Servus in Stadt & Land 10/2011

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10/2011 &

in Stadt & Land

Wilde Küche

P. b. b., GZ10Z038662M, Verlagspostamt 1140 Wien

herbstastern  &  igel-hotel  &  Kürbisse  & Strudel-Rezepte  &  blätterdruck  & Baldrian  &  trachtenstutzen

Hirsch & Hase, Gams & Reh

2

E i nfac h

.

Gut .

Leben

Hoch am Tauern

Die alten Säumerpfade

2

Oktober 10/2011

EUR 3,90 chf 7,50

Traditionelle Winzerbräuche

goldene Zeit Der Pfeifenschneider vom Traunsee

&

Hirschbrunft am Hochschwab

&

Ein Haus in Gaißau

>


Inhalt 2011

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Oktober

Natur & Garten 12 Herbstastern

Ein Garten voller Blütensterne.

18 Blatt für Blatt

Die Blätterkunde erzählt uns, welches Blatt zu welchem Baum gehört.

24 Die Magie der Vier

Servus-Besuch in Veronika Pitschmanns Hausgarten im Traunviertel.

36 Ideen für den Frühling

Jetzt noch eine Hecke pflanzen, Wegplatten legen oder eine Sitzecke bauen.

40 Das Igelhotel

Ein gemütliches und funktionelles Winterquartier für das kleine Wildtier.

6  Servus

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Küche

Wohnen

50 Von Kugeln, Flaschen und Birnen

84 Zurück in die Zukunft

56 Wilde Zeiten

92 Fundstück

64 Kamptaler Verjus

94 Herbst am Tisch

70 Aufgestrudelt

96 Bilder der Natur

Am Ende der Gartensaison hat der Kürbis seinen großen Auftritt.

Hirsch, Reh und Hase kommen frisch und zart auf den Tisch.

Die Wiederbelebung des grünen Saftes aus unreifen Weintrauben.

Fünf Strudel-Klassiker, die das Herz höherschlagen lassen.

78 Delikate Medizin

Hausgemachtes Sauerkraut.

Ute und Michael Strobl haben sich im letzten Winkel hinter Gaißau einen Lebenstraum verwirklicht.

Wie aus alten Sesselbeinen wunderschöne Kerzenständer werden.

Dekorative Ideen für eine heimelige Herbstjause.

Wir bedrucken alte Leinenvorhänge mit herbstlichen Blattmustern.

fotos cover: luis steinkellner, models: familie rentmeister/amt models, styling: ali rabhani/perfect props danke an: esprit, levi´s, nFIVE, blue tomato, der kleine salon

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fotos: peter podpera, eisenhut&mayer, harald eisenberger, imago, marco rossi, alexi pelekanos, petra benovsky

Standards 102

Land & Leute 102 Lichte Momente

Familie Wainig schenkt dem Licht in ihrer Werkstätte ein würdiges Kleid.

124 Der Pfeifenschneider

Zu Gast bei David Wagner, der in seiner Werkstatt am Traunsee wunderschöne Pfeifen fertigt.

134 Röhrender Herbst

Die Hirschbrunft am Hochschwab, in den Nockbergen und im Bayerischen Wald.

142 Die alten Säumerpfade

Ein Ausflug hoch zu Ross: ins Obere Mölltal zwischen Großkirchheim und Heiligenblut.

Brauchtum 108 Geschichten, die der Wein erzählt

In der Südsteiermark, in Südtirol, im Burgenland und in Niederösterreich: Wo Wein wächst, gedeiht auch das Brauchtum. Ein kleiner Rundblick.

130 Von Stutzen und Wadeln

Lisi Stockinger und ihre Tochter Elisabeth gehören zu den Letzten, die Trachtenstutzen noch in Hand­ arbeit machen.

5 Editorial 8 Leserpost, Mundart 10 Servus daheim 32 Schönes für draußen 42 Der Garten-Philosoph 44 Gartenpflege 46 Mondkalender 48 Natur-Apotheke: Baldrian 68 Aus Omas Kochbuch: Einbrennte Erdäpfel

80 Schönes für die Küche 100 Schönes für daheim 120 Michael Köhlmeier: Das geheimste aller geheimen Märchen

40 Servus im Bauernladen 1 154 Thomas Maurer: Im Wald 158 ServusTV: Sehenswertes im Oktober 162 Feste, Märkte, Veranstaltungen 164 Leben in alten Zeiten 170 Impressum, Ausblick, Bezugsquellen Coverfoto: Luis Steinkellner, Glocknerblick in Großkirchheim

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Natur & Garten

Abschied vom Sommer Ein Garten voller Blütensterne. Die verträumten Farben der Herbstastern bringen gute Laune ins herbstliche Blumenbeet. Dunkle Lavendeltöne, Purpur, Rosa und silbriges Weiß trösten uns darüber hinweg, dass sich das Gartenjahr dem Ende zuneigt. Text: BRIGITTE VALLAZZA

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KISSEN-ASTER Kleine Sterne zeichnen farbenprächtige Teppiche in den herbstlichen Garten. Der deutsche Name dieser Blume ist be­ zeichnend: Dicht an dicht stehende Blüten­ stängel bilden kugelige „Kissen“. Sie sind bedeckt mit so vielen Blütensternen, dass die Blätter kaum noch zu sehen sind. Die kompakten Stauden zählen wohl zu den schönsten Asternformen und werden auch „Buschige Astern“ genannt. Ihre klei­ nen Blütenköpfchen erinnern an Marge­ riten, doch sie erstrahlen nicht nur in Weiß, sondern auch in kräftigen Tönen von Vio­ lettblau, Rosa, Rosaviolett und Purpurrot. Weil sie maximal bis zu 50 Zentimeter hoch wachsen, eignen sie sich für eine Bepflan­ zung im Vordergrund einer Rabatte oder als Beeteinfassung, wo sie einen kompakten Abschluss bilden. Großflächig in einer Rei­ he oder in Gruppen als Bodendecker ge­ pflanzt, entstehen wiederum kräftige Farb­ flecken im Garten. Aus der Vielzahl der Sorten lassen sich also unterschiedlich bun­ te und einfarbige Blütenteppiche zaubern, die man mit Federborstengras auflockern kann. Im Staudenbeet passen Kissenastern gut zu Herbstmargeriten, Prachtscharten, Sonnenaugen und zu niedrigen Goldruten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Asternarten sind Kissenastern blühfreudige Bewohner von Töpfen und Schalen, wo sie am besten allein stehen. ➻

foto: imago

Aster dumosus Standort: Voll sonnig; lehmiger, nährstoffreicher, feuchter Boden (ist jedoch auch trockentolerant); luftiger Platz, um Mehltau zu vermeiden. Pflege: Bei anhaltender Trockenheit gießen (sonst Gefahr von Echtem Mehltau); im Frühling mit Kompost düngen; nach der Blüte kräftig zurückschneiden, alle drei Jahre verjüngen und teilen. Pflanzung/Vermehrung: Jederzeit, solange der Boden nicht gefroren ist; bildet je nach Sorte ­starke oder schwächere Kriechtriebe. Blütezeit: August bis Oktober. Schöne Sorten: A. dumosus „Augenweide“: ­leuchtend violettblau, halbgefüllt, Höhe 25 cm; A. dumosus „Heinz Richard“: leuchtend rot, große Blüten, Höhe 30 cm; A. dumosus „Jenny“: purpurviolett, gefüllt, Höhe 40 cm; A. dumosus „Kassel“: dunkel karminrot, halbgefüllt, Höhe 40 cm; A. dumosus „Schneekissen“: weiß, halb­ gefüllt, Höhe 30 cm.

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MYRTEN-ASTER So zierlich und doch so robust, dass sie die ersten Fröste locker übersteht. Klein und zierlich, erinnern uns diese Blüten in ihrem optischen Auftritt an Gänse­ blümchen. Der filigrane Blütenschleier der Myrtenaster schwebt auf reichlich ver­ zweigten, ausladenden Rispen und verzau­ bert herbstliche Blumenbeete nochmals mit e­ iner Wolke aus Blüten – je nach Sorte in z­ artem Weiß oder in Lilablau. Es gibt aber auch Sorten, die nicht hoch, sondern kriechend wachsen. Etwa die rela­ tiv neue Sorte Aster ericoides „Snowflurry“. Sie entwickelt dicht am Boden liegende Triebe, die zur Blütezeit mit kleinen weißen „Schneeflocken“ bedeckt sind. Die Staude überwächst Mauerkanten, lässt den Steingarten im Herbst noch ein­ mal aufleuchten, bricht Wegkanten optisch oder betont die Vertikale hoher Gräser – und das bis in die kalte Zeit hinein, denn sie übersteht sogar die ersten Herbstfröste problemlos. Myrtenastern – auch Septemberkraut oder Erika-Astern genannt – waren ur­ sprünglich in den nordamerikanischen Prä­ rien daheim. Deshalb sind sie anspruchslos, ver­tragen Trockenheit gut und werden nicht so leicht von Echtem Mehltau befallen. Im Bauerngarten entfaltet die zarte Staude ihre Reize besonders im Zusammen­ spiel mit Prachtscharten, Goldruten oder Präriemalven. Auch zwischen straff auf­ rechten Glattblatt- und Raublattastern­ büschen macht sie sich gut. ➻

Aster ericoides Standort: Voll sonnig; gut durchlässiger, humoser, nährstoffreicher Boden; als Erdschürfpflanzen nicht zu tief in die Erde setzen (Knospen faulen). Pflege: Im Frühling mit Kompost düngen; nach der Blüte kräftig zurückschneiden. Pflanzung/Vermehrung: Aussaat im Frühjahr oder Herbst; zur Erhaltung der Wuchskraft alle drei bis vier Jahre teilen (nach der Blüte) und in frische Erde setzen. Blütezeit: September bis November, bei optimalen Bedingungen sogar bis zum ersten Frost. Schöne Sorten: A. ericoides „Erlkönig“: hellviolett, Höhe 100 bis 120 cm; A. ericoides „Golden Spray“: weiß, Höhe 70 bis 90 cm; A. ericoides „Schnee­ gitter“: weiß, Höhe 100 bis 120 cm.

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fotos: xxxxxxx

fotos:flora press, garden world images


Wie die Astern auf die Erde kamen Astern gehören zur Familie der Astern­ gewächse oder Korbblütler (Asteraceae). Der botanische Name geht auf das griechi­ sche Wort „aster“ für Stern zurück, früher ­wurden sie ihrer strahlenartigen Blüten ­wegen Sternblumen genannt. Der griechischen Mythologie nach sind Astern aus den Tränen der Göttin Astraea, Tochter des Zeus und jungfräuliche Göttin der Gerechtigkeit, entstanden. Sie konnte die unschönen Taten der Menschen nicht ertragen, verließ die Erde und lebte fortan im Sternbild Jungfrau. Zeus strafte die Men­ schen mit einer Flut, die nur ein einziges ­Pärchen überlebte. Dieses wanderte einsam und verloren über die Erde. Astraea blickte voller Mitgefühl auf die beiden und weinte. Dort, wo ihre Tränen auf die Erde fielen, wuchsen Sternblumen. Einer anderen Legende nach entstanden Astern aus Sternenstaub, den die Götter auf der Erde verteilt hatten. Aus ihm wuchsen Blumen, deren sternähnliche Blüten an ihre himmlische Herkunft erinnern.

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Glattblatt-Aster Ihre locker angeordneten Blüten bauschen sich zu einer zarten Wolke auf. Die beliebteste Herbstaster in unseren Gärten­brachten Pflanzensammler Ende des 17. Jahrhunderts aus Neubelgien bei New York nach Europa. Deshalb wird sie auch Neubelgien-Aster genannt. Durch gärtneri­ sche Auslese und Kreuzungen entstand aus den veilchenblauen Wildformen ein großes Sortiment mit kräftig leuchtenden Blauund Rottönen, Rosa, Violett sowie Weiß. Die Aster novi-belgii hat einen buschi­ gen Wuchs und wird 70 bis 150 cm hoch. Die hohen Sorten sind hervorragende Ge­ rüststauden, die im mittleren und hinte­ ren Bereich der Rabatte gepflanzt werden. Ihre ­locker angeordneten Blüten bauschen sich zu einer zarten Wolke auf und verlei­ hen dem Beet Höhe und Großzügigkeit. Sie lassen sich gut mit Bergminze, Margeriten oder Katzenminze und Kissenastern kom­ binieren. Ein herbstlicher Höhepunkt ist zweifellos, wenn niedrige Glattblattastern zusammen mit Gräsern wie Rutenhirse, Lampenputzer- und Federgras blühen. Diese Herbstasterngruppe stellt hohe Ansprüche und ist recht krankheitsanfällig – vor allem neigt sie zu Mehltaubefall. Sie braucht also einen idealen Standort, um gut zu wachsen und reichlich zu blühen. 3

fotos: flora xxxxxxx press

Aster novi-belgii Standort: Kühl und sonnig, vertragen Halbschatten gut; gleichmäßig feuchter, lehmig-humoser, nährstoffreicher Boden, nicht zu dicht pflanzen. Pflege: Bei Trockenheit gut wässern (sonst Gefahr von Echtem Mehltau); im Frühling mit Kompost düngen; im Juni um etwa ein Drittel zurückschneiden (wird dann kompakter und blüht reicher), mit Mehltau befallene Teile sofort entfernen. Pflanzung/Vermehrung: Aussaat im Frühjahr oder Herbst; vermehren sich durch Ausläufer (vier Jahre nach der Pflanzung teilen und versetzen). Blütezeit: August bis Oktober. Schöne Sorten: A. novi-belgii „Bonningdale White“: weiß, halbgefüllt, Höhe 80 bis 100 cm; A. novibelgii „Dauerblau“: lilablau, blüht bis November, Höhe 120 bis 140 cm; A. novi-belgii „Karminkuppel“: purpurrosa, halbgefüllt, 90 bis 110 cm; A. novi-belgii „Rosa Perle“: intensiv rosa, halbgefüllt, Höhe 120 cm; A. novi-belgii „Rosenquarz“: silbrigrosa, feinstrahlig, Höhe 90 bis 110 cm.

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Regionale Rezepte

Wilde Zeiten

Zur prallen Sinnlichkeit des Herbstes gehört der Genuss von Hirsch, Reh und Hase einfach dazu. Und das seit ewigen Zeiten. Das Einzige, was sich geändert hat, ist der Hautgout. Wildfleisch kommt heutzutage frisch und zart auf den Tisch, gekocht nach altbewährten Rezepturen. Redaktion: Uschi Korda, alexander rieder Fotos: Eisenhut & Mayer

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Vorarlberg

Montafoner Hirschragout Der Hirsch ist wegen seiner zarten Fleischstruktur, die gleichzeitig einen kernigen Biss hat, sehr beliebt. Seine edlen Teile – Rücken, Filets und Keulen – eignen sich zum Braten und Schmoren. Ein Klassiker ist das Ragout, das in ländlichen Regionen bei festlichen Tafeln einen Stammplatz einnimmt.

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Tirol

Klare Rehsuppe Das Reh gehört zur Familie der Hirsche und ist in ganz Europa verbreitet. Sein kurzfaseriges, mageres und äußerst zartes Fleisch kann vielseitig verarbeitet werden. Der edelste Teil ist der Rücken, aber auch Schulter und Keule werden zum Braten und Schmoren sehr geschätzt. Für Suppen und Fonds nimmt man die Knochen, als Einlage schmeckt eine Rehnuss besonders gut.

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Salzburg

Geschmorter Gamsbraten Die Gams gehört zur Familie der Hornträger, ihren Lebensraum hat sie in Mittel- und Hochgebirgs­ lagen in Europa. In Österreich sieht man sie also hauptsächlich in den westlichen Bundesländern, wo man auch die besten Rezepte für ihr dunkles, aromatisches Fleisch findet. Zum Kochen nimmt man einjährige Tiere, ältere können etwas streng und zäh schmecken. Einen feinen Braten macht man aus den Keulen, die allerdings wegen ihrer Größe in ihre Teilstücke zerlegt und ausgelöst werden. Bei diesem Rezept haben wir den Schlögel verwendet.

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Oberösterreich

Geschmorte Wildhasenkeulen mit Dörrzwetschken Der Wild- oder Feldhase ist in ganz Europa verbreitet. Er ernährt sich von Wildkräutern, was sein rotbraunes Fleisch sehr aromatisch macht. Er kann bis zu fünf Kilo schwer werden, sollte aber nicht älter als ein Jahr sein, damit das Fleisch saftig ist. Rücken und Keulen kann man gut braten, Schulter, Rippen und Bauchlappen eignen sich für Ragouts. Am besten mundet der Hase allerdings geschmort mit viel Gemüse und in einer feinen Sauce.

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Kärnten

Wachteln in Süßwein mit Trauben-Grießknödeln Wachteln sind in unseren Breiten eine relativ junge Delikatesse. Sie kamen erst Anfang des 20. Jahrhunderts aus Asien nach Europa. Seither erfreut sich das aromatisch-zarte Fleisch mit dem geringen Fettanteil immer größerer Beliebtheit – vor allem in der Kärntner Küche. Wachteln harmonieren beim Kochen wunderbar mit Süßwein. Da sie recht klein sind, rechnet man übrigens zwei Wachteln pro Person.

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Vorarlberg

Tirol

Montafoner Hirschragout

K are Rehsuppe

Zutaten für 4 Personen 1 kg Hirschschlögel (ausgelöst, von Fett und Sehnen befreit) 150 g Wurzelgemüse (Karotten, Sellerie, Petersilienwurzel), 150 g rote Zwiebel 5 g getrocknete Steinpilze 8 gequetschte Wacholderbeeren 4 Pimentkörner, 2 Gewürznelken 1 kleines Stück Zimtstange, 15 Pfefferkörner 1 l Rotwein, 1 EL Rapsöl, 1 EL Butter 1 EL Tomatenmark, 1 Schuss Portwein Maizena zum Binden der Sauce 4 EL Sauerrahm Hagebutten- oder Preiselbeermarmelade Salz, Pfeffer

Zutaten für 4 Personen 600 g gehackte Rehknochen 3 EL Rapsöl 150 g Wurzelgemüse (Karotten, Sellerie, Zwiebel, Petersilienwurzel) 2 TL Tomatenmark 250 ml Rotwein 2 l Wasser 5 Wacholderbeeren 3 Pimentkörner 10 schwarze Pfefferkörner 120 g Rehnuss (mageres Rehfleisch)

Zubereitung 1. Hirschfleisch in 4 cm große Würfel

schneiden. Wurzelgemüse und Zwiebel schälen und in grobe Würfel schneiden. Fleisch mit Gemüse, Steinpilzen sowie Gewürzen in eine Schüssel geben und mit Rotwein bedecken. Mit Folie ab­ decken und über Nacht rasten lassen. 2. Hirschfleisch aus der Marinade nehmen und von den Gewürzen befreien. Auf­ legen, mit Salz und Pfeffer würzen. In einem Topf Öl mit Butter erhitzen, Fleisch darin scharf anbraten. Tomaten­ mark einrühren und kurz mitrösten. Mit Portwein ablöschen, mit Marinade über­ gießen und 1 Stunde köcheln lassen. 3. Hirschfleisch aus der Sauce nehmen und beiseite stellen. Die Sauce durch ein feines Sieb passieren und in einem Topf nochmals erhitzen. Mit Maizena leicht binden und abschmecken. Hirschfleisch wieder in die Sauce geben und weitere 30 Minuten bei kleiner Hitze kochen. 4. Hirschragout anrichten, mit Sauerrahm und Marmelade garnieren. Dazu passen Schupfnudeln.

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Zubereitung 1. In einem Topf Rehknochen in Öl von al­

len Seiten scharf anbraten. Wurzelgemü­ se schälen, grob würfeln und mit den Knochen 10 Minuten lang nicht zu heiß anrösten. Tomatenmark einrühren, kurz mitbraten und mit Rotwein ablöschen. Rotwein einkochen lassen, dann mit Wasser aufgießen. 2. Sobald die Suppe kocht, Gewürze und Rehnuss zugeben, leise köcheln lassen. Dabei immer wieder den Schaum von der Oberfläche abschöpfen. Nach 20 Mi­ nuten Rehnuss aus der Suppe nehmen, in Folie wickeln, damit es für die spätere Einlage nicht austrocknet. Die Suppe weitere 2 Stunden köcheln lassen, dann durch ein feines Sieb passieren und ab­ kühlen lassen. 3. Die Rehschulter mit dem geschälten Ge­ müse durch einen Fleischwolf drehen und mit dem leicht geschlagenen Eiklar verrühren. Diese Fleischmasse in die Suppe rühren und für 30 Minuten ins Tiefkühlfach stellen. 4. Die eiskalte Suppe in einem kleinen, ho­ hen Topf sehr langsam erhitzen. Dabei die Suppe auf keinen Fall mehr umrüh­ ren, sondern nur möglichst behutsam die langsam fest werdende Fleischmasse

Feines Meersalz 100 g Rehschulter 50 g geschälte Karotten, Sellerie und Lauch 2 Eiklar, leicht geschlagen Für die Einlage: eine Handvoll kleine gebratene Eierschwammerl 50 g blanchierte Streifen von Karotte und Gelber Rübe

mit einem flachen Kochlöffel vom Topf­ boden lösen, bis diese an die Oberfläche steigt. Die Suppe weitere 15 Minuten bei kleiner Hitze ziehen lassen. 5. Ein passendes Sieb mit einem dünnen Baumwolltuch auslegen und auf einen Topf setzen. Die heiße Suppe vorsichtig mit dem gestockten Fleischkuchen in das Sieb schöpfen und in Ruhe passieren lassen. Das Sieb entfernen, die klare Rehsuppe erhitzen und vorsichtig mit Salz abschmecken. 6. Für die Einlage die gekochte Rehnuss in Streifen schneiden, mit Eierschwam­ merln und den Gemüsestreifen in kleine Suppentassen verteilen. Mit heißer Reh­ suppe übergießen und sofort servieren.

ServusTV-Tipp: Köstlichkeiten aus anderen Regionen Europas in „Wohl bekomm’s – kulinarische Ausflüge“ am 4. 10. um 19.45 Uhr aus Tallinn.


Salzburg

Oberösterreich

Geschmorter Gamsbraten

Geschmorte WildhasenWachteln in Süßwein mit keulen mit Dörrzwetschken Trauben-Grießknödeln

Zutaten für 4 Personen 1 kg ausgelöster Gamsschlögel  1/2 TL Koriandersamen 3 Pimentkörner, 8 Wacholderbeeren 10 bunte Pfefferkörner, Salz 150 g Wurzelgemüse (Karotten, Sellerie, Petersilienwurzel, Lauch), 120 g Zwiebel 2 EL Sonnenblumenöl, 250 ml Zweigelt 500 ml Wasser, 1 Lorbeerblatt 1 Zweig Rosmarin, 1 EL Preiselbeermarmelade Maizena zum Binden der Sauce, Pfeffer Preiselbeer- und Heidelbeermarmelade für die Garnitur

Zutaten für 4 Personen 4 Wildhasenkeulen 100 g Karotten, 150 g Zwiebel, 50 g Knollensellerie 8 angedrückte Wacholderbeeren 10 bunte Pfefferkörner, 2 Gewürznelken 2 Lorbeerblätter, 1 Rosmarinzweig 50 ml guter Rotweinessig, 1 l kräftiger Rotwein Salz, Pfeffer, 1 EL Butter, 1 Scheibe Räucherspeck 5 Dörrzwetschken 30 g Schokolade (70 % Kakaoanteil)

Zubereitung

freien. Karotten, Zwiebel und Knollensel­ lerie schälen, in ca. 2 cm große Würfel schneiden. Fleisch und Gemüse mit Ge­ würzen und Kräutern in einer Schüssel mit Essig und Rotwein übergießen. Mit Klarsichtfolie bedecken und im Kühl­ schrank 24 Stunden rasten lassen. 2. Hasenkeulen aus der Marinade nehmen und mit Küchenpapier abtupfen. Mit Salz und Pfeffer würzen. 3. Backrohr auf 170 °C Umluft vorheizen. 4. In einem Schmortopf Butter aufschäu­ men, Speckscheibe darin glasig anbra­ ten. Hasenkeulen einlegen und bei sehr starker Hitze beidseitig scharf anbraten. Mit Marinade übergießen, Dörrzwetsch­ ken zugeben und aufkochen lassen. Den Schaum von der Oberfläche abschöpfen und einen Deckel aufsetzen. Im Backrohr 1 Stunde lang schmoren. 5. Das Fleisch aus der Sauce nehmen, von Gemüse, Speck und Gewürzen befreien. Die Sauce durch ein feines Sieb passie­ ren, salzen und pfeffern. Wieder zurück in den Schmortopf gießen, Hasenkeulen und Dörrzwetschken einlegen und weite­ re 20 Minuten schmoren lassen. 6. Kurz vor dem Servieren Schokolade darüberraspeln und unterrühren. Dazu passen Rahmkohl und selbstgemachte Erdäpfelkroketten.

1. Den Gamsbraten mit Küchengarn sorg­

fältig binden. Koriandersamen, Piment­ körner, Wacholderbeeren und Pfeffer­ körner in einer Pfanne trocken anrösten. Dann mit einem Mörser zerreiben oder mit einem Fleischklopfer zerstoßen. Den Gamsbraten mit dieser Gewürzmischung und mit Salz einreiben. 2. Backrohr auf 200 °C Umluft vorheizen. 3. Wurzelgemüse und Zwiebel schälen, in grobe Würfel schneiden. 4. In einem Schmortopf Sonnenblumenöl erhitzen, Gamsfleisch darin rundherum scharf anbraten. Gemüse zugeben, im Backrohr 10 Minuten lang braten. Mit Rotwein ablöschen und Wasser zugießen. Lorbeerblatt und Rosmarinzweig einle­ gen, Preiselbeermarmelade einrühren. Zudecken, Temperatur auf 170 °C senken und 1 Stunde lang schmoren lassen. 5. Den Gamsbraten aus der Sauce heben, in Folie einwickeln und im Ofen warm stellen. Die Sauce durch ein feines Sieb passieren und etwas einreduzieren. Mit Maizena leicht binden, mit Salz und Pfef­ fer abschmecken. 6. Den Braten in Scheiben schneiden, mit Sauce übergießen und mit Preiselbeersowie Heidelbeermarmelade garnieren. Mit Serviettenknödeln servieren.

Zubereitung 1. Hasenkeulen von Sehnen und Fett be­

Kärnten

Zutaten für 4 Personen Für die Grießknödel: 200 ml Milch, 80 g Butter, 100 g Grieß 1 großes Ei, Salz, Muskatnuss, 8 kernlose Trauben, Öl zum Frittieren 8 Wachteln, Salz, Pfeffer, Paprikapulver, 2 Jungzwiebeln, 1 Stange Sellerie, 2 Knoblauchzehen, 1 EL Butter 250 ml Süßwein, 2 Zweige Petersilie, 1 Lorbeerblatt, 250 g Sauerrahm Zubereitung 1. Für die Grießknödel Milch mit Butter

aufkochen, dann Grieß mit einem Schneebesen einrühren. Unter ständigem Rühren etwa 2 Minuten kochen, vom Herd nehmen und 10 Minuten quellen lassen. Dann Ei einmischen, mit Salz und Muskatnuss abschmecken. In den Kühl­ schrank stellen und erkalten lassen. 2. Wachteln mit Salz, Pfeffer und Paprika-­ pulver einreiben. Zwiebeln, Stangen- sellerie und Knoblauch fein hacken. 3. In einem Bräter Butter aufschäumen, Wachteln darin rundherum anbraten. Gemüse zugeben und glasig anschwit­ zen. Mit Süßwein ablöschen, Petersili­ enzweige und Lorbeerblatt einlegen. Bei mäßiger Hitze 20 Minuten lang garen, dabei öfter mit Sauce übergießen. 4. Für die Knödel aus der Grießmasse acht gleiche Portionen stechen. Flachdrücken, jeweils in die Mitte eine Traube setzen und zu Knödel formen. In einer Pfanne reichlich Öl erhitzen, die Knödel darin knusprig frittieren. Herausnehmen und auf Küchenpapier abtropfen lassen. 5. Sauerrahm in die Wachtelsauce mischen und nicht mehr aufkochen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, Petersilienzweige und Lorbeerblatt entfernen. Wachteln auf Tellern anrichten, mit Sauce übergie­ ßen und mit Grießknödeln servieren.

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hausbesuch

Für die Kinder Katharina und Matthias ist die freie Natur ein Abenteuerspielplatz. Die ­selbstgebaute Schaukel war das Erste, das der Papa nach dem Hauskauf installieren musste. Rechts: Auf der Holzbank kann man die Strahlen der Morgensonne genießen.

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Zurück in die Zukunft Im letzten Winkel hinter Gaißau haben sich Ute und Michael Strobl ein uraltes Salzburger Bauernhaus zugelegt. Bald war klar, dass sie sich ­damit ein Lebensprojekt geleistet haben. Text: Uschi Korda  Fotos: Harald Eisenberger

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Hier ist die Natur der Chef, und der kann man auch mit moderner Technik kein Schnippchen schlagen, ohne dabei auf das Wissen der Altvorderen zu bauen.

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a, ja, mit der Zeit bekommt man eine gewisse Demutshaltung.“ Michael Strobl bückt sich mit seinen 1,86 Metern vom Vorraum in die gute Stube. Durch eine Türe, bei der sogar wir mit unseren Einssechzig sicherheitshalber eine buckelnde Figur machen. Natürlich verzieht sich Strobls Mund dabei zu einem schelmischen Lächeln, doch der Ernst in seinen Augen verrät, dass mehr dahintersteckt. Man bekomme, sagt der Salzburger Architekt, mit so einem alten Häuschen am Ende des Tales einen Respekt vor der Natur. Sie sei aber, setzt er nach, während wir die mächtigen Bergrücken des Schmittenstein und des Schlenken, die eine kantige Linie in den blauen Himmel ziehen, mit unseren Blicken nachzeichnen, in ihrer Unberechenbarkeit berechenbar. Kurz: Hier ist die Natur der Chef, und der kann man auch mit moderner Technik kein Schnippchen schlagen, ohne dabei auf das Wissen der Altvorderen zu bauen. Zwar nur 30 Autominuten von Salzburg entfernt, sind aber allein die letzten 10 Minuten vorm Ziel eine kleine Rätselrallye. Abzweigung beim Adeg nehmen, am Marterl links vorbei; nicht erschrecken, wenn’s plötz­lich ein Waldweg wird, tapfer bis zum Ende durch­halten, so die Anweisung. Wir scheitern dreimal, bis wir endlich vor dem kleinen Haus landen, hinter dem es nur noch einen alten Bauernhof gibt, aber dann ist Schluss. Der fensterlose Westen

1831 vom Kainaubauern als Ausgedinge für seine unverheiratete Tochter, die Maridl, errichtet, hat es allen Wettern und Widrigkeiten getrotzt. Weil man damals einfach wusste, wo und wie man was hinstellt. Keine Fenster auf der Westseite, weil von dort das Wetter kommt. Den Hang im Norden als Stütze integrieren und die gute Stube wegen des besseren Lichteinfalls mit Fenstern nach Osten und in den Süden ausrichten. Freilich stand es vor fünf Jahren nicht so proper da, als Michael Strobl und seine

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Frau Ute, eine Salzburger Apothekerin, die Privat­anzeige in der Zeitung entdeckten. Inspiriert von einem befreundeten Paar, das im Lungau ein altes Gehöft geerbt hatte, waren die beiden damals schon jahrelang auf der Suche. Doch nie hat etwas so ganz gepasst. Man brauche Erfahrung und müsse schon viel gesehen haben, sagt Michael Strobl, um sich auf das Abenteuer eines fast 200 Jahre alten Hauses einzulassen. „Ein Dach kannst reparieren, ein Fundament nicht“, sagt Strobl, der sofort zuschlug, weil zwar das Dach desolat, die restliche Substanz aber in Ordnung war. die Heidenarbeit mit den Holzschindeln

Mitte des vorigen Jahrhunderts von einem deutschen Ehepaar einmal innen generalsaniert, wohnte zum Schluss eine Familie hier, die nicht nur vom Aussteigen träumte, sondern es zu realisieren versuchte. Ein Traum, der letztendlich an der Wirklichkeit, sprich Natur, zugrunde ging. Aussteigen wollten die Strobls nie, trotzdem war ihnen bald klar, dass sie sich hier so etwas wie ein Lebensprojekt erkauft ­hatten. Eines, das man nicht auf einmal angehen kann, dem man sich Schritt für Schritt annähern muss, das vermutlich nie ganz fertig sein wird und wo es immer ­etwas zu tun gibt. Das Dach also musste gleich einmal generalsaniert werden. Hier kam Michael Strobl seine Berufserfahrung zugute. Er stattete es technisch modern mit einer Dämmung aus, die Konstruktion der alten Balken ließ er aber bestehen. Gedeckt wurde dann mit neuen Holzschindeln, allerdings aus Lärche, weil die länger halten als die vorhandene, bereits verrottete Fichte. Vier Monate lang nagelte Strobl Schindel für Schindel einzeln an. Mithilfe von Vater und Schwiegervater, die beide noch wissen, wie man einen Hammer hält. Strobl weiß das jetzt auch – und noch viel mehr. Allein für die richtige Überlappung am Dachrand gönnte er sich intensive Besprechungen­ ➻

Der Herd in der Küche ist so ziemlich das einzige neumodische Gerät im Strobl-Haus. Der Kamin in der guten Stube wurde zwar neu aufgestellt, aber mit alten Wiener ­Kacheln (re. o.). Die Stubendecke hat Michael Strobl eigenhändig von einer dicken Lackschicht befreit (re. u.).


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mit Zimmermännern und das Studium von historischen Büchern. Auch dass die geschnitzten Verzierungen vor der Dachkante keine Spielereien sind, sondern einen Zweck haben, weiß er jetzt. Sie sollen die dahinterliegenden Holzbalken vor Regen schützen. Jede Form aber hat eine Bedeutung. Eine Tulpe steht für die Hausherrin, die Eichel bedeutet Heimat, die Brezen ein langes Leben und das Herz, eh klar, Liebe. Genauso zieren sie jetzt das Strobl-Haus. befreites Holz und eine Dosis Moderne

Wie man die nur 110 Quadratmeter Wohnfläche innen nutzt, war aufgrund der Vorgaben schnell klar. Die gute Stube samt angeschlossener Küche blieben im Erdgeschoß, wo sie immer schon waren. Nur das dick lackierte Holz von Türen, Türstöcken und der wunderbaren Decke musste befreit werden. Dabei half Strobl übrigens seine Größe enorm. Er musste den 8-Kilo-Apparat nur schultern und konnte abschleifen, ohne sich mühsam strecken zu müssen. Auch der Kamin, dessen Warmluft das Haus bis unters Dach beheizen kann, wurde mit alten Wiener Kacheln neu gemacht. Die handgeschnitzte Eckbank mit Tisch und Kasteln bekam Ute Strobl von einer Freundin geschenkt, die moderne Küche mit VollholzArbeitsfläche war ein Geschenk ihres Mannes. Der Elektroherd ist so ziemlich das einzige neumodische Gerät im Haus. Keine Waschmaschine, kein Fernseher, kein Tele­ fonanschluss – nur eine vom Kachelofen betriebene Heizung, die man per SMS von unterwegs einschalten kann, haben sich die Strobls gegönnt. Damit man aber vor lauter Tradition nicht gleich erstickt, finden sich interieurmäßig zwischendrin moderne Sachen wie Lampen, Stahlregale oder ein Glastisch. Aufs WC muss man auch nicht mehr so wie ursprünglich raus auf den Balkon direkt über eine Senkgrube klettern. Es ist im kleinen Badezimmer mit Dusche im ersten Stock integriert. Vis-à-vis im ehemaligen Schlafzimmer haben jetzt die beiden Kinder, Katharina, 8, und Matthias, 6, ein feines Reich. Mit Stockbett, Puppenhaus und viel Platz zum Faulenzen. Die meiste Zeit treiben sie sich aber im Freien herum, denn hier lockt das Abenteuer. Das Erste, was er hier montiert habe, erinnert sich Michael Strobl, sei die ➻

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Die drei Ebenen sind nur mit ­Holzleitern v ­ erbunden. Auch in ihre Stockbetten m ­ üssen die ­Kinder eher klettern. Ein riesiges ­Jausen­brett, das Michael Strobl von e ­ inem v ­ äterlichen Freund ­geschenkt bekam, dient als Halterung für die Sprossen (re. o.). Die ­Hoanzlbank und den Flachsbrecher­ haben die Strobls von einem auf­ ge­lassenen Hof gerettet (re. u.).


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Die Strobls haben aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie die tiefer liegende Nische zur gemütlichen Wohn­ ecke umfunktionierten. Die Dachbalken wurden mit alten Rechen und Schlitten dekoriert, das Bad schmückt ein Waschtisch aus Stein (re. o.). Unten: Familienjause mit selbstgemachtem Obststrudel vor dem Haus aus dem Jahre 1831.

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Schaukel am alten Nussbaum gewesen. Mittlerweile suchen sich die Kinder ihr Spielzeug selbst in der Umgebung. Bauen Laserschwerter, Pfeil und Bogen aus alten Ästen und kleine Teiche am Bach hinterm Haus. Ja, der Bach, sagt Strobl, der könne bei Gewittern in wenigen Minuten ein reißendes Ungeheuer werden. Die Vorgänger wussten sogar von schrecklichen Überschwemmungen zu berichten. Man müsse ihn halt im Auge behalten, so der Hausherr. Und der Hausverstand ergänzt: Immer schön frei von Gehölz und Blättern halten, was die Strobls bislang vor gröberer Unbill bewahrt hat. Unebenheiten zum Geniessen

Unterm Dach, wo seinerzeit eine Rauchkuchl war, residieren jetzt die Hausbesitzer. In einem großen offenen Raum, bei dem die alten, rauchgeschwärzten Holzbalken geschickt ins Ambiente integriert wurden. Sowie die unterschiedlichen Niveaus des Holzbodens, die Michael Strobl zu der gelassenen Erkenntnis brachten: „Der Unebenheiten wirst du nicht Herr, die kann man nur genießen.“ Also wurde die tiefste Stelle mit einer großen Couch zur Wohn­ ecke umfunktioniert – wo hauptsächlich ­gelesen wird, denn so viel Zeit für Bücher habe er früher nie gehabt, sagt Strobl. Und weil er im Laufe seines Lebens gelernt hat, in Projekten zu denken, überlegt Michael Strobl bereits, was als Nächstes drankommt. Da wäre einmal im ersten Stock ein ­rudimentär eingerichtetes Gästezimmer. Geht es nach den Eltern, wird daraus eine Sauna, weil im Winter der Schnee bis hinauf zum Fenster liegt. Geht es nach den Kindern, wird daraus ein Zimmer für Katharina. Ausgang noch offen. Aber zunächst würde sowieso noch ein Obstgarten anstehen, den sich Michael Strobl zu seinem 40er gewünscht hat. Das ist jetzt schon ein Zeiterl her, aber man hat’s ja nicht so eilig. Im Vergleich zum Perfektionismus der modernen Zeit, sagt Strobl, finde er hier wieder auf den Boden zurück. Und in dem Moment, wo er vorn beim Marterl in den Waldweg einbiegt, verabschiedet er sich jedes Mal wieder vom schnellen Leben. 3 Tipp: „Weiterbauen am Land“, kluge Lektüre für passionierte Renovierer, StudienVerlag. Mehr zu Michael Strobl: www.stroblarchitekten.at

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wunder der heimat

Geschichten aus ­meinem Tal

Im Oberen Mölltal zwischen Großkirchheim und Heiligenblut: von glänzendem Gold, zähen Pferden, alten Säumerpfaden, tiefen Tälern und hohen Bergen. Eine Wanderung mit Hubert Sauper, der mit diesem Tal verwachsen ist. Text: Julia Kospach  Fotos: marco rossi

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Hubert Sauper (auf dem Pferd) und Karl ­Guggenberger lassen ­vergangene Zeiten auferstehen. Ihre Kleidung und Ausstattung entsprechen bis ins Detail jener, mit der die Säumer f­ rüherer Jahrhunderte die Hohen Tauern zu Pferde überquerten.

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ch bin ein Waldläufer“, sagt Hubert Sauper, während er im Garten des Schlössls Großkirchheim frische Buttermilch in Becher gießt und ein paar Brotscheiben dick mit Almbutter bestreicht. Butter und Buttermilch hat er extra frisch von einer Alm geholt, in einem Korb in den Garten getragen und zur Begrüßung seinen Hut gelüftet. Nach dem Regen spannt sich der Himmel tiefblau übers Obere Mölltal. Die Sonne sticht herunter in das noch feuchte Gras. Aus der Hecke leuchten die Schwarzen Johannisbeeren reif und matt glänzend. Hubert Sauper war hier in Großkirchheim, inmitten des Kärntner Teils des Nationalparks Hohe Tauern, mehr als 35 Jahre der Schlosswirt. Er ist hier geboren und aufgewachsen. Unweit des Großglockners und der anderen Berge der Goldberggruppe, von denen einige weit über 2.500, 3.000 Meter aufsteigen. Er kennt hier jeden Grat, jeden Jägerpfad, jeden Bach, jeden Wasserfall, jeden Stein – und jeder Stein kennt ihn. „Ein großer Humanist“, wird später am Tag ein zugereister Freund über ihn sagen. Denn Sauper ist einer, der weit über den Tellerrand hinausschaut und ­zugleich mit allerdicksten Wurzeln hier verwachsen ist.

Das ArsenGeheimnis der knappen

Im Schloss Großkirchheim (oben) war das Verwaltungszentrum des Goldbergbaus. Vorm kleineren Schlössl ­nebenan kredenzt Hausherr ­Hubert Sauper Butter, Brot und Buttermilch frisch von der Alm.

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Hubert Sauper – übrigens der Vater des bekannten Filmemachers gleichen Namens („Darwin’s Nightmare“) – liebt das Obere Mölltal, und er hadert damit, als wäre er ein ­aufbegehrender pubertierender Sohn. Und das mit 75. Was ihn so alles aufregt? Na, zum Beispiel, dass die Leute im Tal zwischen Großkirchheim und Heiligenblut nicht hören wollen, dass viele der Knappen im Goldbergbau der Hohen Tauern auch Arsenesser waren. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, kommt die Geschichte von den süchtigen Bergleuten nicht gut an. Der Arsenspur ist er trotzdem gefolgt. Warum? „Weil’s so war!“, sagt er, „Sackerln mit Arsenpulver gab es in jedem Haushalt. Es war ein geheimes, verbotenes Hausmittel, das in winzigen Mengen zur Stärkung für die schwere Arbeit in den Stollen verwendet wurde.“ Er hat das recherchiert und im Eigenverlag ein Buch mit dem Untertitel „Rausch und Gift und andere Geschichten aus meinem Tal“ herausgegeben. Dieser Teil der örtlichen Historie ist, findet er, den Leuten zumutbar. Wenn es Hubert Sauper dann wieder einmal reicht, die Auseinandersetzung mit den Menschen, oder er Sehnsucht nach Natur und Stille hat, dann bricht er von seinem Haus in Großkirchheim auf und zieht sich in seine Jagdhütte ins wilde Gradental, das Tal der Dreitausender, zurück. Just dort verlor im Hochsommer des Jahres 1959 das Packpferd Füchsl auf dem in die Felswand gesprengten Saumpfad den Halt, stürzte ins Schotterkar und ver➻


Der Gartlwasserfall bei Großkirchheim ist einer von vielen in der Gegend. Ein paar Kilometer talaufwärts stürzt der Jungfernsprung über eine überhängende Felswand 130 Meter ins Mölltal.

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Oben: Mit Packpferden wurden früher die Waren von Gemona über die Hohen Tauern bis nach Salzburg und zurück transportiert. Links: Im Obergeschoß der Wollwerkstätte Großglockner in Großkirchheim ist eine Schauwerkstatt ­untergebracht, wo man lernen kann, wie gewaschene Schafwolle über einem Nagelkamm ­kardätscht, also fürs Spinnen vorbereitet wird. Unten: Blick in Hubert Saupers kleines Säumermuseum mit historischen Sätteln und Zaumzeug. Die Saumpferde trugen ein Brust- und ein „Oasch“-Geschirr, damit die transportierten Waren von durchschnittlich 160 Kilo im steilen Gelände nicht vor- oder zurückrutschen konnten.

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endete. Genau zur selben Stunde starb 30 Kilometer entfernt im Krankenhaus Lienz sein Besitzer, der „Alte Plattner“. „Gelt, Füchsl, wir zwoa gehen amol z’gleich“, hatte der immer gesagt. Mit dem Tod der beiden endete in den Hohen Tauern eine Ära: die der Säumerei, des Warentransports mit bepackten Pferden. Andere hätten das einfach bedauernd zur Kenntnis genommen. Nicht so Hubert Sauper, der sich erinnert, „wie i als Bua mitg’rannt bin, wenn Gletschereis gesäumt worden ist“. Außerdem hatte der Sohn des „Alten Plattner“ ihm eines Tages den Saumsattel seines Vaters in die Hand gedrückt und gesagt: „Mach was draus!“ Hubert Sauper, dessen Familie mindestens seit dem 15. Jahrhundert urkundlich verbürgt im Tal lebt, ließ sich etwas einfallen. Ein kleines Säumermuseum etwa,­das er in einem Raum des Schlössls Großkirchheim ein­gerichtet hat mit historischen Tragsätteln, Zaumzeug und „Lagln“, den ovalen Säumer-Transportfässern. Säumen kommt ­übrigens vom lateinischen „sauma“ für Last oder Packlast. Auch unter Hubert Saupers eigenen Ahnen waren Säumer, die Waren mit Packpferden von Gemona über die winterlichen Hohen Tauern nach Salzburg und zurück transportiert hatten. Bis auf 2600 Meter Seehöhe. Bei Wind und Wetter, zu erbärmlichem Lohn. Als karger Nebenerwerb zur Landwirtschaft, aber höchst dienlich zur Horizonter­weiterung und für die Brautschau. Seine feingliedrigen Hände, sagt Hubert Sauper grinsend, habe er – wie viele Mölltaler – zweifellos von einer Triester Urgroßmutter. Dass es nur ein paar Kilometer entfernt, am Iselsberg nahe Winklern im Mölltal, eine hiesige Hüttenwirtin gibt, die dort auf der Roaner Alm auf fast 2.000 Meter See­höhe frischen Fisch und Meeresfrüchte aus Triest anbietet, ist unter diesen Vorzeichen nur folgerichtig. Da sitzt man dann von Almkuhglocken umbimmelt und isst überbackene ­Jakobsmuscheln, in Olivenöl gebratene, marinierte Sardinen und Spaghetti alle vongole. „Ich war 18 Jahre in Triest verheiratet. Ein-, zweimal in der Woche fahr ich runter, hol den frischen Fisch und fahr wieder rauf“, sagt Lydia Pichler, die freundliche Hüttenwirtin, und lacht. Heuer ist ihr vierter Sommer auf der Roaner Alm. Die Reaktionen der Leute haben sich inzwischen ver­ ändert, erzählt sie: „Zuerst haben s’ gesagt: A so a Zeug auf da Alm, das passt ja nit. Jetzt sagen s’: Brauch ma nimma nach Italien fahren zum Fischessen – fahr ma auf die Alm.“

Oben: Auf der Roaner Alm serviert Hüttenwirtin Lydia Pichler auf fast 2.000 Meter Seehöhe überbackene Jakobsmuscheln und Spaghetti mit Meeresfrüchten. Sie holt sie frisch aus Triest. Unten: Die Schusterwerkstatt im alten Gratscherhaus in Großkirchheim ist im Originalzustand erhalten. Karl Guggenberger, pensionierter Schustermeister aus dem Drautal, erklärt, wie Schuhe in Handarbeit entstehen. Für besonders robuste Schuhe wurden Flügelnägel in die Sohlen eingeschlagen (u. li.).

so Wie die säumer in früheren jahrhunderten

Anderntags steht Hubert Sauper schon in aller Früh mit seinem Freund Karl Guggenberger auf der Matte. Letzterer, ein pensionierter Schustermeister aus dem Oberen Drautal, hat uns davor noch die alte, aufgelassene Großkirchheimer Schusterwerkstatt mit all ihren Original-Werkzeugen wie Raspeln, Ahlen, Bohrern, Stupfeisen, Reißmessern und Flügelnägeln erklärt. Beide tragen jetzt ein Original-Säumergewand. Auf geht’s zur Weide, wo die zwei Haflinger stehen, mit denen Sauper, Guggenberger und noch ein paar andere im Jahr 1989 zur ersten Tauern-Säumerfahrt aufgebrochen sind. Eine Art Renaissance der Säumerwege, rekonstruiert nach alten Karten, mit historischer Ausrüstung. All das sehen wir nun auf der Weide vor uns. Hubert Sauper erklärt: „Der Saumsattel aus Holz, ein Brust- und ein Oasch-Geschirr für die Saumpferde, damit die Last ➻

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von durchschnittlich 160 Kilo im steilen Gelände nicht voroder zurückrutschen konnte.“ Er selbst und Karl Guggenberger sind in groben Leinenhemden und langen Leinenunterhosen, Wollstutzen, Lederhose, Wollwams, Filzhut und genagelten Lederschuhen gekleidet. Genau so brachen die Säumer in früheren Jahrhunderten auf. Die Schuhe hat Karl Guggenberger von Hand gemacht, die Hüte sind von einem Hutmacher extra gepresst worden, und zwar nach einer Zeichnung von Franz Defregger, auch er ein – als Maler – Zu-Ruhm-Gekommener aus der Gegend hier. „Das Gros der Säumer, die im Herbst und Winter als Neben­erwerb Waren über die Alpen transportierten, kam aus Großkirchheim. Sie kannten die Almen bei Schlechtwetter und züchteten kleine, wendige, trittfeste Pferde, die keine Angst vor Lawinen und Steinschlag hatten und auch für den Goldbergbau als Arbeitstiere verwendet wurden“, erzählt Hubert Sauper. Die Holzhäuser waren von der sonne geschwärzt

Hubert Sauper und Karl Guggenberger unterhalten sich am Zaun vor der Holzhütte, deren Einrichtung jenen Hütten nachgestellt ist, in denen die Säumer früher übernachteten (li.). Die „Lagln“ (Mi.), die Transportfässer der Säumer, w ­ aren oval und nicht rund, damit sie unterwegs auf schmalen, steilen Pfaden nicht an den Felsen anstießen.

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Der Goldbergbau hat der Gegend ihren Stempel aufge­ drückt. Wie sehr, erfährt man in der „Tauerngold“-Ausstellung im Putzenhof, einem großen Gebäude aus unverputztem Stein am Ortsrand von Großkirchheim. Erbaut zwischen 1570 und 1590 von Melchior Putz, einem der erfolgreichsten Gewerken – also Bergbauanteilseigner – der südlichen Tauern, beherbergt es in seinen archaischen Steingewölben heute auch ein Restaurant. „Man nimmt an, dass es in den Hohen Tauern einige 100 Stollen mit einer Gesamtlänge bis zu 140 Kilometern gab. Die Hochblüte des Goldabbaus dauerte bis ins späte 16. Jahrhundert“, erzählt Franz-Josef Sauper, kenntnisreicher Wirt des Putzenhofs. Der starre Granitgneis der Hohen Tauern ließ tiefreichende Gangspalten von größerer Ausdehnung entstehen, wo sich abbauwürdige Erzkonzentrationen fanden, die sich auch bis heute noch nicht erschöpft haben. Nur lohnt der Abbau nicht mehr. Um 1550 förderten 1.000 Bergarbeiter hier 627 Kilo Gold und 1.563 Kilo Silber, wobei eine Tonne Gestein nicht mehr als 10 bis 30 Gramm Gold ergab. Die Knappen waren privilegiert, hatten in der „Bruderlade“ eine Art Sozialversicherung und durften Waffen tragen, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen kam. Die Arbeit in den Stollen war brutal: lange, eisige Aufstiege, Kälte und Feuchtigkeit, Stolleneinstürze, Schmelzprozesse unter Zugabe von Quecksilber. Kaum einer wurde älter als 40. Die Knappen saßen oben in Heiligenblut in ihren von der Sonne geschwärzten Holzhäusern, die wohlhabenderen Verwalter des Bergwerksbaus in ihren hellen Steinhäusern in Großkirchheim. Erst mit Ende des Goldbergbaus und dem Alpintourismus im 20. Jahrhundert kehrten sich die Verhältnisse um: Heiligenblut als Tor zum Großglockner gewann an Bedeutung, Großkirchheim fiel zurück. Die Konkurrenz zwischen den zwei so untrennbar miteinander verbundenen Orten, die kaum mehr als zehn Kilometer auseinander liegen, ist bis heute spürbar. Goldwaschen und Säumen waren klassische Nebenerwerbe für die bäuerliche Bevölkerung. Wer eine leise Ahnung davon bekommen will, wie sich das anspruchsvolle Tagwerk der früheren Säumer wohl angefühlt hat, kann mit Hubert Saupers Sohn Toni zu Pferde in die Berge aufbrechen. Toni war auf der ersten historischen Säumerfahrt vor 20 Jahren mit dabei. Unter dem Namen „Alpinrei- ➻


Die beiden friedlich grasenden Haflinger waren schon vor mehr als 20 Jahren bei ­Hubert Saupers erster historischer ­Säumerfahrt über die Hohen Tauern dabei. Jetzt dürfen sie ihren Ruhestand genießen.

Rechts: Gabriele Pichler treibt es bunt in ihrem Heiligenbluter Atelier. Die Künstlerin bemalt Hirschgeweihe und Krickerln von Rehböcken und Gämsen mit knalligen Farben und kühnen Mustern. Unten: In den Gewölben des Putzenhofs kann man an einer langen Tafel in Rittermanier speisen (ganz re.). Das Untergeschoß beherbergt eine Ausstellung über Goldabbau und -verarbeitung, wo Nuggets aus a ­ ller Welt (li.) neben Goldkreuzen und anderen ­Artefakten stehen.

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Für ein paar Momente hat sie das Gefühl, aus einem Hirschkopf heraus auf das Gras am Boden zu schauen. So kann es einem gehen, wenn die Natur allgegenwärtig ist.

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Schafe auf der Alm am Iselsberg oberhalb von Winklern. In den Hohen Tauern beweiden die Tiere mitunter auch Hochalmen bis auf über 2.500 Meter Höhe. Ihre Wolle ist von besonderer Qualität, denn je weiter sie hinaufkommen, ­desto mehr Lanolin produzieren sie und desto besser isoliert ihre Wolle.

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ten“ hat der Bergführer inzwischen ein erfolgreiches natur­touristisches Programm daraus gemacht. Mehr als ein ­Dutzend Haflinger stehen in seinem Stall. Frühmorgens werden sie gesattelt, und auf geht es zu bis zu dreitägigen Reitwanderungen hinauf in die Hohen Tauern, entlang alter Saumpfade, hinauf auf baumlose Berggrate über ­Almen und durch Nadelwälder. So hat das alte Handwerk des ­Säumens überlebt und im neuen Gewand den großen Sprung in die Gegenwart des Alpintourismus geschafft. Neuer Anstrich für alte Jagdtrophäen

Dort, wo der Tourismus im Tal am sichtbarsten ist, nämlich am Fuße des Großglockners am hintersten Talschluss des Mölltals, liegt Heiligenblut mit seiner berühmten Wallfahrtskirche. Vom alten Goldgräberdörfchen auf 1.300 Meter Seehöhe mit seinen rauen Sitten, seinem noch raueren Klima und den Holzblockhäusern hat es sich zu einer gut ausgebauten Ansammlung von großen, modernen Hotels und kleinen Geschäften entwickelt. Mittendrin sitzt Gabriele Pichler in ihrem Atelier und verleiht einem weiteren Kapitel alpiner Tradition einen neuen Anstrich, im wahrsten Sinne des Wortes. „Bei den Jägern gibt’s zwei Lager: Die einen sind total begeistert, die anderen finden, es ist Blasphemie“, sagt die 44-jährige Künstlerin über die knallbunt bemalten Hirschgeweihe, Rehbock- und Gamskrickerln, die an der Wand hängen. Die Männer in ihrer alteingesessenen Heiligenbluter Familie sind alle Jäger; Jagdtrophäen lagen schachtelweise im Keller herum. Dann machte Gabriele Pichler eine Mexikoreise: „Ich war immer eine Bunte, und die knallige Farbigkeit der mexikanischen Folklore mit ihren Jaguar-, Rinderund Hirschmasken aus Pappmaché und der Keramik, wo noch jedes kleinste Schälchen bemalt ist, hat mich sehr angesprochen.“ Nach dem ersten bemalten Rehbockkrickerl, einem Geschenk für ihren Vater, kamen immer mehr Leute, die sagten: „Ich will auch, ich will auch.“ Inzwischen liegt sie bei über 100 ihrer bunt bemalten Jagdtrophäen. Ein bisschen, sagt sie, sei es auch eine Versenkung ins Leben draußen. „Ich schweife beim Malen ab, stelle mir vor, wie das Tier gelebt hat, und denke an die Berge, einen harten Winter oder an Bäume“, erzählt sie. „Da ist es dann schon passiert, dass ich für einen Moment das Gefühl hatte, selbst im Wald zu sein und aus dem Hirschkopf heraus auf das Gras am Boden zu schauen.“ Munggen, der Ahn aller bio-instant-produkte

So kann es einem gehen, wenn die Natur allgegenwärtig ist. So allgegenwärtig wie auf Maria Suntingers Bergbauernhof in Ranach oberhalb von Großkirchheim auf der Schattenseite des Tals. Maria Suntinger ist eine von ganz wenigen, die noch Munggen machen. Trendig formuliert handelt es sich um ein traditionelles Bio-Instant-Produkt. Die Herstellung dieser Mölltaler Spezialität ist aufwendig: In einem dunklen Raum ihres Hofs stehen ein großer Wasserkessel und ein gewaltiger Backofen. Dort werden 20 Kilo eines Gemischs aus Roggen-, Weizen- und Gerstenkörnern vier bis fünf Stunden in Wasser gekocht. Wenn es „grad so is, dass es nimma rinnt“, gießt sie es zum Rösten direkt auf die brennend heiße Backfläche des vorgeheizten Ofens – „dass es an G’schmack kriegt“. Die fertige, bröselige Masse kommt dann in einen anderen Raum zum ➻

Bäurin Maria Suntinger (o.) ist eine der Letzten, die noch Munggen herstellen. Für diese rare Mölltaler Spezialität werden Roggen, Weizen und Gerste gekocht, dann geröstet und schließlich zu einem feinen Mehl gemahlen. Waltraud Kelz (u.) verkauft in der Wollwerkstätte Großglockner Produkte aus reiner Schafwolle und kulinarische Köstlichkeiten – alles selbstgemacht von den örtlichen Bauern, die den Verein gegründet haben.

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Unterwegs mit Hubert Sauper

Vom Großglockner talabwärts

Kulinarisches, Historisches, Sportliches und andere ­interessante Dinge aus dem Oberen Mölltal in Kärnten. die alte handelsroute zwischen salzburg und oberitalien

1. Meeresfrüchte auf der Alm Von Mitte Mai bis Mitte Oktober serviert Lydia Pichler, Hüttenwirtin auf der Roaner Alm auf dem Iselsberg nahe Winklern, neben den üblichen ­Hüttenklassikern auch Überraschendes: nämlich Fisch und Meeresfrüchte, die sie ein-, zweimal pro Woche frisch aus Triest holt. Auf 1.903 Meter Seehöhe kommt man so zu bester Mittelmeerkü­ che: Jakobsmuscheln, Sardinen, Scampi, Vongole, Branzino, Seezunge und mitunter sogar Hummer. Lydia Pichler, Roaner Alm, 9992 Iselsberg 102, Tel.: +43/664/949 28 33 oder +43/664/795 26 38, E-Mail: brigittemarleen@yahoo.it 2. Essen und Goldschauen Im Kellergeschoß des Putzenhofs ist eine ausge­ zeichnete Ausstellung über die Geschichte des Goldabbaus in den Hohen Tauern sowie welt­ weit untergebracht. Wer sich ausreichend über Goldmünzen, Knappenleben und goldhaltiges Gestein informiert hat, kann oben im Restaurant in Rittertafel-Atmosphäre unterm Steingewölbe oder draußen im Garten mit Blick auf die Berge auf einer kleinen Steinplatte direkt bei Tisch Fleisch grillen. Putzenhof, Info: Hotel Post, Döllach 83, 9843 G ­ roßkirchheim, Tel.: +43/4825/205 3. Der Garten der Kräuterfrau Über 100 verschiedene Heilkräuter sammelt There­ sia Posani auf den Almen des Oberen Mölltals und der Hohen Tauern. Außerdem baut sie vieles auch in zwei zauberhaften Bauerngärten rund um ihr Haus an. Die Produkte aus „Resis Kräutergarten“ – Tees, Cremen, Tinkturen, Öle – kann man direkt vor Ort erwerben oder sich schicken lassen. Resis Kräutergarten, Mitteldorf 5, 9843 G ­ roßkirchheim, Tel./Fax: +43/4825/249, ­E-Mail: resis-kraeutergarten@gmx.at

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4. Hundert Prozent Schaf Ein Verein mit rund 90 Mitgliedern aus der Bauernschaft der Gegend betreibt die Wollwerkstätte Großglockner. Hier werden Gestricktes und Gefilztes aus heimischer Schafwolle und kleine kulinarische Köstlich­ keiten, die die Mitglieder selbst herstellen, ver­ kauft. Es gibt alles von Schafwoll-Spielmäusen bis zu Schafwoll-Bettauflagen und im ersten Stock eine kleine Schauwerkstatt, wo Besucher Kardieren oder Kardätschen lernen – also das Glattbürsten der gewaschenen Schafwolle über einem Nagelkamm –, das dem Spinnen vorausgeht. Wollwerkstätte Großglockner, Döllach 1, 9843 Großkirchheim 5. Der mit den Lamas geht Das „Döllacher Dorfwirtshaus“ steht mitten im Ortszentrum von Großkirchheim. Das Dreisterne­haus der Familie Ziervogel verfügt über große, helle Zimmer sowie drei nette Stuben und einen Gastgarten. Serviert wird unter anderem Rindfleisch aus eigener Produktion, und zwar von der selten gewordenen Rasse des Hinterwälder-Rinds. Außerdem bietet der Wirt Spaziergänge in der Begleitung von Lamas an. Döllacher Dorfwirtshaus, Döllach 79, 9843 G ­ roßkirchheim 6. Stilmix mit Stil Der Großkirchheimer Schlosswirt liegt direkt an der Bundesstraße Richtung Heiligenblut und ist ein besonders liebevoll ausgestattetes Hotel und Restaurant. Zweifellos ist die Bar des Schlosswirts die einzige im Mölltal mit einer englischen ClubLedercouch, und auch die Kelims, denen man hier begegnet, bilden einen angenehmen Kontrast zum sonst so dominanten Ländlich-Zünftigen. Vielleicht das schönste Haus im Ort. Hotel Schlosswirt, Döllach 100, 9843 Großkirchheim, Tel.: +43/4825/411, www.schlosswirt.net 7. Zu Pferde in die Berge Gleich vis-à-vis vom Hotel Schlosswirt liegt der Pferdestall von Toni Sauper mit seinen mehr als ein Dutzend Haflingern, zugleich Ausgangspunkt für Alpin-Reitwandertouren im Nationalpark Hohe Tauern. Mit seinem „Alpinreit“-Angebot auf alten Saumpfaden hat der Großkirchheimer Berg- und Skiführer eine zeitgemäße, natur- und sporttouris­ tische Variante des historischen Saumhandels

entwickelt. Im Angebot: ein- oder mehrtägiges Wanderreiten auf alten Saumpfaden durch das Gebiet des Nationalparks. Alpinreiten Toni Sauper, Döllach 123, 9843 ­Großkirchheim, www.toni-sauper.com 8. Kleine Geschichte des Säumens In einem Raum des Schlössls Großkirchheim hat Hausherr Hubert Sauper ein kleines Säumermu­ seum untergebracht, das nach Vereinbarung zu besichtigen ist. Dort kann man sich alte hölzerne Saumsättel, historisches Zaumzeug oder auch die sogenannten „Lagln“, die ovalen Transportfässer der Säumer, ansehen. Säumermuseum, Döllach 123, 9843 Großkirchheim, E-Mail: sauper@aon.at 9. Alte Schusterwerkstatt Im alten Gratscherhaus in Großkirchheim ist eine original erhaltene Schusterwerkstatt zu besichti­ gen, die so wirkt, als wäre hier seit Jahrzehnten die Zeit stillgestanden. Tatsächlich hat Sepp Messner, der ungeheuer freundliche Besitzer des Gebäudes,

illustration: andreas posselt

Wenn man genau ist, erstreckt sich das Obere Mölltal von Winklern über Großkirchheim bis Heiligenblut. Ein Großteil davon liegt schon im Gebiet des Nationalparks Hohe Tauern, und zwar auf dessen Kärntner Seite. Es ist eine alpine und sogar hochalpine Landschaft mit sehr viel Wald und Wasser, voller Bäche, Wasserfälle und natürlich mit der Möll als zentralem Fluss auf dem Talgrund. Der Großglockner taucht trotz seiner 3.798 Meter Höhe allenthalben im Hintergrund am Talschluss auf. Als direktester, wenn auch gefahrvollster Teil der Handelsroute zwischen Salzburg und Oberitalien hatte das Obere Mölltal über Jahrhunderte größte Bedeutung, ebenso als Zentrum des Goldabbaus in den Hohen Tauern.


diese seit dem Tod des letzten Schustermeisters, der darin jahrzehntelang gearbeitet hat, völlig unverändert gelassen. Eine sehr schöne Zeitreise in die Ära von Birken- und Flügelnägeln, Handnähten und Holzleisten, Schustergarnen und Stupfeisen fürs Anbringen von Ziernähten. Alte Schusterwerkstatt, Döllach 45, 9843 ­Großkirchheim, Freitag 15 bis 17 Uhr 10. Obermölltaler Bauernmarkt Der Bauernmarkt mit lokalen Spezialitäten findet an fünf Samstagen im Jahr statt: zu Ostern, zu Pfings­ ten, Mitte Juli, zu Herbstbeginn und vor Weihnach­ ten. Der nächste Termin wird der Weihnachtsbau­ ernmarkt am 10. Dezember sein. Unter anderem kann man dort auch das Munggen-Mehl der Bäurin Maria Suntinger kaufen sowie die Produkte aus „Resis Kräutergarten“. Jeweils von 9 bis 12 Uhr, der Sommer-Bauernmarkt von 18 bis 21 Uhr. Tel.: +43/4825/521 (Gemeindeamt Großkirchheim). Obermölltaler Bauernmarkt, Dorfplatz Döllach­Großkirchheim, 9843 Großkirchheim 11. Wasserfall, Teufel und Jungfrau Der „Jungfernsprung“ ist ein über eine überhängen­ de Felswand 130 Meter tief ins Mölltal herabstür­ zender Wasserfall nahe Heiligenblut. Er ist einer der schönsten und eindrucksvollsten Wasserfälle der gesamten Hohen Tauern. Seinen Namen ver­ dankt er einer Sage, wonach sich eine Jungfrau auf der Flucht vor dem Teufel den Wasserfall hinunter­ gestürzt haben und den Sprung – von Engeln getra­ gen – unbeschadet überlebt haben soll. Wasserfall Jungfernsprung, Info: Nationalpark Hohe Tauern Kärnten, 9843 Großkirchheim, Döllach 14, Tel.: +43/4825/61 61 12. Bunte Jagdtrophäen In ihrem Heiligenbluter Atelier bemalt die Grafikerin und Künstlerin Gabriele Pichler Hirschgeweihe sowie­Rehbock- und Gamskrickerln in der bunten, knalli­gen Farbigkeit der mexikanischen Folklore. Die Ergebnisse sind ebenso beeindruckend wie über­raschend – und gehen inzwischen weg wie die warmen Semmeln. Gabriele Pichler, Hof 6–7, 9844 Heiligenblut, Tel.: +43/688/10 25 06 11, E-Mail: gp@volarte.at 13. Heilige und Wallfahrer Die Wallfahrtskirche Heiligenblut gehört – vor allem mit der Kulisse des Großglockners im Hintergrund – zu den berühmtesten Fotomotiven Österreichs. Die Kirche mit ihrem spätgotischen Flügelaltar ist und vor allem war das Ziel vieler Pilger, die hier ein Fläschchen heiligen Bluts verehren, das angeblich aus Byzanz hierhergelangt sein soll. Pfarrkirche Heiligenblut, 9844 Heiligenblut

In ihrem duftenden Hausgarten erntet Theresia Posani die Blüten von Heilpflanzen.

Mahlen: Fertig ist die Munggen. „Sie hält mehrere Jahre, weil sie gekocht, geröstet und gemahlen wird. Wir essen sie alle Tag in der Früh“, sagt sie. Einfach zwei, drei Esslöffel mit heißem Wasser und einer Prise Salz anrühren, fertig. Dazu ein bisschen Milch mit Honig oder geschmolzene Butter. Die schafe sorgen für lawinenschutz und wolle

Bis auf über 2.500 Meter Höhe hinauf gehen hier auch die Schafe, deren Zucht eine lange Tradition hat. Sie beweiden die Hochalmen, halten das Gras kurz und sorgen damit für natürlichen Lawinenschutz. Weil hohes Gras, vom Schnee einfach niedergepresst, „wie eine Rutschbahn für Lawinen“­ funktionieren würde, erklärt Waltraud Kelz von der Wollwerkstätte Großglockner, einem von örtlichen Bauern betriebenen Verein mit Schauwerkstatt. Reine Schafwollprodukte werden hier verkauft – von ganz besonderer Qualität. „Je weiter die Schafe raufkommen, desto mehr Lanolin produzieren sie und desto besser isoliert auch ihre Wolle“, sagt Waltraud Kelz. Eine, die ebenfalls sehr weit hinaufkommt in die ­Berge, ist Theresia Posani – und zwar zum Sammeln von Kräutern und Wurzeln. „Ich geh bis auf 2.400 Meter. Dort hol ich mir mein letztes Kräutl, den Almwermut und die Edelraute. Aus dieser Höhe haben die eine ganz besondere Wirkung.“ Auch ihre Gärten rund ums Haus in Großkirchheim quellen über vor Heilpflanzen. „Offiziell laufe ich als Kräuterfrau“, sagt Theresia Posani, während sie einen kleinen Korb mit Blüten sammelt und Bemerkungen macht wie „Odermennig zum Ausleiten von Krankheiten“ oder „Mutterkraut – das nehm ich im Schlaftee oder für Frauenbeschwerden“. Das Wissen um alte Heilkräuter und Wurzeln und wie man sie zu Tees, Cremen, Ölen, Tinkturen und heilenden Säften macht, hat sie von ihrer Mutter gelernt. Dutzende Sorten getrockneter Blüten, Blätter, Stängel und Wurzeln lagern in Kartons gestapelt in einem Raum ihres Hauses. Sie stellen eine Art Substrat der Natur hier im Oberen Mölltal zwischen Großkirchheim und Heiligenblut dar. Und sie gehören, wie Hubert Sauper, der „Waldläufer“, sagen würde, auch zu den „Geschichten aus meinem Tal“. 3

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Brauchtum

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Geschichten, die der Wein erzählt Ob in Südtirol oder in der Steiermark, im Burgenland oder in Niederösterreich – wo Wein wächst, gedeiht auch das Brauchtum. Ein kleiner Rundblick.

foto: imago

Text: Achim Schneyder  Fotos: Peter Podpera

Blick auf die Rosalienkapelle in den Weingärten von Oggau. Sie wurde 1713 erbaut und erhielt 1861 einen neuen Turm.


Die fünfte Jahreszeit Wenn erst der Susser verkostet wird und dann der Nuier, dürfen die Keschten nicht fehlen. Törggelen in Südtirol – eine uralte Tradition, die den Gaumen erfreut und auch die Seele bei Laune hält.

D

ie Tage werden kürzer, die Luft ist glasklar, die Berge rücken näher. Draußen vor der Tür knistert ein Feuer, die Flammen züngeln, der Ofen ist heiß. Die Kastanien, die Keschten, die in der Pfanne rösten, verheißen: Es ist Herbst. Die Natur greift bereits tief in den Farbtopf, und der Wein ist noch jung. Sehr jung. Susser heißt er hierzulande, der Most. Nach ein paar Wochen wird er dann als Nuier ausgeschenkt. Und in den Stuben der Buschenschanken biegen sich die Tische unter einer himmlisch deftigen Last. Hier in Südtirol, wo der Vernatsch zu Hause ist und der Sylvaner, der Gewürztraminer oder der Lagrein. Hier in Südtirol, wo zudem der ur­ alte Brauch des Törggelen Jahr für Jahr im Oktober und November den Hunger nach purer Lebenslust stillt. Und nicht nur den. Längst ist es zur grenzüberschreitenden Attraktion aufgestiegen, dieses Törggelen. In Scharen kommen die Gäste angereist, wenn sie angebrochen ist, die fünfte Jahreszeit,

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wie die Einheimischen jene opulenten Tage nennen, die sich vom ersten „neuen“ Schluck bis in den frühen Advent hineinziehen. Und trotz der Horden aus aller Welt ist das Ursprüngliche weitgehend erhalten ge­ blieben. Wobei man vor Touristenfallen für organisierte Völlerei natürlich nicht gefeit ist. Wo die Reisebusse sich drängeln, sollte man zur Sicherheit vom Weg abkommen. kaminwurzen & Schlutzkrapfen

„Der Begriff Törggelen wurzelt im Ausdruck Torggl. Das ist die Traubenpresse im Kelter­ raum“, erzählt Rosa Pinggera vom Schnals­ huberhof in Oberplars, der das Gegenteil einer Falle ist. Und dann rührt sie um im riesigen Topf, in dem die Gerstensuppe wallend vor sich hin köchelt. „Törggelen bedeutet eigentlich nichts anderes als das Verkosten des neuen Weines.“ Es riecht ­unglaublich bei Rosa in der Küche. Früher, vor rund 150 Jahren, diente das Törggelen hauptsächlich als beruflicher Er­

Im Schnalshuberhof von Christian Pinggera (im Bild mit seiner Frau) geht’s deftig zu, wenn die Törggelenzeit angebrochen ist. Hier erlebt man den Brauch noch in seiner ursprünglichen Form.

fahrungsaustausch unter den Weinbauern. Oft ging es dabei eher formell zu, seltener so richtig gemütlich. Mit der Zeit aber hat man eingesehen, dass solche Verkostungen in heimeligen Stuben viel stimmungsvoller waren. Zudem begann man, Nachbarn, Verwandte und Freunde einzuladen. Zum Kosten stieg man damals noch in die muffi­ gen Keller hinab, wo die Weinpresse stand. Danach setzte man das Beisammensein bei Wurst und Speck in der Stube fort. Heute gehören zu einem ausgiebigen Törggelen Schüttelbrot, ein hartes, knusp­ riges Fladenbrot aus Roggenmehl, frische Hauswürste, bekannt auch als Kaminwur­ zen, Blutwürste, Schweinsrippen mit Kraut, Gerstensuppe mit Fleischeinlage, Speck- und Käsknödel, süße und auch Schlutzkrapfen, jene mit Spinat und Topfen gefüllten Teigta­ schen, die so lange mit brauner Butter über­ gossen werden, bis sie eben „schlutzen“. Und die gebratenen Kastanien, die Keschten, die runden das Ganze schließlich ab.


Keschten, also Kastanien, geröstet auf offenem Feuer, Gerstensuppe mit Fleischeinlage, Knödel und süße Krapfen, all das darf nicht fehlen, wenn in Südtirol die fünfte Jahreszeit angebrochen ist.

Und um sich diese Zufuhr wohlschme­ ckender Kalorien auch wirklich redlich zu verdienen, unterzieht man sich im Vorfeld der ausgedehnten Schwelgerei einer ebenso ausgedehnten Wanderung. „Die ist aber nicht verpflichtend“, sagt Rosa. Und Christian, ihr Sohn und Chef des Hofes, ergänzt: „Das Törggelen in seiner heutigen Form haben wir dem Meraner und dem Bozener Bürgertum zu verdanken. Die besseren Leute von dort haben so um 1900 herum begonnen, im Herbst zu den Wein­ bauern zu fahren, um zu erkunden, welcher Wein am besten schmeckt. Mit dem haben sie sich dann fürs nächste Jahr eingedeckt. Bei diesen Besuchen wurde auch üppig auf­ getischt, weil die Winzer bei den Städtern Eindruck schinden wollten. Die Touristen haben das Törggelen dann in den späten 1950ern entdeckt.“ Als Ursprungsgebiet für das Törggelen gilt das Eisacktal. Das mutet insofern etwas seltsam an, als dieses Tal, das sich geogra­

fisch gesehen vom Ursprung des Flusses Eisack am Brenner bis zu dessen Mündung in die Etsch bei Bozen erstreckt, gar nicht so viel Wein produziert. Der abschluss eines tauschhandels

Dennoch: Es gibt einen Erklärungsversuch, warum der Ursprung dieses Brauches aus­ gerechnet hier zu finden sei, der durchaus vernünftig erscheint. Demnach revanchier­ ten sich die wenigen Eisacktaler Bauern, die Wein anbauten – früher Rotwein, heute hauptsächlich Sylvaner, Müller-Thurgau und Kerner – und die ihre Tiere auf die Weiden der Bergbauern schickten, bei ebendiesen Bergbauern mit einem herbstlichen Bauern­ schmaus und ein paar Flaschen mit neuem Wein. Törggelen gleichsam als würdiger Ab­ schluss eines „Tauschhandels“. Weit profaner liest sich freilich der zwei­ te Erklärungsversuch. Der besagt, dass den Erntehelfern nach dem Ende der Saison als

Dank einfach ein großes Festessen zuberei­ tet wurde. Dass Wein und Kastanien beim Törggelen so untrennbar miteinander verbunden sind, ist wiederum bajuwarischen Prälatenklös­ tern zu verdanken. Die besaßen im Mittelal­ ter ausgedehnte Weingüter in Südtirol und produzierten Messwein sowie sogenannten Zechwein, und das Herstellen der Fässer führte bald zu einem wachsenden Kasta­ nienholzbedarf. Aus den Früchten machte man Kestn und Fiseilnsuppn, Suppen aus Kastanien und Bohnen, die als Fastenspeisen in Klosterküchen bekannt und beliebt waren. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass die kulinarisch sehr aufgeschlossenen Benediktiner bald die antike Affinität zu gebratenen Kastanien und jungem Wein entdeckten. Inzwischen ist es dunkel. Das Feuer draußen glost nur noch, die gerösteten Kastanien rasten. Drinnen in der Stube wird nachgeschenkt. ➻

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Mit Hut, Hiatahackl und „Ausweis“ – ihrem Anstecker (oben rechts) – streiften die Weinhüter, die sehr spartanisch lebten (links unten), bis in die 1970er-Jahre durch die Weingärten. In ihrer Uniform (rechts unten) stellen die Burschen im November den Hütereinzug nach.

Die Weinpolizei in der Teufelshaut Weinhüter, sogenannte Hiata, gibt es seit dem Jahr 1340. Besonders gepflegt wird ihre Tradition in Perchtoldsdorf bei Wien. Anfangs machten sie mit H iatahackln Jagd auf Traubendiebe, später bekam so mancher Schurke auch Sauborsten schmerzlich zu spüren.

P

erchtoldsdorf bei Wien, ein sonnen­ durchfluteter Nachmittag. Mitten in den Weinbergen eine weiß getünchte Hütte, ein Hüterhäuschen, eines von sechs, die immer noch stehen in dieser Gegend. Kein Wasser, von Strom natürlich ganz zu schweigen. Im Erdgeschoß das Wohn­ zimmer, rund acht Quadratmeter groß. Ein Tisch, eine Holzbank, eine Kerze, kein Fenster. Nur die niedrige Tür, vor der neben einer Feuerstelle eine hohe Föhre thront. Gleich einem Maibaum, nur nicht geschmückt. Der Hiatabam. Und drinnen an der Wand ein Spiegel, der das Kerzenlicht reflektiert und den Raum in den Abend­ stunden so ein wenig heller erscheinen lässt. Die Wände tapeziert mit Tannenreisig,

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quasi eine natürliche Klimaanlage. Ist es heiß draußen, wird’s drinnen kühler. Und umgekehrt. Im Dachgiebel eine einfache Pritsche, das Bett. Mehr nicht, das war’s. Draußen vor der Hütte posieren an diesem Nachmittag ein paar junge Männer in jener Hiatauniform, die sie im Novem­ ber, am ersten Sonntag nach St. Leonhard (6. November), beim traditionellen Hiataeinzug, dem ältesten Erntedankfest Öster­ reichs, tragen werden. Damenbesuch war streng verboten

Dieses Fest geht auf die Legende des Hiata Thomas zurück, der laut Aufzeichnungen im Jahre 1422 während seines Dienstes schwer verprügelt worden war, ehe er am

Leonhardisonntag erstmals wieder in der Lage war, auf Krücken die Messe zu besu­ chen (dazu mehr in der November-Ausgabe Ihres Servus-Magazins). Schwer vorstellbar, dass mit so einer Hütte als Basislager noch in den frühen 1970er-Jahren ein Hiata seinen Dienst ver­ sehen und während der Weinlese zwischen Ende August und Mitte November auch hier gewohnt hat. Unter Eid übrigens, denn sie mussten in etwa vom Jahre 1700 an vor dem Bürgermeister ein Treuegelöbnis ab­ legen, diese Hiata. Kein Damenbesuch, kein Alkoholgenuss, und schwangere Frauen durften nicht bestraft werden. Ja, das war eine der Aufgaben der Hia­ ta – Diebe ertappen und bestrafen, sprich:


verprügeln und/oder in die Flucht schla­ gen. Notfalls mit Waffengewalt, im Idealfall aber schnappen und ausliefern. In Krems beispielsweise schon seit 1340, dort gab es die ersten, hier in Perchtoldsdorf kamen sie etwas später. Und auch in allen anderen Weinbaugebieten Österreichs gab es diese urtümliche Weinpolizei. „Die einfachen Leute konnten sich damals keinen Wein leisten, wollten aber welchen trinken, also versuchten sie, Trauben in großen Mengen zu stehlen und den Wein ir­ gendwie selber zu produzieren. Das war den Weinhauern natürlich ein Dorn im Auge“, erzählt Franz Distl, Obmann vom Perchtolds­ dorfer Winzerverband. „Außerdem galt es, Tiere zu verscheuchen, die von den Trauben naschen wollten. Schweine, Rehe, Vögel und was sonst noch so lebte in der Gegend.“ Überwiegend waren es einfache Bur­ schen aus ärmlichen Verhältnissen, die sich als Hiata bewarben. An das Gelöbnis, keine Schwangeren zu bestrafen, sollen sie sich übrigens stets gehalten haben. Was den Damenbesuch und den Alkohol betrifft, ist man sich da nicht ganz so sicher … Meist streiften die Hüter im Morgen­ grauen und in der Dämmerung durch die ihnen zugeteilten Weingärten. Ausgestattet

mit einem Hiatahorn, mit dem sie sich mit ihren Kollegen in den angrenzenden Gebie­ ten verständigen konnten, wenn Gefahr in Verzug war, später auch mit Feldstechern und bewaffnet mit dem Hiatahackl, einer Art Axt, im Laufe der Jahre auch mit einem Gewehr. „Scharfe Munition war natürlich verboten“, so Franz Distl, „also wurde statt mit Schrot mit Sauborsten geschossen. Und deren Wirkung war fatal. Ein Schuss in den Allerwertesten etwa fühlte sich an wie tau­ send heftige Nadelstiche gleichzeitig, und in der Folge entzündeten sich die Wunden. Da war Sitzen oft über Wochen so gut wie unmöglich.“ Tote soll es aber nie gegeben haben, zumindest nicht hier in der Gegend. Wenn die Föhren wieder fallen

Untertags, wenn sich Diebe und Getier nicht getrauten, durch die Weingärten zu streifen, weil diese während der Lese voller Leben waren, da mischten sich die Hiata unter die Erntehelfer und bekamen hin und wieder auch etwas Brot und Speck ab. Auch Wein – wenngleich nicht offiziell. Es gibt Gemälde aus jener Zeit in präch­ tigen Farben, die Erntehelfer und Hiata gemeinsam zeigen und das Geschehen na­ hezu idyllisch erscheinen lassen. Der Schein

jedoch kann trügen. Mit eigener Nahrung hatten sich die Hiata schon im Vorfeld ih­ rer Tätigkeit einzudecken, denn während der Wochen in ihrem Revier war es ihnen untersagt, dieses zu verlassen, um im Ort etwas zu kaufen oder sich anderweitig zu vergnügen. Der Lohn, das sogenannte Hutgeld, war ziemlich karg, wurde nach der Saison ausgezahlt und setzte sich aus dem Obolus zusammen, den die Weinhauer zu entrich­ ten hatten und der sich an der Größe der jeweiligen Güter orientierte. Gekleidet waren die Hiata in einer Boachat, einer Jacke aus Leinen, später dann, so ab 1880 und dank Levi Strauss aus Jeansstoff, sowie einer Hose, der Teufelshaut, dicht gewebt und nahezu wasserundurchlässig. Dazu trugen die Hia­ ta einen Hut und eine Plakette am Revers, quasi ihren „Ausweis“. Am Montag nach dem Hiataeinzug schließlich wurden (und werden) die Föhren vor den Hütten wieder umgesägt. Aufgestellt werden sie traditionell Ende August – als Zeichen dafür, dass der Weingarten ab sofort bewacht und das Betreten verboten ist. Was Dieben und Tieren zwischendurch freilich herzlich egal war. ➻

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Sie gehören zum Steirischen Weinland wie die Ampeln zur Großstadt: die Klapotetze. Marianne Elsneg bindet einen Birkenbuschen (links), den sie gemeinsam mit Winzer Hartmut Aubell als Windfahne am Klapotetz befestigt (rechts).

Von Vogelscheuchen, die Wahrzeichen sind Man begegnet ihm in der Südsteiermark an allen Ecken und Enden, dem Klapotetz – jenem Windrad, das die Trauben schützen soll. Die Vögel freilich fallen auf diesen alten Trick schon lange nicht mehr rein.

I

m Steirischen Weinland, speziell in der Südsteiermark, wo gleichsam hinter je­ dem Eck einer der schönsten Flecken Erde lauert, gibt’s ein Geräusch, das speziell zwischen 25. Juli und 11. November ein verlässlicher Begleiter ist, wenn man auf den Spuren des Genusses wandelt. Ein stetes Klappern ist es, ein ewiges Rat­ tern, und entfernt erinnert es bisweilen an

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den metallischen Klang einer Maultrommel. Mal tiefer, mal höher, mal andante, mal forte. Oft auch fortissimo, wenn der Wind heftig bläst und der Klapotetz so richtig in seinem Element ist. In Wahrheit ist er ja nichts anderes als ein Windrad, der Klapotetz. Ein Windrad, das Krach macht, zumindest in den Ohren der Vögel.

Und diese soll er bitte schön verscheu­ chen und so die kostbaren Weintrauben vor unerwünschten Fressangriffen schützen. „Allerdings haben die Vögel recht bald begriffen, dass von diesem Geräusch keine wirkliche Gefahr für sie ausgeht. Heute ist der Klapotetz mehr ein Wahrzeichen und eine Attraktion für Besucher“, erzählt Hart­ mut Aubell, Winzer aus Ratsch, und präsen­


tiert stolz den seinen, der im Weingarten thront. „Der ist neu“, sagt er, „denn der alte hat seinen Geist aufgegeben, nachdem er fünf Jahre lang tagein, tagaus Sonne, Regen, Eis und Schnee ausgesetzt gewesen war.“ 1.000 Euro hat er für diesen Klapotetz mit vier Meter Spannweite bezahlt. Damit zählt er zu den eher größeren. Hergestellt wurde er von Franz Skrabel aus Gamlitz, einem der wenigen, die dieses traditio­ nelle Handwerk noch wirklich pflegen. „1.000 Euro und ein paar Kisten Wein.“ Von Jakobi bis Martini

Aubell lächelt. Auch den neuen wird er wieder das ganze Jahr über stehen lassen, während der Großteil der mehr als 500 Kla­ potetze in der Steiermark auf- und wieder abgebaut wird. Stichtage hierfür sind der Tag des hei­ ligen Jakobi am 25. Juli und Martini am 11. November. Und während der Abbau sang- und klanglos über die Bühne geht, ist das Aufstellen stets ein recht feierlicher Akt. „Bei uns in Ratsch beispielsweise gibt es die Jakobi-Wanderung“, erzählt Aubell. „Da schlendert man von Winzer zu Winzer, die alle ihre Klapotetze schon am frühen Vor­

mittag aufgebaut haben, überall gibt’s et­ was zu trinken, manchmal auch Musik. Und dann gibt es eine letzte Station, da steht der Klapotetz noch nicht, und dort wird er dann in einem großen Festakt in Handarbeit, quasi wie ein Maibaum, aufgestellt.“ Die Geschichte des Klapotetz geht zu­ rück ins Jahr 1797. Leopold Kretzenbacher hat den Brauch in seinem Buch Windradl und Klapotetz erstmals schriftlich erwähnt. Aus dem Jahr 1832 gibt es eine Darstellung des Schlosses Wisell bei Cilli mit einem Kla­ potetz, und auch Erzherzog Johann besaß 1836 auf seinem Weingut in Pickern einen solchen. Vier Hölzer für eine Tradition

Der Klapotetz bestand damals und besteht auch heute noch aus einem Windrad mit Welle und Klöppeln. Der Name stammt aus dem Slowenischen – klopótec, zu Deutsch: Klapper. Im Slowenischen und im Öster­ reichischen Wörterbuch ist der Klapotetz männlich, im südsteirischen Sprachge­ brauch hingegen oft weiblich, wohl abge­ leitet aus „die Windmühl’“. Als Material für die Herstellung werden vier Holzarten benötigt: Fichte (oder auch Tanne oder Lärche) für die Flügel, Buche

für die Klöppel, Esche oder Kastanie für den Block und Kirsche für das Schlagbrett. Letz­ teres darf nicht durch ein anderes Material ersetzt werden, denn nur Kirschbaumholz erzeugt schrille Töne und wahrscheinlich auch Töne im Ultraschallbereich, die die Vögel am ehesten fernhalten. „Wenn sie sich überhaupt fernhalten las­ sen“, stöhnt Hartmut Aubell. Der Riese vom DEmmerkogel

Am hinteren Ende des Klapotetz werden ­zudem oft Birkenbuschen als Windfahne und Gegengewicht angebracht. Der größte Klapotetz steht übrigens auf dem Demmerkogel nahe Kitzeck auf 670 Höhenmetern, ist 16 Meter hoch, das Schlagwerk mit Windrad wiegt 3,4 Tonnen, der Eichenholzstamm 2,6 und jeder einzel­ ne Klachel 40 Kilo. Ein wirklich gewaltiges Ding also. Jetzt frischt der Wind auf, und Hartmut Aubell schenkt gerade vom Sauvignon blanc nach. „Jetzt klingt’s ein bisserl nach Maschi­ nengewehr, oder?“, sagt er. Stimmt, aber man könnte, und das ist deutlich sympathi­ scher, auch an einen Zug denken, der über die Gleise rattert. Und einen geradewegs ins steirische Weinland bringt … ➻

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Wenn Edi Tscheppe seine alten Baumpressen anwirft (links), dann wird aus den weißen Trauben ein Wein namens „Mechthild“ und aus den roten „Bertholdi“.

Zurück zu den Wurzeln Im burgenländischen Oggau erlebt eine bereits totgeglaubte Tradition Wiederauferstehung. Winzer Eduard Tscheppe hat zwei uralte Baumpressen zum Leben erweckt.

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ajestätisch thronen sie im Keller­ gewölbe, die beiden hölzernen Baumpressen aus einer Zeit irgendwann zwischen 1810 und 1820. „Die letzte Ziffer, die Ziffer nach dem Einser, die kann man auf beiden nicht mehr lesen. Leider“, sagt Edi Tscheppe, der aus der Steiermark ins Burgenland ausgewanderte Winzer. Es sind zwei Baumpressen, wie es vie­ le gibt im Burgenland, natürlich auch in Niederösterreich oder in der Steiermark. Und doch unterscheiden sie sich von den anderen. Denn während ähnliche Riesen meist nur noch als Zeugen der Vergangen­ heit inaktiv in Kellern oder Heurigengärten stehen, sind diese beiden seit 2007 wieder in Betrieb. „Im Burgenland“, sagt Tscheppe, „sind wir die Einzigen, die wieder von Hand pressen.“ Was dabei herauskommt, nennt sich Mechthild und ist ein Weißwein und Bertholdi, das ist der Rote. Der hohe Zeitaufwand, sie zu bedienen, war es, der die Baumpressen ab den 1950erJahren aus der Mode kommen ließ. Ab den 1970ern setzten die Winzer ausschließlich

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auf mechanische Pressen. „Die verwenden wir natürlich auch“, sagt Tscheppe, „aber eben nicht nur. Es geht beim Wein ja auch um die Ursprünglichkeit. Man hat beim Pressen von Hand einen noch intensiveren Bezug zum Rebensaft, außerdem ist der Vorgang extrem schonend.“ Der Methusalem im Kamptal

Nördlich der Alpen wurden die Baumpres­ sen vermutlich direkt von den Römern übernommen. Zudem gibt es auch in mit­ telalterlichen Handschriften Abbildungen von Baumkeltern, die fast unverändert bis ins 20. Jahrhundert als Traubenpressen eingesetzt wurden. Wenn die Baumpressen entsprechend groß waren, konnte man mit ihnen einen Pressdruck erzeugen, der dem moderner Geräte kaum nachsteht. Bereits im 14. Jahrhundert sind Baum­ pressen auch in schriftlichen Quellen erwähnt. Demnach standen sie anfänglich im Freien, in der frühen Neuzeit errichtete man Gebäude um sie, damit man die Trau­ ben bei jedem Wetter pressen konnte. Die

älteste Baumpresse im deutschsprachigen Raum befindet sich übrigens im Kamptal im Weinschlössl Godfried Steinschaden in Engabrunn. Den Pressbaum ziert die Jah­ reszahl 1564. In Gegenden mit intensivem Weinbau sind die Kelterhäuser – abgesehen von den Kirchen – nicht selten die größten histo­ rischen Gebäude im Ort, größer als das Rathaus oder die Bürgerhäuser. Und um die Ordnung in den Keltern aufrechtzuerhalten, erließen die Herrschaften Kelterordnungen, die in den Lagerbüchern oder Urbaren auf­ gezeichnet sind. Oft waren die Herrschaften für den Unterhalt der Keltern verantwort­ lich und bekamen dafür einen Teil des ge­ pressten Traubensaftes als Gegenleistung. „Bei uns“, erzählt Tscheppe, „gehörten die Pressen zum Inventar, als wir Gut Oggau übernommen haben. Und sie waren nahezu funktionstüchtig. Nur die Presskörbe muss­ ten wir erneuern.“ Möglich, dass Tscheppe auch manch anderen motiviert, zu den Wur­ zeln zurückzukehren. „Ich würde mich sehr für ihn freuen. Für den Wein.“ ➻


Im Binderstadl des Stifts Klosterneuburg steht das Tausendeimerfass aus dem Jahre 1704 mit einer Höhe von fast vier Metern. Heute erfüllt es nur noch einen Zweck – man rutscht auf ihm herunter, was vor allem Kindern einen Heidenspaß bereitet.

Das Kellerrecht des Pantoffelhelden Im Stift im niederösterreichischen Klosterneuburg wird der Brauch des Fasslrutschens bis heute gelebt und gepflegt. Rundherum ranken sich allerlei abenteuerliche Gerüchte und Geschichten.

A

m 15. November, wenn es längst nicht mehr stürmt und der erste jun­ ge Wein bereits den Gaumen kitzelt, da tref­ fen sich die großen und die kleinen Kinder in Klosterneuburg bei Wien. Gefeiert wird das Leopoldifest zu Ehren des Markgrafen Leopold III. Die Kirtagsluft ist erfüllt von Zucker­ watte, Glühwein und Punsch, das Karussell

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dreht sich, der Werklmann spielt, bunte Lichter leuchten, und im Binderstadl des Stiftes, in der Fassbinderei also, frönt man dem Fasslrutschen. Ein Brauch, der auf einem Fass aus dem Jahre 1704 ausgeübt wird, dem soge­ nannten Tausendeimerfass mit 56.000 Liter ­Fassungsvermögen, fast fünf Meter Länge und einer Höhe von 3,84 Metern. Ursprüng­

lich diente das Fass, so sagt man, zur Auf­ nahme des Zehent­weines der Pachtbauern des Stiftes. Seit es durstige Franzosen 1809 zur Gänze geleert haben, wurde es nicht mehr gefüllt. Von der Bedeutung dieses Brauches weiß man wenig. Am ehesten kann er aber auf das Abliefern des Weines durch die Hauer an das Stift zurückgeführt werden.


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