Verschieden sein
Die große Welt im kleinen Bus Ich mag Busfahren. Nicht immer, das ist klar, aber an den meisten Tagen finde ich, es gibt keine bessere Gelegenheit, viele verschiedene Menschen zu beobachten. Da ist der kleine Mann. Täglich pendelt er mit mir, immer ein E-Book vor der Nase. Nur freitags zieht er einen Trolley hinter sich her, dann geht er ins Wochenende. Aber wo geht er hin? Hat er eine Frau und fünf Kinder im Sauerland? Eine Oma in Hamburg? Oder einen Liebsten in München? Dann die stille Frau mit dem feinen Kopftuch und den ruhigen, dunklen Augen. Ihre kleine Tochter sitzt im Kinderwagen und quasselt und lacht und macht Faxen. Sie wendet sich ihrem Kind zu, so ruhig, so liebevoll, so humorvoll. Und als das Mädchen Kontakt zu anderen Fahrgästen aufnimmt, unterstützt sie das, alles auf ihre zurückhaltende, freundliche Art. Eine andere Mutter treffe ich manchmal, ganz anders. Vermutlich hat sie kein Einser-Abi in der Tasche und ihre beiden Kinder, Bruder und Schwester, kämpfen ständig und lautstark um Aufmerksamkeit. Sehr jung ist die Frau und so großartig, dass es auffällt! Sie erklärt und schlichtet, sie achtet auf die Spielregeln und unterhält sich mit den beiden. Über die Kindergartenfreunde und den geplanten Geburtstag, über verlorenes Spielzeug – was auch immer. Ich denke, wie kann man schon früh am Morgen so starke Nerven haben? Verschiedene Sprachen gibt es reichlich zu hören im Bus und man rätselt, welche es sein mag. Und freut sich am Klang und an der Vielfalt. Sämtliche Haar-, Augen- und Hautfarben sind vertreten, es gibt Dicke, Dünne, Lange, Kurze, konservativ gekleidete, Freaks und die Mainstream-Masse. Wenn man so darüber nachdenkt, fehlen vermutlich nur die Superreichen, um einen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden. Aber von denen gibt es prozentual auch nicht so viele.
Illustration: kubko
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Über Handy-Telefoniererei im öffentlichen Raum kann man sagen, was man will: Manchmal ist es einfach nur unterhaltsam! So tiefe Einblicke in das Seelenleben von Fremden bekommt man selten. Es scheint, als würden die Leute denken, sie trügen eine unsichtbare Telefonzelle mit sich herum. Die schweigende Mehrheit tut, was sie muss. Sie schweigt. Und schaut dabei aufs Display. Manchmal ist Busfahren auch anstrengend. Akustisch und olfaktorisch. Die No-Poo und No-DeoBewegung befindet sich komplett im Irrtum. Stinken ist nicht zumutbar. Bei 30 Grad im Sommer grenzt Geruchsbelästigung an Körperverletzung. Wobei – warum tun die Leute das? Freiwillig? Oftmals nicht… Manche machen auch komische Dinge. Bürsten sich die Haare und feilen ihre Nägel, tragen Schuhe dick mit Pferdemist dran und halten ihre nicht aufgerauchte Zigarette in der Hand. Doch passiert dann etwas Unvorhergesehenes, merkt man, dass all diese verschiedenen Menschen doch eine Gemeinschaft bilden. Einmal hat
Lütte Piraten, ahoi!
sich der Busfahrer verfahren. Zuerst gucken sich alle ratlos an. Dann weist ein Mutiger den Busfahrer darauf hin. Dieser wendet in mindestens 10 Zügen. Und als das geglückt ist, gibt es Szenenapplaus! Ein Erlebnis werde ich niemals vergessen. Es fand in den 90ern statt, ist aber hochaktuell. Zwei Glatzköpfe bedrängen einen Mann. Sie piesacken ihn. „Ey was bist´n du? Türke? Bist‘n Scheiß Kanacke, ne? Jetzt sag mal! Oder‘n Araber?“ Ich stehe schon auf. Da sagt der Mann mit einer grenzenlosen Würde: „Ich bin ein Mensch.“ In diesem Sinne bleibe ich dabei: Ich mag Busfahren. Zusammen mit all den anderen Menschen. Angela Wiesmann ist Teil der Kinderkram-Redaktion, studierte Pädagogin und gelernte Erzieherin. Zwei Töchter und einige andere Kinder begleitet sie durchs Leben und lernt dabei immer noch hinzu!
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Kinderkram Nr. 217 · März 2020
