Servus in Stadt & Land Deutschland 01/14

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01 /2014 &

in Stadt & Land

Genuss auf der Hütte Die Legende aus Preetz

eiszapfen  & ritterstern & zaubernuss & wermut & grünkohl & Schneiderslapple & Ausflug in den karwendel

Kulinarischer Einkehrschwung

2

E i nfac h

.

Gut .

Leben

Holzschuhe mit Geschichte

2

januar

01/2014

EUR 3,90

Zauberhafte Winterzeit Die Schirmherrin von Hamburg

&

Der Uhrmacher am Titisee

&

Glaskunst in der Oberpfalz

>


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44

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Inhalt 2014 Januar

10 Eisige Skulpturen

Jeder Eiszapfen ist ein Kunstwerk für sich. Zumindest so lange, bis er sein Gewicht nicht mehr tragen kann.

16 Scheite im Schnee

Wie aus bunt gefärbtem Kaminholz und Seilringen ein Wurfspiel wird.

24 Frostige Fähnchen

Die bizarren Blüten der Zaubernuss entfalten erst im Schnee ihre Pracht.

34 Stern am Stiel

Im Januar haben die Rittersterne ihren großen Auftritt.

114 Treffpunkt Vogelhäuschen

Im Winter scharen sich die hungrigen Vögel um die Futterstellen und geben uns Einblick in ihr flatterhaftes Leben.

4 Servus

Küche 40 Gekräuselte Vitamine

Grünkohl ist ein Klassiker unter den Wintergemüsen.

44 Einkehrschwung

Draußen klirrt die Kälte, drinnen knistert der Ofen. Und hoch droben in den österreichischen Hütten wird zünftig aufgekocht.

54 Ganz großer Käse

Er schmeckt unwiderstehlich gut, der Käse von Thomas Breckle aus dem Allgäu.

58 Knusprig & cremig So gelingen Windbeutel.

60 Zum Auslöffeln gut

Fünf Suppen, die jetzt das Herz und den Körper so richtig erwärmen.

Wohnen 68 Liebe auf den letzten Blick

Bis vor kurzem war der alte Vogtshof ein windschiefes Gerippe auf der Baar. Familie Stark hat ihm wieder den gebührenden Glanz verliehen.

74 Basteln mit Kindern Wir filzen ein Sitzkissen.

76 Winterweiße Schönheiten Kleine Kunstwerke, die das Fensterbrett jetzt erstrahlen lassen.

80 Schönes Zuhause

So dekoriert man seine vier Wände im Januar kuschelig und wohlig warm.

82 Fundstück

Eine schmückende Christbaumspitze wird zum Küchenquirl.

coverfotos: getty images, eisenhut & Mayer, georg tedeschi

Natur & Garten

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86

120 114

fotos inhalt: georg tedeschi, katharina gossow, eisenhut & mayer, marco rossi, bernhard huber, your photo today, juniors bildarchiv

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Land & Leute

Brauchtum

86 Holz auf Schritt und Tritt

18 Die Gaben der Weisen aus dem Morgenland

Lorenz Hamann in Preetz macht heute noch so wie seine Vorfahren Holzschuhe in Handarbeit.

104 Mit Schirm, Charme und Tradition

Carola Vertein aus Hamburg ist eine der Letzten in Deutschland, die Schirme per Hand macht.

108 Wo das richtige Glas gemacht wird

In der Manufaktur Lamberts in Waldsassen wird nach alter Tradition mundgeblasenes Fensterglas gefertigt.

120 Im Schatten der hohen Berge

Das Dach Oberbayerns bei Mittenwald ist im Winter besonders schön.

Servus-Expertin Miriam Wiegele lüftet die Geheimnisse um die Gaben der Heiligen Drei Könige.

90 Die Hüterin im Blauen Turm

Wo man in Bad Wimpfen einst nach Feinden und Feuer Ausschau hielt, bewahrt Blanca Knodel die Erinnerung.

100 Wie ein Uhrmacher im Schwarzwald tickt

Ein Besuch in der Werkstatt von Fritz Kiefer in Titisee-Neustadt und ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit.

138 Leben in alten Zeiten

Heinrich Rambold in Murnau war der letzte Glasmaler von Bayern.

Standards 3 Vorwort 6 Leserbriefe, Ortsnamen 8 Servus im Januar 22 Schönes für draußen 28 Der Garten-Philosoph 30 Unser Garten, Mondkalender 38 Natur-Apotheke: Wermut 52 Omas Kochbuch:

Oberfränkische Schneiderslapple

66 Schönes für die Küche 84 Schönes für drinnen 96 Michael Köhlmeier:

Spieler und Pest

132 Ralph Wallner: Das verbotene Tor 136 ServusTV:

Sehenswertes im Januar

146 Impressum, Ausblick

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EINFACH. GUT. LEBEN.


Wortschätze aus dem Ländle

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Mundart Von Wilhelm Karl König

Mädchen

Mädel, ’s Winter. Mach ’s Stüblein fein warm; setz dich zum Ofen und nimm mich in Arm. Seit jeher werden sie besungen und mit Gedichten geschmückt, wie hier von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791): das Schwabenmädel und das Schwarzwaldmädel. So weit die romantische Seite. Und nun die sachliche Frage: Woher stammt eigentlich der Begriff Mädchen? Er bildete sich wohl im 17. Jahrhundert aus Mägdchen, auch leicht variiert Mägdgen, eine Verkleinerungsform von Magd. Lange Zeit bedeutete das: unverheiratete oder noch unberührte Frau. Überraschend taucht in unserer Auflistung hier unten auch das Wort Mensch auf. Das wurzelt im Althochdeutschen, etwa im Wort Määsch. Damit und mit ganz eng verwandten Abwandlungen von Mensch bezeichnete man den weiblichen Dienstboten.

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Krotte

Nefle

Mannheim, nördliches Oberrheingebiet

Albstadt, Schwäbische Alb

Häddale

Göppingen, Filstal

Mädle Stuttgart

Mensch/Menschle Schorndorf, Remstal

Meidli illustration: andreas posselt

Villingen-Schwenningen, Schwarzwald-Baar-Kreis

Maadla

Öhringen, Hohenlohekreis

Maidli

Zell im Wiesental, Südbaden

Chrott

Hausen, Landkreis Lörrach

Mäschkerle Immenstaad, Bodensee

Maidlich

Mätz Lindach, Ostalb

Steinbach, Hohenlohekreis

Denge

Meidle

Bad Urach, Schwäbische Alb

Haslach, Kinzigtal

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natur & garten

Gelbe Fähnchen im Schnee Die Zaubernuss blüht erst bei Frost so richtig auf. Ihre bizarren Blüten kündigen schon zu Jahresbeginn an, dass das Frühjahr nicht mehr allzu weit sein kann. redaktion: Julia Kospach


auberhaft ist nicht nur ihr Name. Die Zaubernuss ist in ihrer Gesamtheit eine ganz besondere Pflanze. Und man kann durchaus auf die Idee kommen, dass dieser edle, langsam wachsende Strauch mit der Welt des Übersinnlichen in Verbindung ste­ hen muss, wenn er mitten im eisigen Hoch­ winter, rund um die Jahreswende, seine ersten Blüten sehen lässt. Wie zerknitterte Fähnchen sitzen die Blüten in den Blattachseln und sehen aus, als wären sie aufwendig zu vielen feinen, dünnen Papierstreifchen geschnitten worden. Keine Chance für Väterchen Frost

Ihr Gelb leuchtet warm und sonnig. Je ­näher man zur Blütenbasis kommt, desto mehr geht der Farbton in ein warmes Rot über. Bis zu Temperaturen von minus 10 Grad sind die duftenden Zaubernuss­ blüten frostfest. Ist es besonders eisig, ­kringeln sie sich ein wenig ein, wird es wie­ der etwas wärmer, entfalten sie sich aufs Neue. Lange Kälteperioden machen ihnen nichts aus – im Gegenteil: Sie verlängern nur ihre Blütezeit. Die vier Wildarten umfassende Gattung der Zaubernussgewächse hat ihre Heimat an den Waldrändern und Flussufern der ­Gebirge Ostasiens und Nordamerikas. Von dort gelangten sie im 18. und 19. Jahrhun­ dert auch nach Europa, wo sie wegen ihrer eigenwilligen spinnenförmigen Blüten ➻

foto: gap gardens

Zaubernuss (Hamamelis) Andere Namen: Hexenhasel, Zauberhasel. Familie: Hamamelidaceae (Zaubernussgewächse). Blütezeit: Ab Januar bis ins Frühjahr, die Virgini­ sche Zaubernuss (Hamamelis virginiana) blüht schon im Herbst auf. Die Blüten werden im Lauf der Jahre immer mehr. Standort: Man pflanzt sie auf lockerem, durchläs­ sigem Boden an einer sonnigen, leicht beschatteten Stelle mit genügend Platz, damit sie sich gut ent­ falten kann. Kalkhaltige Böden verträgt sie schlecht. Pflege: Zaubernuss-Sträucher sollte man nicht schneiden. Sie verkraften Rückschnitte schlecht. Da sie auch sehr empfindlich auf Verletzungen ihres Wurzelwerks reagieren, sollte man in der Nähe ihrer Basis auch nicht graben oder hacken. Dementsprechend mögen sie es auch nicht, wenn man sie umsetzt.

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und der berauschenden Herbstfärbung ihrer Blätter bald ein häufiger Anblick in Gärten und Parks wurden. Zuchtsorten gibt es inzwischen viele – am schönsten sind und bleiben aber die gelb blühenden. Doch auch die, deren Blüten in Rot und Rostrot lodern, haben ihren eigenen, wenn auch nicht ganz so auffallenden Reiz. Die Zaubernuss als Wünschelrute

Im englischsprachigen Raum heißt die Zaubernuss „witch hazel“ (Hexenhaselnuss). Das mag mit einer erstaunlichen Eigenschaft ihrer holzigen Samenkapseln zu tun haben. Diese ähneln Haselnüssen, werden genau nach einem Jahr, zu Beginn der nächsten Blütezeit reif, platzen mit einem Knall auf und schleudern ihre schwarzen Samen bis zu 10 Meter weit weg. Das tut vor allem die Virginische Zaubernuss (Hamamelis virginiana), eine der zwei Wildarten aus dem nordamerikanischen ­Osten, die für die Ureinwohner große Bedeutung hatte. Astgabeln der Zaubernuss verwendeten sie als Wünschelruten und spürten so Wasseradern auf. Sie wussten auch um die Heilkraft von Rinde und Blättern bei Hauterkrankungen und um ihre Wirkung gegen Durchfall. Die robusten Jungpflanzen der Virginischen Zaubernuss sind es meist auch, auf die moderne Gartensorten zur Veredelung und Vermehrung aufgepfropft werden. Was die Schönheit der Blüten selbst ­angeht, erwiesen sich allerdings die asiati-

gut zu

wissen

>Z aubernuss-Sträucher pflanzt man am besten vor einem dunklen Hintergrund – etwa vor einer Schuppenwand aus Holz oder vor einer Hecke mit dunklem, immergrünem Laub. So können ihre filigranen Blütenblättchen optimal zur Geltung kommen. >E s kann manchmal ein bisschen dauern, bis frisch gepflanzte ZaubernussSträucher mit dem Blühen beginnen. Oft haben sie sich erst nach zwei, drei Jahren an ihren Standort gewöhnt und bequemen sich zu einer üppigeren Blütenpracht. >D ie Sorte Hamamelis × intermedia „Pallida“ mit ihren großen schwefelgelben Blüten gilt gemeinhin als die am frühesten blühende Zaubernuss. In milden Regionen blüht sie manchmal sogar schon um die Weihnachtszeit.

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Wenn die Natur nach dem ­Winter erwacht, steht die ­Zaubernuss schon längst in ­Blüte. Frostperioden machen sie nur noch widerstandsfähiger.


Mit heiler Haut Die herbstblühende Virginische Zaubernuss ist eine viel genutzte Heilpflanze. Die tra­di­ tionelle indianische Medizin Nordamerikas wusste ebenso um ihre Heilkraft, wie es heute Homöopathie und Kosmetik tun. Für Rasier- und Gesichtswässer, Deos und Cremes erweisen sich die beruhigenden, entzündungshemmenden Stoffe aus Rinde und Blättern der Zaubernuss als nützlich. Die Homöopathie setzt sie bei Blutungen ebenso ein wie bei Venenleiden. Bei Ek­ zemen und anderen Hautleiden helfen Hamamelis-Cremes oder Umschläge. Tee aus Rinde oder Blättern hilft bei leichten Durchfällen. Für einen solchen Tee übergießt man 1–2 TL geschnittene, getrocknete Hamamelisblätter oder -rinde aus der Apotheke mit einer Tas­ se kochendem Wasser und lässt den Tee 10 Minuten ziehen. Danach abseihen. An­ wendbar als Tee gegen Durchfall, in Form ­eines teegetränkten Umschlags auch bei Hautentzündungen und Ekzemen hilfreich.

Blätter und Rinde der Zaubernuss (oben) strotzen vor Heilkraft. Die holzigen Samenkapseln schleudern die Samen mit einem Knall meterweit weg.

schen Wildarten – die Japanische (H. japo­ nica) und die Chinesische ­Zaubernuss ­ (H. mollis) – als weitaus ergiebiger für ­moderne Zaubernuss-Züchtungen: Ihre Blüten sind größer, sie blühen länger und gehen schon im Winter auf. So kommt es, dass die meisten Zaubernuss-Sträucher, die man in heimischen Gärten sieht, aus Kreuzungen zwischen Japa­nischer und Chine­sischer Zaubernuss hervorgegangen sind.

fotos: gap gardens, prisma, getty images, juniors bildarchiv

Die Leuchtkraft der schönen Sandra

Es wirkt tatsächlich wie Zauber, was dieser Strauch zu bieten hat: Gelbe oder auch rote Blüten (im Bild die Sorte Hamamelis × intermedia „Diane“) leuchten trotz Eis und Schnee.

Gefällt es einer Zaubernuss an ihrem Standort, blüht sie mit jedem Jahr üppiger. Zudem wird sie auch immer frostfester. Die drei, vier Meter hohen Sträucher wachsen kaum mehr als 20 bis 30 Zentimeter pro Jahr. Ihr Wuchs ist ausladend und pittoresk, vor ­allem, wenn die Blüten im Winter an den blattlosen Ästen stehen. Wenn man sie lässt, bilden sie im Lauf der Jahre schöne Kronen. Im Herbst rüsten sich ihre breiten, eiförmigen Blätter zu dem zweiten großen Auftritt, den die Zaubernuss im Jahreskreislauf zu bieten hat. Je nach Sorte verfärbt sich das Laub in goldenen Gelb- oder verschiede­ nen Rottönen, in die sich manchmal auch Orange oder Braun mischen. Als ganz besondere Herbstschönheit gilt die Sorte „Sandra“ der Frühlingszaubernuss (H. vernalis). Ihr purpurnes Laub leuchtet im Herbst in spektakulärem Gelb, Orange, Rot und Purpur. 3

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fast vergessene rezepte

Aus Omas Kochbuch 9

Oberfränkische Schneiderslapple

Wenn im Winter der Küchenofen so richtig eingeschürt war, dann reichte die heiße Herdplatte aus, um diese süße Köstlichkeit zubereiten zu können. Redaktion: Heidi Schmidt  Foto: eisenhut & Mayer

„Früher hat sich jeder gefreut, wenn es Schneiderslapple gab. Das war ein großes Ereignis“, erinnert sich Melanie. Damals hat die ganze Familie unter einem Dach gewohnt: Oma, Opa, Papa, Mama und die Kinder. Da hat sich der große Aufwand gelohnt. Auch weil sie gut satt machen und nicht teuer sind. Es war ein typisches Winteressen für einen Samstag: Da war ein wenig mehr Zeit als unter der Woche, und der Küchenofen war auch schon eingeschürt, weil er gleich­ zeitig Heizung war. Oma Senta hat heute noch so einen Ofen. 81 Jahre ist sie alt, und sie macht die Schneiderslapple noch direkt auf der heißen Platte über dem lodernden Holzfeuer. „Da schmecken sie gleich noch viel besser“, verrät Melanie, „da ist die Hitz einfach besser.“

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Der Sohn von Oma Senta, Melanies Schwiegervater Achim Rosse, hat es bei einmal mit seinem Elektroherd, auf dem Boden des Backrohrs, versucht. „Das war dann zwar auch gut, aber a g’scheite Sauerei“, resümiert Melanie. Ein Mann, der bäckt? In Melanies Familie ist das keine Seltenheit. Schon bei ihren Urgroßeltern war es den Erzählungen nach der Uropa, der für die Schneiderslapple zuständig war. Wie das kommt? „Das war eine Form der Arbeitsteilung“, sagt Melanie. „Der Uropa hat auch immer die Klöße gemacht.“ Nur ihr eigener Mann, der traut sich nicht an das alte Familienrezept ran.

Die Erwartungen innerhalb der Familie sind nämlich groß. Trotzdem lädt Melanie alle ein, wenn sie die Schneiderslapple zubereitet. Dazu gibt es Kompott, natürlich selbst gemacht von Oma Senta. Am besten Stachelbeere, weil die Speise selbst recht süß ist und es etwas Saures dazu braucht. Die Kartoffeln kamen einst vom Nachbarn aus dem Kartoffelkeller. „Im Herbst half das halbe Dorf beim Kartoffelgraben“, erzählt Melanie. Und was geschieht mit den Resten? „Die gibt es nicht. Nie!“, beteuert Melanie. „Es wird immer alles aufgegessen, und alle sind pappsatt.“ Bei Oma Senta gibt es dann trotzdem ein paar Stunden später gleich wieder Kuchen und Kaffee. Wie es sich eben für eine richtige Oma gehört. 3

zusatzfoto: privat

Wo der Name herkommt, das weiß Melanie Rosse nicht so genau. Schneiderslapple, also Schneiderläppchen auf Hochdeutsch. War der Erfinder ein Schneider? Oder war es die Form dieser dünnen Teiglappen, die an die Stoffstücke eines Schneiders erinnert? Dass es sich dabei um ein altes Familienrezept handelt, weiß die Oberfränkin aus Lauenstein sicher. Schon ihre Uroma hat das Rezept gekannt; auch Oma Senta, die Großmutter ihres Mannes, kennt es. Sie hat schließlich das Rezept in das Kochbuch geschrieben, das Melanie zur Hochzeit geschenkt bekam.


Melanie Rosse, 32, aus Lauenstein in Oberfranken hat uns dieses alte Familienrezept geschickt.

Zutaten für 4 Personen 1 kg Kartoffeln (vorwiegend festkochend) 1 Prise Salz Mehl, und zwar so viel, dass der Teig nicht mehr klebt flüssige Butter (Menge nach Geschmack) Kristallzucker zum Bestreuen Kompott oder Apfelmus

Zubereitung Kartoffeln mit der Schale rund 20 Minuten garen. Schälen und noch warm durch die Kartoffelpresse drücken, dann erkalten lassen. Salz und Mehl zugeben und von Hand verkneten, bis der Teig nicht mehr klebt. Den Teig auf einer bemehlten Fläche dünn ausrollen und in rechteckige Schneiderslapple (ca. 10 × 15 Zentimeter) schneiden. Diese in einer beschichteten Pfanne von beiden Seiten einzeln ohne Fett anbraten, bis kleine braune Flecken entstehen. Anschließend noch heiß mit geschmolzener Butter bestreichen, mit Zucker bestreuen und in eine Schüssel stapeln. Dazu gibt es Kompott, Apfelmus oder einfach nur eine Tasse Kaffee.

Wenn auch Sie ein fast vergessenes Rezept kennen, schicken Sie uns einfach eine Mail an: redaktion@servusmagazin.de

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eiszeit

Winterweisse schönheit

Hat der Winter sein makelloses Kleid über die Landschaft gelegt, holen wir seine strahlende Unschuld mit kleinen Kunstwerken fürs Fensterbrett ins Haus. Redaktion: alice fernau Fotos: katharina gossow mitarbeit: sophie Palme


Klarer Blick Fotos links und oben: Alte Marmeladengläser sind die Basis für die hübschen Schneekugeln, die unser Fensterbrett im Januar zieren. Wir haben einfach Flechten, Moos, kleine Bäumchen (aus dem Modelleisenbahn-Fachgeschäft) und Miniaturtiere in die Deckel geklebt, dann das Glas innen mit etwas Kunstschnee besprüht und die beiden Teile miteinander verschraubt. Auf den Kopf gestellt, sind die schmucken Gesellen nämlich schon fast fertig. Als Sockel haben wir alte Plätzchenausstecher und ein Tortenförmchen verwendet. Weiß besprühte Kletten und Äste sowie eine Keramikschale mit Silberkörbchen befüllt komplettieren das winterliche Arrangement.

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Filigrane Freude Fotos oben und rechts: Für unsere ­Wetterwölkchen brauchen wir weißen Filz, ­Karton, Watte, Glasperlen, Garn, Zwirn, ­Nähnadel und eine Schere. Zuerst haben wir aus dem Pappendeckel unsere Schablone und ­anschließend sechs Wolken ausgeschnitten. Nachdem wir diese an ihren Rändern zusammengenäht hatten, konnten wir sie mit Watte ausstopfen. Dann fädelten wir Glasperlen auf ­einen Zwirn und bestückten die Wölkchen damit. Für die Knopfgirlande plünderten wir Omas Perlmuttknopf-Sammlung und knüpften die schillernden Plättchen auf ein­fachen Küchenstrick. Wölkchen am Fenster fixieren, Girlande um einen weiß g ­ etünchten Ast schlingen, Kerzen dazugruppieren – fertig! Foto rechts unten: Die sternförmigen Unter­ setzer bastelten wir aus einfachen Holzkluppen: Zuerst die metallenen Klammern ­entfernen – so erhält man die hölzernen Ein­zelteile. Die tünchten wir weiß, gaben ihnen e­ twas Zeit zum Trocknen und klebten sie n ­ achher an den unteren, schrägen Enden zu einem Stern zu­sammen. Auf den Tisch gelegt sind sie nicht nur hübsch anzuschauen, sondern ­dienen auch als ideale Hitzeschilde.

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Helle Momente Ganze Seite: Für die Papier-Schneeflocken braucht man weißes Papier, eine spitze, kleine Schere (am besten eine Nagelschere), Fantasie und ein bisschen Geduld. Zuerst haben wir das Papier mehrmals gefaltet und unterschied­liche Figuren hineingeschnitten. Danach montierten wir die zarten Gebilde an Zwirnsfäden an der äu­ßeren Scheibe eines Kastenfensters. Die innere Scheibe bemalten wir einfach mit Schnee­flocken. Dazu eignet sich ein Stück Kernseife besonders gut. Die weiße Porzellanleuchte und ein Krug mit Wachsblumen passen perfekt zu unserem ­vielschichtigen Schneegestöber. Die Schale mit Gebrannten Mandeln und Lakritzkreide versüßt uns den Blick in die wunderbar weiße Winterwelt. 3


Handwerk

Wo das richtige Glas gemacht wird

Die Glashütte Lamberts in Waldsassen ist eine der letzten, die noch Glas wie anno dazumal fertigen. Handgemacht und mundgeblasen, von Glasmachern, denen weder Luft noch Kraft ausgehen. Text: Uschi Korda Fotos: Marco ROSSI

H

errje! Sag nie, nie, nie Glasbläser zu ihnen!“ Andreas Hartl, Glasbautechniker und laut eigener Aussage so etwas wie das „Mädchen für alles“ in der Glashütte Lam­ berts, setzt einen entsetzten Blick auf. Glas­ macher, sagt er mit ehrfürchtigem Unterton, sei bitte schön die korrekte Bezeichnung. Beschämt ob unserer Unwissenheit sen­ ken wir den Blick und sind verwirrt. „Mund­ geblasene Farbgläser“ ist der Slogan des ­Betriebs am äußersten Rande Bayerns in der Oberpfalz. Eine Spezialität, auf die sich weltweit neben den Waldsassenern nur noch eine Manufaktur in Frankreich und eine in Polen verstehen. Es ist 8 Uhr abends, und dichter Nebel zieht eine nasskalte Spur durch die ein­ samen Gassen. Es scheint, als seien alle ­Bewohner längst unter ihre warmen Bett­ decken geflüchtet, nur wir marschieren der alten Fabrik entgegen, wo der erste Schritt für die morgige Produktion exakt um 21 Uhr getan wird. Glasbläser, nehmen wir dabei mit auf den Weg, sind die, die kleinen Pipifax, also Figürchen, Vasen und sonstigen hübschen

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Tand machen. Bei Lamberts aber wird Glas gemacht. Richtiges Glas. Für Fenster und in allen Farben dieser Welt. Keine glatte Indus­ trieware, sondern in alter Tradition komplett per Hand erzeugt. Fast noch genau so wie vor knapp 130 Jahren, als die Familie Bloch, böhmische Spiegelglasfabrikanten, in Wald­ sassen eine „neue Glasfabrik mit Dampf­ maschinenbetrieb zur Herstellung von Fens­ ter- und Spiegelglas“ errichtete. Die Voraussetzungen waren äußerst günstig. Die drei Grundelemente zur Glas­ herstellung, Quarzsand, Soda und Kalk, ­waren als Bodenschätze reichlich vorhan­ den, der Böhmerwald lieferte Holzkohle und Koks zur Befeuerung der Öfen. Bald waren 200 Arbeiter hier beschäftigt, und die Facharbeiter riefen im Januar 1893 selbstbewusst einen „Fachverein der Spie­ gelglasarbeiter für das Königreich Baiern“ mit Sitz in Waldsassen ins Leben. 1906 wurde unter Mithilfe eines Neffen der Bloch-Familie eine zweite, nämlich die Glasfabrik Waldsassen GmbH im Ort eta­bliert. 92 Meter lang und 28 Meter breit war das Hüttengebäude aus Backstein, ➻


Marcel Kempke ist Schmelzmeister in der f端nften Generation und f端r die F辰rbung des Glases verantwortlich. Von 9 Uhr abends bis 1 Uhr fr端h hat er Zeit, den richtigen Farbton zu treffen. Was dann nicht passt, gilt als Fehlfarbe. Linke Seite: alte Glaskunst in der Werkshalle.


Dominik Grötsch möchten wir als Künstler unter den Glasmachern bezeichnen. Freihändig und nur durch Drehen, Blasen und Schwenken in einer Grube entsteht ein zwei Milli­ meter starker und über ein Meter langer Glasballon.


Wer alte Glasfenster oder Glasbilder renovieren möchte, schickt ein Muster. Auch ­Butzen- und Mond­ scheiben werden in der ­Glashütte gemacht.

Karl-Heinz Reisinger (links) ist seit 37 Jahren Glasmacher. Aus der vom Anfänger vorbereiteten Kugel auf der Glasmacherpfeife (großes Bild) macht er zunächst einen Ballon, der dann zu einem Zylinder geformt wird. Ohne sich zu verbrennen selbstverständlich.

für das man ein geeignetes Dach suchte. Die gewölbte Holzkonstruktion einer Halle der Nürnberger Kunst- und Gewerbeausstellung aus dem Jahr 1906 krönt bis heute in beeindruckender Eleganz die Manufaktur. Allein 50 Eisenbahnwaggons brauchte man seinerzeit für den Transport der einzelnen Bestand­teile in die kleine Marktgemeinde. Die Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre machte den beiden Glashütten dann schwer zu schaffen. Während jene der Familie Bloch bereits 1929 zusperren musste, konnte sich die im Volksmund „neue Hüttn“ genannte bis 1934 halten. Nach dem endgültigen Aus trat aber im selben Jahr der Wunsiedler Kaufmann Josef Lamberts als Retter auf den Plan. Er nahm den Betrieb mit 46 Arbeitern wieder auf und begann, mundgeblasenes Flachglas zu produzieren. Während man also jetzt draußen die Gehsteige hochklappt und sich der moderne Mensch mit modernen Unterhaltungstechniken in den Schlaf wiegen lässt, treten wir in der altehrwürdigen Werkshalle eine Art

Zeitreise an. Über uns wölbt sich der mächtige Zeuge des Industriezeitalters, vor uns lodert archaisch das Feuer in drei riesigen Sandsteinöfen. Acht Häfen, eine Art Tonbottiche, hat ein Ofen, in denen jeweils eine andere Glasfarbe angesetzt wird. Jeder Hafen ist locker mit einer tönernen Platte verschlossen, an deren Rändern immer wieder fürwitzig die Flammen herauszüngeln. Ein stilles Spek­ takel in der beinahe menschenleeren Halle, von dem man magisch angezogen wird. Grau ist eine fiese Farbe

„Nimm den Sichtschutz“, befiehlt Marcel Kempke und drückt uns beiden eine kleine Holzplatte mit einem blauen Glasfenster in der Mitte in die Hand. „Sonst siehst du ­tagelang nur mehr orange Punkte.“ Marcel ist Schmelzmeister und als solcher für die Farben zuständig. Den ganzen Nachmittag über wurden von den sogenannten Ein­ legern Quarzsand, Soda und Kalk streng nach Rezeptur in den Häfen geschmolzen,

jetzt muss Marcel dieses Gemenge mit ­unterschiedlichsten Metallen in Farbglas verwandeln. 256 Standardfarben hat die Glashütte im Repertoire, insgesamt können auf Wunsch nahezu 5.000 Farbnuancen her­ gestellt werden. Auch nach Vorlage, so wie bei dem Grau heute, für das ein Teil eines alten, ­renovierungsbedürftigen Glasbildes zur Verfügung gestellt wurde. Grau sei fies, sagt Marcel, das kriege so leicht einen lila Stich, den man nur schwer korrigieren kann. Bis 1 Uhr früh hat er dafür Zeit, wobei in den anderen Häfen heute noch ein Grün, ein Grünlich, ein Kohlegelb, ein Opaque, ein Kupferrot und ein Selenorange angesetzt werden. „Ist wie Kakaomachen“, sagt Marcel ­augenzwinkernd und zieht eine grüne ­Probe. Ist sie zu hell, wird mehr Metall ­eingemischt. Ist sie zu dunkel, kommen ­weiße Glasscherben ins Gemenge. Bereits in fünfter Generation ist Marcel Schmelz­ meister, und alles, was er kann, hat ihm ➻

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In einem Holzhobel wird aus glühender Masse zunächst ein Ballon, dann ein ­Zylinder. Dieser wird langsam abgekühlt und von Anita Grötsch (rechts) auf Stärke und Qualität kontrolliert. Zum Schluss schneidet sie den Zylinder längs auf.

Die aufgeschnittenen Zylinder werden nochmals erhitzt, aufgeklappt und mit einem Stück Holz zu einer Tafel glatt gebügelt.

sein V ­ ater beigebracht. Ein gutes Auge brauche man natürlich auch, sagt er noch und klappt den Sichtschutz hoch, um die nächste Probe direkt aus den Flammen zu holen. 1.400 Grad hat es jetzt in den Öfen. Zu heiß zum Glasmachen, das Gemenge ist bei diesen Temperaturen zu flüssig. Von ein bis vier Uhr früh werden sie langsam auf schnuckelige 1.100 Grad abgekühlt, dann treten die Glasmacher ans Werk. Während also draußen nach wie vor die Gehsteige hochgeklappt sind und der Aufpasser, der einsam das Feuer in den Öfen ­bewacht hat, langsam nach Hause geht, bricht in der Halle laute Emsigkeit aus. Vier Teams versammeln sich um einen Ofen, ­jeweils dreieinhalb Mann hoch. Der „halbe“ Mann ist der Wegträger, der die fertigen Glaszylinder von zwei Teams zum lang­ samen Erkalten in einen Kühlofen bringt. „Schreib auf: Ohne Anfänger geht nix“, ruft uns Stefan entgegen und stemmt die zwei Meter lange und 15 Kilo schwere Glasmacherpfeife in den Hafen. Er, also der An-

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Wer hier durchschaut, sieht das Land drauSSen so wie einst Oma und Opa als lebendiges Bild.

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fänger und Erste in der Produktionskette, dreht so lange, bis das flüssige Glas daran haftet, formt es in einem kleinen Holzmodel zu einer Kugel und wiederholt das alles, bis die richtige Glasmenge beisammen ist. Die bläst er dann in einer Holzform zu einer größeren Kugel auf, dann erst kommt der Glasmacher, in unserem Fall Karl-Heinz Reisinger, ins Spiel. Dieser bläst das Kügelchen zu einem riesigen länglichen Ballon auf. Dreht ihn in einem sogenannten Hobel, stemmt die Pfeife

immer wieder in die Höhe, erhitzt das Glas, bläst, dreht, stemmt … bis der Glasballon 3 Millimeter dick und so lang ist, dass es passt. Nach 37 Jahren habe er das freilich im Gefühl, sagt Karl-Heinz ohne die geringsten Anzeichen von Atemnot. Der Dritte im Bunde, der Einträger, den sie Bill nennen, bringt jetzt mit einem flüssigen, brennheißen Glasbatzen den Ballon unten zum Platzen, hält ihn samt Pfeife waagrecht vor den Körper, sodass KarlHeinz mit einer Auftriebschere das glühende Glas zu einem gleichmäßigen Zylinder formen kann. 93 Zylinder mache er am Tag, sagt KarlHeinz. Und dass um 10 Uhr vormittags ­zumeist Schluss sei. „Dann ist das Glas im Ofen alle.“ Das ist auch die Zeit, in der Dominik Grötsch sich die schwarze Schicht aus Schweiß und abgeriebenem Metall von den Handflächen reibt. Während die anderen Glasmacher ihre Ballons in einem Hobel formen, arbeitet Dominik quasi freihändig


Einer der letzten Zeugen des Industriezeitalters: Die gewölbte Holzdachkonstruktion stammt von der Münchner Zimmereifirma Weiß und zierte eine Nürnberger Ausstellungshalle. 1906 wurde sie mit 50 Eisenbahnwaggons nach Waldsassen transportiert.

und nur mithilfe der Schwerkraft. Wie ­Honig drängt das flüssige Glas nach unten, wenn er es auf der Pfeife in einer vier Meter tiefen Grube hin und her schwenkt, bläst, dreht, erhitzt, stemmt … nun ja, so lange, bis es halt passt. Bei dieser Schwenktechnik entsteht ­Neu-Antikglas, das man für Fensterscheiben verwendet. Wer hier durchschaut, sieht das Land draußen so wie einst Oma und Opa als sanft bewegtes, lebendiges Bild. Aber damals gab es ja auch noch kein Fernsehen. Die Zylinder mit dem farbigen Echt-­ Antikglas, die Karl-Heinz und die anderen Glasmacher heute erzeugt haben, werden nun langsam abgekühlt und von Anita Grötsch, Dominiks Mutter und einzige Frau in der Werkshalle, geprüft. Ob sie gleichmäßig dick und die eingeschlossenen Bläschen nicht zu groß sind. „Familienbetrieb“, sagt sie, weil auch ihr Mann in der Manufaktur arbeitet. Dann schneidet sie die Zylinder der Länge nach durch, bringt sie zu einem Förderband, wo

sie nochmals in einen Ofen wandern und erhitzt werden. Der Letzte in der Kette ist dann der Strecker, der das heiße Glas aufklappt und mit einem Stück Holz zu einer Tafel im Format 60 × 90 cm glatt bügelt. Es lodert 365 Tage rund um die Uhr

64 Arbeiter sind derzeit in der Glashütte ­beschäftigt, einer beinahe autarken Welt. Die angehenden Glasmacher werden selbst ausgebildet, ein eigener Schlosser kümmert sich um die Werkzeuge, ein Schreiner zimmert die Holzkisten für den Versand, ein Hafner setzt alle neun Wochen die Häfen neu auf. Und zwar während das Feuer lodert. Sollte die Temperatur nämlich unter 900 Grad absinken, würde der Ofen Risse bekommen und in sich zusammenfallen. Daher werden die Öfen 365 Tage im Jahr rund um die Uhr befeuert. Mit umweltfreundlichem Erdgas mittlerweile, so weit ist man schon mit der Zeit gegangen. „Bis vor kurzem wurden hauptsächlich Kathedralen und Kirchen mit unserem Glas

renoviert. Aber da sind wir jetzt ziemlich durch“, sagt Reiner Meindl, der 2009 die Glashütte von Stephan Lamberts, dem Letzten aus der Dynastie, übernommen hat. Heute sind es vor allem Künstler und ­Architekten, die mit den lebendigen und ­farbenprächtigen Unikaten arbeiten. Und damit unter anderem U-Bahn-Stationen in Taiwan, die Flughäfen von Hongkong, Chicago und Indianapolis oder die Frauenkirche in Dresden zum Leuchten bringen. So wie auch die Kathedrale von Reims, wo sie als imposante Kunstwerke des deutschen Bildhauers Imi Knoebel links und rechts das Marc-Chagall-Fenster flankie­ren. Handgemacht und mundgeblasen von den Glasmachern aus Waldsassen, die längst am Werk sind, wenn der Rest der Welt noch schläft. 3

Glashütte Lamberts: Schützenstraße 1, 95652 Waldsassen, Tel.: 09632/925 10, www.lamberts.de

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wunder der heimat

Ein Panorama wie eine Postkarte. Von den sogenannten Buckelwiesen oberhalb der kleinen Ortschaft Kr端n hat man einen unfassbaren Blick auf die Berge der Zugspitzgruppe.


Im Schatten der hohen Berge

Über Mittenwald hängt der Himmel voller Geigen, in Wallgau fließt Weißbier ins Brot, in Krün werden Kiesel zu Kunst. Es ist ­paradiesisch schön am Dach Oberbayerns, gerade jetzt im Winter. Text: Achim Schneyder Fotos: Bernhard Huber

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U

Sepp Leuthner (oben), der Seniorchef des Alpengasthofs Gröblalm (links), ist bekannt für seinen ausgezeichneten Schnaps. Vor über 30 Jahren hat er das Brennrecht erworben. Berühmt ist die „Gröblalm“ aber auch für eine süße Sünde der Sonderklasse: für die Windbeutel (unten).

nd? Gut geschlafen?“, fragt Sepp Leuthner, der Hausherr vom Alpengasthof Gröblalm, in dem man ­gleichermaßen tadellos isst wie heimelig wohnt. „Wie ein Stein“, sage ich und schaue durch das Fenster der Gast­stube hinunter ins Tal, wo Mittenwald noch ein paar Stunden im langen Schatten der mächtigen Karwendelgruppe liegen wird. „Jo mei“, sagt der Wirt und blickt ebenfalls in die Ferne, „zu dieser Jahreszeit dauert’s wirklich ewig, bis da unten ein natürliches Licht aufgeht. Und die Säufersonn’, habt ihr die gespürt gestern am Abend?“ Ich schenke ihm einen Blick, der Ratlosigkeit signalisiert. Da lacht der Sepp. „Den Vollmond mein ich …“ Nein, aber die Natur hat sie gespürt, die Säufersonn’. Weil’s sternenklar war in der Nacht und klirrend kalt. Zwanzig Grad minus sollen es gewesen sein, vielleicht auch mehr. Und so glitzert der alte Schnee jetzt frisch in der Morgensonne, als wäre er eben erst gefallen, dabei hat es zuletzt vor einer Woche geschneit. Wir atmen weiße Wolken, hie und da flattert ein Vogel auf, nur von uns in seiner Ruhe gestört. Der Fotograf stapft voraus, es knirscht unter seinem festen Schritt, sonst ist kaum ein Laut zu hören. „Gleich müssten wir da sein“, ruft er. Und tatsächlich blitzt es kurze Zeit später leuchtend gelb hinter den Bäumen hervor, und wir haben unser Ziel erreicht: die Kapelle Maria Rast inmitten der Buckelwiesen oberhalb von Krün. Krün gehört neben Mittenwald und Wall­gau zu den drei Ortschaften der „Alpenwelt Karwendel“­ im oberen Isartal. Einem Hochplateau auf rund 900 Meter Seehöhe mit nicht weniger als zehn kleinen Seen, das man gerne auch als „Dach Oberbayerns“ bezeichnet.

DAS KLEINE GOTTESHAUS AUF DER Buckelwiese

Das Panorama ist schwierig mit Worten zu beschreiben. Postkartenidyll trifft’s wohl am ehesten. Am Horizont wächst die Zugspitzgruppe mit ihrer 2.692 Meter hohen Namensgeberin in den Winterhimmel, und die Kapelle liegt da wie hingegossen. Wer nun glaubt, dieses kleine Gotteshaus hätte eine uralte, sagenumwobene Geschichte, der irrt. Das Gegenteil ist der Fall, doch auch dieses Gegenteil ist durchaus erzählenswert. Ein Krüner Bürger hatte die Idee, gründete mit anderen Krüner Bürgern ein Gremium, rief zu Spenden auf und bat Handwerker verschiedenster Sparten, ein Kirchlein zu planen. Bald war auch die Grundstücksfrage geklärt, nachdem sich ein Besitzer bereit erklärt hatte, Grund und Boden zur Verfügung zu stellen. Und schließlich erfolgte im Sommer 1997 der Spatenstich. Zuvor schon, 1996, hatte man in weiser Voraussicht im Rahmen einer Versteigerung einen Altar erworben, und nach rund 1.800 Arbeitsstunden und unter der Mithilfe ➻

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Die Kapelle Maria Rast bei Krün ist kein historisches Bauwerk. Geweiht wurde sie erst 1998, nachdem sie von rund 100 Freiwilligen in über 1.800 Arbeitsstunden erbaut worden war.

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Ein Wintermärchen auf den Buckelwiesen mit den mächtigen Gipfeln der Karwendelgruppe im Hintergrund. Ab Mai blühen hier Krokusse, Enziane, Orchideen und Lichtnelken.

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von über 100 Freiwilligen wurde die Kapelle am 11. Okto­ ber 1998 zu Ehren der Mutter Gottes geweiht und erhielt den Namen „Maria Rast auf den Buckelwiesen“. Selbst jetzt im Winter zeichnen sich diese Buckel auf den Wiesen unter der dicken Schneedecke ab, diese klei­ nen, nicht einmal kniehohen Hügel, die ein Relikt aus der Steinzeit sind. „Im Mai und im Juni“, hat Sepp Leuthner beim Frühstück erzählt, „stehen diese Wiesen in voller Blu­ menblüte. Krokusse, Enziane, Orchideen, Lichtnelken … Damit das jedes Jahr so ist, dürfen die Wiesen auch nur einmal pro Saison, nach dem 1. August nämlich, gemäht werden. Und auch das ausschließlich von Hand, also nur mit der Sense.“ Kunstmaler AUF URALTEN FASSADEN

Inzwischen hat sich die Sonne ihren Weg über die ge­ waltigen Gipfel auch nach Mittenwald gebahnt. In dieses schmucke, beschauliche Dorf auf 913 Meter Seehöhe, in dem der Himmel sprichwörtlich voller Geigen hängt, nach­ dem der Lauten- und Geigenbauer Matthias Klotz in der Zeit um 1685 den Instrumentenbau im Ort begründet hat­ te und somit mitverantwortlich gewesen war für einen erstaun­lichen Aufschwung der Region. Die war damals auch bekannt für Gewerbe wie die Zinn- und Kerzengieße­ rei, die Seidenstickerei oder die Seifensiederei. Und die geografische Lage am sogenannten Unteren Weg, einem der bedeutendsten Alpenübergänge zwischen den Metro­ polen Augsburg und Venedig, trug ab dem ausgehenden Mittelalter das Ihre zur regen Teilhabe Mittenwalds am transalpinen Fernhandel bei. Noch heute gehen hier 20 Geigenbaumeister in ins­gesamt neun Werkstätten ihrem Handwerk nach. Von der langen Tradition des musikalischen Schaffens in der Wiege des bayerischen Geigenbaus erzählt das 1930 gegründete Spezialmuseum für Geigenbau mit über 200 Exponaten aus allen bedeutenden Mittenwalder Werkstätten. Untergebracht ist das Museum im Hollbeck-Haus, einem der ältesten Gebäude des Marktes. All diese alten Gebäude haben eines gemeinsam, nicht nur hier in Mittenwald, auch in Krün und Wallgau: die kunstvoll gestalteten Fassaden. „Lüftlmalerei“, so heißen diese farbenfrohen, unglaublich gut erhaltenen Fresken, die im 18. Jahrhundert an den Häusern Einzug hielten. Sie erzählen von Auferstehung und Höllenqualen, von Feuersbrunst und Wasserfluten, von Frömmigkeit, Liederlichkeit und nicht zuletzt vom ganz ­beschaulichen Alltag der Gebirgsbewohner. Diese Kunst ist freilich immer noch nicht ausgestorben, wenngleich sich an der Technik etwas geändert hat: Die heute gängigen Farben sind von Haus aus wetterfest. Sei­ nerzeit verkieselten die Malmittel, wie es im Fachjargon heißt, in einer chemischen Reaktion mit dem Putz und machten die Werke auf ewige Zeiten haltbar. DAS EIGENE WASSER FÜR DAS HÖCHSTGELEGENE BIER

„Im Winter ist unsere Gegend ein Paradies für Langläufer, Schneeschuhwanderer, Eisstockschützen, Rodler oder für Menschen, die gerne mit dem Pferdeschlitten fahren. Und nicht zuletzt für Faschingsfreunde, denn wir sind die ­Faschingshochburg des gesamten Werdenfelser Landes. ➻

Oben: Das Geigenbaumuseum in Mittenwald erzählt die Geschichte(n) einer ­uralten Tradition. Rechts: Markus Hirthammer braut das Bier in der h ­ öchstgelegenen Privatbrauerei Deutschlands. Seit 1808 sorgt reines Gebirgswasser, das direkt in die Brauerei fließt, für höchste Qualität.


Für Biertrinker hingegen sind wir das ganze Jahr über ein Paradies“, sagt der Sepp Leuthner, als wir uns zu Mittag auf der Gröblalm mit den berühmten Windbeuteln stär­ ken, die Sohn Martin in der hauseigenen Backstube jeden Tag frisch zubereitet. „Bier weil?“, frage ich. „Weil’s in Mit­ tenwald die höchstgelegene Privatbrauerei Deutschlands gibt, und die produziert seit 1808 Bier. Eines der Geheim­ nisse, warum das Mittenwalder Bier so gut schmeckt, ist das Wasser. Reines Gebirgswasser, das durch eine eigene Leitung direkt in die Brauerei fließt.“ Auch wenn das Bier jetzt nicht unbedingt zu den Wind­ beuteln, dieser Köstlichkeit aus Brandteig, passt, so kosten wir es doch – und verstehen den Sepp. Der verabschiedet sich dann gleich wieder in seine Brennerei. Schnaps stellen sie auch her, die Leuthners, die vor gut 30 Jahren das große Brennrecht erworben haben. Damals waren sie, wie auch mit den längst legendären Windbeuteln, die Ersten in der Region. „Weil Schnaps nicht typisch ist für unser Gebiet. So viel Obst haben wir nicht, damit es sich auszahlen wür­ de.“ So kommen etwa Sepp Leuthners Marillen aus der Wachau in der Nähe von Wien und die Birnen aus Öster­ reichs zweitgrößtem Bundesland, der Steiermark. ZWEI PIONIERE UND WeiSSwurst süSS-sauer

Oben: ein typisches Haus in Mittenwald. Hier wird seit dem 18. Jahrhundert die Lüftlmalerei gepflegt. Unten: Metzgermeister Sepp Mock hat den Karwendelschinken erfunden, und seine Weißwürste zählen zu den besten in ganz Bayern.

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Überhaupt gibt’s hier so einige, die Dinge machen, die sonst keiner macht oder nur wenige machen. Dem Metz­ germeister Mock aus Mittenwald zum Beispiel war es seit jeher ein Dorn im Auge, dass es keinen regionalen Speck gab. Also hat er eines Tages einen „erfunden“, den Karwendelschinken. „Außer meiner Wenigkeit gibt’s in der Gegend sonst kei­ nen Metzger, der Speck macht und auch selber schlachtet“, erzählt Sepp Mock, der stolz sein kann auf seinen Speck, der aus nichts anderem besteht als aus bestem Schweine­ fleisch, Salz, Pfeffer, Wacholder und Lorbeer und der deut­ lich milder ist als andere Sorten. Stolz übrigens deshalb, weil Mock über die Grenzen hinaus Preise einheimst wie früher die beiden Lokalheldinnen Magdalena Neuner aus Wallgau und Martina Beck aus Mittenwald, die im Biath­ lon die Medaillen nur so scheffelten. Wer schließlich Sepp Mocks Weißwürste gekostet hat, von denen er im Schnitt rund 80 Kilo pro Tag herstellt, der schließt sich einer außerhalb Bayerns weit verbreiteten, freilich stets mit einem Augenzwinkern geäußerten Mei­ nung ­sicherlich nicht mehr an: dass man nämlich Weiß­ würste nur deswegen essen würde, damit man den sünd­ haft süßen Weißwurstsenf nicht pur löffeln müsse … Ein Pionier in der Kunst der Herstellung feinsten Mar­ zipans wiederum ist Konditor Christoph Veit. Er machte sich 1994 selbständig, schuf anfangs auch Pralinen, schließ­lich aber konzentrierte er sich in der sehr überschaubaren Marzipanmanufaktur im Keller seines Hauses ausschließ­ lich auf die Produktion der lukullischen Lustbarkeit aus blanchierten Mandeln und Zucker. „Weil es mich geärgert hat, dass nahezu nur noch lieb­ lose Massenware produziert wurde“, sagt der Mann, der rund sechs Tonnen der Rohmasse pro Jahr verarbeitet und selbst „mindestens einmal pro Tag Marzipan essen muss, weil’s mir auch nach Jahren des engsten Kontakts ➻


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Im Winter dauert’s ewig, bis drunten in Mittenwald die sonne aufgeht.

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Der KĂźnstler Josef Karner aus KrĂźn ist immer wieder an der Isar anzutreffen. Hier sammelt der Naturmensch Kiesel und Treibgut, das er zu viel bestaunten Objekten verarbeitet.

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immer noch schmeckt. Ich kann einfach nicht anders.“ An­ sehen tut man es ihm übrigens nicht. Die Rohmasse gießt der gertenschlanke Christoph Veit in selbst produzierte Formen aus lebensmittelechtem Sili­ kon. So gibt es beispielsweise Äpfel, Birnen und Bananen aus Marzipan sowie Essiggurken, Käse und Radieschen und nicht zuletzt Laugenbrezen und Weißwürste. Wenn man heute etwa beim namhaften Dallmayr in München Osterhasen aus Marzipan ersteht, dann sind die vermutlich vom Veit aus Mittenwald. KUNST AUS DER ISAR UND ALPINES DESIGN

Und wieder geht’s nach Krün. Weit oberhalb der Straße leuchtet gelb die kleine Kapelle, und unten an der träge dahinfließenden Isar erwartet uns Josef Karner. Er war früher Bergführer, Installateur, Masseur und Physiothera­ peut und hat sich heute in erster Linie den Isarkieseln – klitzekleinen Steinchen, aber auch stattlichen Brocken – verschrieben. Aus diesen fertigt er Kunst. Dass Schmuck dazuzählt, liegt auf der Hand. Besondere Freude aber hat der hingebungsvolle Naturmensch mit seiner Linie „Wohn­ design mit Stein“. „Mein Antrieb ist es, möglichst ungewöhnliche Deko­ rationsstücke verschiedenster Größe für Haus und Garten zu erschaffen. Aus Steinen, zum Teil auch aus ange­ schwemmten Ästen oder Wurzeln“, erzählt Josef Karner und führt uns nach dem Ausflug an die Isar, durch die er stets mit ausgetretenen, längst nicht mehr wasserdichten ­Bergschuhen watet, in seinen Schauraum. „Ich passe mich dem Stein an“, sagt er, „nicht den Stein meiner Kunst. Soll ­heißen, dass die Kiesel ihre ursprüngliche Form fast immer behalten.“ Wenn wir schon bei eigenwilligen Kreationen sind, darf das Alpendesign des Bernhard Rieger nicht fehlen. Er hat sein Atelier direkt neben dem Gasthof Block’s Post in Krün. Von außen handelt es sich um eine Gastwirtschaft wie viele in dieser Gegend, das Gemäuer mit seiner 500-jährigen ­Geschichte ist jedoch ein sehr altes. Hinter den Kulissen ­allerdings verschmelzen an der Bar und in den drei Stuben Tradition und Moderne zu einem appetitanregenden Gan­ zen, das diesen Hort des guten Geschmacks längst weit über die Region hinaus bekannt gemacht hat. Aber zurück zum Alpendesigner. „Es ist keine Kunst, kreativ zu sein. Aber eine Herausforderung, die Begabung voraussetzt“, sagt der Gründer des Labels „alpenterieur“, der sich auf Raumgestaltung spezialisiert und damit inzwi­ schen einen guten Namen gemacht hat. „Mir geht es um richtige Rauminszenierungen. Von den Möbeln angefan­ gen bis hin zur Kunst, die an der Wand hängt und ebenfalls von mir ist. Designorientiertes Wohnen in einem alpen­ ländischen Stil, dem habe ich mich verschrieben.“ Betrachtet man Fotos seines oft großflächigen Wirkens, ist man geneigt zu gratulieren, dass sich Bernhard Rieger aus Gründen des Zweifels am pädagogischen System und den Studienkriterien nicht dem Innenarchitekturstudium ausgesetzt hat, sondern als Autodidakt agiert. Auf Anraten unseres Wirtes Sepp Leuthner machen wir schließlich noch einen Abstecher nach Wallgau. Dort bewundern wir die Lüftlmalerei an der Fassade des ➻

Christoph Veit (rechts) gießt in seiner kleinen Manufaktur edelstes Marzipan in die ­unterschiedlichsten Formen: in ein bayerisches ­Weißwurstfrühstück zum ­Beispiel (oben). Unten: Bernhard Rieger schafft den Spagat zwischen Tradition und Moderne. Er sorgt für Wohnraumgestaltung mit ganz besonderem Flair.

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Unterwegs mit Gastwirt Sepp Leuthner am Karwendel

Wie ein Fest droben auf dem Dach Das obere Isartal zwischen Wallgau, Krün und Mittenwald

Die drei Ortschaften Wallgau, Krün und Mittenwald bilden das Zentrum der Alpenwelt Karwendel im oberen Isartal. Diese Region, die im Winter vor al­ lem deshalb begeistert, weil man hier großen Wert auf Ruhe, Natur und die Pflege von Brauchtum legt, wird auch das „oberbayerische Dach“ genannt. Der staatlich anerkannte Luftkurort Mittenwald, der den Tiroler Nachbarn am nächsten liegt, ist der größte der drei Orte. Er liegt direkt am Fuße des Karwendels und gilt als Wiege des Geigenbaus in Bayern. Krün in der Mitte wiederum hat den Ruf als bay­erisches „Musterdorf“, während Wallgau nicht z­ uletzt mit dem Hotel Post punktet, dessen Fassade eine der wohl eindrucksvollsten Lüftlmalereien d ­ ieser Region ziert. Die Distanz zwischen Mittenwald und Wallgau b ­ eträgt nur etwas mehr als zehn Kilometer. 1. Drei Jahrhunderte Geigenbau Seit Geigenmacher Matthias Klotz um 1685 sein Handwerk in Mittenwald begründet hat, prägt der Instrumentenbau das Bild des Ortes. In über drei Jahrhunderten und seit mehr als zehn Generationen wurden hier rund 600 Geigen-, Gitarren-, Zitherund Bogenmacher bekannt. Ihrem Handwerk auf den Grund gehen kann man im 1930 eröffneten, eindrucksvollen Geigenbaumuseum. Geigenbaumuseum Mittenwald, Ballenhausgasse 3, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/25 11, www.geigenbaumuseum-mittenwald.de

3. Wiege des Karwendelschinkens Dass Metzgereien auch selbst schlachten, ist nur selten der Fall. Sepp Mock allerdings tut das. Der Fleischer aus Mittenwald, der ausschließlich Tiere aus der nächsten Umgebung kauft, ist vor allem für seinen hauseigenen Rohschinken, den von ihm ­„erfundenen“ Karwendelschinken, bekannt. Ein ­Gedicht ist auch die naturgereifte Salami, und eine ­regelrechte Sensation sind seine Weißwürste. Metzgerei Mock, Untermarkt 50, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/14 91, www.metzgerei-mock.de 4. Süße Verlockung aus den Bergen Christoph Veit, ein gelernter Konditor, hat sich e­ ines Tages rein auf Marzipan verlegt. Und so verarbeitet er heute in seinem Keller bis zu 60 Tonnen Lübecker

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Marzipan, das er in von ihm produzierte Formen aus lebensmittelechtem Silikon gießt oder als Ein­ zelstücke mit der Hand modelliert. „Bemalt“ werden alle Produkte mit der Hand. Marzipan als Kunst­ werk quasi, ob eine süße bayerische Brotzeit oder ein Nikolo. Marzipanmanufaktur, Dammkarstraße 9a, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/50 24, www.marzipano.de 5. Ganz neue Steinzeit Josef Karner hat viele Berufe ausgeübt in seinem Leben. Derzeit ist er in erster Linie Künstler und als solcher der Natur auf der Spur. Seine Materialien sind Kiesel aus der Isar, kleine Steine wie auch gro­ ße Brocken, sowie angeschwemmte Hölzer. Josef Karner macht Schmuck, sein Steckenpferd aber ist die Linie „Wohndesign mit Stein“. Dabei handelt es sich um Dekorationsstücke, wobei der Künstler größten Wert darauf legt, „dass ich mich dem

Stein anpasse und nicht den Stein meiner Kunst unterordne“. Josef Karner, Finzbachstraße 1, 82494 Krün, Tel.: 08825/562 6. Moderne trifft Tradition Ein Ausbund an Kreativität ist Bernhard Rieger, Gründer der Firma „alpenterieur“. Er hat sich der Wohnhauseinrichtung verschrieben und kombiniert Tradition und Moderne auf ungeahnt spannende Weise, wobei er ausschließlich echte und hoch­ wertige Materialien verschiedenster Art verwendet, im Großen wie im Kleinen. Ware von der Stange gibt es bei ihm nicht, nur Unikate. Unter dem Motto „Edelstahl trifft Edelweiß“ entstehen zusätzlich provokante Accessoires zwischen Après-Ski und Wiesn-Gaudi. „alpenterieur“ Bernhard Rieger, Walchenseestraße 6, 82494 Krün, Tel.: 08825/921 70 30, www.alpenterieur.com

illustration: andreas posselt

2. Bier von sehr weit oben Die Mittenwalder Privatbrauerei, gegründet 1808, ist die höchstgelegene in ganz Deutschland. Dass streng nach dem bayerischen Reinheitsgebot ge­ braut wird, liegt auf der Hand. Dass allerdings das reine Quellwasser aus den Bergen durch eine eige­ ne Leitung direkt in die Brauerei fließt, wissen nur Eingeweihte. Mittenwalder Privatbrauerei, Innsbrucker Straße 13, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/10 07, www.brauerei-mittenwald.de


7. Guten Appetit in Krün In einem 500 Jahre alten Haus direkt an der Straße ist der Gasthof Block’s Post untergebracht. Vor ein paar Jahren wurde innen komplett renoviert, wo­bei Charme und Form des Alten bewahrt und die einstigen Mauern wieder sichtbar gemacht wurden. Kombiniert wurde das Innenleben mit modernen Elementen, und so speist man hier nicht nur ganz vorzüglich, sondern auch in einem sehr interessanten Ambiente. Block’s Post, Walchenseestraße 4, 82494 Krün, Tel.: 08825/321, www.gasthof-blocks-post-kruen.de 8. Ein Haus als Gemälde Ebenfalls sehr alt – erbaut im Jahre 1621 – ist das herrschaftliche Gebäude in Wallgau, in dem sich das Hotel Post samt angeschlossenem Gasthaus befindet. Der Besuch lohnt sich aber nicht nur wegen der anständigen Küche, sondern allein schon wegen der Fassade. Die hier zu bestaunende Lüftlmalerei ist einmalig schön. Hotel Post, Dorfplatz 6, 82499 Wallgau, Tel.: 08825/91 90, www.posthotel-wallgau.de 9. Der Holzschnitzer und sein Werk Gert Bayer ist Holzschnitzer im Stadtteil Gries in Mittenwald und trotz seiner über 70 Jahre nicht ­arbeitsmüde. Klerikale Exponate sind seine Spe­­zia­lität, wobei diese durchaus auch riesig sein ­können. Das Werk „Das letzte Abendmahl“ misst 4 × 1,2 × 0,6 Meter. Gert Bayer, Im Gries 34, 82481 Mittenwald, Tel.: 08825/13 65 10. Schmuck aus Silber, Handarbeit Im ältesten Haus von Mittenwald hat sich Bernhard Adam mit seiner Silberschmiede eingerichtet und fertigt Schmuck und Besteck, mitunter auch Gürtelschnallen oder Teekessel. Wobei hier kein einziges Stück gegossen wird, sondern jedes Exponat in reiner Handarbeit gefertigt wird. „Meine Kunst ist es, das Handwerk wirklich so zu betreiben, wie es vor ewigen Zeiten betrieben wurde.“ Silberschmiede Adam, Im Gries 63, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/83 98, www.adam-silberschmiede.de 11. Alles unter einem Dach Der Alpengasthof Gröblalm bietet nicht nur einen wunderbaren Blick auf Mittenwald, er verwöhnt seine Gäste auch sonst nach allen Regeln der Kunst. Die Küche ist vorzüglich, wobei Juniorchef Martin Leuthner, ein gelernter Konditor, für seine Wind­ beutel bekannt ist und Vater Sepp für den selbst ­gebrannten Schnaps. Die Zimmer sind geschmackvoll eingerichtet und geräumig. Hier oben auf der Anhöhe kann man es sich jedenfalls so richtig gemütlich machen. Alpengasthof Gröblalm, Gröblalm 1–3, 82481 Mittenwald, Tel.: 08823/91 10, www.groeblalm.de

Gert Bayer ist eine ­Institution in Mittenwald. Bereits jenseits der 70, wird er des Schnitzens nicht müde. Seine Spezialität sind klerikale Exponate.

Hotels Post und besuchen unangemeldet den gelernten Friseur Jakob Neubauer. Der hat längst das Metier ge­ wechselt, er stellt inzwischen Kachelöfen her und hat im Garten einen selbst gebauten Backofen stehen, in dem er Brot bäckt. Und dieser Tag ist heute. „Wenn ihr Glück habt“, hat der Sepp gesagt, „dann hat er noch ein Weiß­ bierbrot.“ Wir haben Glück. Gegen eine Spende in die Mehlkasse dürfen wir ­einen Wecken abstauben. Ein halber Liter Weißbier ist übrigens drin im 1,5-Kilo-Wecken. Der emsige Schnitzer und der STURE SILBERSCHMIED

Der nächste Tag. In der Früh erwartet uns der Holzschnit­ zer Gert Bayer in seiner klitzekleinen Werkstatt in Gries, dem ältesten Ortsteil Mittenwalds. Über 70 ist der Künstler bereits, aber er wird des Schnitzens nicht müde. „Solange Aufträge da sind, kann und will ich nicht aufhören“, er­ zählt der rüstige Herr und sitzt an seiner Werkbank in­ mitten von hauptsächlich klerikalen Exponaten. „Und wenn Aufträge für große Werke kommen? Wo ­machen Sie die?“ „Einfach draußen vor der Tür. Bei Wind und Wetter.“ So zum Beispiel das 4 × 1,2 × 0,6 Meter große „Letzte Abendmahl“ für eine Kirche in Finnland. Gegenüber vom Schnitzer ist im ältesten Haus von Gries, angeblich aus dem Jahre 1300 und mit beängsti­ gend niedrigen Räumen, ebenfalls sehr altes Handwerk zu Hause: die Silberschmiede. „Wir sind stur beim Alten ge­ blieben“, sagt Bernhard Adam, der in dritter Generation Schmuck herstellt, aber auch Gegenstände des Alltags wie Besteck oder Teekessel. „Was heißt ,stur beim Alten‘?“ „Dass das Silber bei uns nicht gegossen wird. Alles Handarbeit, jedes Stück ein Unikat.“ Ich schaue mich neugierig um in den Vitrinen in diesem kleinen Raum mit einer Deckenhöhe von nur zwei Metern, in dem auch ein Teil der Werkstatt untergebracht ist, und weiß in der Sekunde eines: Es wäre fast schon ein Vergehen, die Heimreise ohne ein silbernes Präsent anzutreten. So schwer es einem fällt. Das Heimreisen nämlich, nicht das Etwas-Mitbringen vom „oberbayerischen Dach“ … 3

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