Servus in Stadt & Land 10/12

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10/2012 &

in Stadt & Land

Der Schilfdachmacher

P.  b.  b., GZ12Z039142P, Verlagspostamt 1110 Wien Herbstzeitlose  &  Naturapotheke: Kamille  & Maroni & Tierleben: Graugänse  & Salzburger Schirme   & Keschtnriggl

Handwerkskunst aus Purbach

2

E i nfac h

.

Gut .

Leben

Klassiker vom Kalb

Rezepte aus ganz Österreich

2

Oktober 10/2012

EUR 3,90 chf 6,50

Fest der Farben Wenn’s Herbst wird im Land

Hubertusbrauch in Hintersee

&

Zu Gast im Thayatal

& Thomas Glavinic: Am Mondsee >


96

76

14

Oktober

Natur & Garten

140

Küche

Wohnen

14 Schräg im Wind

54 Vielseitige Maroni

86 Kleinod im Weinberg

20 Sympathische Helfer

60 Der goldene Rest vom Kalb

96 Fundstück

26 Bunter Reigen

68 Aus Omas Kochbuch

98 Was vom Sommer blieb

Die Herbstzeitlosen haben jetzt auf den Wiesen ihren großen Auftritt.

Manchmal soll ein Zauberspruch rund um eine Heilpflanze genügen, um wieder gesund zu werden.

Ein naturnahes Gartenparadies in der Oststeiermark zeigt jetzt seinen besonderen Charakter.

40 Blühender Herbst

Zu Besuch bei Dahlienflüsterer Gerhard Wirth in Wien-Währing.

156 Fliegende Propheten

Höchste Zeit, mit so manchem Vorurteil gegen Graugänse aufzuräumen.

6 Servus

Die glänzend braunen Früchte der Edelkastanie haben es in sich.

Beuscherl, Bries, Zunge, Backerl und Haxe – fünf Klassiker der österreichischen Küche.

Mohnnudeln aus Häferlsterz.

72 Happel aus der Grube

Im steirischen Joglland lässt ­Waltraud Froihofer Weißkraut so wie einst unter der Erde reifen.

76 So a Grieß!

Vom Nockerl bis zum Strudel: Köstlichkeiten aus den feinen Weizen- und Maiskörnchen.

Hoch droben über Wien genießt Familie Winter das ländliche Leben.

Wie aus Malerpinsel und Draht­ bürsten praktische Schreibtisch­hilfen werden.

Samenkapseln und Fruchtstände entpuppen sich als kunstvolle Zierde.

102 Basteln mit Kindern

So werden aus Bucheckerln lustige Füchse fürs Fensterbrett.

104 Vom Feiern & Feuern

Ein ausgedientes Fassl und hübsche Dekoration – mehr braucht man nicht für ein feines Kürbisfest.

zusatzfotos cover: marco rossi, eisenhut & mayer

Inhalt 2012


162 150

Fotos Inhalt: okapia bildaRCHIV, RUTH EHRMANN, EISENHUT & MAYER, marco rossi, ingo pertramer, arnold pöschl, your photo today

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Standards 156

Land & Leute 110 Nass werden die anderen

Bei Kirchtag in Salzburg-Stadt werden Schirme noch per Hand gemacht.

116 Hubertus sei Dank

Im Herbst halten die Jäger inne und feiern die Hubertusmesse.

124 Alles gut bedacht

Rund um den Neusiedler See werden Häuser mit Schilf gedeckt. Martin Sandhofer weiß noch, wie’s geht.

136 Vergessenes Handwerk

Der Keschtnriggl: ein alter Südtiroler Flechtkorb zum Kastanienschälen.

140 Schweres Erbe, großes Glück

Für seinen 700 Jahre alten Erbhof wurde Johann Tappeiner Bauer.

150 Seine Welt ist ein Bogen

Micha Wolf bei St. Veit an der Glan kann noch wie unsere Urahnen Pfeil und Bogen herstellen.

162 Am Ufer der Mühlen und Muscheln

Das Waldviertler Thayatal ist ein beschauliches Stück Flusslauf, das viel zu erzählen hat.

186 Alte Zeiten

Der Mensch, so hieß es dereinst landauf, landab, beginnt beim Kopf. Und den deckte ein Hut, eine Haube oder ein Tuch.

5 Editorial 10 Mundart 12 Servus daheim 36 Schönes für draußen 38 Der Garten-Philosoph 44 Service: So wird das Werkzeug

fit für den Winter

46 Gartenpflege, Mondkalender 52 Natur-Apotheke: Kamille 70 Selbst gemacht: Topfengolatsche 82 Schönes für die Küche 108 Schönes für drinnen 132 Michael Köhlmeier:

Die schönen Frauen von Lech

174 Gutes vom Bauern 176 Thomas Glavinic:

Zurück aufs Land

180 ServusTV: Sehenswertes im Oktober 184 Feste, Märkte, Veranstaltungen 194 Impressum, Bezugsquellen Titelfoto: Toni Anzenberger/Anzenberger; Großes Walsertal in Vorarlberg

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Blühender Herbst

Dahlie

Ein Wunder namens

Mitten im 18. Bezirk in Wien, wo früher Wein wuchs, bietet sich jeden Herbst ein atemberaubender Anblick. Tausende bunter Dahlien leuchten dort im milden Sonnenlicht. Servus zu Gast bei Dahlienflüsterer Gerhard Wirth. Text: Veronika Schubert Fotos: philipp schuster

G

erhard Wirth genießt die ruhigen Morgenstunden, in denen er am ­Freitag und Samstag Dahlien schneidet. Später kommt er kaum noch dazu, denn an diesen beiden Tagen hält er seine Gärtnerei geöffnet. Vor allem im Herbst, wenn die Dahlien blühen und sich in ihrer ganzen Schönheit präsentieren, ist der Besucher­andrang besonders groß. Wer sich an Dah­lien erfreuen will, muss schon jetzt für die nächste Saison vorsorgen. Dutzende Sorten, die auch Laien anhand der Schrifttafeln identifizieren können, blü-

40 Servus

hen im Schaugarten: wuchtige DekorativDahlien, solche, die Seerosen ähneln oder mit ihren stacheligen Blütenblättern an Kakteen erinnern, und gedrungene Pompon-Dahlien. Die Menschen schlendern mit interessierten Blicken durch den Schau­ garten und notieren ihre Lieblinge für das nächste Jahr. Rechtzeitig im April müssen die Knollen in die Erde. Dahlienexperte Gerhard Wirth ist im Hauptberuf für die Ausbildung der Wiener Gärtner zuständig. Botanische Fachkennt­nis war ihm schon immer wichtig; das mag

auch der Grund sein, warum er sich – wie früher sein Vater – intensiv mit der Ent­ wicklung neuer Sorten beschäftigt. Wer in diesem Bereich kein Dahlienflüsterer ist, steht auf verlorenem Posten. „Dahlien haben bereits meinen Groß­ vater wegen der enormen Vielfalt ihrer Blüten fasziniert. Sie verfügen über acht­ fache Chromosomensätze – der Mensch hat einen zweifachen –, spalten bei Kreuzungen extrem auf und lassen sich daher besonders gut für züchterische Zwecke verwenden“, erklärt Gerhard Wirth.


Die Vielfalt der Sorten in der Wiener Dahlien-Kultur ist enorm: kleine pomponförmige oder große Dahlien, die an Seerosen und Kakteen erinnern, und solche mit ­Halskrausen. In den herbstlichen Morgenstunden nimmt sich Gärtner Gerhard Wirth die Zeit, farbenprächtige Sträuße zu schneiden.

Wenn er neue Dahlien hervorbringen will, sagt er, sei die Überraschung immer groß. Die eigentliche Arbeit beginnt mit der Auswahl. Hier gilt es, mit kritischem Blick die besten Sorten für die Weitervermehrung zu finden. „Die purpurfarbene Purple Joy etwa hat zu schwache Knollen“, erklärt der Züchter, „ich kreuze sie deswegen mit der Sorte Spartacus, um diese Eigenschaft zu verbessern. Mit dem Ergebnis bin ich aber noch nicht ganz zufrieden. Manchmal dauert es lange, bis eine wirklich gute neue Sorte entsteht.“

Dahlien gehören zu den Korbblütlern. Ihre Blüten sind, botanisch gesehen, Blütenstände; jedes scheinbare Blütenblatt ist eine eigene Zungenblüte. Bei manchen Sorten kann man die Röhrenblüten im Inneren sehen, viele Dahlien aber blühen, wie es in der Fachsprache heißt, gefüllt und bestehen überwiegend aus Zungenblüten. Trotzdem tummeln sich auch auf ihnen Hummeln und Bienen auf der Suche nach Nektar. Das Gebrumme rund um die Zungenblüt­ler ist allerdings nicht ganz selbstverständlich, wie der Dahlienkenner weiß: „Wer sich

so eine Zungenblüte genau anschaut, sieht erst am Ende der Zunge die Staubgefäße. Pollen müssen da sein, sonst könnte man keine Samen abnehmen. In­sekten sind aber bequem und fliegen bevorzugt dorthin, wo der Tisch reich gedeckt ist. Bei uns tun sie sich trotzdem die Mühe an und kriechen in die gefüllten Dahlien.“ Kalte Nächte bringen Farbe

Dann geht Gerhard Wirth in seinem Schaugarten ein paar Schritte weiter. Vorbei an Hirschgeweih-Dahlien, bei denen ➻

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Die bunte Welt der Dahlien

Magic Night Gruppe: Halskrausen-Dahlie Blüte: klein, 10–15 cm Durchmesser, schwarzrot mit weißer Krause Höhe: 120–150 cm Besonderheiten: spekta­ kuläre Farbkombination

Jugendstil

Bishop of Llandaff

Gruppe: Ball-Dahlie Blüte: klein, 10–15 cm Durchmesser, rosa, purpurfarbene Sprenkelung und Zentrum (wirkt insgesamt fliederfarben) Höhe: 80–110 cm Besonderheiten: eigene Züchtung von Dr. Gerhard Wirth (Vater des Gärtners)

Gruppe: Halskrausen-Dahlie Blüte: klein, 10–15 cm Durchmesser, scharlachrot, DuplexDahlie (hat zwei Blütenkränze zu je 8 Zungenblüten) Höhe: 80–110 cm Besonderheiten: dunkles Laub, Fernwirkung, nicht für dunkle Gärten geeignet

Kritischer Blick auf eine Züchtung. Einfache Blüten bieten Bienen mehr Pollen als gefüllte.

Uranus

Costa Blanca

Biedermannsdorf

Gruppe: Hirschgeweih-Dahlie Blüte: mittelgroß, 15–20 cm Durchmesser, lachsorange Höhe: 120–150 cm Besonderheiten: reichblühende Neuzüchtung von Gärtner DI Gerhard Wirth

Gruppe: Kaktus-Dahlie Blüte: mittelgroß, Durchmesser 15–20 cm, weiß Höhe: 80–110 cm Besonderheiten: sehr reich blühend

Gruppe: Semikaktus-Dahlie Blüte: groß, 20–25 cm Durchmesser, gelb-rot gesprenkelt Höhe: 120–150 cm Besonderheiten: bewährte Schnittsorte, „MainauDahlienkönigin“, Selektion aus der Sorte „Vulkan“

Fabuleux Gruppe: Dekorativ-Dahlie Blüte: riesenblütig, über 25 cm Durchmesser, lila bis weinrot, spätblühend Höhe: 120–150 cm Besonderheiten: anfällig bei Regen, in manchen Jahren späte Blüte.

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die Blütenblätter an Geweihe erinnern, und Halskraus-Dahlien, deren Zungen andersfarbig und in Krausenform erstrahlen. Bei Dahlien entstehen die intensivsten Farben durch kühle Nächte, im Sommer sind die Töne etwas blasser. Auch Nährstoffe im Boden beeinflussen ihre Blühbereitschaft. Wird zu viel gedüngt, produzieren die Pflanzen hauptsächlich Blattmasse. Wenn zu viel Stickstoff eingebracht wird, bilden sich nur kleine Blüten, und auch die Knollen entwickeln sich schlecht – was im nächsten Frühjahr für Enttäuschung sorgen kann: Sie zerfallen dann förmlich zu Staub. Daher lautet die Devise beim Düngen: Weniger ist mehr. Beim Auspflanzen reicht eine Dosis Spezialdünger, der im Verhältnis der Hauptnährstoffe verstärkt Kali und Phosphor enthält. Später genügt es, alle drei Jahre gut verrotteten Kompost ein­zuarbeiten. Dahlienknollen müssen im Herbst, nachdem der Frost die oberen Triebe gezischt und schwarz gefärbt hat, aus der Erde. Den Winter über lagern sie kühl und dunkel in luftigen Kisten; Erdkeller eignen sich dafür ideal. Im April dürfen sie wieder zurück ins Gartenbeet; zu große Knollen werden vor


In der Gärtnerei Wirth stehen die Dahlien nach Sorten getrennt in Reih und Glied, gut überschaubar für die Besucher. Der Herbst ist die beste Zeit, um sich zu entscheiden, welche Formen und Farben im nächsten Frühling gepflanzt werden sollen.

dem Auspflanzen geteilt. „Ich decke in der Gärtnerei den Boden mit Bändchen­ gewebe ab, da kommt kein Unkraut durch, und es verdunstet auch weniger Wasser“, beschreibt Gerhard Wirth seine arbeits­ sparende Kulturmethode. Der Herbst ist dann die Zeit, in der sich die Dahlien für die sorgsame Pflege bedanken. Als optisch reizvolle Schnittblumen halten sie in der Vase etwa fünf Tage. „Wenn allerdings das Wasser zu riechen be­ginnt, ist es für die Blumen zu spät“, sagt Gerhard Wirth und empfiehlt deshalb, mög-

lichst wenig Wasser in die Vase zu ­geben und regelmäßig geringe Mengen nachzu­ gießen. Die weichen, fleischigen Stiele sind nämlich sehr anfällig für Bakterien und Fäulnis. Ein Dahlienstrauß sollte auch niemals in der Sonne stehen, seine Blätter dürfen keinesfalls ins Wasser ragen. ein butterbrot mit dahlienblüten

Draußen im Garten setzen vor allem Schnecken dem gesunden Wachstum zu. Schnecken sind gnadenlos; sie können die jungen Pflänzchen eines Beetes innerhalb

Dahlia Familie: Korbblütler (Asteraceae) Herkunft: Mexiko, bei uns nicht winterhart, die Knollen müssen im Haus überwintert werden. Standort: sonnig, jeder normale, gut wasserdurchlässige Boden; nicht zu viel Stickstoff düngen. Blüte: Frühsommer bis zum ersten Frost Farbe: alle außer Blau Sorten: nach Blütenformen in Gruppen eingeteilt,

und zwar in Einfachblütige, Anemonenblütige, ­Dekorativ-, Halskrausen-, Seerosen-, Ball-, Pompon-, Kaktus- und Semikaktus-Dahlien Garten: Im April Knollen setzen oder im Mai nach den Eisheiligen auspflanzen; große Knollen teilen. Vorkultur in Töpfen hilft gegen Schneckenfraß. Später zum Schutz vor Wind und Regen rechtzeitig anbinden und verblühte Blüten regelmäßig ausputzen, denn das fördert die Nachblüte.

kürzester Zeit kahlfressen. „Wichtig ist ­deshalb“, sagt Gerhard Wirth, „gleich beim Einsetzen der Knollen biologisches Schneckenkorn zu streuen, selbst wenn die Tiere noch gar nicht da sind. Noch besser ist es, die Dahlien in Töpfen vorzuziehen, dann werden sie größer und kräftiger und stecken später die Angriffe besser weg.“ Aber die Pflanzen erfreuen nicht nur das Auge. Gerhard Wirth pflückt eine Blüte und kostet sie; die roten sind die süßesten. Über einen Salat gestreut wirken Dahlien überaus dekorativ, auch auf einem Butterbrot machen sie gute Figur. Wer sich ihnen mit Hingabe widmet, wird darüber hinaus mit dem Insignium der Blumenfreunde geadelt. „Man braucht nur viele Dahlien zu schneiden, und schon hat man einen grünen Daumen“, sagt Gerhard Wirth, lacht und hält seine von Stielen und Blättern gefärbte Hand in die Luft. 3

Dahlien-Kultur DI Gerhard Wirth: Leschetitzkygasse 11, 1180 Wien, Tel.: +43/1/479 53 83, www.dahlienwirth.at

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hausmannskost

Wenn der Grieß leise in den Kochtopf rieselt, heißt es rühren, rühren und nochmals rühren, damit nur ja nichts anbrennt. Dann sind die feinen Körnchen aus Weizen oder Mais genau richtig, um allerlei Köstlichkeiten daraus zu machen. Redaktion: Uschi Korda & Alexander Rieder Fotos: Eisenhut & Mayer


griessNockerln mit Schinken und Käse Zutaten für 6 Personen Zeitaufwand: 1 Stunde (ohne Zubereitung der Rindsuppe) 50 g gekochter Schinken 40 g Butter 1 Ei Salz, Pfeffer, Muskatnuss 2 TL gehackte Petersilie 40 g fein geriebener alter Bergkäse 70 g Hartweizengrieß

Zubereitung 1. Den Schinken in sehr kleine Würfel schneiden. Die Butter schaumig rühren. Das Ei verquirlen, nach und nach unter die Butter rühren. Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen. Die gehackte Petersilie und den geriebenen Käse unterrühren. 2. In einem großen Topf reichlich Salzwasser zum Kochen bringen. Mit einem nassen Esslöffel aus dem Teig Nockerln stechen und schön oval formen.

Ins kochende Wasser gleiten lassen und bei mittlerer Hitze (das Wasser darf nicht sprudelnd kochen!) ca. 20 Minuten gar ziehen lassen. Mit einem Schaumlöffel herausheben und abtropfen lassen. Die recht pikanten Grießnockerln am besten in einer Rindsuppe mit Erbsen und in Streifen geschnittenen Karotten servieren. .

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Polentalaibchen Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 40 Minuten 250 ml klare Gemüsesuppe 120 g Maisgrieß 1 Zwiebel 1 Knoblauchzehe 1 EL Butter 1 großes Ei 3 EL gehackte Kürbiskerne 100 g geriebenen Steirerkas Salz, Pfeffer 2 EL Butterschmalz Kürbiskernöl zum Beträufeln

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Zubereitung 1. In einem Topf Gemüsesuppe aufkochen, den Grieß einlaufen lassen und unter ständigem Rühren zu einem dicken Brei einkochen. Vom Herd nehmen und etwas abkühlen lassen. 2. Zwiebel und Knoblauch schälen, dann fein hacken. In einer Pfanne Butter aufschäumen, Zwiebel und Knoblauch darin anschwitzen. Mit Ei, Kürbiskernen und Steirerkas unter den Grießsterz mischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und flache Laibchen daraus formen. 3. In einer Pfanne Butterschmalz erhitzen, die Laibchen darin beidseitig langsam goldbraun braten. 4. Mit einem herbstlichen Salat anrichten und mit Kürbiskernöl beträufeln.


GrieSSstrudel mit Schwammerln Zutaten für 6 Personen Zeitaufwand: 1 K Stunden 300 ml Rindsuppe 100 g Hartweizengrieß Salz, Pfeffer 1 Ei 100 g Zwiebelwürfel 150 g klein gewürfelter, gekochter Schinken 1 EL gehackte Petersilie 1 zerdrückte Knoblauchzehe 1 Pkg. Strudelteig (2 Blätter) 50 g zerlassene Butter 1 TL grobes Salz 300 g Champignons 30 g Butter K TL gehackter Kümmel 2 TL Schnittlauch Butter zum Bestreichen

Zubereitung 1. Für die Füllung die Rindsuppe in einem Topf aufkochen und den Grieß unter Rühren einlaufen lassen. Bei wenig Hitze weiter kochen und dabei ständig rühren. Mit Salz und Pfeffer würzen und das Ei einmischen. Die Hälfte der Zwiebelwürfel, Schinken, Petersilie und Knoblauch zugeben und gut durchrühren. 2. Das Backrohr auf 220 °C vorheizen. 3. Die Arbeitsfläche mit einem Tuch bedecken und ein Strudelblatt darauf legen. Mit zerlassener Butter bestreichen und mit grobem Salz bestreuen. Das zweite Teigblatt darauf legen und mit dem Grießmus so bestreichen, dass die Ränder etwa 2 cm frei bleiben.

4. Champignons putzen und in Scheiben schneiden. Die Butter in einer Pfanne zerlassen, die restlichen Zwiebelwürfel darin kurz anschwitzen und die Champignons zugeben. Nur ganz leicht salzen, mit Pfeffer und Kümmel würzen und den Schnittlauch darüber streuen. Gut vermischen und gleichmäßig auf dem Grießmus verteilen. Die Teigränder mit Wasser etwas anfeuchten und mithilfe des Tuches den Strudel einrollen. 5. Den Strudel auf ein leicht bebuttertes oder mit Backpapier ausgelegtes Backblech setzen und im Ofen 25 bis 30 Minuten hellbraun backen. Während der Pilzsaison kann man die Champignons durch Wildpilze ersetzen.

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GrieSSflammeri mit Quittenkompott Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: etwa 1 Stunde N l Milch K Vanilleschote abgeriebene Schale von K Orange 60 g Zucker 1 Msp. Salz 40 g Hartweizengrieß 2 Blätter Gelatine N l Obers Für das Kompott: 600 g Quitten 1 TL Stärkemehl N l Apfelsaft N l trockener Weißwein 100 g Zucker 2 Nelken, 1 Stück Zimtrinde Saft und geriebene Schale von 1 Zitrone 4 EL Preiselbeerkompott

80 Servus

Zubereitung 1. In einem Topf Milch mit aufgeschlitzter Vanilleschote, Orangenschale, Zucker und Salz aufkochen. Durch ein feines Sieb passieren, in den Topf zurückgießen und aufkochen. Den Grieß unter ständigem Rühren einrieseln lassen und bei schwacher Hitze weiterkochen, bis die Masse leicht andickt. 2. Vom Herd nehmen und die eingeweichte, ausgedrückte Gelatine darin auflösen. Auf Eiswasser nicht ganz kalt rühren. Das Obers steif schlagen und unterheben. 3. Die Grießmasse in Förmchen (etwa 120 ml Inhalt) oder Schalen füllen und im Kühlschrank fest werden lassen. 4. Für das Kompott den Flaum von den Quitten abreiben. Die Quitten schälen, das Kerngehäuse heraus-

schneiden und das Fruchtfleisch grob würfeln. 5. Die Stärke mit etwas Apfelsaft anrühren. In einem Topf mit Wein, dem restlichen Apfelsaft, Zucker, Gewürzen, Zitronensaft und -schale aufkochen. Die Quittenwürfel zugeben und bei schwacher Hitze etwa 12 bis 15 Minuten leicht köcheln lassen. Die Quittenwürfel sollen weich sein, aber noch ihre Form behalten. 6. Das Grießflammeri mit dem Kompott auf Tellern oder in Schalen anrichten und mit je einem Esslöffel Preiselbeerkompott garnieren.


Polenta-Apfelkuchen Zutaten für einen Kuchen Zeitaufwand: 1 Stunde 500 ml Milch 1 Vanilleschote 1 Prise Salz 1 Prise Zimt und Nelkenpulver 120 g Maisgrieß Butter für die Form 3 Eidotter 80 g Feinkristallzucker abgeriebene Schale von K Zitrone 3 Eiklar 50 g geriebene geschälte Mandeln 4 Äpfel 1 EL Butter

Zubereitung 1. Milch mit halbierter Vanilleschote, Salz, Zimt und Nelkenpulver auf­ kochen. Unter ständigem Rühren Maisgrieß einrieseln lassen und 10 Minuten kochen. Vom Herd nehmen und abkühlen lassen. 2. Eine runde Tortenform von ca. 22 bis 24 cm Durchmesser mit Butter ausstreichen. 3. Eidotter mit der Hälfte des Zuckers und der Zitronenschale schaumig rühren. Dann locker unter den Polentabrei heben. 4. Eiklar mit dem restlichen Zucker zu einem steifen Schnee schlagen.

Mit den Mandeln luftig unter die Polentamasse heben. 5. Das Backrohr auf 175 °C Ober-/ Unterhitze vorheizen. 6. Äpfel schälen, entkernen und dünn hobeln. Ein Drittel der Polentamasse in die Form streichen und mit der Hälfte der Äpfel belegen. Diesen Vorgang wiederholen und die Äpfel mit der restlichen Masse bedecken. Mit Butterflocken belegen und im Rohr etwa 45 Minuten goldbraun backen.

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hausbesuch

Kleinod im Weinberg Hoch droben über Wien genießen Moni und Franz Winter das ländliche Leben. Aus einem einst uncharmanten Heurigen machten die beiden mit viel Gespür ein Schmuckstück, das in jeder Ecke Authentizität verströmt. Text: Ruth Wegerer Fotos: Harald Eisenberger

86 Servus


Der Mittelpunkt des Hauses ist die Veranda. Als Vorbild dienten die Holzkonstruktionen in Anton Tschechows Haus in Jalta. Hier spürt man die Leichtigkeit des Seins in jedem Detail, hier wurde alles sehr sorgfältig ausgesucht. Etwa der klassizistische Holztisch aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts und die alte Kommode.


D

ie pulsierende Metropole Wien steckt voller Überraschungen. Dort, wo zum Beispiel zwischen den Döblinger Bezirkstei­ len Nussdorf und Kahlenbergerdorf Wein­ gärten und Wienerwald aufeinandertreffen, verbirgt sich in den Hügeln ein wahrhaft idyllisches Kleinod. Ein Anwesen wie aus einem­Märchenbuch der Biedermeierzeit. Das zartgrün gestrichene Gartentor öffnet sich knarrend und gibt den Weg frei, der versteckt unter alten Weinreben zum Haus hinaufführt. „Eigentlich wollten wir ja in die Toskana ziehen“, erinnert sich Moni Winter an die Anfänge. „Dort haben sie aber so komische Sitten. Allein für Besichtigungen mussten wir einen Obolus entrichten, und das hat uns gar nicht gefallen.“ Also besann sich die Familie – Regisseur, Musikproduzent und Schriftsteller Franz Winter, seine Frau Moni, Malerin und Designerin, und Tochter Lisa – auf Monis österreichische Wurzeln und begab sich auf die Suche nach einem Haus in Wien. Moni Winter ist zwar gebür­ tige Deutsche, durch Monis Vorfahren ei­ nerseits und Franz Winters berufliche Enga­ gements andererseits hatte man aber immer schon eine intensive Beziehung zu Wien. „Meine Großmutter war Wienerin“, er­ zählt Moni, „und es gibt einen Besitz meiner Familie im Salzkammergut. Das hat mich stark geprägt. Nockerln, Gugelhupf, Lieder, Geschichten und der Wiener Dialekt sind mir schon als Kind ans Herz gewachsen.“ Auch Franz teilte den Wunsch seiner Frau nach einem ruhig gelegenen Haus mit Gar­ ten, womöglich mit diesem speziellen alt­ wienerischen Flair.

schäbig, aber der Zauber war spürbar

Von Flair war dann bei der Besichtigung der vergammelten, alten Heurigenschenke mitten in den Weingärten überhaupt keine Rede. Weniger fantasievolle Leute hätten sich vermutlich abschrecken lassen von dem uncharmanten Haus, das da ein trau­ riges Dasein fristete. Ein schäbiges Steinhaus, wahrscheinlich aus den 1950er-Jahren, braun gestrichen, mit einem Holzverschlag stand mitten im Weinberg. Der Vorplatz und alle Wege ➻

88 Servus

Die ehemalige Heurigenküche war recht klein. Moni Winter hat sie mit ein paar eingebauten Kästen so geschickt eingerichtet, dass sogar noch ein heimeliger Essplatz hineinpasst. Auch das Fensterbrett wird als Stellfläche genutzt.

Ein echtes Bauernhaus hat auch eine echte Stube zu haben (oben): der Esstisch aus Ahorn mit einem Schüsselbord voll ­Gmundner Keramik (rechts oben) und dem Herrgotts­ winkel. Rechte Seite: alte Lederfauteuils im Wohnzimmer. Unten: ein oberösterreichi­ sches ­Bauernbett und ein Renaissance-­ Hängeschrank aus dem Bregenzer Wald.


Der nordseitig gelegene kleinere Wohnraum wird aus lichttechnischen Gründen meistens am Abend genutzt. Für den Schriftsteller Franz ­Winter ist es ein idealer Rückzugsort. Rechts: Von seinem Schreibtisch kann er direkt in die ­Nussdorfer Weinberge blicken.

Moni Winter hat Malerei und Grafikdesign studiert. Ihr ausgeprägter Sinn für Farben ist hilfreich bei Interieur- und Gartenprojekten, mit denen sie sich heute beschäftigt.

Vom Vorraum führt eine Treppe mit einem zarten Eisengeländer zu den Schlafzimmern im ersten Stock. Der Boden wurde mit alten Kelheimer Platten verlegt, der Einbaukasten besteht aus Teilen eines alten bäuerlichen Schrankes.


erstarrten in grauem Beton, es gab keinen richtigen Garten. Doch Moni Winter spürte den Zauber, der diesen Platz umgab, nicht zuletzt wegen des wunderbaren Blickes über die Stadt auf der einen Seite und auf das Kircherl vom Leopoldsberg gegenüber. „Als Allererstes“, erzählt die mittlerweile erwachsene Tochter Lisa, „hat die Mami Ro­ sen gepflanzt, damit es wenigstens irgend­ etwas Lebendiges hier gibt.“ Der Garten war denn auch, zum Schrecken der Bauarbeiter, das Erste, das in Angriff genommen wurde. „Selbst in der fürchterlichsten Betonabbau­ phase“, erinnert sich Moni Winter, „wurde das gesamte neue Material mit der Scheib­ truhe hinauftransportiert. Kein Laster und schon gar kein Bagger durften in das Grundstück hineinfahren!“

Stilsichere Details wie die antike Dose und frische Blumen ­verschönern das Badezimmer. Bild unten: Musik spielt im Leben der Familie Winter eine große Rolle, so manche Wand ist mit ­Mozart tapeziert.

als wäre es immer schon dagestanden

Das Interieur des kleinen Gästezimmers im ehemaligen Schupfen wirkt wie eine Hommage an die alten Heurigen, die es vor langer Zeit am Nussberg gab.

90 Servus

„Ganz wesentlich ist die Liebe, die man in ein altes Haus steckt“, sagt Moni Winter. „Wer sich auf so ein bauliches Abenteuer einlässt“, meint sie noch, „hat schließlich auch eine Verantwortung für das, was man als organisch gewachsene Schönheit be­ zeichnen kann.“ Also hat sie in Nussdorf drunten alte Fenster vermessen und sich mit den Mauern der Dorfhäuser auseinan­ dergesetzt. Die Substanz ihres Hauses war völlig marod und musste komplett verbes­ sert werden. Das hieß Mauern aufdoppeln, auch um die richtige Tiefe für die Fensternischen er­ zeugen zu können. Der Keller wurde unter­ mauert, und der alte Dachboden, wo einst Chemikalien zum Spritzen des Weingartens lagerten, wurde komplett erneuert und mit Zimmern ausgebaut. Die vergammelte Veranda musste weggerissen werden und machte einer neuen Holzkonstruktion Platz. Sechs lange Jahre hat die sensible Reno­ vierung gedauert, bis Familie Winter end­ lich einziehen konnte. Sogar eine Wohnung in Wien musste zwischenzeitlich während der gröbsten Bauphasen angemietet wer­ den. Doch dann stand es da inmitten der Natur wie eine Selbstverständlichkeit. „Jetzt schaut es wieder so aus wie früher“, erklärt so mancher von den Spaziergängern, die hier öfter vorbeikommen. Natürlich reine Einbildung, denn „nie zuvor hat es hier so ein Haus gegeben“, lächelt Moni Winter. „Es macht nur jetzt den Eindruck, als wäre es schon immer hier gestanden.“ ➻


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GROSSES GESPÜR FÜR LEBENSKULTUR ERMÖGLICHT LEICHTIGKEIT UND ZUFRIEDENHEIT IN JEDEM RAUM DES HAUSES.

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Zurückhaltende Farbgestaltung prägt das Schlafzimmer, lediglich eine Wand in Apricot sorgt für heitere Stimmung. Unprätentiös, aber wirkungsvoll: die schlichten Biedermeiermöbel.


Solange das Wetter es zulässt, wird im Freien getafelt.­Platz für eine große Gästeschar gibt es unter der Weinlaube vor dem Schupfen (li.), eine kleine Sitzbank mit Pölstern verlockt zwi­ schen Schupfen und Veranda (u.).

Golden Retriever Flora hütet brav das Haus. Und damit der Hund nicht in den Weingärten verschwindet, sollte das Gartentürl (re.) geschlossen bleiben.


Die alten Rebstöcke am Nussberg sind mittler­ weile so miteinander verschlungen, dass sie einen schattigen Laubengang zum Haus bilden. Eine märchenhafte Szenerie, die selbst während der Bauarbeiten erhalten bleiben musste.

Wie ein Schmuckstück steht es da und lässt die Familie die jahrelange Mühe, in der man sein tägliches Leben mit Professio­ nisten teilen musste, vergessen. Auch der Besucher fühlt sich auf Anhieb wohl. So viel Individualität spürt man selten in ei­ nem Haus, von der Liebe zum Detail gar nicht zu reden. Jede Kleinigkeit wurde extra angefertigt, auf Fertigteile komplett verzichtet. Für die Böden in den Vorräumen wurden alte, ganz dicke Kelheimer Platten aus Abbruchhäusern abgetragen und neu verlegt, die meisten Türen stammen von Antiquitätenhändlern. „Ich wollte hier einfach nur authentische Teile haben“, erklärt Moni Winter die Akribie, mit der sie ans Werk gegangen war. „Etwas­anderes hätte gar nicht gepasst.“ Selbst für die Holzbohlen der Fußböden wurde altes, abgelagertes Holz verwendet. Das verzieht sich nämlich nicht und sorgte sofort nach dem Verlegen für eine heimelige Stimmung im sonst noch unwirtlichen Ambiente. Der Mittelpunkt des Hauses ist jetzt die wunderbare Veranda, die als Wohnraum dient. „Pawlatschen“ sagt man auf gut Wie­

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HEUTE VERSCHMILZT DAS HAUS MIT DER LANDSCHAFT, UND DIE STADT LIEGT DA IRGENDWO TIEF UNTEN IN EINER ANDEREN WELT.

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nerisch zu so einem hölzernen Vorbau, durch den man normalerweise die Wohn­ räume betritt. Die verglaste Holzveranda wurde nach einer Vorlage von Anton Tsche­ chows Haus in Jalta, auf der Halbinsel, ge­ baut und stammt aus der Werkstatt eines Ausseer Zimmermanns, denn nur dort be­ herrscht man diese Kunst bis zur Perfektion. Auch die Färbung des Hauses zeugt von Feingefühl und Geschmack. Für die Fassade bestand man – wieder zum Entsetzen der Handwerker: „Das hält ja nie!“ – auf Kalk­ farbe. Heute hält diese Färbelung schon

23 Jahre. „Wenn man Kalkfarbe verwendet, muss immer nur abgelagerter Kalk genom­ men werden“, verrät uns Moni Winter das Geheimnis. „Und ganz wichtig: immer Pig­ mente dazumischen!“ Die Farben für die Metallteile am Haus hat Moni selbst gemischt, ein interessanter Grünton, der sonst nur auf natürliche Weise entsteht, wenn Kupfer von Grünspan über­ zogen wird. „Farbgestaltung ist für mich reine­Gefühlssache“, gesteht die Künstlerin. „Die Farben müssen mit ihrem Umfeld eine Harmonie bilden.“ Das einzige Gebäude, das von der frühe­ ren Heurigenanlage erhalten blieb, ist der alte Schupfen. Zumindest die äußere Form. Der Hauptraum dient als Abstellkammer, der kleine Raum daneben als Gästezimmer mit ländlich charmanter Möbelierung. Auch die Einrichtung im Haus zeugt vom guten Händchen der Hausherrin. Jedes Mö­ belstück, jede Lampe, jeder Vorhang wurde mit Bedacht ausgesucht. „So ein bisschen nussdorferisch, weil es ja ganz authentisch werden sollte“, erklärt Moni Winter lä­ chelnd. „So, wie man ja auch selbst immer authentisch sein sollte.“ 3

Servus  93


Handwerk

Nass werden die anderen Bei Kirchtag in der Salzburger Getreidegasse stellt man Schirme in reinster Handarbeit her. Und die helfen nicht nur gegen Schnテシrlregen, sondern auch gegen die Vergesslichkeit. Text: Uschi Korda窶ェotos: Ingo Pertramer


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s gibt Dinge, die gehören zum Leben einfach dazu, ohne sich groß wichtig zu machen. Alltagsgegenstände eben, nützlich und so selbstverständlich, dass man ihnen selten mehr als zwei Gedanken widmet. Einen, wenn man sie kauft, und den zweiten, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind. Gut, mit einer Gabel oder einem Schuhlöffel passiert einem Letzteres nicht so häufig, weil man mit ihnen kaum das Haus verlässt. Der Schirm aber, der Schirm ist prädestiniert dafür, irgendwo achtlos vergessen zu werden. Und erst wenn’s wieder regnet, wird er, hoppla, plötzlich vermisst. „Wer einen Schirm von uns selbst bezahlt“, sagt Andreas Kirchtag von der gleichnamigen Schirm-Manufaktur in Salzburg, „der verliert ihn auch nicht.“ Mehr als 200 Euro sollten als Therapie gegen Vergesslichkeit genügen. Gegen Achtlosigkeit wirkt allein schon die Anmut des komplett handgefertigten Objekts, von dem im Jahr nur 400 Stück gemacht werden. Draußen in der Getreidegasse bestimmen derweil asiatische Kunststoffprodukte das Bild. Sie zeigen entweder zusammengeklappt über den Köpfen der wogenden

Die drei von der Schirm-Manufaktur (v. li. n. re.): Chef Andreas Kirchtag, Näherin Monika Weisshaupt und der Mann fürs Gestell, Tobias Ott. Rechts: Die alten Schablonen stammen noch vom Urgroßvater.

Massen steil gen Himmel, als Zeichen der Fremdenführer, damit auch jeder wieder sein Grüppchen findet. Oder sie werden als Schutz gegen die Witterung eingesetzt. Ob Sonne oder Regen, so ein transportables Dach über dem Kopf gibt Sicherheit. Ein Schutzdach für den Bischof

1.185 Liter Regen pro Quadratmeter fallen in Salzburg-Stadt durchschnittlich im Jahr, doppelt so viel wie in Wien oder Eisenstadt. Daher verwundert es kaum, dass die erste schriftliche Erwähnung eines Regenschirms aus dem Jahr 800 Bischof Arno von Salzburg betraf. „Ich sende dir ein Schutzdach“, schrieb Abt Alcuin von Tours im Begleitbrief, „damit es von deinem verehrungs­ würdigen Haupte den Regen abhalte.“ Dabei wurde das nützliche Objekt ursprünglich als Schattenspender erfunden. Umbra heißt lateinisch der Schatten, woraus die Engländer in poetischer Verniedlichung ihren umbrella machten. Britischer Humor, weil vor zu viel Sonne braucht sich auf der Insel wohl keiner zu fürchten. Die Franzosen nannten das Ding dann beim Namen: para (= gegen) plui (= Regen). Was

wiederum den Österreichern sehr gut gefiel, die den Schirm mancherorts noch heute gerne Paraplü nennen. Während also draußen Nylon mehr alibimäßig und flatternd übers Haupt gehalten wird, spannt drinnen Andreas Kirchtag sein Prachtexemplar zur Demonstration auf. Ein richtiges Dach entfaltet sich da als Halbkugel, und satt rastet der Schieber in der oberen Feder ein. Allein der Holzgriff liegt so geschmeidig in der Hand, dass man ihn gar nicht mehr loslassen möchte. 500 Kilo Baumstämme – Schwarzdorn, Kirsche, Eiche, Nuss und Esche – kauft der Salzburger im Jahr. „Nur langfasrige Sorten“, sagt er, „die lassen sich besser biegen.“ Nach dem Zuschnitt werden diese dann in einer Stock-Manufaktur zwei Tage über Dampf gebogen. Unter starkem Druck, und sollte einer brechen, macht man bei Kirchtag einfach einen edlen Spazierstock mit verzierten Silbergriffen daraus. Die gelungenen aber werden zunächst zur Imprägnierung mit Leinöl bepinselt und müssen ein Dreivierteljahr lang trocknen. Dann werden sie per Hand geschliffen – „je feiner, desto besser kommt die Mase➻

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rung heraus“, sagt Andreas Kirchtag – und zu guter Letzt mit Bienenwachs behandelt. Genau so, wie es schon Andreas’ Urgroßvater Alois gemacht hat, der 1903 in der Getreidegasse 50 ein „Sonn- und Regenschirm­ geschäft“ eröffnete. Nach einem Intermezzo auf Hausnummer 42 übersiedelte die Manu­ faktur 1942 in das Haus aus dem 13. Jahrhundert auf Nummer 22, wo sie heute noch ist. Mit einem Straßengeschäft unten und mit einer Werkstatt ganz oben im Dach. Hier lagert in den verwinkelten Gängen und winzigen Räumen ein Sammelsurium an Bestandteilen in einem schier unüberblickbaren Chaos. Arretnägel zuhauf, Zwingen aus Horn und Messing, dazwischen Schieber und Kronen aus verschiedensten Metallen, ganz so, als hätte in den letzten 70 Jahren hier jeder etwas irgendwo hingelegt, im

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wer einen Schirm von Kirchtag selbst bezahlt, der verliert ihn auch nicht.

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festen Vertrauen, es dort auch wieder zu finden. Weil Suchen allerdings nicht zu den Hauptaufgaben eines Schirmmachers gehört, versucht man seit einiger Zeit ein System ins Wirrwarr zu bringen. Erfolg nicht ausgeschlossen. Das wissen der alten schirmmacher

Zunächst wird der hölzerne Schirmstock in die Schirmmacher-Maschine eingespannt, um an den exakt richtigen Stellen gefräst zu werden. Dann wird das Dachteil, eine Stangenkonstruktion aus Aluminium, aufmontiert und mit dem Messingschieber verbunden.

Hauptsache, Tobias Ott findet sich zurecht, schließlich ist er für den Herzteil, also für Konstruktion und Gestell, zuständig. Er kommt aus dem nahen Berchtesgadener Land, aus Hammerau, und ist eigentlich gelernter Schindelmacher. „Schirmmacher als Lehrberuf hat einst zu den Hutmachern und Modisten gehört“, sagt Andreas Kirchtag, „gibt es aber schon lange nicht mehr.“ Seit den 1980er-Jahren werden Schirme fabriksmäßig in Asien billig erzeugt, und bei Kirchtag musste man sich umorientieren. Man verlegte sich auf den Verkauf von feinen Lederwaren, unterm Dach wurden nur mehr kaputte Schirme repariert. Als Andreas Kirchtag vor 20 Jahren in den Familienbetrieb einstieg, fand er das zutiefst schade. „Bei uns gab es ja noch das Wissen“, sagt er, „und das Material. Ich wollte nicht, dass das Handwerk in Vergessenheit gerät.“ Also ließ er die Schirmmacher-Maschine an-


Der Stoff für das Dachteil muss händisch zugeschnitten werden, weil er sonst ausfranst. Mit einer alten Pfaff-Nähmaschine wird die Kappnaht angebracht, das Schopperl wird per Hand genäht.

Kleines Schirmlexikon Zwinge Stoß Scheibe Krone Arretnagel

Dachteil

obere Feder Gabel Schieber

Illustration: tobias ott/kirchtag gmbh

Spitzerl Schirmstock untere Feder

Ein Schirm besteht aus zwei größeren Einzelteilen: dem Schirmstock und dem Dachteil. Dazu sorgen unzählige Einzelteile von der Zwinge, also der Spitze, bis zur unteren Feder (siehe Abbildung) für Funktionalität und Dichte. Handgefertigte Schirme gibt es in drei Dachteil-Größen: 63 cm lang für Frauen, 66 und 76 cm für Herren. Der Stoff ist bei guten Schirmen eine Baumwoll-Polyester-Mischung und muss nach dem Weben imprägniert werden. Goretex und Nanotechnologien sind zum Bespannen zu hart. Früher wurden Schirme aus Wachsleinen, Holzstäben und Fischbein gemacht und wogen gut 10 Kilo, heute nimmt man leichtes Aluminium. Ab dem 19. Jahrhundert versuchte man, Schirme transportabel zu machen, das gelang erst mit der Erfindung des Knirps in den 1920er-Jahren. Den edlen Kirchtag-Schirm gibt es mit zwei ein­ gebauten Gelenkschrauben – eine oberhalb des Griffs und eine bei der Scheibe – auch kofferfähig.

werfen und zwei schwarze Herrenschirme nach alter Manier anfertigen. Im Nu waren diese verkauft, und Andreas Kirchtag wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. Angelernt von den alten Meistern, steht heute Tobias Ott an der Maschine und spannt den Stock ein, um ihn zu polieren, zu drechseln und an den exakt richtigen Stellen zarte Kerben zu fräsen. Hier werden die obere und die untere Feder eingesetzt, für die man bei Kirchtag Klaviersaitendraht verwendet. Nicht weil hier die Musik spielen soll, sondern weil sie ewig halten, wie Andreas Kirchtag versichert. Mit absoluter Präzision verpasst Tobias Ott dem Holzstock unendlich viele Einzelteile und montiert schließlich die Dachteile samt Gabel. „Ganz wichtig“, sagt er, „hier muss die Spannung stimmen, sonst wird der Schirm zu rund oder zu flach.“ An die fünf Stunden wird insgesamt an so einem Schirm gearbeitet, heute ist es übrigens ein zehnteiliger Sechsundsiebziger. Die handgefertigten Kirchtag-Modelle gibt es in drei Größen: 63 Zentimeter für Frauen, 66 und 76 Zentimeter für Herren. „Nichts ist peinlicher“, sagt Andreas ➻

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Jedes Stoffsegment wird mit der Stange vernäht. Dort, wo andere Schirme einen Metallring zum Abdichten haben, gibt‘s ein Stoffschopperl. Und noch ein zweites beim Schieber, damit das Material nicht verletzt wird.

Kirchtag, „als wenn jemand zu klein für seinen Schirm ist.“ Und damit wirklich alle Proportionen stimmen, wird der Stoff bei den kleinen Schirmen aus acht und bei den großen aus zehn Teilen zusammengenäht. Die Schablonen dafür stammen noch vom Urgroßvater und werden von Näherin Monika Weisshaupt mit äußerster Genauigkeit auf den Stoff gelegt. Ein Mischgewebe aus Baumwolle und Polyester, das in einer Weberei in Italien eigens für die Salzburger Manufaktur hergestellt wird. In prächtigem Rot, Gelb, Grün oder Schwarz mit einer bunt gestreiften Bordüre, so wie es bei Trachtenschirmen immer schon Tradition war. Zugeschnitten kann das wasserdichte Gewebe allerdings nur händisch mit der Schere werden, da es sonst ausfranst. Auch in der Schneiderei sind es die liebevollen Details, die den Gebrauchsgegenstand zum wertvollen Einzelstück erheben. So wird an jeder Stange per Hand ein Stückchen Stoff eingenäht, damit sowohl die Bespannung als auch der Holzstock nicht unter dem Metall leiden. Zwischen Krone und Scheibe – da, wo andere Schirme einen Metallring zum Abdichten haben – hat der

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Kirchtag-Schirm ein handgenähtes Schopperl. „Das haben wir so getauft“, sagt Andreas Kirchtag, „in der Fachsprache kennt man das gar nicht.“ Zum Schluss wird noch ein Bändchen mit einem kleinen Perlmuttknopf aufgenäht, damit der Schirm auch zusammengeklappt eine gute Figur macht. das meiste passiert beim aufspannen

Natürlich könne man die Arbeitszeit in den Preis gar nicht einrechnen, sagt Andreas Kirchtag. Dieser setzt sich nur aus den Materialien zusammen, die bis auf das bisschen wasserabweisende Synthetik beim Stoff allesamt natürlich sind. Sogar zum Kleben wird statt Pattex Fischöl und statt Heißleim Steinkitt genommen. Die Zwinge ist aus Horn und der Schieber aus Messing mit einer eingravierten Nummer. Eigentlich eine reine Spielerei, denn selbstverständlich kann man in der Manufaktur die eigenen Schirme auf 200 Meter Entfernung erkennen. Deshalb braucht man keinen Nachweis, wenn man ihn zur Reparatur vorbeibringt, die zeitlebens kostenlos gewährt wird. Man muss ja nicht gleich unabsichtlich mit dem Auto drüberfahren, was

auch schon geschehen ist. „Das meiste“, sagt Andreas Kirchtag, „passiert beim Aufspannen.“ Wenn man den Schirm dabei in die Höhe hält, was nahezu jeder reflexartig macht, können sich die Gabeln ineinander verdrehen. Lieber schräg nach unten halten, so viel Zeit muss sein, damit man lange eine Freude an dem handgemachten Teil hat. Wann immer ein echter Kirchtag unten im Geschäft verkauft wird, wird der Chef oben sofort freudigst angefunkt. Und wenn es seine Zeit erlaubt, drückt Andreas Kirchtag dem neuen Besitzer noch persönlich die Hand, bevor dieser stolz und erhobenen Hauptes in die Getreidegasse entschwindet. Zumeist unter der wohlgeformten Stoff­ kuppel, die aus der flatternden Masse der Plastikschirme wie ein stabiles Dach herausblitzt, an dem die Regentropfen in verspieltem Tanz herunterperlen. „Regenwetter“, sagt Andreas Kirchtag, „ist nämlich immer noch unser bester Verkäufer.“ 3

Kirchtag Schirme: Getreidegasse 22, 5020 Salzburg, Tel.: +43/662/84 13 10, www.kirchtag.com


Handwerk

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„es gibt Anthropologen, die meinen, der mensch hätte nicht überlebt ohne pfeil und bogen.“

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Seine Welt ist ein Bogen Nicht weit von der Kärntner Gemeinde St. Veit an der Glan und doch mitten im Wald lebt Micha Wolf auf einem jahrhundertealten Gehöft. Er ist einer der handverlesenen Handwerker, die noch Pfeile und Bögen wie unsere Urahnen herstellen. Text: harald nachförg Fotos: arnold pöschl

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u brauchst nicht zielen wie mit e­ inem Gewehr. Kimme, Korn und so – das ist da nicht nötig. Verlass dich einfach auf deine Intuition. Schau das Ziel an, spann den Bogen, und der Rest geschieht praktisch von allein“, sagt der Micha. Ich lasse los. Lautlos schnalzen Bogen und Sehne in ihre ursprüngliche Form ­zurück, während man auch schon kleine Steinchen aufspritzen hört. Der Pfeil hat sein Ziel verfehlt. Er steckt in der Böschung

statt in der davor befindlichen schwarzen Scheibe. Doch bereits der nächste Versuch: Treffer! Und der nächste auch, ich bin sogar noch näher an die Mitte herangekommen. Unfassbar, wie schnell sich Motorik und Präzision verbessern. Jetzt nicht, dass man als Laie plötzlich schießen kann wie Robin Hood. Das nicht. Aber der Umgang mit der ersten Fernwaffe der Menschheit ist eine ­archaische Sache, seit Tausenden von Jah-

ren in unserem Gedächtnis gespeichert – und dementsprechend arbeitet hier auch unser Raubtiergehirn. Bei Profis mit traumwandlerischer Sicherheit. „Manche Schützen machen sogar die Augen zu, wenn sie schießen. Übrigens: Es gibt Anthropologen, die meinen, der Mensch hätte nicht überlebt ohne Pfeil und Bogen“, sagt der Micha. Der Micha Wolf. So einen wie ihn muss man erst einmal finden. Schon rein geo- ➻

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„man kann einen traditionellen bogen heute nicht besser bauen als unsere Vorfahren vor 10.000 Jahren.“

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grafisch. Der 63-Jährige lebt ja mit seiner Familie am Ende der Welt. Gut, die ehemalige Kärntner Herzogstadt St. Veit an der Glan ist zwar nicht weit entfernt – bis man dann aber bei ihm ankommt, das ist schon eine recht abenteuerliche Reise durch die Wälder. Wären da nicht endlich die roten Warntafeln auf den Bäumen, auf denen „Stopp! Trainingsgelände von Bogenschützen. Betreten verboten!“ steht, man würde glauben, sich verirrt zu haben. Nach dem zweiten Gatter, hinter dem gut ein Dutzend Schafe weidet, hat man dann aber doch die letzte Hürde genommen. Hier, in dem jahrhundertealten Gehöft, arbeitet er also nun. Oben in der Tenne. Der Mann, der zu den handverlesenen Handwer­kern gehört, die noch die hohe Kunst des Bogenbaus beherrschen und über ein Fachwissen verfügen, das sonst nur mehr in alten Schriften in Museen zu finden ist. die sammlung des groSSvaters

„Ich bin gelernter Holzbildhauer und hab viele Jahre als Restaurator gearbeitet, Spezialgebiet historische Gebäude und Schnitzereien, aber das ist schon 13 Jahre her“, ­erklärt mir der Micha seinen Werdegang. Denn als er mit 40 seinen ersten Bogen baute, besser gesagt restaurierte, war’s um ihn geschehen. Die Thematik ließ ihn bis heute nicht mehr los. Es war der Bogen seines Großvaters, der damals zu Bruch ging und den dieser von ihm, Eric von Rosen, einem Ethnologen und Forschungsreisenden, geerbt hatte. „Er besaß eine Sammlung von Pfeilen und Bögen aus aller Welt“, erzählt der Micha noch immer fasziniert.

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Natürlich hinterlässt so ein Erbe Spuren, auch wenn der Micha seinen Opa nicht mehr kennengelernt hat, weil dieser in dem Jahr starb, als sein Enkel geboren wurde. ein schrecken für den ritterstand

„Er hat mir einen englischen Langbogen ver­macht“, sagt der Micha. Und gleich gibt’s auch ein wenig Geschichtsunterricht. „Mit diesen Bögen erreichten die Engländer im Spätmittelalter ihre Überlegenheit über die Franzosen. Sie gewannen entscheidende Schlachten im Hundertjährigen Krieg damit, weil der König den Wert der Waffe erkannt hatte und es sogar Gesetz war, dass jeder Landherr mit seinem Gesinde Bogenschießen üben musste. Selbst vom Kirchgang waren die Untergebenen befreit, wenn sie übten – sehr zum Missfallen der Kirche natürlich“, erklärt der Micha lachend. „Aber militärisch hat sich das ausgezahlt. Es läu­ tete auch das Ende der Ritterschaft ein. Jeder Bauernbub mit einem kräftigen Bogen konnte ja einen vom Pferd schießen.“ Pfeil und Bogen wurden aber nicht nur im Krieg oder auf der Jagd eingesetzt. Wie in modernen Zeiten hatte die Waffe auch abschreckende Wirkung. Schließlich war sie auf einmal in Händen der Untertanen, wodurch es zu einem kräftigen Demokratieschub in der Feudalgesellschaft kam. „Der Steuereintreiber ist nicht mehr so wild mit einem umgesprungen“, sagt der Micha. Mittlerweile machen wir einen Rundgang durch seine sonnendurchflutete Werkstatt und reden wieder über seine Geschichte. Wie schwierig die Anfänge als Bogenbauer waren, weil das Handwerk mit der Erfindung der Feuerwaffe ja fast ausgestorben

war und er nicht ohne weiteres eine Lehre machen konnte. Wie er als Autodidakt sich tief in die Materie eingrub. Wie er schließlich nach drei Jahren nahezu jeden Arbeitsschritt beherrschte. Und wie sich sein Können bald so weit entwickelte und herumsprach, dass er aus seiner Berufung einen Beruf machen konnte. Für ihn eine wichtige Erkenntnis aus all dieser Zeit. „Man kann heute einen tradi­ tionellen Bogen nicht besser bauen als jene, die vor 10.000 Jahren von unseren Vorfahren gemacht wurden und als erste Exemplare archäologisch belegt sind. Es gibt Funde aus der Jungsteinzeit, die zeigen, dass der Bogen sowohl von seiner Ausführung als auch vom Wirkungsgrad perfekt gebaut war“, sagt der Micha. ohne holz die bessere technik

Varianten gab es freilich viele. Jede Region hatte ihr spezielles Modell, wobei es in erster Linie davon abhing, welche Materialien zur Verfügung standen. In Zentralasien etwa, wo Holz selten ist, wurden die Bögen hauptsächlich aus Tierknochen, Sehnen, Horn und etwas Holz gefertigt. „Die waren unseren technisch weit überlegen. Da steckte auch mehr Gehirnschmalz und technisches Können drinnen“, erklärt der Micha. Es waren sogenannte Kompositbögen, die sich aus mehreren Schichten zusammensetzen. So ein Bogen bestand zum Beispiel unten, also an der Innenseite, aus Horn vom Yak, Wasserbüffel oder dem Steinbock. In der Mitte befand sich Holz. Und außen hatte er ein Laminat aus zerfaserten Achillessehnen vom Hirsch. ➻


Mit einem Speichenhobel wird der Wurfarm an der Unterseite getillert. Das heißt: Es wird so viel Holz weggenommen, dass der Bogen das gewünschte Zuggewicht und die perfekte Form bekommt. Links: Aus dem Osagestamm wird ein Bogen heraus­gearbeitet. Dahinter liegt ein fertiger ägyptischer Angularbogen. Unten: Rekonstruktionen historischer Pfeile. Der Griff der Bögen ist mit Leder umwickelt.

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Es gibt keinen Bogen, den der Micha nicht bauen kann. Von links nach rechts: indianischer Bogen aus Osageholz, englischer Langbogen aus Eibe, indianischer Schlangenbogen aus Esche, steinzeitlicher Flachbogen aus Robinie, englischer Langbogen (aufgespannt) aus Eibe und asiatischer Kompositreiterbogen aus Horn, Ahorn, Knochen und Sehnen.

Verbunden wurde das dann alles mit Hautleim – oder im besten Fall mit Fischleim, der aus der Schwimmblase des Hausens gemacht wurde, der war nämlich ­wasserfest und von höchster Qualität. In unseren Breiten musste so ein Aufwand nicht betrieben werden. Hier gab’s ja Holz im Überfluss. „Im Wesentlichen fertigt man Bögen aus Esche, Akazie und Ulme. Das beste Material aber stammt nicht von Laubbäumen, sondern von der Eibe“, sagt der Micha. Die steht zwar heute unter strengstem Naturschutz, er hat sich jedoch über die Jahre ein großes Lager angelegt und immer sofort zugegriffen, wenn etwa für den Straßenbau doch einmal so ein kostbarer Baum gefällt werden musste. Seine Kunden sind dafür dankbar, sie greifen gern zum Besten. Der Micha baut

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übrigens die Bögen nicht für sie, sondern mit ihnen. Das ist seine Philosophie. Au­ ßerdem lässt es sich die schnell wachsende Gemeinschaft der traditionellen Bogenschützen ohnedies nicht nehmen, selbst Hand anzulegen. Maximal vier Teilnehmer stellen dann in dreitägigen Kursen Bögen und Pfeile nach ihren Vorstellungen her. arbeiten wie in der steinzeit

Einziger Kompromiss an die Neuzeit: Die Sehne des Bogens ist aus Kunstfaser und verleimt wird mit Epoxidharz. Ansonsten wird traditionell gebaut. Ob der Bogen nun aus einem Stück ge­ fertigt wird oder ob die Wurfarme aus zwei verschiedenen Teilen gespleißt, also mittels Fischschwanzverbindung zusammengefügt werden – alles geschieht so, wie es schon

­ nsere Urahnen gemacht haben. Bis hin zum u ­Tillern, wo so lange Holz abgetragen wird, bis sich die Wurfarme gleichmäßig krümmen, das gewünschte Zuggewicht erreicht wird und der Bogen perfekt in der Hand liegt. Was der Micha selbst am liebsten baut? „Kompositbögen, die das Beste der verschiedensten Modelle in sich vereinen. Derzeit ist das ein Bogen aus Eibe, der mit japanischem Bambus belegt wird und die Form ­eines englischen Langbogens hat.“ Ein Meisterstück, gewiss. Aber das ist ­jeder Bogen. Denn der jeweilige Erbauer gibt seinem Werk immer das Wichtigste mit: ­seine Seele. 3

Bogenbau Micha Wolf: www.bogenbau.at


Foto: Toni Anzenberger/Anzenberger

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