Servus in Stadt & Land 06/2011

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06/2011 &

in Stadt & Land

Goldene Hauben

P. b. b., GZ10Z038662M, Verlagspostamt 1140 Wien

Pfingstrosen  & Natürliche Wetterpropheten  & Gartenwege gestalten  & Ein Haus Bei St. Pölten  & Auerhahnbalz

Tradition aus Oberösterreich

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E i nfac h

.

Gut .

Leben

Rezepte mit Melodie Salzburger Dampfnudeln

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Juni 06/2011 EUR 3,90

Sommer

So süß schmeckt der

Gailtaler

enstechen

&

Zu Gast am Grünen See

&

Ein Bauerngarten im Weinviertel

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Juni

Natur & Garten

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Küche

12 Königin im Bauerngarten

42 Gut Kirschen essen

18 Hutschn mit Herz

44 Von Bohnscharln und Strankerln

Die Pfingstrose ist sagenumwoben, heilkräftig und traumhaft schön.

… und fertig ist die selbstgebaute Gartenschaukel.

20 Grenzenlose Natur

Brigitte Parbus und ihr wunderschö­ ner Bauerngarten im Weinviertel.

28 Auf dem richtigen Pfad Sechs Gartenwege, die für die Ewigkeit halten.

Die roten Herzen sind jetzt reif.

Eine Liebeserklärung an die knackige Fisole.

48 Kochen nach Noten

Wir servieren Gerichte aus traditions­ reichen alpenländischen Gstanzln.

56 Aus Omas Kochbuch Oberösterreichische Kinds­ taufpofesen.

58 Wiesenfrisch auf den Tisch Kochen mit Wildkräutern.

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Wohnen 68 Spürsinn fürs Schöne

Das Haus von Doris und Anton Figl in Niederösterreich erzählt viele Geschichten.

80 Magischer Mohn

Sommerliche Dekorationen für daheim.

82 Guten Morgen!

Jetzt gibt’s Frühstück im Garten.

fotos cover: Katharina Gossow, petra rainer, eisenhut & Mayer

Inhalt 2011

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fotos: Flora Press, imago, petra rainer, harald eisenberger, Philipp horak, eisenhut & Mayer, Philip platzer, ingo pertramer

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Standards

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Land & Leute

Brauchtum

94 Das Kräuterweibl vom Michaelerberg

38 Wetter-Propheten

102 Der Geigenflüsterer

88 Goldene Hauben

Christl Percht zeigt uns ihre Kräuter­ alm im steirischen Ennstal.

Eduard Kugler hat sich das Geigen­ bauen selbst beigebracht.

106 Herr Kniewasser geht auf einen Auerhahn

Der Förster nahm uns mit zu einem Schauspiel, bei dem man zwischen­ durch aufs Atmen vergisst.

Miriam Wiegele sagt uns, wie Pflanzen und Tiere das Wetter vorhersagen.

Ein Besuch bei den Goldhaubenstickerinnen im oberösterreichischen Vorderweißenbach.

118 Heut bin i a Gailtaler Reiter Beim Feistritzer Kufenstechen wird jedes Jahr am Pfingstmontag ein uralter Reiterbrauch mit neuem Leben erfüllt.

128 Zu Gast am Grünen See

Wunder der Heimat: „Servus“-Besuch im steirischen Hochschwab-Gebiet.

5 Editorial 10 Servus daheim 26 Schönes für draußen 32 Der Garten-Philosoph 36 Gartenpflege, Mondkalender 40 Natur-Apotheke: Stiefmütterchen 64 Schönes für die Küche 78 Fundstück: Eine alte Schmalzdesn 86 Schönes für daheim 114 Michael Köhlmeier: Die Natternkönigin

26 Servus im Bauernladen 1 140 René Freund: Liebe unter Fischen

144 ServusTV:

Sehenswertes im Juni

48 Feste, Märkte, Veranstaltungen 1 150 Leben in alten Zeiten 154 Impressum, Herstelleradressen Coverfoto: Katharina Gossow

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Königin im Bauerngarten Die sagenumwobene Blume inspirierte Dichter, Maler und Fürsten, um ihre Heilkräfte ranken sich Legenden. Vor allem ist die Pfingstrose aber eines: traumhaft schön. Text: Julia kospach

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FOTO: flora press

Natur & Garten


M

an wird sie kaum los. Sie ist widerstandsfähig wie eine schottische Distel, unempfindlich wie Pflastersteine und so kraftvoll wie eine gemeine Ringelblume.“ So urteilte der legendäre britische Züchter James Kelway einst über die Pfingstrose. Rehe und Kaninchen vergreifen sich nicht an ihr, Läuse- und Raupenbefall kennt sie nicht, von Schnecken bleibt sie weitgehend unbehelligt. Sie verträgt einigen Schatten und stellt keine großen Ansprüche an den Boden. Nur eines ist unabdingbar: einmal im Jahr eine kalte Periode für den Winterschlaf. Womit klar ist, warum Tropen und Subtropen nicht ihr Revier sind und sie sich seit Menschengedenken in unserer gemäßigten Klimazone so wohlfühlt. In unseren Gefilden hat die Pfingstrose (botanisch: Paeonia) eine ebenso lange wie facettenreiche Kulturgeschichte. Und die beginnt in der Antike mit ihrem Namenspatron:­ Paeon, Haus- und Hofarzt im Olymp, soll mit der schon bei den alten Griechen beliebten Gartenblume den verwundeten Unterweltherrscher Hades geheilt haben. Und der römische Dichter Vergil schrieb ihr geradezu göttliche Kräfte zu, zumal ­Artemis damit ­einen Toten wieder zum L ­ eben erweckte. Eine kleine Kolonie im Südburgenland

Paeonia officinalis

Mehrere tausend Sorten Päonien gibt es heute.­Ihr Farbspektrum reicht von Gelb, Beige und Weiß über alle Schattierungen von hellem Rosa und Rot bis Lila, Violett, Purpur,­Rotbraun und fast Schwarz. Um sich in diesem üppig wuchernden Dickicht nicht zu verheddern, hilft es, sie erst einmal in zwei Kategorien zu unterteilen: in die in Europa heimischen Staudenpäonien und in die aus China stammenden Strauchpäonien. Bei uns sind Erstere ein fester Bestandteil des traditionellen Bauerngartens. Sie sterben im Herbst ab, im Frühjahr treiben aus dem Boden neue Schösslinge aus. Aus diesen „lieben, rosigen Rüsseln“ wächst eine krautige Staude von 50 cm bis zu eineinhalb Metern heran. Die Paeonia officinalis, auch Bauernpfingstrose genannt, gedeiht jedoch auch noch in freier Natur, unter anderem in Norditalien und Ungarn, eine etwas kleinere Art auch im Südburgenland. Strauchpäonien hingegen sind laubwerfende Sträucher, die zwischen einem und drei Meter hoch werden. Sie sind etwas ➻

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Pfingstrose Ferdinand von Saar (1833 – 1906) Verhaucht sein stärkstes Düften Hat rings der bunte Flor, Und leiser in den Lüften Erschallt der Vögel Chor. Des Frühlings reichstes Prangen, Fast ist es schon verblüht – Die zeitig aufgegangen, Die Rosen sind verblüht. Doch leuchtend will entfalten Päonie ihre Pracht, Von hehren Pfingstgewalten Im Tiefsten angefacht. Gleich einer späten Liebe, Die lang in sich geruht, Bricht sie mit mächtgem Triebe Jetzt aus in Purpurglut.

frostempfindlicher, ihre prachtvollen Blü­ ten, die sich aus tennisballgroßen Knospen entwickeln, stehen zumeist am Ende der fiedrig beblätterten Triebe, die sie aus hol­ zigen, blattlosen Ästen austreiben. Seit den 1960er-Jahren gibt es übrigens auch Kreuzungen zwischen Stauden- und Strauchpfingstrosen, die Itoh- oder Inter­ sectional-Hybriden. Sie haben die riesigen Blüten der verholzten Arten, den krautigen, niedrigeren Wuchs der Staudenpäonien und eine längere Blütezeit von 14 Tagen. Fest verwurzelt und standorttreu

Was alteingesessene Pflanzen wie die Pfingstrosen gar nicht mögen, sind Orts­ wechsel. „Auf Umpflanzungen reagieren besonders alte Pflanzen verschnupft. Sie brauchen dann gern ein, zwei Jahre und gutes Zureden, bis sie wieder in Schwung kommen“, sagt Michael Miely, ausgewiese­ ner Päonien-Experte und Inhaber der größ­ ten heimischen Pfingstrosen-Gärtnerei im oberösterreichischen Buchkirchen. 400 Sorten Stauden- und 150 Sorten Strauchpfingstrosen hat Miely im Repertoire. Die Strauchpfingstrosen, sagt er, holen hier­ zulande langsam gegenüber den Stauden auf. Kein Wunder, so Miely, „auf ausgewach­ senen Sträuchern blühen bis zu 100 Blüten. Und inzwischen hat sich auch herumge­ sprochen, dass sie nicht empfindlich sind.“ Die Heimat der Strauchpfingstrosen sind das nördliche China und die Ostregionen­ ➻

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Eine Knospe knapp vorm Erblühen.


FOTOS: flora press

Paeonia Pink Lemonade

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Strauchpfingstrosen werden bis zu drei Meter hoch. Aus ihren tennisballgroßen Knospen entstehen prächtige Blüten.

Paeonia Familie: Pfingstrosen (Paeoniaceae); Gattung mit 30 und mehr Arten gruppenbildender Staudenund laubwerfender Strauchpfingstrosen. Standort: Sonnig oder im Halbschatten; Strauchpäonien sollte man vor kalten Winden schützen. Pflege: Nach dem Austrieb mulchen und mit Mist düngen. Reinigungsschnitt bei Strauchpäonien im zeitigen Frühjahr. Wenn sie unten stark auskahlen, ist ein radikalerer Rückschnitt nötig. Pflanzung: Im September und Oktober in tiefen, ­nährstoffreichen, feuchten, wasserdurchlässigen Boden. Sträucher brauchen ein ca. 60 cm tiefes Pflanzloch mit einer 10 cm dicken Drainageschicht aus Kies. Faustregel: Der Wurzelstock bei Stauden gehört 3 bis 4 cm, die Veredelungsstelle von Strauchpäonien 10 bis 15 cm unter Bodenniveau.

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Tibets. 2.000 Jahre alt ist die Geschichte der chinesischen Mudan. Ab 690 n. Chr. erlebte das Land gar eine veritable „Paeoniamania“, vergleichbar mit dem Tulpenwahn im Holland des 17. Jahrhunderts. Die Päonie stieg auf zur kaiserlichen Blume, erblühte nicht nur in den fürstlichen Gärten, sondern auch – gewebt, geschnitzt, gemalt – auf Seidenstoffen, Vasen und Bauwerken. Die mythische Verehrung als Symbol für Wohlstand, Erfolg, Gesundheit und Schönheit blieb ihr erhalten, bis Mao Zedongs Kulturrevolution dem elitären Pflanzengeschöpf ab 1966 den Garaus machte und Pfingstrosen massenweise vernichtet wurden.

FOTOs: maruitius, flora press

Der reisende Pfingstrosen-Botschafter

Eifrig an der hiesigen Verbreitung der Strauchpfingstrose mitgearbeitet hat auch ein Österreicher: Dreißig Jahre lang durchstreifte der exzentrische Wiener Entdeckungsreisende Joseph Rock (1884–1962) botanisierend die Südwestprovinzen Chinas. Die herrliche, großblütige Paeonia rockii, die Jahr für Jahr auf einer Wiese im Wiener Burggarten blüht, trägt seinen Namen. Mystisch verehrt wurde die Pfingstrose freilich auch bei uns. In der christlichen Symbolsprache steht sie für Reichtum, Heilung, Schönheit. Sie inspirierte Dichter wie den Wiener Lyriker Ferdinand von Saar, der ihr ein eigenes Gedicht widmete (siehe S. 16), und Maler wie Manet oder Renoir; um ihre Heilkräfte ranken sich allerlei Legenden. Die Benediktiner kultivierten die Pfingstrose in ihren Klostergärten, gelegentlich wird sie deshalb auch Benediktinerrose genannt. Aus ihren Wurzeln, Samen und Blütenblättern wurde ein Gichtmittel gewonnen, was ihr auch den wenig anmutigen Beinamen „Gichtrose“ bescherte. Hildegard von Bingen empfahl sie bei „viertägigem Fieber und wenn ein Mensch den Verstand verliert ...“ In der Volksmedizin kannte man noch eine andere Verwendung: Die Samen wurden zahnenden Kleinkindern zum Kauen gegeben. In Bayern nannte man die Samen daher auch Appoloniakörner – zu Ehren der heiligen Appolonia, der Patronin der Zahnleidenden. Ihren deutschen Namen verdanken Pfingstrosen natürlich ihrer Ähnlichkeit mit Rosen und ihrer Blütezeit rund um Pfingsten. Und genau diese Pracht können wir jetzt in vollen Zügen genießen. 3 Web-Tipps: www.paeoniamiely.com, www.pfingstrosen.net

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hausbesuch

Spürsinn fürs Schöne Jedes Haus erzählt eine Geschichte. Das Haus von Doris und Anton Figl erzählt hunderte. Wie etwa jene von einer Eisenkassa mit sechs Schlüsseln … Text: JONNY STÜHLINGER Fotos: HARALD EISENBERGER

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Die barocken Bauernsessel sind aus ­Nussholz. Dem rechten dient ein Endlosknoten als Lehne, am linken findet man an zwei ineinander verschlungenen Herzen Halt. Linke Seite: Blick in den Innenhof, ganz links ein Klapptisch für Knechte und Mägde aus dem 18. Jahrhundert.

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s ist das schrecklichste Haus, das man sich vorstellen kann. Aber es ist unseres. Und wir lieben es!“ Doris Figl sagt diesen Satz mit einem Augenzwinkern. Und jeder, der bei den Figls drei Minuten zu Gast ist, weiß, was die Hausherrin meint: Der alte Bauernhof ist ein wahrhaftiger Augenschmaus, ein reichlich gedeckter Tisch für alle Sinne. So voll, dass man eigentlich gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Aber: So viel Pracht will eben auch geputzt und zusammengeräumt sein … Auf mehr als 200 Quadratmetern findet sich kaum eine freie Fläche, kaum ein Fleckchen ohne Dekoration. Durch das Eingangstor öffnet sich der Mehrseithof aus dem 18. Jahrhundert weit nach hinten, wie ein Willkommensgruß. Links die Tür ins Haus. Der Vorraum, die Wand zur Linken gespickt mit sogenannten Rehköpfln, wie Hausherr Anton Figl die alten Krickerln mit den geschnitzten Holztierköpfen aus dem 18. Jahrhundert nennt. Dazwischen Viechtauer Vogerln, auch sehr alt und auch aus Holz. Der Boden aus Stein, die Decke vertäfelt. Bilder an der Wand, ein alter Schrank zur Rechten und gegenüber wieder Rehköpfln. Und das Erstaunlichste: Es wirkt überhaupt nicht angerammelt, weder hier noch in den anderen Räumen. Jedes Teil – ob Antiquität oder moderne Kunst – schmiegt sich in die ihm zugedachte Nische. Hier wohnt, das spürt man, ein Paar mit Stilkompetenz. Eine REISE DURCH DIE ERINNERUNGEN

Und hier wohnt Geschichte. Der Hängekasten in der gemütlichen Stube etwa. „Ich hab beim Künstler Tone Fink ein Bild gekauft“, erinnert sich Anton Figl. Der Künstler hat ihm dann noch dazu den Hängekasten angeboten, und seither hängt er eben im Wohnzimmer. Schwärmerischer Nachsatz: „Seither darf ich immer an den Tone Fink denken, wenn ich den Kasten ­anschaue.“ So geht es dem Ehepaar mit sehr vielen Stücken in ihrem Haus. „Es ist wie eine Reise durch die Zeit und durch die Erinnerung“, beschreibt Doris Figl ➻

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Ein echtes Bauernhaus hat auch eine echte Stube zu haben (oben): der Esstisch aus Ahorn mit einem Schüsselbord voll G ­ mundner Keramik (rechts oben) und dem Herrgotts­ winkel. Rechte Seite: alte Lederfauteuils im Wohnzimmer. Unten: ein oberösterreichi­ sches ­Bauernbett und ein Renaissance-­ Hängeschrank aus dem Bregenzer Wald.


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„Wir wären nie zusammengekommen, wenn meine Frau nicht diesen Zugang zur Welt der Schönheit hätte“, sagt der Hausherr.

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das gemeinsame Faible fürs Sammeln schö­ ner Sachen. Ein paar Blicke weiter steht eine Lampe, der man das Ungewöhnliche gleich ansieht: Sie war nämlich einmal eine Altar­vase. Anton Figl selbst hat sie vor vielen Jahren mittels Schirm und Birne erleuchtet. Daneben die Figur der heiligen Anna, die ihre Tochter Maria und das Je­ suskind im Arm hält. „Das stammt ungefähr aus dem Jahr 1480“, weiß der Hausherr.

fotos: xxxxxxx

DIE SCHÖNHEIT STECKT IN VIELEN DETAILS

Was einmal ein zugiger Hühnerstall war, ist heute eine schöne und funktionelle Küche mit herrlichem Gartenblick. Die hat vor allem Anton Figl selbst im Griff. Genauso wie die­­Blumendekoration. „Vielleicht liegt’s daran, dass ich mit der Familie Lederleitner verwandt bin“, scherzt der Hausherr. Ein barocker Esstisch und ein Gasthaustisch aus dem 19. Jahrhundert beweisen freilich, dass es auch hier nicht ohne Antiquitäten geht.

Die Figls wissen über jedes Stück ihrer Sammlung exakt Bescheid. Und – großer Vorteil – sie haben beide den haargleichen Geschmack! „Wir wären nie zusammen­ gekommen, wenn Doris keinen Zugang zu dieser Welt der Schönheit hätte“, sagt Anton Figl und nickt bestimmt mit dem Kopf. Ja, es ist der Gleichklang verwandter Seelen, den man in diesem außergewöhnlichen Haus in der weiteren Umgebung von St. Pölten in je­ der Ecke spürt. Und um die ganze Geschich­ te zu begreifen, muss man ein bisschen zu­ rückschauen, in Anton Figls Kindheit. Ab seinem 4. Lebensjahr hatten ihn seine Eltern jeden Sommer nach Virgen in Osttirol mitgenommen. Die alten Gehöfte dort mit ihren verstaubten Dachböden waren sein Spielplatz. „Überall hat man alte Dinge gefunden: Spinnräder, Kästen, Truhen aus vergangenen Tagen“, erinnert sich Figl. Eines Tages war es dann so weit: Anton Figl kaufte sich um 300 Schilling seine erste Antiquität – eine Truhe aus dem 18. Jahrhundert, die er bis heute besitzt. Noch im selben Jahr erwarb er einige andere alte Möbel, lieferte sie nach St. Pölten und ver­ kaufte sie wieder. Im Jahr darauf fuhr er schon mit einem Lastwagen voller Antiqui­ täten. Aus der Leidenschaft wurde ein Beruf – das bis heute bei Sammlern hochgeschätz­ te Antiquitätengeschäft der Familie Figl. Wer jetzt glaubt, das private Reich der Familie Figl gleiche einem Museum, ist ➻

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Das gemütliche Wohnzimmer war einst der Kuhstall. Unten links: Eisenkassa aus dem 17. Jahrhundert. Unten rechts: Vorraum mit barockem Vitrinenaufsatzschrank, die Eisentür führt in den Tonnengewölbekeller.

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Die Schlafzimmer-Vertäfelung stand einst im Virgental und ist mit 1813 datiert. Der V ­ orarlberger Schrank (links oben) wurde von einem gewissen ­Gabriel Ignaz Tun bemalt. Der Künstler hat den Spitznamen „Schnapsnasenmaler“ – jede seiner Figuren hat eine rote Schnapsnase. Rechts oben: Spielzeugpferd (ca. 1900), die Krippenfiguren sind noch einmal rund 250 Jahre älter.

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Der Garten von Doris und Anton Figl m ­ acht nicht nur ihrer E ­ nglischen Setterdame Cleo Freude. Unten: ein sogenanntes Fürbankerl von 1800. „Hier saßen die Bauern und haben geschaut, was im Dorf so los ist“, wissen die Hausbesitzer. Unten links: eine stattliche Holzaxtsammlung.

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Um jeden Trakt des Hofes auch bei Regen trocken begehen zu können, bauten Niederösterreichs Bauern einst sogenannte ­Greden. Diese hier haben die Figls liebevoll renoviert.

freilich auf dem Holzweg. Es ist vielmehr ein zutiefst ehrliches Statement frei nach William Shakespeare: „Ein Haus, wie es uns gefällt.“ Wir entdecken neben einer sehr seltenen Melchiorstatue und einem 200 Jahre alten Kasten aus dem Brixental eine Eisenkassa, die am Boden im Wohnzimmer steht. „Die ist aus dem 17. Jahrhundert. Sie lässt sich nur mit sechs Schlüsseln öffnen. Und ich habe noch alle sechs“, erklärt Anton Figl, während er niederkniet und die komplexe Mechanik bedient. Gleich gegenüber dem alten Tresor steht eine Fensterverkleidung aus Sandstein auf dem Boden – er dient als Rahmen für den offenen Kamin. Diese „Steingwend“, wie der 66-jährige Hausherr die Raritäten nennt, „hab ich zufällig einmal wo gefunden, und sie haben genau gepasst.“ Genau so ist die Familie Figl übrigens auch zu ihrem Schlafzimmer gekommen – sie hat’s gefunden, und es hat genau gepasst. Vertäfelung, Fensterrahmen, Holztram – alles wurde aus dem Virgental hierhergeschleppt und liebevoll wieder aufgebaut.

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Die Figls kaufen nicht, sie finden. So selbstverständlich, als hätten die Fundstücke nur eine Bestimmung: Von den Figls entdeckt zu werden.

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„Finden“ ist überhaupt ein Zauberwort im Figl’schen Kosmos. Während unsereins Möbel und Dekorationsutensilien kauft, finden die Figls – dieses und jenes Gemälde, die Kommode dort, das Bankerl da hinten. So selbstverständlich und harmonisch, als hätten die Fundstücke nur eine Bestimmung: von den Figls entdeckt zu werden. Gerechterweise muss man auch sagen: Der Hausherr hat einen Startvorteil. Anton Figl verfügt über ein fotografisches Gedächtnis. Er sieht etwas, er speichert exakt

dieses Bild ab, er weiß ergo auch ganz genau, wo es dazupasst und wo nicht. „Für mich ist das ganz normal“, sagt er und wechselt rasch das Thema. Über sich selbst und seine Talente plaudert er eben nicht so gern. Viel lieber und in aller Ausführlichkeit erzählt er von seiner Leidenschaft für Beschir-Teppiche und davon, dass er zusammen mit seiner Frau die Blumen in Haus und Garten im Griff hat. Wenn man ihn hingegen auf seine verwandtschaftliche Nähe zum StaatsvertragsFigl anspricht, muss man schon ein paar Mal nachfragen, um den leisen Satz zu hören: „Ja, Leopold Figl war mein Onkel.“ Das sind Dinge, die zwar sind, aber nicht so wichtig sind. Wichtig ist, dass man glücklich ist – das vermitteln Doris und Anton Figl glaubhaft. Und dass man hier glücklich sein kann, vermittelt nicht minder glaubhaft dieses wunderbare Haus. 3

ServusTV-Tipp: Das Magazin „Gut leben!“ zeigt jeden Montag ab 18.30 Uhr die schönsten Häuser im Alpen-Donau-Adria-Raum.

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handarbeit

Edith Lummerstorfer (re.) prüft, ob alles fest sitzt. Wenn nicht, wird mit versteckten Helfern nachjustiert. Großes Bild: eine goldbestickte Mädchenhaube und ein Tascherl, die handbemalte Schachtel schützt vorm Vergilben.

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Goldene Hauben und goldene Herzen Eine prachtvolle Tradition feiert fröhliche Urständ: Im oberösterreichischen Vorderweißenbach wird die gute alte Goldhaube mit viel Liebe und Kunstfertigkeit erzeugt. Und später nach strengen Regeln und voller Anmut zur Festtagstracht getragen. Text: Uschi Korda Fotos: Petra Rainer

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eh, Edith, stell einmal dei Haubn auf d’Waag.“ Vorsichtig hebt Edith Lummerstorfer, Chefin des Gasthofs „Kirchenwirt“ im oberösterreichischen Vorderweißenbach, ihre Goldhaube vom Kopf und verschwindet in der Küche. Denn wir wollen es jetzt genau wissen. Ganz schön schwer laste so ein Schmuckstück auf dem Kopf, haben uns die Damen immer wieder versichert und sind jetzt mindestens so gespannt wie wir, wie sich das in Zahlen ausdrückt. „40 Deka genau“, ruft Edith in den Gastraum, also knapp ein hal-

bes Kilogramm, das die Goldhaubenträgerinnen da an hohen kirchlichen Festtagen auf ihrem Haupt balancieren. eine gute Haube steht gerade

Obwohl, balancieren kann man so nicht sagen. Erstens sind die maßgefertigten Stücke so bemessen, dass man sie fest auf den Kopf pressen muss. Mit der Folge, dass man die rote Druckstelle quer über die Stirn oft noch am nächsten Tag gut sehen kann. Und zweitens gibt es natürlich geheime Helfer wie Steckkämme, Haubennadeln und sogar

Lockenwickler, mit denen sich das Prunkstück sicher, aber unsichtbar auf dem Kopf fixieren lässt. „Und zwar bitte so“, erklärt Marianne Mostler, Obfrau der „Goldhauben- und Kopftuch-Gruppe Vorderweißenbach“, „dass der Flügel am Hinterkopf nicht senkrecht in die Höhe steht.“ Idealerweise bildet der goldene Knauf den höchsten Punkt am Kopf, von dem aus die Flügel dann vertikal nach hinten zeigen. „Eine gute Haube“, erklärt Veronika Hehenberger, „erkennst du daran, dass sie am Tisch gerade stehen bleibt und nicht ➻

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Die fertig bestickten Teile werden auf ein Gerüst genäht, das dem Kopf der Trägerin angepasst ist. Allein der prachtvolle Knauf besteht aus 23 Einzelteilen.

Seit den 1970er-Jahren sind die Oberösterreicherinnen in Gold­ haubenvereinen organisiert. Bei den Mustern hält man sich bis heute an traditionelle Vorgaben.

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Die Michi, die Vroni und der Fredi sticken mit Passion (oben v. li. n. re.), wobei der Fredi wohl der einzige Goldhaubensticker in ganz Österreich ist. Zarte Goldblättchen und raue Fingerkuppen vertragen sich nicht so gut, sollte man meinen. Doch der Fredi kann das so versiert wie seine Stick-Freundinnen.

­ mkippt.“ Veronika muss es wissen, sie ist u in der Gruppe mit 130 erwachsenen Mitgliedern und 45 Trachtenkindern eine anerkannte Koryphäe. Flink befestigt sie winzige Pailletten auf einem der 23 Teile, die später zum Knauf zusammengenäht werden. Ihre Kollegin Michaela Hiermann, mit 38 Jahren die jüngste Stickerin der Gruppe, ist derweilen mit dem Besticken eines Hauptteils beschäftigt. Dafür wird zunächst ein 15 × 150 cm großes Band aus vergoldetem Nickelgewebe auf einen Holzrahmen gespannt und dann ein Seidenpapier mit dem aufgezeichneten Muster daraufgeheftet. 300 stunden für eine güldene haube

Jede Stickerin entwirft ihr eigenes Muster, orientiert sich dabei aber an den traditionellen Vorgaben wie Blüten, Blättern, Ähren, Trauben oder Sonnenrädern. Diese bekommen ihre Form mithilfe eines goldenen Seidenfadens und Flitter, Flinserln sowie Perlen aus 18 Karat vergoldetem Kupfer. Allein der Materialwert einer Goldhaube liege je nach Dichte des Musters zwischen 800 und 1.400 Euro, erklärt Obfrau Mostler. Der Arbeitsaufwand von 300 Stunden Mini-

mum kann sowieso nie mit Geld aufgewogen werden. Während bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine ganze Industrie damit beschäftigt war, Material für die güldenen Hauben“ zu erzeugen, und in Wien sogar die Zunft

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Die Trägerin ist ein Vorbild an Anmut. Deshalb darf sie sich auch nicht wie ein Christbaum aufputzen oder die Nägel lackieren.

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des „Flinserlschlagers“ entstand, werden die Stickerinnen im 3. Jahrtausend nur mehr von einigen wenigen Lieferanten bedient. für ledige gibt’s mädchenhauben

Seit dem 13. Jahrhundert, erzählt Marianne Mostler, werden Hauben mit Gold bestickt. Später, im 18. Jahrhundert, entwickelte sich dann die edle Form, die heute als „Lin-

zer Goldhaube“ im oberösterreichischen Raum bis hinein ins Salzburgerische zum Tradi­tionsgut gehört. Zunächst wurde sie nur von den Hausherrinnen des reichen Industrie-Adels zum Sonntagsstaat getragen, später werteten auch die Bürgersfrauen ihre Festtagstracht mit einer Goldhaube auf. Nur die Verheirateten wohlgemerkt, denn erst wer unter der Haube war, durfte eine solche auch aufsetzen. Alle anderen mussten sich mit einem einfachen Mädchenhäubchen ohne Flügel und Knauf als Ledige zu erkennen geben. So streng sieht man das heute nicht mehr, ab 18 darf man sich mit einer echten Haube zeigen. Die Urmutter aller Goldhauben

Die älteste Goldhaube der Gruppe Vorderweißenbach stammt aus dem Jahr 1748 – eine sogenannte Bodenhaube, die Urmutter aller Goldhauben und mit echtem Gold bestickt. Dass dieses Familienerbstück von Inge Gartner heute noch so glänzt, verdankt es einer liebevollen Behandlung. Damit sie nicht oxidiert und stumpf wird, wird das gute Stück in säurefreies Papier gewickelt und in einer kunstvoll b ­ emalten ➻

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Inge Gartner (re.) hat ihre Bodenhaube aus dem Jahr 1748 geerbt. Es ist die Urform der Goldhaube noch ohne ­Flügel. Maria Sonnberger (li.) ist mit 86 Jahren die älteste Goldhauben­ trägerin in Vorderweißenbach. Unten: Obfrau Marianne Mostler mit ihrem Enkerl, das selbstver­ ständlich eine goldbestickte ­Babyhaube trägt.

Die oberösterreichischen Goldhauben-Gruppen Genau heißen sie „Oberösterreichische Goldhauben-, Kopftuch- und Hutgruppen“, da alle drei Kopfbedeckungen Bestandteil der Festtracht sind. Die Goldhaube gehörte bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Sonntagsstaat, geriet dann jedoch in Vergessenheit. Erst in den 1970er-Jahren erlebte das Prunkstück eine Renaissance, es wurden erste Stickkurse veranstaltet, und die Frauen organisierten sich in Gruppen. 1976 übernahm Anneliese Ratzenböck 120 Gruppen mit 2.000 Mitgliedern, heute sind es 440 Gruppen mit 18.000 Frauen,

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die von Martina Pühringer geleitet werden. Diese große Frauengemeinschaft möchte unter dem Motto „Schönheit ins Leben tragen“ die Volkskultur pflegen und die Tradition des Goldhaubenstickens weitergeben. Das alleine ist den Frauen allerdings zu wenig, sie sind auch sozial stark engagiert. Das bei Festen, Märkten und Verkaufsausstellungen erlöste Geld wird für soziale Zwecke und für Menschen in Not gespendet. Die Organisation gilt heute als größter Privatspender in Oberösterreich. www.ooe-goldhauben.at


Ausgerückt wird an hohen kirchlichen Festtagen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen. Bei Letzteren wird anstelle der Goldhaube eine schwarze Perl­ haube getragen. Die kleine Oberösterreicherin bekommt zunächst eine Mädchenhaube, nach der Hochzeit darf sie eine echte mit Flügel tragen. Damit das Gold noch lange schimmert, werden die Hauben in säurefreies Papier gewickelt und in bemalten Holzschachteln aufbewahrt (re. u.).

­ olzschachtel aufbewahrt. Letztere gehört H zur Standardausrüstung der Goldhaube, genauso wie das richtige Kleid. Wie dieses auszusehen hat, variiert natürlich von Gegend zu Gegend, niemals aber ist es ein Dirndl. Bodenlang muss es sein, sagt Marianne Mostler, aus ungemustertem oder in sich gemustertem Seiden- oder Brokatstoff, und in Vorderweißenbach werde es ohne Schürze getragen. Dazu kommen Handschuhe, ein bestickter Beutel, einfache schwarze Schuhe und ein Schirm aus Spitze, falls es einmal tröpfelt. sturm und regen sind die ärgsten feinde

„Bei Sturm und Regen“, sagt Marianne Mostler „rücken wir einfach nicht aus. Da werden nur die Hauben kaputt.“ Wird aber ausgerückt, gilt es, ein paar Regeln zu beachten. Oberstes Gebot: Die Goldhaubenträgerin darf nicht laufen, sie muss schreiten. Und das nicht allein, sondern mindestens zu zweit. Ebenfalls verpönt: mit der Haube auf dem Kopf essen oder trinken.

Schließlich soll die Trägerin ein Vorbild an Anmut, gutem Benehmen und christlicher Nächstenliebe sein. Deshalb darf sie sich auch nicht wie ein Christbaum schmücken oder gar die Fingernägel lackieren. Fredi, der Hahn im Korb

Um all diese Dinge braucht sich Manfred Lehner nicht wirklich zu kümmern. Nicht nur, dass er in der Gruppe Vorderweißenbach als Hahn im Korb und Schmähführer für Stimmung sorgt, ist er vermutlich auch der einzige Goldhaubensticker Österreichs. Aus Leidenschaft und als persönliches Anti-Stress-Programm. Vor 10 Jahren habe er seinen ersten Goldhauben-Stickkurs besucht, erzählt der hauptberufliche Türenmacher mit ausgeprägtem Sinn für zarte Handarbeit. Eine seiner Türen mit Elfenbein-Intarsien ist im Besitz von Queen Elizabeth, darüber hinaus stickt der gute Mann auch noch Bilder in Kreuzstichtechnik. Auf die Goldstickerei aber sei er richtig süchtig, sagt Lehner, den alle Fredi rufen.

Ausdauer brauche man, ja, und Geduld und klarerweise gute Augen plus Licht. ­Ansonsten ist das Handwerk auch mit einem derberen Männerfinger durchaus machbar, wie uns Manfred Lehner ­eindrucksvoll und ohne Zitterer vorführt. Gestickt wird normalerweise zu Hause, einmal im Monat trifft sich die Gruppe im Wirtshaus. Da werden die nächsten Ziele sowie die Organisation von Festen und Verkaufsmärkten besprochen. Die Goldhaubengruppe Vorderweißenbach produziert nämlich nebenbei auch gemeinsam Marmeladen, Liköre, Heilsalben und vieles mehr, deren Erlös zur Gänze in wohltätige Projekte investiert wird. „Denn“, so Obfrau Marianne Mostler, „wir haben nicht nur goldene Hauben, wir haben auch ein goldenes Herz.“ 3 ServusTV-Tipp: In „Hoagoascht“ stellt Bertl Göttl jeden Freitag um 19.45 Uhr Bräuche und volkskulturelle Kostbarkeiten vor.

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Handwerkskunst

­ er D Geigenflüsterer

Eduard Kugler hat sich das Geigenbauen selbst beigebracht. Und ist dabei den Geheimnissen Stradivaris auf die Spur gekommen. Porträt eines Klang-Alchimisten.

A

m Anfang war die Wut“, sagt der Kugler Eduard. Er weiß natürlich, dass Schöpfungsgeschichten meist anders beginnen­– tiefgläubig, wie er ist. Gerade­deshalb mag er auch keine verklärten Anekdoten­ über jenen Nachmittag im Jahre 1958 verbreiten, an dem er, gerade 23 und Schneider von Beruf, zum Geigenbauer wurde. Der Südtiroler gibt sogar zu, dass sich erwähnte Wut aus einer veritablen Selbstüberschätzung speiste. Denn er haderte­ damals nicht etwa mit sich selbst. Sein Zorn galt der Violine, auf der zu musizieren ihm auch nach Jahren des Übens nicht recht gelingen wollte. „Mein Spiel klang erbärmlich. Und das“, erinnert sich der Eduard, „konnte für mich nur einen einzigen Grund haben: Mit der vermaledeiten Geige musste etwas nicht ­stimmen. Also machte ich mich daran, sie zu verbessern.“ Der Traum von einer kleinen Revolution

Weil der Schlanderer aber äußerlich nicht wirklich einen Fehler an seiner ein paar Jahre zuvor für 1.000 italienische Lire – dem vom Munde abgesparten Gegenwert von etwa 100 Semmeln – erstandenen Violine entdecken konnte, nahm er sie auseinander. Nur um in ihrem Korpus „außer Luft nichts Bemerkenswertes zu entdecken“. Also kaufte er sich Bücher über Geigen und das entsprechende Werkzeug. Und als er glaubte, genug zu verstehen, begann er, sein erstes Saiteninstrument zu erschaffen. Und zwar eines, das nicht mehr und nicht weniger tun sollte, als die 500-jährige Schule des Geigenbaus zu revolutionieren.

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Text: Daniela Schuster Fotos: Dieter brasch

Um es kurz zu machen: Die Schöpfungsgeschichte der ersten Kugler-Violine endete mit „Und er sah, dass es nicht gut war“, einem zerschlagenen Prototypen aus nur zwei Korpusteilen in Birnenform und der wichtigen Erkenntnis, „dass man immer zuerst beherrschen sollte, was die Alten schon gemacht haben, ehe man einen Schritt weiter tut. Das Problem: Vieles ist nicht schriftlich überliefert, weil es damals so selbstverständlich war wie die Prise Salz in jedem Essen. Doch ohne Salz schmeckt es eben nicht richtig.“ Ein Experiment, das 400 Stunden dauert

In seinen nun 75 Lebensjahren hat der Eduard freilich mehr als nur einen Schritt weiter getan. Und auch wenn er Stradivari bis heute nicht eingeholt hat – „Gäbe es ein Patentrezept für die perfekte Konzertgeige, dann hätten die Söhne von Stradivari ebenso gute Instrumente gebaut wie ihr Vater“ –, so ist er doch vielen seiner Geheimnisse durch fast alchimistische Experimente mit Holzarten, -stärken und -massen, Grundierungen und Lackierungen, Umrisslinien und Wölbungskurven zumindest auf die Spur gekommen. So lässt er das Fichtenholz wie die Cremoneser Geigenbauer nur im Latemargebiet schlagen, oberhalb von 1.500 Höhenmetern („Kurze Wärmephase, langsames Wachstum“) und nur um den 22., 23. Dezember herum, damit die Äste, die noch bis April am Baum bleiben, den Saft aus dem Stamm saugen können. Seine fertigen, noch unlackierten ­Geigen hängt der Eduard für ein Jahr in die ­Sonne,

damit sie trocknen und bräunen. Und dass man Geigenbögen früher ins Plumpsklo hängte, damit sie die Ammoniakgase schön rot färben, weiß er auch. An der Entschlüsselung der Lackrezeptur, die die italienischen­Großmeister verwendeten, tüftelt er hingegen noch. Natürlich hat er auch seine eigenen Ideen hartnäckig verfolgt und inzwischen „mindestens zehn Dinge an den Geigen verändert“­– von den Klötzchen aus Hartholz, das nicht springt, bis zur griffigeren Gestaltung der Wirbel. „Jede Geige ist ein Experiment“, sagt der Eduard. Ein 200- bis 400-StundenExperiment. Und während das erste noch misslang, darf man spätere als mehr als gelungen betrachten: Kugler-Geigen zeichnen sich durch einen schönen, kräftigen, großen Ton mit vielen Obertönen auf allen Saiten aus und durch leichteste Ansprache sowohl im Pianissimo als auch im Fortissimo – was etwa bei der „Triennale Internazionale degli Strumenti ad Arco 1982“ auch offiziell bestätigt wurde. 500 Streichinstrumente wurden damals aus aller Welt zur Ausstellung in Cremona eingesandt. 200 schafften es in die Schaukästen. Eine Kugler’sche Violine war auch darunter. Die hohe Schule des Tüftelns

Dies wäre sicher der ideale Zeitpunkt gewesen, sich ganz dem Geigenbau zu verschreiben. Doch weil den Eduard Titel nie so interessiert haben wie das Tüfteln, ist es bei einem Hobby geblieben. Einem von vielen im Übrigen: So nebenbei hat der Eduard auch noch ein Tretflugzeug gebaut, unge➻


Eduard mit einem unlackierten Geigenkorpus. In diesem allein stecken 150 Arbeitsstunden. Wenn die Violine ihren Hals erhalten hat, wird der Geigenbauer sie für ein Jahr in die Sonne hängen, zum Trocknen und Bräunen. Der Steg (unten Mitte) wartet schon auf seinen Einsatz.

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Die Schöpfungsgeschichte der ersten Kugler-Violine endete mit der Erkenntnis: Du musst zuerst die Kunst der Alten beherrschen, bevor du einen Schritt weiter tust.

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Seit 50 Jahren experimentiert Eduard mit Holzarten und Holzstärken. Foto unten: Bei aller Ehrfurcht – einiges macht der Eduard anders als Stradivari. Wurden die Saiten bis in die 1920er-Jahre vollständig aus Darm (mit Ausnahme der G-Saite, bei der der Darmkern mit Metall umwickelt wurde) hergestellt, so verwendet man heute gedrehten Stahl oder mit Stahldraht umwickeltes Nylon.

zählte Weihnachtskrippen, ein Schiff und: ein Haus in der Schlandersburgstraße 20. „Vier Kinder brauchten viel Platz, doch als Kunstlehrer hatte ich wenig Geld. Als ich erfuhr, dass die Arbeitszeit 70 Prozent der Gesamtkosten beim Hausbau ausmachen, habe ich viele Maurer- und Zimmermannssachen selbst übernommen und das Ofensetzen gelernt. 39 Jahre später, zu Weihnachten 2010, habe ich die letzte Tür eingehängt.“ zwei tugenden und viele Talente

Genügsamkeit und Geduld – das sind zwei Eigenschaften, die der Südtiroler bereits in frühester Kindheit erworben hat. Mehr als einen Zeisig im Käfig konnte der damals 4-Jährige 1939 nämlich nicht mitnehmen, als seine Familie während der Optionszeit nach Österreich auswandern musste. Und beide Charakterzüge haben, neben dem Umstand seiner Geburt („Ich wurde in einer Regennacht geboren. Ein schlechtes Omen für abergläubische Leute. Ich aber habe eine ungünstige Situation als Anregung empfunden, etwas Positives daraus zu machen“), wohl dazu beigetragen, dass er aus der Not nicht nur eine Tugend machte, sondern auch Talente entwickelte. Zunächst lernte der Eduard das Zeichnen. „In Mauterndorf“, erinnert er sich, „war das Klima rau und ich oft krank. Also vertrieb ich mir die Zeit im Bett mit dem Malen.“ Später, als er nach Kriegsende mit Großmutter, Mutter, Schwester und Schleppern über die Berge nach Südtirol zurückgewandert war, lernte er das Schnitzen. Woran die Kühe schuld sind. Denn die weideten gar so friedlich am Berg über dem Pustertaler Winnebach, dass es dem Jungspund bald fad wurde, viehhütend zum Familieneinkommen beizutragen, und er sich zum Zeitvertreib ein Stück Holz schnappte. „Das Malen und das Schnitzen ließen in mir den Wunsch wachsen, Bildhauer zu

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Es gibt Geigenbauer, die haben für fast jedes Teil ihrer­Instrumente eine Schablone, der Eduard hat nur einige wenige (links). Vieles hat mit Gefühl zu tun, und das lässt sich nicht ausmessen. Seine Zeichnungen hat er in Fachzeitschriften veröffentlicht. Unten: Der Boden einer Kugler-Geige besteht aus mindestens 20 Jahre gelagertem Fichtenholz, das er im Latemargebiet schlagen lässt.

werden.“ Doch weil’s der Familie damals nicht gutging, musste der Eduard die erstbeste Lehrstelle annehmen: Er wurde Schneider. Fast 18 Jahre übte er den Beruf aus, bei einem Wettbewerb der italienischen Jungschneider wurde er sogar Vierter. „Ich war nie ein guter Geschäftsmann und konnte deshalb nie den rechten Preis für meine Arbeit erzielen. Aus diesem Grund wurde ich erst Aushilfslehrer und dann Kunstlehrer in Schlanders.“ Die Liebe zur Experimentiererei ließ ihn freilich niemals los. Weshalb der E ­ duard nicht nur 23 Geigen mit so klingenden Namen wie „Jubilate Deo“, „Gloria“ und „Arundel“ gebaut hat, sondern auch drei Gitarren, drei Cellos, sechs Bratschen und

eine kleine Viola mit verkürztem Korpus. Einige wenige hat er verkauft. Nicht weil sie auf mangelnde Begeisterung stießen. Im Gegenteil. Selbst Meister ihres Fachs wie Praful U. Mitterstainer sind von den Kugler’schen Instrumenten­angetan. Doch der Eduard kann sich eben nur schwer von seinen Geigen trennen: „Sie sind wie meine Kinder. Und es fällt mir schwer, sie fremden Menschen anzuvertrauen.“ Die geheime Prise salz

Deshalb kann man in der Schlandersburgstraße 20 auch kaum ein Kastentürl öffnen, ohne dahinter ein Streichinstrument zu finden. Oder, wie der Eduard sagt: Kapital. „Gute Geigen verlieren nicht an Wert.“ Seine Kinder und Enkel werden einmal

nicht nur ein großes finanzielles Erbe antreten, sondern auch ein geistiges. Denn seine Erkenntnisse aus über 50 Jahren Geigenbauforschung hat der Eduard auch niedergeschrieben – im Buch „Geigenbau – Die Faszination“. Darin steht fast alles, was er anders gemacht und über die Techniken der alten Geigenbaumeister in Erfahrung gebracht hat. Auf dass nie jemand eines seiner Instrumente auseinandernehmen muss, um hinter das Geheimnis der Kugler-Geigen zu kommen. „Meine Prise Salz werde ich allerdings nie verraten.“­3 Eduard Kugler: Schlandersburgstraße 20, 39028 Schlanders, Südtirol. http://geigenbau.kugleronline.com

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Land & Leute

Herr Kniewasser geht auf einen Auerhahn Vor der Morgendämmerung, wenn es im Wald noch stockfinster und still ist, beginnt sein einzigartiges Liebeswerben. Dann balzt der Auerhahn. Förster Horst Kniewasser nahm uns mit zu einem Schauspiel, bei dem man zwischendurch aufs Atmen vergisst. Text: Harald nachförg Fotos: peter Podpera

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fotos: Imago

Aufgeplustert und mit gefächertem Stoß will der Auerhahn den Hennen imponieren. Auch wenn Förster Horst durchs Fernglas schaut – er weiß auch ohne Feldstecher, wo der Hahn eingefallen ist. Und der Zeus, sein Hund, hält brav still.

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I

Gut, dass ich mir auch meine Wollhaube noch aufgesetzt hab, denke ich. Die feuchte Kälte kriecht mittlerweile selbst durch meine zweite lange Unterhose. Ich friere. Es riecht zwar nach Frühling, aber in der Luft liegt auch noch Schnee, der scharf in der Lunge brennt und die Knochen kalt werden lässt, so, wie ich jetzt da sitze. Am Boden. Im Wald. Das Metall des alten Feldstechers fühlt sich eisig an in meinen Händen. Trotzdem. Nur nicht bewegen, hat uns der Horst eingebleut. Auerhähne sind schreckhaft. Es genügt ein Uhu irgendwo in der Nähe – und sie machen sich dünn. Ich mein, ein ausgewachsener Auerhahn hat rund fünf Kilo. Aber ein Uhu erledigt ihn. Der geht sogar einen Fuchs an, wenn er Hunger hat. Der Horst würde das sicher waidmännischer formulieren, keine Frage. Er ist ja auch Jäger. Jedenfalls hocken wir – Peter, der Fotograf, und ich – nun bewegungslos zwischen den fetten Wurzeln einer Lärche und warten. Der Horst, auf seinen Pirschstock gelehnt, steht da wie eine Statue.

II

Es war Mitte April. Da rief er mich an, der Kniewasser Horst. Der pensionierte Revierförster aus Fuschl, der mit dem Wald und der Natur eine kugelrunde Einheit bildet wie Yin und Yang, hatte mir im Zuge eines tiefen Gesprächs übers Holzschlägern vom einzigartigen Naturschauspiel der Auerhahnbalz erzählt – und da wollte auch ich unbedingt einmal dabei sein. Weil Ende April, Anfang Mai, je nach Witterung und Höhenlage, die beste Zeit dafür ist, machten wir also ein Treffen aus. „Kummst so um sechs am Abend“, sagte er. „Vielleicht haben wir ja Glück und sehen was.“ Das Wetter spielte schon einmal mit. Es war zwar frisch, als wir an seine Tür klopften, aber wir setzten uns trotzdem an den großen Holztisch im Garten, um erst einmal ein bissl in Theorie unterrichtet zu werden – und wie man sich im Angesicht des liebestollen Vogels zu verhalten hat. Man darf sich das freilich nicht als trockene Schulstunde vorstellen. Der Horst, der mit seinem weißen Bart ein bissl aussieht wie Hemingway, ist ein großer Erzähler und sprüht vor Witz. Und so erfahren wir nicht nur, dass die Balz-Arie des Auerhahns, auch Gsetzl genannt, aus vier Teilen besteht – erst dem Glöckeln oder Knappen, dann dem Triller, der übergeht in den Hauptschlag und schließlich im Schleifen, der Ekstase, endet –, sondern auch, dass wir unser Bier zum Anstoßen in die andere Hand nehmen sollen. Weil: „Warum prosten sich Jäger mit dem Glas in der linken Hand zu? Weil sie mit der rechten die Leber halten müssen!“, lacht der Horst und stuppt sich ein Häufchen Schnupftabak auf den Handrücken. Geschmacksrichtung: Gletscherprise. Danach ist der 67-Jährige fast ein bissl süchtig, seit er mit dem Rauchen aufgehört hat. Aber wir dürfen uns nicht verplaudern. Wir müssen aufbrechen. Zeus, der siebenjährige Bayerische Gebirgs­schweißhund, ist auch schon aufgeregt.

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Der Horst, der mit seinem weißen Bart ein bissl aussieht wie Hemingway, erzählt von der Balz-Arie: Zuerst kommt das Glöckeln, dann der Triller, dann der Hauptschlag – und am Schluss das Schleifen, bei dem der Hahn völlig ­weggetreten ist vor lauter Liebesrausch.

fotos: xxxxxxx

Die Jagd ist seine große Leidenschaft. Und den ­Auerhahn verehrt er ganz besonders – wie man an Horst Kniewassers Haus (li. o. und li. u.) sowie der F ­ igur in seinem Garten (u.) sieht.

III

Ich beweg mich jetzt trotzdem. Vorsichtig zwar, aber sonst krieg ich einen Krampf. Meine Jacke raschelt. Sonst ist nun nichts mehr zu hören. Finsternis hat den Wald eingehüllt. Und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, seit das Vogelgezwitscher in der Dämmerung verstummt ist. Ein Konzert übrigens, dessen Teilnehmer der Horst genau auseinanderhalten kann. „Drossel, Schnepfe, Rotkehlchen …“, hat er mir zugeflüstert. Und das Bellen? Der Zeus war’s nicht. Der liegt regungslos und stumm neben uns. „Das war ein Reh“, grinst der Jäger ob der Schweinsohren des Städters. „Es hat geschreckt.“ Hätte es die Witterung eines Menschen aufgenommen, es wäre lautlos im Dickicht davongesprungen. Aber es kannte sich nicht aus. Es spürte nur die Gefahr und dann, so nimmt es zumindest der Laie wahr, bellt es. Jetzt aber Totenstille. Das Einzige, das die Ruhe des Waldes stört, ist der Schall der Flugzeuge, die ab und zu im blauschwarzen Himmel blinken. ➻

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Auerhähne sind sehr wählerisch, was ihren Lebensraum ­betrifft. Sie brauchen eine nadelbaumreiche Gegend mit ­Bodenvegetation. Der Wald darf nicht allzu dicht sein, weil sie schwerfällige Flieger sind. Und Menschen sollten auch nicht stören. So wie hier im Revier Wildmoos.

Was dem Hahn die Heidelbeeren, ist dem Horst der S ­ chnupftabak. ­Geschmacksrichtung: Gletscherprise. Wir schmelzen bei einer Jause mit Gselchtem und Hirschcarpaccio (u.).

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SchieSSen, jetzt? Das macht ein verantwortungsvoller Jäger nur einmal im Leben.

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Der Horst ist höchst konzentriert. Er hört es, wenn ein Auerhahn einfällt und sich im Geäst niederlässt. Ein leichtes Rauschen in der Luft, und er ist im Bilde.

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fotos: xxxxxxx

Der Horst ist nicht nur eins mit dem Wald. Er ist auch ein großer Erzähler. Ihm zuzuhören bildet. So wissen wir jetzt, dass ein Uhu sogar einen Fuchs anfällt, wenn er Hunger hat. Und dass Rehe bellen, wenn sie erschrecken.

Endlich im Warmen. Es ist ungefähr zehn Uhr abends, und in der gemütlichen Stube der Kniewassers wartet bereits eine Jause auf uns. Hermine, Horsts Frau, hat Bauernbrot, Butter, Käse, Gselchtes, Paprika, Gamswurst und Hirschcarpaccio aufgetragen. „Bis jetzt ist alles gut verlaufen“, berichten wir. Schließlich ist es vorerst nur darum gegangen, ob überhaupt ein Auerhahn einfällt. Der größte Hühnervogel Europas sucht sich dann nämlich einen Balzbaum, und mit viel Glück meldet er auch noch einige Gsetzl, bevor er einschläft. Die richtige Balz beginnt erst vor dem Morgengrauen. Viel mitgekriegt hab ich ehrlich gesagt nicht. Ein bissl Knistern, das Knarren der Zweige im Wind … „Zwei ­waren es. Der eine hat sich ziemlich nahe bei uns niedergelassen. Der andere ein Stück weiter oben am Hang“, sagt der Horst, während wir uns über das Carpaccio hermachen und den Förster staunend anschauen. Morgen, wenn uns der Horst im stockfinsteren Wald direkt unter den Balzbaum führen wird, wird uns überhaupt die Kinnlade runterfallen. Jetzt trinken wir erst einmal einen guten Roten und vertiefen unser Wissen. Wir erfahren, dass so ein Gsetzl etwa sechs Sekunden dauert und dass die Balz-Arie im günstigsten Fall über eine Stunde lang wiederholt wird. Ebenso, dass der Vogel, wenn er misstrauisch wird, nach dem Triller aufhört. Vernimmt er da ein verdächtiges Geräusch oder eine Bewegung, „reitet er ab“, er fliegt davon. Das heißt: Am besten, wir erstarren zu Salzsäulen, wenn wir zu ihm vorgedrungen sind. Dann können wir nämlich auch noch den Hauptschlag hören, „das klingt, wie wenn man eine Flasche entkorkt“, erklärt uns der Horst. Und dann die Ekstase, das Schleifen, das dem Schleifen einer Sense ähnelt. Da kann man sich dann ­bewegen. Da ist der Vogel völlig weggetreten, und das ist auch der Moment, der ihn das Leben kosten kann. Denn da versucht man, ihn zu schießen. Was ein verantwortungsvoller Jäger aber nur einmal im Leben macht. Zu selten und wertvoll ist der Vogel, als dass man sich nur um der Trophäe willen das Erlebnis ein zweites Mal gönnen würde. „In 40 Jahren hab ich einen erlegt, bei elf Abschüssen war ich dabei“, sagt der Horst. Man achtet das Tier, das ohnedies immer seltener wird. „Rund 2.700 Stück gibt es in unserem Bun➻

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Während der liebestolle Vogel taub und blind wird, sinken wir rasch zu Boden.

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desland nur mehr“, verrät uns Martin Kniewasser, der Sohn von Horst, der seine Diplomarbeit über die Rau­ fußhühner im Land Salzburg gemacht hat. Auch, weil der ursprüngliche Lebensraum der Vögel immer kleiner wird. Auerhähne sind sehr wählerisch. Nur in nadel­ baumreichen Gegenden mit Bodenvegetation, vor allem Heidelbeeren, ihrer Lieblingsnahrung, fühlen sie sich wohl. Und allzu dicht darf der Wald auch nicht sein. Auerhähne sind lausige, schwerfällige Flieger, die Übersicht brauchen und sich lieber am Boden bewe­ gen. Darum muss, zu guter Letzt, der Wald, in dem sie anzutreffen sind, auch noch ein von Menschen nahezu unberührtes Naturparadies sein. So wie das Revier Wildmoos, in das wir den Horst begleiten dürfen und das hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen liegt, mehr sei hier nicht verraten. Wie ein Auerhahn schmeckt, ist dagegen kein Geheim­ nis. „Man kocht ihn vier Stunden, macht aus dem Was­ serl eine würzige Suppe und haut den Hahn beim Fens­ ter raus“, scherzt der Horst. Also ungenießbar, der Kerl. Wenn man schon einen schießt, dann lässt man ihn ausstopfen. Früher war das freilich anders. Detto die Jagdgesellschaften, die zur hohen Jagd aufbrachen. „Der Baron und die Rösser waren in einer Waldhütte un­ tergebracht, Köche und Jäger in einer zweiten“, gibt uns der Horst Nachhilfe in Geschichte. Und in Naturkunde. Mittlerweile hat sich nämlich auch die Hermine zu uns gesellt, die aus der neunblättrigen Zahnwurz eine Sal­ be herstellt, die bei Gelenksschmerzen wahre Wunder wirkt. Genauer gesagt aus der Wurzel, die wie ein En­ gerling aussieht und die der Horst für sie ausgräbt. Was gar nicht so leicht ist, so fest, wie sie im Erdreich steckt. Stundenlang könnten wir noch so reden. Aber es ist höchste Zeit für ein letztes Schnapserl. Immerhin ist es schon kurz über Mitternacht, und ein wenig schlafen sollten wir auch noch, bevor wir den Höhepunkt der Balz beobachten. Also: prost! Und gute Nacht!

V

Dreiviertel vier. Wach ist anders. Zeus hebt sein Hinterteil in die Höh, schiebt die Vorderpfoten nach vorne, streckt sich – und ist fit. Ich beneide den Hund, der uns gleich schwanzwedelnd umkreist und, vom Jagdfieber gepackt, ins Auto springt. Wir rumpeln über eine elendslange Forststraße, und würde ich nicht auf­ merksam jeden Baum und Strauch anstarren, der im Scheinwerferkegel auftaucht, ich würde sofort wieder einschlafen. Zum Glück sind wir bald da. Wie ausge­ macht drücken wir nach dem Aussteigen die Türen des

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Der größte Hühnervogel Europas vollführt hoch oben im Balzbaum sein Liebesspiel (o.). „In diesem ­Augenblick musst du zur Salzsäule erstarren“, gemahnt der Horst, der hier gerade die Wurzel der neunblättrigen Zahnwurz ausgräbt. Seine Frau macht daraus eine Salbe, die bei Gelenksschmerzen hilft.


Der Hahn bei der Bodenbalz. Er hat jetzt das Hundertfache seines Testosteron-Normalwerts und springt bis zu zwei Meter hoch, um der Henne zu imponieren. Foto oben: Horsts Schnupftabakdosen.

Das Ende einer atemberaubenden Nacht. Zwei Klare zum Frühstück.

Geländewagens vorsichtig zu. Jeder Laut kann uns um das einzigartige Balz-Schauspiel bringen. Jetzt sind auch der Peter und ich hellwach. Die Nacht ist kalt, aber sternenklar. Mildes Licht lässt uns zumindest die Umrisse der Bäume erkennen. Und es muss unser Urinstinkt sein, der uns davor bewahrt, über Wurzelwerk oder auf dem Boden liegende Äste zu stolpern. Der Horst geht so zielstrebig voran, als würde er sich mittags Schnupftabak aus der Trafik holen. Plötzlich bleibt er stehen. Wir auch. Ein Birkhahn, das ist die kleinere und zahlenmäßig noch bei weitem nicht so stark dezimierte Variante des Auerhahns, ist bei der Balz auf bis zu drei Kilometer hörbar, wenn der Wind passt. Ein Auerhahn im günstigsten Fall auf 200 Meter. Wir sind also nah dran. Sein Hauptschlag ist deutlich zu vernehmen. Kaum geht der Hahn ins Schleifen über, machen wir wieder ein paar Schritte. „Wir springen ihn an“, wie der Waidmann sagt. Das geht so lange, bis wir genau unter ihm am Balzbaum sind. Während der liebestolle Vogel ein weiteres Mal vor Ekstase taub und blind wird, sinken wir rasch zu Boden. Peter bringt seine Kamera in Position, ich den Feldstecher in Anschlag. Durchs Fernglas kann ich sehen, wie der Hahn aufgeplustert und mit gefächertem Stoß – das ist, wie wenn ein Pfau ein Rad schlägt – auf dem Ast hin und her schreitet. An den 16 bis 18 Stoßfedern, auch Schaufel genannt, kann übrigens jemand wie der Horst erken­nen, wie alt der Vogel ist: je breiter die Stoßfedern, umso älter. Wir haben mittlerweile das Atmen eingestellt. Nur darauf bedacht, auch noch den absoluten Höhepunkt des Spektakels zu erleben. Denn da sollte der Vogel sein majestätisches Gehabe auch auf dem Boden vollführen. Und um eine Henne „treten“, also begatten zu können, sein theatralisches Gehabe mit bis zu zwei Meter hohen Sprüngen vollenden. In einem einzigartigen Sinnesrausch, der den Vogel, dessen Testosteronspiegel nun das Hundertfache seines Normalwerts erreicht hat, für alle Hennen zum begehrtesten Liebhaber des Waldes macht. Und schon zuckt er mit den Flügeln, breitet sie aus, hebt ab, flapp, flapp, und – kommt auf uns zu, nein, flüchtet schwerfällig in einem Bogen über die Wipfel … Inzwischen hat das Morgenlicht den Wald milchig blau eingefärbt. Rotkehlchen, Drossel, Amsel und all die anderen Sänger begrüßen aufgeregt den neuen Tag. „Irgendwas hat ihn irritiert. Das war’s“, sagt der Horst, während wir steifgefroren aufstehen. Peter und ich schweigen. Wir fühlen uns nicht um ein Naturschauspiel betrogen. Wir haben einem beigewohnt.

fotos: Imago xxxxxxx

vi

Als wir auf dem Heimweg noch ein wenig im Revier herumstapften, flog ein weiterer Auerhahn – der, den der Horst am Vorabend weiter oben am Berg ausgemacht hatte – direkt auf uns zu. Er ließ sich sogar knapp vor uns auf dem Boden nieder. Doch da war die Anspannung schon abgefallen und unsere Geduld verbraucht. Wir bewegten uns zu ungeniert, der Vogel suchte bald das Weite. Wir gingen frühstücken. Hermine brachte uns, was wir jetzt am dringendsten brauchten: einen Schnaps. 3

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