger.“ Erinnerungen zeichnen Rudolf Borchardt in diesen Wochen in Trins heiter, sogar glücklich. Er sitzt eingeklemmt zwischen Bett und Schrank an einem kleinen


»Rudolf Borchardt 1877—1945« 82 / 83


Tisch, schreibt und raucht viel, den ganzen Tag. Es ist eng im Zimmer, in dem sich jetzt das ganze Leben abspielt. Die Kinder wichsen auf dem Nachttisch der Eltern ihre Schneeschuhe. Borchardt und seine Frau diskutieren Texte. Er unterrichtet die Söhne, hält Vorträge über Thukydides Peloponnesischen Krieg. Bücher werden aus der Leihbibliothek in Steinach besorgt. Alles, woran Borchardt gearbeitet hat, hat er in Italien zurücklassen müssen. Wohl sorgt er sich, beunruhigt es ihn, was mit dem unveröffentlichten Material passiert ist. Vielleicht befreit ihn die Reduktion auf das Allernotwendigste auch? Marie Luise erinnert ihn „heiter und so voller Arbeitspläne und dichterische Gedanken wie ich ihn in den letzten Jahren selten erlebt habe“. In Trins arbeitet er weiter an Anabasis, macht sich noch einmal – auch dieses nahezu fertige Manuskript hatte er zurücklassen müssen – an die Niederschrift seines Homerbuches Grundriss zu Epilegomena zu Homeros und Homer. Am 24. Dezember verfasst er sein letztes Gedicht, das, die jüngsten Erfahrungen integrierend, hoffnungsfroh anmutet. Der enge familiäre Kreis, der angesprochen wie beschworen wird, ein Weihnachtsgedicht ist es, als schützende Hülle: „Ich der Euch singe jetzt / Wie ich Euch einst gelesen, / Es wird noch wie’s gewesen / Der Kern ist nicht verletzt / Denn Weihnacht bringts vom Herrn, / Dass Nacht nur Schale und der Tag ihr Kern.“ Und in der letzten Strophe: „Dass wir uns Alles sind / Wie dort auf jenem Wagen / Drauf wir geworfen lagen / Durch Mitternacht und Wind; / Das bringt uns zu dem Kind / Bei dem ist kein Verzagen, / Denn seine Weihnacht brennt / Von unserm Tag am ganzen Firmament“. Ob Borchardt weiß, dass der Blaser, zu dessen Füßen Trins liegt, für seine vielfältige Alpenflora bekannt ist? Und der Botaniker Anton Joseph Kerner, Ritter von Marilaun, hier auf über 2000 m Höhe 1875 den ersten Hochalpengarten der Welt angelegt hat? Borchardt hätte solche Höhen auch nicht mehr erreicht. Am späten Nachmittag des 10. Januar bricht er beim Versuch, etwas Tabak vom Sims eines Kastens zu holen, tot zusammen, fällt in die Arme seines jüngsten Sohnes Cornelius. In seinem dünnen Sommeranzug wird er in der Totenkapelle aufgebahrt und von

einem protestantischen Pfarrer beerdigt. Außerhalb des Friedhofs, an der Rückseite der Kirche, eingeklemmt zwischen Kirchturmsmauer und Aufbahrungshalle, einem schmalen Durchgang, wo man gewöhnlich die verblühten Blumen der Gräber hinschmeißt. Erinnerungsspuren in Trins zu Borchardt heute? Zumindest den älteren Leuten im Dorf sei Borchardt wohl noch ein Begriff. Kinder und Kindeskinder Borchardts sind dem Ort verbunden geblieben. Auf Wunsch der Familie wurde 1995 das ortsübliche Holzkreuz durch einen marmornen Grabstein ersetzt. Non omnis moriar steht darauf. Das Grab ist gepflegt, wie alle Gräber hier. An der Front des Trinser Hofes erinnert eine Gedenktafel an die letzte Zufluchtsstätte des Autors. Wo genau er gewohnt habe, welches das Sterbezimmer sei, weiß niemand mehr genau. Auch dazu verschiedene Antworten. Der Trinser Hof, der sich heute durch seine Geschichte und als Erinnerungsort vermarktet, sich dabei selbst zitiert, museale Atmosphäre verbreitet, bekennt sich in seinem Internetauftritt zu folgender Philosophie: „Wir sind für Slow Food / Wir sind für die Erhaltung historischer Gebäude / Wir sind für Recycling / Wir sind für Vorbilder / Wir sind für Geschichten schreiben / Wir sind für ethnische Diversität / Wir sind für Hunde / Wir sind für Tradition / Wir sind für Familie“. Ob Borchardt Hunde gemocht hat? Ich weiß es nicht. Den Rest hätte er wohl unterschrieben. Verwendete Literatur Rudolf Borchardt: Anabasis. Aufzeichnungen, Dokumente, Erinnerungen. 1943–1945. Hrsg. von Cornelius Borchardt in Verbindung mit dem Rudolf Borchardt Archiv. München-Wien 2003. Rudolf Borchardt: Gesammelte Briefe. Band 6. 1936–1945. Bearb. von Gerhard Schuster. München-Wien 2002. Rudolf Borchardt: Jamben. Hrsg. v. Elisabeth Lenk. Frankfurt am Main 2004. Rudolf Borchardt: Der leidenschaftliche Gärtner. Mit zwölf Aquarellen von Anita Albus. Frankfurt am Main 1992. Rudolf Borchardt: Prosa. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Band 3. Stuttgart 1960. Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Rudolf Borchardt. München 2007 (Text + Kritik: Sonderband). Reinhard Tgahrt (Bearb.): Rudolf Borchardt – Alfred Walter Heymel – Rudolf Alexander Schröder. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar. München 1978.


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Nicole Weniger Originalbeilage Nr. 26

Was gibt es noch zu entdecken? Wie nehmen wir einen Ort wahr und wie nehmen wir uns selbst dort wahr? Exklusiv fßr diese Ausgabe von Quart hat Nicole Weniger eine Schatzkarte entworfen, die dem Genius Loci auf der Spur ist und eine Geschichte weitererzählt.


Optimale Griffigkeit 86 / 87


„Zack, und sofort geht’s weiter!“

Reinhold Scherer ist Geschäftsführer des Kletterzentrums Tivoli in Innsbruck – und der vielleicht beste Klettertrainer der Welt. Durch seine Schule ging auch der weltweit bekannte Bergsteiger David Lama. Porträt von Raffael Fritz

„Der Tag dämmert langsam herauf, als David Lama und ich in dem riesigen Kessel stehen. Wir schalten die Stirnlampen ein und klettern los. Drei Jahre habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet; beim Wandern im Sommer und beim Tourengehen im Winter habe ich die Linie genau beobachtet: Wo geht der Schnee weg? Wie sind die Windverhältnisse? Von wo aus könnte man einsteigen? Wo sind die gefährlichen Stellen, die man meiden sollte? Wenn man die Linie im Sommer sieht, würde man meinen, hier geht es nur im freien Fall herunter. Aber die Bedingungen müssen eben passen. Und gestern hat David angerufen und gemeint: Zur Zeit schaut’s gut aus. Also ist er zu mir gefahren, wir haben gemeinsam zu Abend gegessen – einen Fisch, den er hier in einem Bergsee geangelt hat – und um eins in der Früh sind wir losgefahren. Eineinhalb Stunden mit dem Auto hinein in die Tuxer Alpen und dann noch einmal so lange zu Fuß weiter, bis wir um vier Uhr beim Einstieg ankommen. Manche Sachen kann man eben nur in der Früh machen. Wenn im Frühjahr die Sonne auf den Schnee scheint, hast du nur ein ganz kurzes Zeitfenster für die Abfahrt. Fährst du zu spät, geht der ganze Schnee ab. Fährst du zu früh, ist es zu eisig. Ungefähr eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang, da hat der Schnee die optimale Griffigkeit. Dann kannst du abfahren.“ Reinhold Scherer habe gerade angerufen, sagt der junge Mann mit Vollbart und Schildkappe, der im Café des Kletterzentrums Tivoli arbeitet. Er verspäte sich leider für das Interview – ein wichtiger Termin mit der Innsbrucker Bürgermeisterin dauert länger als angenommen. „Ich könnt’ dir ja auch ein paar Geschichten über den Reini erzählen“, meint er und lacht, „aber das lass’ ich ihn lieber selber tun.“ Hier steht sie also, dicht ans Innsbrucker Tivoli-Stadion gelehnt: die Brutstätte des österreichischen Klet-

terwunders. Hinter einer Glasfassade ragen künstliche Felswände knapp zwanzig Meter in die Höhe, gespickt mit Plastikgriffen in allen denkbaren Farben und Formen. Jede Farbe markiert eine andere Route in Richtung Dach, von ganz leicht bis extrem schwierig. Daran hangeln sich gerade Männer, Frauen und Kinder die Wand hinauf, Schritt um Schritt, Griff um Griff. Konzentration liegt in der Luft. Nur hin und wieder schnalzt es laut, wenn einer der Kletterer den Halt verliert und ins Seil fällt – zum Schrecken von ein paar Eltern, die auf dem Aussichtsgeländer stehen und mitfiebern. Das Kletterzentrum Tivoli wurde im Jahr 2000 eröffnet. Seither haben hier mehr Weltmeister, Europameister und Weltcupsieger trainiert als irgendwo sonst: Angela Eiter (vierfache Weltmeisterin in der Disziplin Vorstieg), Jakob Schubert (ebenfalls Weltmeister im Vorstieg), Anna Stöhr (Doppelweltmeisterin im Bouldern), David Lama (Europameister Vorstieg, heute weltbekannter Bergsteiger), Johanna Ernst (2009 mit 16 Jahren jüngste Weltmeisterin im Klettersport) und einige mehr – sie alle sind von hier aus in die Weltspitze geklettert. Fragt man nach den Gründen dafür, fällt in Gesprächen, in Artikeln und in Interviews immer derselbe Name: Reinhold Scherer – Geschäftsführer des Kletterzentrums Tivoli und zusammen mit Rupert Messner langjähriger Nationaltrainer beim Österreichischen Wettkletterverband. „Da war ganz viel Zufall dabei. Es sind eben die richtigen Leute am richtigen Ort zusammengekommen“, sagt Reinhold Scherer selbst. Groß und schlaksig, mit wachen Augen und stets dem Anflug eines Lächelns im Gesicht, ist er gerade von seinem Termin im Rathaus zurück, und es ist ihm sichtlich unangenehm, zu spät zu kommen. Denn wenn Scherers Erfolge nur darauf


Ein Reserveseil im Rucksack 88 / 89


zurückzuführen sind, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, muss er ein außerordentliches Talent in Sachen Timing haben. Oder gibt es da noch ein paar andere Faktoren, die den vielleicht besten Klettertrainer der Welt ausmachen? „Da oben musst du bei jedem Schritt strategisch vorgehen. Ein Schritt – OK, die Schneebedingungen passen. Der nächste – hoffentlich bricht nix, vielleicht brauchst du doch ein Seil. Noch einer – na, da musst du dich doch nicht anseilen. Man hat immer ein Reserveseil im Rucksack mit, falls irgendwas ist; einen Hammer, einen Keil und einen Pickel sowieso. Wir wissen genau, dass wir unsere Ausrüstung schon recht weit unten brauchen werden: Da ist ein Flaschenhals, über den müssen wir raufkommen. Und wir überlegen gleichzeitig, wie wir nachher wieder hinunterkommen. Ob wir uns trauen, hier zu springen. Es sind ungefähr zehn Meter, aber es geht oben steil hin und drunter steil weg. Das heißt, der Sprung verlängert sich gewaltig. Und wir wissen genau: Wenn man hier springt, muss der Schnee unten weich sein. Sonst kannst du beim Aufprall sofort verschneiden und dann hast du alles ab. Den Flaschenhals hinauf geht es ohne Probleme. Aber weiter oben ist eine Passage, die haben wir total unterschätzt. Von einer verdammt steilen Rampe geht es in die Hauptrinne hinein, und darunter ist alles voll mit Felsabbrüchen. Aber zum Glück hält alles, der Schnee im oberen Teil ist überraschend pulvrig. Wir spuren die Rinne weiter hinauf, bis ganz oben, wo die Felsen anfangen. Der Gipfel der Sagwand ist von hier nicht mehr weit, aber der interessiert uns heute nicht – wir wollen nur diese Linie fahren. Wir machen noch eine kurze Pause, während hinter uns die Sonne aufgeht. Dann geht’s los.“ Reinhold Scherer kommt 1965 in Lienz zur Welt. Als Bergbauernbub ist er es schon früh gewohnt, im steilen Gelände zu arbeiten – Höhenangst war ihm schon immer fremd. Die Eltern schicken ihn ins Gymnasium nach Hall, wo Scherer mit 13 Jahren beginnt, mit seinen Internatskollegen klettern zu gehen. Wer heute mit 13 Jahren das erste Mal klettert, hat schon die ersten Junioren-Wettkämpfe verpasst. Aber damals sei

es noch verpönt gewesen, in so jungen Jahren Felswände hinaufzukraxeln: „Das war viel zu gefährlich. Es hat ja noch keine richtigen Klettergärten gegeben, geschweige denn Kletterhallen. Und auch diese speziellen Klettergurte und Expressschlingen waren erst in Entwicklung“, sagt Scherer heute, „aber im Internat wäre es uns am Wochenende sonst langweilig geworden.“ In den Achtzigerjahren studiert Scherer Sport und Italienisch an der Uni Innsbruck – und als gleichzeitig in Europa die ersten Bewerbe im Sportklettern abgehalten werden, ist er mit dabei: „Im Weltcup war ich so um den 20. Platz anzusiedeln, aber irgendwann kapiert man, dass man’s nicht ganz nach vorne schaffen wird.“ Und weil Trainingslehre sein Lieblingsfach an der Uni ist, übernimmt Scherer stattdessen die Leitung von Kletterkursen beim Alpenverein. In seiner typisch methodischen Art geht er an die Sache heran, befragt Kletter-Koryphäen wie François Legrand oder Yūji Hirayama zu ihren Trainingsmethoden (mit beiden ist er seit Jahrzehnten befreundet). Er holt sich auch Tipps bei Trainern aus anderen Sportarten, in denen er ähnliche Belastungen für Körper und Geist vermutet: Ruderer, Kraftsportler, Skifahrer, Snowboarder. „Literatur, die einem dabei geholfen hätte, hat’s damals ja noch keine gegeben – die haben wir dann erst geschrieben.“ In seinem eigenen Schlafzimmer baut Scherer eine Kletterwand, um mit seinen Schützlingen zu trainieren. Und ein paar von ihnen tun sich dabei auffallend leicht: „Das merkst du gleich, wie jemand sich bewegt oder mit der Angst umgeht – ob er motiviert ist zum Klettern hin.“ Der Tiroler Kletterverband, damals noch im Alpenverein integriert, beginnt Schulwettbewerbe zu organisieren. Die kommen so gut an, dass Klettern an den Schulen sogar den traditionellen Breitensportarten Fußball und Skifahren Konkurrenz macht. Nach und nach verliert das Sportklettern die Aura der Gefahr, die es noch in Scherers Jugend hatte – dank genormter Ausrüstung und künstlichen Wänden wie im Kletterzentrum Tivoli. Trotzdem steht dort noch auf mehreren Tafeln zur ständigen Erinnerung: „Klettern ist ein Risikosport“. Hier würden im Vergleich zu anderen Sportarten zwar nur sehr wenige Unfälle passieren, sagt Reinhold Scherer:


Die Schneeverhältnisse 90 / 91


„Aber wenn du von da oben herunterfällst und jemand sichert dich nicht richtig, dann kannst du tot sein“, fügt er an, „das muss jedem klar sein.“ Als Klettern zum Trendsport wurde, strömten immer mehr junge Talente zum Training bei Reinhold Scherer. Dass er die späteren Weltmeister „entdeckt“ habe, will er aber nicht hören: „Die große Kunst daran ist eher, die Kids für was zu motivieren.“ Und diese Kunst scheint Scherer perfektioniert zu haben. Während wir durch die Halle gehen, kommen ständig junge Kletterer zu ihm, berichten ihm von ihren Fortschritten oder albern kurz mit ihm herum: „Mir geht es um eine echte Freundschaft mit den Kindern. Die spüren sofort, ob du dich für sie einsetzt oder das nur als einen Job siehst.“ Doch er habe schon früh gesehen, dass nicht alle Kinder mit seiner Art können: „Also habe ich gedacht, ich hole jemanden dazu, der genau die abdeckt.“ Und dieser Jemand war Rupert Messner. Gemeinsam haben die beiden bis 2014 die österreichische Klettermannschaft trainiert. Irgendwann Ende der Neunziger sei er mit seinen Schützlingen zum legendären Rock Master in Arco gefahren, erinnert sich Scherer. Der Bewerb am Gardasee gilt als inoffizielle Weltmeisterschaft – eine Art Hahnenkamm des Kletterzirkus. Damals sei Österreich in Sachen Sportklettern noch im Niemandsland gewesen: „Ich bin mit ihnen zur Wettkampfwand hingegangen und habe gesagt: ‚Wenn einer von euch einmal da klettert, dann haben wir’s geschafft.‘“ Mittlerweile haben Athletinnen und Athleten aus Österreich beim Rock Master insgesamt fünfzehn erste Plätze belegt. Damit hätte vorher niemand gerechnet, sagt Scherer heute – nicht einmal er selbst. „Die ganze Abfahrt dauert vielleicht eine halbe Stunde. Aber es ist eine Erstbefahrung, und als erster Skifahrer überhaupt die Schneeverhältnisse da oben kennenzulernen, ist ein unglaublich lässiges Gefühl. Doch es ist gar nicht so ungefährlich. Die Aufstiegsspur war noch total pulvrig, und jetzt merken wir, dass rechts und links davon überall Eiskrusten im Schnee sind. So sauber und schön, wie wir uns das ausgemalt haben, können wir nicht hinunterfahren. Auch die Rampe zur

Hauptrinne hin ist so steinig, wie wir befürchtet haben. Ich bleibe mit dem Ski an einem Felsen hängen und habe ein Riesenglück, dass es mich nicht überschlägt. Beim Flaschenhals unten, wo David und ich zuerst noch Strategien ausgearbeitet haben, wie man springen kann, bleiben wir erst einmal stehen. Wir werfen Steine hinunter, um zu sehen, ob der Schnee unten aufgeweicht ist. Aber er hat eine Fünf-Zentimeter-Kruste obendrauf. Durch die sinkst du nach einem Sprung ein, und wenn du dann eine Kurve machen willst, verschneidet’s dich. Also setzen wir lieber einen Haken – den Klettergurt hat man sowieso schon an – und seilen uns mit den angelassenen Skiern rückwärts hinunter. Seil weg, zack, und sofort geht’s weiter. Um neun Uhr früh sind wir wieder herunten. So lange wie mit dieser Linie habe ich mich mit keiner anderen beschäftigt. Ich habe sogar schon von ihr geträumt. Fast jeder hat mir gesagt: Das geht nie. Und dann kletterst du da rein und merkst: Hey, das ist eigentlich alles machbar. Aber vorher wissen kannst du es nicht. Und das ist der Grundgedanke vom Abenteuer: Etwas zu machen, wo der Ausgang nicht gewiss ist.“ Wer verstehen will, wie Reinhold Scherer denkt, muss ihm zuhören, wenn er von seiner zweiten großen Leidenschaft neben dem Sportklettern erzählt: dem SkiAlpinismus. Damit sind Skitouren gemeint, bei denen für Aufstieg oder Abfahrt auch eine Kletterausrüstung nötig ist. Gefälle von 50 Grad und mehr sind hier keine Seltenheit – da verschwimmt irgendwann die Grenze zwischen Skifahren und freiem Fall. Manche bezeichnen das auch als „Extreme Skiing“. Ein Begriff, mit dem Scherer aber herzlich wenig anfangen kann: „Was ist schon extrem? Das heißt doch nur, dass du bei etwas persönlich am Limit bist.“ Er hingegen kenne seine Grenzen ganz genau. Bevor er eine Abfahrt wagt, beobachtet er sie monatelang, plant jeden Schritt im Voraus – „und wenn irgendwas nicht passt, fahre ich auch nicht.“ Für die Erstbefahrung einer besonders anspruchsvollen Rinne an der Sagwand hat Scherer sich sogar drei Jahre vorbereitet, ehe er sie gemeinsam mit David Lama in Angriff genommen hat. Mit seinem ehemaligen Schützling verbindet ihn bis heute eine innige Freundschaft.


Ein allzu verlockender Anblick 92 / 93


Doch in einer Sache würde Scherer sich wohl selbst als extrem bezeichnen: in seiner systematischen Herangehensweise. „Da geht’s mir gleich wie im Training mit meinen Athleten – ich werde so richtig zum Getriebenen.“ Seit 2006 wohnt Scherer mit Frau und Kindern in der Gemeinde Obsteig am Mieminger Plateau. Auf dem Weg nach Innsbruck fährt er seither jeden Tag an den schroffen Felswänden der Mieminger Kette vorbei – ein allzu verlockender Anblick. Eines Tages beschließt Scherer, dort systematisch alle Linien vom Berg ins Tal mit den Skiern zu befahren. Er beobachtet das Gebirge im Sommer und Winter, führt Buch über mögliche Abfahrten, über Gefahrenquellen, über Wind- und Schneebedingungen. Und wenn die Verhältnisse passen, stellt er den Wecker auf drei Uhr in der Früh, fährt um vier los und erkundet eine neue Linie. Am Ende entsteht aus Scherers Aufzeichnungen das Buch „Freeski Tirol“. Und es wirkt in seiner Akribie weniger wie ein Tourenführer und mehr wie eine wissenschaftliche Abhandlung. Scherer hat darin 130 Abfahrten in der Mieminger Kette dokumentiert, jedes Gefälle mit dem Messgerät ermittelt und sogar eine eigene, leicht abgewandelte Form der – nach oben offenen – Volo-Schwierigkeitsskala entwickelt. „Wie’s dann vorbei war, hab ich mir nur gedacht: Was hab’ ich denn da für einen Vogel gehabt?“, sagt Scherer heute über seine Obsession, die ihn fünf Jahre lang beschäftigt hat. Auch als Trainer hat Reinhold Scherer seine obsessive Phase hinter sich: „Irgendwann bin ich einfach ausgebrannt gewesen.“ Wie die Abfahrten auf der Mieminger Kette sind auch die Ziele, die man sich im Klettersport setzen kann, endlich. Und was ist, wenn man sie alle erreicht hat? Im Jahr 2014 hat Scherer sein Engagement als Nationaltrainer beendet. Seine Nachfolger hat er selbst ausgewählt. Er hinterlässt ihnen die professionellen Strukturen, die er über Jahrzehnte mitaufgebaut hat – was es seinen Nachfolgern nicht immer leichter mache: „Wir haben einfach herumexperimentiert und sind auf gut Glück zu Bewerben gefahren“, sagt er, „aber heute schreibt dir der Verband alles genau vor. Und wenn man erst einmal weiß, was möglich ist, steigt auch der Druck.“

Heute kann Scherer, wie er es sich vorgenommen hat, die Wochenenden mit seinen Kindern verbringen („hin und wieder gehen wir zum Klettern, aber ich bin niemand, der seine Kinder da zwangsbeglückt“). Doch ein großes Ziel hat er noch, das ihn wochentags umtreibt: Scherer setzt sich für den Bau einer neuen Kletterhalle samt Bundesleistungszentrum ein. Denn durch den Aufschwung, den das Sportklettern in Tirol auch dank Reinhold Scherer erlebt hat, wird es hier im Kletterzentrum Tivoli immer enger. Jährlich drängen sich 50.000 Kletterer auf den knapp 300 Quadratmetern zusammen. Die Kapazitätsgrenze ist schon seit Jahren erreicht, und darunter leiden auch die Trainingsbedingungen für die Profi-Athleten. Mehr als viermal so viel Platz soll die neue Kletterhalle nördlich des Innsbrucker Bahnhofs bieten – ein würdiger Tempel für die aus dem Nichts emporgestiegene Großmacht im Klettersport. Seit sieben Jahren schon macht Scherer Stimmung für die neue Halle. Da gilt es, Sportverbände zu motivieren und Politiker zu überzeugen. Auch bei dem Termin mit der Innsbrucker Bürgermeisterin, wegen dem er zu spät zum Interview gekommen ist, hat sich alles um den Neubau gedreht. Denn Innsbruck wird die Kletter-Weltmeisterschaft 2018 ausrichten – auch daran hatte Scherer seinen Anteil – und die soll im neuen Kletterzentrum über die Bühne gehen: „Ich habe immer gesagt, ich glaube es erst, wenn ich die Bagger sehe. Und die kommen jetzt.“ Sieben Jahre hat Scherer auf diesen Moment hingearbeitet und gewartet, bis alle Bedingungen passen: „Das ist wie beim Skifahren. Da gibt’s auch nur einen richtigen Zeitpunkt, wo du abfahren kannst.“ Und wenn es ums Timing geht, kann niemand Scherer etwas vormachen.



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Der Hund, mit dem ich aufgewachsen bin 96 / 97


Durch das enge Tal und weiter Landvermessung No. 4, Sequenz 7 Vom Eggental über den Karerpass ins Fassatal und Fleimstal

Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte auf den Seiten 94–95). Wir befinden uns derzeit auf der Geraden, die von Garmisch-Partenkirchen ins Trentino führt. Bernd Schuchter besucht in der aktuellen Folge das Südtiroler Eggental, erfährt sagenhafte Geschichten, sieht statt eines Regenbogens viele Touristen und später wieder keine.

Mir ist ein wenig flau im Magen, wie immer, wenn ich nicht genau weiß, was mich erwartet. So geht es mir erfahrungsgemäß vor einer Reise; meist sehne ich mich danach wegzukommen, um etwas anderes zu sehen als die immergleichen Bäume und Straßen und Häuser meiner Stadt, wenn aber der Zeitpunkt der Abreise näher kommt, erfinde ich Vorwände und Ausreden, erledige noch irgendwelche Arbeiten, die man nicht aufschieben kann, trödle beim Packen und trinke einen Kaffee nach dem anderen, nur um nicht abreisen zu müssen. Flau ist mir im Magen und am Ende nützt es doch nichts, ich fahre. Als ich auf der Autobahn Richtung Italien bin, schalte ich das Navi ein und wundere mich, dass das Eggental nur knapp eineinhalb Stunden von Innsbruck entfernt sein soll. Mir erscheint es viel weiter weg. Ich stelle mir vor, mein Vater begleite mich, das beruhigt. Anstelle von Wasserflasche und Handy sitzt er jetzt auf dem Beifahrersitz. Er war sicher schon einmal im Eggental, ihm ist das nicht weit entfernt, mein Vater kennt bestimmt dieses oder jenes Gasthaus, und schon beginnt er zu erzählen. Vom Karersee und den Dolomiten, von Ausflügen, vom Skifahren. Es entspannt mich, ihm zuzuhören. Ich stelle mir auch vor, im Kofferraum liege unser Hund, der Hund, mit dem ich aufgewachsen bin, der schon lange tot ist. Zusammen fahren wir ins Eggental.

Auf der Europabrücke lege ich beide Hände ans Lenkrad, weil ich weiß, mein Vater würde mich tadelnd von der Seite her anschauen. Hier kann es Windböen geben, würde sein Blick sagen, das ist gefährlich. Es ist vermutlich für einen Vater schwierig zu akzeptieren, dass es eine Zeit gibt, da bei gemeinsamen Fahrten plötzlich der Sohn am Steuer sitzt. Nach der Mautstelle Schönberg gebe ich Gas, es ist wenig Verkehr und ich behalte nur eine Hand am Lenkrad. Ich stelle mir vor, wie mein Vater Geschichten erzählt, und merke gar nicht, wie die Fahrt vergeht. Der Brenner, dann Sterzing, die schmalen italienischen Autobahnen, es geht leicht dahin. Kurz vor Bozen lotst mich das Navi zur Abfahrt, nach der Mautstelle muss ich scharf rechts abbiegen und folge kurze Zeit später den Schildern Richtung Eggental. Ich fahre durch Tunnel, die gebaut worden sind, da die Straße früher so oft wegen Steinschlag oder umgefallenen Bäumen gesperrt war. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Vor meiner Abfahrt habe ich einen Freund, der aus Südtirol stammt, gefragt, ob er das Eggental kenne und er mir etwas darüber sagen könne. Er lachte und sagte nur ein Wort: „Eng.“ Als stamme die Bezeichnung Eggental von das enge Tal. Als mein Auto aber aus dem Tunnel fährt, muss ich ihm recht geben. Die schmale Straße führt zwischen steil aufragenden Felswänden hindurch, durch graues, seltsam zerklüftetes Gestein.


Die StraĂ&#x;e schlängelt sich langsam nach oben 98 / 99


Porphyr heißt die Gesteinsart, habe ich gelesen, aber ich kann mir darunter nichts vorstellen. „Porphyr“, sagt mein Vater neben mir, und aus dem Kofferraum höre ich, wie sich der Hund gelangweilt streckt. Bei Porphyr denke ich an Polyphem, den einäugigen Zyklopen aus der griechischen Mythologie, der durch eine List von Odysseus geblendet wird und elendig zugrundegeht. Wie so oft in den Sagen und Märchen die scheinbar Mächtigen, die Riesen, durch die List einfacher Menschen ins Elend gestürzt werden. Ich habe gehört, dass es auch im Eggental Geschichten von Riesen gibt, von Wilden, denen es am Ende nicht viel besser ergeht. In der Gegend um den Karersee nahe dem Karerpass soll das gewesen sein, mein Weg wird mich daran vorbeiführen. Die Straße schlängelt sich langsam nach oben; wo der Blick ein wenig weiter wird, sehe ich dichte Wälder, dann wieder vereinzelte Bauernhöfe, Weiden mit Grauvieh, auch Schafe. Es ist sehr grün hier, und sehr eng. Ich bin Enge durch die Berge von Innsbruck her ja gewohnt, aber hier bekommt der Begriff noch einmal eine andere Bedeutung. Nur in der Ferne sehe ich nach mancher Kurve die geklüfteten Spitzen der Dolomiten aufragen, sie kommen langsam näher. In dieser Gegend lebten früher Ladiner, viele Flurnamen zeugen heute noch davon. Ich versuche mir vorzustellen, wie karg und mühsam das Leben für die Menschen gewesen sein muss, ohne die bequeme Straße ins Tal hinaus. Einfache Steige und Wege gab es, mühsam musste das begehrte Holz aus diesen Wäldern transportiert werden, das seit je für den Geigenbau sehr geeignet ist. Hier wachsen, klimatisch begünstigt, besondere Klanghölzer, Fichten vornehmlich, die so dichte Jahresringe bilden, dass sie sich für Geigendecken und -böden besonders eignen. Ich staune immer wieder, dass selbst in so unwirtlichen und bergigen Gegenden es die Menschen über die Jahrhunderte verstanden haben, etwas Besonderes hervorzubringen, etwas, das es nur hier gibt und nirgendwo sonst.

„Klanghölzer“, wiederholt mein Vater auf dem Beifahrersitz und schaut interessiert aus dem Fenster. Er beginnt sicher gleich, mir eine Geschichte einer Bergwanderung zu erzählen, die er vor Jahren hier in der Gegend unternommen hat, dafür scheint das Eggental wie geschaffen zu sein. Zum endlosen Wandern in Wäldern, über Höhen und Tiefen und über noch mehr Höhen und Tiefen, über Gipfel und Fels und Stein. Aber mein Vater schweigt, während ich eben an einem Schild vorbeifahre, auf dem Deutschnofen und Welschnofen steht. Wie Geschwistergemeinden kommen mir die Dörfer vor, und die Namen stammen aus alter Zeit, als im Unterschied zur deutschsprachigen Bevölkerung in Deutschnofen in Welschnofen eben die Walschen, also die Italienischsprachigen, zu Hause waren. Aber das ist lange her. Schön ist es heute, die Sonne scheint, über mir blauer Himmel. Das sind die Gründe, warum diese vielen Touristen in die Gegend kommen. Sie suchen die Natur, die Berge, die Wälder und die vielen Wege, die sie emsig und bei jedem Wetter in Sporthosen und GoretexJacken abgehen, mit Stöcken bewaffnet, mit Regenschutz und festen Schuhen. Mittelalte Paare mit Hunden kommen hierher, seltener Familien, junge Leute sucht man vergebens. Die kommen vielleicht im Winter, wenn Lifte die Skifahrer auf die vielen Gipfel bringen. Ich passiere Welschnofen und möchte den Karersee sehen, lago die carezza, wie die vielleicht etwas unglückliche Übersetzung lautet, wie überhaupt viele italienische Bezeichnungen in dieser Gegend ihren ursprünglichen deutschen Namen nicht wirklich entsprechen, geschweige denn den ladinischen Orts- und Flurnamen, die es hier gibt. Der Karersee also, der so smaragdgrün schillern soll, die sich darin spiegelnden Dolomiten, ein Schauspiel … Der Sage nach gab es hier eine Wassernymphe, die am Ufer des Sees immer ihr Haar kämmte. Ein Hexenmeister verliebte sich in sie und wollte sie besitzen.


Mutige umrunden die PfĂźtze 100 / 101


Da sie scheu war, wollte er sie mit einer List für sich gewinnen. Er spannte einen Regenbogen zwischen Rosengarten und Latemar über den Himmel und häufte Berge von Edelsteinen an, um die Nymphe zu locken. Sie aber entdeckte ihn und verschwand für immer im See. Vor Zorn riss der Hexenmeister den Regenbogen vom Himmel und warf ihn mitsamt den Edelsteinen der Nymphe hinterher; seither erstrahlt der See in diesen tausend Farben. Die Straße windet sich nach oben, bei manchen Kehren bin ich froh, dass mir kein anderes Fahrzeug entgegenkommt, so eng ist es hier. Dann nähere ich mich dem Karersee und folge dem Schild, das auf einen Parkplatz führt. Plötzlich bricht der Tourismus auf mich ein. Ein Dutzend Reisebusse steht auf dem Parkplatz, aus allen strömen gemächlich alte und sehr alte Menschen. Sie kommen aus Deutschland oder der Schweiz und mühen sich nach einer langen Fahrt über den Asphalt, ich sehe Gehstöcke und so manchen Rollator. Nur mit Mühe gelingt es mir, mein Auto durch die durcheinanderlaufenden Menschen zu lavieren, um am Rand zu parken. Ich ahne, sie alle wollen zum Naturwunder Karersee, und befürchte, in einem Disneyland gelandet zu sein. Tatsächlich schließt an den Parkplatz nicht nur eine überdimensionierte Jausenstation an, sondern ein riesiger Tunnel aus Beton führt unterirdisch erst zu den Toiletten, dann zum See. Die Rentnergruppen, die ich im Tunnel überhole, riechen stark nach Waschmittel, Medikamenten und den Strapazen der Reise. Oberirdisch werden sie scheußliche Souvenirs in den Shops kaufen und nebenan geschmacklosen Kännchenkaffee trinken. Am See das gleiche Bild. Das ganze Ufer ist verbaut mit einem Holzzaun, eine Art Rundwanderweg für Nichtgeher. Jene, die schlecht zu Fuß sind, schaffen es zur Aussichtsplattform, Mutige umrunden die Pfütze, die maximal nach der Schneeschmelze ein See ist. Überall Schilder, dass das Übersteigen der Geländer verboten sei; der Hinweis ist nicht notwendig, die wenigsten

Reisenden hier würden diese Übung schaffen. Stattdessen endlos viele geknipste Fotos, die diesen Augenblick konservieren sollen. Ich flüchte. Während ich mein Auto reversiere, wundere ich mich über den Herdentrieb der Menschen. Obwohl sie mich kommen sehen – und immerhin fahre ich auf der Straße –, trotten alle gemächlich ihres Weges. Ich denke an Kuhherden, die man allein gelassen hat. Weit und breit kein Bauer. Ich beeile mich, nach Welschnofen zurückzufahren, wo ich ein Zimmer für die Nacht reserviert habe. Ich sehne mich nach einem Bett. „Selber schuld“, murmelt mein Vater neben mir. Er ist am Karersee im Auto sitzen geblieben, als hätte er den Trubel geahnt. „Zu meiner Zeit hat es das nicht gegeben“, fügt er hinzu, ich verdrehe die Augen. Da sehe ich die ersten Häuser, ich folge der Hauptstraße. An einer Kreuzung sehe ich eine schwere Steintafel mit der Inschrift Nova, dem alten römischen Namen des Ortes, kaum zehn Meter weiter kann ich mein Auto beim Hotel Pardeller abstellen. Welschnofen gleicht den Nordtiroler Touristenorten aufs Haar, es gibt fast kein Haus, das nicht Hotel, Pension oder Apartmenthaus ist. Nur in der Kirche und im Supermarkt vermietet man keine Zimmer. Ich gehe mit meinem Zimmerschlüssel ins obere Stockwerk und suche die Nummer 16. Am Gang geht das Licht per Bewegungsmelder an und ich sehe ein paar alte Fotografien. Es ist ein sehr schönes Hotel, edel, viel Holz, aber am Gang ein klein wenig Intimität. Das Hochzeitsfoto des alten Ehepaars Pardeller, dazu ein Schwarzweißfoto aus den Dreißigerjahren, zwei Leute vor einem alten Lastwagen, auf dem Pardeller steht. Das musste etwas gewesen sein, ein eigener Wagen. Damals, als noch keine brauchbare Straße ins Eggental geführt hat. Mein Vater neben mir nickt und beginnt zu erzählen. Vom kargen Leben hier, der Viehwirtschaft und den Holzarbeiten, gerade so, als wäre er dabei gewesen. Er weiß viel. Die Verbindung nach Bozen spielte da-


Als ich den Raum betrete, hebt der Hund nur kurz seinen Kopf 102 / 103


mals keine Rolle, erzählt er, die Leute gingen eher ins Fassatal oder ins Fleimstal auf der anderen Seite. Erst 1860 wurde die erste Eggentaler Straße fertiggestellt, die dieses enge Tal mit Bozen verband. Die Straße über den Karerpass wurde erst um 1890 gebaut. Davor war das Leben hier einsam. Alle lebten vom Holz, erzählt mein Vater. Es gab Piglbrenner, Kohlebrenner, Jörgetner, Schindlkliabner, Pechklauber und natürlich Fassbinder; Bäcker waren weniger wichtig, jeder buk sein Brot selbst, die reicheren Familien hatten ihre eigene Mühle, die anderen gaben eben eine Metz ab, um ihr Getreide mahlen zu lassen. Geschlachtet wurde selbst, mehr brauchte es nicht. Der Schmied allerdings war schon etwas Besonderes, seine Dienste brauchten alle. Manche waren Roderer, also Rädermacher, Wagner, wie die Familie Pardeller. Später wurden sie die ersten Fuhrleute oder Möbeltischler, irgendwann Wirte und Hoteliers. Die Touristen kamen ins Tal, was soll man da machen. Mein Vater schweigt, während ich mich kurz frisch mache. Er bleibe hier, sagt er, ein Schläfchen. Während ich die Tür hinter mir zuziehe, sehe ich noch, wie sich der Hund auf den Fliesen im Bad ausstreckt. In der Bar mischen sich die paar verbliebenen Touristen mit einigen Einheimischen. Es ist fast schon keine Saison mehr in Welschnofen, bald sperrt auch der Lift zu, bis in zwei Monaten mit dem ersten Schnee die Wintersaison beginnt. Ich trinke still für mich und lausche den Einheimischen, die einen starken, freundlichen Dialekt sprechen. Sie alle kennen sich, wie in einem Dorf üblich. Nach einer Weile kommt ein älterer Bauer im Blauschurz und wird freundlich begrüßt. Schon lange, meinen die anderen, habe er sich nicht mehr hier gezeigt. Ich schweige und denke daran, wie leicht mein Vater mit den Einheimischen wohl ins Gespräch käme, wie er immer – egal, wo wir sind – mit allen ins Gespräch kommt. Wie sie ihm ihre Geschichten erzählen, ihre

Leben, wie sie Gemeinsamkeiten finden und beim dritten Bier aufeinander anstoßen. Das habe ich immer bewundert, diese gewinnende Art, auf andere zugehen zu können, ohne Scheu. Es ist vermutlich sein ehrliches Interesse, das alle dazu bringt, ihm zu vertrauen und zu erzählen. Irgendwie, kommt mir vor, stammt er aus einer einfacheren, naiveren Zeit, in der alle miteinander sprachen, ohne Scheu, als wüssten sie es nicht besser. Aber heute? Ich schweige und trinke und denke an meinen Vater, der vermutlich mittlerweile eingeschlafen ist. Während ich so grüble, spricht mich der Erste an. Was ich hier mache und warum. Welschnofen, sage ich, und dazu weiß auch die alte Kellnerin etwas zu sagen. Ein Dritter erzählt von seiner Kindheit und von seinem Vater, der viele alte Fotografien vom Ort habe. Viele Geschichten hätte der zu erzählen, zwinkert er mir zu, ich müsse es ihm nur sagen, dann hole er ihn. Schon sind wir mitten im Gespräch, wir trinken und lachen und sie erzählen von ihrem Ort; von den Jungen, die lieber nach Bozen zum Arbeiten gehen, und von den vielen leerstehenden Geschäften. Sie erzählen vom Karersee, der für die Einheimischen mehr ein Plätzchen für Verliebte ist als ein Ort für Touristen mit Rollator, von Gasthäusern, die es nicht mehr gibt, in denen früher Filme gezeigt wurden, wie im Kino. Wie schön die alte Straße gewesen und wie hässlich heute der Tunnel sei, auch wenn er natürlich praktisch sei, nicht nur der Touristen wegen. So ändert sich eben alles, sagt die Kellnerin mit einem Lächeln und schenkt mir Wein nach. Wie sich eben alles ändert, sage ich und spüre leichtes Kopfweh. Wie sie mir erzählen, denke ich, jeder will, dass seine Geschichten gehört werden. Wie die vielen Sagen aus den Dolomiten, die es in dieser Gegend gibt, rund um den Latemar und den Rosengarten, gehört werden wollen, denke ich und trinke mein Glas leer. Geschichten wollen erzählt sein, sage ich der Kellnerin, ehe ich auf mein Zimmer gehe, sie wischt mit einem Lappen über die Theke. Als ich den Raum betrete, hebt der Hund nur kurz den Kopf.


Ich nicke und wir fahren los 104 / 105


Am nächsten Morgen steige ich allein ins Auto, mein Vater bleibt mit dem Hund in Welschnofen. Es ist kalt und regnerisch. Ich nehme die Straße über den Karerpass, fahre am Grand Hotel vorbei, in dem früher sogar Kaiserin Sisi abgestiegen ist, schaue mir die Liftanlagen an, die in dieser Jahreszeit stillstehen. Ich halte an einem Rastplatz mit ein paar Bänken, fast direkt an der Grenze zwischen Südtirol und dem Trentino, hier geht es ins Fassatal und ins Fleimstal. Käsestraße der Dolomiten, lese ich auf einem Schild, eine Gegend, die auch für ihren Honig berühmt ist. Käse und Honig und Berge, so weit das Auge reicht. Auch hier Wälder und Wiesen und Land. Nach endlosen Kurven erreiche ich Vigo di Fassa. Auch hier gibt es kein Haus, das nicht Hotel oder Pension oder Apartmenthaus ist, jetzt ist alles verwaist. Selbst der Lift wurde eingestellt. In der nahen Sportbar trinke ich einen Espresso. Es ist elf Uhr vormittags, die Einheimischen trinken ihren ersten Wein. Ohne Tourismus scheint es nichts zu geben. Kalt ist es. Ich suche das Ladinische Museum, und als ich eben die Tür öffnen möchte, kommt mir jemand entgegen. Geöffnet täglich, habe ich auf einem Schild gelesen. Ich zögere einen Moment, die Tür schnappt wieder ins Schloss, und dann bleibt sie auch auf mein Rütteln hin geschlossen. Nach einer Weile lugt eine freundliche Dame aus einem Fenster. È chiuso, sagt sie. Geschlossen. Pomeriggio, verstehe ich noch, am Nachmittag sei wieder geöffnet. Schade, denke ich, da bin ich schon nicht mehr hier. Ich fahre weiter, nach Moena, Predazzo, Cavalese. Es sind schöne Orte, denke ich, Cavalese mit viel Geschichte, Predazzo mit viel Sport, im Vorbeifahren sehe ich die Sprungschanze, im Jänner wird hier irgendein Sportgroßereignis stattfinden. Aber jetzt? Es ist wie mit der alten Eggentaler Straße; die Leute erinnern sich an ihren Ort erst, wenn es ihn so nicht mehr gibt, wie sie ihn gekannt haben. Heute sind diese

ganzen Orte nur lebendig, wenn Touristen ihnen wie Blutkörperchen in ihren Straßenadern Leben einhauchen; ansonsten fristen sie eine hohle Existenz. Aber natürlich die Natur. Die Bäume und Schluchten und Flüsse im Tal. In Cavalese gibt es einen sehr schönen Park am Rand der Altstadt, Wiesen und Bäume, jetzt im Herbst ist alles bunt, die Kastanien lassen ihre Früchte fallen und es gibt auch einen wunderbar großen Kinderspielplatz; während ich spaziere, bin ich allerdings ganz allein. Kein Kind sammelt die Kastanien, niemand schaukelt oder wippt, die Klettergerüste sind leer. Um diese Jahreszeit hört man auch keine Bienen. Nur den endlosen Strom der Autos auf der nahen Hauptstraße, wer weiß, wohin sie fahren; nach Auer, nach Trient? Kalt ist es und ich ziehe meinen Mantel enger, bevor ich ins Auto steige. Für einen Moment höre ich genau hin, der Motor stottert, als ich starte. Ich bin froh, dass er noch nicht aufgegeben hat. Mit beruhigender Gleichmäßigkeit wird er mich wieder zurück über Moena und Vigo di Fassa führen, über den Karerpass und vorbei am blau schimmernden See, hinunter bis Welschnofen, wo mein Vater mit dem Hund am Straßenrand wartet. „Es ist kalt“, sagt mein Vater. Ich nicke und wir fahren los. Am Ortsausgang queren eben ein paar Rehe in der Dämmerung die Straße. Das letzte von ihnen zaudert ein wenig, dann verschwindet es im Wald. Mein Vater zuckt mit den Schultern, ich gebe Gas.


Hörvorschlag

BeeGees »Stayin’ Alive« 106 / 107


Bienen Traube

Sommerliches Schwärmen in den Dolomiten: zu Philipp Messners Arbeit „Populismo“ (zu sehen auf den zwei folgenden Doppelseiten). Von Matthias Moroder

Am späten Vormittag bekommt der Tourismusverband St. Ulrich im Südtiroler Grödnertal unzählige Anrufe, denn die unübliche Bienenanzahl im Dorfzentrum hat sich aufgedrängt und nicht nur: Ein Bienenschwarm hätte sich im ersten Stockwerk der Gaststube „Zur Traube“ eingenistet oder diese angegriffen; mehrere Touristen seien bereits von Bienen gestochen worden; die Hoteliers, Gastronomen und Geschäftsleute würden um ihre werten Gäste bangen. Die alarmierte Gemeinde beruft daraufhin sofort eine Krisensitzung ein; Sanitäter patrouillieren durch die Fußgängerzone; der Südtiroler Imkerbund sendet einen Imker zur Situationsbegutachtung. Der fensterlose Erker im ersten Stock, aus dem Bienen auf den Dorfplatz fliegen, gehört einer Wohnung an, die bis vor Kurzem ein gesamtes Jahrhundert vermietet war. Bestimmt sind diese Räume von der eigenwilligen Subjektivität des letzten, langjährigen Bewohners, der darin unzählige Zeitschichten miteinander kollidieren ließ. Dieser subjektiven Bestimmtheit setzt Messner ein Bienenvolk entgegen. Dreieinhalb Meter vom Erker platziert er sieben Bienenstöcke in einer Dreierreihe vertikal übereinander. Sie beherbergen etwa eine halbe Million Bienen, die nun diesen verlassenen Raum bewohnen. Für den in München lebenden Künstler Philipp Messner ist es eine Rückkehr in die „Traube“, hatte doch Onkel „Sigi“ für 30 Jahre das Wirtshaus geführt. Ihre Räume und Geschichten sind ihm wohlbekannt: So erzählt Messner genüsslich, wie „Sigi“ bei Lust und Laune nun endlich wieder Strohhalme ineinander schob, um daraus Dirigentenstäbe zu basteln. Mit diesen stieg er dann auf den Tresen, um Maurice Ravels „Boléro“ leidenschaftlich zu dirigieren. Zum krönenden Abschluss verschwindend, indem er sich dahinter fallen ließ. Die Installation führt zu einer körperlich-realen Begegnung und nicht nur zu einer bildhaft-symbolischen.

Dadurch entsteht ein Realitätsriss, denn die Welt der Betrachtenden fällt mit jener der Installation zusammen – ausgehebelt wird der übliche, harmlose Kunstbetrachtungsgenuss. Zum einen wird dies über die latent herrschende Stechgefahr akzentuiert und zum anderen durch die scharfe Gegenüberstellung zu dem mit „Adjustment and approximation“ betitelten Kartonmodell im Nebenraum. Dieses rekonstruiert die schematische Grafik von Bin Ladens Festung in Abbottabad, die zur medialen Erläuterung seiner Tötungsmission diente. Das Ausstellungsprojekt wurde mit „Populismo“ betitelt. Dieser Begriff stammt vom Lateinischen populus, was Volk bezeichnet, und bedeutet im Duden „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen […] zu gewinnen“* an. Dieses politische Agieren scheint Messner nicht nur symbolisch über das kollektive Wissen zur Operation „Neptune’s Spear“ zu denunzieren, sondern ebenfalls metaphorisch mittels der real beobachtbaren, einheitlichen Ordnung, Geschäftigkeit und Unterwürfigkeit des Bienenvolkes. Messners Situationsraum deutet in letzter Konsequenz eine Verunmöglichung des Funktionierens der Tourismusmaschinerie an und übt daher, im Bestreben seiner restlosen Unterbindung, eine Maximalanziehung aus. Eine solche wird vermutlich von den Angriffen des Bienenkörpers sowie der beiden Flugzeuge initiiert, womit Messner eine Anfangsaktion durchführen und eine Abschlussreaktion ins Gedächtnis rufen würde: Terror und Counter-Terror. Durch sein Insistieren auf vermeintlichen Anfang und vermeintliches Ende merkt er jedoch an, dass Ursprungsauslöser von Kausalketten unbestimmbar sind und sich deren Ereignisse dadurch wechselseitig als Aktion und Reaktion entpuppen.

* http://www.duden.de/rechtschreibung/Populismus (Zugriff am 23.02.2015).






Alban Berg 1885 — 1935 112 / 113


Brenner-Gespräch (14): „Bei Operette kriege ich Depressionen.“

So viele Leute fahren über die Alpen nach Italien. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause und einem Gespräch. Folge 14: der Sänger Christian Gerhaher im Gespräch mit der Musikjournalistin Elizabeth Mortimer über Regisseure und Routine, Sport, Mozart und Revolverfilme.

Elizabeth Mortimer: Demnächst geben Sie den Wozzeck an der Oper Zürich. Wie bereiten Sie sich eigentlich auf Ihre Rollen und Konzerte vor? Christian Gerhaher: Es ist ganz schrecklich, ich habe immer das Gefühl, ich fange von Null an, ich bin eine totale Pflaume. Wozzeck ist besonders schwer zu lernen. Ich stehe vor den Noten wie ein Idiot und muss irgendwie reinkommen, ganz langsam. E. M.: Was für ein Glück, wenn man mit den Komponisten reden kann! Wie ist es denn, mit einem Komponisten, der speziell für Sie schreibt, über eine spezielle diffizile Stelle zu reden? C. G.: Das ist eigentlich unangenehm, weil ich ihnen etwas auszureden versuche. Bitte ein bisschen einfacher!, muss ich sagen. Heinz Holliger z. B. hat ein Lied geschrieben, im Rhythmus ging es fünf gegen vier gegen drei gegen sieben, das war so entsetzlich und die ganze Zeit gab es irgendwelche Vierteltonketten. Da habe ich zu Heinz gesagt: Bitte, ich kann das nicht. Daraufhin hat er es etwas entschärft. Es tut mir selbst leid, wenn die Komponisten auf so jemanden wie mich angewiesen sind. Ich würde ihnen einen besseren Musiker wünschen, aber es ist, wie es ist. E. M.: In einem Radiointerview, das ich vor zehn Jahren mit Ihnen geführt habe, haben Sie von Ihren angeblichen Defiziten gesprochen. In Ihrem Buch (Halb Worte sind’s, halb Melodie) kommt das Wort Defizite schon auf den ersten paar Seiten mehrmals vor. Damals wie heute stellt sich die Frage: Was meint er denn, er ist doch so ein Perfektionist? Durch die vielen Erfolge und die Anerkennung, die Ihnen jetzt zuteil wird, müssten

Sie doch das Gefühl haben, es ist schon Einiges oder Vieles gelungen? C. G.: Das kann ich nicht bestreiten. Ich habe unglaublich viel Glück in allem gehabt. Zum Beispiel auch darin, dass manche meiner Wünsche nicht früher in Erfüllung gegangen sind: So habe ich mir lange gewünscht, größere Rollen an der Bayerischen Staatsoper zu singen. Wenn das früher in Erfüllung gegangen wäre, wäre es nicht erfolgreich gewesen. Ich habe Zeit gebraucht, um in die Oper hineinzuwachsen, das war goldrichtig. Und vor allem habe ich Glück damit, dass ich heute mit all diesen fantastischen Musikern und Dirigenten und mit Gerold Huber als meinem Liedbegleiter arbeiten darf. Aber trotzdem ist nicht daran zu rütteln: Ich bin kein Musiker, ich bin irgendwo dazwischen, zwischen Musiker und Schauspieler. E. M.: Vor zehn Jahren haben wir auch über Regisseure gesprochen. Sie waren ziemlich streng und haben sich über manche Regisseure empört, wenn sie ein Stück komplett verdrehen. Inzwischen haben Sie mehr Opernerfahrung, und Sie haben bestimmte Regisseure, mit denen Sie am liebsten arbeiten … C. G.: … oder die, die ich sehr bewundere. Mein grundsätzliches Urteil schwankt weiterhin, ich kann nicht sagen, ob ich für oder gegen das sogenannte Regietheater bin. Wogegen ich auf jedem Fall bin, ist banales Ausstattungstheater, wo einfach die Geschichte zum x-ten Mal irgendwie runtergenudelt wird, das kann ich nicht ertragen. Ich finde, einen künstlerischen Anspruch muss ein Regisseur unbedingt haben. Was ich auch grundsätzlich nicht mag, ist diese suchtartige Attitüde vieler Regisseure, ein Stück zu aktualisieren.


Robert Schumann 1810 — 1856 114 / 115


Das finde ich total blöde. Denn wenn ich ein Kammermusikstück aufführe, dann käme es mir nie in den Sinn, etwas zu aktualisieren. Es ist aktuell dadurch, dass es aufgeführt wird und dadurch, dass es lebende Menschen sind, die es aufführen. Das muss reichen. Der gebildete und nach Intellekt strebende Mensch ist immer ein historisch geprägtes Wesen, und so kann er auch ein Stück, das in einem historischen Kontext steht, begreifen. Die eigentlichen Spießer sind die, die sich den immer gleichen Aktualisierungsmoden unterwerfen, ohne nachzudenken – unerträglich! E. M.: In sehr vielen Interviews und Artikeln werden Sie als Grübler dargestellt. Das gefällt mir nicht. Ich habe immer einen anderen Eindruck von Ihnen! C. G.: Das gefällt mir auch nicht, aber es ist trotzdem wahr. Leider. Es ist so: Man hat eine gewisse Mischung in sich, aus der heraus man arbeitet. Ich persönlich muss immer versuchen, jeden Abend ganz radikal wahrhaftig und neu zu gestalten. Bei der Oper versuche ich, vorher abgemachte Gänge, Gesten oder Handlungen noch mal zu ergründen, um sie wieder gleich machen zu können. In der Musik versuche ich, ein Rubato bei mehreren Aufführungen gleich zu belassen. Dabei hat ein sehr berühmter Musiker zu mir gesagt: „Ein Rubato ist wie ein Fisch, der nach drei Tagen zu stinken anfängt.“ Diese Meinung teile ich nicht. Ich finde, ein Rubato fängt nicht an zu stinken, wenn man immer wieder vorher die Gestaltung radikal neu durchdenkt. Damit kann man auch Folgendes vermeiden: Eine der Hauptsünden des darstellenden Musikers, hat Erich Kleiber gesagt, ist die Improvisation in der Aufführung – das muss man sich mal vorstellen! Die andere Hauptgefahr ist die Routine. Natürlich sind das Extrempole ein- und derselben Sache: Routine und Improvisation. Ich versuche beide Extreme zu vermeiden. E. M.: Wie kann man Routine vermeiden? Einerseits braucht man sie, um eine gewisse Sicherheit zu haben, andererseits sind Ihre Konzerte, Lieder- und Opernabende für das Publikum ja meistens Sternstunden …

C. G.: … sie sind für das Publikum hoffentlich immer so, als gäbe es nur diese Aufführung und keine andere in einer Serie. Das Publikum kann erwarten, dass für einen Abend alles getan wird. Ich persönlich könnte dieses Gefühl nicht haben, wenn ich mich auf das Konzert erst zwei Stunden vor Beginn einstellen würde. Das heißt als Konsequenz: Am Konzerttag kann ich nicht reisen, ich muss versuchen, alle Kraft von in der Früh bis zum Auftritt zu bündeln, körperlich wie geistig. Natürlich gelingt das nicht immer, denn die körperlich-geistige Konstitution ist nicht bis ins Letzte erzwingbar. Aber die Frische des Zufalls ist nicht die, die man möchte, sondern die Frische des Geistes und der Konzentration, sowohl körperliche als auch psychische Konzentration. Das ist es, wonach ich strebe. E. M.: Hans Hotter und Oscar Czerwenka sind nur wegen Schuberts Winterreise Sänger geworden. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass auch Sie nur wegen des Liedes Sänger geworden sind. C. G.: Ja, nur deswegen bin ich Sänger geworden. Am Beginn des Medizinstudiums habe ich angefangen, Gesangsunterricht zu nehmen, weil ich im Chor Soli gesungen habe. Das hat mir Spaß gemacht, aber es war keine berufliche Alternative. Dann war ich in einem Liederabend und habe gewusst, das ist mehr für mich. Es war aber nicht Die Winterreise, ich hörte Schumanns Dichterliebe und seine Kerner-Lieder. Die Kerner-Lieder habe ich damals noch nicht erfasst, aber die Dichterliebe habe ich natürlich sofort begriffen. Während des Medizinstudiums habe ich dann Gesang studiert, privat und als Gast an der Hochschule in München, die Oper war mir aber eher fremd. Ich war vielleicht zwei, drei Mal in der Oper bis ich achtzehn war und habe mich eigentlich nicht dafür interessiert. Aber langsam bin ich ein wenig reingekommen. Auch heutzutage gibt es noch viele Opern, die mich Null Komma Null interessieren. Das ist nicht unbedingt meine Welt. Andere interessiert eben Liedgesang nicht, das ist in Ordnung. Dafür muss ich mir keine BelliniOper anhören, obwohl: Neulich habe ich I Capuleti


Vincenzo Bellini 1801 — 1835 116 / 117


e i Montecchi angesehen, ich war begeistert und tief berührt. E. M.: In England ist es oft so, dass Liedsänger, auch Oratoriensänger zuerst eine große Karriere machen und erst dann den Schritt auf die Opernbühne machen. C. G.: Das Ideale, um seine Stimme kennenzulernen, ist in meinen Augen das Lied und das Oratorium, weil man sich farblich nicht sofort festlegen muss. Gerade bei Männern ist das große Problem der Bereich des oberen Passagios, ich sage jetzt mal: beim Bariton die Töne Es bis Fis. Wenn man in der Oper ist, wird einem als erstes unweigerlich beigebracht, hier muss gedeckt werden, und dann singen viele so (singt einen Dreiklang von unten nach oben: „Ha-ha-ha-hu“). Das kann keine freie Entwicklung der Stimme beinhalten! Natürlich sagen dann die meisten, das ist so deutsch, da wird so ein Deckel daraufgelegt, aber das italienische coperto das ist ganz was anderes! Nur – wie kommt man an das italienische coperto heran? Ich erzähle das anhand meiner eigenen Geschichte: Es war sicherlich nicht alles golden, was ich abgeliefert habe, aber ich habe ein anderes coperto für mich entwickelt, indem ich zunächst mal hell singe und dann die Stimme in diesen Regionen öffne. Und mit dem Lied geht das eigentlich viel einfacher. Ich finde, die Helligkeit – und das ist die Quintessenz dessen, was ich da sage –, die natürliche Helligkeit der Stimme darf nie zur Disposition stehen. Das ist meine persönliche Überzeugung.

‚Ich kriege dich noch, du singst noch Operette, das ist doch für dich geschrieben, du musst es singen, es ist herrlich, richtig was Schönes!“ – Und meine Antwort: „Ich kann das nicht einmal für Sie tun, Maestro.“ E. M.: Regisseur Otto Schenk hat in einem Interview gesagt, man braucht für gewisse Operetten großartige Opernstimmen, sonst ist es unmöglich, das zu erreichen, was der Komponist eigentlich haben wollte, weil die Operetten einfach zu schwer zu singen sind. C. G.: Meine Entgegnung wäre: Man braucht diese Operetten nicht, man braucht vielleicht großartige Sänger für Operetten, aber man braucht die Operetten nicht. Ich kriege einfach Depressionen, wenn ich solche Operetten höre, da dreht sich bei mir alles um und ich möchte mich am liebsten gleich von der Brücke stürzen. E. M.: Oh nein, das wollen wir absolut nicht! Für Sie gilt also weiterhin das Operettenverbot. Noch so ein Reizthema bei unserem Interview vor zehn Jahren war der Sport … C. G.: Gott, ich bin mir so gleich geblieben! E. M.: Sie können sich so aufregen über den Sporthype, über die Allgegenwart des Sportes in der aktuellen Berichterstattung! Was ist es, was Ihren Unmut anregt, sind es die Großveranstaltungen, Fußball und so weiter?

*** Es ist nicht nur eine Modeerscheinung von heute, dass sich Opernsänger der sogenannten leichte Muse, der Operette, widmen – für Christian Gerhaher ein Reizthema. Trotzalledem, so hört man, soll ihn der Dirigent Christian Thielemann für Aufnahmen oder ein Konzert mit Operettenausschnitten umwerben. C. G.: Ja, das ist so ein Running Gag zwischen uns, er sagt er immer (ahmt die Stimme Thielemanns nach):

C. G.: Es geht mir darum, dass wir in Deutschland – in Österreich ja auch – öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten haben, wir Bürger zahlen eine enorme Summe für den Erhalt und die Grundausstattung dieser Anstalten, wir geben Geld dafür aus, dass sich diese Sender nicht durch Werbung finanzieren müssen, so dass sie unabhängig sind. Und was tun diese Sender? Sie nehmen 10 % ihres Etats durch Werbung ein – dadurch sind sie nicht mehr unabhängig – und schielen die ganze Zeit auf Einschaltquoten! Dadurch machen


Wolfgang Amadeus Mozart 1756 — 1791 118 / 119


sie etwas zunichte, was ihnen vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird, nämlich eine ausgeglichene Verteilung ihrer Arbeit auf drei verschiedene Gebiete: erstens Information, zweitens Unterhaltung, drittens Bildung. Ich habe nichts gegen Sport und als Mediziner müsste ich eigentlich dazu sagen: Sport ist in gewissen Grenzen sehr gut und wichtig. Für mich persönlich ist er eher nebensächlich, aber das hängt mit meiner Lebensweise zusammen. Aber ich habe entschieden etwas dagegen, wenn ich in einer Informationssendung Interviews zu Fußballspielen höre und dann sagen die, „man darf den Gegner nicht unterschätzen, es wird ein schweres Match sein und man wird erst später erfahren, was das Ergebnis sein wird.“ Muss man sich solche Trivialitäten ständig nicht nur anhören, sondern auch leisten? Was diese Sendungen kosten und zu welchen Sendezeiten dieser Schmus ausgebreitet wird, das ist ja ein Skandal! Ich kann mich da einfach nicht der Stimme enthalten, auf diese Art und Weise wird aktiv Unbildung, Verblödung betrieben. Man kann daher nicht länger sagen, Mozart ist eine großartige Unterhaltung, das ist er eben gerade nicht! Mozart ist immer existentiell. Und das ist es, was ihn wichtig macht. E. M.: Das bringt uns zum Thema: Wo steht die Kultur in der EU? In den EU-Verträgen ist es nirgends fest verankert, aber es ist eigentlich die Kultur, die die Völker besser zusammenbringen würde. C. G.: Ich glaube, da ist es sehr schwierig in der EU, denn die Art, Kultur zu verbreiten, ist doch in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Wir sind hier in Österreich, Deutschland und der Schweiz noch auf der Insel der Glückseligen. Wenn man sich England ansieht, wo für Kultur fast nichts ausgegeben wird – es ist ein Desaster! Die Kultur kann nur durch alltägliche, ganz unauffällige Arbeit immer neu erstellt werden – nämlich durch Bildung in der Schule. Und die ist in großer Gefahr! In Deutschland noch viel mehr als in Österreich, bei uns wird in manchen Bundesländern diskutiert, entweder Kunstunterricht oder Musikunterricht anzubieten. Wo gibt’s denn so etwas? Das ist eine

derartige Barbarei. Die Schule wird meiner Ansicht nach viel zu sehr als Zentrum der Vermittlung von Kompetenzen gesehen, so nennen sie das auch. Aber die Schule ist kein Kompetenz-Vermittlungs-Zentrum, sie ist ein Zentrum, um Bildung zu vermitteln. Und wenn das nicht gemacht wird, dann sind die Künste auf Dauer schwer gefährdet. Das ist die eigentliche Gefahr unserer Zeit. E. M.: Abschließend noch zu Dingen, die Sie mit Enthusiasmus erfüllen. Welche Künstler begeistern Sie? Sie haben einmal Frank Peter Zimmermann erwähnt. C. G.: Ja, es gibt viele Geiger, die mich begeistern. Frank Peter Zimmermann ist mein Held. Neulich habe ich auch mal die Patricia Kopatschinskaya gehört – unglaublich! Gidon Kremer habe ich immer schon verehrt, er hat so einen eigenen Klang, den würde ich blind erkennen. Ich habe sehr oft seine Bach-Partiten und Sonaten angehört. Die Geige ist mir ganz nah. E. M.: Haben Sie Zeit, oder nehmen Sie sich Zeit, manchmal Sachen anzuhören? Sie sind ja ständig unterwegs. C. G.: Zur Zeit ist es schwierig, das belastet mich auch manchmal. Ich habe natürlich nicht Musik studiert, mein Studienhorizont ist und bleibt die Medizin. Insofern habe ich ein großes Defizit an Repertoire-Kenntnis – ich kenne so viele Opern nicht! Und manche möchte ich auch gar nicht kennenlernen … (schmunzelt). Wenn ich unterwegs bin, muss ich mich natürlich auf meine Stücke konzentrieren, aber die übrige Zeit versuche ich das auszugleichen, indem ich immer wieder in die Oper und in Konzerte gehe. Ab und zu brauche ich allerdings auch meine Eskapismen, das gebe ich gerne zu. Ich schaue dann irgendwelche Revolverfilme an. Meine Frau sagt: „Du bist verblödet!“ Aber das brauche ich.


Die HĂźgelformation 120 / 121


Satzspiegel *

von Brigitte Labs-Ehlert *

— Nutzfläche auf der Seite eines Buches, einer Zeitschrift oder anderen Druckwerken; ein bedruckten Flächen zugrundeliegendes schematisches Ordnungssystem, das den Grundriss von Schrift, Bild und Fläche definiert. — Aufforderung, Sätze zu formulieren, die für die eigene Arbeit stehen und deren Grundgerüst bilden; das eigene Schaffen zu spiegeln und dabei die tagtäglich gebrauchten professionellen Ausdrucksmittel möglichst außer Acht zu lassen.

Ein Weg ist mehr als die kürzeste Strecke von einem Ort zum anderen, zum Ziel. Das wäre die Schnellstraße, die außer dem Erleben der Geschwindigkeit keine anderen Erfahrungen und Eindrücke bereithält. Erst eine langsame Annäherung stiftet einen sinnvollen Zusammenhang zwischen den Elementen der durchschrittenen Welt. Weg bedeutet auch die Art und Weise, das Verfahren, wie etwas gesehen und getan und gedacht wird. Gehen und Lustwandeln, Spaziergang und Fußwanderung gelten nicht nur in der Literatur als die angemessene Geschwindigkeit für Wahrnehmung und Erkenntnis. Das Literatur- und Musikfest „Wege durch das Land“ in Ostwestfalen-Lippe (dessen künstlerische Leiterin die Autorin ist, Anm.) ermöglicht Gedanken- und Schreibgänge durch die Zeit und den Raum, von Ort zu Ort. Die Wegmarken zeigen die vorhandene reiche und vielfältige Kulturlandschaft mit ihren vielen Dichterorten und historischen Bauwerken. Sie weisen auf charakteristische Plätze hin, an denen die für diesen Landstrich typischen Arbeiten verrichtet wurden. Gleichzeitig schaffen sie eine zweite imaginäre Landschaft, die das Vorhandene als vielstimmiges Gespräch in neuer Weise sicht- und hörbar macht und Begegnungen zwischen vergangenen und zeitgenössischen Landschaftserfahrungen in Literatur, Musik, Bildender Kunst und Tanztheater ermöglicht. Damit wird der Entwurf eines eigenständigen Raums ästhetischer Reflexion in der Gegenwart bezeichnet. Man macht sich ein Bild von einem Flecken Erde, den man kennt oder den man gerade kennenlernen möchte, man macht sich ein Bild von jedem Flecken Erde, den man aufsucht – real oder imaginär durch ein Stück Literatur, ein Gedicht, einen Film oder ein Gemälde. Ein Bild als ein Zusammentreffen von Vorbildung und Vorbildern, als eine Vorstellung, geprägt von der eigenen Erfahrung, dem konkreten Wissen, der ästhetischen Erziehung und vielen Fragen. Ein Bild, das eine Geschichte erzählt. Warum ist es wichtig, sich mit Orten zu befassen? Sie überdauern die Flüchtigkeit der menschlichen Existenz. Sie helfen uns vor dem Vergessen und bewahren Erinnerung. Sie können uns ein Maß geben, indem sie neben uns existieren, uns wohl auch fremd sind, und sich in anderen Zeitläuften verändern, als wir uns verändern. Warum finden wir Orte schön oder hässlich? Es gibt Orte, die mir nichts

sagen, das sind jene, die ihr Gesicht verloren haben, die ihre Geschichte verleugnen, die durch die allseitigen Verschönerungsmaßnahmen und ewig gleichen Marketingstrategien leer geworden sind. Und selbst in diesen entleerten Orten lässt sich vielleicht mit Mühe noch ein Rest davon aufspüren, was die Qualität des Ortes ausmacht: Gedächtnis und Lebendigkeit. Diese basiert auf Individualität, Vielseitigkeit und Andersartigkeit. Sobald man diesen Zipfel Gedächtnis findet wie eine Oase, wie eine Ruine – lässt sich eine Geschichte finden, stellt sich ein Bild ein. Das Typische und das Normierte sind grundlegend verschiedene Angelegenheiten. Das Typische, das sind in Ostwestfalen sicherlich die Schlösser, Gutshäuser, Klöster und Kapellen, die Mühlen und Gärten, die etwas struppige Landschaft, etwas Bescheidenes, nicht nach außen gewendete Prunk- und Herrschsucht, etwas Stilles; und jedes Bauwerk unterscheidet sich von dem anderen in vielen Details, und jeder „typische“ Taleinschnitt und jede die Landschaft prägende Hügelformation hat andere Verläufe, anderen Bewuchs, andere Pfade und Wege. Die Variation, die Abweichung von der Norm, eröffnet den Raum für die Besonderheit, jetzt kann die Geschichte beginnen. Und die Geschichte, die Orte erzählen, bezieht sich nicht ausschließlich auf die Vergangenheit. Geschichte bildet sich jetzt, Geschichten beginnen jetzt, vorausgesetzt, man hält den Raum dafür frei: den nicht normierten, individuellen, nicht perfekt gestylten Ort und den Ort, den jeder im Kopf als Phantasie und Gedankenfreiheit trägt. Unsere Sprache ist auf eine faszinierende Weise sehr appellativ. Was die Orte sagen, kann ich nur verstehen, wenn ich sie genau beobachte. Diese kleine Silbe „be“ verhindert, dass ich einen Ort für etwas vereinnahme, baut eine Distanz auf, bringt den Besucher als Suchenden in die Position des Aufmerksamen, dem nur dann etwas auffällt, wenn er sich zurücknimmt, Wahrnehmen gelingt nur dann, wenn man nicht zugreifen möchte. Gib Obacht meint, ganz Ohr, ganz Auge zu werden. Schließlich umfasst Beobachten das Achten. Nur das lässt sich beobachten, das gleichzeitig geschätzt und gewürdigt wird. Beobachten heißt, sich in eine Verantwortung zu stellen. Und dies nun ist etwas ganz und gar Gegenwärtiges. Den Orten zuhören, in die Landschaft eintauchen, so entsteht eine lebendige Poetische Landschaft im gebirgichten Westfalen.


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Besetzung

Bernhard Flieher, Schärding Salzburg, Mondsee: Journalist, Autor und DJ. Kultur-Redakteur, Radsport-Reporter und Kolumnist bei den Salzburger Nachrichten. Beiträge (von der Tour de France bis zu den Salzburger Festspielen) für diverse Zeitungen und Magazine. Buchveröffentlichungen: „Weit, weit weg – Die Welt des Hubert von Goisern“ (2000) und „Am Rande des Erfolges – Über das Scheitern“ (2012, beide im Residenz Verlag). Raffael Fritz, Feldkirch Wien: Journalist, Radiomacher, Geschichtenerzähler seit 2009. Davor Journalismus-Studium an der FH Wien. Schreibt bevorzugt das, was man im Englischen „longform journalism“ nennt. Paulus Hochgatterer, Amstetten Wien: Kinderpsychiater und Schriftsteller. Romane, Erzählungen, Theaterstücke. Auszeichnungen u. a. Literaturpreis der Europäischen Union (2009), Österreichischer Kunstpreis (2010). Zuletzt erschienen: „Das Matratzenhaus“, Roman (Deuticke 2010), „Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe. Eine Poetik der Kindheit“ (Deuticke 2012). Hamburg: Comiczeichnerin Line Hoven, Ostwestfalen-Lippe und Illustratorin. Ihre Graphic Novel „Liebe schaut weg“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem e. o. plauen Förderpreis ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Schriftsteller Jochen Schmidt veröffentlichte sie „Dudenbrooks“ (bei Jacoby & Stuart) und „Schmythologie“ (bei C. H. Beck). Ihre in Schabkarton gekratzten Arbeiten erscheinen in verschiedenen Magazinen und Zeitungen (u. a. Strapazin, Le Monde diplomatique und Frankfurter Allgemeine Zeitung). Line Hoven ist Mitglied beim Zeichnerinnenkollektiv SPRING. Iris Kathan, Innsbruck Innsbruck: Literaturwissenschaftlerin und Autorin. Studium der Komparatistik und Germanistik in Innsbruck. Seit 2006 Mitarbeiterin des Forschungsinstitutes Brenner-Archiv. Hier vor allem Auseinandersetzung mit Literatur und Topographie, Projekte im Bereich Literaturvermittlung (u. a. Projekt „Literatur-Land-Karte Tirol / Südtirol“). Gemeinsam mit Christiane Oberthanner veröffentlichte sie „Innsbruck. Ein literarischer Stadtführer“ (Haymon 2009). Michael Kerbler, Wien Wien: Journalist. Zählt zu den bekanntesten Rundfunkjournalisten Österreichs in unterschiedlichen Funktionen (u. a. Wirtschaftsredakteur, ORF-Auslandskorrespondent in Bonn und stellv. Ressortleiter Außenpolitik / Hörfunk). Kerbler berichtete mehrfach aus Ostafrika, der arabischen Welt, dem Iran und auch aus der DDR. Ab 1998 ORF-Chefredakteur Hörfunk, danach Chefredakteur des ORF-Auslandsradios. Ab 2003 Leiter der Ö1-Sendereihe „Im Gespräch“. Seit Jahresbeginn 2014 arbeitet Michael Kerbler als freier Journalist. Seit September 2015 wird Kerblers neue Gesprächsreihe „ZEIT.GESPRÄCH“ in ORF III gesendet. Brigitte Labs-Ehlert, Teufelsmoor Detmold: Kulturvermittlerin. Leitet das Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe seit 1990, Gründerin und künstlerische Leiterin des Literatur- und Musikfestes „Wege durch das Land“, Gründerin der Akademie der Lesenden Künste. Organisiert und konzipiert internationale und überregionale Literaturveranstaltungen sowie Literatur- und Kunstausstellungen. Herausgebertätigkeit. Lehraufträge u. a. Universität Paderborn. Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft. Ulrich Loock, Braunschweig Berlin: Kurator und Kunstkritiker. Von 1985 bis 2003 nacheinander Direktor der Kunsthalle Bern 126 / 127

und des Kunstmuseums Luzern sowie Stellvertretender Direktor des Museum de Serralves, Porto, Portugal. Seit 2010 als Kunstkritiker, unabhängiger Kurator und Dozent wohnhaft in Berlin.. Wien: Schauspielerin und SchriftDörte Lyssewski, Winsen / D stellerin. Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hamburg. Seit 1989 Theater, Musiktheater und Oper in Berlin, Zürich, Bochum, Wien, Paris, Brüssel, Montpellier, bei den Salzburger Festspielen & der Ruhrtriennale u. a. mit Peter Stein, Luc Bondy, K. M. Grüber, Patrice Chérau, Andreij Wajda, Alvis Hermanis, Ernst Stötzner, Herbert Wernicke, La Fura del Baus, Stanislas Nordey. Hörspiele, Hörbücher, Konzerte und Synchronisationen. Lehrauftrag am Max-Reinhardt-Seminar. Erster Erzählband: „Der Vulkan oder die Heilige Irene“ (Matthes & Seitz 2015). Philipp Messner, Bozen München: Bildender Künstler. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Michelangelo Pistoletto und an der École nationale supérieure des Beaux-arts in Paris bei Giuseppe Penone. Messners Arbeiten sind konzeptuell, sie thematisieren die Funktion von Form und Oberfläche, und beziehen durch ihre räumliche Größe den Betrachter in seiner körperlichen und psychischen Präsenz mit ein. Seine Skulpturen, Performances und Medienarbeiten kreisen um die Erfahrungen und Auswirkungen des Virtuellen, die Hinterfragung menschlicher Wahrnehmung und die Dekonstruktion vermeintlicher Wahrheiten. Matthias Moroder, Bozen, St. Ulrich Wien, Zürich: Studierte Architektur, Architekturgeschichte und -theorie, Kunstgeschichte und Philosophie in London, Wien und Zürich. Seit 2012 betreibt er mit seinem Bruder Andreas das Wirtshaus „Zur Traube – Ianesc“ in St. Ulrich in Gröden / Italien, in dem punktuell immer wieder kulturelle Veranstaltungen stattfinden und seit 2015 mit Sebastian Bietenhader das Buero „Bietenhader Moroder“ in St. Ulrich, Wien und Zürich. 2016 erscheint im Buchverlag Traube eine monographische Publikation zu Philipp Messners Ausstellungsprojekt „Populismo“. Elizabeth Mortimer, Yorkshire / GB Grödig bei Salzburg: Übersetzerin und Journalistin. Sie kam während ihres Studiums an der Universität Surrey nach Österreich und zum ORF. Im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit (ORF-Radio Austria International, BBC World Service, Deutsche Welle Radio u. a.) verfasste sie Reportagen, gestaltete Beiträge und interviewte zahlreiche Musiker, Künstler, sowie Politiker und Ökonomen. Sie ist auch als Übersetzerin und Dolmetscherin tätig, vorwiegend im kulturellen Bereich. www.mortimer.at Linz, Innsbruck: Studium der Marianne Oberladstätter, Vorau Kunstgeschichte an den Universitäten Innsbruck und Salzburg. Arbeitet freiberuflich als Kunsthistorikerin und Sachbuch-Autorin. Florian Raditsch, Kalifornien Wien: Bildender Künstler. Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Aktuelle Ausstellung: „Die Stimme der Erinnerung“, KHG Linz. www.florianraditsch.com Gregor Schneider, Rheydt Rheydt: Bildender Künstler. Arbeitsschwerpunkt: gebaute Räume. Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, an der Kunstakademie Münster sowie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Zahlreiche Ausstellungen international (siehe www.gregor-schneider.de). Für seine im Deutschen Pavillon ausgestellte Arbeit „Totes Haus u r“ erhielt


er 2001 den Goldenen Löwen der Biennale Venedig. Von 1999 bis 2003 war er Gastprofessor in Amsterdam (De Ateliers), Hamburg (Hochschule für bildende Künste) und Kopenhagen (Königlich Dänische Kunstakademie). 2009 wurde Gregor Schneider als Professor für Bildhauerei an die Universität der Künste Berlin berufen, 2012 als Professor an die Akademie der Bildenden Künste München. Bernd Schuchter, Innsbruck Innsbruck: Autor und Verleger. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Innsbruck, seit 2006 Verleger des Limbus Verlag. Rezensionen unter anderem für Vorarlberger Nachrichten, Wiener Zeitung und Literaturhaus Wien. Lebt mit seiner Familie in Innsbruck. Preisträger beim Prosapreis Brixen / Hall (2007) und beim Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2014). Zuletzt erschienen von ihm die Erzählung „Jene Dinge“ (2014) sowie die Romane „Link und Lerke“ (2013), „Föhntage“ (2014) und der literarische Reiseführer „Innsbruck abseits der Pfade“ (2015).

Wien: Medienkünstlerin. Studium Nicole Weniger, Innsbruck an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Zahlreiche Preise und Stipendien. Ausstellungen (Auswahl): Memento Mori, Space Between, Kapstadt (2015); XWRA, Video and Media Art Festival, Chora, Griechenland (2015); environmental scanning, St. Claude Gallery, New Orleans (2014); Seasonal Integration IV, platform arts, Belfast (2014); Saisonale Integration III, periscope, Salzburg (2014): RLB Kunstpreis, RLB Kunstbrücke, Innsbruck (2014); Vrai ou Faux?, Nederlands Fotomuseum, Rotterdam (2013); Schreiraum, Landhausplatz, Innsbruck (2013); Inkognito, Galerie im Andechshof, Innsbruck (2012); Burka, Osztrák Kulturális Fórum, Budapest (2012). www.nicoleweniger.com Dorothea Zanon, Lienz / Osttirol Innsbruck: Lektorin. Studium der Literatur- und Theaterwissenschaften in Wien. Tätigkeiten beim ORF, im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek und im Innsbrucker Brenner-Archiv. Seit 2008 Lektorin im Haymon Verlag.

Quart Heft für Kultur Tirol

Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 21,– (SFr 29,40) · Einzelheft: € 14,– (SFr 20,–) · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Bernhard Flieher, Raffael Fritz, Paulus Hochgatterer, Line Hoven, Iris Kathan, Michael Kerbler, Brigitte Labs-Ehlert, Ulrich Loock, Dörte Lyssewski, Philipp Messner, Matthias Moroder, Elizabeth Mortimer, Marianne Oberladstätter, Florian Raditsch, Gregor Schneider, Bernd Schuchter, Nicole Weniger, Dorothea Zanon Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten: Line Hoven Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std, Bodoni Std (linke Seiten), Neutral BP Fotografie – Beitrag Philipp Messner: Simon Perathoner (S. 108 / 109), Philipp Messner (S. 110), Veronica Moroder (S. 111) Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 94 /95 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt und Artaria KG, Kartographische Anstalt, Brunner Straße 69, A-1231 Wien. Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-7218-2 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2015 · Alle Rechte vorbehalten.



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