Servus in Stadt & Land Deutschland 08/2014

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Die sagenhafte Helene

Eine süße Verführung

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E i nfac h

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Gut .

Leben

Basteln mit Kindern Lustige Schlüsselanhänger

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August 08/2014

D/FL 3,90 EUR CH 7,00 sfr I/E 4,50 EUR

kräuter der lIEBE Bräuche rund um Kinderwunsch und Geburt

Der Duft des

Sommers bunte blumengrüsse von der wiese

Handwebkunst aus Lübeck

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Priem aus Witzenhausen

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Verwunschenes Stiftland

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Inhalt 2014 August

Küche

10 Sommer in den Bergen

54 Stachelig gut

26 Die Magie der Fantasie

58 Leise knistert die Glut

Wo die Luft frisch gewaschen und das Wasser glasklar ist, kehren wir gern in die Hütten ein.

Hansjürg Lippuner lässt in seinem Garten auch Gedanken blühen.

36 Fruchtbarer Lebensraum

Wie man mit Permakultur am besten zu reicher Ernte kommt.

44 Königin für eine Nacht

In der Dämmerung öffnet die Nachtkerze ihre Blüten und duftet süß.

122 Meister Hamsterbacke

Während wir den Sommer in vollen Zügen genießen, denkt das kleine Nagetier bereits an den Winter.

4 Servus

Mit ihrer Mischung aus Süße und Säure sind Stachelbeeren etwas für den raffinierten Geschmack.

Saftiges Fleisch, frisches Gemüse – delikate Rezepte für das sommerliche Grillfest.

66 Mit Sepp und Saibling

Die Geheimnisse der Fischerei Kramerfeicht am Starnberger See.

72 Die Schöne und die Birne

Wie die „Birne Helene“ entstand und wie sie am besten gelingt.

74 Ein Schöpfer Kühlung

Herrlich kühl und fruchtig-frisch: So gut schmecken kalte Suppen.

Wohnen 24 Eine kleine Flaschenmusik So wird aus leeren Flaschen ein ­klingendes Glockenspiel.

82 Im Kunstwerk von Isny

In reizvoller Alleinlage überrascht im Allgäu ein sanierter Bauernhof mit pfiffigen Details und nicht alltäglichen Bewohnern.

88 Freischwinger

Aus einem alten Stuhl wird mit ein paar Handgriffen eine bequeme Baumschaukel.

90 Schönes Zuhause

Dekotipps für den August.

92 Basteln mit Kindern

Wie aus einem Stück Seil ein fescher Schlüsselanhänger wird.

zusatzfotos cover: eisenhut & mayer, katharina gossow

Natur & Garten

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Standards

fotos inhalt: eisenhut & mayer, katharina gossow, mirco taliercio, georg tedeschi, marco rossi, getty images, shotshop, juniors bildarchiv

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Land & Leute 102 Lübecker Lieblinge

In Lübeck fertigt Ruth Löbe Decken, Kissen und Teppiche von Hand. Wer sich einmal in diese Meisterwerke verliebt hat, gibt sie nie wieder her.

118 Würziger Priem

Es duftet nach Orangen, Nelken, Rosinen und Lakritze. Im nord­ hessischen Witzenhausen wird noch Kautabak am laufenden Meter gesponnen, nach dem Rezept von Opa Otto.

126 Grenzerfahrung

Das Oberpfälzer Stiftland war bis vor 25 Jahren der vergessenste Winkel Deutschlands. Die prachtvolle Kultur­ landschaft rückt erst langsam wieder ins Blickfeld. Schließlich liegt hier ja der Mittelpunkt Europas.

Brauchtum 18 Strauß für Strauß

Das Blumenpflücken ist ein Vergnügen, in dem man sich ganz und gar verlieren kann.

40 Der Weg ins Leben

Rituale, Zaubersprüche und Kräuter der Fruchtbarkeit begleiten seit jeher Kinderwunsch und Geburt, im Märchen wie im echten Leben.

106 Krönung in Markgröningen

Beim traditionellen Schäferlauf muss man schneller als ein fliehendes Schaf sein, um die neue Königin und der neue König zu werden.

142 Leben in alten Zeiten

3 Vorwort 6 Briefkasten, Ortsnamen 8 Servus im August 16 Der Garten-Philosoph 32 Schönes für draußen 34 Die Botschaften der Bäume 48 Unser Garten, Mondkalender 52 Natur-Apotheke: Echtes Mädesüß 70 Omas Kochbuch:

Badische Schneeballen

80 Schönes für die Küche 94 Schönes für drinnen 114 Michael Köhlmeier:

Die Pest in Bichl

136 Eine Kurzgeschichte von Bernhard Aichner 140 ServusTV: Sehenswertes im August 146 Impressum, Ausblick Titelfoto: Marco Rossi

Das Leinen der Alb-Weber von der Schwäbischen Alb war einst berühmt.

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basteln mit Kindern

Eine kleine Flaschenmusik Auf ihrem gläsernen Glockenspiel geben uns die Kinder im Schatten der Bäume ein klingendes Gartenkonzert. Redaktion: Alice Fernau, Ines Hofbaur  Fotos: Katharina Gossow

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chon in leerem Zustand geben die ver­ schiedenartigen Flaschen interessante Töne von sich, wenn ihr Klangkörper durch zartes Klopfen in Schwingung gebracht wird. Eher tief und dumpf die bauchige Nusslikörflasche, hell und zart die dick­ glasigen Bierflaschen, fast schon schrill die lang und schmal geformten Saftflaschen, trocken und klappernd die kleine, eckige

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Schnapsflasche im Bunde. Durch das Ein­ füllen von Wasser können die Grundtöne verändert werden – je mehr Flüssigkeit, ­desto tiefer der Ton. Eine vollständige Tonleiter zusammenzubekommen ist ein kleines Geduldsspiel und schult das Gehör. Denn schon eine geringe Änderung des Füllstandes kann sich auf den Klang der jeweiligen Flasche auswirken.

Am besten gelingt das Stimmen, wenn man dazu ein einfaches Kinderlied wie „Alle meine Entchen“ oder „Hänschen klein“ singt – beides Melodien, die jeweils nur Töne aus einer einzigen Dur-Tonleiter enthalten. 3 Servus-Tipp: Mehr Bastelanleitungen gibt’s in der aktuellen Ausgabe von Servus Kinder: www.servuskinder.com


Die Musik ist für Gefühl und Gemüt! Sie ist Melodie Und Harmonie, Zu einer himmlischen Schönheit erblüht. Johann Meyer (1829–1904), deutscher Heimatdichter

Das braucht man: Glasflaschen, Wasser, einen wasserfesten Stift oder Klebeband zum Markieren des Füllstandes, Strick, Schere, Gießkanne, Äste und Holzperlen als Schlägel 2

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kleine Bastelanleitung 1. Bevor wir das Glockenspiel aufhängen, wird es gestimmt. Dazu stellen wir alle Flaschen in einer Reihe auf, füllen sie halb mit Wasser und passen dann durch Abgießen oder Auffüllen von Was­ ser die gewünschte Tonhöhe an. 2. Variieren die Flaschen in Größe und Form, kann auch ihr Platz in der Tonleiter ausgetauscht wer­ den. Als einfacher Schlägel dient uns ein Ast­ stück, auf das wir eine Holzperle gesteckt haben.

3. I st ein Ton gefunden, markieren wir die Füllhöhe des Wassers mit einem Stück Klebestreifen und vermerken darauf die jeweilige Note der Ton­ leiter mit wasserfestem Stift. Die Flaschen wer­ den nun verschlossen, damit das Wasser nicht verdampft oder sich durch Regen vermehrt. 4. Dann machen wir mit je einem Stück Strick einen Schlingknoten um die Flaschenhälse und ziehen ihn fest zu.

5. J etzt können die einzelnen Flaschen in der Rei­ henfolge der Tonleiter mit ihren Schnüren an ­einen querstehenden Ast gehängt werden. Da­ mit die Flaschen beim Spielen nicht aneinanderschlagen, dabei auf genügend Abstand achten.

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fast vergessene rezepte

Aus Omas Kochbuch 9

Badische Schneeballen

Ernst Bäumle aus Eichen hat sie schon als Kind geliebt, die schneeweißen Schaumberge in einem goldgelben See aus Vanillesoße. Ein Dessert, das nach Festtag schmeckt – auch wenn man schon ein großes Kind ist. Redaktion: Heidi Knoblich  Foto: eisenhut & Mayer

Für Ernst Bäumle und seine drei Schwestern war die Komposition aus Eischnee und Vanillesoße schon immer etwas Besonderes: „Meine Mutter hat sie im Sommer am Sonntagmorgen zubereitet.“ Damals stand der kleine Ernst am weiß gestrichenen Küchentisch und schaute zu, wie seine Mutter den Nachtisch fürs Mittagessen vorbereitete. „Ich konnte den Moment kaum erwarten, in dem meine Mutter endlich mit der gefüllten Schöpfkelle den Pegel des Vanille-Sees entlang des Tellerrandes steigen ließ und die letzten Tropfen über die weißen Schaumberge träufelte.“ Dann hieß es warten, denn Mutter stellte ihre Badischen Schneeballen erst einmal kühl. „Mittags war es endlich so weit. Wir aßen unser ersehntes Dessert, das wunderbar erfrischte.“

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Für Ernst Bäumles Mutter war die Zubereitung einfach und preiswert. Der elterliche Bauernhof auf dem von Streuobstwiesen umgebenen Dinkelberg mit seinen Kühen und Hühnern lieferte täglich frisch und reichlich Eier und Milch. Da brauchte es nur noch Zucker, eine Prise Salz und Vanillepuddingpulver. Heute, Jahrzehnte später, sagt Ernst Bäumle: „Man kann auch bei der Herstellung nicht viel falsch machen.“ Stolz erzählt er, wie dieses Dessert bisher alle seine Gäste zum Staunen gebracht hat. „Es ist ein ­herrliches Geschmackserlebnis.“ Die seidig glänzenden Schneeballen sind wegen ihrer Leichtigkeit auch bei seinen Kindern begehrt. „Man kann sie mit der Zunge zerdrücken“, sagt Ernst Bäumle. Früher gab es eine Menge Variationen, je nach Landstrich schwamm das Dessert schon mal auf einer selbst gemachten Crème anglaise, einer ­Karamell- oder Weinschaumsoße. Oft wurde es kunstvoll mit gesponnenen Karamellfäden überzogen oder mit gehackten Pistazien bestreut.

Es gibt den Verdacht, dass die Badischen Schneeballen ursprünglich tatsächlich aus Frankreich eingewandert sind, wo Ernst Bäumle sie wiederentdeckt hat. Kaiser Napoleon hatte ja seine Adoptivtochter Stéphanie mit Erbprinz Karl von Baden verheiratet (1806). An festlichen Tafeln erzählte man sich gerne, dass die kaiserliche Braut das beliebte Rezept aus Paris mitgebracht habe. Sicher ist, dass sie auch in erlauchten Kreisen hochgeschätzt waren, die schnee­ weißen Schaumberge in der goldgelben Soße. 3

zusatzfoto: privat

Vielleicht war es nichts als Zufall. Ernst Bäumle saß in ­einem Restaurant im Elsass, da entdeckte er etwas, was er fast schon vergessen hatte: einen Nachtisch aus seinen ­Kindertagen. Auf der Speisekarte stand dieses Dessert als Îles flottantes, „Schwimmende Inseln“. Zu Hause hatten es einst alle Badische Schneeballen genannt. Ernst Bäumle war erstens entzückt, den Nachtisch wiederentdeckt zu haben, und zweitens ein bisschen irritiert. Wie konnte dieses Rezept überhaupt in Vergessenheit geraten? Er erzählte die köstliche Begegnung seiner Mutter, die sich d ­ arüber freute, dass ihr Sohn noch immer von den Badischen Schneeballen so begeistert war, die sie vor langer Zeit so oft aufgetischt hatte. Diesmal notierte er sich das Rezept, auf dass es nicht verloren gehen kann.


Ernst Bäumle, 54, aus Eichen, Landkreis Lörrach, hat uns dieses Rezept seiner Mutter geschickt.

Zutaten für 6 Personen Eiweiß von 8 Eiern 1,2 l Milch 3 EL Zucker 1 Prise Salz 1 Päckchen Vanillepuddingpulver

Zubereitung Eiweiß in einer fettfreien Schüssel mit dem Mixer zu einem festen Schnee schlagen. Dabei 1 EL Zucker und Salz einrieseln lassen. Milch in einem Topf erhitzen, aber auf keinen Fall aufkochen! 1 EL Zucker zugeben. Eischnee mit einem großen Löffel auf die heiße Milch häufeln. 3 Minuten zugedeckt ziehen lassen, sodass Schneeballen entstehen. Mit einem Schaumlöffel herausnehmen, in eine Schüssel geben. Vorgang wiederholen, bis der Eischnee aufgebraucht ist. Aus der restlichen Milch, dem Puddingpulver und 1 EL Zucker eine Vanillesoße herstellen. 10 Minuten abkühlen lassen und umrühren, damit sich keine Haut bildet. Gibt man etwas Eigelb in die leicht abgekühlte Soße, wird sie noch gelber. Vanillesoße in tiefe Teller gießen und die Schneeballen draufsetzen. Etwas von der Soße vor­sichtig über die Schneeballen gießen. In den Kühlschrank stellen, kalt servieren.

Wenn auch Sie ein fast vergessenes Rezept kennen, schicken Sie uns einfach eine Mail an: redaktion@servusmagazin.de

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Handwerk

Lübecker Lieblinge

Wer sich einmal in eine der handgefertigten Decken, Kissen und Teppiche aus der Lübecker Burgtorweberei von Ruth Löbe verliebt hat, wird das Meisterwerk nie wieder hergeben wollen. Text: Birte Kaiser Fotos: Georg Tedeschi

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enn Gebäude sprechen könnten, dann hätte das Lübecker Stadttor abend­ füllende Geschichten zu erzählen. Zum Bei­ spiel wie es im Mittelalter, im Jahre 1444, aus schweren Steinen und mächtigen Holz­ balken erbaut wurde. Wie es dann als Pfer­ destall, Gefängnis und Zollhaus diente und den wohlhabenden Lübeckern Schutz vor Angreifern bieten sollte. Doch es könnte auch von ganz anderen Erlebnissen berichten. Von der Schriftstel­ lerin Ida Boy-Ed zum Beispiel, die in seinen meterdicken Mauern lebenslanges Wohn­ recht hatte. Hier empfing sie Künstler, den Schriftsteller Thomas Mann, die Dirigenten Wilhelm Furtwängler und Hermann Abend­ roth. Später zog die Handweb- und Sticker­ meisterin Alen Müller-Hellwig im Burgtor ein, die noch heute als Grande Dame der Kunstweberinnen ihrer Zeit gilt.

Weben, weben und authentisch leben

Ob sie es war, die die Tradition der roten Geranien in den Burgfenstern ins Leben gerufen hat, da ist sich die heutige Bewoh­ nerin, Ruth Löbe, nicht ganz sicher. Als sie 1988 ihre Lehre in der berühmten Werkstatt begann, waren die Blumentöpfe auf der Fens­ terbank aber bereits ein Muss. Ein Brauch, den die Wahl-Lübeckerin als Hommage an ihre Meisterin weiterführt, seit sie „die neue Weberin“ vom Burgtor wurde. „Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier nicht einfach nur in einem alten Gebäude arbeite und wohne“, erzählt Ruth Löbe, „die Vergangenheit dringt ja aus jeder Mauerritze. Das ist einerseits ein Geschenk, andererseits muss man sich bemühen, nicht nur das Werk seiner Vorgängerin weiterzuführen, sondern eigene Wege zu gehen.“ Eine Aufgabe, die der heute 55-Jährigen formvollendet geglückt ist. Neben der selten gewordenen Bildweberei am Hochwebstuhl, bei der sie vor allem farbenfrohe, oft kind­ liche Motive in Boden- und Wandteppiche einarbeitet oder zu kunstvollen Kissen ver­ ziert, produziert Ruth Löbe auch wunder­ schöne Schurwolldecken. Jedes Stück ein Unikat. Die Arbeit beginnt jedoch nicht erst am Webstuhl, sondern auf einem Bürostuhl an einem Schreibtisch – und zwar mit dem Patronieren des Musters. Das geplante Dessin wird dabei auf ­Millimeterpapier, das sogenannte ➻

Oben: zählen, treten, anschlagen. Harmonisch, gleichmäßig ist der Rhythmus, dem Ruth Löbe am Flachwebstuhl folgt. Sie fertigt u. a. Teppiche (Bild linke Seite) und Decken. Ist so eine Decke fertig gewebt, wird sie „verputzt“, die Fransen werden ­geflochten (kleines Bild oben) und verknotet. Bilder rechts: Die bunten Schussfäden, die das Muster ergeben, werden auf Spulen gewickelt und ins „Schiffchen“ gesetzt.


In historischem Gemäuer: Ruth Löbe wickelt Wollfäden auf einen Schärrahmen. An der Wand rechts ihr Hochwebstuhl, da entsteht ein farbenfroher Teppich.

­ atronenpapier, übertragen. Die Vorlage P dient auch zur Berechnung der Wollmenge sowie der Länge und Anzahl der benötigten Kettfäden. Um diese für den Webstuhl vorzubereiten, verwendet die Künstlerin einen Schärrahmen, ein mannshohes, drehbares Holzgestell, auf das die Kettfäden in der gewünschten Länge gewickelt werden. Je nach Farbfolge erfolgt das Wickeln nach einer speziellen Ordnung, springt ein Faden dabei an die falsche Stelle, hat die Weberin ein „Pferdchen“ gemacht, das im späteren Werkstück eine Lücke hinterlassen würde – oder aufwendig ausgebessert werden muss. Butterbrote unterm Webstuhl

Handweben ist eine langwierige Tätigkeit, für deren Vorbereitung auch unter dem Webstuhl gearbeitet werden muss. „In der Ausbildung haben wir manchmal unser ­Butterbrot mitgenommen und heimlich hier gegessen“, erinnert sich Ruth Löbe. Keine gute Idee, wie sich herausstellte, bei einer Chefin, die ein hartes Regiment führte, kein Fehlverhalten durchgehen ließ.

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Ein schönes Gefühl. Diese decke hat keine Maschine gemacht, sondern Ruth Löbe im Burgtor.

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In einem der Arbeitszimmer hängt noch immer ein großes Schwarzweißporträt von Alen Müller-Hellwig – eine gut aussehende, elegante Dame von knapp 90 Jahren, mit wachen Augen, die zeitlebens ausschließlich Kostüme aus handgewebten Stoffen trug. „Nachdem ich ihre Werkstatt übernommen hatte, hab ich sie regelmäßig besucht, ihr Probearbeiten mitgebracht und von ­meiner Arbeit erzählt“, sagt Ruth Löbe. Es war schließlich ihr Lebenswerk, das die damalige Meisterin an die Jüngere abge­ geben hatte. „Sie sollte wissen, dass es in

guten Händen ist und in ihrem Sinne weitergeführt wird.“ Die Flachweberei, mit der die Decken gefertigt werden, hat Ruth Löbe allerdings später auf eigenen Wunsch eingeführt. Die studierte Textildesignerin mag den fließenden Rhythmus, der sich bei dieser Webart einstellt. „Es hat etwas Melodisches, fast als würde ich einer Komposition folgen“, erzählt sie. „Ich zähle, trete, schlage an, zähle, trete, schlage an …“ Tatsächlich denkt man an eine Orga­ nistin, wenn man die zierliche Frau mit den kurzen dunklen Haaren vor dem großen Holzgestell sitzen sieht, wie sie den Oberkörper gleichmäßig hin und her wiegt und mit den Füßen die Pedale betätigt. Ist alles im Takt, gleitet auch das Schiffchen mühelos und ohne zu stocken durch die Kettfäden. Der Schussfaden, der auf einer Spule im Inneren des Schiffchens sitzt, muss zuvor gewickelt werden. Die Wolle in den Farben, aus denen das Muster entstehen soll, wird zuerst auf eine Garnwinde gelegt und dann


mittels einer kleinen Maschine aufgespult – nicht zu locker, nicht zu fest. „Im ersten Lehrjahr mussten Lehrlinge oft nichts anderes tun, als das Spulen zu üben“, erinnert sich die Weberin und fügt hinzu, dass sie sich auch heute nur dann ans Spulen macht, wenn sie bei guter Laune ist. „Stehe ich unter Zeitdruck oder bin angespannt, wickle ich – ohne es zu merken – ungleichmäßig. Das spüre ich dann später daran, dass der Schussfaden ständig hakt.“ Wenn SchieSSscharten pfeifen

Grundsätzlich ist das Weben ein langsames Handwerk, sagt sie, eines, das so gar nicht in eine Zeit passen mag, in der alles in Sekundenschnelle geht, in der Dinge nicht mehr mit den Händen spürbar, sondern nur noch digital vorhanden sind. Manchmal schafft die Weberin nur wenige Zentimeter pro Tag. Größere Auftragsarbeiten können schon mal bis zu einem Jahr dauern, und bei den Schurwolldecken ist nicht immer jedes Stück in jeder Ausfertigung vorhanden. Wenn die Arbeit am Webstuhl beendet ist, beginnt der letzte Arbeitsgang, das „Verputzen“. Je nach Decke (die Preise beginnen bei 245 Euro) wird der Rand von Hand umnäht und eingefasst, mögliche Webfehler werden korrigiert, lose Fäden entfernt und schließlich die Fransen geflochten und verknotet. Eine Arbeit, die Ruth Löbe oft wie Erholung erscheint. „Wenn ich viele Stunden gewebt habe, freue ich mich, mal ganz andere Tätigkeiten machen zu können.“ Der Wunsch nach Abwechslung ist auch einer der Gründe, warum sie nicht ausschließlich zu Hause arbeitet, sondern ihre Stücke auf Ausstellungen präsentiert, Webkurse anbietet und nebenher mit befreundeten Künstlern eine Galerie in Lübeck betreibt. Viele ihrer Stammkunden kommen dennoch lieber in die historische Werkstatt mit den roten Geranien im Fenster, um Aufträge zu besprechen oder fertige Ware abzuholen. Es muss an der besonderen Stimmung liegen, die im alten Burgtor herrscht, am Knarren der Treppenstufen, am Wind, der durch die Schießscharten pfeift. Und vielleicht am leisen Flüstern der Wände, von denen man manchmal denkt, sie würden Geschichten erzählen. 3

Ruth Löbe Burgtorweberei Lübeck Große Burgstraße 5, 23552 Lübeck, Tel.: 0451/759 29, www.ruth-loebe.de

Mit einem Entwurf fängt es an – und so hört es auf: fertige Werkstücke, zum Ansehen, zum Befühlen. Gewebt im Burgtor (u.) wie vor Hunderten von Jahren.


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