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LEGENDEN & LEIDENSCHAFT

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ELEKTRO OLDTIMER

ELEKTRO OLDTIMER

Keine bevorzugte Marke, keine bevorzugte Kleidung, kein bevorzugter Stil. An dieser Stelle sprechen wir einmal über Manufakturen, Individualität und Unvernunft.

Text: Joachim Fischer ∙ Fotos: Hersteller

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Der aktuelle Trend auf dem Motorradmarkt heißt Custombike, Cafe Racer, Scrambler, Roadster oder Bobber. Doch was verbirgt sich hinter diesen hippen Bikes? Welche Motorräder stecken hinter den schicken Bezeichnungen? Was ist überhaupt ein Cafe Racer? Den Erzählungen nach entstanden sie in den 1960er-Jahren in Großbritannien. Motorrad-Rocker trafen sich damals in den Cafés der Vororte wie dem Londoner Ace Cafe. Die Serienmaschinen dieser Zeit wurden fürs Kräftemessen unter Freunden modifiziert. Zu den wichtigsten

Merkmalen zählten flache Lenker, verkürzte Sitzbänke, demontierte Rückspiegel und schnörkellose Tanks für bessere Windschnittigkeit. Wer richtig schnell war, fuhr die Renndistanz vom Café zum nächsten Kreisverkehr und war zurück, bevor die Jukebox die Lieblingssingle zu

Ende abgespielt hatte. Damals wie heute ist es ein Privileg unserer freien Gesellschaft, seinen eigenen Stil zu leben und respektvoll auf die Erwartungshaltung der Mitmenschen zu pfeifen. Alles kann, nichts muss. Leben und leben lassen – fantastisch! Wenn das Streben nach Abgrenzung des Einzelnen aber zur Mode wird, enden alle im Einerlei eines unausgesprochenen Zwangs. An dieser Stelle möchte ich nur ungern das Bild des kunstvoll tätowierten Motorradfahrers strapazieren, Custombikes sind so exklusiv, da sie häufig individuell gefertigt werden, was viel Arbeit erder Flanellhemd trägt und unterm Glitzer seines Jethelms von Biltwell, Hedon Heroine oder Nexx voller Stolz sündhaft teure RolandSands-Felgen durch die Münchner Maximilianstraße rollt. Weil ich Menschen nicht für ihren Geschmack und ihren Lebensstil kritisieren will und mich muss ja auch nicht jeder cool finden. Es ist aber bemerkenswert, wie konformistisch die Besitzer eines In-Bikes am Abend durch die Innenstädte cruisen. In ihrem Äußeren ambitioniert, aber letztlich doch kaum voneinander zu unterscheiden. fordert und von Qualität zeugt

Hautnah erlebt habe ich das bei den Glemseck-101-Festivals. Die Rennen auf der legendären Rennstrecke waren in verschiedenen Klassen angesetzt und in ihrer Unübersichtlichkeit den aktuellen Pandemiebedingungen nicht unähnlich. Der Café-Racer-Sprint für die Heritage-Fans war der Ur-Sprint des 101 mit luftgekühlten Motorrädern. Darüber hinaus gab es noch den Sprint International, den Classic Racer Sprint und die Schnapsglas-Klasse für Bikes mit 50 ccm – sozusagen das Mofarennen für Jedermann. Oder der StarWars Sprint, bei dem Motorräder mit starrem Heck im Mittelpunkt stehen. Insbesondere das Rennen der Sultans of Sprint, bei dem Motorradfreaks und Customizer aus ganz Europa teilnahmen, sorgte für großes Aufsehen. Kopf der Sultans ist der Franzose Sébastien Lorentz von der Lucky Cat Garage. Mit seinem Sprintbeemer fuhr er 2014 die Achtelmeile am Glemseck, danach initiierte er eine eigene Klasse – die Sultans of Sprint gingen erstmals 2016 mit Turbo, Kompressor und Lachgas an den Start. Mittlerweile ist daraus eine europaweite Rennserie entstanden, bei der die gesamte Gefolgschaft der Sultans mitreist. „Wir sind ein internationaler Wanderzirkus und ziehen von Achtelmeile zu Achtelmeile“, so Sébastien. Der „New Heritage“-Trend scheint endgültig ein Massenphänomen geworden zu sein. Unweigerlich frage ich mich: An welchem Punkt haben all die coolen Typen ihre eigene Identität verloren und gegen die Uniform eines Zeitgeistes getauscht? Man könnte jetzt meinen, ich verstehe keinen Spaß, nichts von Kunst und nichts von Motorrädern, sehe das alles zu ernst. Doch das ist nicht der Punkt. Ein lebensbejahendes, freizügiges und extrem breit aufgestelltes Angebot an individuell gestalteten Bikes hat für mich auch nach Jahren nichts an Reiz verloren. Doch selbst die Fotos hier von all den edlen Manufakturen wie den amerikanischen Motorrad Customizern „Revival Cycles“, „Roland Sands“ oder „Titan Motorcycle“ wirken mittlerweile angestrengt. Nennenswerte deutsche „Garagen“ in diesem Bereich wären Hookie co. aus Dresden oder das Münchner Diamond Atelier. In Portugal erwähnenswert ist die Firma Maria Riding Company aus Lissabon. Weltweit aktiv und schon lange in diesem und vielen weiteren Bereichen der „Customizierung“ tätig, von Surfboards, über Motorräder bis hin zu Fahrrädern, Kleidung und Accessoires ist Deus Ex Machina.

Das Wettrüsten hat längst um sich gegriffen. Etablierte Hersteller produzieren Motorräder im Café-Racer-Stil „vom Fließband“, wie etwa eine Triumph die Speed Triple oder Ducati die Monster 1200 oder Kawasaki die Z 900. Und Modelle, die moderne und Retro-Elemente verbinden: Honda mit CB 650 R, Yamaha mit XSR 700 oder Husqvarna mit Svartpilen 701. Dem aktuellen Retro-Trend folgen Royal Enfield Interceptor 650 oder BMW R nineT. Während Die Hersteller von Lackierungen, die Zeichner von Linien, die Schmiede von diese Hersteller schwerer Maschinen zum Beginn der Saison um die ersten Plätze kämpfen, wird in den Bike-Schmieden die Individualität ins Unermessliche getrieben. Da stellt sich abschließend die Frage: Gibt es bei all diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und der umfangreichen Kommerzialisierung überhaupt noch die Möglichkeit, die tradierten Werte und Inhalte des Customizing zu leben und zu bewahren? Blechen und am Umbau beteiligte Handwerker bezeichneten sich zunehmend als Künstler

Männer mögen Sachen, die natürlich, roh und stark sind. Die Arbeit erfordern, einen an seine Grenzen bringen und mit denen „Mann“ sich messen kann

Custombikes sind so exklusiv, da sie häufig individuell gefertigt werden, was viel Arbeit erfordert und von Qualität zeugt

Die Hersteller von Lackierungen, die Zeichner von Linien, die Schmiede von Blechen und am Umbau beteiligte Handwerker bezeichneten sich zunehmend als Künstler

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