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STREITTHEMA IN DER RHEUMATOLOGIE
Biosimilars: Kommt der Austausch durch die Apotheken?
Vor allem in der Rheumatologie nimmt die Bedeutung biotechnologisch hergestellter Arzneimittel (Biologika) zu. Um Kosten zu sparen, werden die Vertragsärzte dabei angehalten, die in der Regel preisgünstigeren Nachahmerpräparate (Biosimilars) zu verordnen. Das klappt auch ganz gut. So sind nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars allein im Jahr 2020 durch die Verordnung von Biosimilars Einsparungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro erzielt worden.* Dennoch beauftragte der Gesetzgeber in § 129 Abs. 1a Satz 3 SGB V den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), Hinweise für die Austauschbarkeit von Biologika durch Biosimilars zu geben, und zwar durch Apotheken! Ein entsprechender Beschluss soll bis August 2022 vorliegen.
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Gegen diese Form der Austauschbarkeit regt sich jedoch massiver Widerstand, und zwar sowohl aus der Ärzteschaft als auch aus Apothekerkreisen. Sehen die Ärzte vor allem die Kontinuität der Patientenbehandlung in Gefahr, dürften sich bei einem automatischen Austausch vor allem die Apotheker mit haftungsrechtlichen Fragen konfrontiert sehen.
Gegenwind von Ärzten und Apothekern
Beide Seiten verweisen darauf, dass Biosimilars nicht mit Generika vergleichbar sind. Letztere werden beispielsweise bei Vorliegen eines Rabattvertrages bedenkenlos anstelle eines Originalpräparats ausgegeben. Hingegen ist die therapeutische Vergleichbarkeit von Biosimilars und ihren Referenzarzneimitteln nicht hundertprozentig gegeben. Da die Wirkstoffe von biologischen Arzneimitteln in lebenden Zellen von Tieren und Pflanzen oder gentechnisch veränderten Organismen gewonnen werden, sind Biosimilars nicht immer völlig identisch mit dem Original(wirkstoff). Zum einen gibt es beim Einsatz von lebenden Zellen natürliche Abweichungen und zum anderen können bereits minimale Veränderungen der Herstellungsparameter Einfluss auf den Produktionsprozess haben. Zwar kann bei allen Biosimilars, die mit Bezug auf dasselbe Referenzarzneimittel die Zulassung erhalten haben, auf Grundlage der Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit durch die Zulassungsbehörde grundsätzlich von einer therapeutischen Vergleichbarkeit ausgegangen werden. Dennoch besteht bei einer Umstellung ein erhöhter Beratungs- und Aufklärungsbedarf gegenüber dem Patienten.
Problemfelder Beratung, Erklärung und Nachverfolgbarkeit
Dies ergibt sich auch aus der Neufassung der Arzneimittelrichtlinie (AMRL). Gemäß § 40a Abs. 3 Satz 4 AMRL soll der behandelnde Arzt den Patienten über die Gründe der Umstellung auf ein Biosimilar informieren. Liegen dabei patientenindividuelle medizinische Gründe vor, die gegen den Wechsel auf ein anderes, „biosimilares“ Präparat sprechen, wie beispielsweise erwartbare Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten oder auch eine bestehende instabile Therapiesituation, so hat die Umstellung zu unterbleiben.
Darüber hinaus soll nach § 40a Abs. 3 Satz 5 AMRL bei Wirkstoffen, die von Patienten allein appliziert werden, die Handhabung der Applikation des neuen Arzneimittels von dem behandelnden Arzt oder vom medizinischen Fachpersonal demonstriert werden.
Werden nun jedoch die Apotheken dazu berechtigt bzw. verpflichtet, die Umstellung in eigener Verantwortung durchzuführen, stellt sich die Frage, ob die in § 40a AMRL genannten Pflichten auf sie übergehen. Um diese jedoch erfüllen zu können, müssten die Apotheker wissen, welche patientenindividuellen Besonderheiten vorliegen. Wie soll das funktionieren? Schließlich haben die Apotheker keinen Einblick in die Patientenakte.
Zudem muss die Umstellung auf ein Biosimilar dem Patienten erklärt werden. Den Apothekern wird dabei eine Beratung übertragen, welche die Qualität eines „Arzt-Patienten-Gespräches“ erreichen soll. Wo soll dieses Gespräch stattfinden? Im Verkaufsraum der Apotheke? Oder im Aufenthaltsraum der
Apothekenmitarbeiter? Ein abgeschlossenes Sprechzimmer, in dem ein vertrauliches Patientengespräch gewährleistet werden kann, werden die meisten Apotheken wohl nicht vorhalten können. Zusammengefasst tragen damit die Apotheken bei einem entsprechenden Austausch die Verantwortung und damit die Haftung dafür, dass der Patient ordnungsgemäß über die Umstellung aufgeklärt wird. Der Arzt wiederum scheint von dieser Pflicht entbunden zu sein, soweit der Austausch ohne seine Kenntnis in der Apotheke vollzogen wird.
Ein weiterer Aspekt ist, dass bei einer so sensiblen Gruppe von Medikamenten Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können. Um diese Nebenwirkungen zu überwachen und nachverfolgen zu können, müssen vor allem die Ärzte die Chargennummer des betreffenden Arzneimittels kennen. Wird aber ein Biologikum in der Apotheke durch ein Biosimilar ausgetauscht, so ist nicht ohne weiteres garantiert, dass der behandelnde Arzt nach einem Austausch über die Chargennummer informiert wird.
Fazit
Nach alledem bestehen große Zweifel, ob der vom Gesetzgeber erteilte Auftrag an den G-BA erforderlich und sinnvoll ist. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie der G-BA bis August 2022 die vorgenannten Probleme lösen wird, es sei denn, der Gesetzgeber zieht noch vor Ablauf der Frist seinen „Auftrag“ zurück. m
*Dtsch Arztebl 2022; 119(8): A-326/B-267
Rechtsanwalt Christian Koller
Kanzlei TACKE KOLLER Rindermarkt 3 und 4 80331 München Tel.: 089 / 18 94 43 30 Fax: 089 / 18 94 43 33 Mail: koller@tacke-koller.de
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Thema: Behandlung von Ukraine-Flüchtlingen
Frage: Wir behandeln derzeit sehr viele Flüchtlinge aus der Ukraine. Ist auch die Behandlung chronischer Erkrankungen wie Rheuma bei Flüchtlingen möglich oder dürfen hier nur akute Behandlungen durchgeführt werden? Sind dabei ASVLeistungen möglich?
Antwort: Soweit eine rheumatische Erkrankung akute Schmerzen verursacht, ist in jedem Fall eine Behandlung nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gerechtfertigt. Dieser Begriff ist nach meinem Verständnis weit auszulegen. Also greift er auch dann, wenn die Behandlung der akuten Erkrankung oder der Schmerzzustände untrennbar eine Therapie des Grundleidens voraussetzt oder bei chronischen Erkrankungen, die sonst akut werden würden. Aber auch Leistungen, wenn deren Behandlung zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind und chronische Erkrankungen vermeiden können, sind erstattungsfähig. Liegt dabei jedoch kein akut behandlungsbedürftiger Fall vor, sind diese Leistungen gemäß § 6 AsylbLG von einer Genehmigung der zuständigen Behörde abhängig.
Hingegen ist eine Aufnahme der Flüchtlinge in die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nicht möglich. Kostenträger für ASV-Leistungen sind die Krankenkassen, hingegen für die Flüchtlinge die Städte, Landkreise und Bezirke. m
RA Christian Koller
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COVID-19 UND RHEUMATOLOGIE
Therapien, Krankheitsrisiken und Impfungen im Fokus
Das Thema COVID-19 drückt der Rheumatologie weiter den Stempel auf. Im Fokus bleiben die Risiken von Patienten mit autoimmunen, entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (AIRD) sowie die Sicherheit und Wirksamkeit von COVID-19-Impfungen. Im Folgenden sei ein kurzer Überblick über die aktuellen Entwicklungen gegeben.
Zu Beginn zu den bei COVID-19-Patienten erprobten Medikamenten aus der Rheumatologie: Nachdem die EMA Ende 2021 erst den bei schwerem COVID-19 getesteten Interleukin6-Rezeptorinhibitor (IL-6-Ri) Tocilizumab (in Kombination mit Glukokortikoiden, GK) und dann den IL-1-Ri Anakinra zugelassen hat, steht diese Zulassung für den von der WHO bereits empfohlenen Januskinase-1/2-Inhibitor (JAKi) Baricitinib noch aus. Dieser reduzierte in der von Peter Horby, Oxford (Großbritannien), und Kollegen vorveröffentlichten RECOVERY-Studie die Mortalität von mit schwerem COVID-19 hospitalisierten Patienten (12 vs. 14 %; adj. Rate Ratio, RR 0,87) sowie Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung und erhöhte die Chance, nach 28 Tagen lebend aus der Klinik entlassen zu werden. Die für Baricitinib demonstrierten Vorteile blieben jedoch deutlich hinter jenen früherer Studien zurück. Ein Grund hierfür könnte die sehr gute Standardtherapie (zu 95 % Dexamethason, 23 % mit Tocilizumab und 20 % mit Remdesivir) sein. (1) Kein Nutzen wurde hingegen für den JAKi Ruxolitinib in der Phase-III-Studie RUXCOVID nachgewiesen. (2)
Dass das Risiko von AIRD-Patienten für eine COVID-19-Infektion (RR 1,53) und auch die Mortalität (Odds ratio, OR 1,74) erhöht sind, ergab eine große Metaanalyse von Experten der Global Rheumatology Alliance um Richard Conway, Dublin (Irland) und Evelyn Hsieh, New Haven (USA). (3) Die bislang größte Analyse zu Kindern und Jugendlichen mit AIRD – unter Nutzung von Daten aus den EULAR COVID-19- und CARRA-Registern sowie der COVID-19 Global Paediatric Rheumatology Database von Kimme Hyrich, Manchester (Großbritannien), und Kollegen ergab, vorwiegend Patienten juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) einschließend, eine relativ niedrige Hospitalisierungsrate (7 %). Höher war wie bei Erwachsenen das Risiko bei systemischem Lupus erythematodes, Mischkollagenosen und Vaskulitiden (OR 4,3), autoinflammatorischen Syndromen (OR 3,0) und Adipositas (OR 4,0). Biologika schienen nicht mit einem schlechteren Verlauf assoziiert zu sein. (4) Auch bei Jugendlichen mit AIRD ist von einer guten Wirksamkeit (und Sicherheit) der mRNA-Imfungen auszugehen, die aber bezüglich des humoralen Ansprechens nicht ganz an das Niveau bei gesunden Jugendlichen heranreicht, berichteten israelische Experten um Merav Heshin-Bekenstein, Tel Aviv. (5)
Eine Studie zu nicht-vakzinierten AIRD-Patienten von David Simon und Georg Schett, Erlangen, ergab, dass mit bDMARDs behandelte Teilnehmer eine niedrigere Prävalenz von SARSCoV-2-Antikörpern aufwiesen, nach der Infektion seltener serokonvertierten und ein weniger langlebiges humorales Ansprechen zeigten. (6) Dass AIRD-Patienten mindestens drei mRNA-Impfungen benötigen, bestätigen Julie J. Paik, Baltimore (USA) und Kollege, die nach der Booster-Impfung bei 92 % ein verbessertes humorales Ansprechen feststellten. Insbesondere Patienten auf Rituximab und Mycophenolat Mofetil (MMF) sind dringliche Kandidaten für eine vierte Impfdosis (also einen zweiten Booster). (7) Deutsche Experten um Robert Biesen, Berlin, kommen auf Basis einer retrospektiven Studie zu der Schlussfolgerung, dass bei Patienten auf Methotrexat (MTX) das humorale Ansprechen erniedrigt und eine 10-tägige Pause nach der Impfung empfehlenswert ist, um die Chance ausreichend hoher Antikörpertiter zu wahren. (8) m
Quellen:
1 medRxiv 2022; doi: 10.1101/2022.03.02.22271623 2 Lancet Rheumatol 2022; doi: 10.1016/S2665-9913(22)00044-3 3 Arthritis Rheumatol 2022; doi: 10.1002/art.42030 4 Ann Rheum Dis 2022; doi: 10.1136/annrheumdis-2022-222241 5 Rheumatology 2022; doi: 10.1093/rheumatology/keac103 6 Arthritis Rheumatol 2022; doi: 10.1002/art.42035 7 Lancet Rheumatol 2022; doi: 10.1016/S2665-9913(22)00065-0 8 Ann Rheum Dis 2022; doi: 10.1136/annrheumdis-2021-221876