Reise in der Rohrpost

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DIE KILLER BOHNE Wie hemmungsloser Soja-Anbau die Welt ruiniert – am Beispiel Argentinien

RELIGION Warum ein US-Soldat zur Südsee-Gottheit wurde HYPERLOOP Mit 1.220 km/h durch Kalifornien EXTREMES LEBEN Am heißesten Ort der Erde  AUSGABE 04 JUNI & JULI 2015

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TECHNIK

Reise in der Rohrpost

Illustration: Denis Mujakovic

Eine Handvoll Pioniere arbeitet in Los Angeles an der Vision des Hyperloop: Sie wollen Passagiere und Fracht mit Überschallgeschwindigkeit durch eine Vakuumleitung schießen.

Text: Steffen Heuer

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TECHNIK

Fahrminuten nördlich des internationalen Flughafens von Los Angeles, wurde schon einmal kühne Transportgeschichte geschrieben. In einem mehrere hundert Meter langen Hangar ließ der genial-größenwahnsinnige Industriemagnat Howard Hughes in den 1940er-Jahren eines der größten Flugzeuge der Welt bauen. Die Hercules H-4, spöttisch-liebevoll „Spruce­ Goose“ – zu Deutsch Fichtengans – genannt, war der Prototyp eines Militärtransporters, der mit einer­Spannweite von 97,5 Metern sogar den Airbus A380 in den Schatten stellt. Leider dauerte die Konstruktion des hölzernen Wasserflugzeugs zu lange, um im Zweiten Weltkrieg eingesetzt zu werden. Das einzige Exemplar hob nur zu einem kurzen Testflug ab, bevor es zum kuriosen Ausstellungsstück wurde – eine Fußnote in der Geschichte des menschlichen Strebens, immer noch schneller, höher und weiter zu kommen. Für den Architekten, Stadtplaner und ge­ lernten Autoingenieur Craig Hodgetts ist diese Anekdote der Transportgeschichte täglicher Ansporn, diesmal über den Prototyp hinaus zu kommen. Der 78-Jährige steht in Hughes’ altem Hangar einer Gruppe von 25 Studenten der University of California in Los Angeles (UCLA) vor, die mit Hochdruck am nächsten Kapitel menschlicher Fortbewegung arbeiten: dem Hyperloop. So hat Elon Musk, der kalifornische Multimilliardär und Serienunternehmer, der der Welt mit SpaceX privat finanzierte Raumfahrzeuge und mit Tesla schnittige Elektroautos bescherte, seine bis jetzt verwegenste Idee getauft. Passagiere sollen in Kapseln mit mehr als 1.220 km/h durch fast luftleere Röhren geschossen werden – schneller als der Schall oder eine Pistolenkugel. So ließen sich die 600 Kilometer zwischen Los Angeles und San Francisco in gut 40 Minuten bewältigen. Musk stellte seine Idee Mitte 2013 der Öffentlichkeit vor und bat die Welt um Hilfe, Kritik und fundiertes Feedback, um den Hyperloop Wirklichkeit werden zu lassen – ohne sein direktes Mittun. Seither ist Los Angeles – und nicht etwa das Hightech-Mekka Silicon Valley – zum Epizentrum der

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Entwicklungsarbeit geworden. Wenn alles nach dem überaus optimistischen Plan läuft, soll bereits im kommenden Jahr der Spatenstich für eine­ Hyperloop-Teststrecke erfolgen, ab Mitte 2018 ­ könnten die ersten Passagiere die Rohrpost des 21. Jahrhunderts erleben. UCLA-Professor Hodgetts ist einer der führenden

Köpfe dieser kleinen, aber rasch wachsenden Schar von Architekten, Stadt- und Verkehrsplanern, Ingenieuren, Materialwissenschaftern, Programmierern und Unternehmern, die grundlegend verändern wollen, wie Menschen sich selbst und auch Waren befördern: leiser, schneller, umweltfreundlicher und platzsparender als mit der Schiene, dem Auto, Lkw oder Flugzeug. „Eine Kapsel durch eine Vakuumröhre zu befördern ist nicht schwer. Da kennen wir alle physikalischen Einzelheiten, einschließlich des Antriebs“, sagt Hodgetts an einem strahlend blauen Frühlingstag, als er durch den von den Studenten „Suprastudio“ getauften Hangar schreitet und immer wieder vor Skizzen und Modellen der verschiedenen Bestandteile des Hyperloop stehen bleibt. „Die großen Fragen stellen sich bei den Bahnhöfen: Wie speisen wir Tausende von Menschen sicher und bequem in den Hyperloop? Wie und wo baut man die Stationen, damit sie in die Stadt von morgen passen und sich nicht zu einem Moloch entwickeln wie die heutigen Flughäfen?“ Man sieht ihm seine 78 Jahre nicht an. In Jeans, kariertem Hemd und Turnschuhen, mit verschmitzt funkelnden Augen unter einem Schopf weißer Haare und mit seinem federnden Schritt könnte Hodgetts auch ein in die Jahre gekommener Tech-Unternehmer sein, der über sein jüngstes Start-up schwärmt: „An etwas so Aufregendem zu arbeiten hält jung und passiert nur alle paar Jahrzehnte. Und“, fügt er hinzu und wendet sich drei lebensgroßen Holzmodellen einer Hyperloop-Kapsel zu, „wir haben die Chance, mit einem Unternehmer zusammenzuarbeiten, der unserem akademischen Brainstorming die nötige Richtung gibt, damit es sich umsetzen lässt.“ Gemeint ist Dirk Ahlborn, Gründer und CEO von Hyperloop Transportation Technologies (HTT ), der in einem der Modelle auf einem

Fotos: Joe Schmelzer; Illustration: Hyperloop Transportation Technologies

A

M BLU F F C R E E K DR I V E , e in paar


Craig Hodgetts Gelernter Autoingenieur, berufen zum Architekten, ­Stadtplaner und – Visionär Mit seinen Studenten leistet er Vorarbeiten für ein neues Transportmittel. Der 78-Jährige ist überzeugt, die Jungfernfahrt eines Hyperloop noch zu erleben.

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1: Kartonmodell. Noch diskutieren Studierende die grundlegenden Konstruk­ tionsprinzipien. Und doch soll schon ab nächstem Jahr eine Teststrecke entstehen. 2 3

2: Fantasievolle Vision. Einst könnte ein HyperloopNetz die Metropolen der Welt verbinden. Eine Rohrbrücke würde dann auch die San Francisco Bay durchqueren, die an dieser Stelle über 100 Meter tief ist. 3: Modell einer End­ station. „Wie baut man einen Bahnhof, damit er sich nicht in einen Moloch entwickelt wie die heutigen Flughäfen?“

Bewegte Studie: Wie sich Studenten eine Endstation vorstellen, an der Passagiere bequem einund aussteigen können. Link zum Video: https://www.terramatermagazin.com/videos

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„Nachdem wir noch immer nicht wissen, wie Teleportation funktioniert – könnte sich bitte jemand darum kümmern? –, ist die einzige Möglichkeit für superschnelles Reisen eine Röhre, in der ganz spezielle Bedingungen herrschen.“

Elon Musk

Elon Musk Unternehmer, Hyperloop-Mastermind Er hat die Idee niedergeschrieben und der Welt geschenkt. Mit deren Umsetzung will er sich aber nicht belasten.

Holz-Styropor-Sessel Platz genommen hat. Dem 38-jährigen Deutschen sitzt der Jetlag sichtlich in den Knochen. Er ist gerade aus Dubai zurück­ gekehrt, wo er auf der größten Eisenbahn-Messe des Nahen Ostens vor staunendem Publikum eine Rede über seine Vision gehalten hat. Ahlborn war der erste Unternehmer, der Elon Musks Idee aufgriff und sich noch im Sommer 2013 ans Werk machte, sie zu realisieren – und zwar nach den Prinzipien des Crowdsourcing und Crowdfunding, also mit der fachlichen wie fi nanziellen Unterstützung von Freiwilligen in ­ aller Welt. Bei HTT kann jeder am neuartigen Hochgeschwindigkeitszug mitarbeiten, der mindestens zehn Stunden pro Woche investiert. Aus diesem Grund hat HTT keine Hierarchie wie ein herkömmliches Unternehmen. Unter dem CEO organisieren sich seine inzwischen fast 300 Mitarbeiter in 16 selbständige, virtuelle Gruppen mit je drei bis vier Teams, die alle nötigen Aufgaben in Angriff nehmen – von den verwendeten Materialien für die aufgeständerten

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Röhren über die Antriebstechnik, Statik und Erdbebensicherheit, Luftschleusen, Kapseldesign und Streckenführung bis hin zu Passagierkomfort, Unterhaltungsprogramm an Bord und der Wirtschaftlichkeitsrechnung möglicher Trassen. Die meisten Mitarbeiter haben fixe Jobs, viele von ihnen bei renommierten Technologiefirmen wie Boeing, Cisco oder Microsoft. Konzepte und Designentwürfe werden in Telefon- und Videokonferenzen diskutiert und auf einer Onlineplattform veröffentlicht. Im Lauf der Planung habe HTT bereits mehrere Patente beantragt, so Ahlborn. Im Gegenzug für ihren Input bekommen alle regelmäßig hier arbeitenden Mitarbeiter nach Stundenzahl bemessene Aktienoptionen, die nach Ahlborns Plan schon bald bares Geld wert sein sollen. „Wir kriegen jeden Tag fünf neue Bewerbungen herein. Wenn das so weitergeht, könnte unser Team bald auf 1.000 Leute anwachsen. Das ist der beste Beweis, dass die Welt den Hyperloop für kein Hirngespinst hält“, sagt der gelernte Bankkaufmann aus Berlin, der seit sieben Jahren in L. A. lebt.


TECHNIK

Foto: Laif; Illustration: UCLA Hyperloop Suprastudio

Einen gehörigen Teil der Planung verdankt Ahlborn den zwei Dutzend Magisterstudenten, die seit dem Sommer 2014 unter Anleitung von Professor Hodgetts Machbarkeitsstudien und Designentwürfe entwickelt haben. Sie widmen sich insbesondere drei Fragen: Wo hat ein solches Beförderungsmittel überhaupt Sinn? Wie können im Minutentakt verkehrende Kapseln sicher und flüssig mit Passagieren beladen und wieder entladen werden? Und wie kann man die Reise in einem fensterlosen Geschoss so gestalten, dass einem von der Beschleunigung nicht schlecht wird? Alles praktische Fragen, die Elon Musk aussparte, als er den Hyperloop vor zwei Jahren in einem knapp 60 Seiten langen Dokument skizzierte. Ihm schwebte eine blitzschnelle, umweltfreundliche Verbindung zwischen den zwei Ballungszentren San Francisco und Los Angeles im bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat vor. Dieselbe Strecke, auf der Verkehrsplaner und Politiker seit Jahren versuchen, simple Hochgeschwindigkeitszüge rollen zu lassen, wie sie im Rest der modernen Welt schon lange üblich sind. Doch in der Zukunftsschmiede Kalifornien ist ein solches Äquivalent zum ICE oder TGV immer noch weit von der Realisierung entfernt, weil mit immer ­höheren Baukosten (inzwischen geht man bereits von 67,6 Milliarden Dollar aus) und langwierigen Klagen von Anrainern zu rechnen ist. Musk stellte deswegen harsche Kritik am Status quo ins Zentrum seiner Vision: „Wie kann es sein, dass die Heimat des Silicon Valley und des Jet Propulsion Laboratory – wo so unglaubliche Dinge wie die Mars-Rover entstehen – einen Zug bauen würde, der einer der teuersten und einer

der langsamsten der Welt wäre? Wenn wir schon massiv in ein neues Transportsystem investieren, dann sollte die Rendite ebenso groß ausfallen.“ Und dann trat Musk die Idee der blitzschnellen Rohrpost mit einer rhetorischen Frage los: „Gibt es wirklich ein neues Transportmittel – einen fünften Modus nach Flugzeugen, Eisenbahnen, Autos und Schiffen, der diese Voraussetzungen erfüllt und sich praktisch umsetzen lässt?“ Mit den Details des fünften Transportmittels ringen seitdem Praktiker wie Hodgetts und Ahlborn. Sie glauben fest daran, dass sich sämtliche Probleme bei der technischen Umsetzung lösen und alle politischen Hürden nehmen lassen. „Ich werde es auf jeden Fall noch erleben, dass im Hyperloop Passagiere fahren“, meint der rüstige Architekt. Vorerst werden seine Überlegungen nicht in Beton und Stahl umgesetzt, sondern als WebClips, die den jeweiligen Planungsstand zeigen. Ob die ursprünglich angedachte Verbindung zwischen San Francisco und Los Angeles kommt, ist Hodgetts egal, solange nur irgendwo ein Hyper­ loop entsteht. Seine Studenten, die zu 80 Prozent aus China­ stammen und weiblich sind, haben sich inzwischen auf die leichter zu realisierende Strecke L. A. – Las Vegas konzentriert. Die fünf Stunden lange Fahrt durch die Mojave-Wüste auf der Inter­state 15 ist nicht nur langweilig, sie zählt – gemessen an der Zahl der Verkehrstoten – zu den gefährlichsten ­Strecken in den USA. In einer Vakuumröhre ließe sie sich in 44 Minuten bewältigen, ohne die politischen und rechtlichen Probleme einer Trasse durch dicht besiedelte Landstriche nahe der Küste S. 70 aufzuwerfen.

Großer Bahnhof. Hyperloop soll schneller, effizienter und umweltfreundlicher funktionieren als herkömmliche Transportsysteme. Dieser Entwurf sieht vor, dass die Endstation im Stadtzentrum liegt – dadurch verkürzen sich die Anfahrtswege für die Passagiere.

Endstation Hyperloop: Wie die sorgfältige Trennung der Passagierströme selbst in der Rushhour Staus vermeiden soll. Link zum Video: www.terramatermagazin.com/videos

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DIE VISION VOM FÜNFTEN TRANSPORTMITTEL Wie sich Enthusiasten und Risikokapitalisten den Hyperloop vorstellen. Die Kapsel: Einblick in das neue Verkehrsmittel Personenkabine. 28 bis 40 Passagiere sitzen in einer fahrerlosen Kapsel. Frühe Konzepte sahen vor, dass auch ganze Autos mitgenommen werden können. Weil die Kapsel keine Fenster hat, vermitteln Monitore an den Innenwänden ein Bild von draußen.

Batterie. In ihr steckt die Energie für den Antrieb der Turbine – und für die Unterhaltungselektronik im Fahrgastraum. Luftkanäle. Sie leiten Luft von der Turbine durch die Kapsel hindurch ans Heck. So wird verhindert, dass das Fahrzeug die Luft vor sich durch die Röhre schieben muss. Ein Teil der Luft wird abgezweigt und in die Ski gepresst.

Ski

Solarzellen. Die Röhren tragen Solarpaneele. Nach Berechnungen von Elon Musk reicht die so gewonnene Energie für den Betrieb aus. Große Batterien überbrücken Nächte und Schlechtwetterperioden.

Magnetschienen in der Röhre. Einzelne Sektoren lassen sich genau getimt unter Strom setzen und ziehen so die Kapsel voran. Weil das Fahrzeug keinen Roll- und kaum Luftwiderstand überwinden muss, reicht es, die Kapsel in großen Abständen zu beschleunigen – dazwischen rauscht sie ohne Antrieb durch die Röhre.

Die Röhren. Zwei Röhren verlaufen stets parallel – je eine pro Fahrtrichtung. Noch sind sich die Konstrukteure nicht einig, ob sie die beiden Tunnel neben- oder übereinander sortieren sollen.

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Die Stützen. Für Ideengeber Elon Musk einer der Hauptvorteile des Systems: Weil die neue Trasse hoch über der Erde verlaufen kann, bildet sie kein Hindernis für Mensch und Tier am Boden. Dämpfer. Die Röhren lagern nicht direkt auf den Stützen, sondern auf Dämpfungselementen. Damit soll die Anlage auch starke Erdbeben sicher abfedern.

Der Tunnel. Starke Pumpen an den Bahnhöfen erzeugen einen starken Unterdruck im Inneren der Röhren. Deshalb ist der Luftwiderstand für die Kapsel minimal, und sie kann eine Geschwindigkeit von bis zu 1.220 km/h erreichen.

Die Röhre im Querschnitt Die Turbine. Sie saugt Luft aus der Röhre, drückt sie ins Innere der Kapsel und stößt sie am Heck wieder aus. Das dient der Aerodynamik, nicht dem Antrieb.

Der Ski – wie er die Kapsel in Schwebe hält Druckluft wird aus dem Inneren der Kapsel in Richtung Ski gepresst.

Die „Klinge“: Am Boden der Kapsel ist eine Metallschiene befestigt. Sie verläuft berührungsfrei zwischen den beiden Magnet­schienen des Tunnels und wird von diesen a ­ n- und dadurch vorangezogen.

Illustration: Denis Mujakovic

Magnetschienen Die Röhre im Querschnitt Ski: Sie bilden den millimeterdünnen Luftpolster zwischen Kapsel und Röhre, auf dem das Fahrzeug durch den Tunnel gleitet. Der Polster entsteht, indem Luft von der Turbine durch Löcher im Ski nach außen gepresst wird.

Amerikanische Transportmittel im Vergleich 50–95 km/h 160–190 km/h 1.100 km/h 1.220 km/h

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Bleibt nur die Frage, wie aus den Holzmodellen im Hangar in Los Angeles und den bunten Computersimulationen auf Dirk Ahlborns Rechnern ein zuverlässiges Transportmittel entstehen soll, für das sich ein Normalsterblicher eine Fahrkarte leisten kann. Hier kommt Quay Hays ins Spiel. Der vermögende Immobilieninvestor aus Los Angeles plant seit bald zehn Jahren eine grüne Retortenstadt im Central Valley Kaliforniens, dem strukturschwachen und dünn besiedelten Agrargürtel in der Mitte des Staates. Nach einem durch die jüngste Rezession bedingten mehrjährigen Planungsstopp holt Hays gerade die nötigen Genehmigungen ein, um 2017 mit der ersten Bauphase zu beginnen. „Kalifornien setzt den Standard für den Rest des Landes und der Welt, was umweltfreundliche, zukunftweisende Ideen angeht“, sagt der braun gebrannte 58-Jährige, in dessen schulterlange, blonde Mähne sich das erste Grau geschlichen hat. Seine geplante Öko-Stadt „Quay Valley“ ist für ihn California 3.0. Ein „Portal in die Zukunft“, wie es im 19. Jahrhundert San Francisco nach Ausbruch des Goldrauschs und im vergangenen Jahrhundert Los Angeles als „goldener ­Westen“ der Konsumgesellschaft war. Für Quay Valley, das direkt an der Inter­ state 5, der Nord-Süd-Hauptschlagader Kaliforniens, liegen wird, hat der Unternehmer insgesamt 30 Quadratkilometer Brachland gekauft. Die Stadt soll in fünf Bauphasen auf 25.000 Wohnhäuser für 75.000 Einwohner und einen ausgedehnten Unterhaltungsdistrikt wachsen, dessen Hotels, Läden und Attraktionen im Jahr mindestens zehn Millionen Besucher aus dem Umland anziehen.

Versorgt wird die Stadt ausschließlich von erneuerbaren Energiequellen. Sie werde als Paradebeispiel für nachhaltige Urbanität dienen, schwärmt Hays, dessen Firma Grow Holdings bis jetzt nur fünf feste Angestellte beschäftigt, den Chef und seine Frau eingeschlossen. In das Milliardenprojekt, an dem mehr als 200 Berater beteiligt waren, hat er nach eigenen Angaben bisher 15 Millionen Dollar seines eigenen Geldes gesteckt, vor allem für Grund und Boden. „Jeder wird dort hinziehen wollen. Wo sonst kann ich mir für 275.000 Dollar ein großes Haus leisten, nichts für meinen Strom bezahlen, gute Schulen, eine neue Universität und grüne Verkehrsmittel nutzen und so den kalifornischen Traum des 21. Jahrhunderts leben?“, fragt Hays. Er sieht seine Stadt vor allem als guten­ Wohnort für Telearbeiter, die für große TechFirmen in Ballungszentren werkeln. Für Dirk Ahlborn ist die Retortenstadt zwischen ausgedörrten Wiesen, Tomatenplantagen und Mandelhainen der ideale Standort für eine erste Teststrecke. Nach ersten Gesprächen im Jänner war er sich mit Hays schon Ende Februar einig, einen Vertrag abzuschließen. Grow Holdings stellt ihm Land im Wert von acht Millionen Dollar zur Verfügung, auf dem HTT eine rund acht Kilometer lange Schleife bauen und betreiben wird. Das dazu notwendige Kapital von rund 100 Millionen Dollar will Ahlborn noch in diesem Jahr mit einem Börsengang einsammeln. „So wird die erste Hyperloop-Strecke Teil einer wirklichen Gemeinde und zu einer Touristenattraktion, anstatt irgendwo einsam in der Wüste zu stehen“, sagt der Exildeutsche.

Über Stock und Stein Studenten tüfteln an der schnellsten Trasse zwischen Los Angeles und Las Vegas. Jeder Geländetyp dazwischen verlangt nach eigenen Lösungen. In der Wüste, wo viel Platz ist, wird die Kapsel ihre Höchstgeschwindigkeit erreichen.

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Schnell in der Wüste

Langsamer zwischen den Bergen

In den Straßen von L. A.


Eine Vision aus Styropor und Holz

Der Prototyp. Ahlborn in einem Versuchsaufbau. Damit soll die Bequemlichkeit der Hyperloop-Kapsel optimiert werden.

Dirk Ahlborn Gründer und CEO von Hyperloop Transportation Technologies

Foto: Joe Schmelzer; Illustration: UCLA Hyperloop Suprastudio

Der gebürtige Deutsche treibt das Milliardenprojekt mit freiwilligen Mitarbeitern voran, denen er Aktienoptionen verspricht.

Die Kapsel in Aktion: Wie Monitore im Inneren der fensterlosen Kapsel die Umgebung zeigen. Link zum Video: www.terramatermagazin. com/videos

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Beschleunigung auf 1.220 km/h

13,67 s Konstante Geschwindigkeit 483 km/h

Abbremsen von 483 km/h auf Stillstand

Las Vegas

20,98 s Konstante Geschwindigkeit 483 km/h Bremsen von 1.220 km/h auf 483 km/h

A: Streckenprofil in Los Angeles.

20,98 s

D

1.000 Meter Seehöhe

Los Angeles

B: Unter dem Antelope Valley.

C

C: Über die Berge.

Kurvenradius: 3,7 km Höchstgeschwindigkeit: 483 km/h

Hyperloop-Trasse

22,5 km 1.220 km/h

Steigung > 6% 1.280 m

1.000 m 50 km

11,2 km 885 km/h

D: Durch die Wüste.

1.321 m Steigung > 6%

72 m

Routenplanung. Noch vor der Lösung wichtiger technischer Fragen denken die Kalifornier schon über den Streckenverlauf nach. Wo möglich, wollen sie die Trassen von bestehenden Verkehrswegen nutzen.

1.280 Meter Seehöhe

B

A

20,98 s

Konstante Geschwindigkeit 1.220 km/h

Beschleunigung von 0 auf 483 km/h

Von L. A. nach Las Vegas in 43 Minuten und 50 Sekunden

100 km

150 km

200 km

250 km

300 km

350 km

400 km

450 km

515 km

Auf Stelzen und durch Tunnel. Der Vorteil dieser Route liegt in der Wüste: Über die Hälfte der Trasse verläuft durch dünn besiedeltes Gebiet, wo sich keine Anrainer über eine neue Verkehrsader beschweren – und wo die Kurven so große Radien haben, dass die Kapsel fast Schallgeschwindigkeit erreicht. Ein Autofahrer aus L. A. braucht bis Las Vegas zirka fünf Stunden.

Die Schleife wird zwei Bahnhöfe im Norden und Süden der Stadt haben und soll den viel befahrenen Highway an zwei Stellen gut sichtbar überqueren – eine hervorragende Eigenwerbung für die futuristische Technologie. Von Spitzengeschwindigkeiten jenseits der 1.000 km/h kann hier natürlich noch keine Rede sein, dazu ist die Strecke zu kurz, und die Kurven sind zu eng. Aber um Rekorde geht es in Quay Valley auch nicht, sondern darum, einen Präzedenzfall zu schaffen. Ohne Passagiere sollen die Kapseln im Testbetrieb immerhin auf rund 320 km/h beschleunigt werden. „Wir wollen der Welt zeigen, dass man einen Hyperloop mit heute bestehender Technologie bauen kann. Sobald die Strecke läuft, wird es nicht lange dauern, bis irgendjemand auf der Welt eine richtige Langstrecke baut“, ist Ahl-

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born sicher. Anfragen gäbe es bereits aus Asien, Europa, Südamerika und dem Nahen Osten. Das Geschäftsmodell bereitet ihm ebenso wenig Sorgen. „Bei einer Strecke wie San Francisco nach Los Angeles gehen wir von einem Fahrpreis von 30 Dollar aus. Aber wer sagt, dass ich mir für den Hyperloop überhaupt ein Ticket kaufen muss?“ Internetfirmen, die ihre Dienste von Spielen bis E-Mail im Gegenzug für Nutzerdaten und gezielte Werbung gratis anbieten, sind für den HTT-Gründer das Vorbild, wie sich der Betrieb des Hyperloop alternativ finanzieren ließe. Fenster gibt es in der mannshohen Kapsel ohnehin keine, also kann man den Passagieren Werbung zeigen, Unterhaltungsprogramme verkaufen oder sie kostenlos zu großen Einkaufszentren befördern, wenn Einzelhändler die Reise sponsern.


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Foto: Joe Schmelzer; Illustration: UCLA Hyperloop Suprastudio

Oder der Kunde kauft sich ein Transport-Abo, das alle möglichen Beförderungsmittel beinhaltet. ­„Ridesharing-Anbieter und die Tests autonomer Fahrzeuge machen vor, wie persönlicher Transport von morgen aussehen wird“, skizziert Ahlborn seine Vision: „Ich bestelle mit dem Smartphone ein Roboter-Taxi, das mich zum Bahnhof bringt, wo ich in eine Hyperloop-Kapsel umsteige. Das revolutioniert das Stadtleben.“ Ähnlich überschwänglich sieht das Ahlborns Konkurrenz, die seit diesem Frühjahr in ein Lagerhaus in der Innenstadt von Los Angeles eingezogen ist und noch lauter trommelt als er. Hyperloop Technologies hat sich nicht nur einen zum Verwechseln ähnlichen Namen ausgesucht, sein Gründertrio prahlt auch mit engen Verbindungen zu Elon Musks Firmenimperium und dem Weißen Haus. So arbeitete Cheftechnologe Brogan BamBrogan­vorher bei Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX. Der zweite im Bunde, Shervin Pishevar, ist ein schwerreicher Venture-Kapitalist und Investor im ebenso prominenten wie kontroversen Taxiunternehmen Uber, während Jim Messina stellvertretender Stabschef von Präsident Barack Obama war. Die drei werben damit, das Ohr des Vaters des Hyperloop und Zugang zur politischen Führung zu haben, die auf zukunftweisende Technik setzt. Mit 8,5 Millionen Dollar Startkapital im Rücken ist die Neugründung gerade dabei, weitere 80 Millionen einzusammeln und Experten an­ zuwerben, um ihre Version umzusetzen. Dabei betonen die Chefs, dass sie sich anfangs auf Überschall-Beförderung von Fracht konzentrieren wollen. Dem Vernehmen nach soll eine Teststrecke in Texas entstehen, vielleicht in Zusammenarbeit mit SpaceX. Detailfragen wollte bei Hyperloop Technologies niemand beantworten. Klar ist jedoch, dass die Truppe eine Aufholjagd vor sich hat, Ahlborns virtuelle Gemeinde hat fast zwei Jahre Vorsprung. Der Deutsche sieht die Konkurrenz deshalb noch gelassen: „Wir haben einen Vertrag über eine Teststrecke, wir haben Patente. Uns einzuholen kostet ein Vermögen. Aber grundsätzlich freue ich mich, dass wir nicht allein sind. Das zeigt, dass der Hyperloop kommt.“

Dass allerdings schon in naher Zukunft Passagiere in den Genuss der rasenden Rohrpost kommen, bezweifeln Experten. Es gibt zu viele gesetzliche Hürden und ein zu dichtes Geflecht bestehender Transportmittel, um den „fünften Modus“ in seinem Geburtsland aus dem Boden zu stampfen. „Statt Amerika bieten sich Länder wie China oder Indien mit großer Bevölkerung und Nachholbedarf bei der Infrastruktur an. Selbst in Afrika ergibt ein Hyperloop Sinn: Modernste Technologie hilft, den Status quo mit einem großen Satz zu verbessern, ähnlich wie beim Mobilnetz“, sagt Jordan Brandt, der beim SoftwareUnternehmen Autodesk in San Francisco arbeitet. Er wird dafür bezahlt, beim führenden Hersteller von Designprogrammen für Architekten und In­ genieure weit in die Zukunft zu blicken. Brandt erarbeitete bereits im Sommer 2013 eine viel beachtete Konzeptstudie, die beleuchtet, wie eine 600 Kilometer lange Hyperloop-Trasse in nur zweieinhalb Jahren hochgezogen werden könnte. Sein Vorschlag: Mobile Roboter bewegen sich entlang der Strecke und spinnen dabei Quay Hays Immobilieninvestor aus Los Angeles Er hat 15 Millionen Dollar in ausgedörrte Wiesen investiert, um weitab großer Zentren eine neue Stadt aus dem Boden zu stampfen. Eine Hyperloop-Teststrecke im Ortsgebiet soll Touristen und Investoren locken.

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Weil sein Arbeitgeber Software für Architekten und Ingenieure vertreibt, kennt er viele fantastisch wirkende Projekte. Er würde lieber Rohstoffe in Pulverform durch Rohrleitungen jagen.

Neue Tunnelvision. Anstatt die Rohre aus Stahl anzufertigen, will Jordan Brandt Roboter einsetzen, die die Tunnel vor Ort aus Kohlenstofffaser spinnen.

eine­luftdichte Röhre aus Kohlenstofffasern, bei der beide Röhren wie eine große Acht übereinander abgesteppt werden. Der Zukunftsforscher weiß, wovon er spricht, denn das Programm Autodesk wird weltweit für den Entwurf komplexer Gebäude und Maschinenteile verwendet, von Autobahnkreuzen bis zum Elektromotorrad. Das Unternehmen stellt auch Ahlborns Heer an Mitarbeitern kostenlose Li­ zenzen seiner Software zur Verfügung. „Die für Hyperloop nötige Technik benutzen wir seit Jahren, etwa in der Luft- und Raumfahrt“, erklärt Brandt. „Es geht nur darum, mit größeren Maschinen größere Röhren zu weben.“ Obwohl: Kohlenstofffasern wären im Vergleich zu den Stahl­ röhren, die in Quay Valley verwendet werden sollen, ein teures Unterfangen. Der Futurist, der mit Ahlborn und Hodgetts in regelmäßigem Kontakt steht, sieht für den Hyperloop freilich eine andere Zukunft als den Personentransport voraus. Er glaubt, dass sich die Technik am besten für blitzschnelle Frachtbeförderung eignete, nicht nur für Stückgut, sondern vor allem für Materialien in Pulverform wie Plastik, Keramik und Metallstaub. Diese Materialien würden in einer Vakuumröhre wie Flüssigkeit fließen und könnten Tausende von 3D-Druckern an großen wie kleinen Industriestandorten füttern, eine Technologie, die unter dem Begriff „Industrie 4.0“ als Zukunft der dezentralen Fertigung gehandelt wird. Solche kleineren Rohrpostleitungen, beschreibt Brandt seine Vision, ließen sich relativ einfach verlegen, ähnlich einem Glasfaserkabel oder einer­ Gaspipeline, um Rohstoffe für die Volkswirtschaft der Zukunft im Handumdrehen anzuliefern. Ganz neu ist diese Vorstellung nicht: Der amerikanische Science-Fiction-Autor Neal Stephenson beschrieb derar­t ige Leitungen schon 1995 in seinem Roman „Diamond Age. Die Grenzwelt“. Selbst wenn aus der Vision für den Hyperloop am Ende etwas anderes als die Personenbeförderung mit Überschallgeschwindigkeit werden sollte, sagt Brandt, sind Pioniere wie Hodgetts und Ahlborn auf dem richtigen Weg: „Sie treiben die Grenzen des Möglichen und Vorstellbaren voran. Davon profitieren alle.“

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Fotos: Joe Schmelzer

Jordan Brandt „Futurist“ bei Autodesk in San Francisco


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