Servus in Stadt & Land 03/14

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03/2014 &

in Stadt & Land

Köstliche Klosterküche

P.  b.  b., GZ10Z038662M, Verlagspostamt 1140 Wien

Huflattich  & Haselstrauch & obstbaumveredelung & karfiol &  gmundner krautknödel  &  lustenauer senf

Rezepte für die Fastenzeit

2

E i nfac h

.

Gut .

Leben

Hochzeit der Hasen

Der talentierte Meister Lampe

2

März

03/2014 EUR 4,50

Alles erwacht Wo der Frühling früher blüht Im Tal der Langsamkeit

&

Die Holzknechte von Maria Alm

&

Die Botschaften der Bäume

>


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Inhalt 2014 März

Küche

Wohnen

12 Frühes Erwachen

56 Im Namen der Röslein

86 Hoch auf dem Plateau

24 Urbane Überraschung

62 Köstliches Klösterreich

94 Ein Kisterl aus Kluppen

34 Büschelweise Frühling

70 Lustenauer Mischung

Die ersten Blüten strecken sich zur Sonne. Der Frühling kommt und hat es mancherorts besonders eilig.

Ein Villengarten am Rande Wiens wurde zum naturnahen Paradies.

Der Huflattich ist im Frühling ein Segen für hungrige Bienenvölker.

44 An der Wiege edler Früchte Wenn die Witterung passt, werden jetzt die Obstbäume veredelt.

142 Meister Lampe auf Brautschau

Wie sich liebestolle Hasenherren wilde Boxkämpfe liefern.

4 Servus

So strahlend weiß, wie der Karfiol heute auf unseren Teller kommt, war er nicht immer.

Fünf Rezepte zur Fastenzeit aus heimischen Klosterküchen.

Im unteren Rheintal wird ein Senf hergestellt, der dort für viele der typische Geschmack von zu Hause ist.

74 Gezuckerte Locken

Knusprige Schaumrollen sind daheim im Handumdrehen gewickelt.

78 Kalt erwischt

Von Aal bis Zander: So schmecken Fische auch ohne Pfanne und Topf.

Mit Sammlerstücken vom Flohmarkt hat ein Ehepaar in Brandenberg in Tirol ein altes Haus eingerichtet.

Wie man mithilfe von hölzernen Wäscheklammern fesche Blumen­ töpfe fürs Fensterbrett bastelt.

96 Kleine Brett-Geschichte

Aus verwitterten Brettern, ein paar Kleiderhaken und etwas Farbe wird eine originelle Holzgarderobe.

102 Zarte Versuchung

Duftende Veilchen, frisch aus dem Garten, schmücken und verzieren im März unser Wohnzimmer und die Küche.

coverfotos: bildagentur huber, juniors bildarchiv, eisenhut & Mayer

Natur & Garten

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148 132

142

Standards

fotos inhalt: F1-online, katharina gossow, eisenhut & mayer, michael reidinger, peter podpera, juniors bildarchiv, philip platzer

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Land & Leute 108 Eine himmlische Gabe

Das Grödnertal gilt als Wiege sakraler Holzschnitzerei. Dort stellt Familie Perathoner Skulpturen her, die auch dem Papst Freude machen.

114 Knidlfuder, ab!

Über die beschwerliche Arbeit der Holzknechte und das älteste Ziachschlittenfoarn in Maria Alm.

124 Der Glanz des seidenen Zuckers

Im burgenländischen Gols haucht Konditormeister Adi Lunzer einem Klumpen Zucker Leben ein.

132 Bärige Begleiter fürs Leben Am Faaker See stellt Heidi Stank wie früher aus Schafwolle und Ziegenhaar flauschige Teddybären her.

136 Von der Kunst, ungenau zu sein

Einen besonderen Zeitvertreib hat der Feldkircher Uhrmachermeister Gerhard Ritter: Er repariert und ­sammelt Turmuhrwerke.

148 An den Gestaden der Drau Wer im Oberen Drautal reist, wird bald von den Menschen schwärmen und an einem Ort landen, an dem es unsagbar gut duftet.

170 Der Blumenmaler

Moritz Michael Daffinger aus dem Wiener Lichtental fertigte im 19. Jahrhundert Porträts von ­Adeligen an. Nach dem tragischen Tod seiner Tochter malte er nur noch Blumen.

3 Vorwort 6 Leserbriefe, Ortsnamen 8 Mundart 10 Servus im März 22 Basteln mit Kindern: Weidenzaun 30 Naturwissen: Die wilde Hasel 40 Schönes für draußen 42 Der Garten-Philosoph 48 Die Botschaften der Bäume 50 Unser Garten, Mondkalender 54 Natur-Apotheke: Birke 76 Omas Kochbuch:

Gmundner Krautknödel

84 Schönes für die Küche 100 Schönes Zuhause:

Deko-Tipps für den März

106 Schönes für drinnen 128 Michael Köhlmeier: Die Fenggen 160 Eine Kurzgeschichte

von Thomas Sautner

164 ServusTV: Sehenswertes im März 168 Feste, Märkte, Veranstaltungen 178 Impressum, Ausblick

Servus  5


regionale wortschätze

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Mundart Von Dr. Ingeborg Geyer

Pfiffige Augen

Jeder weiß, was gemeint ist, wenn er diese Überschrift liest. Aber wie beschreibt man das richtig? Diesen Blick, heiter-fröhlich, überlegen-wissend, hellwach, vielleicht ein wenig spöttisch, frech, neugierig? Nicht jeder fühlt sich wohl, wenn er so angeschaut wird, aber Eltern sind meist stolz, wenn ihre Kinder so dreinschauen. Die Mundart hat viele Ausdrücke dafür. Sie stammen zum Teil aus dem Frühneuhochdeutschen, in dem z. B. spitz „überklug, betrügerisch“ hieß – ein Hinweis auf die eigentlich negative Aufladung der Bezeichnung „Spitzbub“. Pfiffig war auch nicht immer gut gemeint, es leitet sich vom hinterlistigen Lockpfiff des Vogelstellers ab. Übrigens: „Augen“ haben wir hier gelegentlich weggelassen und nur das dazugehörige Eigenschaftswort angegeben.

33 faschtändige Aogn

den schaot da Schälm aus-n-Aonga Weinviertel

Kufstein/Tirol

schlaue Aigln

Schpitßbuamaogn

Österreich

gfiarige Aigln Vintschgau/Südtirol

frisch heaschao(n)

Mühlviertel, Waldviertel

glitßade Mölltal

schpitßbiabarische Aogn Kärnten, Osttirol

8 Servus

Hausruckviertel, Linz

lewentige Augn Rangersdorf/Kärnten

Österreich

schaon wia-r-a Hechtl Suttenbrunn im Weinviertel

a hells Gschao Traun/Oberösterreich

gschaidaogad sae(n)

frisch drai(n)schaon Ybbstal in Niederösterreich

a witßigs Gschao

wiffe Aigln /Aogn

Liesingtal/Steiermark

aofgweckte

Salzburg

Waldviertel

a gschaids Gschao hå(b)m Mostviertel

a feschs Gschao Wien

www.oeaw.ac.at; illustration: andreas posselt

Steiermark, Oberösterreich, Niederösterreich, Wien

a kluags Aigal


Die schönsten Seiten von daheim, ein ganzes Jahr lang e r h I

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EINFACH. GUT. LEBEN.


gartenbesuch

Urbane Überraschung

Anno 1854 wurde dieser Villengarten am Stadtrand von Wien angelegt – und immer nur an die weiblichen Nachkommen weitergegeben. Eva Tiller machte aus dem Erbe ihrer Ahnen ein naturnahes Paradies. Text: Ruth Wegerer Fotos: Simone Andress

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Die höheren Häuser in der Auhofer Umgebung sind nur im Winter und im Frühjahr zu sehen. Später im Jahr ist der Garten der leidenschaftlichen Pflanzen­ sammlerin dann eine blühende, uneinsehbare Insel.

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D

ie Suche nach Eva Tillers ge­ heimem Gartenparadies in Wien gestaltet sich nicht ganz einfach. Auf den ersten Blick ist das Altwiener Haus kaum zu er­ kennen, so zugewachsen ist es mit Efeu. Erst die Hausnummer am Gartenzaun bestätigt die richtige Adresse, und auf das Läuten der Glocke ertönt ein eigenartiges Geräusch. Also ein Bellen ist das nicht, aber was dann? Als sich die Haustür öffnet, erklärt Eva Tiller: „Das ist nur mein Hund Maxi – ein Mischling. Der ist zwar sehr lieb, aber zum Ärger der Nachbarschaft kläfft er etwas laut.“ Vom wild wedelnden Maxi begleitet, geht es durch einen schmalen Flur in den Garten des Hauses, das von Eva Tillers Vor­ fahren im Jahr 1854 erbaut wurde. Damals gehörte die Katastralgemeinde Auhof (der westliche Randteil des 13. Wiener Bezirks, wo wir uns befinden) zu Hadersdorf-Weid­ lingau und wurde erst später nach Wien ein­gemeindet. Heute noch ist es eine Villengegend, aber inzwischen mit durchaus re­ gem Durchzugsverkehr. Doch im Garten, hinter den Mauern, ist davon kaum etwas zu hören. Hier öffnet sich ein verwunschenes Dornröschenreich dem staunenden Besucher. Jetzt im frühen Frühling ist dieses Reich zwar noch ganz zart grün und dezent blühend, im Sommer wird der alte Villengarten allerdings zum wahren Dschungel, der im Blütenrausch übergeht. Derzeit schauen die frischen Austriebe von Pfingstrosen, Lilien, Taglilien und vie­ len anderen Stauden aus einem flächendeckenden Teppich von wildem Lerchen­ sporn hervor. IMMER SCHON EIN GARTEN DER FRAUEN

„Schon meine Großmutter und meine Mama waren begeisterte Gärtnerinnen“, sagt Eva Tiller. „Es ist eine Besonderheit in meiner Familie, dass dieses Anwesen immer nur an die weiblichen Nachkommen vererbt wurde. Doch ich glaube, punkto Geschmack unterscheide ich mich schon sehr von meinen Altvordern.“ Schon als Kind musste Eva Tiller die ak­ kurat angelegten Kieswege von Unkraut ➻

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Im hinteren Gartenteil werden Gehölze wie Forsythien und Kirschen von dichten Primelbüscheln und ersten Tulpen begleitet.

Richtige Frühlingsgefühle ­erweckt der Lerchensporn, der sich so romantisch überall im Garten ausbreitet.


Im Glashaus warten schon die ersten Setzlinge der Kapuzinerkresse darauf, ausgepflanzt zu werden. Links: Das zarte Weiß der Kirschblüten wird nur noch vom strahlenden Gelb der F ­ orsythien übertroffen.

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„MEIN GARTEN MACHT MIR SO VIEL FREUDE, DASS MICH wirklich GAR NICHTS AUS DER FASSUNG BRINGT.“ Alle Schalen und Töpfe haben schon ihre Frühlingsbepflanzung bekommen – wie diese entzückenden Hornveilchen (Viola cornuta). Rechts: Aufmerksam inspiziert Haushund Maxi die vielen Töpfe, die jetzt in den Garten wandern.

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Die Stars unter den Frühlingspflanzen sind immer die Lenzrosen (Helleborus orientalis) in samtigem Dunkelrot. Links: Für die ­zugewanderten Enten hat Eva Tiller ein ­schwimmendes Heim bauen l­ assen.


freihalten. Wahrscheinlich mit ein Grund, als Erstes diese Wege zuzuschütten und flächendeckend Blühendes auszusäen und einzupflanzen. In der ersten Zeit, als ihre Kinder noch klein waren und eine Spielwiese brauchten, gab es noch größere Rasenflächen. Doch danach wurden die Beete nach und nach vergrößert, bis gar keine Wiese mehr blieb. „Die brauch ich auch nicht“, lacht die Gärtnerin verschmitzt. „Mir kann’s nicht genug blühen. Und aufs Rasenmähen kann ich gut verzichten.“ Vor etwa zehn Jahren hat sie dann im vorderen Bereich einen Badeteich anlegen lassen, den sie in der Zwischenzeit gerne mit ein paar Enten teilt. „Eine Wasserlandschaft wollte ich immer schon, nur bloß keinen ‚blauen Fleck‘ mit Chemie im Grünen.“ eingewanderte Naturburschen

Am Teich vorbei führt ein verschlungener Weg in den hinteren Teil des Gartens, wo noch eine Besonderheit wartet: An eine alte Ziegelmauer wurde ein Glashaus angebaut – für Eva Tiller unverzichtbar für die Anzucht von Sämlingen und zum Überwintern ihrer Sukkulenten und Kakteen. Zudem überwuchert ganzjährig eine blau blühende Passionsblume die alte Mauer im Glashaus. Auch gartenseitig ist das Haus in Schönbrunner Gelb völlig von Kletterpflanzen wie Wildem Wein und einer alten Glyzinie (Wisteria sinensis) bewachsen. Und jetzt im Frühling teilen sich weiß und rosa blühender Lerchensporn die Gartenbühne mit gelb blühendem wildem Scharbockskraut (Ranunculus ficaria). „Diese Wildform ist ein guter Bodendecker und verschwindet wie der Lerchensporn, den wahrscheinlich die Ameisen eingeschleppt haben, wieder ganz von selbst“, erklärt Eva Tiller. Doch natürlich finden sich in ihrem Garten nicht nur eingewanderte Naturburschen, sondern auch viele, viele Kulturpflanzen – wie die zwei Strauchpäonien, die riesengroß werden, wunderbare Blüten zeigen und ihre Gärtnerin altersmäßig um einiges übertreffen. „Meine Pflanzen können mich immer wieder überraschen“, freut sich Eva Tiller über ihre „Kinder“. „Jedes Jahr bin ich ganz fassungslos vor Freude über all die Schätze, die zum Vorschein kommen.“ Ab Februar erscheinen hier Schneeglöckchen und Winterlinge, danach Krokusse – für Eva Tiller ein untrügliches Zeichen, dass sich der Winter verabschiedet. Jetzt gerade schmücken Primeln, Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Hundszahn (Eryth-

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Jetzt im Frühjahr ist das Haus noch zu erkennen, schon bald wird es aber von Wildem Wein, Efeu und Glyzinie zugewachsen sein. Durch die großen, alten Bäume (unten) entstehen schattige Rastplätze, die von der fleißigen Gärtnerin aber nur selten genutzt werden.


Für Eva Tiller (links) ist dieses Glashaus eine Notwendigkeit. Hier wohnen Kaktus und Passionsblume im Winter, hier entstehen auch alle sommerlichen Jungpflanzen. Ein Leben voller Zufriedenheit ist für Eva Tiller gleichbedeutend mit ihrem Garten.

der tiller-garten in Wien-Auhof O

N

Vorgarten S

W

Wohnhaus

Strauchpäonien Staudenbeet Wasserbecken

Badeteich Entenhaus Lerchensporn Ziegelmauer und Kompost

illustration: julia lammers

Glashaus

hinterer Gartenteil

ronium), Waldhyazinthen und die wunder­ baren Lenzrosen (Helleborus orientalis) das ca. 1.000 m² große Gartenreich, das für Eva Tiller auch Urlaubsort ist. Nur wenn es im Winter hier so richtig kalt wird, begibt sie sich gern auf Reisen in wärmere Gefilde. Selbst unkrautjäten macht ihr freude

Eine eher ungewöhnliche Lieblingsbeschäf­ tigung von Eva Tiller ist das Kompostieren: „Ich wühle so gern im Kompost. Der ist mei­ ne heilige Kuh im Garten. Und das Durch­ sieben des schwarzen Goldes ist für mich die reinste Meditation.“ So wurde für Eva Tiller die Beschäfti­ gung mit ihrem Garten nach und nach zum Lebensinhalt. Sie braucht heute keine ge­ schäftliche Tätigkeit mehr, um ihre Stunden auszufüllen. Der Garten hält sie sozusagen rundherum auf Trab. Unkrautjäten ist zwar bei dieser Art von Bepflanzung kein sonderlich wichtiges The­ ma – dafür wächst alles schon zu dicht an dicht, aber wenn es nötig ist, macht selbst die Zupferei der Gärtnerin Freude. Geduld ist ja auch so eine spezielle gärt­ nerische Herausforderung, der sich Eva Tiller gern stellt. Fast schon lebensphilosophisch meint sie: „Ich halte nicht viel vom ständigen radikalen Eingreifen. Lieber war­ te ich geduldig ab, wie sich alles ent­wickelt und auch was dann ganz von alleine daher­ kommt.“ 3

Schuppen

ca. 20 m

Servus-Buchtipp: „Verborgene Gärten in Wien“ von Ruth Wegerer und Harald ­Eisenberger, Verlag cbv.

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rezepte mit Tradition

Köstliches Klösterreich

Fasten macht erfinderisch. Seit jeher pflegen Ordensleute deshalb einen S ­ peiseplan, der auch zu heiligen Zeiten des Verzichts frisch, nahrhaft und a­ bwechslungsreich ist. Wir haben fünf Rezepte aus heimischen Klosterküchen erbeten. Redaktion: katharina kunz & alexander rieder Fotos: Eisenhut & Mayer

Stift Seitenstetten

Stift St. Florian

Stift Altenburg

nberg

Kloster Wer

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zusatzfotos: www.picturedesk.com

Stift Stams


Kloster wernberg, kärnten

Erdäpfelnocken mit Rote-Rüben-Ragout In dem Renaissanceschloss zwischen Karawanken, Julischen Alpen und Nockbergen leben mehr als 60 „Missionsschwestern vom Kostbaren Blut“. Der international tätige Frauenorden legt viel Wert auf eine geschmackvolle Natur- und Klosterküche. Bis auf ganz wenige Zutaten stammt alles aus den Betrieben des Klosters, zu denen eine Landwirtschaft, eine Hofmolkerei, Gemüseanbau, eine Imkerei und ein Kräutergarten zählen. In dem wächst auch der seltene würzig-scharfe Blattsenf, der so gut zu den Roten Rüben passt.


stift st. florian, oberösterreich

Apfel-Kipferl-Schmarrn Das oberösterreichische Augustiner Chorherrenstift St. Florian ist ein barockes Gesamtkunstwerk und ein Ort mit großer Musiktradition. In dem Stift nahe Linz leben etwa 35 Chorherren. Gäste, die hier zur Ruhe kommen und die klösterliche Welt kennenlernen möchten, sind stets willkommen. Gast- und Küchenmeister Klaus Sonnleitner zeigt mit seinem Gericht nicht nur eine gute Verwertungsmöglichkeit für altbackene Striezel und Kipferl, er versüßt seiner klösterlichen Gemeinschaft mit diesem Auflauf auch die Fastenzeit.

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Stift altenburg, niederösterreich

Gemüsepfanne mit Einkornreis Das Waldviertler Benediktinerstift bei Horn beherbergt eine elf­ köpfige Mönchsgemeinde. Küchen- und Kellermeister Pater ­Thomas Renner – seit kurzem auch Abt des Stiftes – sorgt mit e ­ inem aus­ gewogenen Speiseplan für die gesunde, auch in der ­Fastenzeit ab­ wechslungsreiche Ernährung seiner Mitbrüder und der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Altenburger Sängerknaben. Alle Zutaten für dieses Rezept des ­Abtes, also ­Gemüse und Kräuter, ­Getreide und Käse, kommen aus den Stifts­gärten und von naturnah wirtschaftenden ­Betrieben der Umgebung.

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Stift Stams, tirol

Brennsuppe mit Schwarzbrotknöderln In dem wunderschönen Stift westlich von Innsbruck lebt eine vitale Mönchsgemeinschaft. Die Zisterzienser von Stams betreiben nicht nur bekannte Bildungseinrichtungen, sondern bewirtschaften nach ihrem benediktinischen Grundsatz „ora et labora“ auch eine Bäckerei, eine Schnapsbrennerei und einen Obstgarten mit mehr als 2.000 Bäumen. Küchenchef Peter Schaber vereint in seinem Rezept die jahrhunderte­ alte Tradition der Tiroler Brennsuppe mit dem frisch gebackenen Brot aus der heutigen Klosterbackstube.

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stift Seitenstetten, niederösterreich

Topfenmäuse mit M­ostschaum Das imposante Stift Seitenstetten mit seinem wunder­ baren barocken Hofgarten samt Rosarium und Kräuter­ garten ist das spirituelle Zentrum des Mostviertels. ­Fasten- und Festtage bestimmen im Benediktinerstift seit 900 Jahren die klösterliche Verpflegung. Mönche und Gäste müssen aber im „Vierkanter Gottes“ auch in der Fastenzeit nicht darben. Dann stehen Stosuppe, ­gekochte Erdäpfel und energiereiche Süßspeisen aus Mostviertler Zutaten – wie auch diese Topfenmäuse mit dem flüssigen Schatz der Region – auf dem Speiseplan von Klosterküche und Stiftsmeierhof.

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chen–Wissen

Erdäpfelnocken mit Rote-Rüben-Ragout Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 2 Stunden 500 g Erdäpfel 160 g Dinkelvollmehl 40 g Dinkelgrieß 1 Eidotter Salz, Pfeffer, Muskatnuss 2 TL Bergbohnenkraut (oder Salbei) 1 TL Thymian 1 TL Oregano (oder Majoran) Für das Rote-Rüben-Ragout: 700 g geschälte Rote Rüben 40 g Butter etwas ganzer Kümmel 100 g mehlige Erdäpfel 2 TL Apfelessig 1 TL Honig Außerdem: 4 TL gehackter Blattsenf (ersatzweise Salbei) 4 EL Sauerrahm Zubereitung 1. Erdäpfel in der Schale kochen, schälen

und durch die Kartoffelpresse drücken. 2. Die Erdäpfelmasse mit Dinkelvollmehl, Dinkelgrieß, Eidotter, Salz, etwas geriebener Muskatnuss, Pfeffer und den zerriebenen Kräutern rasch zu einem Teig verkneten. Achtung: Zu langes Kneten macht den Teig zu weich. 3. Etwa 1 Stunde kühl rasten lassen. 4. In einem großen Topf ausreichend Salzwasser aufkochen. 5. Eine Teigrolle mit 1 cm Durchmesser formen, davon ca. 4 cm lange Stücke abschneiden, rundlich-oval formen und mit einer Gabel längs eindrücken. 6. Nocken in das kochende Wasser geben, aufsteigen und danach noch 3 Minuten bei geringer Hitze ziehen lassen. Mit Gefühl herausheben und abtropfen lassen. 7. Für das Ragout die Roten Rüben in ca. 1 cm große Würfel schneiden und in Butter leicht anbraten.

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eine gute einbrenn rühren Eine Brennsuppe wie jene aus dem Tiroler Stift Stams gilt als Sinnbild karger, bäuerlicher Kost. Aber so eine Einbrenn aus Mehl und Fett kann weit mehr. Sie ist auch in der klassischen Hausmannskost (Einbrennte Hund) und in der bürgerlichen Küche (Eingemachtes Kalbsragout) eine wichtige Grundlage – etwa in Form der „Samtsauce“ Velouté, bei der die Einbrenn, je nach Ver­ wendung, mit Kalbs-, Fisch- oder Gemüsefond aufgegossen wird. Für eine gute Ein­ brenn gibt es ein paar Voraussetzungen: etwas weniger Fett als Mehl verwenden, lange bei geringer Hitze rühren (je länger, desto dunkler wird sie), dann verflüchtigt sich der Mehlgeschmack. Um Klumpen zu vermeiden, gießt man eine heiße Einbrenn kalt auf, eine bereits ausgekühlte heiß. 3

blattsenf: würzig und gesund Blattsenf (Brassica juncea), den die Kloster­ schwestern in Wernberg anbauen, ist eine weltweit verbreitete Würz- und Salatpflanze, die bei uns langsam entdeckt wird. ­Neben milder Schärfe und frischer Würze über­ zeugen die einzelnen Sorten durch Vitaminreichtum und cholesterinsenkende Wirkung. Die Pflanze eignet sich auch hervorragend für den Anbau auf Fensterbrett oder Balkon.

Apfel-Kipferl-Schmarrn Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 70 Minuten ca. 300 g altbackene süße Kipferl 400 ml Milch 30 g Kristallzucker 4 Eier 2 Dotter 3 mittelgroße säuerliche Äpfel (z. B. Elstar) 2 EL Vanillezucker 1 Prise Zimt etwas geriebene Zitronenschale etwas Rum Außerdem: Butter für die Form

3

Die Sauce zum Einkorn Zur Einkornpfanne aus dem Stift Altenburg passt besonders gut eine Schnittlauchsauce mit Rahm, Salz, Pfeffer, Kümmelpulver, Knoblauch und vielen Schnittlauchringerln.

8. Mit etwas Wasser aufgießen, Salz und

Kümmel dazugeben und bei geschlossenem Deckel ca. 5 Minuten kernig garen. 9. In der Zwischenzeit Erdäpfel kochen und schälen. 10. Erdäpfel mit 100 g der gekochten Roten Rüben mit dem Pürierstab unter Beigabe von etwas Garflüssigkeit der Roten Rüben sämig mixen. 11. Die Mischung zu den Rote-Rüben-Würfeln geben, mit Apfelessig ab­schmecken und kurz aufkochen. 12. Ragout vom Herd nehmen und den ­Honig unterrühren. 13. Die Erdäpfelnocken in etwas Butter anbraten und mit dem Ragout anrichten. 14. Blattsenf über die Nocken verteilen und mit jeweils 1 EL Sauerrahm zum Ragout anrichten.

Zubereitung 1. Kipferl in dünne Stücke schneiden.

Milch, Zucker, Eier und Dotter gut verrühren und die Hälfte davon über die Kipferl gießen. Etwas ziehen lassen. 2. Das Backrohr auf 170 °C Umluft vorheizen. 3. Von den Äpfeln das Kerngehäuse ausstechen und das Fruchtfleisch ungeschält in dünne Scheiben schneiden. Mit Vanille­ zucker, Zimt, geriebener Zitronenschale und ein paar Spritzern Rum kurz marinieren. 4. Eine Auflaufform ausbuttern und die eingeweichten Kipferlstücke und die Äpfel einschlichten. Mit der restlichen ­Eiermilch übergießen. 5. Den Schmarrn in 40–45 Minuten goldbraun backen. Servus-Tipp: Dieser Apfel-Kipferl-Schmarrn schmeckt besonders gut mit Vanillesauce.


Gemüsepfanne mit Einkornreis

Brennsuppe mit Apfelessig & Schwarzbrotknöderln

Gebackene Topfenmäuse mit Mostschaum

Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 45 Minuten

Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 45 Minuten

Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 40 Minuten

120 g Bio-Einkornreis (z. B. vom Meierhof St. Bernhard) Wasser oder Gemüsesud 250 g Bio-Gemüse nach Saison und ­Geschmack (z. B. Karotten, Gelbe Rüben, Erbsen, Stangen- oder Knollensellerie, Lauch, Paprika, Fenchel, Karfiol, Kürbis) 1 mittelgroße Zwiebel etwas Raps- oder Olivenöl Salz, Pfeffer 1 gepresste Knoblauchzehe K TL getrockneter Thymian 1–2 EL Kräuter der Saison nach Belieben 100 g Schafkäse zum Überbacken

4 EL Sonnenblumenöl 3 EL glattes Mehl 1 l Wasser Salz, Pfeffer Knoblauch gemahlener Kümmel Apfelessig nach Belieben

250 g glattes Mehl 1 Prise Backpulver 4 EL Zucker 1 EL Vanillezucker 1 Prise Salz 250 g Topfen 3 Eier 2 EL Rumrosinen

Außerdem: Butter für die Form

Außerdem: Öl zum Herausbacken gehackte Petersilie

Zubereitung 1. Einkornreis abschwemmen und in der

doppelten Menge Wasser oder Gemüse­ sud zugedeckt weich kochen. Zur Seite stellen. 2. Gemüse putzen und in mundgerechte Stücke schneiden. 3. Zwiebel fein würfeln und in etwas Rapsoder Olivenöl kurz anbraten. 4. Geschnittenes Gemüse dazugeben, eben­ falls scharf anbraten, dann mit ­etwas Wasser oder Gemüsesud aufgießen und bissfest dünsten. 5. Gemüse abseihen und mit dem gekoch­ ten Einkornreis vermischen. Mit Salz, Pfeffer, Knoblauch, Thymian und ande­ ren Kräutern kräftig würzen und in eine leicht gebutterte Auflaufform füllen. 6. Schafkäse darüber verteilen und bei 200 °C im Backrohr kurz überbacken.

Für die Knöderl: 4 Scheiben entrindetes Schwarzbrot etwas lauwarme Milch 1 Ei 1 EL griffiges Mehl Salz, Pfeffer, Muskatnuss

Zubereitung 1. In einem Topf Öl erhitzen, Mehl dazu­

geben und unter ständigem Rühren bräu­ nen, bis die Einbrenn dunkelbraun ist. 2. Mit kaltem Wasser aufgießen (Vorsicht: Es spritzt!) und weiterrühren, bis die Brennsuppe kocht. Gewürze dazugeben und 10 Minuten leicht köcheln lassen. Mit einem Schuss Apfelessig abschmecken. 3. Für die Knöderl Schwarzbrot in Würfel schneiden, die Würfel mit lauwarmer Milch befeuchten. Ei, Mehl und Gewürze dazugeben, locker durchmischen und 10 Minuten rasten lassen. 4. Kleine Knödel formen und in einer Pfan­ ne mit heißem Öl kurz herausbacken. Auf Küchenpapier abtropfen lassen. 5. Leicht gesalzenes Wasser zum Kochen bringen. Knödel einlegen, kurz auf­ kochen lassen und dann 10 Minuten bei niedriger Hitze ziehen lassen. 6. Die Suppe in Suppentellern anrichten, jeweils 2 Knöderl hineinlegen und mit gehackter Petersilie bestreuen.

Außerdem: Fett zum Backen Staubzucker Für den Mostschaum: 200 ml Most 4 Eidotter 100 g Zucker 2 cl Apfelbrand etwas geriebene Orangenschale etwas geriebene Zitronenschale Zubereitung 1. Mehl mit Backpulver, Zucker, Vanille­

zucker und Salz vermischen. 2. Topfen und Eier unterrühren, etwa

10 Mi­nuten rasten lassen und dann die Rosinen untermengen. 3. Das Backfett erhitzen. Aus dem Topfen­ teig mit einem Esslöffel Nockerl formen und diese schwimmend in heißem Fett goldgelb backen. Auf Küchenpapier ab­ tropfen lassen. 4. Für den Mostschaum alle Zutaten über Dampf so lange aufschlagen, bis die ­Masse schön schaumig ist. 5. Die gebackenen Mäuse auf dem Most­ schaum anrichten und nach Belieben mit Staubzucker bestreuen.

Servus-Tipp: 184 weitere Rezepte aus allen Winkeln Österreichs finden Sie in „Das Große Servus-Kochbuch“; Bestellung auf www.servusmarktplatz.at

Servus  69


Von der natur ins haus

Zarte Versuchung Sie duften lieblich, sie schmecken delikat und sie verbreiten ­frische Freude. Das Veilchen hat wieder Saison. Redaktion: Alice Fernau Fotos: Katharina Gossow Styling: Markus Jagersberger

102 Servus


Fein & süSS Foto linke Seite: Kaum sind die zarten Duftoder Märzveilchen in alte Häferl mit Violamotiv gepflanzt und aufs Tischchen gestellt, macht sich auch dort der Frühling bemerkbar. Fotos links und oben: Wir laden zum violetten Dessert. Kandierte Veilchen und Stiefmütterchen sowie feine Punschkrapferl kommen als süße Versuchung auf den Tisch. Zum Aufbewahren der fragilen Zuckerblüten haben wir Spanschachteln mit Oblatenbildern und gepressten Veilchen beklebt. So lässt sich auf den ersten Blick erkennen, welche süße Schönheiten sich im Inneren der kleinen Behältnisse verbergen.

Servus  103


brauchtum

Michi und Martin auf ihrer Fahrt hinunter nach Maria Alm. Mit den Tatzen wird gelenkt und gebremst. Bei Michi sieht man auch gut das Zuggeschirr, mit dem die Schlitten frĂźher auf den Berg gezogen wurden.

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Knidlfuder, ab!

Das älteste Ziachschlittenfoarn im Alpenraum findet alljährlich am Jufen bei Maria Alm statt. Trotz Jux und Tollerei vergisst aber niemand hier am Steinernen Meer, wie beschwerlich und gefährlich die Arbeit der Holzknechte im Winter war. Text: tobias micke Fotos: michael reidinger

Servus  115


Traumwetter am Jufen mit Hochkönig im Hintergrund. Vorm Start müssen diese Vier-Meter-Bloche noch mithilfe von Bundkette, Zsammspitzer, Überspitzer und Klampfern befestigt werden. Ganz unten: Zünftig ist nicht nur das Gwand der Teilnehmer, sondern auch die Jausn.

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ie hölzerne Fassade des Unter­ lettlhofs im Almdorf bei Maria Alm ist ge­ radezu gespickt mit alten Gerätschaften. Zwei Ochsenkarren hängen da, eine massi­ ve, dreieckige Zinkenegge, ein rostiger Heu­ wender und sogar ein uralter einzeiliger Holzpflug. Auch ein halbes Dutzend reich­ lich hergenommener Ziachschlitten ziert das Vordach. „Als die Traktoren kommen sind“, erklärt Johann Schwaiger junior, der hier in dieser malerischen Gegend am Steinernen Meer daheim ist, „da hat mei Großvater die ­ganzen alten Sachen in den Heustadl ver­ räumt.“ – Der Pinzgauer Holzwurm war gnädig, und so sind die meisten der mittler­ weile museumsreifen Stücke gut erhalten geblieben. Aber nicht alle von ihnen dürfen des­ wegen ihr Gnadenbrot als Fassadenschmuck fristen. Die Schlitten, mit denen früher im Winter auf halsbrecherische Weise vor al­ lem Holz und Heu vom Berg ins Tal geführt wurde, erleben auf ihre alten Tage alljähr­ lich Anfang März eine gefährliche Renais­ sance. Denn dann findet vom Jufen nach Maria Alm hinunter das traditionelle Ziach­ schlittenfahren statt. Eine Zeitreise über sieben Jahrzehnte

Es ist der Vorabend zum großen Lauf. Hans richtet mit seinem Freund Leo gerade die Fuhre für sich und die leichter bepackten Damenschlitten der Freundinnen her. Die tags zuvor im Wald am Freiberg geschnitte­ nen Fichtenstämme gehören noch zurecht­ gestutzt. Dafür verwenden Hans und Leo ­jedes Jahr ein ganz besonderes Gerät: Inmit­ ten des alten Graffls fand sich im Heustadl nämlich auch eine Zwei-Mann-Kettensäge, Baujahr 1944, samt ausgefranstem Strick­ seilzug mit gedrechseltem Holzgriff. Einmal ordentlich durchgeputzt, neu ­befüllt und gut geschmiert, sprang die ­unverwüstliche alte Dame an, wie wenn die Zeitreise von gut sieben Jahrzehnten nie stattgefunden hätte. Seither ist sie auch ein viel bewunderter Programmpunkt im ­Startbereich des heuer zum 26. Mal statt­findenden ältesten und größten ➻

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Der Auftritt der „alten Dame“: Johann und Leo kürzen ihre Holzfuhre mit einer Zweimann-Kettensäge, Baujahr 1944, die Johann mit anderem alten Werkzeug oben am Stadl gefunden hat. Links: Kasnocken-Speisung und Michael beim Vorbereiten seines Mittagsmahls. Unten: Pauli Brandner (links), J­ ahrgang 1934, aus Dorfgastein kennt die Tücken der Holzknecht-Arbeit noch aus eigener Erfahrung. Bis zum letzten Jahr fuhr er mit den Jungen noch vom Jufen hinunter um die Wette. Heuer wird Großneffe Markus (im Vordergrund) ihn würdig vertreten.

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Vorbereitungen für den großen Auftritt: Sebastian und Bernhard beladen tags ­zuvor ihren Hornschlitten. Genau so brachten ihre Vorfahren das Heu von den hinteren Mähdern ein.

­ iachschlittenfoarns der Alpen. Und sie hat Z sich ihr vorwiegend männliches Publikum garantiert jedes Mal binnen weniger Sekunden nach dem Anlassen des Zweitakters lautstark gesichert. Otto Fürstauer, Jahrgang 1928, ist einer, der die alte Stihl KS43 noch als Neuheit im Holzknechtgeschäft erlebt hat. Er weiß auch noch auswendig, dass die einst revolutionäre „Baumfällmaschine“ deftige 38 Kilo wiegt und meint dazu knapp: „Im steilen Gelände brutal!“ Die Arbeitsgeräte der vorfahren

Otto, das Almer Urgestein, wird nicht nur von seinen Altersgenossen für gut 14 Arbeitsjahre in einem der härtesten, aber auch verdienstreichsten Jobs der damaligen Zeit (siehe Kasten rechts) mit viel Respekt behandelt. Auch die Jungen, die vom Jufen ­hinunter die Schlitten ihrer Vorfahren auf einer gut präparierten Rodelbahn ausführen, hören dem Otto bei seinem Rundgang im Starterfeld mit großem Interesse zu. Und sie haben besonders viele Fragen, wenn es ums sichere und richtige Verzurren der Fuhren geht, die zum Teil fast so schwer beladen sind wie seinerzeit. Denn der Otto – der im

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Pinzgauer Raum, aber auch jahrelang als „Gastarbeiter“ in der Steiermark unterwegs war – weiß wirklich, wovon er redet. Und ­natürlich kann ein schlecht festgemachter Vier-Meter-Bloch, ein unwuchtiges „Knidl­ fuder“­– „sodass der Hund auf a Seitn ziacht“ – oder eine ausgebrochene Bremstatze auch

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das ziachn, sagt otto, war eine kurzweilige arbeit: sechs tage pro woche von vor tagesanbruch bis sonnenuntergang.

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heute noch, wenn’s blöd hergeht, zur Gefahr für Leib und Leben werden. Das Ziachn, sagt Otto, war, wenn’s Wetter passt hat, eine kurzweilige Arbeit: Sechs Tage pro Woche, je nach Strecke drei- bis viermal am Tag, von vor Tagesanbruch bis Sonnenuntergang. „Aber wenn wir schnell

waren und sich nix g’spießt hat“, erinnert sich der 85-Jährige mit verschmitztem Lächeln, „dann konnt’s auch gut sein, dass schon um zwei Uhr am Nachmittag Feierabend war.“ Heuer hat Otto jedenfalls ein besonderes Interesse am Starterfeld des Maria Almer Ziachschlittenlaufs. Denn heuer fahren drei Burschen mit, die als Abschlussarbeit ihres Holztechnikums in Kuchl – während andere sich an Wasserrädern und Ochsenkarren versuchten – einen Hornschlitten samt Eisenbeschlägen originalgetreu nachgebaut haben. „Fesch g’macht, da gibt’s nix“, sagt Otto, nachdem er eine kritische Runde um das ihm so vertraute Gefährt gedreht hat. Aber der Schlitten sei viel zu schwer, einfach zu massiv gebaut. Nie und nimmer könne den ein einzelner Holzknecht den Berg hinaufziehen. Und das meint einer, über den Freund Klaus – ebenfalls Jahrgang 1928 und auch mit den Holzarbeiten der Nachkriegsjahre vertraut – sagt, dass er als junger Bursch Kraft hatte wie ein Bär. Leichtbau, ein absolut zeitgemäßes ­Thema heutzutage in vielen technischen ­Bereichen, war also auch damals für die Holzknechte oberstes Gebot. ➻


Vorbei an der Jufenkapelle. Früher waren die Ziachschlitten deutlich schwerer ­ be­laden. Aber man kann gut ­sehen, wie der „Sattelschlepper“ einst funktionierte. Nur die Bodenlage ist „­ schleißig“ ­aufgebaut. ­Eigentlich sollten nur die ä ­ ußeren Bloche im Schnee schleifen.

Die gefährliche Arbeit der Holzknechte ­ albe Stunde lang aufgeladen, das Gewicht der h Vier-Meter-Rundhölzer („Bloche“) je nach Steilheit der Strecke nach vorn oder (versetzt) nach hinten verlagert und alles verkettet und verkeilt. Zuvor wurden an den jeweils äußeren, tragenden Stämmen der Bodenlage (skiähnliche) eiserne Schoißn befestigt, und ab ging’s ins Tal. Gesunder Instinkt. Wenn bei wenig Schnee die Steine herauskamen, war die Arbeit besonders ­gefährlich. Da brach schon einmal einer der bei­ den Tatzenstiele, mit denen gebremst und gelenkt wurde, und es blieb nur noch ein rettender Sprung – dem Instinkt folgend, auf die richtige Seite, denn sonst erwischte einen die vier Meter lange Fuhre …

Vorbereitung. Im Sommer wurde das Holz am Berg geschnitten; die zum Teil gewaltigen Baum­ riesen (Foto rechts von 1907) wurden abgelängt (por­tioniert), geschepst (entrindet), geschlichtet, und der Weg ins Tal wurde vorgerichtet. Wenn Schnee lag, brauchten vier Holzknechte drei bis vier Tage, um den Weg mithilfe der Schlitten und einer eigenen Schneehaue vorzubereiten. Denn die Schneebahn musste nicht nur breit und eben sein, sondern auch stabil genug, um die Bremstatzen ordentlich einsetzen zu können.

Vier-Meter-Bloche. „Der Schlitten war den gan­ zen Winter an dir angegurtet“, sagt Otto Fürst­auer (im Farbfoto links mit Freund Klaus Morokutti, bei­ de Jahrgang 1928), der 14 Jahre lang Holzarbeiter war. Aber wehe, man vergaß, sich vor der Abfahrt auszuhängen, und der Schlitten geriet außer Kon­ trolle. Jeder Holzknecht transportierte mithilfe ­eines ledernen Zuggeschirrs einen der – samt Bundketten, Sperrketten, Zsammspitzer und Eisen­klampfern – laut Otto gut 90 Kilo schweren Schlitten auf den Berg. Dann wurde etwa eine

Holz, Magnesit, gefrorener Mist. Pro Mann waren 10 Baumstämme mit 40 cm Durchmesser „ka G’schicht’“, sagt Otto. In seiner Gegend wur­ den vom Hintermoos selbst Magnesitbrocken per Schlitten zu Tal befördert. Andere Quellen erin­ nern sich an tiefgefrorenen Mist aus dem Almstall als Dünger fürs Frühjahr. Die Knechte gingen ent­ sprechend trickreich beim Sichern der Ladung vor. „Wennst zu schnell wordn bist“, erzählt Otto, „dann war eh ois verlorn.“ Und so kennt wohl jede Bergdorfchronik Holzknechte, die es irgendwann „nimmer dertatzt habn“, wie Otto sagt.

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Damit die Rundholzbloche nicht einzeln verrutschen können, werden sie mit der Bundkette und Klampfern verbunden (rechts). Daneben: Josef, Bernhard und Hansi führen Taxach, also Äste vom Taxbam (Fichte), mit ihrem Hornschlitten ins Tal. Unten: Gamaschen vom Opa ­schützen vor Schnee. Ganz unten: Ein schönes Knidlfuder (von Knittel, Holzknüppel) rauscht mit viel Juchhe auf einem Bogenschlitten durch den Wald.

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Obwohl der alte Holzknecht Otto meinte, der schöne, völlig neu gebaute Hornschlitten von Simon, Andreas und Thomas sei für die Praxis viel zu schwer geraten, hat er mit seinem Blochfuder vom Jufen hinunter einen flotten Auftritt.

In den Stunden vor dem Startschuss gleicht der Vorplatz der Jufenalm mit der ­Jufenkapelle und dem majestätischen Hochkönig im Hintergrund einem urtümlichen Fahrerlager. Viele der teilnehmenden Mannschaften kochen auf oder gleich neben ihren Boliden mit Miniöfen. Es duftet nach Krautspeck, Gröstl, Kasnocken und Muas (ein zünftiges Weizengrieß-Gericht mit Schmalz, Wasser und Salz). Und man kann sich mit einem Löffel bewaffnet und kleinen Spenden für den guten Zweck überall durchkosten. Weiberleut’ mit schlenkertruhe

Gleichzeitig werden letzte Verbesserungen nicht nur an Gerätschaften, sondern auch an Ausstattung und Gewand vorgenommen, denn das Hauptkriterium für die anschließende Bewertung in fünf Kategorien ist nicht Geschwindigkeit, sondern ein möglichst authentischer Auftritt. In der Kategorie „Weiberleut’“ starten zum Beispiel heuer zum dritten Mal Mar­ lene, Monika und Anita. Mit ihren feschen Dirndln, einer reichlich gefüllten Schlenkertruhe (in der früher die Braut ihre Habseligkeiten transportierte) und einem segenbringenden Bild der heiligen Marlene haben sie

gute Chancen auf die Wiederholung des Klassensiegs vom Vorjahr. Auf einer großen Fuhre Heu rauschen heute Sebastian und Bernhard zum fünften Mal zu Tal. Sebastians Vater hat den beiden Ziachschlittenfahrern gestern im Heustadl noch geholfen, ordentliche „Pfloana“

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„Man muss dem ­Teufel direkt in die Augen schauen. Dann spürt man, wie weit man gehen darf.“

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(Sebastian übersetzt das wörterbuchtauglich mit: gesetzte Heuteller, die sich mit der Zeit im Heuhaufen bilden) aufzuschichten und alles fachgerecht festzuzurren, damit das Heufuder am Schlitten auch einen „schönen Oarsch“ hat. „Früher“, hat der Vater gesagt, „hast auch ein anderes Heu g’habt. Da war’n die

Halme länger. Und du hast es besser aufschlichten können.“ Interesse und Begeisterung der Besucher sind groß, aber nur ganz wenige kennen sich mit den technischen Details der Schlitten so gut aus wie Otto Fürstauer oder auch wie Pauli Brandner, Jahrgang 1934, aus Dorfgastein. Pauli ist ebenfalls ein ehema­ liger Holzknecht, der bis letztes Jahr noch selbst einen alten Postschlitten vom Jufen nach Maria Alm hinuntermanövriert hat. Für ihn mit seiner Routine ein Kinderspiel, das er aber nun doch seinem Großneffen Markus überlässt. Über seine Zeit als Holzknecht und wie er die Zeit unbeschadet überstanden hat, sagt Pauli nach kurzem Nachdenken: „Man muss dem Teufel direkt in die Augen schauen. Dann spürt man, wie weit man gehen darf. Und dann ist’s Ziachschlittenfoarn auch recht sicher.“ Wer hier oben am Jufen als Nicht-Holzknecht mitreden will, der sollte auf jeden Fall einen Hornschlitten bautechnisch von einem Bogenschlitten unterscheiden können (siehe Fotobeschreibungen). Letzterer war eher im Pongauerischen daheim. Eine zumindest anfangs regionale ­Feinheit war auch der sogenannte Reib- ➻

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sattel, auf den die Bodenlage (die unterste Schicht) Holz aufgelegt wurde. Der Reibsattel ließ sich im Vergleich zu einem starren Sattel mithilfe eines eisernen Gelenks drehen wie bei einem Sattelschlepper und war dadurch deutlich besser lenkbar. Der starre Sattel galt aber im schweren Gelände unter Holzknechten als sicherer. Ganz wesentlich zum Thema Sicherheit beizutragen hatten die schmiedeeisernen Tatzen. Die daran befestigten Stiele wurden aus massivem, besonders zähem Eschenholz gefertigt. Die Tatzen selbst waren mit Stahlzapfen oder Schrauben unten an den Schlittenkufen mit Tatzblechen befestigt. Und je nach Schneelage konnte man die Tatzenlänge und damit die Hebelwirkung durch Umstecken in ein zusätzlichen Loch verstellen. Ein Schlittenbaby in der Winternacht

Nun geht’s aber endlich los am Jufen. Der Gruber Lois, der die Veranstaltung leitet, gibt das Startsignal: „Knidlfuder, ab!“ Zeitgleich erklärt Christian Schneider im Zielraum den Besuchern die Feinheiten des Ziachschlittenfoarns, auch dass einst in Maria Alm in einer kalten Winternacht im Februar 1952 auf dem Weg zur Entbindungsstation auf einem Bogenschlitten ein Baby zur Welt kam – das erste von Drillingen. Oben am Jufen werden noch Ketten überprüft, Filzgamaschen gebunden und letzte Hüte zurechtgerückt. Um die vierzig Schlitten werden es heuer sein, die je nach Kaltschnäuzigkeit und Erfahrung der Mannschaft nach zwei- bis dreiminütiger Fahrt durch den Wald mit Karacho in einer spek­ takulären Schneewolke über den steilen Schlusshang ins Ziel rauschen. Darunter auch in der Spaßklasse III („Beladen, spe­­zi­ al“) ein Feuerwehrschlitten mit altem hölzernem Pumpenwerk und der dampfende Krautspeck-Schlitten von Walter und Georg, der sich im Ziel wieder in eine einigermaßen artgerechte Imbissstation verwandelt. Allen sieht man deutlich an, was für einen Riesenspaß dieser Brückenschlag zwischen dem alten, ernsthaften Arbeitsgerät und der zeitgemäßen, aber traditionsverbundenen Wochenendgaudi macht. Als Lenkerin des „Schwesternschlittens“ und Kind der neuen Zeit lieferte im Vor­jahr Weiberleut’-Siegerin Kathi Schwaiger aus Saalfelden mit dem Mikrofon in der Hand das augenzwinkernde Schlusswort: „Mei, so viel frische Luft bin i ja gar nim­mer g’wöhnt …“ 3 Das 26. Ziachschlittenfoarn vom Jufen nach Maria Alm findet am Samstag, dem 1. März, statt. www.ziachschlitten.at

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Auf seinem Krautspeck-Schlitten hat’s Fahrerlegende Walter am Rücken immer schön warm. Oben: Wenn der Schwung ins Ziel nicht reicht, wird gezogen. Gut, wenn der Kopilot die Musik dazu liefert.


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