Quart Nr. 29

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Quart Heft für Kultur Tirol Nr. 29 /17 E 16,–


Architektenkammerfest Land: Stadt: Ort: Veranstalter: Gestaltung:

Catering: Licht: Cafè: Piano: DJ: Projektoren: Projektion: Zeit: Foto:

Österreich Innsbruck Baustelle Haus der Musik (Architekt Erich Strolz) Kammer der ZiviltechnikerInnen für Tirol und Vorarlberg Columbosnext (Walter Prenner, Verena Rauch) Theresa Stillebacher Studierende des Studio 3 Klein & Fein (Petra Unterweger) Lichtfabrik Halotech (Ernst Mitterndorfer) Max Standard (Patrick Redolfi) Gregor Blösl Hannes Baumann Otto Wulz Vinzenz Lachmayer Mittwoch, 21. Juni 2017, 17.00 - 2.30 G. Richard Wett

LICHTFABRIK HALOTECH




Inhalt

Andreas Fogarasi „Circles + Squares“

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Halotech Lichtfabrik

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Benjamin Zanon 4 Inhaltsverzeichnis 5 Fließtext von Hans Magnus Enzensberger Von rollenden Fäden und sitzenden Hosen Marlene Groihofer kauft keine Hose und geht nicht essen

7–9

11–17

Im Unsichtbaren Theresa Eipeldauer zeigt „Auszüge und Gegenüberstellungen von grafischen Notizen 1–9“ nebst einer Einleitung von Matthias Pfisterer

77–85

Brenner-Gespräch (17): „Ich komponiere besser bei schönem Wetter“ Yvonne Gesler erfährt von der Komponistin Birke J. Bertelsmaier mehr über Hoch- und Tiefdruck im Neuland der Musik 87–95 Leben am (Wald-)Rand Bernd Schuchter schaut ums Eck

97–105

Was man leider nur auf dem Lande findet Egon Friedell auf Sommerfrische in Kufstein. Von Susanne Gurschler 19–27

Enttarnung einer Suggestion Barbara Pflanzners Notizen zum Weiterdenken von Regelwerken

Zeichen zeigen Andreas Fogarasi untersucht visuelle Identitäten. Von Fiona Liewehr 29–33

„Architekturerweiterungen“ von Franz Riedl

108–113

Organische Texturen Sabine Dreher über Benjamin Zanons Handschrift

115–117

Fließtext von Esther Kinsky

119–121

Andreas Fogarasi „Circles + Squares“

35–50

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Marginaltexte (3) Mensch und Haus im Alpenraum Ernst Hiesmayr über alte Bau- und Pseudolandkultur 53–59

Eigenwerbung 122/123

Thomas Feuerstein Originalbeilage Nr. 29

col legno music 124 Haymon Verlag 125

Das Lied von der Erde Landvermessung No. 5, Sequenz 2 Ins Defereggental und weiter Dörte Lyssewski wähnt Gustav Mahler am Wegesrand

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Besetzung, Impressum

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62–75 5



Fließtext*

Von Hans Magnus Enzensberger

Die Kunst, sich unbeliebt zu machen Der eine: Das ist doch ganz einfach. Du brauchst den Leuten nur zu schmeicheln und ihnen alles in Aussicht zu stellen, was sie hören möchten, ohne einen Gedanken daran zu verwenden, wie das Versprechen einzulösen wäre. Wenn ihnen das endlich klar wird, sind sie wütend. Der andere: Schon, aber dann ist es zu spät. Wer hofft, die Abneigung, den Hass und die Verachtung seiner Mitmenschen auf sich zu ziehen, will sein Ziel sofort erreichen. Aber bald wird er feststellen, dass die Konkurrenz nicht schläft. Jeder, der sich einbildet, als Einziger in einem solchen Wettbewerb bestehen zu können, gibt sich einer Illusion hin. Der eine: Mein Lieber, es reicht nicht aus, dass man alle andern täuscht. Ohne Selbsttäuschung ist noch kein Machthaber ausgekommen. In der Beschränktheit zeigt sich erst der Meister. Wenn ein Führer nicht an seine Unersetzlichkeit glaubt, hat er keine Chance. Duce, Comandante en Jefe, Präsident, Vater des Volkes, Sonne des Sozialismus, Conductor, ganz egal, jeder ist der Überzeugung, dass es ohne ihn nicht geht. Der andere: Aber jeder von diesen Typen unterliegt einem Irrtum, wenn er sich einbildet, die Menschheit wäre auf ihrer Suche nach dem größeren Übel auf ihn angewiesen. Der eine: Du meinst also, je dreister, plötzlicher und brutaler ein Anführer vorgeht, desto mehr Anhänger wird er um sich scharen? Der andere: Das ist keine bloße Vermutung. Warum sonst scharren überall so viele Kandidaten mit den Füßen, um die Goldmedaille der Unbeliebtheit zu erringen? Sie können es gar nicht erwarten. *

— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

Der eine: Es muss ja nicht gleich eine Weltmeisterschaft oder eine Olympiade sein. Es gibt doch auch die zweite und die dritte Liga. Ich kenne mich im Sport nicht aus, aber ich habe mir sagen lassen, dass manchmal ein Lokalderby wütender ausgetragen wird als ein Finale mit Milliarden von Fernsehzuschauern. Der andere: Das stimmt. Manche von ihnen gehen in Gegenden ans Werk, die mit dem Finger auf der Weltkarte schwer zu finden sind. Wer von uns könnte sich die Namen der jeweiligen Häuptlinge, Warlords, Chefs der einschlägigen Milizen, Aufständischen, Befreiungsfronten und Drogenkartelle merken? Der eine: Das ist uns wirklich nicht zuzumuten. Über die feinen Unterschiede zwischen den Zuständen in Tadschikistan, Baschkirien und Nordossetien wissen nicht einmal die Geheimdienste wirklich Bescheid. Der andere: Das sind arme Teufel. Sie ersticken in dem Morast von Daten, die sie überall einsammeln. Der eine: Auch unsere Unterhaltung wird abgehört. Der andere: Das macht nichts! Zum Glück sind wir unwichtig. Aus dem, was wir uns ausdenken, geht nichts Interessantes hervor. Wir posten, chatten, twittern und skypen nicht. Der eine: Wir haben keine Ahnung, wer gerade in Somalia, Haiti, Nagorny Karabach, in Burundi, im Südsudan, im Osten des Kongo, in dieser oder jener Region des Jemen, Syriens oder Afghanistans das Sagen hat. Der andere: Besser sieht es für unsereinen in vertrauteren, von Kameras ausgeleuchteten Umgebungen aus. Über die regierende Junta in Venezuela sind wir gut unterrichtet. Der eine: Aber wer weiß, wie es ihr gelungen ist, eines der ölreichsten Länder der Welt so gründlich herunterzuwirtschaften, dass es schon organisierte Schlägertrupps braucht, um die Leute in Schach zu halten und das Recht auf Plünderung denen einzuräumen, die der Junta in den Sattel geholfen haben. Der andere: Das ist mir immer noch viel zu weit weg! Wir sollten uns auf die Nachbarschaft konzentrieren. Der ungarische Präsident, ich habe leider seinen Vor7



namen vergessen, tut doch, was er kann, um Abneigung wie mit einem Brennglas auf sein Haupt zu lenken. Auch unsere polnischen Freunde, die Brüssel mit Milliardengaben und Schutz vor einem bösen Nachbarn im Osten verwöhnt hat, verfolgen ihre Gönner mit erbitterter Miene und mit Drohungen. Und dann ist da noch einer, dem der Größenwahn auf die Stirn geschrieben ist. Er möchte nicht nur das osmanische Reich wiederherstellen, sondern auch Europa und Zentralasien eingemeinden, und für diese Aufgabe steht nur ein einziger Mensch zur Verfügung, der mit E. anfängt. Der eine: Vielleicht sagt dir ein anderer Name etwas. Der andere: Wen meinst du? Der eine: Étienne de La Boétie. Der andere: Kenne ich nicht. Der eine: Weil er weder berühmt noch berüchtigt genug ist. Ein Freund von Montaigne. Sein einziges Werk ist sehr zu empfehlen. Es heißt: Von der freiwilligen Knechtschaft. Darin findest du eine Erklärung, warum die Herren auf unserer Liste – es sind ja meistens Herren und nur selten kann eine Dame mit ihnen wetteifern –, warum es ihnen gelingt, Abermillionen von Anhängern und Wählern unter ihren Fahnen zu versammeln. Der andere: Da bin ich gespannt. Der eine: „Die Völker sind es selbst, die sich quälen lassen, oder vielmehr, die sich selber quälen, denn würden sie Schluss machen mit dem Dienen, so wären sie frei davon. Das Volk unterwirft sich selbst und schneidet sich die Kehle durch, und bei der Wahl, Sklave zu sein oder frei, gibt es seine Unabhängigkeit auf und beugt sich unter das Joch, es willigt in sein Elend ein und jagt ihm vielmehr nach. (…) Kein Vogel geht so schnell auf die Leimrute, und kein Fisch lässt sich durch einen Wurm so rasch an die Angel ködern, wie sich ein Volk in die Knechtschaft locken lässt.“ Der andere: Hast du diese Zeilen auswendig gelernt? Der eine: An diese vergessenen Lehren zu erinnern, kann nie schaden. Ich habe den Eindruck, dass sie heute dringender gebraucht werden als zuvor. Der andere: Weil die Beliebtheit der Unbeliebten einen

Grad erreicht hat, der mich erschreckt. Und dabei denke ich nicht an die lokalen und regionalen Anstifter. Der eine: Nicht an die Marionetten, sondern an die Herrscher Chinas, der Vereinigten Staaten und Russlands. Die legen sich alle schwer ins Zeug. Der Amerikaner bemüht sich ernsthaft, nicht nur viele seiner Landsleute, sondern auch alle seine Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. Die Chinesen annoncieren ihre Pläne für die Weltherrschaft und verlangen Zustimmung und Gehorsam. Der russische Zar, ein erfahrener Mann, der beim KGB gelernt hat, verlegt sich auf Drohungen und militärische Mittel. Alle rüsten auf. Niemand liebt sie, nur im Volk haben sie eifrige Anhänger. Der andere: So weit geht alles seinen normalen Gang. Nur ein paar Kleinigkeiten stören das Bild. Unruhestifter und Querulanten erheben ihre Häupter. Man nennt das mit einem altmodischen und gebildeten Ausdruck Polarisierung. Auch die Risikoscheuen haben Zulauf. Sie schwärmen für den Frieden. Der eine: „Mögen sie uns hassen, wenn sie uns nur fürchten“, bei dieser klassischen Maxime der Politik wird ihnen mulmig zumute. Der andere: Man kann ihrem Mangel an Begeisterung natürlich mit den üblichen Mitteln der Repression und der Propaganda begegnen. Der eine: Aber wie weit trägt das? In manchen Ländern gibt es Vorstellungen und Vorlieben, die tief verwurzelt sind. Dort hängen viele an Gewohnheiten, die ihnen schwer auszutreiben sind. Sie mögen den Rechtsstaat, ihre Verfassung und ihre Zivilisation. Der andere: Solchen Menschen fehlt jedes Verständnis für den Größenwahn ihrer Anführer. Schon A. Hitler und J. Stalin hatten viel zu leiden unter dem Undank ihrer Völker. Sie waren enttäuscht. Es gab Momente, in denen sie am Erreichen ihrer Ziele irre wurden und an ihrer Kunst zweifelten, Hass, Verachtung und Feindseligkeit zu säen und zu ernten.

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Von rollenden Fäden und sitzenden Hosen

Franz Prader schneidert in Kitzbühel nach Maß. Marlene Groihofer hat ihn besucht – in fadenscheiniger Begleitung.

Wenn ich der Zwirn wäre, ich glaube, ich wäre auf hundertachtzig. Vielleicht sogar mit rasendem Puls und einem leichten Schwindelgefühl. Gerade habe ich wie eine Wahnsinnige nach ihm gesucht. Meine ganze Kramuri-Kiste habe ich auf den Kopf gestellt. Ziemlich viel liegt da drinnen. Und ganz unten halt der Zwirn. Recht lieblos, das Ende schlecht aufgewickelt, kugelt er herum, von Büroklammer zu Glühbirne und zurück. Kein Tageslicht, keine Nadel, nicht einmal ein Fingerhut als Nachbar. Nie würdige ich ihn eines Blickes. Aber jetzt ist er in meiner Tasche und ich bin am Bahnsteig. Fast schon hätte ich ihm eine Fahrkarte gekauft. Der Zwirn muss mit! Der Zwirn kommt mit! Die Entscheidung ist erst ein paar Stunden alt. Und noch ist die zentrale Frage ungeklärt: Um des Zwirnes willen, was macht der Zwirn in Kitzbühel? Wie immer, wenn ich nicht weiterweiß, rufe ich an. Diesmal sogar über die Landesgrenze. „Was der Zwirn in Kitzbühel macht? Vielleicht kann er dort einfach nur fein sein“, meint meine bayerische Freundin. „Er ist da bestimmt in etwas verwickelt“, flüstert mein Mitbewohner. „Die Sache ist doch klar“, sagt meine Kollegin: „Er verliert den Faden.“ Genial, denke ich. Das ist es. Er verliert den Faden! Warum mir das nicht selbst eingefallen ist. Seinen schönen weißen Faden kann er verlieren, Stück für Stück oder in voller Länge. Ganz langsam kann die Abwicklung erfolgen oder rasch. Es kann lautlos passieren, ohne Aufsehen, immer und überall. Sogar augenblicklich, in meiner Tasche hier. Wenn das nicht

praktisch ist! Aber soll er wirklich alles verlieren, was er hat? Frühestens in Kitzbühel, beschließe ich, und wähle einen Fensterplatz. Zeit, die Nadeln zu begutachten. Goldene Köpfe haben sie und sehen in der Plastikhülle aus wie Orgelpfeifen. Zwanzig Stück! Eine hätte auch genügt, denke ich, aber gut, dass sie da sind. Schnell noch war ich in der Drogerie. Beinahe wäre ich ohne Nadeln losgefahren. Dabei könnte es doch sein, dass der Zwirn eine braucht. Nicht jetzt im Moment, nicht gleich nach dem Einsteigen, aber später vielleicht. Felder ziehen an mir vorbei, Häuser und ein leicht bewölkter Himmel. Der Zwirn fährt schwarz, obwohl er weiß ist. Fürs Erste muss er in der Tasche bleiben. Nach unserem Halt in Salzburg darf er auf den ausklappbaren Tisch. Sonnenschein und schneebedeckte Gipfel links und rechts. Vor mir die kleine weiße Rolle. 100 Prozent Nylon steht drauf. Extra strong. Made in Germany. Bei 95 Grad waschbar. Und 100 Meter lang. Ungefähr 1000 Meter brauche ich vom Bahnhof Kitzbühel ins Zentrum. Ziemlich finster ist es, als ich ankomme. Hummer in Salzwasser, sagt meine Nase. Josef-Herold-Straße 15a, sagt Google. Prader, sagen meine Augen. Hier also. Hier also bin ich richtig. Wenn ich der Zwirn wäre, ich glaube, mir wäre jetzt ein bisschen bang. Sieht ganz danach aus, als würde seine Hauptrolle am seidenen Faden hängen. 11



Ich kann kommen, wann ich will, weil er ist „immer da“, hat Franz Prader am Telefon gesagt. Der Zwirn ist in meiner rechten Hosentasche, als ich am nächsten Tag in der Früh die Maßschneiderei Prader betrete. Jedenfalls meint Franz Prader mit „immer da“ zum Glück nur die Öffnungszeiten seines Geschäftes. Wobei man die eigentlich „fast immer“ nennen kann. Montag bis Freitag von acht bis achtzehn und am Samstag von acht bis siebzehn Uhr. Seine Mutter war es, die ihn einst zur Schneiderei gebracht hat. Heute, mit 81 Jahren, liebt er seinen Beruf noch immer: „Aufstehen und hier arbeiten, das ist ein herrliches Leben.“ Seit 53 Jahren schon betreibt er in Kitzbühel die Maßschneiderei, in der ich ihn besuche. In dunkelblauem Blazer und grauer Hose steht er hinter einem großen, hellen Holztisch. Vor ihm ausgerollt liegt ein blau-schwarz karierter Stoff, den er gerade in seine Spezialität verwandelt, eine „Prader-Hose“. Von seinem Platz aus hat der weißhaarige Schneidermeister alles im Blick: den Geschäftsraum mit den vielen vollen Kleiderständern, die Eingangstüre mit dem holzgeschnitzten Türgriff und jeden, der im Zentrum von Kitzbühel so spazieren geht. Manchmal leidet das aufmerksame Schneiderauge ein bisschen: „Keiner versteht mehr etwas von Hosen“, klagt Franz Prader und lacht, „jeder sieht aus wie eine Ziehharmonika.“ Gerade stapft eine Familie in Skimontur zur Hahnenkammbahn hinauf. Im Radio läuft ein deutscher Schlager. „Im Winter ist viel mehr los bei uns als im Sommer“, sagt Franz Prader, „da braucht man schließlich auch mehr Kleidung. Im Sommer brauchen Sie ja fast nichts.“ Ordentlich liegen Pullover in bunten Farben im Regal. Stoffrollen schauen unter dem Zuschneidetisch hervor. Dicht an dicht hängt an den Wänden ein Promi-Foto

neben dem anderen. Er hat sie alle schon dagehabt. Sean Connery, Robert Redford, die Kessler-Zwillinge, Arnold Schwarzenegger, Omar Sharif. Ob er nicht auch schon einen König eingekleidet hat, will ich wissen. „Welchen König?“, fragt Franz Prader. Irgendeinen. Er winkt ab: „Ja, das ist nicht so wichtig.“ Seine erste berühmte Kundin war Romy Schneider. Skihosen hat er für sie gemacht und Blazer und lange Hosen. Oft sei sie hier gewesen. Seit ein paar Jahren kommt Jean-Claude Juncker. „Alles ganz normale Kunden“, sagt Franz Prader. Maßschneiderei bietet er an und Konfektion. Ob es etwas gibt, das er noch nie geschneidert hat? Er schüttelt den Kopf. „Wir haben alles schon gemacht.“ Vor Herausforderungen steht er trotzdem immer wieder: „Wenn zum Beispiel ein Mann vorbeikommt, bei dem unser Maßband von 150 Zentimetern nicht reicht. Da muss man dann dazurechnen, das ist immer eine schöne Aufgabe.“ [Tirolerin, beiger Mantel, Halstuch, Anfang 70] –Wann haben Sie zuletzt den Faden verloren? – Ich verliere den Faden nie, da schau ich schon, dass er nicht weggeht. Indem ich immer am Laufen bleibe, genau wie der Faden, genauso mache ich das im Leben. – Sie bleiben immer dran? – Immer, immer. Man muss schon schauen, dass man am Ball bleibt und am Faden auch. – Was würden Sie mit diesem Zwirn machen? – Flicken muss man damit und häkeln kann man auch mit ihm. Ein bisschen dünn, aber es würde gehen. Engel und dergleichen kann man da prinzipiell schon daraus häkeln. „Guten Morgen.“ Jetzt betritt ein Mann mit Glatze und grauem Bart das Geschäft. „Wie geht es dir?“, 13



fragt Franz Prader. „Wenn ich dich sehe, gut. Du bist immer das blühende Leben“, sagt der Mann. Er möchte kurz vermessen werden. Eine Jacke ist ihm in Deutschland kaputtgegangen. Franz Prader nimmt sein Maßband zur Hand. Oberweite, Rückenbreite, Länge, Schulter, Ärmellänge. Nach fünf Minuten ist der Herr wieder weg. Und ich weiß viel mehr von ihm als nur die Maße: dass er siebzig ist, seine Mutter 102 geworden ist, er früher einen großen Textilbetrieb geleitet hat und dass er beim Wandern schwitzt, sobald er zu viel wiegt. „Das ist doch herrlich, das ist ja das Schöne an meinem Beruf“, sagt Franz Prader, „ich unterhalte mich sehr gerne mit den Leuten. Ich frage immer nach. Bei uns kommt alles vorbei. Von überall auf der Welt. Das ist Kitzbühel.“ Franz Prader setzt auf Klassik, schon immer. Jedes einzelne Maß-Kleidungsstück schneidet er selbst zu. „Die Leute brauchen heute alles schneller“, sagt er, während er mit Lineal und Kugelschreiber ruckzuck einen Hosenschnitt zu Papier bringt, „eine Hose, das geht immer, aber für Anzüge, da braucht man Zeit.“ Für Hosen ist der gebürtige Südtiroler berühmt. Auch die graue, die er selbst trägt, ist – eh klar – eine „Prader-Hose“. Er entfernt sich ein paar Schritte vom Zuschneidetisch, damit ich sie besser begutachten kann: „Schauen Sie, die fällt schön. Die Bügelfalte geht nach innen. Und Sie bekommen kein Knie in der Hose. Eine gut sitzende Hose muss nach vor gehen.“ Aber das, so sagt er, „wissen nicht einmal die Schneider“. [Wiener Paar mit Volksschulkind, sie schwarze Haare, er gestreiftes T-Shirt] – Wann haben Sie zuletzt den Faden verloren?– Sie: Mein Mann täglich, weil er mit

dem Kopf irgendwo anders ist, während er redet. Er: Das kann ich so nicht bestätigen, was meine Frau sagt. Kind: Doch, das stimmt. – Wie fühlt es sich an, wenn man den Faden verliert? – Sie zum Mann: Als Betroffener, wie fühlt es sich an? Er zu mir: Ich erinnere mich ja nicht daran, dass ich den Faden verloren habe, also ist es nicht so tragisch. – Was ist das Kreativste, das Sie mit diesem Zwirn machen würden? – Sie: Deko. Irgendwas aufhängen, Girlanden oder so. Er: Den Zwirn durch ein Nadelöhr durchschieben. Sie zu ihm: Ist das kreativ? Eine Stiege führt vom hinteren Bereich des Geschäfts in den ersten Stock in die Schneiderei. Zwölf Angestellte hat Franz Prader insgesamt, davon acht Schneider und unter anderem seine Frau im Verkauf. Zwirn(!)rollen in allen Farben hängen an der Wand. Stoffberge, volle Kleiderständer, Nähmaschinen: Hier wird produziert. Ein Lehrmädchen ist gerade mit einem beigen Leinensakko beschäftigt. „Schauen Sie, herrlich gearbeitet. Genauso gehört der Ärmel“, lobt der Chef. [Frau um die 70, schwarze Sonnenbrille, Handy in der Hand] – Wann haben Sie zuletzt den Faden verloren? – Den Faden? Mich dürfen Sie nicht so genau fragen. Ich bin vor Kurzem erst Witwe geworden. Da habe ich meinen Faden verloren. Wann ist man eigentlich gut gekleidet, will ich von Franz Prader wissen und bekomme eine ganz präzise Antwort: „Geputzte Schuhe, Hose mit Bügelfalte, Sakko, schönes Hemd, Krawatte.“ Und eine Dame? „Bei einer Dame gehen auch Jeans und ein schönes Oberteil in Ordnung. Aber die Zusammenstellung stimmt oft 15



nicht. Je einfacher, desto besser.“ Ihn selbst trifft man jedenfalls ausschließlich gut angezogen: „Das gehört sich doch so.“ [Frau um die 45, kurze Haare, Deutschland] – Wann haben Sie zuletzt den Faden verloren? – Gerade eben. – Wie fühlt sich das an? – Blöd. Von seinen Kindern wird keines die Maßschneiderei übernehmen, erzählt der 81-Jährige. „Aber ich fühle mich noch jung und frisch. Ich werde über hundert und mache selber weiter.“ [Mann mit Kapperl und Bart, Ostösterreicher] – Wann haben Sie zuletzt den Faden verloren? – Auf der Autobahn vor einer Radarstation. – Wie fühlt sich das an, wenn man den Faden verliert? – Man wird leicht hektisch und unter Umständen könnte man fast die Kontrolle verlieren. – Und wie findet man ihn wieder? – Indem man sich beruhigt und sich von seiner Frau entsprechende Ratschläge geben lässt. – Was sagt die Frau, damit man den Faden wiederfindet? – Ruhig Blut. – Was ist das Kreativste, das Sie mit diesem Zwirn machen würden? – Den Faden verlieren. Das ist auch mein Plan. Franz Prader wickelt meinen Zwirn um den Finger: „Der ist gut, der Zwirn, sehr gut.“ Was für ein Kompliment! Da liegt die weiße, kleine Zwirnrolle tatsächlich in der Hand eines Maßschneiders. „Sehr gut ist der, den können Sie fast nicht zerreißen. Zwirn ist überhaupt sehr gut geworden im Vergleich zu früher.“ Er könnte meinen Zwirn ganz problemlos verwenden, sagt Franz

Prader, fürs „Staffieren und Nähtezunähen“. Wie viele Rollen Zwirn eigentlich in einer Prader-Hose stecken, will ich wissen. Fragend schaut er zu seiner Mitarbeiterin, die gerade die Auslage dekoriert. Beide sind sich einig: „Keine … keine ganze Rolle, nie.“ Wenig später bin ich im Freien und versuche, den Faden zu verlieren. Erst vor der Kirche. Eine kleine Böschung will ich ihn hinunterrollen lassen. Furchtbar beobachtet fühle ich mich! Kann man denn in Kitzbühel nirgends in Ruhe den Faden verlieren? Nicht im Zentrum, so scheint es. Neuer Versuch vor einer Kapelle. Lege den Zwirn auf ein abschüssiges Wiesenstück und stupse ihn an. Nada. Erst am Gehsteig kommt er ins Rollen. Fast geräuschlos bewegt er sich dahin, dreht sich um die eigene Achse, weißer Faden löst sich, bleibt auf grauem Untergrund zurück, zieht eine feine Spur, vermutlich als Erster seiner Spezies. Und ich? Bin peinlich berührt. Hinter mir eine Frau mit Kinderwagen. Neben mir ein Auto. Vor mir der Bahnhof. In der Öffentlichkeit den Faden verlieren? Das ist mir einfach zu unangenehm. Ein Wunder, dass Franz Prader noch nie den Faden verloren hat, denke ich, als ich den Zwirn vom Boden aufhebe, aufwickle und wieder in die Tasche stecke. „Den Faden verliert man nicht“, hat er belustigt gesagt. Aber was man machen muss, um ihn wiederzufinden, weiß er schon: „Suchen soll man ihn, suchen.“

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Was man leider nur auf dem Lande findet Egon Friedell, Kabarettist, Schauspieler, Kritiker, Schriftsteller, Kulturphilosoph, Hundefreund und Lebemann, verschlug es in den 1930er Jahren sommers nach Kufstein. Sein idyllisch gelegenes Landhaus wurde ihm, dem Stadtmenschen, zum Refugium. Von Susanne Gurschler

Der letzte Auftritt war kurz und dramatisch. Egon Friedell, der sich schon für die Nachtruhe zurechtgemacht hatte, sah die zwei SA-Männer, die am Eingang zur Wohnung standen und nach dem „Jud Friedell“ gefragt hatten. Er ging zum Fenster, öffnete es, hievte seinen massigen Körper auf das Fensterbrett und sprang. Er soll, so erzählte eine Nachbarin, die den Sturz beobachtet hatte, einem vorbeikommenden Passanten noch höflich zugerufen haben, zur Seite zu treten. Dann habe er sich kopfüber fallen lassen. Freunde und Wegbegleiter wie die Autoren Franz Theodor Csokor und Alfred Polgar oder die Mäzenin und Journalistin Berta Zuckerkandl hatten ihn in den Tagen vor seinem Sprung in den Tod noch gebeten, ja gedrängt, das Land zu verlassen. Doch Friedell wollte nicht. Er konnte nicht. Er konnte seine riesige Bibliothek, seine Bücher voller Marginalien in kleiner, enger Schrift, voller Markierungen und Querverweise, nicht zurücklassen – sein ganzer Geist, das Surrogat seiner Beschäftigung mit Geschichte, mit Philosophie, mit Physik, mit Kunst und Kultur, sein ganzes denkendes Ich fand sich in der Gentzgasse 7. Alles, was er war. In einem anderen Land wäre er doch nur ein „Schnorrer“, eine „lächerliche Figur“, sagte er wenige Tage vor seinem Selbstmord zum Schriftsteller Carl Zuckmayer. Friedell ging es nicht ums Überleben, es ging ihm um ein Leben zu seinen Bedingungen. Und er war noch voller Pläne gewesen. In Kufstein, wo er seit 1932 die Sommermonate verbrachte, hatte er den zweiten Band seiner „Kulturgeschichte des Altertums“ bis auf das letzte Kapitel abgeschlossen. Danach wollte er eine Geschichte der Philosophie schreiben und einen „Alexanderroman“. „Man sollte überhaupt nur Sachen machen, die sich ganz von selbst schreiben, wie nach Diktat. Deshalb wird die Geschichte der Philosophie gut werden, der Alexanderroman hingegen schlecht, weil er mir Mühe machen wird“, schrieb er Ende September 1937 an die Schauspielerin Lina Loos. Für die Geschichte der Philosophie hatte er sich schon

Notizen gemacht, das Exposé zum Alexanderroman war bereits angelegt; 500 Seiten stark sollte er werden, 300 Personen auftreten. Heute erinnert in Kufstein nur noch wenig an ihn: ein kurzer Weg im Stadtteil Zell, eine Büste im dritten Stock des Rathauses, im Stadtarchiv ein Ordner mit Unterlagen und Tonaufzeichnungen, die der Autor und Regisseur Klaus Peter Dencker in den 1970er Jahren für ein Filmporträt und ein Buch über Friedell gesammelt hat, und das Häuschen, in dem Friedell wohnte. Nichts, was einem die Person Friedell näherbrächte oder sein Verhältnis zu Kufstein erklärte. Hätte Egon Friedell sich seinen letzten Auftritt aussuchen können, die Wahl wäre wohl auf Goethe gefallen. 30 Jahre hindurch verkörperte er immer wieder diese Figur in der gleichnamigen „Groteske in zwei Bildern“, verfasst gemeinsam mit Alfred Polgar, mit dem er über lange Zeit ein kongeniales Autorenduo bildete, Kabarett- und Bühnentexte schrieb und bearbeitete, bevor er ihn Mitte der 1920er Jahre durch Hanns Sassmann ersetzte. Sassmann war kein so hervorragender Autor wie Polgar, aber er hatte ein gutes Gespür dafür, was ankommt – die sprachliche Prägnanz, die pfiffigen Wendungen steuerte ohnehin Friedell bei. Erstmals als Goethe auf der Bühne stand Friedell in der Silvesternacht 1907/08 im Wiener Kabarett „Fledermaus“. Der Inhalt des Sketches ist rasch erzählt: Ein etwas verhuschter Prüfungskandidat schafft es nicht, sich die vielen Daten aus Leben und Werk von Goethe zu merken. Da erscheint ihm dieser selbst und bietet an, das Examen für den Schüler zu bestreiten – aber siehe da, Goethe versagt bei konkreten Angaben zu seiner eigenen Biografie und fällt durch. Es muss Friedell in jungen Jahren ein großer Spaß gewesen sein, in dieser Parodie auf reines Faktenwissen als Deutschlands bedeutendster Dichter auf der Bühne zu stehen und den Ansprüchen des Professors nicht zu genügen. Immerhin brauchte er selbst vier Anläufe, 19



um die Reifeprüfung zu schaffen, war bereits 21 Jahre alt, als es ihm gelang. Das Studium der Philosophie und Germanistik verlief dafür ohne Probleme und er dissertierte über Novalis als Philosoph. Er galt als hinreißender Unterhalter, auf der Bühne und im Privaten. Seine Darbietungen und Vorträge gestaltete er als eine Mischung aus „erlesener Geistigkeit, profundem Wissen und raffinierter Schauspielkunst“, wie es in einer zeitgenössischen Kritik heißt. Die Auftritte waren so angelegt, als spräche Friedell in intimem Rahmen, plaudere mit Freunden im Kaffeehaus. Die Lokaltouren mit Peter Altenberg, Adolf Loos, Alfred Polgar und anderen Freunden sind legendär und anekdotenreich; sie brachten Friedell den Ruf ein, ein Kaffeehausliterat zu sein, ein „Bonvivant“, ein Müßiggänger. Als Kabarettist füllte er Säle bald nicht mehr nur in Wien, sondern ebenso in Frankfurt, Hamburg oder Berlin. In Berlin holte ihn Max Reinhardt als Untersuchungsrichter in Tolstois „Der lebende Leichnam“ auf die Bühne, dann als Kaiser in George Bernard Shaws „Androklus und der Löwe“. Friedells zweite Karriere als Schauspieler nahm ihren Lauf. Später wurde er Mitglied der Wiener Volksbühne, schließlich nahm ihn Reinhardt in sein Ensemble auf. Früh begann Friedell, Artikel für Zeitungen zu schreiben, es folgten Essays und Satiren etwa für das „Neue Wiener Journal“, für das er bis zu seinem Lebensende arbeitete. Und er war als Autor tätig. Nach seiner Dissertation über Novalis, die nicht unter seinem Geburtsnamen Friedmann, sondern seinem Künstlernamen Friedell erschien, veröffentlichte er weitere Bücher, darunter „Ecce Poeta“ anlässlich des 50. Geburtstags seines Freundes Altenberg, dem er in seinen – frei erfundenen – „Altenberg-Anekdoten“ bereits ein humorig-bissiges Denkmal gesetzt hatte. Wie turbulent es in seinem Leben auch zuging, Friedells Anker waren stets die Wohnung in der Gentzgasse 7, die er, kaum volljährig, mit dem vom Vater geerbten Geld gekauft hatte – und seine Haushälterinnen. Marie Gabriel war ihm nach der Trennung der Eltern und dem frühen Tod des Vaters Mutterersatz geworden; in der Gentzgasse unterstützte sie bald Hermine Schimann, die bis zu seinem Tod den Haushalt führte und die er testamentarisch zu seiner Erbin machte. Die Bedeutung Schimanns für Friedell zeigt sich nicht

zuletzt darin, dass er gern in die Küche kam, um ihr einen neuen Text vorzulesen. Er nannte das, wenig schmeichelhaft, die „Trottelprobe“. „Frau Hermine“ störte sich nicht daran. Auch die Gerüchte, er sei der Vater ihrer Tochter Herma, kümmerten sie wenig. Bis ans Lebensende waren die beiden per Sie. Das Arbeitszimmer mit angrenzender Bibliothek war Friedells intellektuelles Refugium und eine von der unnachgiebigen Hermine energisch verteidigte Bastion, wenn er nicht gestört werden wollte – und das war, will man den Überlieferungen glauben, häufig der Fall. Eine Tafel über der Sitzecke in der Schreibstube warnte Besucher zudem unmissverständlich: „Selbst die Aufforderung, noch zu bleiben, darf man nicht immer ernst nehmen. AUCH SIE sind keine Ausnahme!“ War Friedell auf der Bühne ein gefürchteter Improvisateur, in seiner Schreibstube herrschten peinliche Ordnung und Ruhe. Alles hatte seinen Platz, das Schreibpapier ebenso wie die Bleistifte. Hermine spitzte sie täglich und legte sie in der vorgegebenen Reihenfolge auf die Ablage, so dass Friedell, ohne hinsehen zu müssen, den richtigen Stift in die Hand nahm. Für Besucher lagen eigenes Papier und eigene Stifte bereit – und wehe, sie vergriffen sich. Schwer in Einklang zu bringen war er, dieser häusliche Friedell mit jenem öffentlichen Friedell, der in Gesellschaft brillierte mit seiner Eloquenz, seinen spritzigen Anekdoten und bissigen Kommentaren, der gern und üppig dem Alkohol zusprach, ganze Nächte durchzechen konnte und trotzdem in aller Frühe wieder auf den Beinen war. Hatte er die Korrespondenz gelesen, die wichtigen Briefe beantwortet, griff er zur Pfeife und legte sich auf den Diwan, der beim Schreibtisch stand. Beim Schreiben hielt er es mit den Menschen der Antike: Die wichtigen Dinge geschahen im Liegen. Dieser Zustand erzeuge „Milde, Objektivität, Gleichgewicht und Überlegenheit“, befand Friedell. Liegend verfasste er den Großteil seines bekanntesten Werkes, die „Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg“, mit dem er 1922 begann – und das ihn als Kulturwissenschafter und -philosoph etablieren sollte. Ein trockenes Geschichtswerk hätte Friedell nicht entsprochen, ihm schwebte vor, Geschichte an Anekdoten aufzufädeln. Geschichte war ihm kein „Aschehaufen für Historiker“, vielmehr ein „dramatisches Problem“, 21



das, in logischer Folge, einer dramatischen Bearbeitung bedurfte. Friedell war überzeugt, Details könnten Ereignisse viel einprägsamer charakterisieren als die ausführlichste Schilderung. Bei allem Ernst, den Friedell dem behandelten Gegenstand entgegenbrachte, verpacken wollte er ihn ansprechend und literarisch – „schwere Materie mit sehr leichter Hand geformt“, wie Polgar 1938 anerkennend konstatierte. Frühere Arbeiten und Essays dienten Friedell als Material für die Kulturgeschichte der Neuzeit – in einer Art Modultechnik verwob er sie elegant mit neuen Texten zu einem großen dreibändigen Werk. 1925 sollte der erste Band im Berliner Ullstein Verlag erscheinen, doch der Verleger verzögerte die Auslieferung, zu riskant schien es ihm plötzlich, ein kulturhistorisches Buch aus der Feder eines „Kabarettiers“ zu veröffentlichen, und dazu noch ohne Bilder, wie Friedell gefordert hatte. Nach mehreren Anläufen gelang es Friedell schließlich, im Münchner Verleger Heinrich Beck den Richtigen für sein Werk zu begeistern. Ob sich die Verantwortlichen im Ullstein Verlag später wohl in jene Hand bissen, mit der sie Friedells Drängen abschlägig beantwortet hatten? Nun, Beck durfte jubeln. Mit Friedell holte er sich neben Oswald Spengler, dem Verfasser von „Der Untergang des Abendlandes“, und dem Arzt Albert Schweitzer einen weiteren Bestsellerautor ins Haus. Schon der erste Band, er umfasste neben der Einleitung die Zeiträume Renaissance und Reformation und erschien 1927, machte Friedell zu einem berühmten Mann. Im Sommer 1928 folgte der zweite (Barock und Rokoko, Aufklärung und Revolution), der dritte (Romantik und Liberalismus, Imperialismus und Impressionismus, Epilog: „Sturz der Wirklichkeit“) 1931. Die Fachwelt mag die Nase gerümpft haben. Friedell erwies sich einmal mehr als „genialer Dilettant“ und servierte die große philosophische Gedankenwelt eines Kant in ebenso appetitlichen Häppchen wie das Alltagsleben unterschiedlicher Kulturen. Einiges von dem, was Friedell ausgewählt und geschildert hat, mag überholt sein, einige seiner Einschätzungen muten heute befremdlich an, Antisemitismus schimmert durch, seine Deutschtümelei irritiert. Die Sprache Friedells aber entfaltet bereits mit der ersten Seite eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen

kann – und will. Im Schnitt zwei Jahre brauchte Friedell für einen Band, parallel stand er auf der Bühne, in Wien und Berlin, bearbeitete Texte für Max Reinhardt. Anfang der 1930er Jahre machte ihm sein Körper zu schaffen, zunächst eine Venenentzündung, dann eine Blinddarmoperation. Wohl ein Grund, warum Friedell sich immer stärker dem Schreiben zuwandte, ein anderer, dass die politischen Verhältnisse in Deutschland sich wandelten und es dort für jüdische Künstler immer schwieriger wurde. Jedenfalls arbeitete Friedell schon an einer Kulturgeschichte des Altertums und das Bedürfnis, sich mehr der Schriftstellerei zu widmen, wurde stärker. Da kam es gerade recht, dass bei einem weinseligen Abend mit Sassmann und dem Münchner Schauspieler Gustav Waldau die Idee entstand, eine Künstlerkolonie zu gründen. Wie die drei auf Kufstein kamen, ist nicht ganz klar. Denn einmal heißt es, Waldau habe dort ein Grundstück besessen, ein anderes Mal, sie wären bei der Suche nach einem geeigneten in Kufstein fündig geworden. Eine dritte Variante besagt, ein Münchner Adeliger, der in Wien weilte, habe ihnen das Grundstück in Kufstein zum Kauf angeboten und die drei hätten zugeschlagen. Wie auch immer: Friedell war es ernst mit der Sache, und das, obwohl er Veränderungen grundsätzlich scheute. Andererseits hatten ihm Bühnenengagements und die Kulturgeschichte ein kleines Vermögen eingebracht und er wollte es sicher anlegen. Erstaunen muss die Wahl des erklärten Stadtmenschen trotzdem: Denn das Grundstück lag nicht im Stadtzentrum von Kufstein, sondern an einem Hügel neben der Straße nach Thiersee, im zur Stadt gehörigen Dörfchen Morsbach. Anfang der 1930er Jahre war hier, salopp ausgedrückt, Pampa – mit einer Aussicht „wie in einem erstklassigen Lubitschfilm“, wie Friedell meinte. Heute findet sich am Hippbichl eine kleine Siedlung. Die Nordseite der Festung ist von hier aus zu sehen, das Kaisergebirge, Kufsteins Hausberg, der Pendling, die Brandenberger, die Zillertaler Alpen, die Wiesen und Felder des bäuerlich geprägten Morsbach. Am Hippbichl also errichtete er seine Sommerresidenz, ein schlichtes Gebäude im Landhausstil, teilweise mit dunkel gebeiztem Holz verkleidet, mit Balkon, Terrasse und großzügigem Garten. Bis dahin war Friedell 23



weder durch besondere Reisefreudigkeit aufgefallen noch durch besondere Liebe für Natur und Landschaft. Vielmehr sorgten Ortswechsel stets für Unbehagen bei Friedell und Aufregung im Haus. Aufenthalte etwa am Grundlsee waren stets der Tatsache geschuldet gewesen, dass, wer es sich leisten konnte, sommers der brütenden Hitze Wiens entfloh und sich gleich ein paar Freunde dorthin einlud. Friedells geistiger Horizont mag groß gewesen sein, sein real geografischer war es nicht: Zwei Mal soll er nach Ägypten gereist und beide Male enttäuscht zurückgekehrt sein. Die Wirklichkeit dort war ihm, im Vergleich zur großen Geschichte des Landes, schnöde erschienen. Von anderen längeren Aufenthalten andernorts – außer zu Arbeitszwecken – ist nichts bekannt. Am 18. August 1932, dem Geburtstag des Kaisers, wie Friedell notierte, bezog er sein neues Domizil. Die folgenden Jahre verbrachte er, je nach Witterungsverhältnissen, vom Frühsommer bis zum Herbst in Kufstein. Für seine Bücher ließ er eine eigene Transportkiste anfertigen, in die er diese systematisch einordnete. Während Friedell schon emsig im Garten werkte, stand auf Sassmanns Grundstück lange nur eine Bank. Ein Umstand, der Friedell dazu veranlasste, dem Freund und Kollegen mit Klage zu drohen, wenn er nicht Ernst machte mit seinen Bauplänen in Kufstein. Bald sollte Friedell die ruhigen Sommertage vermissen, denn er wurde von ungebetenen Gästen geradezu überrannt, wie er meinte. Jedenfalls sah er sich veranlasst, Hermine ein „Rundschreiben an gefürchtete Gäste“ zu diktieren, in dem sie diesen mitteilte, der Doktor sei genötigt, einige Tage in München zu verbringen und sie werde ihm bald folgen. Kurzum: In Kufstein weile niemand, es lohne sich nicht, zu kommen. Eine Botschaft ganz nach dem Geschmack des Humoristen und Spötters Friedell. Ob er tatsächlich einer Kuh beim Kalben geholfen hat, wie er in einem Brief schreibt? Möglich wäre es. Er war ein kräftiger Mann und konnte zupacken. Gut möglich aber, dass es sich um eine seiner Selbstinszenierungen handelte, für die er bekannt war. Das Landleben erwies sich jedenfalls auch in schriftstellerischer Hinsicht als sehr produktiv. „Ich stehe um 5 Uhr auf, um den Abendfrieden abzukürzen. Arbeiten kann man hier sehr gut“, schrieb er an Sassmann.

Wobei er den alten Gewohnheiten, übermäßiges Pfeiferauchen, hoher Alkoholkonsum und liegend schreiben, weiterhin frönte. Bei schönem Wetter arbeitete er auf der Terrasse an seiner „Kulturgeschichte des Altertums“. Sie schreibe sich faktisch von alleine, ließ Friedell Lina Loos wissen, für die er das Gästezimmer in ihrer Lieblingsfarbe Blau hatte streichen lassen, die ihn in Kufstein aber nie besuchen sollte. Dafür kamen Franz Theodor Csokor und Berta Zuckerkandl mit ihren Schreibmaschinen, deren Geklapper Friedell, der stets Papier und Bleistift bevorzugte, irritierte. In seinem neuen Werk ging Friedell nicht mehr chronologisch vor, sondern handelte Zeiträume anhand von herausragenden Leistungen der Völker ab. Als Heinrich Beck das erste Kapitel zu lesen bekam, war er begeistert: „Ihr Manuskript zur Kulturgeschichte Ägyptens habe ich mit größtem Genuß gelesen. Sie haben m. E. mit diesem Kapitel eine ganz neue Form der Darstellung gefunden. Diese übertrifft Ihre Kulturgeschichte der Neuzeit an Gemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit des Erzählertons, ohne deshalb auf feine Lichter und Pikanterien der Gedankenführung irgendwie zu verzichten.“ In Kufstein bewegte sich Friedell offensichtlich in anderen literarischen Dimensionen. Bereits mit der „Judastragödie“, 1916 fertiggestellt, 1920 veröffentlicht und mit mäßigem Erfolg 1923 im Burgtheater uraufgeführt, hatte er literarische Ambitionen gezeigt, nun vollendete er mit „Die Rückkehr der Zeitmaschine“ eine satirische Science-Fiction-Novelle. In Anlehnung an den 1895 erschienenen Roman „Die Zeitmaschine“ des englischen Autors H. G. Wells verfasste er einen Text, in dem er selbst als Protagonist auftritt und der Zeitreisende nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit reisen will. Technische Schwierigkeiten nötigen ihn aber, erst einmal in die Zukunft zu reisen. Das Originalmanuskript umfasste 63 einseitig mit Bleistift beschriebene Blätter und ging 1935 von Kufstein aus wohl an mehrere Verlage. Erschienen ist die Novelle allerdings erst 1946 beim Piper Verlag in München. Wie in Wien arbeitete Friedell überwiegend von den Morgenstunden bis in den späten Vormittag. Dann machte er einen Spaziergang oder ging schwimmen. Ist er dem alten Thierseeweg gefolgt und dann links abgezweigt oder über die Wiesen im Zickzack durch den Mischwald spaziert? Eines jedenfalls ist sicher, sein 25



Hund war stets dabei und sollte es das Schwimmverbot für Hunde damals schon gegeben haben, hat er es bestimmt ignoriert. Friedell bevorzugte aufgeweckte Terriermischlinge. Der erste hieß Schnick und erlangte eine gewisse Berühmtheit, weil sein Herrchen einem Radiojournalisten gegenüber ausplauderte, dass er sich bei vielen Themen lieber mit dem Vierbeiner austauschte als mit einem Zweibeiner; Alfred Polgar widmete dem eigenwilligen Hund gar einen Nachruf. Sein Nachfolger Schnack segnete 1933 das Zeitliche, ihm folgten Schacki und Lumpi. Schnack dürfte noch in den Genuss gekommen sein, im Pfrillsee zu plantschen, während das Herrchen seine Runden drehte. Wohl kaum eine Wanderung zum Pfrillsee, die ihren Abschluss nicht im „Edschlößl“ fand. Das heute in Privatbesitz befindliche Gebäude an der Straße nach Thiersee war damals ein beliebtes Ausflugsgasthaus. Neben Arkaden im Parterre, in denen die Gäste vor Sonne und Wind geschützt speisen konnten, verfügte es an der Ostseite über ein schmuckes Salettl samt Gastgarten mit schattenspendenden Bäumen. Friedell war häufig gesehener, auffälliger Gast. Der begnadete Selbstdarsteller machte sich gern den Spaß, als Gutsherr durch die Gegend zu flanieren, in Reithosen und -stiefeln, ein Monokel ans Auge geklemmt. Trinkfest wie er war, fand er rasch Gesinnungskollegen. Die Abende konnten lang, alkoholselig und anekdotenreich werden. Freundschaft schloss Friedell mit Annie Hellensteiner, der „Wirtin auf der Ed“, der er neckische Briefe aus Wien schickte: „Ich sehne mich schon sehr danach, endlich wieder einmal mit einem Menschen von geistigem Niveau reden zu können, wie Du es bist, was man leider nur auf dem Lande findet und küsse Dich bis dahin herzlichst! Dein Egon.“ So arbeitsintensiv, friedlich und ausgelassen die Zeit in Kufstein war, die politischen Ereignisse machten vor Friedells Arkadien nicht Halt. Die 1000-Mark-Sperre nötigten seinen Verleger und ihn, ihre Treffen geradezu konspirativ zu planen. Dazu die düsteren politischen Entwicklungen: „Täglich bekomme ich schriftlich und von den wenigen Leuten, die man herüber läßt, aus Deutschland die deprimierendsten Nachrichten. Da ich das deutsche Volk nach wie vor liebe, geht mir das natürlich sehr nahe.

Es ist dort das Reich des Antichrist ausgebrochen. Jede Regung von Noblesse, Frömmigkeit, Bildung, Vernunft wird von einer Rotte verkommener Hausknechte auf die gehässigste und ordinärste Weise verfolgt.“ 1936 erreichte Friedell in Kufstein die Nachricht, dass Karl Kraus, anfangs Wegbegleiter, später geschätzter Widersacher, verstorben war. Sie traf ihn schwer und ließ ihn voller Wehmut an diejenigen denken, die ihn bereits verlassen hatten. „All jene Menschen aus jener Zeit: Altenberg, Loos, mein Bruder Oscar usw. hatten etwas so Lebendiges, was die heutigen Menschen gar nicht mehr haben, und ich kann bis heute noch nicht glauben, dass sie tot sind“, schrieb er an den Journalisten Walther Schneider. Die veränderten Verhältnisse hatten zusehends Auswirkungen auf Friedells Schaffen. Der erste Band der „Kulturgeschichte des Altertums“ sollte nicht mehr, wie vorgesehen, 1935 im Beck Verlag, sondern erst 1937 im Schweizer Helikon Verlag erscheinen. Ein schwerer Schlag für Friedell, mit dem Verbot seiner Schriften im Feber 1938 brach der deutsche Markt endgültig weg. Trotzdem kehrte er mit Zuversicht und voller Pläne nach Wien zurück. „Goethe“ sollte im Theater an der Wien auf die Bühne kommen, es galt Friedells 60. Geburtstag zu feiern. Am 16. März 1938, wenige Tage nachdem die Nazis in Österreich einmarschiert waren, sprang Egon Friedell in den Tod. Er soll, im Fallen, an einem Herzinfarkt gestorben sein. Literatur: Egon Friedell: Friedell-Brevier. Aus Schriften und Nachlass. Ausgewählt von Walther Schneider. Verlag Erwin Müller, Wien 1947 Egon Friedell: Aphorismen und Briefe. Herausgegeben von Walther Schneider. Paul List Verlag, München 1961 Egon Friedell: Selbstanzeige. Essays ab 1918. Herausgegeben und mit einem Nachwort DER GANZE FRIEDELL? von Heribert Illig, Löcker Verlag, Wien/München 1985 Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit: die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Weltkrieg. Mit einem Vorwort von Ulrich Weinzierl. Verlag C. H. Beck, München 2012 (3. Auflage) Egon Friedell: Die Rückkehr der Zeitmaschine. Phantastische Novelle. Europäischer Literaturverlag, Berlin 2016 Peter Haage: Der Partylöwe, der nur Bücher fraß. Egon Friedell und sein Kreis. Claassen Verlag, Hamburg/Düsseldorf 1971 Wolfgang Lorenz: Momente im Leben eines Ungewöhnlichen. Eine Biographie. Edition Raetia, Bozen 1994 Bernhard Viel: Egon Friedell. Der geniale Dilettant. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2013 27



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Andreas Fogarasi hat den Umschlag dieser Ausgabe gestaltet und zeigt auf den folgenden Seiten das exklusiv für Quart enstandene Insert „Circles + Squares“. Dazu ein einleitender Text von Fiona Liewehr.

„Wer sagt was in welchem Kanal zu wem mit welchem Effekt?“ – so lautet die 1948 vom US-amerikanischen Politik- und Kommunikationswissenschaftler Harold D. Lasswell verfasste und nach ihm benannte LasswellFormel. Damit begründete er das Modell der modernen Massenkommunikation und brach das komplexe Beziehungsgeflecht von Kommunikationsforschung, Medienanalyse, -forschung und -nutzung auf einen einprägsamen Satz herunter. Er erfand damit zugleich den Slogan des für den Aufbau und die Imagebildung einer Marke so zentralen Bestandteils: den der Markenkommunikation. Gleichzeitig führte er damit vor, dass ein Slogan prägnant und memorierbar sein muss, um erfolgreich zu sein – wer (Privatperson, Unternehmer oder Staat) sagt was (zentrale Werbebotschaft) in welchem Kanal (Medien) zu wem (Zielgruppe) mit welchem Effekt (Werbewirkung). Längst gelten Markenkommunikationsstrategien nicht mehr für Produkte allein. Mit der Durchökonomisierung aller Lebensbereiche kam es spätestens seit den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum forcierten Einsatz der Marke als kommunikative Taktik für private und öffentliche Institutionen. Themen wie Produktgestaltung, Verpackungsdesign, Markenname, Logo, Slogan, Werbebotschaft oder Imagewelt, die schon bei der Vermarktung von Produkten notwendig waren, um sich von der Konkurrenz zu unterscheiden und beim Konsumenten erfolgreich zu sein, wurden auf Unternehmen übertragen. Nun wurden auch die Architektur von Unternehmenssitzen und Fabrikgebäuden, Geschäftsausstattungen, die Kleidung von Mitarbeitern oder das Produktdesign einem von einer ökonomischen Verwertungslogik getragenen, einheitlichen Erscheinungsbild unterworfen.1 Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts war es vor allem die erstarkte

Freizeit- und Tourismusbranche, die ganze Landstriche nach dem Vorbild von Marken zu positionieren begann und ihnen ein unverwechselbares Image zu verpassen suchte, das dem Kunden Orientierung und Identifikation anbieten sollte. Spätestens seit Ende der Achtziger Jahre hat das neoliberalistische Wirtschaftsdenken das Selbstverständnis von ganzen Staaten, Regionen und Städten zunehmend ökonomischen Diskursen und Praktiken unterworfen. Die fieberhafte Suche nach unverwechselbaren Identitäten hat auch zu einem neuen Stellenwert des Kreativen in der Gesellschaft geführt und die Kultur zunehmend als Marketingtool für einen innovativen und positiven Imagetransfer erkannt. In dem Maße, in dem man begann, öffentliche Institutionen und Verwaltungen unternehmerisch zu denken, veränderten sich auch ihre visuellen Repräsentationen. Logos, Slogans oder Corporate Designs ersetzten immer öfter traditionelle Insignien wie Wappen oder Flagge. Die umfassende Digitalisierung verstärkte noch die massiven Visualisierungs- und Vervielfältigungstendenzen im Kommunikationsprozess, der sich vorwiegend auf eine nach ökonomischen Parametern gerichtete Optimierungsstrategie und mediale Verwertbarkeit ausrichtete. Den österreichischen Künstler Andreas Fogarasi (*1977 in Wien) interessieren jene Kommunikations-

1 Es ist in dem Zusammenhang nicht verwunderlich, dass es ein in vielen Bereichen ausgebildeter Mann war, der als Erfinder des sogenannten Corporate Designs gilt: Der deutsche Architekt, Maler, Designer und Typograf Peter Behrens war nicht nur ein führender Vertreter des modernen Industriedesigns, sondern hat zwischen 1907 und 1914 als künstlerischer Berater der Firma AEG erstmals ein einheitliches Erscheinungsbild eines Unternehmens eingeführt, indem er ganze Produktgruppen, das in leichter Abwandlung bis heute verwendete Logo, die Geschäftsausstattung und die Architektur der Fabriksbauten in einem einheitlichen Sinn gestaltete. 29



strategien, mit denen sich ein Privatunternehmen, eine öffentliche Institution, eine Region, eine Stadt oder ein ganzes Land zu repräsentieren und ökonomisch zu vermarkten versucht, er zeigt auf, wie Imagebildung funktioniert und welcher visuellen Codes und Slogans man sich dabei bedient. In seinen Videos, Skulpturen, Modellen und Fotografien setzt er sich mit visuellen Entitäten und Identitäten auseinander, mit der Übersetzung und Kontextualisierung von Zeichen, dem Akt des Zeigens und der Repräsentation von Bildern an sich. Dabei bedient er sich Darstellungsformen, die dem Minimalismus und der Konzeptkunst entspringen und sich an der Schnittstelle zu dokumentarischen und bildhauerischen Praxen bewegen. Fogarasi analysiert, wie Orte, Städte, politische Ideen oder historische Ereignisse zu Bildern werden und welche Rolle vor allem die Kultur – Kunst, Architektur und Design – im Prozess der Bedeutungs- und Werteanreicherung spielt. Grundlage seiner Arbeiten bildet die kritische Auseinandersetzung mit den Mechanismen politischer Aneignung von visueller Kultur heute: dem Prozess der Ästhetisierung des öffentlichen Raumes und der Kulturalisierung der Ökonomie, die Kultur sowohl als Motor von Stadtentwicklung und als Standortfaktor im Wettbewerb um Touristen, Investoren und Aufmerksamkeit sieht als auch als Leitbild ihrer ökonomischen Diskurse und Praktiken. In seinem seit 2003 laufenden Project Public Brands wirft Andreas Fogarasi einen sezierenden Blick auf Logos, Signets und Slogans von Regionen und Städten, die sich, von strategisch-ökonomischen Überlegungen getragen, durch die Betonung von Alleinstellungsmerkmalen voneinander abzugrenzen suchen. Für seine Videos Deutsche Städte (2005), La France (2009) und Europa (2016) hat er Logos deutscher Städte, französischer Regionen und schließlich die offiziellen Tourismuslogos aller Länder Europas recherchiert und lässt sie – auf gleiche Formatierung und auf schwarz / weiß homogenisiert – in alphabetischer Reihenfolge hintereinander ablaufen. Durch diesen minimalen Eingriff

verweist er nicht nur darauf, wie ausdifferenziert die unterschiedlichen Identitäten der Länder Europas kommuniziert werden, indem Architektur, historische Baudenkmäler oder markante landschaftliche Bezugspunkte grafisch reduziert für die Selbststilisierung instrumentalisiert werden. Die Fülle der Logos führt auch vor Augen, wie sich in den letzten Jahrzehnten das aus einem Differenzierungszwang heraus entstandene Konzept des Brandings durch die überhandnehmende Werbeflut eigentlich selbst ad absurdum geführt hat. Die Erschaffung des Images von privaten wie öffentlichen Unternehmen, Städten und Ländern ging auf Kosten der Komplexität seines Gegenstandes und ließ chimärenhafte Schablonen zurück, die weder dazu geeignet sind, Vielschichtigkeit oder Widersprüchlichkeit zu transportieren, noch den Absender eindeutig identifizierbar zu machen. Jedes visuelle Zeichen bleibt selbst eine abstrakte Hülle, solange es nicht mit einer Bedeutung, mit dem was, der zentralen Werbebotschaft, konnotiert ist, die sich identitätsstiftend auf die Bürger auswirken soll und durch Hervorkehrung eines vorteilhaften Alleinstellungsmerkmals überregionale Konkurrenzfähigkeit verspricht. Im weltweiten Wettstreit der Städte wird nach dem charakteristischen Attribut gesucht, das die Einzigartigkeit mittels Komplexitätsreduktion auf eine Aussage kondensieren soll. In seiner Serie Städte hat Andreas Fogarasi 2006 begonnen, sich geradezu enzyklopädisch mit Werbeslogans auseinanderzusetzen, die er in der immer gleichen Typografie in Bleistift auf kleinformatige Papiere zeichnet. Schielestadt, Weinstadt, Wasserstadt, Stahlstadt, Musikstadt, The City of Lights, The City of the 21st Century – fast keine topografische Besonderheit, historische Begebenheit oder Person, technologische, industrielle oder kulturelle Entwicklungsleistung bleibt vor der gefinkelten Marketingrhetorik der Texter verschont, um auch aus kleinen strukturschwachen Mittelstädten touristische Landmarks zu machen. 31



Dabei kann sich die Positionierung von Staaten, Regionen oder Städten je nach politischen, ökonomischen oder ökologischen Situationen ändern, sofern im Sinne der Fremdwahrnehmung, aber auch im Kampf um die Gunst von Inverstoren und der einheimischen Bevölkerung ein positives, produktives und mehrheitstaugliches Identifikationsangebot zu erreichen ist. In seinem aus einem Video, Skulpturen und objekthaften Bildern bestehenden Projekt Vasarely go Home (2011)2 setzt sich Andreas Fogarasi kritisch mit der kulturpolitischen Haltung Ungarns auseinander. In einer Zeit der allmählichen politischen Konsolidierung suchten die offiziellen Stellen den Kontakt zu im Ausland lebenden Künstlern und richteten dem gebürtigen Ungarn Victor Vasarely 1969 seine bis dahin umfangreichste Ausstellung in der Budapester Kunsthalle aus. Eine durchaus als differenziert zu beurteilende Entscheidung: Denn während die abstrakten Tendenzen der ungarischen Neo-Avantgarde im Land selbst wenig Beachtung und Anerkennung fanden, wurde die Ausstellung des Künstlers, der international längst als einer der wichtigsten Vertreter der kinetischen Kunst galt, als gesellschaftliches Ereignis zelebriert. Um sich transnational als betont tolerant und aufgeschlossen gegenüber abstrakter Kunst zu stilisieren, wurde Vasarely als internationaler Kulturimport gefeiert und zugleich unter Betonung seiner ungarischen Herkunft als Kulturexport instrumentalisiert. Inwiefern Kultur als diplomatisches Mittel eingesetzt wird, untersucht Andreas Fogarasi auch in dem für diese Ausgabe von Quart entwickelten Insert Circles + Squares. Er recherchierte die Logos von internationalen Kulturinstituten, die in verschiedenen Städten der Welt wissenschaftlich ausgerichtete Außenstellen ihrer jeweiligen Nationen betreiben, um in den Gastgeberländern den diplomatischen Austausch über gegenseitigen Kulturtransfer zu suchen. Indem Fogarasi sie mittig auf leicht durchscheinendes Papier setzt und von allen Texten befreit, macht er deutlich, dass sich alle Kulturforen trotz unterschiedlicher inhaltlicher

Ausrichtung, finanzieller Ausstattung und kulturpolitischer Aktivität einer ähnlichen visuellen Repräsentationslogik bedienen. Das deutsche Goethe-Institut mit seiner Kombination aus Dreiviertelkreis und Kreis, das British Council mit in einem Quadrat angeordneten vier Kreisen, die Schweizer Pro Helvetia Stiftung mit dem aus einem abgerundeten Quadrat ausgestanzten Schweizerkreuz – alle Logos folgen einer universalen Sprache, die auf geometrischen Grundformen basiert: Kreise und Quadrate. Formal betrachtet lassen sie sich mit dem visuellen Alphabet Vasarelys ebenso vergleichen wie mit den „Hommage to the Square“-Untersuchungen von Joseph Albers, den konstruktivistischen Werken Malewitschs, den abstrakt-konkreten Vorstellungen Max Bills, mit dem nach Funktionalismus und Sachlichkeit strebenden deutschen Bauhaus oder mit den „primary structures“ der Minimalisten. Trotz aller kunsthistorischer Referenzpunkte zu modernistischen Strömungen bauen sich die Logos jedoch nach den wichtigsten Gestaltungsprinzipien grafischer Zeichen auf: nach Prägnanz, Einprägsamkeit, Unverwechselbarkeit, Verständlichkeit und Reproduzierbarkeit. Assoziationen zu nationalstaatlichen Besonderheiten, wie die vier Kreise des British Council als Referenz zu den vier Ländern des Vereinigten Königreiches, zur traditionellen Heraldik, wie das Schweizerkreuz im Signet von Pro Helvetia, oder das stilisierte Känguru im Logo des Australian Council for the Arts, sind markenkommunikationstechnisch erwünschte, vertrauenssichernde Effekte. Andreas Fogarasi interessiert, wie sich Nationen in einem internationalen Diskurs positionieren, wie sie kontinuierlich neue Formen und Repräsentationen in der Relation untereinander suchen und wie diese visuell durch Schaffung einer Corporate Identity transportiert werden. Dabei bleibt diese ebenso fraktal, verschieb- und veränderbar und von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Parametern beeinflusst, wie der Aufbau von kulturellen Identitäten und unsere Vorstellungsbildung davon. 2 Online zu sehen unter: http://vasarelygohome.gfzk.de 33



CIRCLES

+ SQUARES
















Österreichische Kulturforen Instituto Cervantes Pro Helvetia Institutul Cultural Român British Council Istituto Italiano di Cultura Goethe-Institut Dansk Kunstrådet Japan Foundation Australian Council for the Arts České Centrum Instituto Cultural de México Balassi Intézet




Marginaltexte (3) Mensch und Haus im Alpenraum Mit dem Wort Marginalie wird gewöhnlich Nebensächliches bezeichnet, etwas am Rande oder an der Grenze einer Sache Liegendes. In Quart werden unter diesem Titel zentrale Texte über das Leben an der Peripherie neu veröffentlicht, die längst vergriffen oder nur schwer zugänglich sind, an entlegenen Orten aufbewahrt oder gar in Archiven verschwunden. Folge 3: ein Vortrag, den der in Innsbruck geborene und in Wien lehrende Architekt Ernst Hiesmayr (1920–2006) in den 1970er Jahren hielt.

Es ist interessant, dass bei Beginn der zweiten industriellen Revolution im vorigen Jahrhundert die bäuerliche Kultur erst entdeckt wurde. Die Kunstgeschichte hatte sich bis dahin nur mit der Hochkultur befasst und die bäuerliche Kultur zählte nicht. Das bäuerliche Ambiente war Teil der Natur. Nach 1945 rückte die bäuerliche Kultur nicht nur der europäischen Regionen, sondern in Form der sogenannten anonymen Architektur des gesamten Erdballes in das Interesse der Öffentlichkeit. Die Weltkultur steht in einer großen Krise, wie man sieht, kann man nicht auf die Ergebnisse der letzten Kulturepoche aufbauen, sondern man will für unsere Zukunftsvorstellungen weiter zurückgreifen auf eine Substanz, die fündiger ist, und ich möchte Ihnen hier als erstes eine komplexe bäuerliche Kultur, die Wälderkultur des mittleren und hinteren Bregenzerwaldes vorstellen. Gemeinde – Haus – Heimgut Die Wirtschaftsform des mittleren und hinteren Bregenzerwaldes umfasst die Gemeinden Egg, Andelsbuch, Schwarzenberg und reicht über Bezau, Bizau bis Au und Schoppernau. Sie ist durch Jahrhunderte als Wanderwirtschaft oder Staffelwirtschaft betrieben worden. Heimgut, Vorsäß und Alpe wurden im Rhythmus der Jahreszeiten bewirtschaftet. Die Häuser bilden mit dem Umland eine Funktionseinheit, sie gehören zur Gruppe der Flurküchenhäuser und werden in der Fachsprache als sekundäre Einhäuser bezeichnet. Die Küche wird über den Schopf, eine geräumige offene Veranda, betreten. Der Schopf ist ein großartiges Element des Überganges von außen nach innen. An der einen Seite der Flurküche liegen Stube und Gaden (Elternschlafzimmer), an der anderen Stadel und Stall. Die Flurküche ist ein zentraler Raum,

von dem aus alle Tätigkeiten in kurzen Wegen erledigt werden können. Das Wohnen ist eine Frage des Lebensstils, es war fixiert, wo der Ofen in der rückwärtigen Ecke zu sitzen hat, er wurde in der Küche gleichzeitig mit dem Herd geheizt. Diagonal dazu war der Tisch mit Eckbank und Herrgottswinkel. Auch in anderen Hochkulturen, z.B. in der japanischen, hatte der Schrein im Haus an einer bestimmten Stelle seinen Platz. Diese strenge Ordnung war Richtmaß für alles. Die Häuser sind reine Holzbauten und die älteren Typen lassen ein starkes Engagement im Detail erkennen. Die Vorderfassade war geschnitzt und bemalt und man spürt deutlich die starke Identifikation des Einzelnen. Der Weg zum Dorfzentrum, zur Kirche ging nicht über die staubigen schlechten Straßen, sondern über die Fluren hinter den Häusern. Dieser Fußweg verband immer mehrere Häuser. Man kann an der Flurteilung noch die Kirchwege erkennen, wo z. B. die Leute von Au nach Reuthe, der ältesten Kirche, wanderten. Es war üblich, auf seinem Weg den Nachbarn mitzunehmen, in das Haus zu rufen: „Beoscht grüscht, goscht mit?“ (Bist du gerüstet, gehst du mit?) Den Verkehr über zwei getrennte Bereiche zu führen, nimmt unsere angestrebten modernen Lösungen vorweg, außerdem war die Erlebnismöglichkeit beim Gang durch die Fluren entlang der örtlichen Kommunikationsachse natürlich viel größer. Die Kirche und das Tanzhaus daneben, wo nach dem Gottesdienst getanzt wurde, waren der sonntägliche Treffpunkt. Außer dem Brunnen, zu dem man das Vieh zur Tränke trieb, war das Sennhaus der tägliche Treffpunkt. Sie gaben die Möglichkeit des Gesprächs und des Informationsaustausches. Prof. Pierre Bertaux hat sich Gedanken über die hartnäckige Existenz der vielen kleinen Cafés und Bars in ländlichen Gegenden 53



Frankreichs gemacht, obwohl sie vom rationalistischen Standpunkt aus nicht notwendig wären. Er hat herausgefunden, dass sie unentbehrliche Kommunikationspunkte für den Austausch von Tagesgeschehen, für die Aussprache persönlicher Wünsche und Beschwerden sind. Die heutigen Supereinkaufsläden bieten nichts derartiges. Alpsystem, Wälder, Walliser Vom Heimgut im Dorf zogen die Wälder Bauern mit der Familie und dem Vieh im Frühjahr ins Vorsäß, jede Familie hatte ihre Hütte, mehrere Hütten bildeten einen Weiler, die Wiesen waren gemeinsamer Besitz und jeder Bauer hatte das Recht, dort eine bestimmte Anzahl Vieh zu weiden. Im Sommer brachte man das Vieh auf eine Gemeinschaftsalpe, wo das Vieh mehrerer Bauern von Sennern versorgt wurde – die Familien zogen inzwischen wieder ins Heimgut –, und erst im Herbst wieder ins Vorsäß, wenn Kälte und Schneefall keine Futtermöglichkeit mehr für das Vieh auf der Hochalm zuließen. Im Bregenzerwald war die Kolonisierung im 14. Jahrhundert abgeschlossen. Zu dieser Zeit haben sich die Walliser aus dem Wallis in der Schweiz aus Mangel an Erwerbsmöglichkeit über einen Teil des westlichen Alpenraumes und nach Bayern verbreitet und sind auch bis in den hinteren Bregenzerwald gekommen. Damüls ist eine solche Walsergründung. Diese Walser haben ein ganz anderes Alpsystem entwickelt. Sie fanden die Talböden besetzt und mussten in Einödhöfen siedeln. Sie sind nicht in eine Gemeinschaftsalpe gezogen, sondern haben im Sommer ein Alpdorf bezogen mit der ganzen Familie. Das mangelnde Sozialleben im Einödhof haben sie durch diesen Sommerbetrieb in den Alpdörfern ausgeglichen. Aus der Gegenüberstellung der beiden Alpsysteme im Zusammenhang mit den Heimgütern sieht man, dass für die Funktion der Gesellschaft ein Minimum an verpflichtenden persönlichen Kontakten angeboten werden muss. Mit Einfallsreichtum werden Wirtschaftsformen an diese Forderungen angepasst. Die freie Bauernrepublik Sie ist 1408 durch die Verleihung einer Freisprechung durch die Habsburger gegründet worden und war die

älteste freie Bauernrepublik im süddeutschen Raum. Ihr wurde auch das Hoch- und Blutgericht zugesprochen. Die Richtstätte war in Egg, in Andelsbuch wurde jedes Jahr der Landammann gewählt. Die Wahl ging so vor sich, dass sich die Wähler zu den vorgeschlagenen Kandidaten unter einen Baum stellten, und wer die meisten Leute unter seinem Baum hatte, war der gewählte Landammann. Es gab keine anonyme Stimmabgabe, man mußte sich offen zum Mann seiner Wahl bekennen. Das Wälder Rathaus ist auf der Bezegg gestanden. Die Bezegg ist ein Übergang vom mittleren in den hinteren Bregenzerwald, zwischen Andelsbuch und Bezau. Es ist ein Landschaftspunkt von besonderer Schönheit, im Schwerpunkt der Gemeinschaft gelegen. Die von Mischwald umgebene Lichtung wird von der Kanisfluh (Bergmassiv im zentralen Bregenzerwaldgebirge, Anm.) überragt. Die Gestalt der Häuser, das Wirtschaftssystem und der Brauch sind in dieser Ausgeglichenheit undenkbar ohne den konstituierten Urgrund der freien Bauerngesellschaft. Die freie Bauerngesellschaft zeichnet sich aus durch die freie Wahl des Wohn- und Arbeitsplatzes. Diese Freiheit war die Voraussetzung für die Entstehung der Auer Zunft. Die Auer Zunft war außer einem Berufsverband von Baumeistern, Maurern, Steinmetzen und Stuckateuren auch eine kirchlich organisierte Bruderschaft. Sie wurde 1650 von Michael Beer gegründet. 1697 wurden die Satzungen in einer Allgemeinen Steinmetz- und Maurerordnung zusammengefaßt, Maurer hatten eine dreijährige Lehrzeit zu absolvieren, bei Steinmetzen dauerte die Ausbildung ein Jahr länger. Bei der Freisprechung verpflichteten sich die Gesellen, die Satzungen der Zunft einzuhalten, den Zunftgenossen keinen unlauteren Wettbewerb zu machen und liegengelassene Bauten getreu den Plänen des Vorgängers unter Verwendung des vorhandenen Steinmaterials zu vollenden. Der Hauptteil der Ausbildung war sicherlich die Praxis. Die Poliere hatten die Lehrlinge auf der Baustelle in die praktische Tätigkeit des Bauwesens einzuführen. Die theoretische Ausbildung erfolgte in den Auer Lehrgängen mit der Einführung in die Grundbegriffe der Geometrie, Bautechnik und zeichnerischer Darstellung in den arbeitslosen Wintermonaten. So brachte der kleine Ort, der heute kaum mehr Einwohner als vor 55



hundert Jahren zählt, eine große Anzahl von bedeutenden Handwerksleuten hervor, die im Frühling in den süddeutschen Raum und die Schweiz zur Arbeit zogen und im Winter zurückkehrten. Man ist überfordert sich vorzustellen, wie es den Architekten gelang, mit ihrer Wandarchitektur (Wand-Pfeilersystem) sofort in die zeitgenössische Baukunst von Weltrang einzugreifen. Die hervorragendsten Persönlichkeiten sind Michael Beer (1605–1666), Christian Thumb (1645–1726), Kaspar Moosbrugger (1656–1723) und die Stuckateure Andreas (1722–1787) und Anton Moosbrugger (1732–1806). Ihre Namen sind verknüpft mit Bauten wie Einsiedeln, Weingarten, Birnau, St. Gallen … Welchen kulturellen und politischen Einfluss hatte die Auer Zunft in ihrer Heimat? Diese Frage weist auf die geschichtslose bäuerliche Kultur hin. Außer einer Gipsdecke gibt es kein Zeugnis ihres Könnens in ihrer engeren Heimat. Wer in die Fremde ging, hatte den Einfluss auf das heimische Geschehen verloren, daneben war es sicherlich auch eine finanzielle Frage. Die Skepsis gegen äußere Einflüsse kann auch als Selbstschutz betrachtet werden, neue Wertvorstellungen hätten die Ausgewogenheit der Gesellschaft bedroht. Mit dem Abbruch des Wälderparlaments auf der Bezegg beim Einfall der Franzosen und Bayern 1807 und der Verlegung der Verwaltung in die Stadt Bregenz beginnt die Desintegration dieser Wäldergesellschaft. Dem Dichter Franz Michael Felder war diese Auflösung und Entmachtung schon 1860 bewusst. Seine großartigen Gedanken zu Sozialreformen liegen nicht im heutigen gleichmachenden, internationalen Trend, sie forderten, was heute erst langsam allgemeines Gedankengut wird. Wenn man schon von außen regiert und verwaltet wurde, wollte er wenigstens im wirtschaftlichen und sozialen Bereich Eigenverantwortung wie in der freien Wäldergesellschaft. Die Auer Zunft beweist das Vorhandensein eines großen kreativen Potentials in unseren Alpentälern und muss uns in Bezug auf die zentral verordnete Verschulung unserer Gesellschaft nachdenklich stimmen. Mit Angelika Kaufmann, Malerin, Franz Michael Felder, Dichter und Sozialkritiker, Jodok Fink, Vizekanzler, ist bewiesen, dass die schöpferischen Quellen nicht versiegt sind.

Pseudolandkultur und der Mann mit der Laubsäge Bis zur Jahrhundertwende verflacht sich etwas die traditionelle Baukultur. Der geschnitzte Blockbau wird verschindelt, die durch Klebedächer geschützten Fenster mit den kleinen Schiebeflügeln, einer großartigen Erfindung, bleiben erhalten. Die Tradition im Detail wird mit der Entwicklung einer industriell gefertigten Beschlagtechnik aufgelöst. Aus der Flurküche entwickelt sich ein Eckflurgrundriss, der Küche wurde ein Pufferraum vorgeschaltet. Die Technische Hochschule Graz und die steirische Landesregierung haben in einer Untersuchung festgestellt, dass die alten bäuerlichen Grundrisstypen wie Mittelflur und Seitenflur etwa 1960 verschwinden und Grundrisstypen aufgenommen werden, die aus den Siedlungsarten der Vorstädte entstehen. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entwickelt sich der Tourismus, er bringt eine Pseudolandkultur, das Chalet; für den Städter ein leicht verdaulicher Aufguss der herben, anspruchvollen bäuerlichen Bauweise. Ernest Hemingway schrieb 1922 über die Hotels in der Schweiz: „Die Schweiz ist ein kleines, steiles Land – viel mehr auf und ab als seitwärts –, und sie ist ganz mit großen, braunen Hotels besetzt, die in einer Art Kuckucksuhr-Architektur gehalten sind. An jeder Stelle des Landes, wo es weit genug seitwärts geht, ist ein Hotel hingepflanzt, und alle Hotels sehen aus, als wären sie vom selben Mann mit derselben Laubsäge gemacht.“ Die Pioniere des Tourismus haben städtischen Komfort mit ländlichem Charme überzogen und diese Stilmaske der industriell gefertigten Laubsäge legte sich über beliebige funktionelle Strukturen. Heute wird alpine Großhotelerie mit Elementen der bäuerlichen Baukultur ausgestattet, die vorbildlichen Bemühungen einzelner Architekten sind vergessen. Bis zwischen die beiden Weltkriege reichen diese Bemühungen zurück und hier ist besonders auf die Tiroler Schule hinzuweisen – mit Namen wie Holzmeister, Welzenbacher, Baumann, Prachensky. Ihre Bemühungen waren getragen vom Bewusstsein, dass international denken einebnen heißt und dass, wer an den Alpenraum denkt, global denken muss, dass aber 57



dieses Denken regionale Vielfalt voraussetzt, um die Identifikation des Einzelnen am Ort zu ermöglichen. Eine Änderung kann nur erfolgen, wenn man sich klar macht, dass in einer bäuerlichen Gesellschaft Arbeit und Freizeit im Leben eine Identität bilden. Für die städtische Gesellschaft ist Freizeit bisher Zeit frei von Arbeit, statt die Möglichkeit zur Empfindung von freier Zeit. Dem Ortswechsel kommt dabei große Bedeutung zu. Wenn jedoch Rollentausch und Ortswechsel eine so bedeutende Rolle beim Freizeitgefühl spielen und Freizeit empfundene Zeit ist, so muss die touristische Planung Räume für die Empfindung sichern. Die Zeit zwischen 1938 und 45 zeigt eine gewaltsam durchgeführte Gegenkultur, die uns unter dem Wort Blut und Boden geläufig ist und das Verhältnis zur regionalen bäuerlichen Kultur lange Zeit belastet hat. Nun sind wir dabei, das zu überwinden, langsam wendet man sich von Überfluss und Konsumwelt ab und übt Selbstbeschränkung. Sie ist notwendig, wenn wir auf unserer Welt mit ihren erschöpflichen Schätzen weiter leben wollen. Die Energiekrise ist ein Fingerzeig. Selbstbeschränkung führt uns wieder an die bäuerliche Kultur, man möchte sagen Mangelkultur heran. Man sieht hier, wie man menschenwürdig mit Beschränkungen leben kann, wenige einfache Objekte mit reduzierter Ausstattung unter Verzicht auf Prestige zeigen diesen Trend (…) Diese Entwicklung bleibt von der Mehrheit unbeachtet, daher geht die Zerstörung der Landschaft durch Zersiedelung und durch sogenannte leistungsfähige Verkehrswege weiter. Der überregionale Maßstab der Verkehrsbandbreite, die sich nur nach den gezählten Autos richtet, zieht in die kleinen Orte ein. Umfahrungen werden meist von den Bewohnern noch gar nicht gewünscht, aus Angst, abseits vom Geschehen zu liegen, obwohl die Belastung durch den Verkehr schon unerträglich wird. Die Mobilität wird weiter gefördert, obwohl sie stark zur Zerstörung unserer Gesellschaftsstruktur beiträgt. Diese Entwicklung beginnt bereits im Kindesalter, wenn die Kinder im Schulaufsatz über die weitesten Ferienreisen wetteifern. Die Kinder werden zu Schwerpunktgemeinden in die Schule gefahren, das ist zwar aus rationalen Gründen des Schulbetriebes einleuchtend, die Identifikation mit dem eigenen Ort wird aber geschwächt. Die Kraft des Lokalen wird in unserer Zeit vollkommen unterschätzt. Die Bezugs-

gruppe Dorf gibt – bei aller Möglichkeit zur engherzigen Kritik, zu Streit und Eifersucht bis hin zu Familienfeindschaften – einen hohen Grad von Verhaltenssicherheit und Geborgenheit. In der überschaubaren Gruppe kennt jeder seine Funktion als Erwachsener, sie bringt ihm Befriedigung und das Bewusstsein einer sozialen Aufgabe und Bedeutung. Es ist nahezu unmöglich, diese Gesellschaftsformen auf die moderne Gesellschaft zu übertragen. Eines greift ins andere, ist ohne das andere nicht zu denken: ökonomische Notwendigkeit, räumliche Nähe und Abgeschlossenheit, begrenzter Personenkreis, gegenseitige Hilfeleistungen, gemeinsame Wertvorstellungen über alle den Lebenskreis berührenden Fragen, allgemein akzeptierte Ethik, soziale Kontrolle, gemeinsame Sprache, gegenseitige, echt empfundene Anteilnahme, ein hoher Grad an personaler Identität. Die Besitzschichtung ist im Normenkonsens des Dorfes eingebaut, Bauern, Handwerker, Arbeiter kennen ihre Rolle und empfinden sich nicht komplementär. In der modernen Gesellschaft fehlen nahezu alle Voraussetzungen für verantwortliches, langfristig angelegtes Handeln, daher geht die Zerstörung des natürlichen Lebensraumes weiter, wir könnten sie verhindern, – wenn wir erkennen, dass der Mensch selbst ein Stück Natur ist und jedes Ändern seiner natürlichen Umgebung ihn selbst ändert, – wenn wir unser historisches Herkommen erkennen und die personale, dezentralisierte Kultur für den Alpenraum als geistiges Modell anerkennen, – wenn wir erkennen, dass Planung, wenn sie technokratisch gehandhabt wird und von zentraler Stelle ausgeht, immer etwas von gesellschaftlichem Diktat hat – und wenn wir die Verpflichtung ernst nehmen, einen Konsens zu suchen in den durch die europäischen Freiheiten entwickelten pluralistischen Tabus, was Menschen voneinander verlangen dürfen und was als ihre Aufgabe und Verantwortung anzusehen ist. So kann Planung nicht nur Zukunftsbewältigung, sondern auch Zukunftssicherung sein.

Universitätsarchiv der TU Wien, Nachlass Prof. Ernst Hiesmayr 59



Thomas Feuerstein Originalbeilage Nr. 29

Das Volumen einer menschlichen Harnblase wird als flüssige Bronze auf eine Fläche gegossen. Nach Erstarren wird der Ausguss durch ein Kupferrohr in Beinlänge komplettiert. Die Installation erfolgt am Boden als „Passstück“ oder als Wandobjekt in Augenhöhe. Erstere trägt den Untertitel „König Midas“, zweitere „Stechender Urin“.

Thomas Feuerstein, BRUNZE AUS BRONZE, 2017 Offsetdruck auf Karton, gestempelt und paraphiert, Auflage 1.650 61



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Das Lied von der Erde Landvermessung No. 5, Sequenz 2. Ins Defereggental und weiter

Geschichten kann man auch durch geometrische Operationen auf der Landkarte generieren: In Quart folgen unterschiedliche Autoren mit unterschiedlicher Kondition unterschiedlichen Linien (s. Übersichtskarte). Wir befinden uns derzeit auf einer Geraden, die von Obermauern im Osttiroler Virgental Richtung Südtirol und weiter ins Trentino führt. Die Schauspielerin und Autorin Dörte Lyssewski begegnete – ausgerechnet! – im Defereggental Gustav Mahler.

Liebe, wenn Du wüsstest, was für einen weiten Weg Du noch vor Dir hast! Du bist noch schmal, träumst zäh und gelangweilt dahin, ein besseres Rinnen Deines jungen Lebens, mehr nicht. Wie schön Du bist. Du wirst breiter werden … dein geschmeidiger, schneller Körper glitzert jetzt bereits munter in der Sonne. Du gibst erste glucksende, plätschernde Laute von Dir. Wo Dich dein Weg wohl hinführen wird? Du bist abenteuerlustig und aufgeregt und an dieser Biegung lasse ich Dich nun. Ich bin krank. Wir werden einander nie wiedersehen, nimm mit von mir, was du begehrst, meine Entrinnende. Schwindel. Warum bin ich ins Schattental gegangen? Wär ich nicht ins Schattental gegangen, wär vielleicht alles anders gekommen. Ich hätte Mut gefasst und wäre nicht gestorben. Nun will die Sonn so hell aufgeh’n, als sei kein Unglück die Nacht gescheh’n! Er hatte sich aufgerichtet und die Augen aufgeschlagen. Dieses eine Mal war er ungewöhnlich früh gekommen, voll Ungeduld, ohne Aufschub jedweden Moments. In dem Vorgefühl einer Ereignishaftigkeit, die sich nie würde wiederholen können. Früh würde er das jetzt noch junge Tal sehen und die Höh, und wusste nicht, ob er dasselbe empfände, jetzt, da er sich im gleichen

Zustand fand wie das, was er verloren hatte, als kehrte er noch einmal aus dem Reich der Toten wieder. Ob er dasselbe fühlte, dasselbe dächte, dasselbe schriebe? Einmal noch, der Verdammnis zum Stillstand trotzend, war er aufgebrochen. Die Bewegung erweckte Rhythmus in ihm, sie wurde ihm Klang und wieder innere Regung und wieder Rhythmus. Bewegnisgrund und Überlebensklang. Er musste hinauf. Er brauchte den gelebten Blick und die Frische dieses Weltkörpers. Die Klarheit der Luft benahm ihn beinahe des Atems. Sie, die ihn stärkte, brachte ihn fast um. Er streckte seinen Kopf zum Fenster hinaus. Schwindel. Erste und letzte Schindeldächer, reglose Fellkringel von Katzen auf den von der Morgensonne sich erwärmenden Blechdächern. Erste Hühner rannten todesmutig auf die Straße. Vor dem Aufbruch blickte er noch einmal wie ehedem mit bemühter Selbstverständlichkeit in den Spiegel, glättete sein Haar nieder und setzte den Hut auf. Er sah seine blauen Lippen, die Wangen gerötet von Fieber. Ich fahre gerne Rad, werde aber darauf verzichten und laufen, maßregelte er sich bitter. Es lockt mich, mich der Geschwindigkeit des Autos hinzugeben, einmal, einmal noch zu fahren, doch ich werde gehen, sog er traurig den Gedanken ein. Nur nicht in den 65



Schatten bleiben, von denen er annahm, dass sie ihn ungeduldig erwarteten. Aufbruch. In die Dunkelheit des Lichts. Er schaute ein letztes Mal zum Haus zurück. Sein Fenster, das in geschlagenes, geschichtetes Holz gefasst war, hatte ihn wie eine Wabe bewahrt und geschützt. Er war sein eigener Arbeiter und arbeitete für sich als einzigen König. Ein letztes Mal: Das himmlische Leben. Er würde nie erleben, wie laut das Tal sein würde, wenn er das Fenster öffnete und da keine Stille mehr wäre, es dröhnte; und er die Sprache derer, die ihm das Essen bereiteten, sein Bett richteten, nicht mehr verstünde; die Menschen nicht mehr schwömmen, nicht im milchigen Wasser des dunklen Sees, wie in einem verschwommenen Mond in Wolken inmitten dunkler Nacht, sondern einzig ins Wasser stiegen, um sich selber zu photographieren; und nicht mehr als Gäste dieser Welt geschätzt würden, sondern verachtet. Er sähe nicht die mit Löchern geschändeten Berge, aus denen heraus Soldaten töteten und getötet wurden, diese Menschenlöcher, klaffende Augenhöhlenbunker; keine Grotten für Heilige, einsame Jünglinge, verlassene Jungfrauen, oder ermüdeten Knappen zum Schutze. Er sähe nicht die endlosen Gräber, aber auch nicht, dass es eines Tages kleine friedliche Fallschirme gäbe, die man ihm ans Tor seines Herzens pflanzen könnte und die das Leben hereinfließen lassen würden in ihn. – Nie wieder an den See. Schwindel. Grünfinken im klaren, schnellen Flug vor dem lichten Passepartout der weiten Berge durchkreuzten seine Schwermut. Ihm war heiß. Das Gewand war nass. Das Licht blendete seine Augen. Er schloss sie. Das Fieber vermochte das Weiß des Schnees nicht zu schmelzen. Vor Mitternacht noch werde ich sterben. Gibt es eine Tiefe, aus der man erwachen muss, jenseits des Schlafes? Ja, aus dem Alb dieser Begegnung. Vis-à-vis de

rien. Vis-à-vis de moi. Ich bin ein Anfänger am Ende des Lebens. Im Lindenbaum vor dem Haus duckte sich eine Taube, eine Amsel schimpfte, schon so früh!, ein Hund bellte. Er hatte den warnenden Stern der Nacht nicht beachtet. Heiß und weiß hatte dieser auf ihn herabgesehn und war ihm durch seinen Fiebertraum gefolgt. Ich bin im Schatten. Nicht nur des Abends. Auf der anderen Seite ist die Sonne. Aus dem nahe liegenden Sägewerk wehte Essiggeruch von zerlegtem, trocknendem Holz ins Tal in sein Gesicht. Die Umschläge für das fiebernde Kind hatten nicht geholfen. Obergottesfeld. In der Ferne sah er die Kirche mit dem hölzernen Umgang mitten auf der Wiese stehen wie einen Irrtum. Ein Pfeifen, das dem kämpfenden Körper stoßweise entwichen war, hatte ihn geweckt. Er hatte das schwere Atmen gehört, bevor er wusste, was es bedeutete. Sie hatte fiebernd dagelegen, Blut tropfte aus ihrer Nase. Zwei Tage später gab es sie nicht mehr. Er starrte auf den glitzernden Fluss. – Nie wieder an den See. Wasser, Röcheln, Atemlosigkeit. Das Gesicht seiner Tochter. Heiß und rot aufgequollen. Er musste auf die andere Seite. Auf die Sonnenseite. Ein Bauer nahm ihn auf seinem Anhänger mit und da war es nun, das warme Licht der Sonne. Jetzt konnte er sein, ohne den Trost des Schattens! Im helllichten Licht in der Dunkelheit. Er stapfte um die Biegung, überquerte die Gleise und strich entlang der Auwälder, umsäumt von rehfarbenem Schilf. Ich habe Butterbrote und Schinken bei mir, trage gute Stiefel an den Füßen. Ich wäre in jedem Sinne einer, dem nichts widerfahren kann. Ein Reißen in der Brust ließ ihn innehalten. Er griff in die Brusttasche, nahm das Tuch hervor, das noch Spuren ihres Blutes trug, hielt es sich vor das Gesicht. Trocknete sich die nasse Stirn. Der 67



bläuliche Rauch der morgendlichen Verrichtungen und Geschäftigkeiten, der aus Häusern und Hütten drang, lag schwer und zäh in den noch feuchten Tälern und umfing ihn wie der Traum eines Köhlers: Seine Angst, der Tod des Mädchens, nur die Brandnarben, der Schlafmangel des Köhlers, Schemen, die die Farbe des Rauchs, die er lange beobachtete, hervorgerufen hatte. Die erste Mühle, an der er vorbeikam, ruhte jetzt nur mehr und erinnert daran, dass, wer mahlen durfte, bei Herzass am Kartentisch entschieden wurde. Wer sterben durfte auch!, hallte es ihm der Müller in Gestalt des rauschenden Wasserfalles nach. Er stürzte durch den Wald, fiel. Blaubeerfelder, ich esse davon. Die Zeit ist zu früh. Es gibt noch keine Beeren … Schwindel. Stolpern. Endlich am Fluss. Das Wasser buchtet sich biegsam durchs Eis. Auf einer kleinen Erhebung der Insel aus Schotter die ersten Weidekätzchen. Wunderherrlich. Die Wehmut, die ihn ergriffen hatte, als er am Ende des vergangenen Sommers das Tal verlassen hatte und in die vermeintliche Weite gefahren war, in die vermeintliche Freiheit, ließ ihn als ein Anderer zurückkehren. Kein Lichtgedanke hatte ihm Trost gebracht, seit der Ereignisse am See. – Er verabschiedete sich von dem kleinen Fluss, der bald sich ergießen sollte in einen Bruder, eine Schwester, wachsen und in der Ferne als ein Anderer jegliches Erinnern an seine ursprüngliche Form unterwegs verlieren würde. Smaragdwasser und Kalk. Stürze. Alles um den kleinen Fluss herum schien unerträglich wüst, die Kanten, die das Eis im Schnee hinterlassen hatte, wurden von ihm weichgespült, ebenso wie die Strünke vergangener Jahre der Erosion. Könnte er so anmutig verfallen, so seine Zähne verlieren! Atemnot. Das matte Gras, das die Böschung einfasste, hing senffarben herab. Er überquerte den Fluss. All das zu sehen, wäre bereits Glück. Und da

fing im Sonnenschein gleich die Welt zu funkeln an! Sein unsichtbares Königreich und Maria wären da. Ich bin ein Zwerg, ein Traumgörge meines Lebens. Die Steine, die das Eis einst hierher ins Tal gebracht und sie nach seiner Mahlzeit als Krümel liegen ließ, umlagern mich gleich großen Murmeln, von Riesenkindern nach dem Spiel nachlässig vergessen. Er sah ein paar Kindern in der Ferne beim Spielen im Fluss zu, wie sie mit ihren Beinen im eiskalten Wasser standen, inmitten des glitzernden Friedens, und fragte sich, wie aus ihnen, die in solcher Pracht aufwuchsen, dergleichen Menschen werden konnten, die ihn vertrieben hatten, die ihn kleinmütig hassten und demütigten, die ihn mit engen Herzen neideten und ihn ins Entlegene, Fremde getrieben hatten, wo man ihn zwar liebte, doch hatte das nur seine Fremdheit verstärkt und er verblieb noch einsamer und enttäuschter zurück. Purgatorio Solitude. Wie gern würde er sein Kind über den Fluss tragen. Es wäre ihm ein Leichtes und sie wäre leicht und je tiefer der Fluss sein würde, desto schwerer wäre beides. Christophorus, trag sie hinüber für mich! Die Tochter, die Brüder. Ich werde die Glocke um den Hals hängen und dich leiten. Durch Stromschnellen und über Steine. Ich, als verbleibende einsame Herde, die keine ist. Er hob die Hand, um seine Augen zu beschirmen. Dann blickte er ganz unverwandt, ungeschützt durchs Tal. Er faltete die Landschaft unter seinem Daumen und schob sie zusammen, dehnte und wellte sie. Extraschlag des Herzens. Die noch zum Dorf gehörigen Felder waren durch blaugräulich gefärbte, brüchige Steineinfassungen begrenzt. Als hätte der Rauch des Tales seine Farbe auf sie niedergesenkt und ihre Grenzen aufgelöst. Der Anstieg begann. Er drehte sich herum und sah hinab. Fieber. Das Grundstück, das er noch vor Kurzem erworben hatte, um auch nah der Stadt eine ähnliche 69



Eindrücklichkeit erleben zu können, wie sie ihm hier, weit entfernt davon, widerfuhr, erwürbe jetzt ein Anderer, kam ihm in den Sinn. Ein Anderer würde jetzt dort ein Haus bauen, leben, atmen, lieben und seine Kinder würden dort über die Wiesen laufen und wären nicht ausgegangen ohne Widerkehr. Das Holz hier schien klarer, reiner und frischer als der Stein, vielleicht weil die Sonne es beschien, vielleicht weil es jünger war und unmittelbarer erzählte, seine Veränderung jedem zeigte, und er nicht in Millionen Jahren wiederkehren müsste, um diese zu sehen. Es reagierte schneller, empfindsamer und weich, wie ein Mensch, angreifbar und verletzlich. Und doch waren in der Senke, die er durchschritt, Baumstümpfe und graue Steine gleichermaßen Gedenksteine und nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Letzte zusammengescheuchte Obstbäume auf kleinen, vergilbten Flächen; der bläuliche Rauch hier und da stand wie ein Notenhals in den Himmel, wie der Zigarettenrauch des Vorabends. Er hatte gezittert. Der nächtliche Husten hatte ihn nicht schlafen lassen, sondern ihn im Sessel wachgehalten. Einzig seine Hand war ruhig geblieben und hatte den Rauch sich gleichmütig und ungestört zum Fenster hinausschlängeln lassen. Sein Herz hatte so schnell geschlagen, dass der Fuß des über das Knie geschlagenen Beines zitterte, auf- und niederwippte wie eine Wünschelrute. Der Hund schlug an und warnte nächtens vor etwas, das sich ihm entzog, da es fraglos und klar war wie die Luft der Nacht. Vor Mitternacht noch werde ich sterben. In welcher der kommenden Nächte, war ihm gleich. Doch so würde es sein. Oder schlimmer. Wer hätte wissen können, dass ich das alles nicht mehr würde sehen können? Noch am Abend hatte er den Pfad zur kleinen Kapelle genommen, sich auf

die Knie geworfen und geweint. Sebastian und Christophorus sahen indes geduldig, fast gleichmütig auf ihn herab und er bemerkte, dass sie seinen Gastwirten glichen. – Heute kommt der Sand aus der Sahara. Wie ein Gast, vor dem es sich in Acht zu nehmen galt, hatte die Wirtin den Tag angekündigt. Die Wiesen lagen fleckig da, mit schwarzen Pusteln übersät, und warteten auf das frische grüne Kleid. Große Misthaufen wuchteten neben den Schutzstadeln wie aufgeworfene Maulwurfshügel gigantischen Ausmaßes. Kein Dunst verschleierte mehr die Sicht. Die unterschiedlichsten Formen der Kirchtürme streckten sich in den unerbittlichen Himmel, in jeder Form ein anderes Gebet verwahrt, eine andere Sprache der Not. Er passierte ein Marterl, drehte sich um, hielt inne. Christus war gerade dabei, sich vom Kreuz loszureißen, sich in die Tiefe stürzen zu lassen, hing bereits schräg abstehend vom Kreuz gelöst und war dabei erstarrt vom Schrecken der Erkenntnis, dass es dafür zu spät war. Eine Stunde Gehens weiter hing er wieder, als ein Anderer, ergeben da. Rechts und links seiner genagelten Arme von zwei kranken Phalli, in Form zweier Maiskolben gesäumt. Kurze Bewusstlosigkeit. Er wachte am Boden auf. Der Himmel war blau. Stille. Ich bin der Schönheit begegnet und sie antwortete mir. Er nahm einen Bissen vom Schinken, trank einen Schluck Honig und zog weiter. Es war egal, wo auf der Erde er sich befand, das hieß, er war angekommen, denn das, was er sah, gab es überall auf ihr: die Steinsockel, die Steinmauern, die Umfriedungen. Die Schönheit tat weh. Der Abschied von der Schönheit tat weh. Alles in der Landschaft war gesprenkelt. Eine weiße, fressende Auffächerung zwischen Schatten und Licht legte die Konturen frei. Birken, Berge, die Reflexionen des Wassers. Die Berge schwarze, abgeschattete Hüte. 71



Das gebrochene Licht löste die scharfen Kanten auf, den Hang entlang glitten schwarz umränderte Schattenwolken. Die Zinken und Zacken einer großen, ausgefransten Welt, einer ausgefransten Landschaft. Saum, Rand und Eigentlichstes zugleich. Er war am Berg. Schwindel. Still ist mein Herz und harret seiner Stunde. Weiße Rücken tauchten in das warme Morgenlicht. Weiter unten waren ihre Rücken fleckig und räudig wie die Rücken alten Viehs. Die Gnade der Schönheit, die ihn empfing, barg immer, Moment für Moment, die Gnade, nicht verschont geblieben zu sein, es war da immer der Schmerz, das Gegenteil beweinend. Die aufgeworfene Erde ließ es eigentlich nicht zu, dass man sie betrat und ihre Schönheit schändete. Etwas musste unberührt bleiben und schön. Er fühlte Drang und Verstummen. Die milde Erbarmungslosigkeit machte ihn ruhig und schwer. Der Weg zum Scheitelpunkt war versperrt. Sein Herz schlug schneller. Es bringt mich noch um. Berg der Verklärung. Nimm mein Ungestüm und lass mich ruhn, zärtlich und versöhnlich. Ich brenne dahin. Jeder Schritt ein Jahr. Es strengt mich an, dachte er. Ich trete mir gegenüber. Es ist schwer. Mein TonGlimmer-Schiefer-Weg, ich sage Dir: Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold! – Ihre Luftröhre lag offen da mit kleinem Spalt, der ihm entgegenklaffte, als käme noch eine Botschaft, eine Weissagung, die nur ihn etwas anging. Vergebens. Vergebung. Die kleine Hand, die er bis zum Schluss gehalten hatte, war ihm entglitten. Gruppe sechs, Reihe sieben, Nummer eins. Längen- und Breitengrad meiner restlichen Existenz. Ich habe genug. Kurze Bewusstlosigkeit.

In der Ferne ragt das unruhige, verwitterte Gestänge der Erdpyramiden empor, wie die Kalkablagerungen in mir. Da hilft nur Sprengung. Ich geh mit der Muschel. Den Hammer im Herzen. Silber, Kupfer, Blei und Gold. Ein Bergwerk der Märchen. Ich ihr Zwerg. Das Mädchen und der Riese Tod. Die hölzernen Schutzhäuschen auf den Matten, an den Hängen und weiter unten im Tal verteilt, glichen Mausoleen für Vieh und Menschen. Solch eine Schutzhütte wünschte er sich. Und doch: Solche Schutzhütten hatte er sich eigens bauen lassen, um arbeiten zu können, an Seen, im Wald: Es hatte nichts genützt. Die Musik erstand schadlos, doch griff die Zeit nach seinem Kind und seinem ihm zugeeigneten Platz. Am höchsten Punkt des Berges, den zu erklimmen ihm noch möglich war, setzte er sich nieder. Die Stille hier war dick. Eine harrende Umgebung. Nicht wirklich friedlich. Oder doch? Die Kostbarkeit jedes Tons, des Vogelsangs und Rauschens. Des Aufschreis. Der Ort wurde zur Speise, Anordnung zum Lauschen. Ohrenspitzen. Er wusste es nicht mehr. Alles war durcheinander. Hatte es noch einen Sinn, ins Tal zurückzukehren? Zurückzufahren durch den langen Wirbelsäulentunnel im Rücken des Berges? Erneut und, noch ein letztes Mal, daraufhin in die Stadt? Sollte er nicht einfach bleiben und den Rest seiner Tage sich als Christusdarsteller bei den Passionsspielen in dem Ort flussabwärts verdingen? Wer hatte „Guten Abend, gute Nacht“ komponiert? Warum fiel ihm der Name nicht mehr ein? Es wurde des Abends vom Glockenturm des Dorfes grausam als Glockenspiel in sein Zimmer geschlagen, um Kinder – welche Kinder? – in den Schlaf zu wiegen. Es tönte durchs ganze Tal wie eine finstere Erinnerung in seinem Kopf. Nichts tröstete. Am frühen Abend seiner Ankunft war er bereits schon einmal auf73



gebrochen, weil ihn der Hunger hinausgetrieben hatte. Erbrechen. Nicht einmal die Postkarte, die er ohne jegliches zu beschreibende Erleben unmittelbar im Café Dacapo kaufte, wollte ihm gelingen. Eine unleserliche Schrift bemächtigte sich seiner Hand, sein Auge folgte dem verwirrten Kreisen seiner Hand, die eine kryptische Adresse auf die Karte setzte, an nicht vorhandene Menschen adressiert, in einem Alphabet verfasst, das er noch nie gesehen hatte und nicht entziffern konnte. Nichtsdestotrotz hatte er sie eingeworfen, er wusste nicht, an wen, und ging über den Platz des Gasthauses zur Post, auf dem einmal sein von Kindern beturntes trostloses Denkmal stehen würde, zum Essen. Vorher kurvte er zur Seite und trat die Stiegen zur Kirche hinauf. Seine Hand senkte sich in den Griff der Drachenklinke des Eingangs. Neben dem Taufbecken in Form einer großen Bonbonnière erblickte er den kleinen, mit Reliquien bestückten Sarkophag. Könnte ich ihr auch ein Haus auf Lilienfüßen bauen! Und sie jeden Tag betrachten, Schmuck meines Lebens! Dann im Schwarzen Adler zum Nachtmahl. Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit ist mehr wert als alle Reiche dieser Erde. Vergebens. Am Nebentisch lachten Kinder. Schwindel. Er zahlte die fette Speise und ging. Das nächtliche Dorf kulissenhaft, wie leblos. Vom Rauschen angezogen, war er auf der Brücke stehen geblieben und hatte Durst bekommen. Er schaute in den Sturzbach, in die letzten, schmelzenden Schneewehen. Ich bin ausgegangen in stiller Nacht. Im Licht der Laternen sahen die dicken Stämme der Birken wie schirmende Riesenparasole auf ihn herab. Auf dem Weg zur Pension entdeckte er eine Auslage mit allerlei Notwendigkeiten für Durchreisende. Lohnte es sich noch, ein Paar Stiefel zu kaufen? Nein. Sie standen neben einem kleinen Paar gefütterter Kinderstiefeletten und winzigen Pantöffelchen. Reißen

in der Brust. Er war in sein Zimmer getaumelt. Vom Bett aus sah er das schimmernde All, aber nein, das war nur sein trübes, flackerndes Auge. Schwindel. Die Matten rutschen zu mir ins Zimmer hinab, aber nein, sie sind nur auf ihrem Weg vom Mittelpunkt der Erde zu mir erstarrt. Jetzt ist mein Herz die Lava, meine Lunge, mein Blut. Ich denke plötzlich an den Michel, meinen Verrat, die Elbe, an meine Schwestern. An die Donau, meine Wohnung, die Klänge. Renn weg! Hatte mir die Straße täglich zugerufen. Ich habe nicht auf sie gehört. Jetzt bin ich hier. Es ist gut. Es ist Nacht und ich bin mit dem Berg allein. Die Nacht auf dem Berg ist besternt. Der Geruch nach Mist und das Rauschen des Falls torpedierten die Verweigerung des Berges, einen Laut anzunehmen. Er nahm kein Licht an, kein Geräusch. Zuweilen grollte er. Und dann kam immer gleich der Tod. Doch jetzt war Frühling! Sein Groll stürzte ins Tal, traf den der anderen und machte sich auf, über Umwege ins Meer. Und ich? Werde ich das Meer wiedersehen? Werde ich den Mai noch erleben? Wohin bringst du mich, Frühling? Brustschmerz. Schüttelfrost. Schwindel. Ich brauche noch Füllfedertinte und Pfefferminzöl. Bitte. 671, 671, 671, 671. Die Zahlen dröhnen durch seinen Kopf. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Sturm über Wien.

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Im Unsichtbaren

Auf den folgenden Doppelseiten zeigt Theresa Eipeldauer ein Kaleidoskop ihrer Arbeit („Auszüge und Gegenüberstellungen von fotografischen Notizen, 1–9“). Dazu ein Text von Matthias Pfisterer.

Ein Aspekt, der mich an Theresa Eipeldauers Arbeit, über die Jahre betrachtet, immer wieder von Neuem fasziniert, ist die enorme Bandbreite an Ideen, Techniken, Medien und bildnerischen Mitteln, die sie bei Bedarf heranzieht und sich aneignet, um die – je nach Situation und Fragestellung – schlüssigsten, gleichzeitig aber auch möglichst interessantesten und überraschendsten Lösungen zu finden. Die sich zwangsläufig ergebende Vielfalt unter den konkreten Arbeiten bleibt dabei aber stets zuverlässig frei von jeglichem Geruch der Beliebigkeit. Ganz im Gegenteil: gerade und vor allem aus dieser Perspektive erschließt sich ein dichtes Netz von Sinnzusammenhängen, das, weitgehend immateriell, sich sozusagen im „Leerraum“ zwischen den einzelnen Arbeiten erstreckt und daher meistens im Unsichtbaren verbleibt. Denn das Eigentliche, das die Künstlerin in ihrem Tun vor allem umkreist und behandelt, von dem aus sie immer wieder neuen Antrieb erhält und das auch die meisten der in der Arbeit enthaltenen Entscheidungen und Prozesse bedingt, ist vielmehr der Arbeitsprozess an sich sowie die Bewegung, die sich auf mehreren Ebenen „zwischen“ den einzelnen konkreten Arbeiten

vollzieht, als etwa die „fertigen“ Produkte selbst, die in ihren Augen eher so etwas wie auf einem beschrittenen Weg hinterlassene Überreste und Spuren darstellen und damit wiederum die natürlichen Ausgangspunkte für weitere Bewegungen bilden. So verwischen sich in dieser zu großen Teilen von Neugier gelenkten Arbeitsweise immer wieder von Neuem die Grenzen zwischen Zeichnung, Druck, Malerei und Plastik, zwischen intimer Handschrift und technischer Anonymität, Entscheidung und Zufall, zwischen Textur, Form, Licht, Schatten und Farbe. Die Frage, welches Ergebnis eine bestimmte, etwa beim Zeichnen eine sich wiederholende Bewegung wohl bringen wird, wenn sie exakt genauso ein weiteres Mal, nur jetzt vielleicht in einem Druckprozess, vollzogen wird, ist hier von viel vitalerem und drängenderem Interesse als jegliche definitive Aussage, die möglicherweise einem konkreten Kunstwerk als „Botschaft“ aufzubürden wäre. Viel eher Zeichen als Symbol, bilden die einzelnen Arbeiten in Summe wiederum Elemente zu einer Art hochkomplexer, sich dynamisch entwickelnder Schrift, die zwar jeglichen Beschlag mit „Bedeutung“ völlig verweigert, dafür aber umso mehr Sinn ergibt und vermittelt. 77











Brenner-Gespräch (17): „Ich komponiere besser bei schönem Wetter“

So viele Leute fahren über die Alpen. Quart bittet herausragende Persönlichkeiten an den Straßenrand zu einer Jause mit Gespräch. Folge 17: die Komponistin Birke J. Bertelsmeier, die wohl Physikerin geworden und zum Mond geflogen wäre, hätte sie die Aufnahmeprüfung zum Musikstudium nicht bestanden. So aber pendelt sie auf Erden zwischen Paris, Rom und Berlin und schreibt höchst erfolgreich Neue Musik. Mit der Pianistin Yvonne Gesler spricht sie über holprige Freiheit, notwendige Begrenzungen und die Freude am Fehler.

Yvonne Gesler: Sie spielen in Ihren Kompositionen gerne mit konstruierten Fehlern, mit anfänglich einfachen Strukturen, die nach und nach aus dem Ruder laufen. Warum? Birke J. Bertelsmeier: Ich interessiere mich für folkloristische Musik, die ohne Noten funktioniert. Nehmen wir einen ganz einfachen Tanz, zum Beispiel einen Walzer, den man auf eine walzertypische Weise spielt, mit leichtem Wiegen, einer leichten Verspätung, so dass er tanzbar wird. Würde ich das genau so aufschreiben, wäre es furchtbar kompliziert. In der Neuen Musik strebt man normalerweise Perfektion an, mich faszinieren aber verschiedene Interpretationsweisen – zum Beispiel von diesem Tanz – einmal ein bisschen verzögert und einmal im barocken Stil. Eigentlich bin ich ja zum Komponieren gekommen, weil ich nicht verstanden habe, dass man bestimmte Stücke auf eine gewisse Weise spielen muss. Spielt man zum Beispiel Bach, sagt der Lehrer: da legato, hier staccato! Warum? Das steht doch nicht drin! Irgendwann wollte ich einfach selber schreiben, damit ich bestimmen kann, was ich mit dem Stück machen möchte. Ich will eigentlich, dass meine Werke klingen, als würden die Musiker sehr frei spielen. Ich mag dieses Schwanken zwischen den verschiedenen Interpretationsweisen. Y. G.: Das heißt, es geht Ihnen nicht so sehr um die

Irritation an sich, sondern um eine gewisse Freiheit für den Interpreten. B. B.: Ich will der Musik Raum geben. Ich will, dass die Musik holpert und ich mag Tempowechsel. Y. G.: Spiegelt sich das zum Beispiel auch in Spielanweisungen wider, in Ihrem Quartettstück heißt es zum Beispiel: „nach und nach betrunkener spielen“? B. B.: Ich habe das Stück für das Arditti Quartett geschrieben. Als ich die Musiker kennenlernte, gingen wir gerne abends etwas trinken. Das sind lustige Leute und ich dachte, das würde gut passen, wenn sie einmal spielen müssten, als wären sie betrunken – in einer Art holpriger Freiheit. Y. G.: In diesem Sinne ist dann wohl auch Ihr Zitat „Fehler sind eine andere Form von Freiheit“ zu verstehen, welches mir sehr gefallen hat. Und ich möchte diesbezüglich noch auf etwas anderes hinaus: Sie treten selber auch als Pianistin auf und wissen, dass man aus der Perspektive des ausführenden Musikers natürlich eine andere Sicht auf genau dieses Zitat hat, da man auf der Bühne möglichst keine Fehler machen möchte. Ich frage mich, ob es vielleicht auch da herrührt, dass Sie als Komponistin dann eine besondere Lust daran haben, Fehler kontrolliert zu konstruieren? Ich denke dabei an Ihr Trompetenstück Unstet, in dem 87



der Trompeter im Laufe des Stücks um einen Halbton nach unten absackt. B. B.: Das Stück hatte ich für einen Wettbewerb geschrieben. Meine erste Idee war: Der Trompeter spielt in einem Takt mindestens drei Noten falsch und dann muss die Jury bewerten, ob das jetzt richtig oder falsch sei. Mit dieser Idee des Wettbewerbes habe ich gespielt. Wenn die Intonation absackt, wird das normalerweise nicht so gerne gesehen, dabei ist es sehr schwer umzusetzen. Viele hören es nicht, nur manche bemerken, dass alles irgendwie am Schluss einen Halbton tiefer klingt. Aber der Trompeter konnte selbst entscheiden, ob er höher oder tiefer wird. Y. G.: Als der Pianist Glenn Gould einmal ein Stück eines zeitgenössischen Komponisten spielte, wollte dieser Komponist sich mit ihm auf einen Kaffee treffen, um über sein Stück zu reden. Gould antwortete, sie könnten sich gerne auf einen Kaffee treffen, aber ohne ein Wort über das Stück zu verlieren. Er wollte halt sein Ding machen. Wie sieht Ihre Arbeit mit den Musikern, die Ihre Werke spielen, aus? B. B.: Ich habe da kein Rezept. Es gibt Interpreten, mit denen ich sehr gut zusammenarbeite, mit anderen ist es nicht so einfach. Und es gibt Interpreten, die von vornherein alles ablehnen – die sagen es nicht, aber ich spüre es und das ist das Schlimmste für mich. Wenn man das Gefühl hat, sie wollen eigentlich nicht, aber sie müssen für ein Festival das Stück spielen. Bei einem Interpreten, der flexibel ist, mit dem man sprechen kann und der ehrlich sagt: „Da hab ich Schwierigkeiten, können wir nicht mal überlegen, wie wir das ändern können“, bin ich auch bereit, darauf einzugehen. Wenn er es nicht realisieren kann, nützt das nichts – wenn er über eine bestimmte Stelle rutscht und sich dadurch mitunter das ganze Stück verändert. Oder wenn er das Tempo runternehmen muss wegen dieser einen Stelle. Ich habe immer sehr extreme, oft

sehr schnelle Tempi, aber ich weiß, dass sie machbar sind; sie sind schwierig, aber machbar. Auf der CD folklich habe ich selbst mitgespielt, bei den Amoretten für vier Pianisten. Ich habe mir den schwierigsten Teil genommen und in meinem Originaltempo geübt, damit die anderen nichts zu meckern hatten. Eigentlich hatte ich aber bisher oft Glück mit Interpreten. Ein Orchesterapparat ist zuweilen sehr schwierig in der Zusammenarbeit, weil es ja nicht eine einzelne Person ist. Die sehen da eine junge Komponistin und manchmal habe ich das Gefühl, die denken: Okay, jetzt testen wir sie mal. Wenn das Orchester Probleme hat, dann reagiere ich natürlich. Oder wenn ein Kinderchor Schwierigkeiten bei der Umsetzung hat und sagt, wir können das einfach so nicht machen, dann reagiere ich auch darauf und schreibe es leichter. Am Schluss merke ich oft, die hätten es eigentlich doch machen können und vielleicht wäre es dann viel besser gewesen. Y. G.: Ich würde gerne mehr über Ihre Lehrer erfahren, von den Anfängen bis zu Ihrem Studium bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe. B. B.: Als Kind habe ich angefangen, Musik zu schreiben und bin zu David Graham (britscher Komponist und Musikpädagoge, der als Kompositionslehrer u. a. eine Kinderkompositionsklasse leitete; Anm.) gekommen. Der war toll. Ich habe nie eine Fuge geschrieben, mich nie mit Harmonielehre beschäftigt, aber ich habe einfach Musik geschrieben und er hat dafür gesorgt, dass es aufgeführt wird. So lernt man. Natürlich hat er auch gesagt, die Violine kann nicht so tief oder so hoch spielen, technische Sachen eben. Aber hauptsächlich ging es um schreiben und ausprobieren, was man mag. Später habe ich angefangen zu studieren. Ich hatte ein Stipendium von Nordrhein-Westfalen und bekam die Gelegenheit, meine Noten zu Wolfgang Rihm zu schicken. Zwei Tage später kam ein zweiseitiger Brief von ihm, handgeschrieben, über meine Musik. Das war einfach sympathisch und ich dachte, ich probier’s mal 89



bei ihm und habe die Aufnahmeprüfung gemacht, ohne ihn vorher kennengelernt zu haben. Y. G.: Und wie war der Unterricht bei ihm? B. B.: Eigentlich sehr offen. Wir hatten jeden Donnerstag unseren Gruppenunterricht. Und wenn wir Einzelunterricht wollten, haben wir ihn darum gebeten. Rihm hat einem viel Freiheit gelassen. Wir waren sehr selbstständig und wenn wir Hilfe brauchten, haben wir sie bekommen. Rihm komponiert selbst ja sehr, sehr viel und kennt einiges. Wenn man etwas schreibt, dann nimmt er zehn andere Komponisten aus dem Regal und sagt: Schau dir mal diese zehn Komponisten an, die haben eine ähnliche Idee gehabt. Y. G.: Damit Sie dann schauen können, wie diese Idee umgesetzt wurde? B. B.: Genau, so kannst du besser entscheiden, ob es wirklich das ist, was du möchtest, oder ob du in eine andere Richtung gehen willst. Ich ging in die erste Stunde bei Rihm und hatte ein Stück mit vielen Tonwiederholungen geschrieben. Er sagte: Birke, deinen Stücken nach zu urteilen, die ich von der Aufnahmeprüfung kenne, hätte ich was anderes erwartet, nicht so einen Totenkopf. Ich war sehr enttäuscht, ich hatte versucht, auf eine Art zu schreiben, die nicht mir entspricht, von der ich aber dachte, das würde sich so gehören. Ich wollte es einfach mal probieren, sehr viele Tonwiederholungen, sehr verkopft. Und dann sagte er: Schreib nicht so viele Tonwiederholungen. Ich darauf ganz frech: Ihre Stücke sind ja auch voller Tonwiederholungen. Und er antwortete: Bei mir ist das ja was anderes … Wenn du dir die Regel setzt, keine Tonwiederholungen mehr zu machen, lernst du mehr. Du lernst, dass Tonwiederholungen auch ein Ausruhen sein können. Es ist immer gut, sich Begrenzungen zu setzen, die einem ungünstig erscheinen. Zum Beispiel hat mich ein Stück sehr viel weitergebracht, das ich

für das Festival in Royaumont geschrieben habe, das Trinklied. Die Besetzung war vorgeschrieben, für Bariton und Schlagzeug. Zuerst habe ich gesagt, nein, dafür kann ich nicht schreiben. Aber dann hat mich das rhythmisch enorm weitergebracht, weil ich mich auf etwas anderes konzentriert habe, was sich dann in meinen folgenden Stücken widerspiegelte und nun eigentlich immer präsent ist. Y. G.: Entstehen bei Ihnen auch Stücke durch Improvisation? B. B.: Ja. Ich improvisiere selber sehr viel. Vielleicht schreibe ich nicht das auf, was ich improvisiere, aber es bleibt in meinem Unterbewusstsein. Ich spiele mit Gedanken, ich probiere die Gedanken aus und entwickle sie in Improvisationen weiter. Manches davon wird eine Konzeption und manches verschwindet ins Nichts. Y. G.: Sind Sie gut im Wegwerfen? B. B.: Ich schmeiße relativ viel weg, aber leicht fällt es mir nicht. Ich habe am Anfang eines Stücks unzählige Vorstellungen und Träume, die meistens zu viel sind für ein Stück. Also muss ich sie extrem reduzieren. Es ist immer ein Entscheiden für eine Idee. Das heißt ja nicht, dass die andere Idee schlecht ist, man hat sich einfach nur entschieden. Es kann sein, dass dieser „Abfall“ ein anderes Stück wird. Y. G.: Können Sie überall gut schreiben? Sie sind ja viel unterwegs. B. B.: Die Orte sind, glaube ich, nicht so entscheidend. Aber ein blauer Himmel ist inspirierend. Ich kann besser komponieren bei schönem Wetter, ja. Y. G.: Dann nehme ich an, Ihre Aufenthalte in Italien, zum Beispiel das Jahr in der Villa Massimo, waren fruchtbar? 91



B. B.: Jaja, ich war sehr produktiv. Ich habe dort zwei Opern beendet. Die Villa Massimo ist ein wunderbarer Ort – so schön, dass man eigentlich gar nicht rausgehen muss. Italien hat mich sehr beeinflusst. Auch meine Art zu leben, und das beeinflusst ja wiederum meine Kompositionen. Die Kulturszene in Italien hat allerdings ihre Tücken. Die meisten Komponisten gehen nach Paris oder Berlin. Das ist wirklich schade, weil es sehr gute Komponisten und sehr viele gute Musiker dort gibt. Viele italienische Kollegen, die ich kenne, sind sehr intelligent, arbeiten fein und virtuos. Aber es gibt auch die Fraktion, die ihren Verdi und Puccini jeden Tag hören will und bei denen Morricone äußerst präsent ist. Ein wirklich extremer Kontrast, finde ich. Y. G.: Als Liedbegleiterin interessiert mich besonders, wie Sie für die menschliche Stimme schreiben. In Ihrem Werkverzeichnis ist mir aufgefallen, dass Sie mit Vorliebe für tiefe Frauen- oder Männerstimmen schreiben. Mögen Sie die Tiefe? B. B.: Ich mag die tiefen Stimmen sehr gerne, das stimmt. Wahrscheinlich, weil ich selber so eine hohe Stimme habe. Momentan schreibe ich überhaupt sehr viel für Stimme, gerade ist ein Stück für Bilbao entstanden, für zwei Sänger, Chor und Kinderchor. Stimme ist etwas Wunderbares. Wenn man für die Oper schreibt, ist die Stimme natürlich das Unsicherste. Man weiß nicht, was für einen Sänger man bekommt. Y. G.: Das stimmt. Es sei denn, Sie machen es wie Mozart und haben Ihre bevorzugten Sänger, für die Sie dann schreiben. B. B.: Ja, aber eigentlich ist es immer so: Ich schreibe zum Beispiel für einen Bass, der eine wunderbare Höhe hat – und dann gibt es kaum mehr Bässe, die das können. Manchmal ist es auch gut, keinen Sänger zu haben und so zu schreiben, dass es viele singen könnten.

Y. G.: Bei einem Sänger kommt ja dann auch noch die Textebene hinzu. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Textvertonungen? B. B.: Das gestaltet sich manchmal sehr schwierig. Y. G.: In verschiedenen Sprachen verschieden schwierig, oder? B. B.: Natürlich, im Deutschen fühle ich mich sicherer. Aber auch die Distanz kann reizvoll sein. Jetzt habe ich Baskisch vertont. Ich kann kein Baskisch und habe mir sehr viel angeschaut, viel angehört, ich habe Freunde gefragt, die es mir vorgelesen haben, die mir gesagt haben, wie das funktioniert. Es ist eine ganz spezielle Grammatik. Ich finde es sehr spannend, Sprachen zu lernen, weil man sehr viel über seine eigene Sprache lernt. Und so ist es auch mit der Musik. Auch wenn man Stücke spielt, die einem nicht liegen, helfen sie einem für andere Stücke. Meine Oper Querelle für die Deutsche Oper habe ich zum Beispiel auf Französisch in Rom geschrieben. Das war wirklich eine Herausforderung. Y. G.: Weil Sie mit den Sprachen durcheinandergekommen sind? B. B.: Ja, ich habe in Rom angefangen, Italienisch zu lernen. Ich konnte eigentlich vorher Französisch, aber mit Italienisch habe ich mein Französisch wieder verlernt. Jetzt bin ich in Paris und spreche eigentlich mehr Italienisch … Y. G.: Waren Sie mal in Osttirol? B. B.: Ich war zwar oft in Tirol und Italien, weil ich da sehr viele Freunde habe, in Osttirol war ich leider noch nicht. Y. G.: Mir kommt es, wenn die Osttiroler in ihrem 93



Dialekt so richtig loslegen, fast exotischer als Japanisch vor. B. B.: Ich finde das schön, auch wenn ich es nicht verstehe. Es hat einen gewissen Reiz. So ist es auch in der Musik. Wenn ich einem Musiker sagen würde, sprich einen Takt Tirolerisch, einen Takt Sizilianisch, einen Takt Sardisch – das ginge nicht, weil man das einfach im Blut haben muss. Aber ich finde das partikulare Übernehmen einer anderen Sprache toll. Das hat Charme. Zum Beispiel beim Italienischen: Ich kann das R nicht rollen und ich spreche das T furchtbar. Aber manche sagen, bitte lass das so, wir mögen das. Weil es zeigt, dass ich keine Italienerin bin und es auch nicht zu sein brauche. Ich färbe sozusagen das Italienisch für mich. Y. G.: Auf der Werbetafel eines vietnamesischen Restaurants in Berlin habe ich kürzlich „Hertzlich Willkommen“ gelesen. Sie haben ein Stück mit dem Titel Hertzlich geschrieben. Woher kommt bei Ihnen das zusätzliche T? B. B.: Oh, das muss ich fotografieren … Bei Hertzlich kommt das Wort von Hertz. Es war ein Geburtstagsstück für Rihms 60er. Es gab 60 Schläge in der Mitte – Hertz-Schläge. Ich habe übrigens sehr viele Stücktitel mit -lich: Folklich, Sehnlich, das erste war Dringlich – ein Kammerorchesterstück, das ich für Metz geschrieben habe. Ja, das war „dringlich“. Weil ich versucht habe, etwas hinter der Musik zu finden; dass die Musiker den Charakter treffen. Und dringlich ist nach vorne pressen, etwas erreichen wollen. Y. G.: Wie gestaltet sich Ihre Titelfindung? B. B.: Manchmal sehr kompliziert. Besonders, wenn Auftraggeber den Titel vor dem Stück haben wollen. Aber dadurch legt man sich auch fest. Das kann auch gut sein, weil man sich konzentriert und sagt, okay,

jetzt bleibe ich bei der Idee. Wenn die Idee aber nicht funktioniert, ist es natürlich sehr frustrierend; trotzdem bleibe ich dabei. Manchmal versuche ich Titel zu finden, die widersprüchlich sind. Ich bin ja selbst auch widersprüchlich. Y. G.: Momentan leben Sie hauptsächlich in Paris und arbeiten am IRCAM, einem der führenden Forschungsinstitute für elektronische Musik. Was machen Sie dort genau? B. B.: Ich belege den sogenannten „Cursus“, ein 10 Monate dauerndes, praktisches Training für elektronische Musik. Ich wollte das lernen, jetzt kann ich immer noch entscheiden, ob ich es benutze oder nicht. Ich habe oft Probleme mit elektronischer Musik, wenn sie nur für sich bleibt. Aber es gibt ein paar Aspekte, die ich unbedingt weiterentwickeln will – zum Beispiel, was Stimmen anbelangt. Ich finde es toll, wenn eine Frau auf der Bühne sich verändert, wenn ihre Stimme älter wird oder wenn sie plötzlich auf der Bühne zum Mann wird. Simulationen von Instrumenten sind auch spannend. Ich habe ein Stück geschrieben für Oktobass – das ist ein Kontrabass, der noch eine Oktave tiefer klingt. Gibt es eigentlich nicht, ist aber möglich zu erzeugen, ein sehr schöner Klang. Momentan schreibe ich am IRCAM ein Stück für Fagott. Wenn der Fagottist die Füße bewegt, erzeugt er ein Signal und das Signal wird zum Fagott. Ich kann sogar die Partitur von den Musikern steuern, wenn sie die Noten vom iPad ablesen, und ich könnte live beeinflussen, was der Musiker gerade spielt. Wenn ich sehe, ein Musiker spielt nicht schnell genug, dann kriegt er eine entsprechende Anweisung von mir – das habe ich aber erst vor Kurzem herausgefunden. Y. G.: Das würde Glenn Gould gar nicht gefallen! B. B.: Okay, dann frage ich ihn besser nicht.

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Leben am (Wald-)Rand

Immer mehr Menschen zieht es in die Natur, in Siedlungen am Rand der Dörfer und Felder, die durch schnieke Architektur und biedere Gärtchen auffallen – warum eigentlich? Von Bernd Schuchter

Aus dem Augenwinkel nehme ich das Ortsschild wahr, Lans. Das Navi dirigiert mich durch die Engstelle am Dorfrand und empfiehlt mir, rechts abzubiegen, vorbei am Isserwirt, in dem der Dichter Georg Trakl ganze Abende vertrunken haben soll, ehe er spätnachts dem nahe liegenden Schloss Hohenhausen, wo er auf Empfehlen seines Mentors Ludwig von Ficker, des Herausgebers der Zeitschrift Der Brenner, eine Zeit lang wohnte, entgegenwankte. Nach ein paar Metern sehe ich linkerhand das Gasthaus Wilder Mann, dessen Stammtisch ich mir kurz vorzustellen versuche. Der Stammtisch als der Dorfbrunnen der Männer, wo sie – bei einem Bier sitzend, Karten spielend – über die Neuigkeiten des Tages, der Woche, des Monats sprechen. Auch streiten, Feindseligkeiten austauschen, weil sie sich über die Jahre im Dorf so gut kennengelernt haben. Kopfschütteln über die Politik in der Stadt, im Tal unten. Hier oben ist Innsbruck weit weg – aber stimmt das eigentlich? Sie sprechen über das Wetter, das Skifahren, den neuen Pächter einer Alm, das Wandern, den Berg, die geplante neue Bahn und die dazugehörige Trasse, vielleicht die kommende Ernte, die nächsten Feste im Dorf, die Musikkapelle und darüber, wie gelungen die Aufführung beim Muttertagskonzert war; zwischendurch werden die Männer ernst und bestellen mit stummer Geste noch eine Runde Bier, denn sie denken darüber nach, wer eben oder vor Kurzem gestorben ist, wie das Begräbnis war, wer in der Kirche gefehlt hat und was der Herr Pfarrer über den Toten für einen Unsinn fabuliert hat.

Die Krankheiten, die Zipperlein, das Wetter sind aber ohnehin die ergiebigsten Themen; Kopfschütteln, mitleidiges Nicken, dann unterbricht ein derber Scherz auf Kosten der jungen Kellnerin das gleichmäßige Murmeln im Raum, alle lachen, der Ernst zerstreut sich. Dabei, gibt es solche Stammtische überhaupt noch? Werden heute tatsächlich noch Wohl und Wehe des Dorfes am obligatorischen massiven Holztisch mit dem gusseisernen Aschenbecher samt Gravur entschieden? Daran kann man zweifeln. Heute gibt es wohl den klassischen Stammtisch – zumindest im Wilden Mann – nicht mehr. Heute herrscht in diesem traditionsreichen Gasthaus, das von vielen Touristen und noch mehr Innsbruckern besucht wird, die gehobene Gastronomie auf feinem Porzellan und auf Messingtellern vor. Die zwei, drei dorfbekannten Saufnasen an der Bar sind zu vernachlässigen. Ich folge der Römerstraße, die nach ein paar Häusern Land gewinnt, dem Weg zur olympischen Bob- und Rodelbahn, zum Olympiaexpress und weiter, wahlweise nach Patsch oder im Schwenk Richtung Innsbruck nach Igls. Aber so weit führt mein Weg nicht; kurz nach dem letzten Haus am Rand des Dorfes führt ein schmaler Hohlweg bergauf. Nach etwa dreißig Metern biege ich nach links ab, und nach ein paar weiteren Metern parkiere ich mit lautem Knirschen auf dem Kiesweg vor dem Haus von Alois Schöpf; wer könnte mir ausführlicher von seinem Dorf erzählen als der Schriftsteller, Essayist und Kolumnist, der wegen seinen oft heftig umstrittenen und vieldiskutierten Texten 97



Gegenwind durchaus gewohnt ist? Wie er den Föhn im Mittelgebirge gewohnt ist, der etwa auf einem Spaziergang vom Lanser See zur Vogelhütte besonders stark weht, so dass sich die Bäume bedrohlich biegen und oft sogar brechen. Ich klopfe an die Tür, aber niemand ist zu Hause. So mache ich kehrt und suche einen Weg zum Oberen Feld, wo in den letzten Jahren ein kleines Dorf im Dorf gebaut wurde. Ein lokaler Wohnbauträger hat hier ein zusammenhängendes Ensemble von mehreren ein- bis zweistöckigen Baukörpern, die angeblich in der Form eines Windrads angeordnet sind, erbaut – insgesamt 34 Wohnungen und neun Reihenhäuser. Auf den ersten Blick wirkt die Siedlung wie ein Fremdkörper im sonst so idyllischen Dorf; die graubraunen Fassaden, die gleichförmigen Fenster- und Balkonreihen, die schmalen, akkuraten Gärtchen, die sich in Schlauchform aneinanderreihen, die gepflasterten Wege und die Laternen; wer wohnt freiwillig in dieser ereignislosen Vorortidylle am Waldrand, denke ich mir. Neugierig schaue ich mich um, aber die meisten Wohnungen scheinen unbelebt, nur vereinzelt entdecke ich jemanden. In einem Garten spielen ein paar Kinder auf einer Plastikrutsche, verhaltenes Geschrei ist zu hören, sonst nichts. Es ist Sonntag, eigentlich müsste hier an solchen Tagen mehr Leben herrschen, doch ich finde keine Spur davon. Rasch verlasse ich die Anlage und gehe über die Felder, die sich oberhalb bis zum Waldrand erstrecken. Ganz in der Nähe beginnt die Forststraße, die sich im Wald in den weitverzweigten Wanderwegen des Patscherkofel verliert; von hier gelangt man zur Sistranser Alm oder zum nahe liegenden Gasthaus Heiligwasser. Ich spaziere zum Waldrand; es ist ein sonniger, sehr warmer Frühlingstag und mir begegnen viele Wanderer, Familien mit Kindern oder ältere Ehepaare, mehrmals

werde ich von Gruppen von Mountainbikern überholt, die rasch an mir vorbeiziehen. Manche schummeln, man hört das leise Surren des E-Motors. Gleich beim Waldrand setze ich mich bei einem Brunnen auf eine Bank; still ist es hier, man hört einige Vögel und das Flirren der Insekten. Aber die Idylle währt meist nur wenige Minuten, hier herrscht Betrieb. Ständig kommen weitere Wanderer, Gruppen von Bikern, manche joggen gar den Berg hinauf. Da sind sie also, die neuen Dorfbewohner vom Oberen Feld, denke ich mir, im Wald, auf dem Berg. Sie sitzen nicht in ihren penibel gepflegten Gärtchen und machen auch keinen Ausflug in die nahe liegende Stadt. Weder mähen sie ihre kleinen Rasenflächen und sehr wahrscheinlich nippen sie auch nicht hinter verschlossenen Vorhängen in einem karg eingerichteten Zimmer an ihrem Zichorien-Kaffee, der als Ersatz herhalten muss, da sie sich den Kredit für ihre schmucken Eigentumswohnungen eigentlich nicht leisten können. Die Immobilienpreise in Innsbruck und Umgebung sind sehr hoch, ich kann mir vorstellen, dass man selbst für eine Wohnung im Oberen Feld bis zu einer halben Million Euro ausgeben muss. Das muss man erst einmal verdienen. Und dann lebt man für den Rest seines Lebens in einer Wohnung am Wald- und Dorfrand, einer künstlichen Oase mit Gärtchen und Zäunchen, die am Reißbrett entstanden sind, Tür an Tür mit irgendwelchen Leuten. Ein fauler Kompromiss im Streben nach dem Traum vom abgelegenen Häuschen im Grünen samt Gemüsegärtchen und eigenem Komposthaufen. Weit und breit kein Baum, den sich ein Specht für sein Loch aussuchen würde; das braucht noch ein paar Jahre, ehe die Begrünung wie natürlich gewachsen aussieht. Stattdessen leises Motorengeräusch, das durch den Luftschacht der Tiefgarage dringt. Auch die wurde ins weite Feld getrieben. Dafür können die Kinder auf den autofreien, gepflasterten 99



Wegen und in den kleinen Gärtchen ohne Gefahr laufen und spielen. Im Mittelgebirge und in den Innsbrucker Vororten entstehen solche Siedlungen in den letzten Jahren mit beharrlicher Regelmäßigkeit, etwa die Wohnanlage Anna-Dengel-Straße in Kranebitten ganz im Westen von Innsbruck nahe der neugestalteten und mit einem ausladenden Spielplatz bebauten Wiese oberhalb des Campingplatzes, die früher einfach nur eine Wiese war, wo im Sommer gegrillt wurde. Auch hier – akkurate Terrassen und Grünflächen, gleichförmige Wege, Wohnkörper in Würfelbauweise, Passivhausstandard, schlicht und praktikabel – spiegelt sich in den durchaus sinnvollen und wahrscheinlich mehrfach ausgezeichneten Architektenbauten eine gewisse Spießigkeit, die Melancholie ausstrahlt, die schließlich auf die Bewohner übergehen muss. Daher sieht man auch hier, abgesehen von den obligatorischen Mamis und ihren Kindern, die winzige Plastikrutschen in den ebenfalls winzigen Gärtchen hinunterrutschen, kaum jemanden auf den Zehn-Quadratmeter-Terrassen sitzen oder hinter den Vorhängen oder den großen Fenstern in der Küche stehen. Sie alle flüchten vor der faden Tristesse dieser Nutzsiedlungen und laufen auf den Berg oder – wie in Kranebitten – in die Klamm, und weiter hinab ins Tal zum Inn und da entlang des Flusses bis nach Innsbruck. Vielleicht siedeln sich hier aber auch die sogenannten planespotter an, für die Innsbruck mittlerweile berühmt ist, also Flugzeugliebhaber, die den Maschinen beim Starten und Landen zuschauen wollen und ganze Serien von Fotos schießen. Man kennt solche leidenschaftlichen Vorlieben auch von anderen Hobbys, etwa bei den Sammlern von Kaffeerahmdeckeli in der Schweiz oder den Zugstreckenaficionados, die berühmte Zugstrecken wie jene des Bernina-

oder des Glacier-Express (übrigens ebenfalls beide in der Schweiz) befahren. Innsbruck ist für die planespotter aus aller Welt ja deshalb eine Besonderheit, weil die Flugzeuge so knapp die Stadt überfliegen und so nah am Boden landen, kaum dreißig Meter über den Köpfen der oft staunenden Fußgänger und Radler, die von Kranebitten den Inn entlang in die Stadt unterwegs sind. Die Bewohner der beschriebenen schmucken Siedlung im Westen von Innsbruck haben diesen freien Blick (und den dazugehörigen Lärm) gefühlt alle fünf Minuten, da der Flughafen Innsbruck vielfach frequentiert ist. Und auch hier, wie in Lans, keine Bäume. Warum also entschließen sich Leute, für viel Geld in diesen einförmigen, austauschbaren Nutzbauten zu wohnen und dafür ein Leben lang zu arbeiten? Dabei ist die Frage der richtigen sozialen Durchmischung von neuen Siedlungen durchaus interessant. Wie kann ich erwarten, dass ich mich in meiner Wohnung, in der ich – meist gezwungen durch die Höhe des Kredits – für den Rest oder den Großteil meines Lebens wohnen werde, wohlfühle oder angenehme, freundliche Nachbarn habe? Natürlich kann ich eine Eigentumswohnung auch verkaufen, was aber vor der Zeit mit Verlusten verbunden ist. Was also, wenn ich mit dem älteren Ehepaar nebenan oder dem eigenbrötlerischen Herrn Müller aus dem ersten Stock nicht auskomme, es immer wieder zu Streitigkeiten um die Mittagsruhe kommt oder zu Beschwerden, dass die Kinder zu laut sind? Nun, Kinder sind laut, und wo Menschen wohnen, wird es immer Geräusche geben, laute, leise, tagsüber, aber auch in der Nacht. Den Menschen in der Stadt ist das ganz selbstverständlich, eng an eng leben sie und genießen gleichzeitig ihre Anonymität. Auch da gibt es Streitigkeiten, in den vielen Stadtwohnungen etwa kann man sich aber sagen, dass man die gleichen Rechte wie die Nachbarn hat, und dass einem die 101



Wohnung nicht gehört, man eben nur Mieter ist (auch wenn so mancher Bewohner nach dreißig oder mehr Jahren das Gefühl hat, dass ihm seine Wohnung mehr oder weniger gehört; die Diskussionen um Mieterbeteiligungen bei geplanten Umbauarbeiten gemeinnütziger Bauträger sind dabei Legion; da es ja um die Ängste der Mieter geht, sind diese politischen Prozesse heikel bis ausweglos, ehe dann meist doch noch Lösungen gefunden werden. Gerade Neubauten sind – was die Zusammensetzung der Siedlung, die soziale Durchmischung betrifft – ein spannendes Experimentierfeld. Wie hoch soll der Ausländer- oder Inländeranteil sein, wie viele Akademiker kann man dazu motivieren, im Block gemeinsam mit Arbeitern und Angestellten zu leben, wie schaut die Aufteilung nach Zwei-, Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnungen aus, gibt es Gemeinschaftsräume, Freiflächen, Spielplätze; wie ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und besonders wichtig: Wie viele Autoabstellplätze sind pro Wohnung möglich oder gesetzlich vorgeschrieben? Komplett neu mit Bewohnern befüllte Bauten in Innsbruck wie der Sillblock im Saggen oder das ein paar Jahre vorher neu besiedelte Areal des O-Dorf 3 sind interessante Forschungsobjekte für die Sozialwissenschaften. Im bestmöglichen Fall sieht man nach ein paar Jahren die Fortschritte, das Entstehen einer Mieter-, Käufer- oder schlicht Hausgemeinschaft, befeuert durch den Elan der ersten paar Monate, in denen manche die Initiative ergreifen und Hausfeste zu Halloween oder in den Sommermonaten organisieren. Nach einiger Zeit trennt sich aber das junge Pärchen vom Eckhaus, der Mann der älteren Dame im Parterre verstirbt und der alleinstehende Mieter im zweiten Stock regt sich mitunter maßlos über das kläffende Hündchen aus der Wohnung darüber auf und droht mit Klage. So ändern sich die Dinge, Mieter ziehen aus,

im Streit und ohne, andere ziehen ein. Ein Wohnblock voller Mieter ist ein Kosmos im Wandel, ein Kommen und Gehen, ohne viel Rücksichten oder Verpflichtungen. Wenn man aber sein ganzes Erspartes und dazu noch seine Hoffnungen für sein restliches Leben in ein nobles, ein wenig spießiges Eigenheim am Rand der Stadt investiert, und sei es noch so idyllisch am Waldrand gelegen, dann begibt man sich auf unsicheres Terrain, in stürmische Gewässer – und was es da an passenden wie unpassenden Vergleichen aus dem Reich der Natur noch mehr gibt. Eben wandert eine Gruppe deutscher Touristen an meiner Bank vorbei, überholt von finster dreinblickenden Bikern in Montur; man glaubt ihnen, wenn man sie so sieht – mit Helm und Brust-, Arm- und Beinpanzer –, dass sie bereit sind, eine Stunde später mit Todesmut den Berg hinabzustürzen, um den Thrill des Downhill-Biking zu erleben, das Adrenalin, die Spannung, die Ungewissheit. Ich gehe rasch in die andere Richtung, in den Wald. Mich empfängt Stille und der matte Moosboden, der für den Patscherkofel typisch ist. Diese Ruhe, nur Insekten summen. Ich steige über umgefallene Bäume und beobachte das Sonnenlicht, das an manchen Stellen durch die Äste bricht. Nach ein paar Metern bin ich ganz bei mir. Ich setze mich auf einen Baumstumpf und rauche eine Zigarette. Das also suchen die Städter und die Landbewohner, denke ich mir und korrigiere mich: Das sollten sie suchen, aber auf den Wegen da draußen werden sie es nicht finden. Naturnah, denke ich mir, sind diese künstlichen Siedlungen am Rande der Stadt und der Dörfer, ohne jedoch mit der Natur viel zu tun zu haben. Mit schlechtem Gewissen drücke ich die Zigarette im grünen Moos aus, ansonsten wird keine Spur von mir bleiben. 103



Als ich auf den Feldweg Richtung Dorf trete, kommt mir eine Gruppe von Einheimischen entgegen; vielleicht zehn Männer – Burschen, Bürschchen, Männer und Großväter, auch zwei Kinder –, langsam schlendernd, lachend oder angeregt sich unterhaltend. Man sieht gleich, sie sind alle vom Dorf. Ihr praktischer Bürstenschnitt und die rot leuchtenden Wangen verraten die Bauern, die heute ausnahmsweise über die Wege spazieren; es ist Sonntag und vermutlich haben ihre Frauen sie aus dem Haus gejagt, damit sie in Ruhe Kaffee und Kuchen vorbereiten können, um in Ruhe Neuigkeiten auszutauschen, auch Schlüpfriges bis Skandalöses, ohne dass ihre Männer ihnen zuhören. Vielleicht reden sie auch über die neuen Dorfbewohner, die in die Blöcke im Oberen Feld gezogen sind, vielleicht aber auch nicht. Ich nicke allen kurz zu und murmle einen Gruß; sie lassen sich in ihrer guten Laune nicht stören. Nur Minuten später spüre ich den Kies unter meinen Füßen und nach ein paar Metern treffe ich den Schriftsteller Alois Schöpf in seinem Garten. Er bietet mir einen Kaffee an und ich rauche eine Zigarette im Stehen, bis er mit zwei dampfenden Tassen wiederkommt. Jetzt kann ich ihn aufs Obere Feld ansprechen und fragen, ob er nicht findet, dass die Zugezogenen nicht eigentlich ins Dorfbild passen würden. Ich fühle mich seit meinem Ausflug fast schon als Dörfler und wäre spontan bereit, über die Bausünden der Bauträger und die Ignoranz der neuen Einwohner zu schimpfen. Wir seien nicht am Stammtisch, unterbricht er mich, ehe er hinzufügt, dass es das klassische Dorf mit seinem Gasthaus und Stammtisch samt gusseisernem Aschenbecher ja ohnehin nicht mehr gebe. Und natürlich kenne er die Leute vom Oberen Feld, sagt er. Alles nette Leute, jung die meisten, strebsam, still. Und alles Einheimische, Leute aus dem Mittelgebirge, aus Sistrans, Aldrans

oder Rinn; Leute, die es sich nicht leisten können, ein eigenes Haus zu bauen, die aber dennoch in der Gegend bleiben wollen, auch bei Föhnsturm. Quasi indigene Bevölkerung, lacht er und nippt an seiner Tasse. Keine Neureichen aus der Stadt, frage ich, keine Arzttochter, kein Anwaltssohn? Er schüttelt den Kopf. Und wer kann sich das leisten? Er zuckt mit den Schultern. Die Tasse in der Hand, erklärt er mir, dass es im Prinzip neben der Stadt nur das Dorf gebe, das Dorf aber am Verschwinden sei, und es sei schwer zu sagen, wer Stadtmensch, wer Landmensch sei heutzutage, er selbst fühle sich eher als Stadtmensch, obwohl er eigentlich ein gebürtiger Dorfmensch sei. Im Übrigen sei Lans ohnehin eine Art Stadtteil von Innsbruck, da gebe es kaum mehr Unterschiede. Die einen leben hier und bleiben hier, die anderen leben in der Stadt und am Land und könnten beim besten Willen keinen Unterschied erkennen, pendeln zur Arbeit und verbringen die Wochenenden am Waldrand. Und der Stammtisch?, frage ich. Verschwunden. Und die schmalen Gärtchen und die akkurat gepflasterten Wege, die Straßenlaternen? Erträglich. Aus der Ferne die aufgeregten Rufe der Kinder, ich stelle mir die klägliche Plastikrutsche vor. In einem Moment der Stille vernimmt man wahrscheinlich ein leises Surren aus dem Luftschacht der Tiefgarage. Ich kann es aber gerade nicht hören.

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Die Enttarnung einer Suggestion

Barbara Pflanzner zu Franz Riedls Architekturerweiterungen

Die Untersuchung und Neuordnung von Architektur in Relation zu den Grenzen und Begrenzungen im Raum sowie das Weiterdenken von Regelwerken, die den öffentlichen Raum bestimmen, sind grundlegende Aspekte in Franz Riedls Arbeiten. Für die vorliegende Ausgabe von Quart. Heft für Kultur Tirol hat Riedl eine Auswahl von Arbeiten aus seiner Serie Architekturerweiterungen (2012–) getroffen, die speziell einen Bezug zu Tirol aufweisen. Die Motive der Inkjetprints zeigen Banken, Finanzämter oder Versicherungen, etwa die RLB Landesbank und die BTV Mitterweg in Innsbruck oder das Finanzamt in Lienz. Es handelt sich also um Gebäude, die der Finanzwirtschaft dienen oder sich in ihrem Besitz befunden haben. Riedls Kunstgriff liegt darin, dass er die Proportion und die Rhythmik der jeweiligen Architektur, die sich zumeist durch die Anordnung der Fenster oder der Gebäudekanten ergibt, mit Tusche zeichnerisch fortführt. In der meist nüchternen Gestaltung der Finanzgebäude und der scheinbar unendlichen Repetition architek-

tonischer Details ortet Riedl eine gewisse Systematik, „es sind Gebäude, die vermeintlich nicht enden“. Ihre Architektur scheint widerzuspiegeln, was den Kunden weisgemacht werden soll: das kontinuierliche, unaufhörliche Wachstum des Kapitals. Bei einigen Arbeiten formt Riedl die Kontur der Bauten in die Silhouette eines Berges um – ein ironischer Verweis auf steigende und fallende Aktienkurse; bei anderen führt er die Rhythmik der Bauten pragmatisch fort oder integriert absichtlich Irritationen. Indem die Zentralperspektive zugunsten mehrerer Fluchtpunkte aufgelöst, Sichtachsen in sich verdreht und die Logik der jeweiligen Architekturen durch Repetition dekonstruiert wird, spielt Franz Riedl geschickt mit unserer konventionellen Bildwahrnehmung. Gleichzeitig macht er deutlich, wie sehr Architektur mitunter den sie umgebenden Raum beherrscht, und enttarnt vor allem die Suggestion eines permanenten kapitalistischen Wachstums als oberste finanzmarktwirtschaftliche Zielsetzung.

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Organische Texturen

In seiner 38-teiligen Serie für Quart Nr. 29 transformiert der Künstler Benjamin Zanon die Texte der rechten Seite in Zeichnungen auf der linken Layouthälfte. Für diese Spiegelungen kombiniert er eine akribische Zeichenanalyse mit intuitiver Geste zu einer eigenständigen Handschrift. Von Sabine Dreher

Seine filigranen Zeichnungen, die sich offensichtlich aus tausenden grafischen Elementen zusammensetzen, erwecken unmittelbar Assoziationen mit dynamischen Gebilden wie Strömungen, Sandhosen, Insektenschwärmen oder fallweise auch mit geordneten Strukturen wie Stadtplänen, ohne dass sich jedoch der Code, in dem sie verfasst sind, entschlüsseln ließe. Erst die Indexlegende liefert den Hinweis, dass die flatternden Zeichen einer festgeschriebenen Logik folgen. Zunächst wird jede ausgewählte Textseite mittels eines Computerprogramms in ihre kleinsten Bestandteile, die Glyphen, zerlegt und dann die Häufigkeit ihres Auftretens als Statistik ausgewiesen. Aus der in die drei Kategorien Kleinbuchstaben, Großbuchstaben und Satzzeichen geteilten Zeichenmenge wird ermittelt, wie viele Zeichen einer bestimmten Art pro Seite vorkommen. Daraus ergibt sich eine Aufstellung des Zeicheninventars in Form von 135 × a, 117 × B, 4 × ? usw. Jeder auf diese Weise identifizierten Glyphe ordnet Benjamin Zanon nun handschriftlich ein neues Zeichen zu. Dabei entwickelt er jeweils für die erste Seite eines Textes ein neues Alphabet, wobei die Zeichenreihe auf jeder folgenden Seite leicht variiert wird. Dadurch ähneln sich die Seiten, obwohl die Parameter laufend ausgetauscht werden. Auch wenn Zanon akribisch darauf achtet, dass die Zeichen immer der gültigen Legende entsprechen, kommt es bei hundertfachen Wiederholungen vor, dass sich deren Gestalt durch die Dynamik der Handschrift sukzessive verändert, so dass das letzte dem ersten nicht immer gleicht. Leerzeichen

werden in allen Alphabeten mit einem Punkt übersetzt, wodurch es zum Füllzeichen wird. Nebst der mathematischen Präzision bei der Übertragung leitet sich die Gestaltung je nach Intention und Tagesverfassung aus unterschiedlichen willkürlichen Faktoren ab. Während etwa das Alphabet für das Brenner-Gespräch mittels abstrakter Zeichen die im Interview beschriebene Ästhetik wiederzugeben versucht, beziehen sich die wesentlich konkreter gestalteten Elemente auf inhaltliche und strukturelle Aspekte (so gibt es etwa beim Text von Bernd Schuchter Referenzen zu Land, Vorort oder Stadt etc.) Der Bezug zum Inhalt und zu einzelnen Textstellen ist zwar ein zusätzliches Feature, aber maßgeblich wird das Ergebnis von der Anzahl bestimmter Buchstaben im Ausgangstext beeinflusst, deren Häufigkeit vorhersehbar ist. Mit seinem Gespür für die Auswirkungen der Erscheinungsformen auf die Gesamtkomposition benutzt der Künstler das Zeichensystem als eine Art Textfilter, wodurch er jene Übersicht erlangt, die es ihm ermöglicht, das System auszuhebeln und Kontrolle über das Resultat zu gewinnen. Wenn er beispielsweise die Übetragung mit den häufig vorkommenden Buchstaben „a“ oder „e“ beginnt, entstehen schwarmähnliche Bilder, während sind ganz andere Anmutungen entwickeln, wenn er mit selten auftretenden „y“, „c“ oder mit Großbuchstaben startet. Auch wenn am Anfang des Prozesses eine gewisse Vorstellung steht, ist das Ergebnis am Ende doch stets überraschend. Dabei bewegen sich Zanons Arbeiten zwischen zwei extremen Polen: der Schrift als komplexer Kultur115



technik auf der einen Seite und dem einzeln gesetzten Zeichen als funktionales Element auf der anderen. Die Tatsache, „dass Menschen, die über den Schlüssel verfügen, ein Buch in die Hand nehmen und lesend in die Fantasie des Verfassers eintauchen, oder ein Stück Musik anhand einer Partitur in ihrem Kopf abspielen können“, steht für ihn im Kontrast zu jener gezielten Aneinanderreihung von Zeichen, wie wir sie von systematischen Ascii Bildern kennen, die vor der Verfügbarkeit von Piktogrammen und Emojis gerne als E-Mail-Absender verwendet wurden und sich im Zuge ihrer Verbreitung zu einer eigenen marginalen Kunstgattung entwickelt haben. Ohne jemals in eines dieser Extreme zu kippen, bleiben Zanons akribisch mit einem feinen Tuschestift notierten Kritzeleien stets ambivalent. Erst in der Verortung innerhalb einer Menge generieren sie einen Zusammenhang, wenn auch keinen eindeutigen. Denn die entstehenden Formationen wirken flüchtig, als wären sie in Bewegung oder Auflösung begriffen. Nicht die gesetzten Zeichen, sondern vielmehr die Zwischenräume generieren den Kontext, der je nachdem einmal fluide, einmal statisch, aber in jedem Fall durchlässig scheint. Ein System aufzubrechen, um ein neues zu schaffen, ist nicht zwangsläufig originell und zieht sich gewissermaßen in endlosem Regress durch die gesamte Moderne. Was an Zanons Umschreibungen so besticht, ist, dass er von allen kausalen Regeln abweicht und dennoch modellhafte Repräsentation hervorbringt, die an Grafiken, Schemen und Karten erinnern, wie man sie aus der Wissenschaft kennt. Diese Form der Emergenz, wonach „das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist“ (Aristoteles), gilt auch als kennzeichnend für die kollektive Intelligenz eines Schwarms, woran einige der Zeichnungen erinnern. Bei diesem Phänomen werden in einem System durch das Zusammenspiel seiner Elemente neue Eigenschaften herausgebildet, ohne dass sich diese Eigenschaften

offensichtlich auf die einzelnen Elemente zurückführen lassen. Befehle wie „Bewege dich weg, wenn dir jemand zu nahe kommt“ oder „Bewege dich in etwa in dieselbe Richtung wie deine Nachbarn“ könnten auch die Hand des Künstlers führen, wenn er Zeichen um Zeichen auf das leere Blatt setzt und dabei intuitiv eine Ordnung festlegt. Visuelle Anklänge an grafische Notationen der experimentellen Musik sind naheliegend. Lässt man sich auf eine erweiterte Betrachtung der Grafiken als Visualisierung von Klang ein, lassen synästhetische Assoziationen unmittelbar Hörerlebnisse im Kopf entstehen. Weit davon entfernt, reine Illustration zu sein, liefert etwa die fünfseitige Serie des Brenner-Gesprächs mit der Komponistin Birke J. Bertelsmeier eine völlig neue Facette dessen, was sie über ihren Zugang zur Musik vermittelt. Schleifen zwischen Bild und Musik sind im Werk von Benjamin Zanon seit Längerem angelegt. Zur Aufführung des mit dem Komponisten Daniel Moser entstandenen Stücks „Arbitrarium“ heißt es im Jahr 2015: „Das Ende des Klanges ist der Beginn der Stille, ist der Beginn eines neuen Pinselstriches, ist die Umfriedung einer anderen Gestalt, ist ein Ende, ist ein Beginn, ist eine Geste, ist eine Erschütterung. Eine Falte, ein Knick im Gewebe der Wirklichkeit. Eine Ruptur, deren verzweigte Folgen wir hier, an unserem Ende der Wirklichkeit, nicht abschätzen können.“ Innerhalb des Œuvres des 1981 in Lienz / Osttirol geborenen Künstlers nehmen die Zeichnungen für Quart dennoch eine Sonderposition ein. Anders als seine skulpturalen und grafischen Werke, sind die eigentlichen Arbeiten nicht die Zeichnungen, die im Atelier entstehen, sondern deren Publikation im gedruckten Magazin. In diesem Kontext entfalten sie ihre Offenheit und künstlerische Kraft.

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Fließtext*

Von Esther Kinsky

Nachts über den höfen die flachen rufe der vögel im zug – schwärme zwischen wild- und zahmflug, randsiedler mit flüchtigen botschaften an amseln finken krähen – dieser laut, der immer erinnert, immer ein weißnichtwas, immer ein zerren an diesem und jenem im vielleicht-herz über die jahre, ein grübeln nach diesem ersten hören dem wieder- und wider-erinnerten, das sich nicht mehr auffinden lässt, begraben unter, verwachsen mit den jahresdecken beginnender frühlinge halbfrühlinge und ihrem lauschen auf diesen laut, der wachhält bis in den morgen grauend zum halbfrühlingstag berlinsüdost – das unentschlossene licht, das mal hierhin kippt – niesel – mal dahin – brise – am straßenrand sammelt sich unterdessen der abfall unentschlossener nächte, abgelegtes, abgestreiftes, womöglich voll von sauer gewordenen tränen deren salziger rückstand jetzt hier in winzigen schuppen die gossenkante des gehsteigs beflockt – nachlass der unstetigkeit der welt angebotenes willnichtmehr aus händen gegeben, die sich jetzt der gegend entzogen haben – stolpergut für spätheimkehrer und fundgrube für witterungsaufnahmen der hunde, die sich als streuner *

— Text, der in einem Stück und ohne Unterbrechungen durch Absätze, Überschriften, Abbildungen, Fußnoten u. Ä. gesetzt wird. — Aufforderung, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und dabei nicht zurückzuschauen; freihändig draufloszulegen, ohne zu korrigieren; die Buchstaben zu Papier zu bringen und bedenkenlos aus der Hand zu geben.

geben, während ihnen halbschlaftrunkene ausführer hinterher- oder vorausfluchen, doch keinem pfiff mehr wollen sie folgen, die trübäugigen hunde, nur den düften nachschnüffeln, die unbekannt hinterlassen hat, unterdessen die krähen, krähen in allen bäumen, wie üblich willige zeugen jeglicher hinterlassenschaft und in gewisser entfernung die vom krähenrevier verbannten tauben auf dachrändern, in rinnen gekrallt nach fluglücken spähend um in gossen hinabzustoßen, ihr dumpfes gurren fällt flach unter den krähenrufen und später werden sich elstern zeigen. Der chinese am jenseitsende des hinterhofs lehnt sich schon hemdlos aus dem fenster in den märztag, zweiter stock, der himmel spiegelt sich wie schmutzige watte in der scheibe, der chinese raucht und hält sein telefon wie einen kompass in den morgen hinaus, weder der amseln achtend noch der buchfinken unter seinem fenster, was wird er bringen der tag, was wird er nehmen, was soll ihm prophet sein, während sich kohlmeisen in der hecke unerschrocken stellen und das kind des chinesen in der tiefe des raumes am anderen ende des hinterhofs jenseits der meisenbesiedelten hecke schreit. Ein zufallsblick im blassen tageslicht auf john constable wolken in digitaler schraffur über verdunkeltem land, alles textur, unerwartete enthüllung der unzähligkeit der schichten, farbaufträge wie erinnerungen am immer wieder aufgesuchten ort in der vergangenheit, so muss man sich die erinnerung vorstellen: wie diese grenze von wolken himmel land auf einem gemälde 119



von john constable – alles lebt vom himmel auf den bildern, da ist die schwerkraft, die die erde hält und jedes ding und jeder schatten ist dem himmel untertan. Später ein weißes gleichmäßiges gewölk über hof und straße, helle bleiche eckstücke zwischen den dächern, ein weiß, das sich verdichtend in die höhe bewegt und den regen zurückgezogen hat, bis fast hochnebellicht herrscht und sich über die leiernde stimme der frau im hocksitz breitet, an der straßenecke hat sie ihren platz, das ist der ort ihres tagwerks und sie hat das bettellied immer schon auf den lippen, als lose zugabe ist es ihr da gewachsen und sie wird es nicht los – jetzt sitzt sie am boden, als wär es nicht halber winter, und hält einen becher hin, schütteres scheppern von kupfer, hier bettelfrau, geb ich dir was für dein kurzes lied vom jammertal zwischen zwei groschen – not ist das gebot unter den wachsamen drosseln, die im lindenbaum wippen, gefährten von dazumal. Am nachmittag weiß das licht nicht wohin mit sich, soll es zum dunklen, soll es zum hellen, im langsamen vorbeiradeln sehe ich auf einer baumscheibe gneisenaustraße ein totes eichhörnchen auf einer baumscheibe liegen zwischen dem ersten sprießenden krautgrün, ein rotes eichhörnchen – ein eichkatzerl, ein eichkatzerl! riefen vor jahren mal kinder an einem fenster mit blick auf den park in wien und die frage stellte sich mir fremder, was daran katzerlhaft war – solch ein eichkatzerlhörnchen liegt hier nun entlebt, flach wie ein bild auf der dunklen baumscheibenerde, der buschige schweif

schon stumpf und die seite von einem großen grauen fleck gezeichnet, ein unförmiges mal dieses grau, ist es räude ist es ansteckung am grau der überhandnehmenden eindringlinge, der einmarschierten revierübernehmer, die mit ratten im bund sein sollen, den stets übelgesprochenen ratten? Spät erscheint die sonne zwischen wolken, hinter wolken, die s-bahn seufzt und stöhnt zur abfahrt um den friedhof, der kleiber pfeift unterdessen in den kahlen kastanien und der trauerschnäpper kirrt fragend und kann nicht aufhören, denn es kommt keine antwort, ein pastor trägt die letzte urne dieses tages zum seufzklang der s-bahn und zu tschirrendem buchfinkenruf, ihm folgt eine kindsgroße frau im frommen tuch und hinter ihr zwei barnabashafte gesellen im gleichschritt und gleichgrober tracht, als hätte die kleine trauernde sie aus einer anderen geschichte gepflückt und sie zu ihren spätnachmittäglichen trauergehilfen ernannt, womöglich gegen ein entgelt, berliner klageburschen, die sich schwertun mit dem gemessenen schritt. Auf den umschnüffelten und vom tag besudelten hinterlassenschaften lässt sich zum abend, kühl, früher dämmer in berlin südost, ein fremder nieder, nem szólt senki, sagt er immer immer wieder, nem szólt senki, wie groß ist seine fremde, wie schwer dieses nichtssagen von niemand, fremder, ember, ungarisch: mensch, embers, englisch: erlöschende glut.

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Besetzung

Sabine Dreher, Dornbirn Wien: Studierte Slawistik und Kommunikationswissenschaften in Wien, bevor und während sie zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland organisierte. Im Jahr 2000 gründete sie gemeinsam mit Christian Muhr den Think- und Do-Tank Liquid Frontiers. Seit 2004 ist Sabine Dreher Lehrbeauftragte an der Universität für angewandte Kunst in Wien. www.liquidfrontiers.com Theresa Eipeldauer, Wien Wien: Studium Grafik und druckgrafische Techniken, Akademie der bildenden Künste, Wien (2006–12). Ausstellungen: Galerie Krobath / Wien (2017); Petra Rinck Galerie / Düsseldorf (2017); Le pain complet, le peintre complet / Palermo Galerie, Stuttgart (2016); Klockerstiftung Förderpreis / Kunstpavillion, Innsbruck (2015); Robotermärchen (solo) / blaugelbe, Zwettl (2015); LE CERCLE ROUGE / Kargl Permanent, Wien Hans Magnus Enzensberger, Kaufbeuren/Allgäu MünchenSchwabing: Poet, Essayist, Publizist. Für sein literarisches Werk erhielt er die wichtigsten Literaturpreise (u. a. Büchner-Preis, Heinrich-Böll-Preis, Ernst-Robert-Curtius-Preis). Thomas Feuerstein, Innsbruck Wien: Konzeptkünstler und Medienkünstler, Kunsttheoretiker und Autor. Studium der Kunstgeschichte und Philosophie, Herausgabe (gem. mit Klaus Strickner) der Zeitschrift Medien.Kunst.Passagen. Gründung des Büros für intermedialen Kommunikationstransfer und des Kunstvereins medien.kunst.tirol. Lehraufträge und Gastprofessuren u. a. an der Universität für angewandte Kunst Wien, der F+F Schule für Kunst und Mediendesign Zürich. Einzelausstellungen 2016: „Star Jelly“, 401contemporary, Berlin; „Psychoprosa“, Chronus Art Center, Shanghai; „The World“, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Wien. Andreas Fogarasi, Wien Wien: 2016 erhielt er den Otto Mauer Preis, 2007 den Goldenen Löwen der 52. Biennale von Venedig. Seine Werke wurden international in zahlreichen Ausstellungen präsentiert, Einzelausstellungen u.a.: Galéria Mesta Bratislava (2017); Georg Kargl Fine Arts, Wien (2017); Proyectos Monclova, Mexico City (2016); MAK Center, Los Angeles (mit Oscar Tuazon, 2014); Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig (2014); Museum Haus Konstruktiv, Zürich (2014); Galeria Vermelho, Sao Paulo (2014); Prefix Institute of Contemporary Art, Toronto (2012); Museo Reina Sofia, Madrid (2011); CAAC, Sevilla (2011); Ludwig Forum, Aachen (2010); MAK, Wien (2008); Ernst Múzeum, Budapest (2008); Grazer Kunstverein, Graz (2008, 2005). Berlin: Pianistin und Liedbegleiterin. Yvonne Gesler, Schwelm Studierte Klavier und Liedgestaltung (u. a. bei Georg Friedrich Schenck, Wolfram Rieger und Dietrich Fischer-Dieskau) in Düsseldorf und Berlin. Seit 2012 hat sie einen Lehrauftrag für Gesangsbegleitung an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Marlene Groihofer, Kleinzell Wien: Journalistin und Autorin. Studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Zuletzt: Robert-Schuman-Stipendiatin im Pressebüro von Martin Schulz im Europäischen Parlament in Brüssel und Redakteurin bei radio klassik Stephansdom. Für ein Feature über Flüchtlinge in Horn erhielt sie den Journalistenpreis Integration 2016. Für ihr Radioporträt über die Holocaust-Überlebende Gertrude – „Die Einzige, die überlebt hat“ – erhielt sie 2016/17 u.a.: Prälat Leopold Ungar Preis, Dr. Karl Renner Publizistikpreis, New York Festivals International Radio Awards (Gold). Aktuell schreibt Groihofer im Zsolnay Verlag an der Biografie der Auschwitz-Überlebenden.

Susanne Gurschler, Meran Innsbruck: Freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Kunst und Kultur, Architektur, Tourismus und Regionalgeschichte. Schreibt journalistische Beiträge für Zeitschriften und Magazine, Fachbeiträge für Kataloge und Sammelbände. Letzte Buchveröffentlichungen: „111 Orte in Tirol, die man gesehen haben muss“ (Emons Verlag, Köln) sowie „Weihnachtskrippen bauen. Mit ausführlicher Anleitung zum Hintergrundmalen“ (Tyrolia Verlag, Innsbruck). www.susannegurschler.at Ernst Hiesmayr, Innsbruck Bregenz: Österreichischer Architekt und jahrelanger Rektor der TU Wien. Neben seinen bekannten öffentlichen Bauwerken – dem „Juridicum“ der Uni Wien, der Heilig-Kreuz-Kirche im oberösterreichischen Langholzfeld, der Hauptschule Rieden in Bregenz sowie der Handelskammer in Feldkirch – zählen auch einige Einfamilienhäuser und Hotels sowie das Ateliergebäude an der Eroicagasse in Wien zu seinem Schaffen. Veröffentlichungen: „Das Karge als Inspiration“ (1991), „Einfache Häuser (1991), „Analytische Bausteine“ (1999). Mehrere staatliche Auszeichnungen, u. a. das Große Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1978). Esther Kinsky, Bonn Berlin / Battonya (Ungarn): Autorin und literarische Übersetzerin von Romanen und Lyrik. Veröffentlichungen (zuletzt): „Naturschutzgebiet, Gedichte und Fotografien“ (2013), „Am Fluss“ (2014) und, gemeinsam mit Martin Chalmers, die zweistimmige Reiseerzählung „Karadag Oktober 13“ (2015). Sowohl für ihre übersetzerische als auch für ihre schriftstellerische Arbeit wurde sie mehrfachausgezeichnet, u. a. Kranichsteiner Literaturpreis (2015), Preis der SWR-Bestenliste für „Am Fluss“. Seit 2016 ist Esther Kinsky Poetikdozentin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Wien: Kunsthistorikerin, Kuratorin und Fiona Liewehr, Wien Autorin. Studierte Kunstgeschichte an den Universitäten Wien, Salzburg und Hamburg und Wirtschaft an der WU Wien. Leitung der Abteilung Kunstvermittlung und wissenschaftliche Programme sowie Assistenzkuratorin an der Österreichischen Galerie Belvedere , Marketingleitung am MUMOK, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Derzeit Direktorin Georg Kargl Fine Arts und BOX. Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu moderner und zeitgenössischer Kunst, wie beispielsweise This is happening I & II, Cinematic Scope, [scene missing], FEEDBACKSTAGE, Fine Line, Richard Artschwager, Andreas Fogarasi, Carol Bove, Jan Mancuska, Bernhard Leitner, David Maljkovic. Mitbegründerin von dreizehnterjanuar (freie Theaterproduktionen) und CINERAMA (Verein zur Förderung der Wiener Kinokulturgeschichte). Wien: Schauspielerin und SchriftDörte Lyssewski, Winsen / D stellerin. Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Hamburg. Seit 1989 Theater, Musiktheater und Oper in Berlin, Zürich, Bochum, Wien, Paris, Brüssel, Montpellier, bei den Salzburger Festspielen & der Ruhrtriennale u. a. mit Peter Stein, Luc Bondy, K. M. Grüber, Patrice Chérau, Andreij Wajda, Alvis Hermanis, Ernst Stötzner, Herbert Wernicke, La Fura dels Baus, Stanislas Nordey. Hörspiele, Hörbücher, Konzerte und Synchronisationen. Lehrauftrag am Max-Reinhardt-Seminar. Erster Erzählband: „Der Vulkan oder die Heilige Irene“ (Matthes & Seitz 2015). Matthias Pfisterer, Stuttgart Wien/Parndorf: Studium der Urund Frühgeschichte, Klassischen Archäologie, Geschichte sowie Numismatik. Zahlreiche Publikationen zu Archäologie, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte, mehrere Monographien, zuletzt „Hunnen in Indien“, Wien 2013.


Barbara Pflanzner, Feldkirch Wien: Studium der Kunstgeschichte und Germanistik. Kuratorische Assistenz (Wiener Art Foundation, kunstbuero, eSeL), journalistische Tätigkeiten (MOLE, stadtbekannt.at), Leitung der Krinzinger Projekte (2011–2014). Mitarbeiterin im Kunstbuch-Verlag Schlebrügge.Editor, Tätigkeit als freie Kuratorin für den Kunstverein EXTRA. Seit 2017 Projektkoordinatorin für das Programm „ArtStart“ an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Bernd Schuchter, Innsbruck Innsbruck: Autor und Verleger. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Innsbruck, seit 2006 Verleger des Limbus Verlag. Rezensionen u. a. für Wiener Zeitung und Literaturhaus Wien. Preisträger beim Prosapreis Brixen / Hall (2007) und beim Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2014). Zuletzt erschienen: „Jene Dinge“ (2014), „Link und Lerke“ (2013), „Föhntage“ (2014) und der literarische Reiseführer „Innsbruck abseits der Pfade“ (2015).

Franz Riedl, Bad Ischl Wien: Bildhauerstudium an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Bruno Gironcoli. Einzelausstellungen: „Raumverteilung“, Galerie 422 Margund Lössl, Gmunden 2016; „Raumordnung“, Kunstwerkstatt Lienz 2016; „openclosed space“ Parallel exhibition, Szépművészeti Múzeum, Budapest, 2013; Gruppenausstellungen: „Geometrie imprecise“, Palazzo Ducale, Mantua 2016; „Danube Dialogues 2014“, Novi Sad, Serbien 2014; „Interspaces“, Vasarely Museum, Budapest 2013. Seit 2009 gemeinsam mit Jochen Höller Betreiber des Offspace „Glockengasse No9“. www.franzriedl.com

Benjamin Zanon, Lienz / Osttirol Innsbruck: Studierte von 2001 bis 2004 Architektur an der technischen Universität in Wien, anschließend bis 2006 Philosophie an der Universität Wien. 2008 wechselte er nach Düsseldorf und begann dort das Studium der freien Kunst, Bildhauerei an der hiesigen Kunstakademie. Ab 2009 studierte er in der Klasse von Professor Richard Deacon, der ihn 2014 zum Meisterschüler ernannte. Im Februar 2015 schloss er das Studium mit dem Akademiebrief ab und übersiedelte nach Innsbruck, wo er seitdem lebt, wandert und arbeitet. www.benjamin-zanon.at

Quart Heft für Kultur Tirol

Kulturzeitschrift des Landes Tirol Herausgeber: Markus Hatzer, Andreas Schett Chefredaktion: Heidi Hackl, Andreas Schett Anschrift der Redaktion: Circus, Kochstraße 10, 6020 Innsbruck (A), office@circus.at Anschrift des Verlags: Haymon Verlag, Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck (A) T 0043 (0)512 576300, order@haymonverlag.at, www.haymonverlag.at Geschäftsführer / Verleger: Markus Hatzer Aboservice: T 0043 (0)512 576300, aboservice@haymonverlag.at Bezugsbedingungen: Quart Heft für Kultur Tirol erscheint zweimal jährlich. Jahresabonnement: € 22,– · Einzelheft: € 16,– · Preise inkl. MwSt., zzgl. Versand Die Bezugspreise unterliegen der Preisbindung. Abonnement-Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Sabine Dreher, Theresa Eipeldauer, Hans Magnus Enzensberger, Thomas Feuerstein, Andreas Fogarasi, Yvonne Gesler, Marlene Groihofer, Susanne Gurschler, Ernst Hiesmayr, Esther Kinsky, Fiona Liewehr, Dörte Lyssewski, Matthias Pfisterer, Barbara Pflanzner, Franz Riedl, Bernd Schuchter, Benjamin Zanon Kuratoren: Ruedi Baur, Othmar Costa, Karin Dalla Torre, Eduard Demetz, Georg Diez, William Engelen, Martin Gostner, Helmut Groschup, Franz Hackl, Hans Heiss, Stefanie Holzer, Sebastian Huber, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Walter Klier, Martin Kofler, Gustav Kuhn, Christoph Mayr-Fingerle, Milena Meller, Walter Methlagl, Wolfgang Mitterer, Walter Niedermayr, Thomas Nußbaumer, Dominique Perrault, Wolfgang Pöschl, Helmut Reinalter, Robert Renk, Arno Ritter, Benedikt Sauer, Benno Simma, Gerhard Steixner, Vitus H. Weh, Lois Weinberger, Maria Welzig u. a. Linke Seiten: Benjamin Zanon Visuell-editorisches Basiskonzept: Walter Pamminger Farbkonzept: Peter Sandbichler Grafische Realisation: Circus, Büro für Kommunikation und Gestaltung, Innsbruck / Wien, www.circus.at Druck: Lanarepro, Lana, Italien Papier: Luxo Samt 135 g/m2 Schriften: Sabon LT Std, Gill Sans Std Verwendung der Karte „Tirol-Vorarlberg 1 : 200.000“ auf den Seiten 62 / 63 mit freundlicher Genehmigung von Freytag-Berndt und Artaria KG, Kartographische Anstalt, Brunner Straße 69, 1231 Wien (A). Sämtliche inhaltlichen Beiträge dieses Heftes sind Ersterscheinungen, Auftragswerke, Uraufführungen. ISBN 978-3-7099-7292-2 · © Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2017 · Alle Rechte vorbehalten. 127



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