Servus in Stadt & Land Deutschland 08/13

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Regionale Rezepte Lebendiges Brauchtum

So schmeckt’s im Chiemgau

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E i nfac h

.

Gut .

Leben

Der Schwarzwälder Bollenhut

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august

08/2013

EUR 3,90

Sommer daheim Erfrischende Augenblicke Schwäbischer Birnenschaumwein

&

Ein Wundergarten in Schiltach

&

Zu Gast in Rottenburg

>


80

44

26

Inhalt 2013 August

Küche

Wohnen

10 Himmlisches Farbenspiel

40 Überirdische Rübe

30 Gummiband-Boot ahoi!

18 Walburgas Reich

44 So schmeckt’s im Chiemgau

70 Zeller Bundwerkstadl

Flüchtige Laune der Natur, Sinnbild für die Ruhe nach dem Sturm, Botschafter des Friedens. Eine staunende Annäherung an den Regenbogen.

Zu Besuch bei Familie Schillinger in Schiltach – in einem paradiesischen Bauerngarten, wie es ihn heutzutage kaum mehr gibt.

26 Düfte der Nacht

Erst wenn die Sonne hinterm Horizont versinkt, versprühen manche Pflanzen ihren wahren Zauber.

122 Weißkehlchens Hochzeit

Wenn Steinmarder verliebt sind, machen sie ihrem Ruf als nächtliche Poltergeister alle Ehre.

4 Servus

Kohlrabi ist herrlich unkompliziert und macht Appetit auf den Genuss von heimischem Gemüse.

Rund um den Chiemsee locken Leibgerichte mit Tradition.

52 Laubfrösche

Ein schwäbisches Rezept aus Omas Kochbuch.

58 Leichte Kost vom Rost Obst, Gemüse und Weichkäse vom Grill – einfach fantastisch!

64 Schwammerl auf  Vorrat Eingelegt oder aufgefädelt gibt’s die Pilze bis ins nächste Jahr.

Einfach selbst gemacht: So wird ein Rindenschiff zum spritzigen Dampfer für den Ortsteich.

Wo einst Heu lagerte, haben sich die Munzingers mit schönen Ideen und viel Liebe ein wohliges Zuhause geschaffen.

80 Tischlein, bleib gedeckt! Lustige bunte Steine halten das Gartentischtuch fest, auch wenn der Wind kräftig bläst.

88 Da geht die Sonne auf

Keine andere Pflanze macht uns so gute Laune wie die Sonnenblume. Ein fröhlicher Schmuck für das Haus und den Garten.

coverfotos: PETER PODERA, EISENHUT&MAYER,JULIA HILDEBRAND&INGOLF hATZ

Natur & Garten

100


94 126

122

Standards 58

3 Vorwort 6 Briefkasten,

Süddeutsche Ortsnamen

Brauchtum

94 Die Krone der 110 Komm, tanz mit einfachen Leute mir in der Linde! Gabriele Aberle fertigt den Bollenhut Bei der Limmersdorfer Linden-

noch nach Art ihrer Vorfahren. Eine Geschichte wie im Märchen.

JULIA HILDEBRAND&INGOLF hATZ, MIRCO TALIERCIO, WILDLIFE

fotos inhalt: GETTY IMAGES, KATHARINA GOSSOW, EISENHUT&MAYER, MAGDALENA LEPKA,

Land & Leute

100 Auf dieser Alm, da gibt’s koa Grenz

Auf der Kallbrunnalm sind die ­ bayerischen und österreichischen Bauern seit über 600 Jahren vereint – aber der eigenen Kräuterweihe Tradition sind sie dennoch bis heute treu geblieben.

126 Wenn’s am Neckar nach Sommer klingt

Wo Seen über Nacht wachsen und man auf Messing über die Geschichte der Stadt wandelt. Ein „Stadtkonzert“ in Rottenburg in zwei Tagen.

kirchweih feiern und tanzen die Plootzer und ihre Madla nicht nur unterm Baum, sondern auch mitten in der Blätterkrone.

116 Die Häupter unserer Häuser

Fünf klassische Häuseransichten – und was sie uns erzählen. Über die Menschen, über die Heimat, über arm oder reich. Eine süddeutsche Giebel-Fibel.

150 Wenn das Eisen glüht

Für picobello gebügelte Hemden musste die Hausfrau anno 1900 noch sprichwörtlich die Kohlen aus dem Feuer holen.

7 Mundart 8 Servus daheim 24 Schönes für draußen 32 Der Garten-Philosoph 34 Natur-Apotheke: Meisterwurz 36 Unser Garten, Mondkalender 54 Gutes von daheim:

Champagner-Bratbirne

68 Schönes für die Küche 78 Fundstück: Blüten im Wolfsrachen 92 Schönes für drinnen 106 Michael Köhlmeier:

Die wilden Reiter

138 Doris Knecht: Landpartie 142 ServusTV: Sehenswertes im August 148 Feste, Märkte, Veranstaltungen 154 Impressum, Ausblick

Servus  5


naturwunder

Himmlisches

Farbenspiel

Er ist eine fl체chtige Laune der Physik, Sinnbild f체r die Ruhe nach dem Sturm, Botschafter des Friedens: eine staunende Ann채herung an den Regenbogen. Text: tobias micke


Die Wallfahrtskirche Birnau am Nordufer des Bodensees, geschmückt mit einem doppelten Regenbogen. Wenn man genau hinsieht, kann man die umgekehrte Farbenfolge des Nebenregenbogens über dem See erkennen.

E

s war einmal eine Geschichte. Meine Oma pflegte sie uns manchmal zu erzählen, wenn wir bei ihr zu Besuch waren. Sie las diese Geschichte aus einem sehr alten Buch vor. Und ich kann mich erinnern, dass ich diese Geschichte gleichzeitig liebte und fürchtete, weil sie schön, aber auch ein wenig traurig war. Oma kochte uns, wenn wir sie besuchten, zum Abendessen eine wunderbare Kirschsuppe mit Weizengrieß. Und als Nachspeise zu diesem Gericht, das ja eigentlich keiner richtigen Nachspeise bedurfte, las sie uns die Geschichte von dem Regenbogen und den beiden Kindern vor, deren Namen ich vergessen habe. Die Kinder hatten ihre Mutter verloren (was mit dem Vater war, weiß ich nicht mehr). Sie war oben im Himmel, und der Bub und das Mädel nahmen sich an der Hand und machten sich auf, den Fuß des Regenbogens zu suchen. Denn über den Regenbogen konnte man bekanntlich hinauf in den Himmel klettern, zur Mutter, nach der sich die beiden so sehr sehnten. Sie gingen weit, sehr weit und erlebten einiges, bis sie endlich den Fuß des Regenbogens erreichten. Dann kletterten sie gemeinsam über die farbenprächtige Leiter dem Himmel entgegen.

Foto: imago

Das letzte Wegstück zum Himmel

Ich weiß auch noch, dass die beiden fasziniert stehen blieben, als die Welt ganz klein wurde. Und meine Oma erzählte, wie Wolken und Vögel durch das Regenbogentor ­unter ihnen schwebten – ein Anblick, den ich unbedingt auch einmal erleben wollte. Wenn ich mich recht erinnere, war es der Mond persönlich, der ihnen half, vom Scheitel des Regenbogens das letzte unüberwindbare Wegstück bis zum Himmel zu bewältigen. Denn der Tag ging zu Ende, und mit dem Schwinden der Sonne wurde auch der Regenbogen immer blasser und dünner. Zwischen den Sternen saß auf einer ­Wolke dann tatsächlich die vermisste Mutter und schloss ihre Kinder überglücklich ➻

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Der Hohentwiel im Hegau war vor sehr langer Zeit einmal ein Vulkan. Heute ist das einzig Feurige im hรถchsten Weinanbaugebiet Deutschlands unterhalb der Festungsruine das Farbenspiel des Regenbogens.


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Das Wetter zieht hernieder An ferner Bergeswand, Die Vögel singen wieder, Frisch duftet Flur und Land, Am Himmel, noch umzogen Vom grauen Wolkenflor, Tut schon der Regenbogen Wildleuchtend sich hervor. Karl von Gerok (1815–1890) aus: „Regenbogen“

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foto: Mauritius images

in die Arme. Die Kinder durften bleiben, denn die Engel schenkten jedem von ihnen ein paar Flügel, sodass sie nicht mehr zur Erde hinunter mussten … So weit die Erinnerung an mein persön­ liches Kindheitsregenbogenmärchen. Andere Geschichten berichten davon, dass derjenige, der einen Regenbogen fin­ det, an dessen Fuß graben sollte, weil dort ein Krug mit Goldstücken versteckt sei. Und eine weitere schöne Mär sagt, dass die Babys nicht vom Storch eingeflogen werden, son­ dern vom Himmel über den Regenbogen zur Erde rutschen. Vielleicht kann man sich das als ange­hen­des Baby aber auch aussu­ chen. Und nur die wirklich Mutigen sausen über den Regenbogen ins Leben. Eines der wirklich schönen Dinge am Re­ genbogen ist ja, dass er auf der ganzen Welt, seit es Menschen gibt, von allen Kulturen auf die gleiche staunende Weise wahr­genom­ men wird. Es genügen ihm eine abziehende Regenfront und die Sonne, die durch ein kleines Wolkenfenster in einem bestimmten Winkel auf die unzähligen, nun schon in der Ferne herabfallenden Regentropfen scheint. Und er erzählt immer dieselbe kleine Ge­ schichte vom wütenden U ­ nwetter und dem wieder einkehrenden Frieden danach. Die Gesetze der regenbogenfarben

Der Regenbogen ist ein farbenprächtiger Gruß der Natur, ein freundliches Zeichen der Elemente, dass nach dem Sturm nun wieder Ruhe (und Sonnenschein) einkehrt. Der große Johann Wolfgang von Goethe, der ja selbst ein kleiner Wissenschaftler war und in vielen seiner Texte das Staunen über die Natur zum Ausdruck brachte, schrieb in einem Gedicht, die Iris (so lautet der grie­ chische Name für Regenbogen) sei für ➻

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„Nur wer seine ganze Sehnsucht in den Himmel schickt, kann auf dem Regenbogen gehen.“ Unbekannter Autor („Jahrbuch für Knaben und Mädchen“, herausgegeben von Frida Schanz, 1895)

7 Augen bestimmt, die in der Dünste trübem Netz erkennen Gott und sein Gesetz. Und tatsächlich kann man die Gesetz­ mäßigkeiten, die sich gewissermaßen zwi­ schen den Farben eines Regenbogens ver­ bergen und die erstmals vom französischen Philo­sophen und Naturwissenschaftler René D ­ escartes um 1637 genau beschrieben wurden, als spektakulär ansehen. Dr. Bernhard Mayer, Professor am Insti­ tut für Meteorologie der Uni München: „Um einen Regenbogen zu sehen, muss man mit der Sonne im Rücken auf eine Regenfront schauen. Die Sonnenstrahlen treffen auf die herabfallenden Regentropfen, werden beim Eintritt in den Tropfen gebrochen, dann in einem bestimmten Winkel reflektiert und beim Austritt nochmals gebrochen.“ Die zweifache Streuung bedeutet, dass sich das Sonnenlicht in seine unterschied­ lichen Wellenlängen auffächert und in Rot, Gelb, Grün und Blauviolett (und in ­allen Farbnuancen dazwischen) zurück­ geworfen wird. Innen Blauviolett, auSSen dunkelrot

Von einigen Regentropfen gelangt nur das rote Licht bis zum Auge des Betrachters, von anderen nur das gelbe, grüne bzw. blauviolette Licht. Und da in jedem Augen­ blick unzählige Regentropfen im selben Winkel zur Sonne stehen, ergibt sich jeweils ein ganzer Bogen von rotem, gelbem, grü­ nem und blauviolettem Licht, das das Auge des Betrachters erreicht. Ein „normaler“ Regenbogen ist auf der Innenseite immer violett und auf der Außen­ seite dunkelrot. Auch jenseits dieser beiden Randstreifen wird Licht – auf­gefächert nach Wellenlängen – reflektiert. Nur sind diese Wellenlängen für das mensch­liche Auge nicht mehr sichtbar: Jenseits des Dunkel­ blau beginnt der ultraviolette Bereich, jen­ seits des Dunkelrot der infra­rote Bereich. Innen violett, außen rot: So kann man beim Betrachten von Gemälden und ➻

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foto: Mauritius images

Morgenstimmung im Pfaffenwinkel in Oberbayern mit dem FuĂ&#x; eines sehr groĂ&#x;en Regenbogens und dem Wettersteingebirge im Hintergrund. An der Steilheit der Kurve erkennt man, dass die Sonne noch sehr tief steht.


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Der Donner schweigt, an fernen Hügeln Zieht murrend das Gewölk davon, Die letzten Regentropfen spiegeln Die ersten Sonnenstrahlen schon, Der Garten dampft von feuchten Düften, Von Perlen trauft mein Rosenflor, Und leuchtend wölbt sich in den Lüften Des Regenbogens Tempelthor. Karl von Gerok (1815–1890), aus: „Regenbogen“

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Dramatische Regenbogenstimmung an den Ausläufern des Kaiserstuhls im Oberrheinischen Tiefland. Für den ­fruchtbaren Lössboden, der sich wunderbar für den Weinanbau eignet, ist der nahe Rhein verantwortlich.


gut zu

wissen

> Hohe Himmelsleiter oder flacher Bilderrahmen. Ob ein Regenbogen steil und halbkreisförmig hoch in den Himmel ragt oder nur einen flachen bunten Rahmen für das Landschaftsbild d ­ ahinter bietet, hängt vom Sonnenstand ab: Je höher die Sonne am Himmel steht, desto flacher ist der Regen­bogen, den sie erscheinen lässt. > Vierfach-Regenbögen, Mondregenbögen und Eisbögen. Regenbögen höherer Ordnung (also solche in drei- oder vierfacher Ausführung) sind selten, leuchten nur schwach und sind daher oft nur mit der Kamera einzufangen. Man hört aber immer wieder von Beobachtungen mit freiem Auge. Auch nachts lassen sich bei hellem Mondlicht Regenbögen beobachten. Und in Gegenden, wo im Winter kleinste Eispartikel durch die Luft schwirren, sind auch die seltenen Eisbögen zu bewundern. > Ein Zeichen des Friedens. Am Ende der berühmten Bibelgeschichte von Noah und seiner Arche (Altes Testament, 1. Buch Mose) schickt Gott, nachdem sein Zorn über die Menschen verraucht ist, einen Regenbogen als Zeichen, dass die Sintflut vorbei ist. Und er schließt mit den Menschen einen Bund des Friedens, dessen wiederkehrendes Symbol fortan der Regenbogen ist.

Zeichnungen, die Regenbogenstimmungen zeigen, gut erkennen, ob der Künstler sein kurvenreiches Modell wirklich ausgiebig in der ­Natur betrachtet oder ob er es nur aus seiner Fantasie und Erinnerung zu Papier ­gebracht hat.

foto: getty images

Doppelte Regenbögen in der Kunst

Barockkünstler wie Peter Paul Rubens (1577–1640) oder Romantiker wie Caspar David Friedrich (1774–1840) oder Joseph Anton Koch (1768–1839), die alle gelegentlich ihre Landschaftsmalereien mit einem Regenbogen schmückten, ließen sich da nicht auf dem falschen Fuß erwischen. Im Gegenteil: Joseph Anton Koch beispielsweise, der in Stuttgart an der Hohen Karlsschule studierte und dessen Werke unter anderem in der Neuen Pinakothek in München zu sehen sind, machte sich sogar manches Mal die Mühe, das ­Phänomen zweier übereinanderstehender Regenbögen abzubilden – und zwar völlig korrekt. Der zweite, größere Bogen – der sogenannte Neben­regenbogen –, der nur bei guten Lichtverhältnissen zu sehen ist, hat nämlich aufgrund doppelter Spiegelungen in den Regentropfen auch einen spiegelverkehrten Farbverlauf. Er beginnt im Gegensatz zum Hauptregenbogen innen mit Rot und endet außen mit Blauviolett. Zwischen diesen beiden Regenbögen verbirgt sich noch ein weiteres Bildrätsel. Wenn man genau hinsieht, erscheint der Himmel in diesem Bereich nämlich dunkler. Das liegt daran, dass die Regentropfen in diesem Bereich aufgrund der Spiegelungsgesetze für runde Objekte kein Sonnenlicht an das Auge des Beobachters weiterschicken. Das von diesen Tropfen reflek­ tierte Sonnenlicht wird „unsichtbar“ nach oben abgelenkt.

Bereits um 200 n. Chr. beschrieb der griechische Philosoph Alexander von Aphro­disias dieses ungewöhnliche dunkle Band in einer Chronik. Deshalb wird es zu seinen Ehren auch bis heute Alexanders dunkles Band genannt. Und wie ist das nun mit dem Krug voll Gold, der am Fuße eines Regenbogens auf den Finder wartet, Herr Prof. Mayer? „Von dem habe ich als Kind auch gehört“, sagt der Münchner Meteorologe lachend. Für ihn sind Regenbögen aber eher zur Erforschung der Niederschlagsbildung in den Wolken von größtem Interesse. Denn der Experte kann anhand der unterschiedlichen Regenbogen­ erscheinungen (siehe auch Kasten oben) auf die Tropfengrößen schließen. Aus Sicht des Wissenschaftlers ist zum Gold am Fuße des Regenbogens aber schon noch etwas zu sagen. Prof. Mayer: „Da jeder ­Regenbogenbetrachter an einer etwas anderen Stelle steht, empfängt er die farbigen Lichtstrahlen auch von anderen Regentropfen. Es sieht also jeder Betrachter seinen ­eigenen, ganz persönlichen Regenbogen, auch wenn sich die Regenbögen sehr, sehr ähnlich sehen …“ Jedem sein eigener Goldschatz

Daher – das ist die gute Nachricht – steht wohl auch für jeden ein eigener Krug mit Goldstücken bereit. Die schlechte Nachricht ist, dass man seinen Regenbogen in der wirklichen Welt bei jedem Schritt mit sich trägt. Die wahrgenommene Entfernung ­verändert sich nicht. Und daher wird man dessen Anfang und Ende niemals erreichen. Dieses für gewöhnlich mit abenteuerreichen Märschen verbundene Privileg bleibt den Prinzen, Prinzessinnen und Waisen­kindern der Märchen- und Sagenwelt vorbehalten. 3

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Grillrezepte

Leichte Kost vom Rost

Wie machen sich erntefrisches Obst und Gemüse, Weinblätter und ein würziger Weichkäse auf dem Grill? Hervorragend. Redaktion: alexander rieder Fotos: eisenhut & Mayer

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Gegrilltes Gemüse Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 2 Stunden kleine Rote Beeten Rettich junge Fenchelknollen kleine Paprikaschoten Für die Marinade: 500 ml Weißwein 4 EL Sonnenblumenöl 1 EL Honig 2 Scheiben Ingwer 3 halbierte Knoblauchzehen

Zubereitung 1. Die Roten Beeten in der Schale weich kochen und unter fließendem Wasser schälen. Rettich schälen, in große Stücke schneiden, in Salzwasser bissfest kochen und sofort in eiskaltem Wasser abschrecken. Fenchel in einem Topf mit Salzwasser bissfest kochen, ebenfalls kalt abschrecken. Die Paprikaschoten auf Spieße stecken. 2. Für die Marinade alle Zutaten kurz aufkochen, das Gemüse zufügen und in der Marinade ­abkühlen lassen. 3. Das Gemüse trocken tupfen und auf dem Rost, 30 cm über der sehr heißen Glut, 5 Minuten grillen.

Zutaten für die Dip-Sauce 150 g Kräuter (Petersilie, Minze, Fenchelgrün und Koriander) 1 Knoblauchzehe 1 Jungzwiebel 2 EL geriebener Hartkäse 125 ml Olivenöl eventuell essbare Blütenblätter Zubereitung Kräuter, Knoblauch und Jungzwiebel hacken, mit Hartkäse und Olivenöl mit dem Stabmixer pürieren und die Blütenblätter unterrühren.

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HühnerleberspieSSe mit Baby-Kartoffeln Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 40 Minuten, 3 Stunden zum Marinieren 500 g Hühnerleber 150 g sehr dünne Bauchspeckscheiben 500 g Baby-Kartoffeln Für die Marinade: 4 EL Olivenöl 3 EL Balsamico 1 TL Honig 1 Prise Zimt zerstoßener Pfeffer 1 Stück Orangenschale 2 Rosmarinzweige

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Zubereitung 1. Die Hühnerleber von Adern und Häutchen befreien und in 3 cm große Stücke schneiden. 2. Für die Marinade Öl, Balsamico, Honig, Zimt und Pfeffer verrühren. Orangenschale, Rosmarin und Hühnerleber dazugeben, sorgfältig vermengen und mit Frischhaltefolie abdecken. Die Hühner­ leber 3 Stunden marinieren. 3. Die Kartoffeln schälen und in einen alten Metall­ topf geben. Mit Wasser bedecken, den Deckel aufsetzen und den Topf direkt in die heiße Glut stellen. Die Kartoffeln nicht zu weich kochen, ­damit sie sich noch gut aufspießen lassen. 4. Die Hühnerleber aus der Marinade heben, leicht abtupfen und mit den Speckscheiben umwickeln. Abwechselnd mit Kartoffeln auf dünne Spieße stecken und ca. 40 cm über der heißen Glut 10–12 Minuten grillen, dabei mehrmals wenden.

Zutaten für die Dip-Sauce 2 Schalotten 250 g verschieden reife Tomaten 2 getrocknete Tomaten 1 Stange Sellerie 4 EL Olivenöl 2 TL brauner Zucker 2 EL Balsamico Salz, Pfeffer Zubereitung Schalotten, Kartoffeln, getrocknete Tomaten und Sellerie hacken und in Olivenöl und Zucker 2–3 Minuten anschwitzen. Mit Balsamico, Salz und Pfeffer abschmecken und kühl stellen.


Warmer Käse mit Stockbrot Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 2 Stunden 10 g frische Hefe 350 ml Wasser 500 g glattes Mehl 10 g Kräutersalz 2 EL Olivenöl 1 TL gestoßene Fenchelsamen 1 TL gestoßene Koriandersamen Für den Käse: 2 bayerische Weichkäse mit Weißschimmel oder Rotschimmel 1 Handvoll Rosmarinzweige

Zubereitung 1. Die Hefe mit etwas Wasser und Mehl zu einem glatten Brei verrühren und mit den restlichen Zutaten vermengen. Den weichen, klebrigen Teig zuerst öfter dehnen und falten und dann nach und nach zu einem glatten Teig verkneten. In einer Schüssel mit einem feuchten Tuch bedeckt 1 Stunde gehen lassen. 2. Den Teig erneut durchkneten, kleine Portionen abstecken und diese zu fingerdicken Strängen formen. 3. Die Teigstränge spiralförmig um die Spitze von Holzstecken drehen; zuerst 20 Minuten bei moderater Hitze backen und zum Schluss direkt über der Glut rösten.

4. Den Käse in einer alten Pfanne auf die Rosmarin­ zweige setzen und über dem Feuer so lange erhitzen, bis der Käse zu schmelzen beginnt und über den Rosmarin läuft. 5. Das Stockbrot mit dem zerlaufenen Käse bestreichen und direkt vom Stecken abbeißen.

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Bachforelle in Weinblättern Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 1 Stunde 2 Handvoll frische Weinblätter 4 kleine Bachforellen à 250 g je 4 Zweige Melisse, Kräuselpetersilie und Liebstöckel Salz und Pfeffer

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Zubereitung 1. Die Weinblätter sauber waschen und zum Trocknen auf einem Küchentuch flach auflegen. 2. Die Forellen säubern und trocken tupfen. Die Kräuter in den Bauchraum stopfen und die Fische mit Salz und Pfeffer bestreuen. 3. Die Bachforellen mit den Weinblättern um­hüllen und mit Küchengarn zu einem Paket verschnüren. 4. Die Forellen auf dem Rost 30–40 cm über der sehr heißen Glut auf jeder Seite je 6–7 Minuten grillen. 5. Die Schutzhülle aus Weinblättern vorsichtig lösen und die Forellen filetieren.

Zutaten für die Dip-Sauce 3 hart gekochte Eier 2 EL abgewaschene Kapern 6 Sardellenfilets Saft von 1 Zitrone 1 Prise abgeriebene Zitronenschale 2 EL gehackte Melisse, Kräuselpetersilie und Liebstöckel 250 g Naturjoghurt Zubereitung Eier, Kapern und Sardellenfilets fein hacken und mit den restlichen Zutaten verrühren.


Gartenobst über dem Feuer Zutaten für 4 Personen Zeitaufwand: 15 Minuten, 2 Stunden zum Marinieren Pfirsiche kleine Gartenäpfel und Birnen Für die Marinade: 1 Flasche Sekt 3 EL Holundersirup 1 TL getrocknete Lavendelblüten

Zubereitung 1. Die Früchte mit einem Holzspieß mehrmals einstechen. 2. Sekt mit Holundersirup und Lavendelblüten in einer großen Schüssel verrühren, die Früchte hineingeben und 2 Stunden ziehen lassen. 3. Die Pfirsiche in eine feuerfeste Metallpfanne setzen und 2 cm hoch Sektmarinade angießen. Die Pfirsiche über dem Feuer weich schmoren. 4. Äpfel und Birnen auf Holzstecken spießen und über der Glut braten. Die restliche Marinade wird gekühlt dazugetrunken.

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blühender schmuck

Da geht die Sonne auf

Keine andere Pflanze macht uns so fröhlich und glücklich wie die Sonnenblume. Also schmücken wir damit unser Heim und unseren Garten. Redaktion: Alice Fernau, Laura Winkler Fotos: Katharina Gossow

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ein bündel glück Der Sonnenblumenstrauß wirkt selbst dann noch zauberhaft, wenn er – wie kurz einmal weggelegt – sich in einen alten Sessel schmiegt. Auch das Packpapier stört nicht. Im Gegenteil, es bildet einen charmanten Kontrast zu dem dazu­drapierten feinen Tuch und schützt dieses außerdem noch vor den rauhaarigen Stängeln der Blumen. Da sich die Blütenköpfe dem Sonnenlicht zuwenden, nennt man Sonnenblumen auch Kompasspflanzen. Die Knospe verfolgt die Sonne von Ost nach West, nachts oder in der Morgendämmerung dreht sie sich nach Osten zurück. Die Blütezeit ist von Juli bis September. Genau jetzt ist also die richtige Zeit, einen schönen Blumenstrauß zu binden und ihn – so wie hier – als Bündel zur Dekoration zu verwenden.

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Ein Topf voll Farben Wir haben mit Goldrute, die im Mittelalter als Wundkraut galt, Astilben und Santini ein buntes Gesteck gemacht. Durch den alten dunkelgrauen Topf kommen die kr채ftigen Farben der verschiedenen Bl체ten noch st채rker zur Geltung.


ein paar heitere Ideen Fröhlich stimmen auch einfache Deko-Varianten. Zum Beispiel die Sonnenblume im alten Tonkrug oder die Köpfchen, die wir vorsichtig abgetrennt und in einen mit Wasser gefüllten Teller gelegt haben (Fotos oben). Natürlich machen Sonnenblumen auch im Garten gute Laune. Nicht nur im Beet. Wir haben zum Beispiel einen Kübel mit langem Stiel, den wir im Geräteschuppen fanden und der einst zum Abschöpfen der Jauche diente, eine viel ruhmreichere Aufgabe gegeben. Er macht nun als Blumentopf gute Figur (links und unten). Und von einem Ort zum anderen lässt sich der rustikale Stock auch leicht tragen. 3

Servus  91


Handwerk

„Du spürst dieses Gefühl von Würde.“ Anne-Kathrin Aberle, 29, mit Mutters neuester Schöpfung. Da kommt das Lächeln ganz von selbst.

Die Krone der einfachen Leute

Sie macht ihn nach Art ihrer Ahnen. Gabriele Aberle und der Bollenhut aus dem Schwarzwald. Eine Geschichte wie ein Märchen. Es waren einmal bettelarme Leute … Text: armin zipzer Fotos: Julia Hildebrand & Ingolf Hatz


G

leich wird uns Gabriele Aberle aus Gutach erklären, wie sie mit ihren „kleinen Händen“ (Selbstauskunft) zu ­Hause den Bollenhut fertigt, den Hut mit den 14 Wollrosen, den Klassiker aus dem Schwarzwald. Gabriele Aberle wird uns auch erzählen, wie das ist, mit so einem Hut gesehen zu werden, um nicht zu sagen, Eindruck zu machen. Irgendwie ist der Hut ihr Leben. Schon als Kind half sie ihrer Mutter, kleine Hüte her­ zustellen: „Miniaturen – als Tropfen­fänger.“ Einmal im Jahr gab es diesen feierlichen Mo­ ment, „wenn Vater das Geld verteilte, das wir mit dem Hutmachen nebenher verdient hat­ ten. Wir waren fünf Geschwister, und jedem von uns rechnete er auf Heller und Pfennig vor, was uns zustand. Wir bekamen nichts in die Hand, es wanderte gleich aufs Spar­ buch.“ Der Vater richtete es so ein, dass ­dieser Zahltag immer am gleichen Tag war, ­„immer am offiziellen Weltspartag“. NICHTS ALS HOHN UND HOCHMUT

Doch halt, bevor wir in die Einzelheiten gehen,­wie Gabriele Aberle den Bollenhut heute herstellt, wollen wir an die tapferen Leute denken, die ihn erschufen. Es ist nämlich so: Er ist mehr als ein Trachtenhut, mehr als handwerkliche Kunst, mehr als ein Spiel mit Schönheit und Grazie. Er ist eine Geschichte, die noch größer ist als er selbst. Sie reicht zurück in bittere Zei­ ten, in denen Eltern ihre Kinder bei anderen Leuten „unterbrachten“, weil zu Hause das Essen nicht für alle reichte. Und obendrein wurden die Armen auch noch verhöhnt, ver­ achtet. Herzog Eberhard Ludwig von Würt­ temberg verfügte 1712, dass die „gemeinen Bauersleuth“ in bescheidener Kleidung her­ umlaufen müssten. Der Stoff dürfe nicht mehr „als 12 Batzen“ je „Ehl“ kosten. Diese Untertanen, die „neunte Claß“, solle „aller­ hand schlecht und gering Zeug“ tragen. „Schürz von weiß und schwarzer Leinwand, jedoch von geringem Wert.“ Wo hatte so ein Herrscher sein Herz? Und wo sein Hirn? „In aller Regel hielten sich die Bauers­­ leut’ schon deshalb an die Vorschriften, weil ihnen die Mittel zu aufwendiger Kleidung fehlten“, sagt Ansgar Barth, 70, ehemals Schulamtsdirektor, heute Heimatforscher, Ehrenbürger von Gutach. Man mag sich ➻

Hier erschafft sie ihn, den Bollenhut. Gabriele Aberle, 58, zu Hause in ihrer Bauernstube. Sie trägt ein Erntetuch, ein „weißes Leinen­hemd bis zu den ­Knien“, um den Hals ein ­Goller, dazu eine tra­ditio­nelle Arbeitsschürze. Mit e ­ iner Friseurschere schneidet sie die Bollen rund, „da wachsen in den ersten Tagen Fäden raus“. Sie näht die Bollen in Kreuzform fest. Aus dem Schrank schauen ihr Puppen zu, in hand­gefertigter Tracht – etwa eine „ver­heiratete Frau“, ein „Mann“, eine „Braut“. Die sind „ein ­Geschenk meiner Eltern“.

Servus  95


gar nicht vorstellen, wie das war, wenn Kleinbauern, Selbstversorger, Tagelöhner vor Hunger nicht einschlafen konnten. Wir erwähnen das nicht, um hier über die Not zu berichten. Wir erwähnen das, um über einen Triumph zu berichten. Die Leute waren nämlich stärker als ihr Schicksal – und am Ende führten ihre Kinder und Kindes­kinder ein besseres Leben. Am Ende waren sie es, die den Bollenhut erschufen. Der Hut ist ein Symbol, er ist eine Botschaft: Seht her, wir sind da! Wir schmücken uns, wir feiern unser Leben! Wie sie das geschafft ­haben, das erfahren wir gleich. Erst mal sind wir zu Hause bei Gabriele Aberle. Sie ist 58 Jahre alt, sie ist 1,60 Meter groß. Sie hat dunkelbraune Augen. Sie spricht lebhaft. Sie ist positiv, gluckst, lacht. Sie trägt einen Ehering, in dem ist eingraviert: „28. 11. 1981. Walter“. Sie ist Bankkauffrau, schaffte bei der Sparkasse HaslachZell in Hornberg, ihre Berufswelt waren „Schalter, Buchhaltung, Kontoauszüge, Überweisungen, Lastschriften“. Da hätte sie es sicher zu was gebracht, „aber nach meinem Sohn war Schluss, damals gab es noch keine Halbtagsstellen“. Das ist lange her, fast wie aus einem anderen Leben. Jedenfalls macht sie heute, wie man so sagt, einen glücklichen Eindruck. PLÖTZLICH BIST DU EINE PRINZESSIN

Oben: Behutsam wird der Bollen mit beiden Händen festgeschnürt, „das braucht Zeit und Geschick“. Und Hände, die niemals die ­Geduld verlieren. Links: Blick ins Innenleben. Wir sehen Fäden, sie halten die Bollen. Wir sehen die schwarze Moiré-Schleife, sie ist nicht zum Festbinden da, „sie ist nur Zierde“. Und einen Stempel, das Güte­siegel.

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Gabriele Aberle lebt auf einem Bauernhof, dessen Anfänge wohl schon 800 Jahre zurückliegen. Der Hof ist der Länge nach in zwei Höfe geteilt, zwei Haupteingänge, zwei Küchen usw., ein sogenannter Zweiseithof, die nördliche Hälfte bewohnen ihre Schwiegereltern, in der südlichen Hälfte wohnt Gabriele Aberle mit ihrem Walter, 63. Vor der Haustür allerlei Kräuter, im Stall acht Kühe, im Garten Obstbäume – Äpfel, Birnen, Mirabellen, Feigen, Zwetschgen, „eine alte, kleine, herrlich süße Sorte“. Man hat einen weiten Blick ins Tal, rüber nach Gutach, drüben zieht die Schwarzwald­bahn vorüber, von Konstanz bis Hamburg und retour. Das alles ist Idylle, schön und scheinbar unbeschwert wie in so manchem Bilderbuch oder Heimatfilm. Gabriele Aberle erinnert sich gut, wie sie zum ersten Mal so einen Hut getragen hat. Einen Hut mit leuchtend roten Bollen. „Ich war 15, ich bekam den Hut zur Kon­fir­ mation. Ein Geschenk meiner Großmutter Emma Falk-Breitenbach, einer Modistin. Ich war so stolz. Alle schauen dich an. Als Mädchen fühlst du dich mit dem Hut wie eine Prinzessin. Du musst ja auch sehr aufrecht


„Das kann man nicht allein anziehen.“ Mutter Gabriele hilft ihrer Tochter in die G ­ utacher Tracht, bindet die Haube. Dazu Pumphose, ­Hasehoor-Strümpfe, Glasperlen-Mäschle.

gehen – das gibt dir einen offenen, würde­ vollen Gang. Ich weiß noch, was ich damals dachte. Ich dachte: Jetzt bist du kein Kind mehr, jetzt gehörst du zu den Großen.“ Für alle, die sich vielleicht nicht so auskennen, muss man wohl erklären: Den Bollenhut gibt es in zwei Ausführungen. Da gibt es die roten Bollen. Die Farbe steht für Jugend. Die Farbe tragen Mädchen ab ihrer Konfirmation. Mit der passenden Tracht hat der Hut seine großen Momente etwa an Erntedank und bei Hochzeitsfeiern. Schwarze Bollen tragen verheiratete Frauen. Gabriele Aberle sagt das so: „Die schwarzen Bollen, die stehen für die Würde der Frau.“ Natürlich erinnert sie sich auch an den Moment, in dem sie den Hut mit den roten Bollen für immer beiseitelegen musste. Das war nach der Hochzeit. Nun musste sie schwarze Bollen tragen, da war sie 27. „Das war ein merkwürdiges Gefühl. Ich wollt

den Hut mit den schwarzen Bollen nicht auf­setzen. Ich wollt nicht in den Spiegel schauen. Eben noch leuchtend rot, leicht und ­heiter, und jetzt schwarz. Das tat weh.“ GIPS, LACK, Bollen, FRECHE FÄDEN

Aber bald fand sie Schwarz „auch wunder­ bar, sehr edel, sehr würdig“. Und: „Man muss das auch praktisch sehen. Der schwar­ ze Hut wird ohne Mäschle getragen, ohne den Schmuck am Hinterkopf, die Glasperlen an Silberdrähten. Das heißt: Der schwarze Bollenhut ist leichter, das ist angenehm. Der rote mit dem Mäschle wiegt rund zwei Kilo.“ Übrigens gibt es bei der passenden Tracht zwei Reihen Haken zum Schließen – „für ­enger und für weiter“; sie lacht: „Für vor dem Winter und für nach dem Winter – und bei Schwangerschaft.“ Für den Bollenhut nimmt sie: 1 Strohhut, den bezieht sie aus Italien, 1 Topf mit einem Gipsgemisch, „das rührt

mein Vater an, der Hans, er ist 87, aber das lässt er sich nicht nehmen. Dabei war er mal Büromensch, Prokurist in einer Metallfirma.“ 1 Pinsel und schwarzen Lack, 1 Form, die aussieht wie ein Hut aus Stein, „ist aber auch Gips. Den hat noch Großvater Eugen, der auch Landschafts­ bilder malte, gemacht.“ 2 Kilo Schurwolle, leuchtend rot be­ ziehungsweise tiefschwarz, 3 Friseurscheren, verschiedene Größen. Bänder, mit denen der Hut später, wenn man ihn trägt, festgebunden wird. Besondere Zutaten sind: ganz viel Ge­ schick und Zeit, Zeit, Zeit. Gabriele Aberle stellt den Rohling her. Das heißt: Sie bepinselt den Strohhut mit dem Gipsmix, setzt ihn auf die Form, wo er trocknet. Sie pinselt ihn wieder ein, setzt ihn wie­ der auf die Form. „Der Strohhut wandelt sich, er wird schwerer, fester.“ Zwei- bis ➻

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Brauchtum

Komm, tanz mit mir in der Linde! Jedes Jahr Ende August feiern die Limmersdorfer ihre traditionelle Lindenkirchweih. Dabei wird nicht nur unterm Baum, sondern auch mitten in der Blätterkrone getanzt. Text: Stephanie Lahrtz Fotos: Peter von Felbert

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Der Tanz unter der Linde ist ­eröffnet: Den Vortritt auf dem Tanzboden haben die vier Platzpaare. Sie tanzen einen Walzer, haben dafür sogar Unterricht genommen.

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ie alte Linde – fest im Boden v­ erwurzelt, mit einem mächtigen Stamm, darüber eine Krone mit üppigem Laub, so steht sie auf dem Limmersdorfer Lindenplatz, auch Plootz genannt, neben der Kirche. Und das schon seit über 300 Jahren. Leise rauscht der Sommerwind durch die Blätter. Um sie herum schwirren laute Rufe und auch mal ein fröhliches Lachen über den Platz, begleitet vom Knirschen und Klappern des Holzbänkeaufbaus. Wie alle Jahre am Namenstag des heiligen Bartholomäus (24. August) oder dem Wochenende danach, so ist auch heuer wieder Ende August Kirchweih (Kerwa) hier im oberfränkischen Limmersdorf. Vier Tage lang wird gefeiert. Mit Kirchenkonzert und Bieranstich, mit Gottesdienst und zwei Festumzügen, mit anschließendem Tanz in der Limmersdorfer Linde. Am Dienstagabend schließlich fasst die sogenannte Predigt alle Kerwa-Ereignisse noch einmal humorvoll zusammen. Verzaubert unter Lindenlaub

Nun ist für einige Tage wieder sie, die alte Linde, der Star. Sie wird nicht nur Schatten spenden und sich über tuschelnde Liebespaare, Nachbarschaftstratsch und auch mal angetrunkene Streithähne wölben. Zur Lindenkirchweih lädt der alte Baum ein, in ihr und mit ihr zu tanzen und zu feiern. Die Limmersdorfer Linde ist nämlich eine Tanzlinde. Früher gab es viele davon in Franken und dem benachbarten Thüringen. Doch heute sind nur noch wenige dieser Bäume erhalten. Über eine hölzerne Treppe, die Lizza, die erst wenige Tage vor dem Fest aufgebaut wird, gelangt man in den Baum und auf den hölzernen Tanzboden. Auch dieser wird erst kurz vor der Kirchweih in den Baum eingezogen. Noch ganz alleine stehen wir hier oben, gut vier Meter über dem Platz, umhüllt vom saftig-grünen, dichten Lindenlaub. Und wir spüren nicht nur Vorfreude auf das Fest, sondern sind auch ganz verzaubert. So, als ob die Linde all ihre jahrhundertealten Erinnerungen an frühere glückliche Tanzpaare mit uns teilen will. ➻

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Am Samstag beginnt das Fest mit dem Bieranstich durch den Bürgermeister (ganz oben). Der erste Höhepunkt ist am Sonntag der Fest­ umzug (darunter). Danach dürfen sich nicht nur die Burschen beim Kegeln messen (links).

Allzu lange können wir jetzt leider nicht dem Lindenzauber nachspüren, denn schon muss ein Plootzmadla ein letztes Mal den Tanzboden kehren. Die Plootzmadla sind ­gemeinsam mit den Plootzern die Chefs der Limmersdorfer Lindenkerwa. Seit alters her wird das Fest von vier jungen Burschen, den Plootzern oder Platzherren, und den von ihnen ausgewählten jungen Frauen, eben den Platzmadla, organisiert. Während die Männer Limmersdorfer sein müssen, wird ab und an bei den Frauen eine Ausnahme gemacht. „Meist ist es eine Gruppe befreundeter Jungen, von denen abwechselnd jeweils vier Plootzer werden, die sich dann die Madla aussuchen dürfen“, erzählt Jochen, ein früherer Plootzer und auch dieses Jahr beim Aufbau wieder dabei. „Das schweißt die Gruppe echt zusammen, mittlerweile sind wir eine große Clique“, schwärmt er.

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„Lindenkirchweih ist für die Platzpaare auch viel Arbeit“, fügen Jana und Michael, ein aktuelles Plootzerpaar, hinzu. „Ab Januar gibt es immer was zu tun. Zelt mieten, Musikgruppen buchen, Verträge mit Brauereien aushandeln. Ab Anfang August wird es dann richtig stressig mit dem Aufbau des Zeltes, der Bratwurstbude, der Lizza und so weiter.“ Eine Ehrensache für die vielen Helfer

Während der Kirchweih müssen die vier Plootzer auf alles ein Auge haben, Essensnachschub anliefern sowie den Ausschank im Festzelt oder der Bar leiten. Die Plootzmadla müssen bis spät in die Nacht bedienen, am frühen Morgen putzen und unter tatkräftiger Mithilfe ihrer Eltern wieder alles feinsäuberlich herrichten. Es macht trotzdem viel Spaß – da sind sich alle vier Paare einig.

Ohne Eltern und die vielen Helfer aus dem Dorf ginge es natürlich nicht. Egal mit wem man spricht, für alle Limmersdorfer ist es Ehrensache, die alte Tradition lebendig zu halten. Wie beliebt die Limmersdorfer Kerwa nach wie vor ist, sehen wir kurze Zeit später. Am Samstag, einem wunderbar lauen Sommerabend, sind binnen kürzester Zeit nach dem symbolischen Bieranstich nicht nur im Festzelt alle Plätze besetzt, sondern auch unter der Linde und um sie herum. Die Stimmung ist so fröhlich und gelöst, dass sich ein Musiker – offensichtlich ein Auswärtiger, der mit den ungeschriebenen Regeln der Limmersdorfer nicht so ganz vertraut ist – eine Ziehharmonika schnappt und oben in der Linde zu einem Tänzchen aufspielt. Eigentlich ist das ja erst nach ➻


Abends kann man unter der über 300-jährigen ­Linde gemütlich essen, trinken und plaudern. Im Stockwerk darüber – dort, wo man das „Fenster“ im Blätterdickicht erahnt – wird getanzt. Stolz hissen die Limmersdorfer in ihrer Tanzlinde die ­rot-weiße Franken-Fahne mit dem Rechen.


Ohne eine zünftige Blaskapelle gibt’s keinen Festumzug. Die Musikanten müssen zwei Stunden lang ganze Arbeit leisten: Marschmusik zum Laufen, einen Tusch und einen Walzer, wenn der Plootzer sein Madla abholt.

dem ersten Tanz der Platzpaare am Sonntagnachmittag erlaubt. Doch Veit Pöhlmann, Limmersdorfer Urgewächs, früher selber zweimal Plootzer und langjähriger Vorsitzender des Lindenkirchweihvereins, lacht nur. „Es macht doch allen so viel Spaß! Tradition, auch wenn sie noch so alt und ehrwürdig ist, darf sich nicht auf den Erhalt starrer Formen beschränken“, meint er verschmitzt und zwinkert uns zu. Die Plootzer holen ihre Madla

Selbst wenn die Nacht kurz war, nach dem Gottesdienst am Sonntag und einem Frühschoppen – oder bei Bedarf auch einem kleinen Vormittagsnickerchen – sammeln sich am frühen Nachmittag alle wieder auf dem Plootz zum traditionellen Festumzug – bis auf die vier Platzmadla. Sie fehlen noch und werden erst abgeholt.

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Als Erste setzen sich der blumengeschmückte Hammel und ein kleiner Leiterwagen mit dem ebenfalls geschmückten Biersprenger, einer Gießkanne voller Bier, in Bewegung. Das Bier erleichtert Bläsern wie Plootzern den Fußmarsch: Gut zwei­ einhalb Stunden wird er dauern. Eine nach der anderen werden die Platzmadla nun von ihren Plootzern zusammen mit Blaskapelle und allen Kerwagästen von zu Hause abgeholt. Tags darauf, am Montag, wird es dann umgekehrt sein, da holen die Damen die Herren ab. Bei Janas Haus angekommen, heftet das Madla „seinem“ Plootzer unter den anfeuernden Rufen der Umstehenden ein Blu­ men­sträußchen ans Revers, und die beiden wagen ein Tänzchen im Hof. Danach gibt’s Stärkung für alle. Dafür hat die Familie des Madla meist mitsamt der Nachbarschaft seit

frühmorgens hunderte Wurst- und Käse­ brote geschmiert, Kuchen gebacken und Getränke­hergerichtet. Dann geht es weiter zu den anderen Platzmadla. Wadlschmerzen und Schweissperlen

So, jetzt hat die Linde aber lange genug gewartet, ist doch der eigentliche Höhepunkt der Tanz der vier Platzpaare unter und in der Linde. Im Laufschritt werden die letzten Meter über den Dorfplatz absolviert, schon stimmt die Kapelle einen fröhlichen Walzer an. Los geht’s, immer rund um den Stamm. Was übrigens auf dem frisch gestreuten Sand gar nicht so einfach ist und ganz schön in die Waden geht. Nach einem schnellen fränkischen Dreher sucht sich nun jedes Platzmadla und ­auch jeder Plootzer einen neuen Partner aus dem Publikum.


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Die Kapelle stimmt einen Walzer an. Los geht’s, immer rund um den stamm.

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Auch nach diesem Tanz gibt’s noch kein Verschnaufen. Die wiedervereinten Platz­ paare stürmen hinauf auf den Tanzboden in der Linde und kommen bei einem Zillertaler mit seinen vielen schnellen Drehungen und Hopsern gehörig ins Schwitzen. Noch dürfen die Zuschauer unten wie oben nur den Takt klatschen. Doch endlich ist es auch für sie so weit: Der Lindentanz­ boden ist für alle eröffnet, und nur die un­ verbesserlichen Tanzmuffel verziehen sich schnell ins Zelt oder zum Bratwurststand. Aus der alten Linde aber hört man lautes Lachen und Musik – oder mal ein leises Autsch, wenn man beim schnellen Drehen den Stamm oder das Nachbarpaar aus Ver­ sehen anrempelt. „Die alte“ ist noch sehr vital

Damit es in Zukunft immer wieder eine Kirchweih mit Tanzlinde in Limmersdorf gibt, hat der Kirchweihverein vorgesorgt. Eine Linde lebt ja nicht ewig, und es braucht gut 50 Jahre, bis aus einem normalen Baum eine richtige Tanzlinde geworden ist. Vor 23 Jahren hat man deshalb aus der alten Linde einen Sämling gezogen und auf dem Plootz angepflanzt. Solange die Äste biegsam waren, wurden sie an ein Gerüst gebunden und wuchsen horizontal. Hier ­hinein kommt später der Tanzboden. Mittlerweile sind die Äste dick und aus­ ladend genug, um an einem weiteren Gerüst entlang nach oben zu wachsen. So werden sie später einmal das zauberhafte Blätter­ zimmer um den Tanzboden bilden. Bevor jedoch die kleine Linde ihre große Mutter ablösen wird, vergehen vermutlich noch viele Jahre. „Die Alte“ ist nämlich sehr vital und zeigt keinerlei Anzeichen, dass ihr der alljährliche Trubel zu viel wird. Im Gegenteil. So grün wie heuer sei sie schon lange nicht mehr gewesen, stellt man beim Kirchweihverein freudig fest. Um sie gleich nach dem viertägigen Rummel fürs nächste Jahr sorgfältig zu hegen und zu pflegen. 3

Limmersdorfer Lindenkerwa 24. bis 27. August 2013 www.lindenkirchweih.de

Wer nach dem Tanzen in der ­Linde eine kleine Pause einlegt, kann von oben auf die Gäste ­unter dem Nachbarbaum blicken.­Rechts: Ein blumen­ geschmückter Hammel zieht während des Festumzugs den Wagen mit der mit Bier gefüll­ ten Gießkanne – Stärkung für ­Musiker wie Zuschauer.

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