Servus in Stadt & Land Deutschland 11/2014

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11/2014 in Stadt & Land

Frechdachs mit Herz

HERBSTSCHÖNHEIT: FETTHENNE   BRAUCHTUM: SÜFFIGES ZUM SCHNAPS   NATURAPOTHEKE: EIBISCH   WACHOLDER

Liebeserklärung an den Dackel

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E I N FAC H

.

GUT .

LEBEN

Ein Herz für Holz

Spaltkunst in Niedersachsen

2 NOVEMBER 11/2014

D/FL 3,90 EUR CH 7,00 SFR I/E 4,50 EUR

Einfach zum

Vernaschen —

LEBKUCHEN & PLÄTZCHEN FÜR DIE SÜSSESTE ZEIT DES JAHRES

Zu Gast bei den Theelacht-Erben

Freiburger Seelenwecken

Das Wunder vom Blautopf

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88

34

November

Natur & Garten

8 Freundlicher Frost

Er macht Wiesen silbern und Beeren süß. Es ist Zeit, eine Lanze für den rauen Gesellen zu brechen.

18 Harte Kerle in der Kälte

Welche Gewächse im Garten Schutz vor Eis und Schnee brauchen.

24 Schatzsuche in Esslingen

Die letzten Rosen leuchten, eine Hortensie blüht standhaft. Besuch in einem besonderen Gartenreich.

34 Dicke Freunde

Die Fetthenne schmückt die Beete noch, wenn vieles andere verblüht ist.

142 Frechdachs mit Herz

Starker Charakter, unwiderstehlicher Blick – der Rauhaardackel.

4 Servus

90

Küche

Wohnen

46 Rund & gesund

14 Immergrüne Hausnummer

52 Süß duftende Kuchen

80 Fundstück

60 Knusper, knusper …

82 Häuschen fürs Heimweh

Wacholderbeeren würzen Speis und Trank und schützen auch vor Unheil.

Von Elisen bis zur Pfeffernuss – die besten Lebkuchenrezepte.

Wir basteln ein Lebkuchenhaus.

62 Himmlische Plätzchen

Annette Wenzl verrät kleine Tricks fürs Weihnachtsgebäck.

66 Gut gebeizt

Lachsforelle wird mit Salz und Kräutern zur haltbaren Köstlichkeit.

68 Freiburger „Seelewecke“

Bäcker Ehret und ein alter Brauch.

Ein praktischer Türschmuck aus Moos, der den ganzen Winter hält.

Alte Tortenformen werden nicht mit Teig, sondern mit Fotos befüllt.

Harald Kraus holte sich ein Stück Kindheitserinnerung zurück – mit einem kleinen Bauernhof.

88 In Hülle und Fülle

Wir knoten mit hübschen Stoffen Überzüge für unsere Kissen.

90 Platz für Hund & Katz

Ein Koffer als Hundebett und eine Birke als Kratzbaum.

ZUSATZFOTOS COVER: ANDRÉ REUTER, MAURITIUS IMAGES

Inhalt2014

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8 66

FOTOS INHALT: ALEXI PELEKANOS, EISENHUT & MAYER, TINA HERZL, MIRCO TALIERCIO, DIRK EISERMANN, GAP GARDENS, GETTY IMAGES

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Standards

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Land & Leute 124 Mein Freund, der Baum

Keine Axt, keine Säge. Markus Schaser aus Wüsting bei Oldenburg hat das traditionelle Holzhandwerk neu entdeckt. Die Fasern werden nicht verwundet. 132 Auf den Spuren

von Hermann Hesse In Gaienhofen am Bodensee wollte

sich der große Literat den Traum vom einfachen Leben erfüllen.

148 Von der schönen Lau Blaubeuren, die Stadt an der

sagenumwobenen Karstquelle Blautopf, ist reich an Geschichte und Geschichten. Von alten Flöten, badenden Mönchen und einem spätberufenen Schnapsbrenner.

Brauchtum 30 Zwischen Himmel & Hölle Wem die Stunde schlägt, dem blüht Verheißungsvolles: alte Bräuche des Abschieds und der Trauer.

98 Ein Gläschen in Ehren

Wir stoßen an auf die süffigsten und geistvollsten Geschichten rund um den Schnaps.

136 Up Theelachts Wohlfahrt!

Die Männer der Theelacht zu Norden in Ostfriesland sind die wohl älteste Genossenschaft der Welt – und ein sehr exklusiver Klub. Zutritt nicht gestattet, eigentlich.

166 Das Dorf der Schnitzer

In Oberammergau ernährte das heimische Holz so manche Familie mit Talent zur Schnitzerei.

3 Vorwort 6 Briefkasten, Ortsnamen 16 Der Garten-Philosoph 22 Die Botschaften der Bäume 38 Unser Garten, Mondkalender 42 Natur-Apotheke: Eibisch 44 Schönes für draußen 72 Omas Kochbuch:

Alb-Leisa-Suppe

74 Schönes für die Küche 94 Schönes Zuhause:

Dekotipps für den November

96 Schönes für drinnen 128 Michael Köhlmeier:

Heinrich der Löwe

160 Eine Kurzgeschichte von Thomas Glavinic 164 ServusTV: Sehenswertes im November 170 Ausblick, Impressum Titelfoto: Eisenhut & Mayer

Servus 5


GARTENBESUCH

Schatzsuche in Esslingen

Blätter wehen davon, Blumen schlafen längst. Aber irgendwo leuchten letzte Rosen, eine Hortensie steht stolz und standhaft. Gärtner Michael Eppinger zeigt uns seine Schätze im Herbst. TEXT: STEPHANIE LAHRTZ FOTOS: NICOLE LAUTNER


Der Bauerngarten von Gärtner Michael ­Eppinger. Mittelpunkt ist der Brunnen. Ringsum siedeln Kräuter, Blumen, vor der Mauer eine Artischocke mit ihren ­gefiederten silbrigen Blättern, oberhalb Himbeer- und Johannisbeersträucher. Nachbarn sind die orange-gelben ­Ringelblumen und das Löwenmäulchen mit seinen granatroten Blüten.

E

igentlich hat sich im November im Garten alles zurückgezogen. Doch manchmal, da geben die Wolken ein Stückchen Sonne frei, der Wind wird plötzlich lau, und man bekommt Lust, nach verborgenen Schätzen in all dem Laub zu suchen. Wir tun das bei Gärtner Michael Eppinger im schönen Esslingen, und wir werden reichlich belohnt. Nur ein paar Schritte von der Haustür entfernt wartet im Beet oberhalb der hüfthohen Begrenzungsmauer zum Nachbarn schon das erste kleine Herbstwunder: Mitten in den dunkelgrünen, über den Boden sich schlängelnden Efeuranken streckt eine Christrose ihre noch geschlossenen hellrosa Knospen den Schatzsuchern entgegen. Hinterm Haus ist Vorsicht angebracht. Das Laub hat die Sandsteinplatten der Terrasse zugedeckt, es ist etwas rutschig. Schaut man nach oben, um die Blätterlieferanten auszumachen, dann wird der Blick sanft den Hang hinauf geleitet, immer weiter nach oben bis zu einem Waldstück. „Über diesen Blick in die Weite freue ich mich jeden Tag“, sagt Michael Eppinger. „Das macht meinen Kopf nach der Arbeit so richtig frei. Deshalb habe ich nicht einfach nur Büsche und Stauden in den Grashang gesetzt, sondern mehrere Etagen angelegt.“ BITTE EINE BIRNENQUITTE

Zuerst säumen einige Beete den Weg nach oben. Rechts leuchten über den Resten der Sommerstauden mit noch erstaunlich frischem Blättergrün lauter walnussgroße gelbgrüne Bällchen an dünnen Ästchen. „Das ist ein Zierapfel, und nur für die Vögel. Aber von der Birnenquitte im Beet gegenüber, da bekommen wir auch etwas ab“, sagt der Hausherr lachend. Leise raschelt der Wind in den vertrockneten braunen Asternbüscheln und schiebt uns sanft weiter nach oben. Ein schwacher, ganz süßer Apfelduft empfängt uns. Wir sind in der Obstbaumwiese. Apfel, Zwetschge, Kirsche und Birne strecken ➻

Servus 25


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DAS IST DER BAUM DER ERINNERUNGEN. AN GROSSVATER, AN DIE KINDHEIT.

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ihre fast kahlen Äste in den November­ himmel, der sich langsam von Hellblau mit grauen Schlieren ins Vanillegelbe zu ­verfärben beginnt. „Dieser Apfel hier, das ist eine ganz alte Sorte: eine Gewürzluike.“ Der Hausherr deutet auf einen knorrigen Baum in der Mitte des Wiesenstücks. „Die ist ganz selten geworden, erst in letzter Zeit wird sie wie­ der vereinzelt angebaut.“ Also auch ein ech­ ter Schatz. „Der Baum ist ungefähr 75 Jahre alt. Den hat mein Großvater gepflanzt, nachdem er das Haus gebaut hatte und dann langsam den ehemaligen Weinberg hinterm Haus zu Obstwiese und Gemüse­ garten umgestaltete.“ WER ZULETZT BLÜHT

Michael Eppinger und seine Frau haben dann die Pflanztradition fortgeführt: Für je­ des der vier Kinder wurde nach der Geburt ein Obstbaum in die Wiese gesetzt, immer eine andere Sorte. Gerade als wir weiter nach oben stei­ gen wollen, bleibt unser Blick an zwei gut vier Meter langen grünen Schlangen unter Blättern, groß wie Pizzateller, hängen. Kurz bevor uns mulmig wird, kommt die Beruhigung: „Das sind ein Hokkaido- und ein Zier­ kürbis“, erläutert Michael Eppinger fast ein bisschen spitzbübisch. Tatsächlich, bei genauem Hinsehen er­ kennt man, dass die Blätter wie auch die di­ cken orangefarbenen und gelben Kugeln an den sich windenden kinderarmdicken Stän­ geln hängen. „Ich find das einfach schöner, wenn er so über das Gras mäandert, als wenn er nur an einem Zaun wuchert.“ Bevor wir in die nächste Etage weiter­ steigen, halten uns noch zwei Rosen mit teils geöffneten, teils noch geschlossenen Blüten auf. Bei der einen Sorte verlaufen in den Blütenblättern rosa und tiefrote Farbstreifen in einem zarten Weiß. Bei der anderen schimmert ein zartrosa Rand am Ende der vanillegelben Gebilde. Blüten wie ein Aquarell. „Die mag ich wirklich sehr“, sagt Michael Eppinger ganz versonnen. „Die sind nach zwei Malergenies benannt, nach Camille Pissarro und Henri Matisse.“ ➻

26 Servus

Novemberlicht senkt sich übers Land. Hagebutten ­träumen schon vom nächsten Frühjahr. Ein Pfau schaut zu, erhaben, mit majestätischer Eleganz – übrigens hat ihn Gärtner Eppinger entworfen.

SCHON MAL VORMERKEN Gärtner Michael Eppinger empfiehlt, schon jetzt an gute Gartenerde für die nächste Saison zu denken. Er meint: In privaten Gärten wird oft zu viel und mit zu vielen Mineral­salzen gedüngt. Das lässt die Pflanzen zwar in die Höhe schießen, doch genau das schwächt sie auch. Überdies schaden die Salze den Würmern und Bodenorganismen. Michael Eppinger rät zu einer Mischung aus Tierhaar- und Urgesteinsmehl plus

Reste aus der Zuckerrüben- sowie der Kartoffelverarbeitung, angereichert mit getrockneten Braunalgen und Wurzel­ pilzen. Alle diese Produkte sind im Handel zu finden. Wem das zu aufwendig ist, der kann eine von Michael Eppinger ausgetüftelte und im Garten erprobte Bio-Variante unter www.eppinger-garten.de bestellen. „Eine einmalige Anwendung im Frühjahr reicht aus.“


In der Pflanzeninsel vor dem Mäuerchen zum Bauerngarten haben Diamantgras und eine Kugeldistel zusammengefunden. Rechts: großer Auftritt im Herbst, eine Rosenblüte „Camille Pissarro“.

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WARUM BLÜHEN SIE ALLE NOCH: KAPUZINERKRESSE, RINGELBLUMEN, EINSAME ROSEN? ES SIND BOTEN, DIE UNS SAGEN: VERGISS DAS VERWELKEN, WIR KOMMEN ALLE WIEDER, VERSPROCHEN.

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Zartes, filigranes Kunstwerk: herbstliche Samenstände von Wiesenblumen. Links: Die Holz­ leiter am Lederapfelbaum ist nur für eine Clematis da. „Die soll da ranken, raufklettern.“

Die namenlose Rose vor den Travertinsteinen streckt Blüten und ­Hagebutten zum Licht. Links: Am Ast hängen Äpfel in allerlei ­Daseinsformen. „Für die Vögel.“


HOFLADEN

Gutes von

daheim 9

Ein Brot für Leib und Seele

Einmal im Jahr bäckt Peter Ehret aus Freiburgs Stadtteil St. Georgen, weil eine Seele ja auch von etwas leben muss, den „Seelewecke“. Ein uralter Brauch und eine Köstlichkeit obendrein. TEXT: TRISTAN BERGER FOTOS: SEBASTIAN GABRIEL


G

eschafft! 14 Stunden gearbeitet. Das letzte Blech eingeschossen! Jetzt ein Feierabendbier. Um 6 Uhr früh. Ralf ­Ehret aus Freiburgs Stadtteil St. Georgen köpft eine Flasche Pils. Mit einem Schlag kommt die Müdigkeit. Und ein Gefühl tiefer Zufriedenheit. Ralf Ehret, 37, ist Juniorchef der Bäckerei Ehret. „Feierabendbier gibt’s nur heute“, meldet sich Vater Peter, der 66-jährige Senior, zu Wort. Er ist der „Ehret-Beck“. Und der Ehret-Beck, der bäckt eine Besonderheit: den „Seelewecke“. Aber nur einmal im Jahr. Am 31. Oktober. Am Seelewecketag. Nach altem Glauben kehren die toten Seelen am Allerseelentag dorthin zurück, wo sie einst gelebt haben. Und weil, wer reist, eine Wegzehrung braucht, „het mer ganz früher ’n Seelewecke über d’ Nacht uff d’ Fänschderbank g’legt.“ Dazu Salz. Und eine Kerze. Damit die reisende Seele sicher den Weg nach Hause findet. Später aber, erzählt uns Peter Ehret, hat sich der Brauch

Linke Seite: Mit einer großen Schere schneidet Juniorchef Ralf Ehret die „Diddli“ in die Teiglinge, ehe er sie in den 230 Grad heißen Ofen schießt (linkes Foto und unten). 20 bis 25 Minuten backen die Seelenwecken im Ofen (Foto oben). Wenn sich ein Diddli gar zu vorwitzig nach oben g ­ estreckt hat (diese Seite, Foto oben), ist es richtig resch und knusprig dunkelbraun gebacken.

gewandelt. „Da hen de Getti un d’ Gotti de Patekinder e Seelewecke g’schenkt.“ Als Glücks- und Segensbringer. Doch auch das war in Vergessenheit geraten. Jedenfalls fast. Bis Bäcker Ehret die Ortszeitung überreden konnte, über den Brauch der Seelenwecken zu berichten. Zusammen mit dem Aufruf, diese Tradition nicht aussterben zu lassen. Das Echo auf den Artikel war gewaltig, er­innert sich der Bäcker. Davor waren es ­gerade noch 100 Stück, die über den Ladentisch gingen. Heute backen sie wieder 2.000 Wecken am Seelewecketag. „Ich bin stolz drauf“, sagt Peter Ehret, „dass wir das rüberg’rettet hen.“ WIE DER URGROSSVATER

Wir aber wollen nun endlich wissen, wie so ein Seelewecke gemacht wird und ­woraus er besteht. „E leicht g’süßte guete Milchweckteig in Stolleform“, erklärt Juniorchef Ralf. Dazu Salz, Butter oder Schmalz.

Das Rezept ist seit vier Generationen unverändert, betonen Vater und Sohn. Seit 1898. Seit Urgroßvaters Zeiten. Nur die beiden Ehrets und der Backstubenleiter kennen die genaue Zusammensetzung. „Die gebe ich sonst niemandem weiter!“, erklärt der Senior kategorisch. Und erzählt dann, dass sich viele Kunden wünschten, der Seelenweckenbäcker möge seine Köstlichkeit das ganze Jahr über backen. Der alte Ehret lehnt das ab. „So ist die Tradition nicht“, sagt er. Da ist er konsequent. Er backt auch keinen Erdbeerkuchen im Herbst. Keinen Zwiebelkuchen im Frühjahr. Und Seelenwecken nur für Allerseelen. So konsequent ist er auch, wenn’s um die Glasur der Seelenwecken geht. „Da gibt’s ja die tollsten Methoden“, sagt der alte Ehret. Damit das glänzt „wie ’n Affena…“! Aber das macht ein Ehret nicht – sondern so, wie es Tradition ist und seit alters her überliefert: Er rührt Kartoffelstärke mit Eigelb und ­Wasser an. Das ist die „Bäckerstreiche“. ➻

Servus 69


HAUSTIERE

Platz für Hund & Katz Ein alter Koffer wird zum gemütlichen Hundebett, der Stamm einer jungen Birke zum Kratz- und Kletterbaum und ein ausgedienter Übersiedlungskarton zum Katzenhaus. REDAKTION: ALICE FERNAU  MITARBEIT: MICHAELA GABLER FOTOS: TINA HERZL


NETT, DAS HUNDEBETT Links und oben: Damit Bello es nicht nur gemütlich hat, sondern auch stilvoll residiert, ­haben wir ihm ein schickes Hundebett gebaut. Als Bettkasten verwendeten wir einen Koffer aus längst vergangenen Tagen, den wir vom Dachboden geholt und gründlich gesäubert haben. Die weiche Matratze besteht aus einem ­alten Kissen, überzogen mit einem Jutesack aus dem Baumarkt. Danach wurde mit großen Stichen ein Streifen aus grüner Jute aufgenäht. Ganz oben: Auch das Hundespielzeug ist selbst gebastelt. Es besteht aus einem Seil, das wir zur Kordel gedreht und mit Textilklebeband umwickelt haben.

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WUNDER DER HEIMAT

148 Servus


Je länger es nicht regnet, desto intensiver wird das Blau im Blautopf. Diese 22 Meter tiefe Karstquelle ist die Sehenswürdigkeit schlechthin in Blaubeuren.

Auf den Spuren

der Schönen Lau

Blaubeuren, die Stadt an der sagenumwobenen Karstquelle Blautopf, ist reich an Geschichte und reich an Geschichten. Von alten Flöten, badenden Mönchen und einem spätberufenen Schnapsbrenner. TEXT: ACHIM SCHNEYDER FOTOS: MIRCO TALIERCIO

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RÜCKBLICK

das leben

in alten zeiten 9

Das Dorf der Schnitzer

In Oberammergau, in schönster Tallage, ernährte das Holz von Linde, Birne und Ahorn so manche Familie, die ein seltenes Talent auszeichnete – meisterhaft Figuren zu schnitzen und zu bemalen. REDAKTION: GERTRAUD STEINER

elbst in der Blütezeit der gotischen Holzplastik vom 13. bis ins 15. Jahr­ hundert hat Oberammergau keinen einzi­ gen Künstler von Weltrang hervorgebracht. Dort blieb die künstlerische Begabung stets gerecht auf viele Köpfe verteilt – die Begabung, zu schnitzen und zu malen, das Talent, selbst noch in eine Nussschale ein Jesuskind oder einen Heiligen so plastisch einzuformen, dass es wie lebendig wirkte. Rechnet man die Drechsler, Rahmen­ macher, Vergolder und kunstfertigen Tisch­ ler dazu, hatte der halbe Ort mit der Kunst sein Auskommen. Wer zum Schnitzen eine zu grobe Hand mitbrachte, konnte als Fuhr­

166 Servus

knecht, Kraxenträger und später sogar als Handelsmann und Verleger seine Existenz begründen. Letztere brachten die feinen Schnitz­ arbeiten, für die in Heimarbeit Mann und Frau, Großeltern und Kinder in ihren Schnitzstuben zusammensaßen, bis ihnen die Augen zufielen, zu den Abnehmern. Oberammergau nutzte dafür zunächst seine Lage an der Handelsstraße zwischen Augsburg und Venedig. Später gingen die berühmten Schnitzereien in alle Himmels­ richtungen in die Welt hinaus. Auch Franz von Paula Schrank (1747– 1835), erster Direktor des Botanischen

Gartens in München und Reisender seiner Zeit, besuchte Oberammergau. In „Baieri­ sche Reise“ von 1786 schreibt er: „Und werden Sie mir wohl glauben, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich in diesem Dorfe ein Handelshaus antraf, das seine Waaren am Ladoga (in Russland) und an den Säulen des Herkules (in Süd­spanien) absetzt? Diese Waaren bestehen aus einem sauberen Schnitzwerke, welches die Herren Gebrüder Lang sehr artig bemalen und nach Petersburg, Amsterdam und Cadix in Süd­ spanien versenden.“ Die Langs, das waren der damalige Se­ niorchef Anton Lang, 1744 als Sohn eines

FOTOS: OBERAMMERGAU MUSEUM, GG LANG SEL. ERBEN

S

Schnitzarbeit für die Passionsspiele, Bildhauer Josef Albrecht (1868–1950), Johann Sperr (1904–1984) und ein unbekannter Künstler (von links), Aufnahme um 1930.


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FÜR EINEN HERRGOTT BRAUCHT ES SIEBEN SCHNITTE. Oberammergauer Schnitzerspruch

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Oben: die 1887 gegründete Bildhauerschule. Sie existiert noch heute. Rechts: Bildschnitzer Guido Mayr (1880–1946) in seiner Werkstatt. Er war bekannt für seine Figuren aus Lindenholz. 1922 trat er auch bei den Passionsspielen auf – als Judas.

armen Rahmenmachers geboren, und seine Söhne. Dank ihrer Kunst war der Familie der Aufstieg ins Bessere-Leute-Viertel des „unteren Dorfes“ gelungen, wo der Vater das heutige Pilatushaus kaufte. Er brachte für das Schnitzergewerbe im Ort wegweisende Neuerungen und hauchte ihm so einen frischen Geschäftsgeist ein. PILGERANDENKEN UND KRUZIFIXE

Die nahegelegenen Klöster Ettal (seit 1330) und Tegernsee hatten die sakrale Ausrichtung der Oberammergauer Schnitzer vor­ gegeben. Die Passionsspiele sorgten für Umsatz. Die Besucher, Wallfahrer und Pilger wollten mit Devotionalien versorgt sein. Männer mit Unternehmergeist wie Anton Lang gingen angesichts dieser Nachfrage dazu über, Schnitzerfamilien nach Auftrag und gegen Stücklohn zu beschäftigen und ihnen dafür das Material zu stellen. Die produzierten Schnitzwaren kamen auf Lager.­Ein Netz von Niederlassungen und Vertriebs­partnern sorgte für den Verkauf. Vor Weihnachten war Hochbetrieb. Anton Langs Sohn und Nachfolger ­Georg, der noch als Kraxenträger Land und Leute kennengelernt hatte, erweiterte mit sicherem Gespür für den Geschmack des Biedermeiers die Warenpalette um Holzspielzeug, das sich über eine einfa-

che Mechanik bewegen ließ. Viel Anklang fanden Stecken- und Fadengaukler, also Hampelmänner, und geschnitzte Tiere. In diesem Fach, das etwas besser honoriert wurde, traten auch Frauen als meister­ hafte Schnitzerinnen hervor. Im Ensemble zusammengestellt, entstanden so beliebte Werktypen wie Gamsjagden, die Arche Noah oder nachgestellte Schlachten. Georg Lang verstarb 1821 als vermögender Mann mit großem Immobilienbesitz. DAS GESCHÄFT MIT DEM HERRGOTT

Um 1900 erweiterte Multiunternehmer Guido Lang (1856–1921) das Verlegerhaus, Herzstück der Oberammergauer Schnitzerwelt, um eine Manufaktur. Die Schnitzer saßen dort im Akkord an der Werkbank. Man sprach von den sieben Schnitten, die dem Herrgott Gesicht und Ausdruck geben. Die Arbeit musste schnell gehen,

ohne deswegen oberflächlich zu werden. Kruzifixe wurden zum massenhaft hergestellten Allerweltsartikel. Bekannte Schnitzer wirkten nebenbei sogar bei den Passi­ ons­spielen als Ausstatter und Darsteller mit. Den Besuchern präsentierte sich Ober­ ammer­gau mit seinen Fassadenmalereien als „das schönste Dorf von Bayern“. Dennoch hat Oberammergau nicht nur Dutzendware hervorgebracht. Neben dem großen Geschäft konnten sich durchaus ­unabhängige Künstler behaupten. Dass Qualität vor Masse ging, zeigte schon 1887 die Gründung der Holzschnitzerschule. Spitzenleistungen haben oft ein anonymes Umfeld. Aber namenlose Kunst ist deswegen nicht zweitklassig, auch heutzutage. Unter den Schnitzern, die für den PopKünstler Jeff Koons arbeiten, ist auch ein Holzbildhauer aus Oberammergau. 3

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Foto: Eisenhut & Mayer

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Foto: Alexi Pelekanos

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