D E Z E M B E R • JÄN N E R 2016/2017
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EUR 5 SFR 7,50
Die besten Hüttenrezepte für daheim Das Magazin für alpine Lebensfreude
OISERER HÜTTE * GERSTER SCHNEE ÜBER DEM SALZKAMMERGUT
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STEIRISCHE WINTER MIT HUSKYS UNTERWEGS IN DEN WÖLZER TAUERN
EINE NACHT IM IGLU FAMILIENAUSFLUG NACH SÜDTIROL
EHNSUCHT NACH SONNE * SNATURERLEBNIS AUF LA RÉUNION, OASEN-WANDERN IN MAROKKO
MYTHOS ARLBERG WARUM IHN ALLE LIEBEN. WIE WIR IHN NEU ENTDECKEN.
Inhalt
DEZEMBER 2016 / JÄNNER 2017
50 Mitten im Mythos Der Arlberg ist das Skigebiet Österreichs: Wir zeigen die besten Hänge abseits der Pisten, die schönsten Touren in die Berge und empfehlenswerte Einkehrschwünge.
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FOTOS INHALT: RUDI WYHLIDAL, ANDREAS JAKWERTH (2), HANS HERBIG, ROBERT MAYBACH; COVERFOTO SKI EXTRA: BRIDGEMANART.COM
REGIONEN
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MENSCHEN
LEBEN
28 S teirisch-Kanada In den Rottenmanner und Wölzer Tauern
72 Berge als Zeittafeln Interview mit Autor Christoph Ransmayr
44 Hüttenrezepte Vier Klassiker der Alpen zum Nachkochen
84 Fersen hoch Tief in die Knie beim Telemarken in Bayern
38 Bühne mit Aussicht Auf der Goiserer Hütte in Oberösterreich
104 Dr. Helikopter Gepäckkontrolle bei der Ärztin Michaela Lampl
66 Wedeln lernen Wie das Skifahren zum Arlberg kam
94 Ein Fall für zwei Richtig reagieren nach einem Lawinenabgang
50 Besuch am Arlberg Das große Bergporträt mit Touren und Hütten
136 Brief vom Himalaya Veronika Dolna auf Hochzeitsreise
78 Ab in die Höhle Eine Nacht im Iglu über dem Südtiroler Ahrntal
98 Puzzle im Schnee „Girls only“ im Freeridecamp
124 Am Ende der Welt Oasen-Wandern in Marokko
152 Genug ist nie genug Hoi und Stelzig: eine Seilschaft seit 57 Jahren
108 Warm ums Herz Leichte Isolationsjacken im Test in der Eishöhle
140 Der Duft der Freiheit Insel-Wandern auf La Réunion
122 Valentins Favoriten Eine Skibrille mit aus geklügelter Belüftung
SPORT
KOLUMNEN 82 Post von David Lama 160 Messners Philosophikum 164 Abwärts mit Nachförg
STANDARDS 8 Panorama 16 Einstieg & Aufstieg 18 Wege & Ziele 20 Kinder & Familie 22 Wetter & Wissen 23 Die Alpen in Zahlen 24 Bergmomente 25 Fragen & Antworten 26 Gut & schön 162 Bergwelten bei ServusTV 168 Après-Berg 170 Vorschau, Impressum
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Coverbild: Skitour über die Balma am Arlberg (Foto: Rudi Wyhlidal)
Panorama
Erst das Ziehen, dann das Vergnügen: mit der Rodel erst zur Pinnisalm, dann auf Tirols längster Naturrodelbahn zurück ins Tal.
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Auf Kufen, Skiern und in der Luft: Vier Vorschläge für das besondere Wintererlebnis.
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FOTO: TVB STUBAI TIROL/ ANDRE SCHÖNHERR
BERGMOMENTE
45˚ STEIL AM SEIL
45 Grad steil, an manchen Stellen aber nur etwa drei Meter breit ist die Schwärzscharte in der Mieminger Kette in Tirol. Deshalb muss man bei der Abfahrt nahe der Coburger Hütte durch die Rinne an den Schlüsselstellen die Ski abschnallen und das Kletterzeug anlegen. Hier seilt sich der bayerische Bergführer Michi Bückers gerade am Einstieg der Scharte ab. Sein Bruder Julian, der das Foto gemacht hat, sagt: „Die Rinne ist steil, aber dank fixer Abseilstände gut machbar. Voraussetzung sind aber stabile Schneeverhältnisse, bei Neuschnee geht die Tour nicht.“
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Beim Aufstieg zum Kettentörl kommen die Ersten schon auf der Kettenalm ins Schnaufen, während der Anführer der Gruppe (rechts im Bild) gelangweilt Umwege läuft.
WINTERWANDERN
DIE LUFT IN STEIRISCHKANADA Wie man in den Rottenmanner und Wölzer Tauern auf Tinder pfeift, über Nacht zum Inuit wird und auf Schneeschuhen Mensch und Natur versöhnt. TEXT: ALEXANDER LISETZ FOTOS: ANDREAS JAKWERTH
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Bei gleißendem Licht unterwegs zum Kettentörl: Im Hintergrund ragt der selten bestiegene Goldkogel in die Wolken.
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s ist kurz nach sieben, als uns das Heulen der Wölfe weckt. Träge steckt der Erste von uns seinen Kopf aus dem Iglu. Der Morgen riecht nach frischem Schnee. Es ist so kalt, dass es in den Nasenlöchern brennt. Ein Wolf schreckt auf, huscht um die Ecke. Nach und nach kriechen auch wir anderen verschlafen ins Freie. Ein, zwei Atemzüge, dann fällt uns wieder ein, dass hier nicht Kanada ist, sondern die Steiermark. Dass wir gar keine Inuit sind, sondern eine Handvoll Freunde aus der Stadt. Und dass die Wölfe keine Wölfe sind, sondern ein Rudel Huskys, das uns heute auf eine Schlittenfahrt begleiten soll. Nur das behaglich warme Iglu, in dem wir erstaunlich gut geschlafen haben, das ist echt. Matti Pripfl hat es gestern Nach-
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mittag aufgebaut, eine Schneeziegeletage über die andere, 70 Grad geneigt, ein behaglicher Unterschlupf. „Wenn ein halber Meter fester Schnee liegt, kann man die Ziegel heraussägen. Sind es nur ein paar Zentimeter, muss man die Schneeblöcke in Wannen selber pressen“, hat er uns gestern erklärt. Matti weiß solche Dinge, weil er viereinhalb Monate mit den Ureinwohnern in Kanada gelebt hat. Als Filmemacher hat er ihren Alltag und ihre Traditionen für einen Dokumentarfilm studiert. „Du glaubst nicht“, sagt er, „was man da fürs Leben lernt.“ Matti hat schon mehrere Berufsleben hinter sich, unter anderem war er auch Koch und Profiballonfahrer. Jetzt vermittelt er Abenteuerurlaube in einer Gegend, die wie Kanada aussieht, aber ein bisschen bequemer erreichbar ist: in
den Rottenmanner und Wölzer Tauern, einem stillen Abschnitt der Ostalpen, aufgefaltet zwischen dem Sölkpass und dem Triebener-Tauern-Pass. SCHNEEHENNEN UND BIRKHÜHNER
In den Bergen um Rottenmann und Oberwölz, Liezen und Hohentauern hat sich in den letzten Jahren eine naturverträgliche Art des Winterurlaubs etabliert. Der laute Skitourismus konzentriert sich auf wenige Hotspots, überall sonst ist man nach ein paar Schneeschuh- oder Tourenskischritten allein mit sich und der Natur. Wer Glück hat, begegnet dabei sogar Schneehennen und Birkhühnern, die in den Wölzer Tauern ein sicheres Rückzugsgebiet gefunden haben. Ein scharfes Auge ist dafür Voraussetzung: An kalten Tagen kauern die selte-
01: Krankenpflegerin Leni Krenn packt ihre Ski auch nach einer Nachtschicht zusammen und steigt auf einen ihrer Hausberge. 02: Huskywanderung mit Dietmar und Andrea Haberl. 03: Im Anschluss daran schmeckt die Kaspress knödelsuppe in der Bergerhube doppelt gut.
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nen Tiere schneebedeckt am Boden und machen sich erst bemerkbar, wenn sie aufgeschreckt davonflattern. Für die Hühner ist die Begegnung mit uns kein Glücksfall. Die Flucht vor dem vermeintlichen Fressfeind kostet sie wertvolle Energie, weil sie ihren auf Stand-by-Modus programmierten Organismus abrupt hochfahren müssen. Darum sind bestimmte Areale als Schutz gebiete markiert, um die herum respektvolle Winterwanderer einen Bogen machen. Der beliebteste Stützpunkt für Ski touren- und Schneeschuhgeher ist die 1.200 Meter hoch gelegene Bergerhube, in der Marianne und Siegfried Luidold Hüttenspezialitäten, Obstmahlzeiten und lokale Weisheiten ausschenken. „Nur Klares ist Wahres“, erklärt der Hüttenwirt, als er den Obstler auf den Tisch stellt, einen rassigen Schwarzbeerschnaps.
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Dazu gibt es gratis eine Schneeprognose: „So hoch wie die Disteln im Sommer waren, so hoch liegt im Winter der Schnee.“ Früher hat die Bauernregel immer gehal-
Ein, zwei Atem züge, dann fällt uns ein, dass hier nicht Kanada ist, sondern die Steiermark. ten, in diesem Jahr müssen es aber BonsaiDisteln gewesen sein. Das ist aber gar nicht so schlimm, weil viele Routen in der Region auch bei mage-
rer Schneelage begehbar und sicher sind. Allein vor Siegi Luidolds Haustür be ginnen 20 herrliche Touren, „die schaffst du unmöglich in einer Woche“, sagt er. Sie führen hinauf zu den Karböden, durch frischen Powder auf den Lattenberg, rund um die majestätischen Gamskögel oder – der Klassiker – hinauf auf den 2.225 Meter hohen Kerschkern-Gipfel. Wir steigen mit Matti Pripfl vorbei an der Wetterfeichten – „Ein energetischer Platz, da spürst du, wie dir die Kraft einfährt“ – zum Kettentörl. Hier, weit weg von der Zivilisation, ist ihm vor drei Jahren eine Wanderin über den Weg gelaufen. „Zack, Liebe auf den ersten Blick“, sagt Matti. Und wir lernen: Das große Glück wartet auch heute nicht auf Tinder, sondern immer noch dort, wo wir am wenigsten mit ihm rechnen. >
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Der Himmel über der Goiserer Hütte in Oberösterreich: Auch die Abend vorstellung bietet spektakuläre Aufführungen.
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KLEINE BÜHNE MIT AUSBLICK Erster Schnee über dem Salzkammergut: Die Goiserer Hütte ist ein ideales Ziel, um mit Skiern an den Beinen oder der Rodel an der Hand den Winter zu begrüßen. TEXT: MARKUS HONSIG FOTOS: ROBERT MAYBACH
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ede Hütte macht ihr eigenes Theater. Es gibt Hütten wie die prachtvolle Berliner Hütte im Tiroler Zillertal, die große Oper spielt, ein Traum in Stein und noch mehr Zirbe mit 185 Schlafplät zen. Es gibt Hütten wie die schon fast kitschige Mödlinger Hütte im steirischen Gesäuse, ein leichtes Stück, schnell in einer halben Stunde erreichbar und von Helga Traxler wunderbar bekocht. Es gibt Hütten wie die einfache Rojacher Hütte am Salzburger Sonnblick, vergleichsweise ernstes Fach, drei Stunden Aufstieg Mini mum, ausgesetzte Lage, gerade einmal zehn Schlafplätze und keine Zimmer. Et was für echte Männer und Frauen. Und dann gibt es Hütten wie die Goiserer Hütte im oberösterreichischen Salzkammergut: feines Kammerspiel, wie wir es besonders gerne mögen. Anspruchs volle Unterhaltung, unprätentiös und ent spannt vorgetragen – ein Stück wie wir,
könnte man sagen. Und weil das Haus auch im Winter bespielt wird – ab 21. De zember –, ist es das ideale Ziel, um sich mit Skiern, mit Rodel oder mit Schnee schuhen auf den Weg zu machen. Der Auf stieg – zweieinhalb idyllische Stunden von Gosau – wird vom Hüttenwirt perfekt prä pariert, gespurt und gepflegt. Und damit sind wir schon beim Haupt darsteller der Bühne auf 1.592 Metern, bei Christian Spitzer, der hier seit 2013, seit dem großen Umbau, Chef ist. „Ich hätte schon die alte Hütte auch genommen“, sagt er, „aber als Wirt eine neue Hütte übernehmen zu können, das ist wie ein Sechser im Lotto.“ Es war nicht zum ersten Mal, dass Christian großes Glück hatte. Beginnt er abends aus seinem Leben zu erzählen, könnte man meinen, Bruce Willis in sei ner Rolle als John McClane in „Stirb lang sam“ gegenüberzusitzen. Dreimal ist er schon fast gestorben und nur knapp mit
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Die Lecher Skiführerin Angelika Kaufmann nimmt Schwung: Abfahrt vom Roßkopf, hinten der Trittkopf (2.720 m).
Mitten im Mythos Der Arlberg: ein Berg, den es eigentlich gar nicht gibt und der doch als Wiege des klassischen Skisports gilt. Österreichs größtes Skigebiet ist aber auch ein bevorzugtes Ziel für Tourengeher und Freerider. TEXT: SISSI PÄRSCH FOTOS: RUDI WYHLIDAL
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GIPFELGESPRÄCH
Berge sind Zeittafeln Eine Aufforderung zur Unbescheidenheit: Der Autor Christoph Ransmayr über erzählte Erinnerung, Weltreisen in fünf Minuten und warum man beim Gehen im Gebirge besser in der Gegenwart bleibt. TEXT: KLAUS HASELBÖCK ILLUSTRATION: ROLAND VORLAUFER
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Sie sind Schriftsteller, Philosoph und ein stetig Reisender. Haben Sie über die Jahre eine bevorzugte Landschaft für sich gefunden? Nach meinen ersten Reisen an die Adria und in die Ägäis war ich überzeugt, das Mittelmeerische wäre das Wunderbarste. Irgendwann war es dann das Tropische. Bis ich die ersten Fahrten in den hohen Norden nach dem Franz-Josef-Land, gemeinsam mit Reinhold Messner, an Bord eines russischen Eisbrechers unternahm. Ich kam damals direkt aus dem strahlenden, pulsierenden Sommer Brasiliens, aus wunderbaren Tagen voller Vogelsang und Blütenduft, und habe mich für meinen Entschluss verflucht, ins Packeis zu fahren. Und dann wurde daraus eine meiner schönsten Reisen überhaupt, weil sie fast nur aus Licht zu bestehen schien. Es war, wie auf einem anderen Planeten zu landen. Heute überlasse ich mich der Landschaft, in der ich mich bewege. Selbst wenn sie so trist ist wie etwa die russische Halbinsel Kola mit ihren gekenterten und halb versunkenen Schlachtschiffen, U-Booten und Truppentransportern. Auch das hat einen Zauber, der mich denken lässt: Träume ich, oder bin ich hier tatsächlich als Tourist unterwegs?
Ich bin Schriftsteller, ich bin empfindsamer Wissenschaftler, ich bin Abenteurer, Grenzgänger. Dann sagen die Eingeborenen: Ja, gewiss, natürlich, aber weißt du, was du wirklich bist? Ein Tourist! Du hast keine Ahnung. Nicht von uns, nicht von unseren Traditionen und Bräuchen. Kennst du unsere Sprache, unsere Lieder, kennst du unsere Feste, Riten und Götter? Kennst du unsere Gesetze? Natürlich muss ich alle oder die meisten dieser Fragen negativ beantworten. Deswegen sage ich mir doch gleich lieber selber, dass ich ein Tourist bin. Das Eingeständnis, dass man ahnungslos ist und seine Ahnungslosigkeit mithilfe der besuchten Menschen zwar nicht ab-
annimmt und ich begreife, was ich eigentlich gesehen habe. Wäre das Schweigen manchmal nicht wesentlich verlockender? Das, was zur Sprache gebracht wird, ist ohnedies nur der kleinere Teil. Der weitaus größere ist oft das betörte, manchmal auch bloß benommene Staunen. Für das Allermeiste, was ich erlebe, habe ich keine Worte. Schreiben Sie für Leser, die selber gehen, die selber unterwegs sind? Reisen ist mehr eine innere Bewegung als eine Bewegung von A nach B. Es ist vor allem die Bereitschaft, eine Position – eine emotionale oder intellektuelle, vielleicht auch eine religiöse oder philosophische – zu verlassen und sich zu einer anderen Position zu bewegen. Das hat keinen geografischen Rahmen. Wenn wir unsere Köpfe und Herzen mit Bildern aus dem Leben anderer Menschen und Kulturen und mit den dazu gehörigen Landschaften versorgen wollen, dann muss es natürlich immer wieder einige Leute geben, die sich tatsächlich auf den Weg machen. Sonst bekommen wir keine Nachrichten aus der Fremde. Aber wenn ich von Gegenden erzähle oder schreibe, in die Menschen niemals hin wollen oder hin können, dann wende ich mich an die Reisenden wie an die Sesshaften.
Der beglückende Wechsel vom Gletschereis ins Federbett erschließt sich vor allem dem, der sich bewegt.
„Tourist“ möchte sonst kaum jemand sein. Schon gar nicht Menschen, die viel unterwegs sind. Warum ist Ihr Umgang mit diesem Wort so entspannt? Das ist ein Eingeständnis. Ich suche mir den Namen ja nicht selber aus, sondern ich nehme den Namen an, der mir von den Landesbewohnern gegeben wird. Selbst wenn ich dort behaupten würde:
streifen, aber lindern kann, ist doch der wesentlich bessere Weg. Ich habe mich als sprachloser Idiot immer ganz wohl gefühlt. Weil es dieser Status ist, der mich etwas lernen, sehen und zuhören lässt. Aus Ihren Begegnungen und Erlebnissen entstehen Bücher. Ist das Erzählen für Sie ein Drang, ein persönliches Bedürfnis, oder bloße berufliche Notwendigkeit? Es ist ein Bedürfnis, das viel mit der Freude an der Verwandlung von Erfahrung, von Menschen und Landschaften in Sprache zu tun hat. Ich mache mir die Wirklichkeit bewusst, indem ich sie zur Sprache bringe. Und es begeistert mich, wie im Erzählen die Erinnerung Gestalt
Wie viel an Wildnis brauchen Sie? Manchmal relativ hohe Dosen. Die Kostbarkeiten der Kunst und Kultur, also
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TELEMARKEN IN BAYERN
Erst die Ferse, dann das Hirn Der alte Schwung, wie ihn unsere Großväter und Urgroßväter gefahren sind: immer instabil, aber das schönste Rendezvous mit dem Schnee. Über das Fahren mit lockerem Ski. TEXT: CHRISTIAN THIELE FOTOS: HANS HERBIG
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Elegant am Hang: eintauchen in den perfekten Pulver unterhalb der Alpspitze.
a ist diese Wechte. Der Westwind hat die glitzernd weiße Lippe aus frischem Pulverschnee über den grauen Fels gehäufelt. Sollte man drüberfahren, einen Juchzer machen, dann zwei, drei Meter springen, in einem flauschigen Kissen landen, es wäre noch genügend Platz für einen Schwung nach links. Während wir so vor uns hin überlegen, setzt Moni ihre Brille auf, schiebt mit den Stecken an wie eine Abfahrerin bei der Explosion aus dem Starthäusl, zieht das linke Knie nach innen, fährt auf dem rechten einen großen, weiten, runden Telemarkschwung, hockt an, fliegt über die Kante, macht einen Juchzer, setzt federweich auf, Schwung nach links, Schwung nach rechts, noch ein Juchzer. Strahlend vor Adrenalin und Glück schaut sie nach oben, zu uns, den Grüblern, und ruft: „Auf geht’s, Burschen! Geile Sache!“ Ein paar Skitouristen am Lift steht der Mund offen, ein anderer hat von der Piste aus sein Handy aus der Skijacke gepfriemelt, aber für ein Foto war Moni zu schnell. >
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Am Ende der Welt gibt es eine Schlucht, und am Ende der Schlucht gibt es Wasser – gar nicht wenig davon. Man könnte sogar schwimmen gehen. Rechte Seite: der Antiatlas, ein sanftes Hochplateau mit den typischen Wadis, die die meiste Zeit des Jahres kein Wasser führen.
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BERGWELTEN AUF REISEN
AM ENDE DER WELT Marokko, nah genug und weit genug. Wer dem Winter entfliehen will, muss bei Taroudant in den Antiatlas abbiegen. Eine Wanderung durch die alte Heimat der Berber. TEXT: MARKUS HUBER FOTOS: ANDREAS JAKWERTH
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Fast mystisch präsentiert sich der Talkessel von Salazie im Morgennebel. Die Szenerie ist typisch für die Vulkaninsel La Réunion.
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BERGWELTEN AUF REISEN
DER DUFT DER FREIHEIT Die Vielfalt der Kulturen, die Schönheit der Menschen, die Intensität der Natur: eine Erkundung auf der französischen Insel La Réunion, Europas Vorposten im Indischen Ozean. TEXT: MARTIN ZINGGL FOTOS: PHILIPP FORSTNER
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ui, oui, oui, überall auf der Insel duftet es!“ Jean-Paul Carminati pflückt ein ledriges Blatt vom Ast eines Pimentbaumes und zerreibt es zwischen seinen Fingern. Einen Moment lang ist die warme Brise gesättigt von Pfeffer-, Muskat-, Zimt- und Nelkenaromen. Berauschend, angenehm, exotisch. Die Nase hat sich hier ständig mit neuen Sinnes eindrücken vertraut zu machen. „La Réunion ist wie ein Labor, in dem Parfum entsteht“, schwärmt der Wanderführer aus dem Schweizer Jura und schneidet Grimassen. Ein paar Schritte weiter riecht es nach frischen Wildblumen, Kardamom und Zuckerrohr. Dann plötzlich nach Erde, die durch den warmen Tropenregen aufgeweicht wurde, nach Mangos, Litschis und Passionsfrüchten, nach Räucherstäbchen und Heilkräutern. Und natürlich nach Vanille, mit der auf La Réunion alles angereichert wird: vom Hühner ragout bis hin zum nationalen Zaubertrank, dem „rhum arrangé“, einem mit Früchten und Gewürzen aromatisierten Rum. Und manchmal riecht man auch Schwefel, denn der Berg Piton de la Fournaise zählt zu den aktivsten Vulkanen der Welt und „pupst“, wie die Réunionnais sagen, auch hin und wieder – zuletzt im September 2016.
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„Aber das Schönste an La Réunion“, sagt Jean-Paul, „sind die Menschen. Oui, oui, oui.“ Rund 850.000 Bewohner zählt die Insel, ein Sammelsurium aus europäischen, indischen, afrikanischen und chinesischen Zügen, ein Gesicht hübscher als das andere. Einst ein bloß menschenleerer grüner Felsen zwischen den nächstgelegenen Inseln Madagaskar und Mauritius, besiedelten vor rund 400 Jahren die Franzosen die Vulkaninsel im blauen Irgendwo des Indischen Ozeans. Der geologischen Geschichte hat die Insel ihre drei spektakulären Talkessel zu verdanken: Die schroff abfallenden, zerklüfteten Felswände sind das Resultat eingesunkener Vulkane und mehrerer hunderttausend Jahre an Erosion, die diese landestypischen tiefen Schluchten regelrecht ausgegraben hat. EILIGE EIDECHSEN
Inmitten dieser Landschaft wandern wir auf einer der beliebtesten Routen ins Landes innere: von Salazie nach Mafate, von einem dicht bewaldeten Talkessel in den nächsten. Sanfte Sonnenstrahlen steigen über den Horizont herauf und lassen Wassertröpfchen auf den Blättern glitzern. Bei jedem Schritt durch das Gebüsch strecken Eidechsen neugierig ihre Köpfe hervor, bevor sie sich eilig davonmachen.
Wieder einmal duftet es, aber diesmal ist der Geruch undefinierbar. „Oui, oui, oui“, sagt Jean-Paul. „Das ist der Duft der Freiheit. Bei uns auf La Réunion bedeutet die Farbe Weiß Freiheit.“ Wenig später klärt sich Jean-Pauls Gedanke von selbst. Der schmale Serpentinenpfad hinab in die Bergschlucht von Mafate ist gesäumt von Bambus, Kasua rinen, Tamarindenbäumen und wilden Ayapana-Blumen, ein Meer aus weißen Blüten, die für den Geruch sorgen, der Jean-Pauls Philosophie untermalt. Mit unter ist der gut beschilderte Weg felsig und steil, bevor er direkt in die mythische Plaine des Tamarins führt, eine von Aka zien übersäte Ebene, deren Äste, wie hölzerne Adern ineinander verstrickt gegen den Himmel ragen. Hier treffen wir auf Quentin Baron, einen „Métropole“, wie die Franzosen aus dem europäischen Mutterland auf der Insel genannt werden. Wenn er nicht in den französischen Alpen Schneekanonen repariert, vertreibt sich der 26-Jährige die Zeit mit Extremsport und Outdooraktivitäten. Quentin ist in den Bergen zu Hause und besucht erstmals La Réunion. Stress scheint der goldene Lockenkopf nicht zu kennen. Was macht die Insel für ihn aus? „Es ist genial hier – ich kann wandern, baden und paragleiten.“ Nur auf das Surfen muss Quentin momentan verzichten, da
Die Cascade Blanche bei Salazie ist mit 640 Metern einer der höchsten Wasserfälle der Erde. Links: die pinkfarbenen Blätter einer Helikonie.
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