Ausgabe zehn · Juni bis August 2011 · kostenlos
s Narzissmus (1): Gebrochene Herzen s Schwächling (1): Anfängerfehler s Schulschwänzer: Aussparen, Lückenlassen s Urlaub (1): Gruppenreise all inclusive s Restleben: Sonden in Gropiusstadt s Bonbon-Biester: Alles dramatisch s Diva (1): Die B-Seite der Greatest Hits s Urlaub (2): Juckreiz, Fieber, Dämmerzustand s Aha-Erlebnis: Im „Schweineladen“ s Diva (2): Eis am Knie s Nachwehen: Téchiné statt Fassbinder s Narzissmus (2): Der Megalomaniac s Diva (3): Vergeblicher Liebeskampf s Schwächling (2): Bloß kein Method Acting!
Krebitz Nicolette
Jella Haa se
Sarah Horvรกth
a Thomas Wodiank
ein Film von Ziska Riemann
im ab 25. August
Kino
vorspann
Sissy zehn Narzissten und Diven sind die HeldInnen der zehnten SISSY, Schwächlinge, Biester, Unberührbare, Südstaatengewächse, Krawallschachteln und Heulsusen. Das Queerkino mag gerade nicht von Mr. & Mrs. Normal erzählen, von den Angepassten, die sich mit einem Stückchen des Gesellschaftskuchens begnügen – sondern entdeckt das Potential widerspenstiger Geschlechterrollenspieler als Herausforderung für Gesellschaften, Geschichten und filmische Formen. Obwohl die SISSY ja eigentlich keine Fernsehserien bespricht, passt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die erste DVD-Veröffentlichung eines Phänomens, über das gerade die audiovisuell begeisterungsfähigen Homosexuellen in Verzückung geraten wie über schon lange nichts mehr – die Rede ist von der Highschool-Serie Glee (Staffel 1.1 bei Fox). Hier, in einer Welt, in der Jugendliche nur Footballer (sofern sie Jungs sind) oder Cheerleader (sofern sie Mädchen sind) werden können, schließen sich die Außenseiter dieser Ordnung (also Dicke, Schwarze, Behinderte, Asiaten, Schwarze, Schwule …) zu einem Musical-Kurs zusammen, der zwar nur mäßig erfolgreich ist, aber zumindest als Forum gegenseitiger Anerkennung funktioniert. Das Ganze ist SEHR unterhaltsam, setzt auf bösen Wortund schnellen Bildwitz, nutzt effektiv das kollektive Gefühlsrepertoire von Popsongs und die fortschrittsgläubige Verheißung, dass aus jeder/m alles werden kann und lässt sogar darüber hinwegsehen, dass man ganze Folgen mit Lady-Gaga- und Britney-Spears-Programmen ertragen muss.
fox
Glee präsentiert aber auch die tollste Sissy der Fernsehgeschichte: Kurt Hummel, gespielt von Chris Colfer, eine Schwuchtel, wie sie der homophobste Mensch sich nicht besser aus- Chris Colfer als Kurt Hummel denken könnte: klein, dünn, reich, intrigant, ein blasierter Besserwisser mit hoher Stimme, der sich mit absoluter Selbstüberschätzung für alles zuständig erklärt, was im Entferntesten mit Fashion zu tun hat. Das Tolle ist: Kurt wächst jedem (10 Millionen allein in den USA), so wie er ist, ans Herz. Er wird nicht geläutert, wird kein „richtiger Junge“, sondern bleibt einfach Kurt und wird dafür respektiert und geliebt. Wie Sissy-Autor Paul Schulz es auf den Punkt brachte: „A Sissy who wins.“ In Staffel 2 kriegt er sogar einen superheißen Freund ab – aber das ist auf dem deutschen DVD-Markt noch Zukunftsmusical.
Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de 3
mein dvd -regal
Robert Schweizer, SISSY-Praktikant 4
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Narzissten unter sich von Sa sch a W e st ph a l
Das Wunderkind Xavier Dolan präsentiert in seinem zweiten Spielfilm die Chronik einer ménage à trois in Gedanken. „Herzensbrecher“ startet am 7. Juli in den Kinos.
s Es muss einfach Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Alles andere wäre auch undenkbar. Schließlich war sie mit einmal da, die Antwort auf alle seit langem schwelenden, aber immer wieder verdrängten Hoffnungen und Sehnsüchte. Jeder von ihnen wusste, dass etwas fehlte in ihrem Leben, dass da eine Leere war, die weiter und weiter wuchs und gefüllt werden wollte. Und nun stand es also vor ihnen, in greifbarer Nähe, das ideale Objekt aller Begierden: bildschön und unberechenbar, impulsiv und geheimnisvoll, ein wenig zu selbstverliebt, aber dabei irgendwie doch ganz natürlich, fast schon unschuldig. Es ist Projektionsfläche und mehr noch Spiegel. Wenn der verklärte, allein von Wunschvorstellungen und Idealen erfüllte Blick des Betrachters auf ihn fällt, dann sieht er im Anderen nichts als seine 6
scheinbar endlich wahr gewordenen Fantasien und Träume, also letzten Endes doch nur sich selbst. So in etwa ließe sich die Grundkonstellation in Herzensbrecher, Xavier Dolans zweitem Spielfilm, beschreiben, der im Original den noch weitaus verräterischeren Titel Les amours imaginaires trägt … die eingebildete Liebe, gleich auch noch in der Mehrzahl, so, als ob es gar keine andere gäbe, und zumindest in der Welt dieses Films gibt es sie auch nicht. Jede Liebe ist reine Imagination, Wunschdenken, das umschlägt in Obsession und Stalking. Doch erst einmal soll hier von einer ganz anderen Liebe auf den ersten Blick die Rede sein. Es muss ein denkwürdiger Frühlingstag gewesen sein, dieser 18. Mai 2009, an dem Xavier Dolans Regiedebüt J’ai tué ma mère
(I Killed My Mother) seine Premiere in Cannes feierte. Die Geschichte des Films, dessen autobiographisch eingefärbtes Drehbuch Dolan mit siebzehn geschrieben und dann mit neunzehn selbst in Szene gesetzt hat, ist mittlerweile eine Legende, genauso wie der Festivalauftritt seines Regisseurs, der zugleich auch noch sein eigener Hauptdarsteller und Produzent war. Seither sind es immer wieder die gleichen Adjektive und Formulierungen, die in den Texten über ihn und seine Filme auftauchen. Er selbst wird als jung und schön, wenn auch ein wenig selbstverliebt und eitel beschrieben. Und das sind dann auch gleich die Etiketten, mit denen J’ai tué ma mère und Les amours imaginaires, der nur ein Jahr später, wieder in Cannes, uraufgeführt wurde, immer wieder gerne versehen werden. Es geht schließlich auch alles so perfekt zusammen: Dolans Alter und der betont jugendliche Habitus seiner Filme, sein Aussehen wie sein Auftreten und die Selbstsicherheit, mit der er sich durch die Geschichte des Autorenkinos zitiert. In einer Welt, die sich nach dem noch nie Dagewesenen verzehrt, die immer auf der Suche ist nach neuen Moden, in der Jugend an sich schon etwas Kultisches hat und also verehrt wird, musste Dolan einfach zum It-Boy der Saison werden, und dass er dann auch noch derart selbstverständlich schwul ist, passte nun endlich auch einmal perfekt ins Bild. Wie schon erwähnt, es war einfach Liebe auf den ersten Blick, und wahrscheinlich hatten weder das Publikum noch die ansonsten eher etwas zurückhaltende Kritik je eine Chance. Der Zauber musste sie einfach erfassen. Schließlich glichen Filmemacher und Werk einer Antwort auf ihre Kinostoßgebete. Mit ihnen wurde wenigstens dem Anschein nach alles real, was zuvor nur als vage Sehnsucht durch Köpfe und Herzen geisterte. Eine große Liebe war geboren … und wie alle welterschütternden Leidenschaften kann auch diese – folgt man Xavier Dolan – nur eine imaginäre sein, eine einseitige Einbildung, die ihr Objekt eigentlich gar nicht berührt und es doch in Krisen und Konflikte stürzen kann. Am Anfang ist der Blick, und der fällt sogleich auf den blond gelockten Nicolas, in dessen rechtem Mundwinkel gerade eine noch nicht angezündete Zigarette äußerst lässig hängt. Er ist ohne Frage der Star dieses Abends unter Freunden. Sie sitzen zwar alle im Kreis um einen runden Esstisch, aber er, der Neue, der gerade aus der Provinz nach Montreal gekommen ist, steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die versammelte Clique von hippen twentysomethings setzt sich für ihn in Szene, und er lässt es sich mit größter Nonchalance gefallen, als wäre er sich seiner Wirkung gar nicht bewusst.
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Die Blicke, die ihn isolieren und die anderen um ihn herum einfach ausblenden, kommen indes aus der Küche, in der Marie und Francis, zwei gleichgesinnte Außenseiter, die glauben, über allem zu stehen, gerade den nächsten Gang zubereiten. Während sie nebeneinander an der Arbeitsplatte stehen und Gemüse schneiden, drehen sie immer wieder den Kopf zur Seite, um Nicolas zu beobachten. Dann geschieht alles in Zeitlupe. Jede seiner so selbstvergessen wirkenden Gesten hat für Marie und Francis etwas Verheißungsvolles, wird zu einem Versprechen. Selbst der Rauch seiner Zigarette steigt in magischen Formen auf. Es ist eben Liebe auf den ersten Blick, auch wenn Marie ihren besten Freund voller aufgesetzter Verachtung fragt, wer denn dieser „selbstgefällige Adonis“ sei. Sie muss ihre Gefühle in Schach halten und die Form wahren … für Francis, aber mehr noch für sich selbst. In Wahrheit ist es da jedoch schon längst um sie geschehen. Wir müssen uns Narcissus als glücklichen Menschen vorstellen. Diese Idee erscheint absurd, geradezu abstrus und abwegig, aber nur wenn wir Ovids Erzählung folgen und uns dessen moralische Haltung zu eigen machen. Der so überaus schöne Jüngling wird das Opfer seines „fühllosen Hochmuts“ (Ovid), er muss dafür bezahlen, dass er all jene, die ihn bedrängt und verfolgt, begehrt und verehrt haben, verschmäht hat. Das mag gerecht erscheinen, ist es aber nicht: Schließlich haben sie alle nicht ihn, sondern allein seine Schönheit geliebt. Sie wollten sie besitzen, denn sie war ein Versprechen, das ihnen Antwort auf ihre Wünsche und Sehnsüchte war. Doch die Moral der Geschichte misst eben mit zweierlei Maß. Also muss er sich in sein eigenes Bild, eine Spiegelung auf der Oberfläche eines Sees, verlieben. Selbst als er sein so nahes und doch unerreichbares
Gegenüber erkennt, kommt er doch nicht von ihm los. Erst der Tod befreit ihn. Die Rache der Götter und der Verschmähten, die sich doch nur selbst belügen, ist wahrhaft grausam. Noch ist es natürlich viel zu früh, um von Xavier Dolans Werk als einem Projekt zu sprechen. Gerade einmal zwei Filme und einige Auftritte in den Arbeiten anderer Regisseure sind noch kein Œuvre. Doch eines zeichnet sich dennoch schon deutlich ab. Immer wieder kreist Dolans Schaffen um den Mythos von Narcissus. In Étienne Desrosiers’ Kurzfilm Im Spiegel des Sommers (2006) spielt er einen modernen Narcissus, einen Jüngling von atemberaubender Schönheit, auf den sich alle Blicke richten, die des älteren schwulen Freundes der Eltern wie auch die von dessen Geliebten. Immer wieder zeigt Desrosiers diesen Julien, wie er ganz im Einklang mit sich und der Welt in einem See schwimmt. Wie einstmals James Bidgood, der mit Pink Narcissus eine ganz private Obsession in ein Meisterwerk des Camps verwandelt hat, frönt auch Desrosiers unzweifelhaft seinen Phantasien, und Xavier Dolan spielt mit. Aber auch wenn dieser doch sehr konventionelle Kurzfilm sich heillos in schon unzählige Male gesehenen Arthouse-Prätentionen verliert und sich damit jeder Vergleich mit Bidgoods UndergroundKlassiker eigentlich verbietet, bleiben diese Bilder von Xavier Dolan im See: Narcissus schwimmt und entkommt seinem Schicksal: „In the waters made holy, an angel he found / With the key to the lock of his chains he was bound“ (Kris Rowley, „Narcissus“). Von allen Künsten war die siebte eigentlich immer schon die narzisstischste. Jeder Star, den sie hervorgebracht hat, hat etwas von Narcissus. Wie der Nymphensohn der griechischen Mythologie, der von Männern 7
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men gibt es nicht, aber das will in Wahrheit auch gar keiner. Auf der Oberfläche hat Niels Schneider als Nicolas die Rolle des Narcissus von Xavier Dolan übernommen, der nun einen der Verschmähten spielt. Doch so einfach war es noch nie mit diesem Mythos. Der schöne Jüngling und seine zurückgewiesenen Verfolger waren letztendlich immer eins: Happiness in stalking, und jeder, vor wie hinter der Kamera, auf der Leinwand wie vor ihr, liebt seine amours imaginaires, seine Projektionen und Wunschbilder. Das weiß Xavier Dolan, und so bietet er sich der rein narzisstischen Schaulust des Kinopublikums als Objekt wie auch als Subjekt an. Er ist Ideal und Identifikationsfigur, unerreichbar und doch eins mit seinen Bewunderern. Nun bleibt abzuwarten, wie lange Dolan ihnen, diesen Traum-Stalkern, noch einen Schritt voraus bleiben kann. Aber zumindest bis es soweit ist, müssen wir uns Narcissus als glücklichen Menschen vorstellen. s
Regisseur Xavier Dolan
genauso begehrt wurde wie von Frauen, zieht auch er die Blicke und Begierden aller auf sich und bleibt davon ganz ungerührt. Aber auch der Betrachter unten im Kinosaal wandelt auf Narcissus’ Spuren: Die Leinwand ist sein Spiegel, auf den sich all sein Begehren richtet. Die projizierten Bilder werden von seinen eigenen Projektionen übermalt. Mit dieser Ambivalenz, diesen beiden Spielarten einer auf sich selbst gerichteten Liebe, spielt Xavier Dolan meisterhaft. Dazu gehört selbstverständlich, dass er sich selbst und sein Äußeres plakativ in Szene setzt: J’ai tué ma mère ist eben nicht nur das Dokument einer obsessiven Mutter-Sohn-Hassliebe, er ist auch ein Liebesbrief, den Dolan sich selbst geschrieben hat. Aber entscheidender ist am Ende dann doch das Spiel, das er mit dem Betrachter treibt. Mit all seinen Verweisen auf die Nouvelle Vague und Wong Kar-wai, die schon sein Debüt prägten und nun in Les amours imaginaires, dieser von Godard-Zitaten durchsetzten queeren Überschreibung von François Truffauts Jules et Jim, noch einmal einen tieferen Resonanzraum erhalten, bedient er virtuos den Cinenarzissmus des globalen Kunstkinopublikums. All die kleinen filmischen Spielereien, die extrem schnellen Zooms in den direkt in die Kamera gesprochenen, pseudo-dokumentarischen Interviewsequenzen, die monochromen Bettszenen sind dabei genauso Teil von Dolans postmodern ironischem Konzept wie all die salopp eingestreuten Kunst- und Pop-Verweise. Natürlich muss die von Monia Chokri gespielte Marie, eine 50 Jahre zu spät geborene Wiedergängerin Audrey Hepburns, in Nicolas gleich Michelangelos David sehen, während für Dolans Francis, diesen James Dean der Post-Histoire, mit ihm die Zeich8
nungen und Skizzen Jean Cocteaus Gestalt angenommen haben. Style ist alles in Dolans Welt- und Lebensentwurf wie in dem seiner beiden spiegelbildlichen Alter-Ego-Protagonisten. Die 60er Jahre werden zum Fluchtpunkt aller Sehnsüchte, die in der profanen Wirklichkeit des frühen 21. Jahrhunderts unerfüllt bleiben müssen: Dalidas italienische Version von „Bang Bang“ ist nicht nur der ideale Soundtrack eingebildeter Liebe, sie ist auch das grandiose Vintage-Leitmotiv eines Rückzugs in die Vergangenheit, in eine Zeit der überhöhten und idealisierten Gefühle. Retro ist die einzige Zukunft, die noch bleibt, zumindest für den Schwärmer Dolan und all die, die wiederum ihn umschwärmen. Wieder und wieder stehen Marie und Francis vor Spiegeln, vertieft in ihr eigenes Antlitz. Ihre Blicke in den Spiegel sind wie ihre Blicke auf Nicolas, daran lässt Xavier Dolan keinen Zweifel. Darin liegt ihr Schmerz, aber letzten Endes eben auch ihr Glück. Ein Jahr danach, ihre Kämpfe um das gemeinsame Objekt ihrer Begierde sind Vergangenheit und nur mehr Stoff für launige Anekdoten, werden sie Nicolas auf einer Party zufällig wiedertreffen. Von ihrer Leidenschaft ist nicht mehr übriggeblieben als Hohn, dem Francis dann auch in bizarren Lauten Ausdruck verleiht. Die Verschmähten verschmähen ihn, um sich wenige Momente später schon gemeinsam einem neuen Nicolas zuzuwenden. Wie sie zusammen in Zeitlupe – wie sollte es auch anders sein – auf ihn zugehen, hat etwas beinahe Raubtierhaftes. Dazu erklingt noch einmal Dalidas „Bang Bang“. Das Spiel kann von vorne beginnen. Ein riesiges Spiegelkabinett des Narzissmus, so ließe sich Les amours imaginaires wohl am besten beschreiben. Ein Entkom-
Herzensbrecher von Xavier Dolan CA 2010, 95 Min, DF/OmU Kool Film, www.koolfilm.de Im Kino ab 7. Juli 2011
Pink Narcissus von James Bidgood US 1971, 71 Min, ohne Dialog Beide auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de
I Killed My Mother von Xavier Dolan CA 2009, 100 Min, DF/OmU Auf DVD bei Kool Film, www.koolfilm.de
Im Spiegel des Sommers von Étienne Desrosiers CA 2006, 14 Min, OmU erschienen auf „Junge Helden“
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die unberührbaren von E k k e h a r d K nör e r
Hugo Vieira da Silva präsentierte dieses Jahr seinen zweiten Spielfilm „Swans“ auf der Berlinale und spaltete damit das Publikum. Ganz sicher passt sein Film nicht zur momentanen Forderung nach Figuren, die ihre Gefühle für jeden verständlich nach außen tragen. Aber wer sich auf die physische Bewegung der vier Hauptfiguren durch diesen Film einlässt, wird mit grandiosen Momenten und einer ganz eigenen Variation des Coming-of-Age-Films belohnt. 10
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s Auf ein klassisches kleinfamiliales Dreieck aus Vater, Mutter, Sohn ist Hugo Vieira da Silvas zweiter Langfilm Swans konzentriert: Aber wie ist das Dreieck hier derangiert. Vater und Sohn kommen an, Berlin Tegel, mit der präzis schräg kadrierten Einfahrt des Flugzeugs auf seinen Stellplatz beginnt von oben zwar, aber nicht himmelnah oben der Film. Darauf die Fahrt in die Stadt mit dem Taxi. Ähnliche Fahrten werden folgen, die wiederholte Bewegung durch den Stadtkörper mit der Hochbahn, dem Auto, auch dem Skateboard. Erkundet aber und erschlossen wird der Raum der Stadt dabei nicht. Dies alles ist nicht der Beginn einer Geschichte, gewinnt keine narrative Dynamik. Es wird sich bewegt und dann nicht. Vater und Sohn bleiben so wie so Fremdkörper, sitzend, stehend, liegend; fahrend, skatend, gehend. Swans konjugiert Formen der Bewegung, die doch stets auf ein unbewegliches Zentrum verweisen. Aus Portugal kommen sie, dem Land, aus dem auch der seit längerem in Berlin lebende Regisseur stammt. Der Vater, Tarso (sehr unerwartet: der sonst eher im Fernsehen und Kommerzkino anzutreffende Ralph Herforth), arbeitet im Import-Export-Gewerbe, er kauft Autos in Deutschland, die er in Portugal mit Gewinn wieder verkauft. Der Sohn, Manuel, ist ein Skater (gespielt vom Skater Kai Hillebrand), ein sehr virtuoser, von einem Sponsor ist die Rede, auch davon, dass es der Vater ist, der seine Miete bezahlt. Im Zentrum des Films jedoch steht die Ex-Frau des Vaters, die Mutter des Sohnes, der jedoch keine Erinnerung an sie hat. Man muss genauer auch sagen: Die Mutter steht nicht, sondern liegt. Sie ist nach einer aggressiven Krebs-Chemotherapie ins Koma gefallen; nicht bei Bewusstsein, komplett immobil. Durch lange und abweisende Gänge und Flure tief im Inneren des Krankenhauses gelangt man, zu Fuß, mit dem Skateboard, ins Krankenzimmer. Dieses Zimmer ist ein Raum des Schweigens, rudimentärer Geräusche. Das Piepen des Herzschlagüberwachungsgeräts, das Atmen, mehr nicht: ein Rest von Leben. Ein Mensch als bloßer Körper, kaum mehr adressierbar, in keine Kommunikation integrierbar. An diesem Körper, der liegt, der atmet, der berührbar ist, aber nicht spricht, zerfällt in Swans alles Soziale, die mögliche Nähe zwischen Vater und Sohn. Weil dieses Soziale blockiert ist (sie spricht nicht, sie lässt sich nicht sprechen machen, was immer die beiden versuchen) wird durch die fetischistische Aufladung der Zerfallsprodukte – Bewegung, Berührung, Geräusche – ersetzt. Zwischen Vater und Sohn fallen zwar Worte. Der Wunsch des Vaters, ins Gespräch zu kommen, den Sohn zu verstehen, ist spürbar. Zu sehen, wie der Wunsch frustriert wird, wie der Vater es immer genau falsch anstellt zwischen Vorwurf und Anbiederung, ist eine Qual. Meist sehen sie fern, in der Fremde Berlins, in der unvertrauten Wohnung, es läuft eigentlich immer Sport: Eisstockschießen, Golf, Tennis. Dem einen Pol, dem des Immobilen, steht ein anderer gegenüber, der einer geradezu übertriebenen Mobilität. Sport im Fernsehen und das Skateboardfahren des Sohnes in einer für Skater eingerichteten Halle. Zweimal sucht der Sohn diesen Gegen-Ort der Bewegung auf, grandios, wie Kameramann Reinhold Vorschneider das filmt. Die Kamera liegt ganz tief, fährt, schwenkt, in einer Bewegung, die so fließend und dann so abrupt abgehackt ist wie die des Skatens: ein Gleiten, ein Stoppen, der Sprung. Sie schmiegt sich an und bleibt doch auf Distanz, kommt der Bewegung selbst nah und ist, selbst bewegt, nicht dieselbe Bewegung, bleibt ihr dissoziiert. Mit Kopfhörern, lauter, harter Musik, auf der Tonspur des Films ebenfalls voll aufgedreht, skatet Manuel. Er macht Pause, einer setzt sich neben ihn, kurzes Gespräch. Ein Aufkleber, auf die Unterseite des Skateboards geklebt, eine Kontaktaufnahme. Hier könnte sich eine Geschichte anbahnen, hier könnte der Anfang liegen von etwas, das dann weitergeht, das diesem Film, dieser Figur eine Zukunft, einen anderen Horizont öffnet. Der Sohn wird einen Plattenladen besuchen, durch eine Wald-Fototapete in den Hinterraum gehen, in eine Bandprobe geraten, ein paar Worte wechseln, dann wird er gehen, nichts 11
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wird daraus folgen. Kontaktaufnahme gescheitert. Der fast leblose Körper hält alle und alles in seinem Bann. Swans zeigt Menschen, die sich nicht in Räume fügen und darum viel grundsätzlicher nicht in die Welt. Daraus folgt eine doppelte – man kann es kaum anders sagen – Pathologie. Weil sie, Manuel insbesondere, keinen Halt suchen, sich den Dingen und der Mitwelt nicht zuwenden, treiben sie und werden getrieben. Es leuchtet sehr ein, dass Hugo Viera da Silva das Verhältnis, das so entsteht, auf der anderen Seite als ein Verhältnis der Fetischisierung beschreibt. Soll heißen: Unbelebte Gegenstände werden zum Faszinosum, zu Objekten des Begehrens. Hier vor allem: eines Berührungsbegehrens. Die Zahnseide, eine Metallkette, Kleidungsstücke und Stoffe, eine Batman-Maske (und, letzten Endes, der restlebendige Körper der Mutter): Manuel blickt darauf, greift danach, reibt sich daran. Keineswegs renkt sich aber das Weltverhältnis in diesen sinnlich-taktilen 12
Kontakten wieder ein. Die Dinge sind von ihrer Funktion im alltäglichen Umgang, von den menschlichen Körpern, denen sie zugehörten, getrennt und gelöst und werden als unbelebte und „tote“ fetischistisch – also ohne gelingende Reintegration – wiederbelebt, in einen Zwischenzustand zwischen tot und lebendig überführt. Zombies in Gropiusstadt. Der Lust an der Berührung setzt sich der Film in einer weiteren grandiosen Szene aus, und zwar in fast ins Groteske verschobener Weise. Der Vater fährt mit dem gerade erworbenen Auto in die Waschanlage. Minutenlang wird das Auto da von der Dreh-, Rubbelund Schaumapparatur bearbeitet. In diesem Film gibt es nur Onanie (Manuel auf dem Bett, sein von der eigenen Hand bearbeiteter Schwanz im Zentrum des Bilds geradezu unverschämt ausgestellt) und Autosex. Für den Vater/den Zuschauer allerdings bleibt stets die Scheibe dazwischen. Das Auge, so könnte man die Position des Films vielleicht am besten beschreiben, ist kein taktiles Organ. Swans frustriert die Berührungs- und Empathielust des Zuschauers deshalb so gründlich, weil er die Körper, die Dinge und die Berührung hautnah präsentiert. Und doch erlaubt das Medium keine Berührung. Forciert, aber nicht falsch wäre die These: Es ist nicht zuletzt das Drama des eigenen Mediums, von dem der Film letztlich erzählt. Man kommt, je länger man auf sie blickt, den Personen umso weniger nahe. Das Unnahbare wird am Seltsamsten wohl verkörpert durch Kim (Vasupol Siriviriyapoon), die Mitbewohnerin, die ein paar Mal wie ein Geist in der Wohnung auftaucht, wie leblos in der Wanne liegt und ins Nichts wieder verschwindet. Der Film zeigt in einer Einstellung drastisch, kommentiert aber nicht: Kim ist ein Hermaphrodit. Es ist, als reagierte Manuel auf das Faszinosum dieses die sexuelle Differenz unterlaufenden Körpers in einer weiteren verschobenen Bewegung: zurück zum Körper der Mutter, der eine andere für die symbolische Ordnung der Dinge entscheidende Differenz unterläuft, die zwischen tot und lebendig. Er schlägt das Tuch zurück, das ihren nackten Torso bedeckt. Er berührt ihre Brüste, tastet nach ihrer Vagina. Die Berührung als radikaler Übergriff, in skandalöser Nähe zum Inzest wie zur Nekrophilie. Swans ist ein Körperhorrorfilm. Das Koma als vollständiger Kontrollverlust, der in die Bewegungs- und Leblosigkeit führt. Die totale Kontrolle des Skaters beim Skaten. Einmal macht der Vater Meditationsübungen und überlässt sich dabei ganz den Anweisungen der von ihrem Körper dissoziierten Stimme von der CD. Wie Sonden sind die Figuren in der Stadt unterwegs, auf einer Suche, sie wissen nur nicht, wonach. Reinhold Vorschneiders Kamera liegt mit ihren virtuosen Fahrten und Eigenbewegungen, das Berührungs- als Abbildungsbegehren verdoppelnd, noch einmal quer dazu. Der Film selbst nimmt zu alledem die einzig plausible Position ein: Er hält es konsequent fest, unter enigmatischem Titel, und mobilisiert den Betrachter, indem er sich seinem schnellen Begreifen entzieht. s
Swans von Hugo Vieira da Silva PT/DE 2010, 120 Min, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 14. Juli 2011
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Tropenkoller von Ja n K ü n em u n d
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In seinem dritten Spielfilm schickt Ulrich Köhler („Bungalow“, „Montag kommen die Fenster“) sein gewohnt halt- und orientierungsloses Personal mit europäischem Auftrag in den afrikanischen Urwald. Einer geht dabei verloren, der andere kommt gar nicht erst an. „Schlafkrankheit“ startet am 23. Juni in den Kinos.
s „Ich bin schwul.“ Dieser Satz fällt mitten im tropischen Regenwald Kameruns vor einer halb im Schlamm begrabenen Brücke, vor der zwei europäische Mediziner entnervt ihr Auto haben stehen lassen, um kurz Luft zu holen in ihrer verfahrenen Situation. Er markiert denjenigen, der ihn sagt, einmal mehr als Fremden, der das Spiel der Europäer in Afrika nicht mitspielt – der den Taxifahrern und Zigarettenverkäufern nicht traut, der kein Flusswasser trinkt, der nur wenige Tage bleiben will, der keine Geschäfte macht, keine Geliebte hat, der auf seinem Zimmer bleibt und in die Wasserflasche pinkelt, anstatt draußen die Toilette zu suchen, der die Situation in der Fremde punktuell evaluieren will, anstatt sie kreativ auszulegen, der sich nicht anpasst und nicht verstrickt. Eine Identifikationsfigur, findet Regisseur Ulrich Köhler: Alex Nzila, der schwule, schwarze WHO-Bürokrat aus Paris, dessen erster Auftrag eine Reise nach Afrika ist, das er nur soweit wahrnimmt, wie der Schein seiner kleinen Taschenlampe reicht. Tatsächlich ist das eine originelle Figur, unbeholfen, ängstlich, schwach – so ganz anders als die kolonialen und postkolonialen Herren, die sich die Fremde verständlich machen und dann aneignen wollen, in den kolonialkritischen Erzählungen aber schließlich schei-
tern und degenerieren, zu Nicht-Afrikanern und Nicht-mehr-Europäern werden. Auch diese Figur gibt es in Schlaf krankheit, Ebbo, der andere Mediziner, der natürlich auch weiß, was man bei Schwulsein in Afrika verschreibt („Bloß keinem erzählen!“). Der Film hat seine zwei Teile um diese zwei Figuren herum aufgebaut, weniger, um Thesen kultureller Fremdheiten gegeneinander auszuspielen, sondern eher, um undurchdringliche Bilder zu setzen und vom Scheitern der Strategien zu erzählen, Fremdheit aufzulösen, die eigentlich selbstgemacht ist. Von der afrikanischen Schlafkrankheit, die von den europäischen Medizinern bekämpft werden soll, ist hier kein Afrikaner befallen. Die Europäer dagegen fantasieren, von Bilharziose und großen Schwänzen, sie verschreiben sich Malariaprohylaxen, von denen sie depressiv werden. Und aus den drei Stadien der Schafkrankheit, die von Juckreiz, Fieber und schließlich dem undurchdringlichen Dämmerzustand begleitet werden, führt sie allenfalls eine Metamorphose heraus, die der Film augenzwinkernd an den Schluss setzt. Haltungslosigkeit und fehlende Dramatik sind ihm schon vorgeworfen worden – anstatt ihn für seinen bemerkenswert klaren Blick zu bewundern, mit dem er sich diesen ganzen Dschungel ansieht. s
Schlafkrankheit von Ulrich Köhler DE/FR/NL 2011, 91 Min, teilweise dt. OF/OmU Farbfilm, www.farbfilm-verleih.de Im Kino ab 23. Juni 2011
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Aufruhr im Hypothalamus von J en n i Z y l k a
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Ein Film, wie man ihn aus Deutschland nicht erwartet. ComicAutorin Ziska Riemann hat zusammen mit Luci van Org eine sehr besondere Mädchenfreundschaft auf die Leinwand gezeichnet und „Lollipop Monster“ ist ein herrliches Geschöpf geworden, ein quietschbuntes Kuddelmuddel mit dunklen Abgründen, das nach der erfolgreichen Berlinale-Uraufführung am 25. August in die Kinos kommt.
s Als Teenie war alles dramatisch. Man hasste in glänzendem Schwarz, liebte in feurigem Rot, neidete in schmerzhaftem Gelb und schwärmte in sirupartigem Pink. Sämtliche Erziehungsberechtigte verhielten sich bescheuert, Eltern, erwachsene Verwandte, Lehrer sowieso, größere Geschwister im Zweifelsfall auch, doch wenn man Glück hatte, dann konnte man sich auf die beste Freundin verlassen: Die hatte schließlich die gleichen doofen Eltern (sogar wenn sie ganz anders waren), und die war natürlich die einzige, die einen verstand. Ziska Riemann hat aus diesem Zustand einen Film gemacht. Mit Schreibhilfe ihrer Schulfreundin, der Musikerin, Schauspielerin und Autorin Luci van Org, beschreibt sie jene widersprüchliche, emotional aufgeladene Lebensphase, die die meisten Menschen auf dem Weg zum rationalen Erwachsenen verwirrte. Lollipop Monster erzählt die Welt der Teenage Angst und Teenage Lust, und er erzählt so subjektiv, sprunghaft und glänzend, wie man seine Umgebung eben mit 15 wahrnimmt. Die Geschichte von Oona und Ari, die eine dunkelhaarig, die andere blond, die eine mit schwarz gekleideten Künstler eltern, die andere mit Kawaii-Mama und Hypochonderbruder, ist eine Geschichte über Außenseiter. Die beiden Mädchen nähern sich an, nachdem Oonas Vater sich – vielleicht aus Eifersucht über die Affäre seiner Frau mit seinem Bruder – umgebracht hat. Oona zeigt Ari, wie herzerfrischend offen nach außen getragener Hass sein kann, Ari ist für Oona eine Freundin, auf die sie – zumindest anfangs – in schlechten Zeiten bauen kann. Unstet wie pubertäre Stimmungsschwankungen wechselt der Film von der Story in Musikclips, vom Spielfilm über Super8 in eine Comicästhetik. Egal, wann man jung war, ob zu Tolle-, Flattop-, Föhnwelle- oder Stachelfrisurzeiten, egal, ob die Eltern einem Rolling Stones, Joy Division oder Chicago House verbieten wollten: Riemanns Film, bei dem die Berliner Comiczeichnerin, Autorin und Musikerin erstmalig Regie führte, versucht, das globale Pubertistinnengefühl einzufangen, und es in der gleichen Windstärke bildlich umzusetzen, in der es subjektiv empfunden wird. Sie hat dazu Musik er- und gefunden, die das Außenseitermotiv illustriert: die imaginäre Oona- und Ari-Lieblingsband „Tier“, deren Sänger aussieht wie der Voodoo-Priester Baron Samedi (aus James Bond – Leben und sterben lassen), und die in Rammstein-Manier rocken, nur mit mehr Gitarre, besingen „Trieb, Lust und Instinkt“. Eine andere der vielen Musikeinlagen zeigt strippende Barbiemädchen beim Teddypeitschen. Wer das ein bisschen protzig und übertrieben findet, hat Recht. Aber es geht hier schließlich um Aufruhr im Hypothalamus. Dass es für die Bebilderung dieses Aufruhrs nicht nur eine, sondern zwei Protagonistinnen braucht, zeigt neben dem Freundschaftsmo15
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tiv auch die Bandbreite dieser merkwürdigen Backfischjahre: Selbst, wenn man damals auf der coolen Seite des Schulhofs stand, wenn man Babydolls hasste, sich über die dummen, gickernden Tussen aufregte, und sicher war, sich eben nicht in dieser von den Eltern vielbeschworenen und -belächelten Zeit zu befinden, war das hormongesteuert. Nur fällt einem das meistens erst auf, wenn man erwachsen ist. Bei Lollipop Monster ist Oona auf den ersten Blick cool, abgeklärt und die Freundin ihrer Mutter, die blonde Ari ist sich dagegen noch nicht sicher, was sie ist. Als sie lernt, in Sekundenschnelle vom schläfrigen, rundlichen Schulmädchen zur lasziven Venusfliegenfalle umzuschalten, lernt sie damit selbstredend auch Pussypower. Und ihr favorisierter „bad guy“, herrlich überzeichnet mit flammengetuntem Hotrod und nie lächelndem Halbstarkengesicht, wird plötzlich soooo klein mit Hut: Nach dem Sex auf durchgesessenen Sofas muss er weiter den Club fegen, in dem er als Putzmann arbeitet, während Ari das Geld aus der Kasse klaut und ihn sitzen lässt. Ziska Riemann und Luci van Org legen einen starken Focus auf die sexuelle Erweckung, die Aris Freundschaft mit Oona folgt: Die Blondine macht vor nichts mehr Halt, vögelt nach dem Discofeger noch nonchalant die schöne schwarze Freundin ihres verhätschelten Bruders, denn die Zeiten, in denen man sich für eine sexuelle Orientierung entscheiden muss, sind glücklicherweise in einem Film von 2011 längst vorbei. Zum Missvergnügen ihrer besten Freundin treibt sie es aber auch mit Oonas Onkel, dem neuen Freund von Oonas Mutter. Dramaturgisch zwingend kommt also die Katastrophe hereingebrochen, in denen die Freundschaft sich bewähren muss, und nebenbei auch noch alle anderen Feinde (Mütter, Geschwister) ihr Fett wegkriegen. Das Team Oona und Ari mutiert durch den Freundschaftsprozess zu einer Mischung aus Lolita und Cindy Lauper: Selbst überrascht 16
davon, was anderer Leute Verhalten in ihnen selbst anrichtet, evozieren sie ebenso ungebührliches oder übertriebenes Verhalten in den anderen. Oona bringt Ari zuerst bei, die neue Aufmerksamkeit zu genießen, die Ari geschminkt und aufgebrezelt entgegenschallt. Dann läuft Aris Verführungshobby aber aus dem Rahmen und macht Oona am Ende unglücklich. Und Ari merkt, dass Verknalltsein auch Blind- und Taubheit bedeuten kann, und dass Erwachsene zuweilen noch besser lügen können als Teenager. Die Mädchen werden von ihren prototypischen Muttis gespiegelt: Beide Mütter versuchen, ihrer adoleszenten Brut mit unterschiedlichen Methoden beizukommen. Und hauen vollauf daneben: Aris Mutter trägt Blümchenröcke, bunte Pflaster und lustige Zöpfe, und entgegnet Aris rebellischem Renovierungsakt (Barbies raus, schwarze Farbe rein) mit eifrigem Aktionismus: „Dann brauchen wir aber einen anderen Teppich … Zebra oder Schachbrettmuster …“. Oonas Mutter dagegen, die durch die Freundschaft zu ihrer Tochter jung bleiben möchte, überfordert diese permanent mit der Offenlegung ihrer Bohemienwelt: Vino, Zichten, Sex und nach der Beerdigung ihres Mannes ein gutes Saufgelage mit Freunden, das muss Oona ja wohl verstehen … Tut sie natürlich nicht. Die beiden bemühten Rabenmamas stehen für die üblichen Schwierigkeiten, die Mütter und Töchter auf der ganzen Welt gern über ihren ungenießbaren Beziehungssalat streuen: Überfordern auf der einen Seite, Kleinhalten auf der anderen. Dazu drangsaliert Aris Bruder Eltern und Schwester mit seinen angeblichen Malaisen, bis für Ari-als-junge-Frau kein Platz mehr in der Familie zu sein scheint. Als Erwachsene, als Ex-Pubertistin schaut man auf dieses quietschbunte Kuddelmuddel und ist, je nachdem, wie weit weg einem diese Zeit vorkommt, amüsiert, gerührt oder auch gelangweilt. Der Film behandelt kein neues Thema, sondern Coming-of-age,
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er kapriziert sich – außer in der Ästhetik – auch auf die bekannten Themen Mutter-Tochter-Konflikt, erwachende Lust, Freundschaft, sich-unverstanden-Fühlen und eben jene typischen ständig platzenden Gefühlsknoten. Das muss man einfach wollen: Kann man über sich selbst mit Pickeln, blöden Frisis und nach Tommi Ohrner schmachtenden Herzen lachen, dann kann man sich auch über Oona und Ari amüsieren. Wenn man kein Herz für Trash hat oder einfach die Nase voll von Barbiegirl-goes-Rrriotgirrl-Ästhetik, dann braucht man die Geschichte der beiden Tierfreundinnen nicht: In die „Berliner Schule“ geht Lollipop Monster jedenfalls nicht, er positioniert sich eher lustvoll in der entferntesten Ecke. Das ist mutig und süß. Schade nur, dass die Ernsthaftigkeit, mit der Riemann und van Org ihr Anliegen trotz Neonfassade und leichthändig ausgestatteter Clipästhetik vorbringen, dabei bisweilen auf der Strecke bleibt, vergraben unter raschelnder, poppiger und zuckersüßer Lollipop-Deko. Denn man glaubt den Autorinnen, dass sie tatsächlich Nöte schildern, Mut machen, Lösungsansätze bieten, und ihre Protagonistinnen wirklich ernst nehmen wollen – lächerlich sind nur die anderen, die Großen, die denken, sie hätten alles im Griff. Andererseits: Teenies brauchen starke Bilder, mit Subtilität kann man denen nicht kommen. Dass sie genau so einen Film damals gern gesehen hätte, gab Riemann im Interview zu ihrem auf der Berlinale uraufgeführten Film zu, und vielleicht ist es diese immer noch intakte Verbindung zur Vergangenheit, die ihr Werk vor allem für HannahMontana-Hasser und -Hasserinnen interessant macht, für Teens und Twens, die schon ohne Liebes-Happy-End leben können, und für Thirty- und Fortysomethings, die sich wieder dran erinnern möchten, dass bei ihnen ja auch einmal alles Drama war. s
Lollipop Monster von Ziska Riemann DE 2010, 96 Min, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 25. August 2011 www.lollipop-monster.de
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in einem anderen licht von a n dr é w en dl e r
Mit seinem von Gus van Sant produzierten Spielfilmerstling „Wild Tigers I Have Known“ gelang Cam Archer 2006 eine kleine Sensation. Jetzt kommt mit „Shit Year“ fast ein Gegenentwurf von ihm ins Kino: nach dem knallbunten Coming-of-Age nun eine schwarzweiße Divendämmerung. SISSY hat einen Film im Licht des anderen gesehen. Und sich außerdem über die Wiederentdeckung von Ellen Barkin gefreut.
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s Ich sehe mir Shit Year zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage an. Er beginnt: mit Geräuschen, extrem schwarzen Bildern, verrauschten Bildern, extrem weißen Bildern, die mich blenden, einer Vielzahl von Stimmen, dem unglaublich schönen Lamento Colleens. Eigentlich ist nach spätestens drei Minuten alles sehr klar in diesem Film. Colleen West hat sich verliebt in Harvey West. Sie haben den gleichen Namen. Er ist viel jünger als sie. Schauspieler. Kollege in einer Theaterproduktion: „Starwitness“ heißt das Stück. Beide sind sie wunderschön. Sie ist verzweifelt verliebt in ihn, er hat schnell das Interesse an ihr verloren und verschwindet wieder. Wohin, weiß keiner. Das alles könnte Stoff für einen dieser Filme sein, wie sie mich schon tausendmal gelangweilt haben. Shit Year beginnt hier aber erst. Es ist ein Film, der nach dem Film kommt: nach all den konventionellen Lovestories dieser Welt, nach Cam Archers erstem Film, nach all den Filmen seiner Hauptfigur Colleen, die gerade dabei ist, sich als Schauspielerin zur Ruhe zu setzen, nach all den Filmen, an die er mich, for good or for bad, erinnert, und irgendwie auch nach sich selbst, weil er sich als Nachgeschichte zu etwas entwirft, was erst an seinem Ende langsam greifbar gewesen sein wird. Das alles lässt sich erst erfassen, wenn man ihn das zweite Mal sieht. Der Film wirkt auf sich selbst zurück und voraus. Bestimmt müsste man Shit Year als experimentellen Film bezeichnen. Stimmen überlagern sich. Selten gehören die Geräusche zum Bild. Geräusche und Musik kämpfen miteinander um Vorherrschaft. Von überall her kommen Bilder und Töne: aus Träumen, aus der Vergangenheit, aus Ängsten, aus anderen Filmen (wie aus Mary Lamberts Siesta von 1987). Immer sind es jedenfalls Parallelwelten, die sich so oder so deuten lassen. Wenn Colleen sich später in einem Haus auf dem Land zur Ruhe gesetzt hat, kommt von irgendwoher Baulärm, über dessen genaue Ursache sich nur spekulieren lässt. Einmal wird sie nachts von Hubschrauberlärm geweckt, unter dem sie dann vor dem Haus zusammenbricht. Den Hubschrauber bekommt niemals irgendwer zu Gesicht. Dafür überschüttet der Film uns permanent mit den unglaublichsten Bildern. Den Anfang macht er mit ausgesuchten Panoramen der Skyline L. A.s, in denen Harvey und Colleen jeweils auf einem Balkon stehen, als warteten sie auf etwas, als suchten sie in diesen Panoramen etwas, von dem sie wüssten, dass es dort verborgen ist. Das Rätselhafte dieser vielen verschiedenen Bilder kommt aus ihrer sorgsam konstruierten Überfülle. Während es immer wieder auch völlig entleerte Bilder gibt, die quasi aus nichts anderem als Schwarz oder Weiß bestehen, konfrontiert der Film uns immer wieder mit seinen Wimmelbildern. Besonders stark wird das in der zweiten Häfte des Films, wenn Colleen ihr Haus auf dem Lande, oder genauer: im Wald bezogen hat. Auf dem Weg zu ihrer Nachbarin oder zum Supermarkt drängt der Wald ins Bild, füllt es, ja: überfüllt es. Der Wald scheint Colleen und ihr Haus regelrecht verschlingen zu wollen. Die Bilder sind in jedem Sinn unübersichtlich. Die Überzahl von Pflanzen, Wurzeln, Bäumen, Ästen, Blättern und Stämmen lässt den Wald zu einer undurchdringlichen Wand werden, auf der zu viel und zu gleich zu wenig zu sehen ist. Ich sehe den Film vor lauter Bildern nicht mehr. Unter dieser Zudringlichkeit droht Colleen zu ersticken. Dazwischen verpixelte Fernsehbilder, denen sich die Kamera immer weiter nähert, bis fast nichts mehr auf ihnen zu sehen ist. Während in Blow up noch die Illusion aufrecht erhalten wird, in diesen Bildern könnte irgend ein Ereignis der äußeren Welt ablesbar werden, ist dieser Bezug bei Cam Archer nicht einmal mehr vorgestellt. Die Bilder sind die Außenwelt. Sie müssen nicht produziert werden, weil sie immer schon massenhaft und zentnerschwer auf Augen und Ohren lasten. Colleen imaginiert sich in eine völlig weiße Gegenwelt, in der offenbar eine Simulation Harveys produziert werden soll, die auf den Daten aus ihrem Kopf beruht. Am Ende trifft sie diesen simulierten Harvey, der nichts weiter vermag als eine weiße Wand weiß zu streichen und damit Bildtautologien herzustellen. 19
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Logan (Malcolm Stumpf ) in „Wild Tigers I Have Known“ (2006)
Coleen West (Ellen Barkin), Harvey West (Luke Grimes) in „Shit Year“
Über weite Strecken ist das alles, um nur das Mindeste zu sagen, rätselhaft. Immer aber ist es wunderschön. Nicht nur Colleen und Harvey füllen mit ihren wundervollen Gesichtern die Leinwand. Auch die Welt, in der sie sich begegnen und wieder verlieren, an einander erinnern und voneinander loskommen wollen, entwirft der Film als eine Welt aus großartigen Lichttexturen. Waldboden und Wasseroberfläche, Gazeschleier und Wasser-Sternenhimmel werden zu den Wänden dieser Kinowelt, auf die ihre Figuren und wir alles Mögliche projizieren können. Einmal erinnert mich diese Welt aus Licht und Schatten an Maya Derens und Alexander Hammids Meshes of the Afternoon, der nicht weit von Shit Year entfernt, ebenfalls in L. A. gedreht wurde. Was beide verbindet, ist das unnachgiebige und sehr besondere Licht, welches die amerikanische Filmproduktion kurz nach 1900 an die Westküste lockte und Hollywood erst zu dem werden ließ, was es dann wurde. Mir scheint, dass dies das eigentlich Drama dieses Films ist: In welches Licht taucht dieser Ort seine Menschen? Im Licht Hollywoods zu stehen, das heißt, jemand anderes zu werden. Das Stück, das Colleen und Harvey, die Schauspieler, am Anfang gemeinsam proben, handelt von einer Frau, die in einem völlig dunklen Haus lebt, weil sie das Licht nicht mehr ertragen kann, das von den anderen Menschen ausgeht. Als sie merkt, dass sie ihn verliert, sagt sie, dass er ihr wie ein Schatten erscheint. „It’s the light. The light is different here. It’s the light.“, antwortet er darauf fast panisch, als ob damit irgendein Unterschied gemacht werden könnte. Im Film, in Hollywood, bei Schauspielern, ist das Licht, in dem etwas erscheint, mehr als nur ein zufälliger Zusatz, der auch weggelassen werden könnte. Es ist genau genommen die einzige Materie, aus der ein Film am Ende besteht, wenn er projiziert wird. Colleens blonde Haare sind in manchen Einstellungen fast weiß, reines Licht. Am Anfang heißt es aus dem Off: „Colleen West never liked the first light
of day. It made her nervous and desperate for night.“ Was sollte es auch anders? Das erste Licht des Tages ist nicht das Licht des Kinos. Das Kinolicht ist überhaupt kein Tageslicht. In einem der seltsamen Zwischentitel heißt es: Learn to take it lightly. Ich bin fast geneigt, das in seiner doppelten Bedeutung zu lesen. Die L(e)ichtigkeit, mit der Colleen das Leben ohne den Film und ohne Harvey nicht mehr nehmen kann, von dem es heißt, er hätte Kalifornien vor hundert Jahren, als Hollywood geboren wurde, geliebt, macht den Film so großartig, so unverständlich, so wunderschön, so pathetisch und spielerisch. Vielleicht erschließt sich dieser Film, der jedes rätselhafte Bild gegen ein anderes setzt, selbst auch besser im Licht eines anderen Films. Ich denke natürlich an Archers ersten: Wild Tigers I Have Known. Schon auf den ersten Blick lassen sich beide als Gegensätze erkennen: Wild Tigers teilweise in schreiendem Digitalbunt, Shit Year in körnig-rauschendem 16-mm-Schwarzweiß. Wo der eine in seinen Grautönen die Liebe und Hoffnung eines ganzen Filmlebens zu Grabe trägt, schmiert sich der andere die farbige Lebensfreude als roten Lippenstift mitten ins Gesicht. Während die Bilder aus Colleens Leben alle doppelt und dreifach mit Bedeutung aufgeladen sind und das kleinste Detail einen Nervenzusammenbruch auslösen kann, erfindet Logan zu allem, was ihm begegnet und insbesondere sich selbst, ständig neue Bilder. So sind die Wild Tigers, die aus dem Wald auf das Schulgelände kommen das Versprechen auf ein Leben voll wilder Möglichkeiten, jenseits der Stumpfsinnigkeit seiner Schule. Die Suche nach ihnen in den Wäldern produziert eine geradezu fantastische Identitätsvielfalt. Wenn Colleen im Wald vor ihrem Haus eine tote Ratte entdeckt, braucht sie die Hilfe ihres Bruders, um mit diesem Erlebnis fertig zu werden, das in einer anrührend absurden Szene endet, in der sich die beiden Rattenbestatter fragen, ob sie die tote Ratte noch nachträglich taufen lassen sollen. Für Colleen sind die
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Bilder der Vergangenheit die Herausforderung, für Logan sind es die noch zu erfindenden Bilder seiner möglichen Zukünfte. Beide Filme lassen diese Bilderflut nicht voraussetzungslos aus dem Nichts auftauchen, sondern fragen konsequent nach ihrem Ort. Immer wieder sehen wir Logan vor dem Fernseher liegen: der Prototyp der Situation, die der Film vorführt. Die Fernsehbilder kommentieren fortwährend unser Leben, zeigen, wie es möglicherweise aussehen könnte, fordern uns auf, zum Kühlschrank zu gehen oder geben uns eine Werbepause lang Zeit, uns von ihnen abzuwenden. Sie werden zum Grundrauschen, von dem das Leben sich abheben muss. Leben heißt Bilder generieren, die sich von denen des Fernsehens unterscheiden. Ganz anders bei Colleen: Sie entwirft sich angesichts der Fernsehbilder nicht neu, sondern versucht, den Abschluss mit ihrem alten Schauspielerleben in einem Fernsehinterview hinzukriegen, das wahlweise in Einstellungen aus dem Studio und im abgefilmten Monitor gezeigt wird. Bis zum Schluss kommt sie nicht aus diesen Bildern heraus. Das ist ihr Bilder-Drama, ein ganzes ärmliches Shit Year lang. Cam Archer schafft es in beiden Filmen, mit ganz ähnlichen Mitteln und sich ergänzenden Motiven, zwei völlig verschiedene Geschichten über das Lieben in Vergangenheit und Zukunft zu erzählen. Über ein Lieben, das einmal vom grellen Licht Hollywoods überstrahlt wird, und einmal in fahlem Fernsehlicht zur Welt kommt. Vielleicht lässt sich so etwas nur von Kalifornien aus erzählen, weil man hier seit gut hundert Jahren besser als sonst irgendwo weiß, was es heißt, jemanden in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Archer stellt sich dieser Herausforderung und löst sie in einer permanenten Überforderung seiner Zuschauer_innen, denen damit nichts Besseres geschehen könnte. s
Shit Year von Cam Archer US 2010, 95 Min, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino ab 25. August 2011
Wild Tigers I Have Known von Cam Archer US 2006, 81 Min, OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de
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good shit von pau l Sch u l z
Ellen Barkin spielt im neuen Film von Cam Archer („Wild Tigers I have known“) eine Hollywood-Diva, die sich unbequem zur Ruhe setzt. Eine Würdigung.
s „Sollten sie jemals einen Film über mich drehen, müsste er damit beginnen, wie ein kleines Mädchen auf ein Feuer zu rennt.“ Mit diesem Satz lässt Cam Archer Shit Year enden, nachdem er ihn 98 Minuten vorher mit der beschriebenen Szene begonnen hat. Den Satz sagen darf Ellen Barkin, für die Archer den Film nicht geschrieben hat, „der er aber jetzt gehört“, wie er selber meint. Als Shit Year 2010 in Cannes zum ersten Mal der breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurde, gab es, wie das bei interessanten Filmen so ist, Gegner und Befürworter. Spannend war, dass sie nach Geschlechtern getrennt waren. „Der Titel sagt’s ja schon, man muss nur statt ‚YEAR‘ ‚FILM‘ einsetzen, dann stimmt’s”, tobten die Männer. „Das ist eine unvergessliche Performance in einem großartigen Film“, antworteten die Frauen. Wir Sissys stellen uns, wie das bei interessanten Filmen so ist, zu den Mädels. Was Frau Barkin hier abliefert, hat alles, wofür wir sie schon immer geliebt haben: Sie ist so schön, wie nur Menschen das sein können, denen man als Kind gesagt hat, sie seien hässlich, so 22
selbstironisch, dass man darauf wartet, dass sie anfängt, aus Spaß aus ein paar Stigmata zu bluten, und spielt so locker, so genau und mit solcher Lust, dass man eigentlich nicht übersehen kann, was für eine große Künstlerin sie ist. Shit Year ist eine enorme Freude, weil Cam Archer Barkin dazu benutzt, ein komplett verkopftes Konzept sanft, aber bestimmt zu erden. Der Schwarz-Weiß-Film erzählt ein Jahr im Leben der fiktiven Hollywood-Diva Colleen West, in dem sie versucht, sich in einer Hütte in den Bergen unbequem zur Ruhe zu setzen. Wie nah diese Figur an Barkin selbst dran ist und wie sehr es nötig ist, das zu wissen, um den doppelten Boden des Films zu erschließen, erkennt man erst, wenn man ein bisschen was über sie weiß. Ellen Barkins Karriere verlief nach einem altbekannten Muster. „Früher lief es so: Du bekamst eine Rolle mit einer Zeile Text. Dann eine mit drei Zeilen Text. Dann durftest du in einer Szene die Kellnerin sein, die Robert De Niro Kaffee bringt. Die Rollen wurden von Mal zu Mal größer und besser,
bis dich eines Tages dein Agent anrief, um dir Bescheid zu sagen, dass du jetzt ein Filmstar bist und du dich artig bei ihm dafür bedankt hast“, beschreibt die Tochter eines Chemikalienvertreters und einer KrankenhausSekretärin aus der Bronx ihren Aufstieg. Als Barkin 1982 in Barry Levinsons American Diner ihren Durchbruch hatte, war sie 28. „Zu alt, um mich noch als blondes Dummchen zu besetzen.“ Nicht dass auf diese Idee je jemand gekommen wäre. Dafür war ihr Gesicht viel zu eigen und besonders. Eines ihrer Augen verliert wegen einer Erbkrankheit dann und wann ohne Vorwarnung so gut wie alle Sehkraft, was dazu führt, dass sie, wenn sie keine Brille trägt, oft blinzelt. Das wirkt auf Kinoleinwänden verführerischer als es gemeint ist. „Aber was Frauen so meinen, ist den meisten Männern sowieso egal.“ In den darauffolgenden Jahren kultivierte Barkin vor der Kamera und auf der Bühne ihr Image als „The woman who fucks your brains back in“, wie ein New Yorker Theaterkritiker mal schrieb. Auf gut deutsch: „Die Frau, die dir das Gehirn wieder reinfickt.“ The Big Easy mit Dennis Quaid, Melodie des Todes mit Al Pacino, Siesta mit ihrem zukünftigen Ehemann Gabriel Byrne, Bad Company mit Laurence Fishburne: Für ein paar Jahre sah es so aus, als wäre Ellen Barkin nicht nur eine der besten und erotischsten, sondern auch eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen der Welt. Aber die B-Seiten ihrer „Greatest Hits“ ließen immer vermuten, dass irgendwo in der professionellen Hollywood-Aktrice noch die Fünfzehnjährige saß, die aus Rache dafür, dass ihre Eltern ihr verboten hatten, nach Woodstock zu fahren, einfach im heimatlichen Wohnzimmer Acid einwarf. Down by Law von Jim Jarmush, die Gender/BenderKomödie Switch von Blake Edwards, in der sie das Wort „Mangina“ erfand, oder ihre grobe Calamity Jane im Neo-Western Wild Bill mit Jeff Bridges: Sie konnte auf Frauen spielen, die nie die Augen zusammenkneifen würden, bloß, um Männern zu gefallen. Das erste Mal, dass sie das ohne Rücksicht auf Verluste praktizierte, war 1999 in der kleinen aber feinen Mockumentary Gnadenlos schön, in der sie als White-TrashTrailerpark-Mutter ihrer von einer jungen Kirsten Dunst gespielten Tochter dabei hilft, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. Barkin hat in der zweiten Hälfte des Films eigentlich nichts weiter zu tun, als schwer lädiert in einem Rollstuhl zu hocken und als personifizierter Running-Gag kichernd zu rauchen. Das tut sie so gut und pointiert, dass alles neben ihr verblasst. Seitdem macht sie das, was Frauen zwischen 40 und 60, die nicht Meryl Streep oder Susan Sarandon sind, in Hollywood tun können: Sie spielt für Geld in klugen Block-
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bustern wie Oceans Thirteen, sucht sich immer wieder intelligente Fernsehproduktionen aus und macht nebenher gute Indie-Filme wie 2004 Todd Solondz’ Palindrome oder Joel Schumachers Twelve aus dem letzten Jahr. Nebenbei fällt sie durch ihr Privatleben auf. Nachdem Barkin und Gabriel Byrne „die harmonischste Hollywood-Scheidung aller Zeiten“ hinter sich hatten, heiratete sie 2000 den New Yorker Milliardär Ronald Perelman und ließ ihre Karriere Karriere sein. „Was ich mir dabei gedacht habe, einen reichen Mann zu heiraten, weiß ich nicht. Ich war ja eigentlich längst auf der Party und brauchte wirklich niemanden mehr, der mich am Türsteher vorbeilotst“, beschreibt sie die Ehe im Rückblick. 2006 ließen sich Barkin und Perelman in einer öffentlichen Schlammschlacht scheiden und sie bekam zwischen 20 und 40 Millionen Dollar. Seitdem rennen ihr jüngere Männer wie Ralph Fiennes die gut restaurierte Bude ein. Auf all das nimmt Archer in Shit Year Bezug: In Colleen West steckt mehr als ein bisschen Ellen Barkin, und wer den Film als semiautobiografische Hommage lesen will, kann das gut machen. So macht er auch richtig Spaß. Zur Ruhe setzen will sich Barkin allerdings nicht. „Ich arbeite gern und es ist ungeheuer wichtig für mich, etwas zu tun, indem ich gut bin“, sagt sie selbst. Aber einen Plan für ein mögliches Karriereende gibt es doch. „Wahrscheinlich ende ich auf der Couch, gucke mir Klassiker im Fernsehen an oder lese ein gutes Buch. So habe ich mal angefangen und vermutlich wird das auch der Schluss.“ Als Filmszene sehe das so aus: Eine 80-jährige, Gin trinkende Ellen Barkin, die liest, während in ihrem Kamin ein wildes Feuer lodert. s Mehr zum Thema Homophobie gibt's auf www.iwwit.de
„Fast wie im richtigen Leben …“ HINNERK
Down By Law von Jim Jarmusch US/DE 1986, 107 Min, OmU
Siesta von Mary Lambert US 1987, 93 Min, DF/OmU
The Big Easy von Jim McBride US 1987, 99 Min, DF/OmU
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt, www.arthaus.de
Auf DVD bei KNM Home Entertainment, www.knm-media.de
Auf DVD bei 3L Film, www.3l-film.de
Switch von Blake Edwards US 1991, 103 Min, DF
Gnadenlos schön von Michael Patrick Jann US 1999, 94 Min, DF/OmU
Palindrome von Todd Solondz US 2004, 100 Min, DF/OmU
Auf DVD bei Universum, www.universum.de
Auf DVD bei Concorde Video, www.concorde-home.de
Auf DVD bei Alive, www.alive-ag.de
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amerika als diva von F r itz G ö t t l e r
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Am 23. März ist Elizabeth Rosemond Taylor gestorben, ein Hollywoodstar, der das Attribut sinnlicher Leinwandpräsenz neu definierte. Eine übergroße, überquellende, überzogene und überfordernde Frau. Wenn sie als Südstaatengewächs nach queerer Vorlage – als Katze auf dem heißen Blechdach, als Freundin eines schwulen Dichters, als exaltierte Inselherrin, als alternder Filmstar – auftrat, trafen zwei Diven aufeinander. Eine kleine Hommage.
Flora „Sissy“ Goforth (Elizabeth Taylor) und Chris Flanders (Richard Burton) in „Brandung“ (Joseph Losey, 1968)
s Ein Film, der aus der Filmgeschichte herausgefallen ist, Boom von Joseph Losey, nach Tennessee Williams, von 1968. Der erste Film mit Elizabeth Taylor und Richard Burton, erinnert sich der Regisseur, der Geld verloren hat. Eine bombastische Lektion in Öffentlichkeitsarbeit, das Paar, das in den Sechzigern mit seinen Extravaganzen und Skandalen für Schlagzeilen gesorgt hatte, gibt nun den Starkult selbst der Lächerlichkeit preis. Ein Film als Sündenfall. „The best failed art film ever“, sagt John Waters, der Filmemacher des lustvoll schlechten Geschmacks, ein Boom-Fan. Auch Anna Wintour, heißt es, würde sich den Film wieder und wieder anschauen, die eigensinnige Primadonna von „Vogue“. Eine Festung gegen den Tod In Boom übernahmen die Designer das Kommando, der Ausstatter Richard MacDonald und das Modehaus Tiziani in Rom: Diese unglaubliche Villa auf den Klippen, über der Brandung, so scheußlich chic, wo Taylor als reiche Amerikanerin die letzten Tage ihres Lebens verbringt, im Kampf gegen ihre tödliche Krankheit. Ein Raum, der Weite suggeriert und doch alles abschließt. Schwere schwarze Sitzgarnituren, dominant in den Räumen verteilt, mysteriöse Embleme 24
auf dem Boden, schlanke Kristallleuchter und Gläser, vom schwarzgekleideten Personal diskret placiert, die weißen Vorhänge, die an allen Fenstern hineinwehen. Eine Festung, gegen den Tod wie gegen das Leben. Taylor ist, in ihren weiten Roben, mit ihren verspielten Haarkreationen, Teil des Arrangements, ein Accessoire. Goforth ist ihr Name, Flora Sissy Goforth. In den Sechzigern kam Taylors Karriere voll ins Taumeln. Fünf Jahre vor Boom macht sie Cleopatra, den Film, der das klassische Studiosystem noch einmal kräftig ad absurdum führt, zwei Jahre davor das überdrehte Ehetheater Who’s Afraid Of Virginia Woolf?, das schon das neue junge amerikanische Kino ankündigt, im Jahr zuvor Reflection In A Golden Eye, nach dem Roman von Carson McCullers, die Tennessee Williams die beste und ihm liebste amerikanische Autorin genannt hatte. Kann nicht singen, kann nicht tanzen Vier Filme nach Tennessee Williams hat Elizabeth Taylor gemacht, sein Ruhm war etwas abgeblättert in den Fünfzigern und Sechzigern, aber immer noch war sein Theater kraftvoll und vital. Mitte der Vierziger, als er seine ersten Stücke vorlegte, hatte Taylor eben
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die ersten Filme gedreht, als Kinderstar in Hollywood. Einsamkeit, Entfremdung, Verachtung – es könnten die gleichen Erfahrungen gewesen sein, die der Südstaatenautor in New York und das in die USA verschickte Britenmädel gemacht hatten. „She can’t sing, she can’t act, she can’t dance, she can’t perform“, war die Studiomeinung. Ihre Antwort darauf, an die Gesellschaft, an sich selbst: der Wille zur Dekadenz, zur großen Geste, die die Leere nicht mehr kaschieren will. Mit dem Williams-Doppelschlag Ende der Fünfziger – sie macht hintereinander Cat On A Hot Tin Roof und Suddenly, Last Summer – hat Taylor sich von ihrer Kinovergangenheit freigemacht, hat sich abgesetzt von ihrem Studio, der MGM, ist rausgetreten aus dem Schatten der unaufhörlichen Mädchen- und Teenagerrollen, die sie zum Kinodarling gemacht hatten. In den Jahren danach, auf dem Weg zu Boom, wird sie ihre Divenhaftigkeit akzeptieren. Eine Legende zu Lebzeiten, eine sleeping beauty. Sie ist ein Star ohne eigene Jugend, ein Mädchen, das abrupt erwachsen werden musste. Amerikas verlorene Jugend ist der Süden des Landes geblieben, die heimliche Heimat, in der auch Taylor sich heimisch fühlen konnte. Vor Cat hatte sie Giant gemacht, nach Edna Ferber, mit Rock Hudson und James Dean, als junge Landbarone und Ölmillionäre von Texas, und Raintree Country, das BürgerkriegsEpos nach dem Roman von Ross Lockridge Jr., mit Montgomery Clift. Der Süden, der vergessene, verleugnete, verdrängte Teil der amerikanischen Nation, vom Norden dominiert, von seiner Ökonomie und seinem rationalen Kalkül. Die feudale Vergangenheit, in der europäisches Erbe überlebt, verschwenderisch, exzessiv, unbeherrscht und exzentrisch, aber auch – und besonders bei Tennessee Williams – ridikül und grausam. Der Süden, das ist Amerika als Diva. Eis am Knie Der Süden, das ist Amerika als Exil. Unglaublich, mit welcher Unbedenklichkeit, mit welchem Mut Taylor als Maggie the Cat das Risiko auf sich nimmt, sich lächerlich zu machen. Der Südstaatenakzent kommt ganz schamlos und schrill bei ihr, das wirkt sehr befreiend neben Newman, der sich abquält mit seinen Bemühungen um Authentizität. Taylor ist seine Frau, die seine Unangepasstheit enerviert, die ihn motivieren will, seinen Platz in der Familie endlich zu erkämpfen, zu akzeptieren. (Im Stück ist er schwul – das hat man bei der Hollywoodbearbeitung sich nicht zu übernehmen getraut.) Ihr erster Auftritt ist glamourös und wird ihr lustvoll versaut. Sie schaut fabelhaft aus, wenn sie erstmals im Garten der großen Familienvilla auftaucht, eine weiße Bluse, ein beiger enger Rock, klappernde Armringe. Ihre porzellanweiße Haut, ihr tiefschwarzes Haar, dazu ein knallroter Ledergürtel. Ganz großer Fünfziger-Chic, aber dann greift eins der Kinder, die auch beim Familientreffen dabei sind, tief in den Eiscremetopf und klatscht ihr böse eine Portion direkt ans Schienbein. Southern Slapstick, eine Spezialität von Tennessee Williams. Sie ist reif für einen Kleiderwechsel. Das passiert ihr wahnsinnig oft, dass ihre Auftritte grotesk vermasselt werden, oft auch von ihr selbst.
„Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (Richard Brooks, 1958)
Plätze in der Sonne
Natürlich Kabuki
Ein Jahr später wird das noch eine Windung weitergedreht. In Suddenly, Last Summer ist Taylors Schönheit noch aggressiver, sie ist wieder so irre schön wie sie es in A Place In The Sun war – eine Schwarzweißschönheit, so makellos und hart konturiert. Die Farbe macht sie immer unberechenbar, das Rouge auf den Wangen, das Pink auf den Lippen, die violetten Augen. Tennessee Williams hasste die Hollywoodverfilmung von Cat, die die Reinheit des Stücks nicht bewahren konnte, it was jazzed up, hooked up a bit. Die Schönheit verdankt Suddenly dem Regisseur Joseph L. Mankiewicz, der einer der Intellektuellen von Hollywood war und ein
Suddenly, Last Summer lässt Taylor irgendwie versehrt zurück. Sie akzeptiert, dass sie die Fremde ist, die Andere, die Abartige. So wie das Tennessee Williams getan hatte ein Jahrzehnt zuvor. Sie nimmt es auf sich, dass ihr nur noch die Performance bleibt, die Selbstdarstellung. In Sweet Bird Of Youth, inszeniert vom britischen Meister des Somnambulismus, Nicolas Roeg, ist sie die alternde Filmdiva Alexandra del Lago, und einmal legt sie vor ihrem jungen Lover-Gigolo eine hinreißende Frühstückszene hin, sie beißt prätentiös in ihr Brötchen, verzieht beim Kauen den Mund zur Schnute, leckt mit der Zunge verführerisch einen Brösel aus dem Mundwinkel. Aus diesem
Mann, der die Frauen liebte. Im Film paktiert er mit der anderen Frau, Katharine Hepburn – eine exzentrische Millionärin, mit deren Sohn Taylor den Sommer über zusammen war an einer spanischen Küste. Der Sohn ist tot, von mänadischen Jungs zerfleischt. Taylor hat sie in Erregung gebracht, mit ihrer traumhaften Erscheinung, in weißem Badeanzug, sexy und unschuldig. Sie ist das Sinnbild dieser archaischen wilden Erinnerung, sie ist traumatisiert, in einer Anstalt unter Wilden. Sie soll geopfert werden, damit wieder Frieden herrscht, soll operiert werden. Eine Lobotomie, die eine große Leere schafft im Gehirn, hinter ihrem reinen weißen Gesicht. Die Regie ist unerbittlich, schlingt die Zeiten und die Orte ineinander. „Mankiewicz war dafür bekannt, dass er seine Darstellerinnen und Frauen gern wild analysierte oder aber Analytikern zuführte“, schreibt Frieda Grafe. „So wenig in seinen Filmen Vergangenheit und Gegenwart sich auseinander dividieren lassen, ist das Verhalten seiner Figuren geschlechtsspezifisch eindeutig, auch wenn er vorgibt, der Weiblichkeit der Frauen auf der Spur zu sein.“
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Szene aus „Brandung“
Brandung (Boom) von Joseph Losey US 1968, 139 Min, DF/OmU Auf DVD bei KSM, www.ksmfilm.de
Mund kommen sogar die etwas platten Sentenzen zu Alter und Jugend, von den Legenden, die nicht leicht sterben, erstaunlich frisch. Sweet Bird ist ein bescheidener Versuch, an die Verrücktheit von Boom heranzukommen. Eine TV-Extravaganza, die keine Scheu hat, orientalische Prachtentfaltung zu versuchen im puritanischen Amerika. Und Taylors aufgedonnerter, synthetischer Stil produziert, auf eine ganz verrückte Weise, eine hinreißende Natürlichkeit. Als Kabuki-Star hatte sie sich explizit in Boom präsentiert, im japanischen Theater gilt Ausdruckslosigkeit als die wahre Kunst. Boom war ein Film des künstlerischen Exils, nicht des inneren, sondern in seiner Outriertheit, seiner Extravaganz, des äußeren. Eine Kunstanstrengung par excellence, die unweigerlich purer Camp wurde. Noch einmal die große Parole des filmischen Existentialismus, die man sich zugeraunt hatte in den Fünfzigern und Sechzigern: Kino, das ist dem Tod bei der Arbeit zuschauen. Cocteau hatte das proklamiert, der das Theater so provokativ und scharlatanesk anging wie Tennessee Williams. Hexen im Exil
Die Katze auf dem heißen Blechdach von Richard Brooks US 1958, 104 Min, DF/OmU Auf DVD bei Warner Home Video, www.warnerbros.de
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Boom ist ein Wendepunkt des modernen Kinos, ein echtes starkes 68er-Stück, das wundervoll hineinpasst in die Sechziger und ihre grandiose Tendenz zur Selbstzerstörung. Alles löst sich auf, alles zersetzt sich. Bedeutung schwindet, die Tiefe des Lebens. Was bleibt ist Performance. Von draußen hört man die Brandung der Neuen Wellen in ganz Europa, die mit dem Kino auf die Straßen gegangen sind. Boom ist ein Bekenntnis zum filmischen Exil, ein Film der Heimatlosen und Exzentrischen. Taylor und Burton waren durch ihr Startheater seit Cleopatra Geächtete des Kinobetriebs. Burton, der im Herzen immer noch von einer Theaterkarriere, von Shakespeare und Co. träumte, musste sich als Engel des Todes in albern wallende Gewänder hüllen und ein Schwert unter dem Arm tragen. Joseph Losey, der von den Hexenjägern aus Hollywood vertrieben worden war, hatte in Europa nie die Projekte finden können, die seiner würdig wären und ihm seiner Meinung nach zustünden. Elizabeth Taylor bekommt, in ihrer ultimativen Divenrolle, Konkurrenz von unerwarteter Seite. Die Hexe von Capri kommt zu Besuch, sie wird – im Stück eine Frauenrolle – verkörpert von Noël Coward. Katharine Hepburn hatte die Rolle abgelehnt, entrüstet, angewidert, enttäuscht. s
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Spätstarter von A n na Wol ln e r
Mit „The Kids Are All Right“ hat Hollywood es im letzten Jahr schon vorgemacht: homosexuelle Eltern sind im aufgeklärten und liberalen Amerika kein Problem mehr. Zumindest im Kino. Haben Annette Bening und Julianne Moore als Nic und Jules zum perfekten Familienglück aber noch auf einen Samenspender zurückgreifen müssen, geht Regisseur und Illustrator Mike Mills einen Schritt weiter. In „Beginners“ outet sich ein 75-jähriger Mann und verwirrt damit vor allem seinen Sohn. Im Kino ab 9. Juni 2011.
s Es ist das Jahr 2003. Oliver ist ein erfolgloser Grafiker und Illustrator, den keiner ernst nimmt. Wie soll er da das Leben ernst nehmen – vor allem nach dem, was er durchgemacht hat. Eines Tages sitzt sein 75-jähriger Vater vor ihm. Ein wenig schüchtern windet er sich auf dem Sofa im Wohnzimmer und sagt: „Junge, ich bin schwul.“ Mit 75 Jahren und einer über 50 Jahre währenden Ehe soll der eigene Vater auf einmal Männer lieben. Oliver kann es kaum glauben. Noch weniger glauben kann und will er, dass sein Vater nur kurz nach seinem Coming-Out an Krebs erkrankt. Ihm bleiben noch wenige Jahre, eigentlich nur Monate, in denen er seine neu entdeckte Sexualität und das Leben genießen kann. Hal – mit Würde und Charme gespielt von Christopher Plummer – ist mit seinen 75 Jahren genauso aufgeregt wie ein Teenager: Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv und anfällig für die neuen Gefühle in einer (homo)sexuellen Beziehung. Seine Aufregung und seine fast schon kindliche Entdeckung einer faszinierenden Welt der Erwachsenen, die ihm in seiner Ehe verschlossen geblieben ist, werden auch von der erschütternden Dia-
gnose nicht beeinflusst. Denn Hal hat noch lange nicht mit dem Leben abgeschlossen. Die Geschichte von Hal ist genauso die Geschichte von Oliver. Und die von Regisseur Mike Mills. Beginners ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung des Künstlers, erzählt er doch hier die Geschichte seines eigenen Vaters. Und verknüpft sie mit einer wunderschönen Liebesgeschichte: Oliver lernt auf einer Party die französische Schauspielerin Anna kennen. Allein schon der Moment des Kennenlernens ist ein Absurdum: sie als Stummfilmschauspielerin und er als Dr. Freud. Nicht nur eine Liebeserklärung an das Kino, sondern auch ein Hinweis darauf, dass Mills hier seine eigene Trauerarbeit leistet. Die Liebesgeschichte von Oliver und Anna, die auf kein unglaublich kitschig-romantisches Happy End zusteuert, sondern genauso ist wie jede Liebesgeschichte mit ihren Aufs und Abs, ihrem Glück und Unglück – genauso kompliziert wie das Leben jenseits der Leinwand – ist der Gegenpol zur Geschichte von Hal und Oliver, von Vater und Sohn. Das nonlineare Erzählmuster mit seinen zwei Handlungssträngen verbindet Mike Mills zu einem: Durch Hal lernt Oliver Anna lieben
und gleichzeitig versteht Oliver erst durch die Liebe zu Anna sein besonderes Verhältnis zu seinem Vater. Beginners ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod und der Liebe zugleich: Oliver muss sich mit der Veränderung und dem Tod seines Vaters befassen und sich gleichzeitig darauf einlassen, sich selbst zu verlieben. In einer Phase, in der seine Gefühle besonders verletzbar sind, gibt er sich Anna preis. Sein treuer Freund und Begleiter dabei: ein Jack Russell-Terrier, mit dem er ein ums andere Mal das Gespräch und tierischen Rat sucht. Und weil Hunde nun mal nicht sprechen können, sind die Antworten eben untertitelt. Nicht nur diese fast schon magischen Spielereien erinnern an Regiekünstler wie Michel Gondry und Charlie Kaufmann. Mike Mills verleiht seinem Alter Ego Oliver den Beruf des Illustrators. Immer wieder gibt es als Unterbrechung künstlerisch verspielte Elemente wie Zeichnungen und Assozia tionsketten, Momente, in denen Oliver weder Sohn noch Geliebter ist, sondern einfach nur ein glücklich unglücklicher Mensch. Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche und Veränderungen. Es ist kein Film über schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell sein, sondern vielmehr ein Film über die emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte. Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem bekommt Beginners eine angenehme Authentizität, ist nicht aufgesetzt und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben zwar – aber genau richtig. s
Beginners von Mike Mills US 2010, 104 Min, DF Universal, www.universal-pictures.de Im Kino ab 9. Juni 2011
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Vorhölle Ferienparadies von Ch r ist oph M e y r i ng
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Eine Clique von Freunden im schwierigen Alter verbringen wie gewohnt die Sommer ferien miteinander, obwohl einer von ihnen nach einem Unfall um sein Leben ringt. Lügen, Intrigen, Affären und Coming-Outs versammelt Regisseur Guillaume Canet in „Kleine wahre Lügen“ zu einem sommerlichen Krisenspektrum, das sich am 7. Juli auch auf die deutschen Kinoleinwände erstrecken wird.
s Die Krisen, die das Weihnachtsfest häufig in Familienverbänden verursacht, werden zwischen Liebenden und in Freundescliquen nicht selten durch gemeinsame Sommerurlaube in wunderschöner, sonnendurchfluteter Landschaft ausgelöst. Schlägt im ersten Fall die monatelang generalstabsmäßig geplante Atmosphäre von Frieden und Beschaulichkeit infolge einer brisanten Mischung aus ungewohnter Zwangsgemeinschaft mit lange schon tot gewünschten Verwandten, jahrzehntelang schwelenden Eltern-Kind-Konflikten – „Du hast mich nie geliebt!“ –, langweiligem TV-Programm und unvernünftigem Glühweinkonsum bisweilen jäh in Schreckenszenarien apokalyptischen Ausmaßes um – brennende Christbäume stürzen auf schreiende Schwiegermütter, Aachener Printen mutieren zu gefährlichen Wurfgeschossen, und bereits gebratene Gänse lernen plötzlich wieder fliegen –, so gestalten sich auch die Wochen, die eigentlich die schönsten des Jahres werden sollten, oft unverhofft als eine kaum erträgliche Endzeit zwischenmenschlicher Kontakte. Denn wer durfte nicht schon aus seinem näheren 28
Bekanntenkreis einen der folgenden Sätze vernehmen oder hat einen ähnlichen gar selbst von sich gegeben: „Der Zelturlaub am Plattensee hat unserer Beziehung den Rest gegeben!“, „Nie wieder Mykonos!“, „Lanzarote mit Mechthild, Jutta und Burghardt war einfach die Hölle!“, „Am liebsten hätte ich noch in der Kalahari die Scheidung eingereicht!“, „Erst auf dem Großglockner habe ich geschnallt, was Timo und Ansgar für Arschlöcher sind!“ oder „Beinahe hätte ich Marietta, Niklas und Astrid mitsamt ihrer dämlichen Kühltasche in den Grand Canyon geschubst!“. Menschliche Abgründe brechen eben da auf, wo schon ein Knacks vorliegt, und zwar gerne in All-inclusive-Paradiesen, wo der Lagerkoller gedeiht. Mit einem nicht ganz unproblematischen Ferienaufenthalt befasst sich auch Guillaume Canets tragikomische Ensemble-Komödie Kleine wahre Lügen (2010), deren Titel bereits einige unterhaltsame Scharmützel, Demaskierungen und Selbstentblößungen erahnen lässt. Ganz jugendlich-taufrisch sind die schon seit einer Ewigkeit miteinander befreundeten und traditionell gemein-
sam urlaubenden Sommerfrischler inzwischen nicht mehr: Mittdreißiger eben. Und da sich die Jugend heutzutage bis ins vierzigste Lebensjahr ausdehnen kann, trifft auf sie ein Satz zu, mit dem sonst genervte Eltern das sonderbare Verhalten ihres pubertierenden Nachwuchses zu entschuldigen pflegen: Sie sind in einem schwierigen Alter. Schwierig insofern, als man es inzwischen beruflich zu etwas gebracht haben und auf der Beziehungsebene irgendwo angekommen sein sollte, am besten im sicheren Hafen von Ehe und Familie. Trifft das nicht zu, drohen Frustrationen, die natürlich nicht offen zugegeben werden, aber subtil das Klima vergiften. Trifft es zu, können sich ebenfalls Frustrationen einstellen, da man nun Grund hat, verlorener jugendlicher Freiheit und Leichtigkeit nachzutrauern und sich ernsthaft zu fragen, ob man sich für das Richtige, den Richtigen oder die Richtige entschieden hat. Ganz abgesehen davon steht der Ferien aufenthalt im Strandhaus am Cap Ferret, in das der wohlhabende Restaurantbesitzer Max (François Cluzet) seinen 15 Jahre jüngeren Freundeskreis alljährlich großzügig einlädt, in diesem August unter einem besonders düsteren Stern. Denn Ludo (Jean Dujardin), einer von ihnen, ist – wie eine großartige Plansequenz am Anfang des Films eindrucksvoll zu sehen gibt – nach einer durchzechten Diskonacht auf seinem Motorrad unsanft mit einem Kleintransporter zusammengestoßen und liegt nun lebensgefährlich verletzt auf der Intensivstation. Dort versammeln sich seine alten Freunde auch sofort vollzählig an seinem Bett, um ihm Trost zu spenden und Mut zu machen; doch schon wenig später suchen sie in schöner Eintracht auf dem Bürgersteig vor der Klinik erfolgreich nach Vorwänden dafür, den bevorstehenden Strandurlaub trotzdem nicht abzusagen: Ludo ist hier sicherlich in fachkundigen Händen, und man könnte ihm ja ohnehin nicht helfen, im Gegenteil würde man wahrscheinlich den Heilungsprozess nur stören. Außerdem wird man sich um ihn gut erholt nach den Ferien, die man großherzig auf zwei Wochen verkürzt, viel besser kümmern können. Am sonnigen Gestade des Atlantiks, wo der Wein besonders mundet, stößt man dann auch ehrlich besorgt auf seine baldige Genesung an, widmet sich aber ansonsten scheinbar gut gelaunt vor allem dem dolce far niente. Dennoch enden die fidelen Wasserski-Nachmittage, Strandspaziergänge und gemeinsamen Abendessen häufig im Streit: Einer neckt einen anderen bis aufs Blut, lacht zu lange über ein bissiges Aperçu oder setzt noch eines drauf, bis wieder einmal irgendwer heult oder ausflippt. Das hängt jedoch nicht nur mit Ludos schwerem Schicksal zusammen, sondern auch mit den Problemen, die jeder einzelne mit sich herumträgt
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und angestrengt vor den anderen verbirgt: Éric (Gilles Lellouche), ein zweitklassiger Schauspieler, notorischer Schürzenjäger und die Stimmungskanone der Clique, ist zum Beispiel bedrückt, weil seine derzeitige Freundin aufgrund seiner chronischen Untreue kurzerhand in Paris geblieben ist. Die bisexuelle Ethnologin Marie (Oscarpreisträgerin Marion Cotillard) hat zwar unzählige Affären, läuft aber jedes Mal panisch davon, wenn sich eine Beziehung anzubahnen droht, und scheint völlig aus der Bahn geworfen, als plötzlich einer ihrer Liebhaber am Urlaubsort auftaucht. Antoine (Laurent Lafitte) hingegen nervt alle mit seinem ständigen Gejammer über das unglückliche Scheitern seiner letzten Beziehung und noch mehr damit, dass er stets das Gegenteil von dem tut, was man ihm zuvor auf seine eigene Aufforderung hin geraten hat. Max’ Ehefrau Véronique (Valérie Bonneton) übertreibt es ein wenig mit ihrer ständigen Bemutterung der anderen, vor allem wenn sie wieder einmal über die Vorteile biodynamischer Ernährung doziert. Isabelle (Pascale Arbillot) wiederum kompensiert die sexuelle Dürrephase, die momentan innerhalb ihrer Ehe mit Vincent (Benoît Magimel) herrscht, mit ausgiebigen erotischen Ausflügen ins Internet. Und warum liegt eigentlich zwischen dem Chiropraktiker Vincent und Gastgeber Max eine so hässliche Spannung in der Luft? – Fragen sich alle, die eben nicht wissen, dass Vincent dem älteren Freund und Patenonkel seiner Kinder bereits vor der Abfahrt in Paris gestanden hat, dass seine Gefühle für ihn über das normale Maß einer Männerfreundschaft hinausgehen. Damit kann Max – den François Cluzet grandios als eine hysterische Mischung aus Louis de Funès und Nicholas Sarkozy anlegt – offensichtlich nicht sonderlich gut umgehen: Kaum angekommen, ereifert er sich darüber, dass der Rasen nicht ordnungsgemäß geschoren wurde, danach brüllt er grundlos die Kinder an, und dann steigert er sich so fanatisch in die Jagd nach einem die Hohlräume seines Ferienhauses illegal bewohnenden, nachtaktiven Nagetier hinein, dass man meinen könnte, er wolle seinem eigenen inneren Dämon den Garaus machen. Die Hatz gipfelt schließlich darin, dass er eines Nachts mit einer Axt die Zimmerwände einzuschlagen beginnt und dabei ein ähnlich erschreckendes Minimum an Psycho-Gesundheit zur Schau stellt wie Jack Nicholson in Kubricks Horrorklassiker Shining (1980). Wenngleich weiterhin auch gelacht und gescherzt wird, folgt so eine Nervenkrise der anderen, bis sich Paris am Telefon meldet … Gemeinsam mit einigen der angesagtesten Darsteller des aktuellen französischen Kinos gelingt es Schauspieler-Regisseur Guillaume Canet mit seiner dritten Regie-Arbeit – nach Mon Idole (2002) und dem César-prämierten Thriller Kein Sterbenswort (2006) – dem strapazierten Begriff der Tragikomödie insofern eindrucksvoll gerecht zu werden, als man an vielen Stellen nicht mehr weiß, ob man noch lachen kann oder schon weinen möchte. Der überdies meisterlich fotografierte und erklärtermaßen an Erfolge wie Lawrence Kasdans Der große Frust (1983) und Kenneth Branaghs Peter’s Friends (1992) anknüpfende Film avancierte in Frankreich mit mehr als 5,3 Mio Besuchern zum zweiterfolgreichsten des Kinojahres 2010 und läuft hierzulande am 7. Juli an. s
Kleine wahre Lügen von Guillaume Canet FR 2010, 154 Min, DF/OmU Tobis, www.tobis.de Im Kino ab 7. Juli 2011
Kein Sterbenswort von Guillaume Canet FR 2006, 125 Min, DF/OmU
Mon Idole von Guillaume Canet FR 2002, 110 Min, OF
Auf DVD bei Universum Film, www.universumfilm.de
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Nina – Diary of a Porn Star Nina heißt eigentlich Sofie – sie ist 23 Jahre alt, hat schon in 150 Pornofilmen mitgespielt und will jetzt aussteigen… Ein sensationeller, ungewöhnlicher und spannender Einblick in den Werdegang und das Leben eines Pornostars.
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Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen! Von W e r n e r Sch roet e r · au fgez eich n et von Cl au di a L enssen
Vor etwas mehr als einem Jahr starb Werner Schroeter. Es scheint so, als würde man erst jetzt seine Bedeutung, seine Ausstrahlung, sein Fehlen wahrnehmen. Noch kann man Elfi Mikeschs wunderschönen Dokumentarfilm „Mondo Lux“ in Kinos und auf Festivals sehen, und ganz frisch ist Werner Schroeters Autobiografie „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“ im Aufbau Verlag erschienen. Claudia Lenssen, die ihre atemlos in den letzten Monaten entstandenen Interviews in bewundernswerter Weise in den Rededuktus und die Erzählmagie Schroeters übersetzt hat, stellte für die SISSY einen Auszug aus dem Buch zur Verfügung, den wir mit freundlicher Genehmigung des Aufbau Verlags abdrucken.
s Das Theater ist dem Leben näher, der Film der Eitelkeit. Es ist doch wunderbar, wenn man einen Film gemacht hat, den man wieder vorführen kann, so eitel ist nun jeder Künstler. Theater ist das Flüchtige, das Kino das Manifeste, das Mitnehmbare sozusagen. Das widerspricht sich keineswegs. Als ich von Peter Zadek, Jean-Pierre Ponnelle und Ivan Nagel ins Theater gezogen wurde, habe ich mich nur schwer überzeugen lassen. Der bürokratische Betrieb war mir unheimlich. Erst mit „Salome“ in Bochum, wo Peter Zadek Intendant war, fühlte ich mich wohl. Daraus wurde eine Theaterfamilie, und wie Familien so sind, kommt man kaum noch heraus. So kam eins zum anderen, fast achtzig Theaterarbeiten seit 1972. Bei zwei bis vier Monaten Lebenszeit für eine Produktion kann man ausrechnen, wie viele Monate ich im Theater verbrachte. Mein Freundin Ingrid Caven prägte ein schönes Bonmot für unser Leben und unseren dauernden Schwebezustand zwischen Proben und Vorstellungen: Tage im Dämmer, Nächte im Rausch. Arbeit ist ein falscher Begriff, mein Leben liegt wirklich darin. Ich betrachte es als ungeheure Anstrengung an, mich auszudrücken, aber auch als innere Notwendigkeit. Psychisch strengt mich die Arbeit 30
nicht an, sie macht ungeheure Freude, physisch dagegen sehr. Aber das ist meine Lebensform. Ich glaube, jeder der nicht lügt, empfindet sein Leben nur als erfüllt, wenn er mit demselben Stellenwert kreativ arbeitet, wie er liebt. Die Grenze dazwischen sehe ich nicht. Ich habe immer nur mit Menschen gelebt, die mit Theater oder Film zu tun hatten, habe immer nur Schauspieler oder Sänger verführt. Ich habe die geliebt, die mit diesem Beruf zu tun haben, aber mir unähnliche andere Persönlichkeiten sind. Ich hätte gar keine Zeit gehabt, mich woanders umzugucken. So wie es war, habe ich nicht genug Zeit, mich durchgehend um Filme zu kümmern, aber ich bereue es nicht. Es kamen immer neue Leute hinzu, Schauspieler, Mitarbeiter, Freunde und Freundinnen, wunderbar und begeisternd. So fehlte mir der Film über lange Zeit gar nicht. Theater beansprucht viel Energie und darin ging ich ganz auf, weil ich meine Idee, dass zwischen Leben und Kunst kein Unterschied besteht, hier besser verwirklichen konnte. Und umgekehrt hat es beim Filmemachen geholfen, dass ich die komplexen Konfliktsituationen aus dem Theater kannte. Es gibt den Film Ich will doch nur, dass ihr mich liebt von meinem Freund Fassbinder. In diesem Sinn ist der Versuch, sich in der Kunst auszudrücken, auch immer der Versuch, geliebt zu werden. Als Primus inter pares ist man bei der Film- und Theaterarbeit der, der am meisten geliebt werden will, es aber auch am meisten unmöglich macht. Das gilt für mich und letzten Endes alle, die die Spielleitung übernehmen. In einer ko-kreativen Gruppe, wie ich sie nenne, kommt von den mitwirkenden Gestaltern so viel, dass ich nicht mehr weiß, von wem welcher bildliche, gestalterische oder schauspielerische Einfall stammt. Es ist eine gemeinsame Kreation, die aber von diesem Obermotz gesteuert wird, diesem Spielleiter, der am meisten geliebt werden will. Kollektiv kann man keine Kunst machen. Das ist etwas anderes als die Gruppe, die ich meine, und die Herzensfreundschaft mit Magdalena [Montezuma, —Red.]. Ich wüsste nicht, wie es mit dem Kollektiven funktionieren sollte, selbst Sozialisten wie Brecht haben es nicht geschafft. Brecht hat sich zuarbeiten lassen von seinen Frauen, die er ein bisschen ausgenommen hat. Vielleicht gehört das auch dazu, auch mir halten meine Freundinnen vor, dass ich meine Gruppe ausgenommen habe. Aber das Kollektive, wie soll das gehen? Zusammen mit anderen Regisseuren? Das könnte ich mir nicht vorstellen. Je eigener jemand ist, desto schöner kann er doch mit Menschen arbeiten. Bei Peter Zadek in Bochum war genug Geld da, dass jeder Leute mitbringen konnte. Fassbinder, Jiri Menzel, Augusto Fernandes, Regisseure von verschiedenen Nationalitäten, brachten Schauspieler, Bühnenbildner, Musiker mit. Das war ein sehr kluger Gedanke! Verschiedenheit am gleichen Ort, ohne Gruppenideologie. Einmal spielte ich bei Augusto Fernandez in „Atlantis“ mit, ein anderes Mal spielte Magdalena in Zadeks „Lear“ eine der Töchter. Magdalena Montezuma konnte sich in Bochum wunderbar entfalten. Peter Zadek setzte ihr Talent und ihre Intelligenz sehr klug ein und kümmerte sich überhaupt nicht um die dumme Kritik an ihrem Dilettantismus, im Gegenteil: Sie war ein traumhafter Geist von Hamlets Vater im „Hamlet“ und tanzte wie Valeska Gert in „Professor Unrat“, beides Inszenierungen von Peter Zadek. Die Theaterarbeit half ihr zu mehr Freiheit, sie lernte andere Regisseure kennen, die mit ihr arbeiteten. So konnte sie sich von mir emanzipieren und unser Zusammensein gewann in der Freundschaft. Wir waren in Bochum fast immer im Theater, außerhalb gab es so gut wie nichts Unterhaltsames. Peter Zadek hatte im Keller die Bo-Kneipe eingerichtet, und da trafen wir uns. In seinen Memoiren schilderte er den Club, der dort zusammenhing, und machte sich über meine Entourage lustig, „lange, schöne, schlanke Menschen, die langsam wie eine Sekte durch die Gegend schritten“. War ja klar, dass ich damals dünn und düster-lustig aussah in meinen schwarzen Lederhosen, wir unterschieden uns halt von den anderen Gruppen. Da hal-
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fen auch die Kaffee-und-Kuchen-Runden bei Traute Eichhorn wenig, die uns bemutterte und abends die Souffleuse war. Zadek liebte uns, das spürt man durch den Spott hindurch. Damals hatte er eigentlich wenig Grund dazu, er war sogar sehr tief gekränkt, als ich mit Roswitha Hecke, seiner Lebensgefährtin, eine Affäre begann. Roswitha und Peter Zadek trennten sich und dann war sie die Freundin und Gefährtin meines Freundes Wolf Wondratschek, der ein schönes Vorwort zu ihrem Fotobuch „Liebes Leben“ über die schöne Züricher Nachtgestalt Irene beisteuerte. Apropos eitle und voyeuristische Intendanten: Klaus Peymann redet mich mit „Ah, Majestät sind wieder hier!“ an. Das ist nicht boshaft oder zynisch, womöglich meint er es im pluralis majestatis. Als ich am Berliner Ensemble die Georg-Kreisler-Uraufführung „Adam Schaff hat Angst“ mit Tim Fischer inszenierte, geriet ich in eine furchtbare Krise, weil ich in einen vergeblichen Liebeskampf um Tim Fischer stürzte. Irgendwann verschwand ich einfach und darauf versuchte Klaus Peymann bis nachts um drei Uhr, mich zu erreichen. Ob er helfen könne, er komme sofort vorbei. Ich sagte ihm: „Herr Peymann, Sie brauchen mir nicht zu helfen. Morgen geht’s besser.“ Er hat sich ganz loyal gezeigt, ohne es zu merken, vielleicht fand er so einen Liebesrausch bei einem Schwulen spannend. Das BE ist das einzige deutsche Theater, das man auf der ganzen Welt kennt, das berühmteste überhaupt. Aber sein Programm ist zu popelig im Vergleich zu dem, was es haben müsste. Das kann man Klaus Peymann vorwerfen. Ich persönlich brachte meine Zeit am Theater oft mit klassischen Frauenstücken zu. Unter Peter Zadeks Intendanz inszenierte ich in Bochum „Salome“, „Lucrezia Borgia“, „Fräulein Julie“ und „Das Käthchen von Heilbronn“. Nimmt man „Emilia Galotti“, die erste Inszenierung im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg 1972 und „Miss Sarah Sampson“ am Staatstheater Kassel 1977 hinzu, beide von meinem geliebten Lessing, dann sieht man, dass es eine große Neigung zu Frauendramen gab. „Lucrezia Borgia“ war eine von Magdalena Montezumas grandiosesten Arbeiten. Auch „Fräulein Julie“ war ein Vorschlag von mir, ebenso „Miss Sara Sampson“, weil ich auch die Vorstufe zu „Emilia Galotti“ inszenieren wollte, ungekürzt in großem Tempo. Aber dann dauerte es doch über drei Stunden, weil das Stück ausuferte. Es waren alles herrliche Sachen, die ich gerne inszenieren wollte: „Das Käthchen von Heilbronn“ war von mir ausgesucht, auch „Lohengrin“, den ich 1979 am Staatstheater Kassel inszenierte. Erst als ich anfing, stetig in Düsseldorf am Schauspielhaus zu arbeiten, schlug der Intendant Volker Canaris „Doña Rosita“ vor. Man könnte auch „Lohengrin“ als eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Charakteren und Persönlichkeitsvoraussetzungen von Frau und Mann ansehen, wenn z. B. Elsa nicht ertragen kann, das Geheimnis des Anderen zu wahren. Für mich war die Frau immer das transparente Lebensmodell in der Theater- und Filmarbeit, obwohl sich das im Lauf der Zeit enorm erweitert hat mit „Werther“ von Jules Massenet, „Caligula“ von Albert Camus, Shakespeares „Othello“ und „König Lear“, „Die Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, „Don Carlos“ von Friedrich Schiller und Giuseppe Verdi. Man kann sich eine schöne Theorie überlegen, warum ich so viele Frauen inszeniert habe, aber außer der Begründung, dass ich sie in ihrer gesellschaftlichen Rolle und als Projektionsfläche für meine Phantasien interessanter fand, kann ich nichts dazu beitragen. Wichtig war mir, schöne Rollen für Magdalena, Ingrid Caven, Tamara Kafka, Elisabeth Krejcir, Traute Höss und die vielen anderen Schauspielerinnen aus meiner Theaterfamilie zu finden. In Bochum wohnte ich eine Weile bei Tamara Kafka. Sie spielte das Dienstmädchen Christin in „Fräulein Julie“, war bei „Lucrezia Borgia“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ dabei, auch in meinem Film Tag der Idioten und anderen Aufführungen, später war sie Dramaturgin, Autorin und Regisseurin. Ich erinnere mich, dass sie mir einmal hundertachtzig D-Mark für eine Bahnfahrt vorstreckte, ziem-
lich viel angesichts ihrer Gage. Dann erbat sie das Geld von meinem Vater zurück, weil ich es einfach nicht schaffte. Seit „Emilia Galotti“ waren meine Gagen, zumal wenn Bühnenbilder oder Stückbearbeitungen dazu kamen, von dreitausend auf achttausend D-Mark gestiegen. Für Shakespeares „Wie es euch gefällt“ hätte ich fünfzehntausend bekommen, aber die Arbeit sagte ich im Todesjahr meiner Mutter ab. Wie dem auch sei, ich schob immer Schulden vom Filmemachen vor mir her, das Reiseleben kostete Geld und sparsam war ich noch nie. Zurück zu „Fräulein Julie“. Diese Aufführung 1977 wurde nach
Für uns am Bochumer Theater war wichtig, die verlogene Einteilung in ernste Kunst und Unterhaltung, dieses seriöse falsche Getue, zu attackieren. Persepolis eingeladen, in die Palast-Metropole von Schah Reza Pahlevi. Ich lehnte ab, weil ich es damals aus ideologischen Gründen nicht vertreten konnte. Heute würde ich einer Aufführung zustimmen – unter Beibehaltung der identischen Inszenierung ohne jede Änderung. Wie dem auch sei, für uns am Bochumer Theater war wichtig, die verlogene Einteilung in ernste Kunst und Unterhaltung, dieses seriöse falsche Getue, zu attackieren. Mit meinen Lessing-Inszenierungen und Kleists „Käthchen“ ging ich gegen die deutsche Humorlosigkeit an. Heinrich Kleists Stück war als romantisches Mysterienspiel verkitscht worden, wir bürsteten es gegen den Strich, um durchscheinen zu lassen, was wir vermissten. Ich sah das Stück viel wahnsinniger, als es normalerweise inszeniert wird. Diese Bedingungslosigkeit, mit der Käthchen dem Mann hinterhertappt! Diese innere Stärke, obwohl er sie sadistisch quält! Ich legte Kleist so aus, dass es die heimliche Angst des Autors vor solch einer weiblichen Stärke zum Gegenstand hat. Ich gestaltete mit Hans Peter Schubert ein wunderschön einfaches Bühnenbild aus herabhängenden Metallstangen, mit denen wir Ritterburggemäuer und Landschaft im Sturm phantastisch einfach zeigen konnten. Magdalenas Kunigunde von Thurneck war so, wie Kleist sie wirklich dargestellt hatte, eine Puppe, kahlköpfig, nackt, in einem Chiffon-Gewand, das die Wasserfrau andeutete. Sie war bei uns keine Undine, eher eine groteske Gestalt. Elisabeth Krejcir zeigte das Käthchen als ein Opfer des Ritters Wetter von Strahl – dass es sich quälen lässt, konnten wir ja nicht als Liebe ausgeben. Den Seufzer von Käthchens Vater, „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen“, nahmen wir als Motto. Und den aufgeblasenen Rittern wünschte ich in einem sarkastischen Beitrag fürs Programmheft „dank ihrer chauvinistischen Uneinsicht allen mitsamt ein schreckliches Zugrundegehen in ihren blechernen Spielhöschen.“ s Auszug aus W. Schroeter: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“, Kapitel „Der Wahnsinn, dieser Dietrich aller Herzen!“, S. 166–172, Auf bau Verlag 2011
Mondo Lux – Die Bilderwelten des Werner Schroeter von Elfi Mikesch DE 2011, 97 Min, dt. OF Filmgalerie 451, www.filmgalerie451.de Im Kino seit 25. August 2011
Tage im Dämmer, Nächte im Rausch von Werner Schroeter und Claudia Lenssen Autobiografie, 408 Seiten, Aufbau Verlag 2011, www.aufbau-verlag.de
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BALANCE AUF KIPPENDEM GRUND von M ich a e l E ck h a r d t
Gedanken zum Kino von Sébastien Lifshitz anlässlich der DVDVeröffentlichung seines Debütfilms „Offene Herzen“ („Les Corps Ouverts“).
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s Nein, mit dem ganz großen Erfolg wird es wohl nie klappen. Dabei gehören die Werke des Filmemachers Sébastien Lifshitz zu den besten des jüngeren europäischen Kinos. Dennoch werden sie von einer fast verschwindend geringen Minorität überhaupt wahrgenommen. Zumindest in Deutschland blieb dem Regisseur, Jahrgang 1968, die große Gefolgschaft aus; einzig sein Film Sommer wie Winter … (Presque Rien) ließ sich immerhin an 25.000 Zuschauer vermitteln. Das liegt zehn Jahre zurück, danach drehte Lifshitz den Dokumentarfilm La Traversée, der gar nicht in den deutschen Kinos lief oder als DVD erschien, und seinen vielleicht beeindruckendsten Film Wild Side (2004) sahen gerade mal knapp 400 Leute in den Kinos, trotz Teddy-Awards auf der Berlinale, trotz Gastauftritt von Antony and the Johnsons, obwohl von geradezu poetischer Qualität. Denn genau die zeichnet Lifshitz’ Filme aus. Das Kino eines Sébastien Lifshitz stellt hohe Ansprüche. An sich selbst, an die Entwicklung seiner Protagonisten, an ein aufgeschlossenes Publikum. Lifshitz hat sein Thema gefunden: Meist geht es um Entwurzelung, das Finden einer Balance, das Klarkommen in instabilen Familien, Partnerschaften oder Lebensabschnitten. Und instabil ist in der Phase der Adoleszenz an sich alles: schulisch, beruflich, persönlich, sexuell. Und so ist die Hauptfigur in Offene Herzen, dem nun auf DVD erscheinenden Erstling von Sébastien Lifshitz, eine wie viele spätere in seinen Filmen: ein Suchender. Rémi, 18, nordafrikanischer Abstammung, empfindet Langeweile. Auf dem Gymnasium, beim Gelegenheitsjob, in der dunklen Wohnung. Da kommt das Casting bei Marc, dem Regisseur, gerade richtig. Hier kann Rémi kurz entfliehen: der Monotonie seines Lebens, dem kranken Vater, den er zwar aufrichtig liebt, dessen Versehrtheit ihn aber sehr fordert. Beim Schauspiel zeigt Rémi Talent, da verschwindet kurz die Perspektivlo-
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sigkeit als ständiger Begleiter. Und der Junge taucht ein in ganz neue Erfahrungen, auch sexueller Art. Mit Marc wird er schlafen, dann wieder mit Frauen, und daraufhin trotzdem neue Männer kennenlernen. Die Straßen von Paris sind nun sein Spielplatz … Es ist im Gegensatz zu Sommer wie Winter … oder Plein Sud, Lifshitz’ bisher letzter Arbeit, nicht nur durch das nächtliche Paris ein recht düsterer Film geworden. Weil auch seine Hauptfigur, der die Zuneigung ihres Schöpfers sicher ist, trotz seiner Jugend abgründiger angelegt ist: Rémi findet sich in Pornokinos wieder, er wird die Schule schwänzen, dem eifersüchtigen Marc aus dem Weg gehen, nach dem nächsten schnellen schwulen Fick wieder am Esstisch beim sterbenskranken Vater sitzen. Da irritiert und rührt es an, wenn der ihm mit großer Zärtlichkeit den Kopf streichelt. Rémi schließlich ist reifer, aber noch lange nicht angekommen. Dieses Thema des Ausprobierens, des Suchens, des Mäanderns, des Bewusstwerdens seiner Herkunft, seiner Zugehörigkeit – das ist Lifshitz’ Thema. Auch in Wild Side ist es das. Und auch hier gab es das poetische Moment, das über den klaglosen Neorealismus, den das Kino des Franzosen auszeichnet, schwebt. Hier dient zur Ouvertüre das vibrierende Falsett von Antony Hegarty, um von einer leidenschaftlichen Liebe zu einem toten Jungen zu singen. Dieser Performance wohnt auch die schöne Transsexuelle Stéphanie bei. Sie verdingt sich als Nutte, lebt mit einem Russen und dem Stricher Djamel. Eine Art Ersatzfamilie, die richtige verlor sie in einer Zeit, als sie es endgültig aufgab, Pierre zu sein. Doch sie kehrt noch einmal zu ihren Wurzeln zurück, da ihre Mutter im Sterben liegt. Auch hier bestechen die Echtheit atmenden Bilder, das Beobachten von Außenseitern, das Erzählen vom Zurechtkommen und der Sehnsucht nach Akzeptanz. Wenn auch nicht ganz so eindringlich wie bei Sommer wie Winter … gelang Lifshitz ein einfühlendes Porträt ungewöhnlicher Leben. In klug fotografierten Bildern, in geschickt montierten Rückblenden steht Lifshitz für eine Intensität, die im Kino selten ist. Das löst sein erfolgreichster und sicherlich auch bester Film eindrucksvoll ein: In Sommer wie Winter … dachte Mathieu, es sei die Liebe seines Lebens. Den attraktiven Cédric lernte er während eines Sommerurlaubs an den endlosen Stränden der Bretagne kennen. Durch die leidenschaftliche Beziehung fühlte sich der introvertierte Junge stark genug, sein ComingOut zu leben. Im darauffolgenden Winter trennen sich die beiden, ohne wirklich zu wissen warum. Jetzt geht es Mathieu richtig scheiße. Er versucht sich umzubringen … Und hier zeigt sich Lifshitz’ Talent im Schaffen einer geradezu fühlbaren Authentizität am besten. Ohne die realitätsfremde Schweinchenrosatüncherei der üblichen schwulen, meist komödiantischen Luftsprünge erzählt der Regisseur von der Schwierigkeit, Balance zu halten, wenn der Boden kippt. Das Ausleben des Hochgefühls und das verletzte Insichkehren sind ihm weitaus wichtiger, als durch endlose Dialoge die erste Liebe zu zerquasseln. Sprachliche Reduktion steht auch für den Erstling Offene Herzen, es geht ums Suchen und Probieren. Auch wenn für Rémi das Coming-Out nicht das alleinige Thema ist. Er ist aber jetzt jemand, der begehrt und begehrt wird, der Liebe und Zuneigung sucht und zumindest Spielarten der Liebe und der Körperlichkeit findet. Und mit dem Verlust des Vaters, mit dem drohenden Zerbrechen
der Familie, gibt es durchaus eine Parallele zu Lifshitz’ letztem Film Plein Sud, wenn auch hier Integration nicht das Thema und Coming-Out nur das einer Nebenfigur ist: Plein Sud ist ein faszinierender Mix aus Roadmovie, Familiendrama und Liebesfilm. Sam musste als Kind ansehen, wie sich sein Vater beim Streit mit der Mutter im Auto eine Kugel in den Kopf jagte. Fortan erleben sein jüngerer Bruder und er, wie Maman zu trinken anfängt und geradezu schizophren wird. Die Waffe des Vaters hat Sam behalten, hat sie im Gepäck, als er mit den Trampern (und Geschwistern) Lea und Mathieu in Richtung Meer fährt. Mathieu verliebt sich in Sam, dem aber fällt es schwer, Gefühle zuzulassen. Es gibt wie in Sommer wie Winter … lichtstarke Szenen am Strand, die Hauptfiguren sind allesamt hübsch anzusehen, die Nacktszenen sind wild-romantisch und natürlich, und Lifshitz entflicht seine Konflikte in gewohnter Subtilität. Und trotz der krassen Kindheitsgeschichte, des schwierigen Kampfes ums Liebenkönnen und Liebenlassen kriegt der Film gerade zum Ende hin etwas Besänftigendes. Vielleicht, weil er schlussendlich einfach über die Möglichkeit von Vergebung räsoniert. Plein Sud bleibt ein wenig rätselhaft, das ist durchaus gewollt so. Das ist aber ohnehin eine Eigenart des queeren französischen Films, dieses Aussparen, Lückenlassen – im Fragmentarischen liegt eben jene unleugbare Poesie. Es bleibt Deutungsraum. Das tut gut. Darin begründet sich aber auch die eher zögerliche Aufnahme durch das Publikum. Man mag es wohl eindeutiger. Ein Erfolgsfilmer wie François Ozon ist da klarer, wenn auch bei ihm dieses Augenzwinkern, das Überzeichnen und Pathetische Methode haben. Ozons Filme oder die seines spanischen Kollegen Almodóvar sind breiter angelegt. Vielleicht auch, weil sie emotionaler und dramatisierender sind und meist von Frauen erzählen. Das tut Lifshitz nicht. Er erzählt von Männern und auch ein wenig von sich. In Offene Herzen taugt dafür auch ein Auftritt Lifshitz’ als Sébastien, der mit Rémi anonymen Sex im Pornokino hat. Das Zurückbleiben, die Orientierungslosigkeit, die Einsamkeit sind bei Lifshitz wiederkehrende Motive: Mathieu wird allein sein, die Transe Stéphanie nach dem Tod der Mutter letztendlich auch und ebenso Rémi. Das Leben als Glücksthese interessiert Lifshitz nicht. Er strebt nicht nach einem Echtheitszertifikat, sondern erzählt einfach das, was ihn bewegt. Dadurch sind seine Geschichten „echt“, dadurch wirkt auch Offene Herzen bisweilen dokumentarisch. Doch um diese Lebensnähe auf Zelluloid zu bannen, braucht es auch die passenden Gesichter. Deswegen arbeitete Sébastien Lifshitz mit dem jungenhaften und dennoch virilen Yasmine Belmadi auch nach Offene Herzen mehrfach zusammen. Dies waren durch das Charisma Belmadis in starker Erinnerung bleibende Rollen. Auf ihn wird Sébastien Lifshitz und das Kino leider verzichten müssen, da er vor zwei Jahren bei einem blödsinnigen Mopedunfall mit gerade 33 Jahren verunglückte. Als er sich in voller Fahrt eine Zigarette anzündete, kam er von der Straße ab und krachte an eine Laterne. Wenn man das weiß, denkt man sofort an Rémi. Was weniger mit sentimentalem Kitsch zu tun hat, eher mit dieser anrührenden, verletzbaren Figur. s
Offene Herzen von Sébastien Lifshitz DE 2010, 105 Min, OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de
Sommer wie Winter … von Sébastien Lifshitz DE 2010, 100 Min, OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de
Plein Süd – Auf dem Weg nach Süden von Sébastien Lifshitz DE 2010, 87 Min, OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de
Wild Side von Sébastien Lifshitz FR/BE 2004, 91 Min, OmU Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de
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He-Man von R ich a r d Ga r ay
„Sagat hautnah!“ verspricht der Dokumentarfilm von Pascal Roche und Jérôme M. Oliveira über Model, Darsteller, Künstler und Undergroundsexsymbol François Sagat. Ein frommer Wunsch. Auch nur ein vorläufiges Resümee zu ziehen, wie es das am 16.6. auf DVD erscheinende Sagat-Material vorgibt, ist, ganz in seinem Sinne, hoffnungslos.
s Joe Dallesandro versteht ja bis heute nicht, warum ihn alle so toll finden. Er war halt jung, nackt und im Film und freute sich, dass man ihm dafür und überhaupt Komplimente machte. (Die konnte er gut gebrauchen als Heimkind, runaway child, Jugendstraftäter.) Aber eine Ikone? Ein Sexsymbol? François Sagat ist über sein Ikonendasein bestens im Bilde. Auch wenn er sich mittlerweile ein Privatleben wünscht, das zurückgezogen, hinter großen Mauern, mit Freund und Familie stattfinden sollte, beherrscht er das Spiel der Zurschaustellung perfekt. Der jungenhafte, natürliche, entspannte Little Joe und der steroidale, hypermaskuline Titan Sagat? Der Vergleich ist nur auf den ersten Blick irritierend. Beide haben in der Erwachsenenunterhaltung angefangen, der eine als Physique-Pictorial-Modell, der andere als unechter „Citébeur“ (das Arabische ist bei Sagat völlig fiktiv), sind schließlich zu Underground-Sexsymbolen geworden und dann noch zu Helden des Arthauskinos. Bis zu Rivette führt der Weg des einen, zu Honoré der des anderen. (Auch die Zwischenstationen sind vergleichbar, denn Bruce LaBruce kann man ja tatsächlich den Paul Morissey unserer Zeit nennen.) Da wurde aus Ikonen noch mal ein eigenes Süppchen gekocht, den Auf-ihren-Körper-Reduzierten Freiräume eröffnet und von deren Hipness für sich selbst ein wenig Glanz abgestaubt. Sagats Toupet-Tattoo ist seine Trademark; Dallesandros berühmtes „Little Joe“-Tattoo gibt’s mittlerweile auf T-Shirts. Und doch – jedes Sexsymbol hat seine Zeit. Und da ist Sagat gerade ein ziemlich spannendes Beispiel. Wenn sein Körper eine Geschichte erzählt, dann ist es die einer allumfassenden Selbsterschaffung, durchaus als Rache für die Stigmen, die er in seiner Heimatkleinstadt Cognac als schwuler, tuntiger Teenie erfahren musste. Da hat eine Verwandlung stattgefunden, mithilfe von Steroiden, Sex und Undergroundregisseuren. Letztere erzählen von Disziplin und Intelligenz, Psychologen von Geschlechterrollenübertreibung und -inszenierung (Marilyns Titten = Sagats Arsch) und Pornofilmproduzenten von Klassik und Exotik. Was Sagat dazu selbst erzählt, ist viel spannender und lässt sein Bild noch mal ganz anders schillern: Tatsächlich bezeichnet er sich als Transsexuellen, der nach seiner Sissy-Jugend zwei Optionen gehabt hätte: endweder eine „richtige Frau“ oder ein „richtiger Mann“ zu werden. Letzteres war sein Weg und wurde mit allen nur greifbaren Hilfsmitteln erreicht. Am Ende kann er es als eigene Leistung erklären, das Objekt der Begierde anderer zu sein. Joe Dallesandro sollte immer so aussehen, als sei ihm seine Schönheit gar nicht bewusst. François Sagat muss beim Modellieren seines Körpers seinen Bewunderern und Inszenierern immer einen Schritt voraus sein, ein auf ewig mit sich selbst beschäftigter „Megalomaniac“ (Sagat). Und das weiß er alles und deshalb wird ihm auch kein Dokumentarfilm nahe kommen. Ein weithin sichtbares Rätsel zu bleiben, darum geht’s. s
Sagat von Pascal Roche und Jérôme M. Oliveira FR 2011, 120 Min, OmU
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Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de
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„Der Fremde im Zug“ (Alfred Hitchcock, 1951)
Schöner Schwächling von ja n k ü n em u n d
Am 27. März verstarb der Hollywood-Schauspieler Farley Granger. Sein Leben und seine Filme sind fester Bestandteil der queeren Filmgeschichte. Eine kleine Hommage.
And the road was like a ribbon and the moon was like a bone He didn’t seem to be like any guy she’d ever known He kind of looked like Farley Granger with his hair slicked back She says I’m a sucker for a fella in a cowboy hat (Tom Waits, „Burma Shave“)
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s Ein eigenartiges Gesicht. Kaum etwas passt da zusammen: der markante, etwas grobe Unterkiefer nicht zu den edlen hohen Wangenknochen, die hohe Stirn nicht zu den weichen Locken, das römische Profil nicht zum dunklen Typ, die empfindsamen Augen nicht zur großen, unperfekten Nase. Selbst Ober- und Unterlippe erzählen verschiedene Geschichten, die eine ist schmal, wirkt steif, die andere ist voll und sinnlich. Ein Gesicht, das in Großaufnahmen einzufangen für Regisseure gefährlich ist, denn man gerät bei der Betrachtung ins Lesen, hört den Dialogen nicht mehr zu und verliert die Geschichte aus den Augen. Trotzdem sind einige Kameras in Großaufnahmen an ihm hängen geblieben, konnten sich nicht sattsehen. Andere gingen wohlweislich auf Abstand, betrachteten Farley Ganger von weitem, eine äußerst athletische Figur, ein Tänzer, für Hollywoodmännernormen zu dünn. Sollte dieser Körper eine Funktion erfüllen und keine Geschichte erzählen, wurde er zum Anzug- und Uniformträger oder zum Tennisspieler. „Es ist absurd, dass Sie ein Offizier sind!“, sagte die verliebte Dame in Senso zu ihm. Er antwortet: „Wir sind Offiziere, weil uns die Uniformen so gut stehen“. Farley Granger (bürgerlich: Farley Granger) ist durch wenigstens vier Hauptrollen in die Filmgeschichte eingegangen: Er war Bowie The Kid in They Live By Night (Nicholas Ray, 1947/49), schwuler Mordkomplize Philipp Morgan in Rope (Alfred Hitchcock, 1948), Tennisprofi Guy Haines in Strangers On A Train (auch Hitchcock, 1951) und Offizier Franz Mahler in Senso (Luchino Visconti, 1954). Ein Kind wohlhabender, durch den Börsenkrach von 1929 völlig verarmter Eltern, die es in den 1930ern nach Hollywood zog, wo Farley Theaterspielen und Stepptanzen lernte und den Scouts von Samuel Goldwyn auffiel, dessen beste Zeit vorbei war und der kläglich darin versagte, aus Granger – wie angekündigt – einen Star zu machen. Dass er dennoch diese vier berühmten Rollen bekam, verdankte er gleich mehreren queeren Interessen. Auf einer Party wurde er von Nicholas Ray angemacht und später besetzt, er befriedigte Hitchcocks Sehnsucht nach sexuell ambivalenten Schauspielern und begründete bei Visconti die Linie männlicher Diven (vor Alain Delon und Helmut Berger). Dass Granger seit seiner Navy-Zeit mit Männern schlief, hat damit natürlich zu tun – er war Teil einer queeren Subkultur des Filmgeschäfts zu einer Zeit, in der nichts dergleichen in den Hayes-Codeifizierten Filmen nach außen dringen durfte. Wie viele andere Stars war Granger offiziell hetero, laut spätem Geständnis „bisexuell“ (wie Nicholas Ray, wie Joseph Losey, wie Sal Mineo), war gerngesehener Divenbegleiter (Ava Gardner, Rita Hayworth) und hatte die
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üblichen schwulen Star-Affären dieser Zeit mit Leonard Bernstein, Arthur Laurents und Jean Marais. Was aber erzählen das Gesicht und der Körper von Farley Granger, von Ray, Hitchcock und Visconti inszeniert, davon? Was bringt seit jeher schwule Filmfans dazu (und der Autor bekennt sich schuldig), sich in dieses Gesicht und diesen Körper zu verlieben, lange bevor man weiß, dass er „auch so“ war? Es gibt ein klassisches Rollenprofil für Farley Granger: den Jungen mit Problemen. Und es gibt einen Trademark-Farley-GrangerGesichtsausdruck: die hervortretende Verhärtung auf der Stirn, die tiefe Falte oberhalb der Nasenwurzel, die vor Angst geweiteten Augen, der halb offen stehende Mund, der hervorgereckte Unterkiefer. Ein Ausdruck der Panik, der von Gefühlen überspülten Kontrolle, der Entäußerung. Kein männlicher Hollywooddarsteller der späten 1940er und frühen 1950er hat sich seine Empfindungen, sein Schwachwerden derartig ansehen lassen. Ein hübscher Junge, der die Fassung verliert – kein Männlichkeitsideal der Nachkriegszeit. „A handsome man, but there is a slight air of weakness about him“, fand Filmwissenschaftler Robert Osborne – attraktiv, aber ein Schwächling. In Rope spielt er den schwachen Part des schwulen Killerpaares nahe an der männlichen Hysterie, als empfindsamen Pianisten, der (so der Partytalk) auf dem Land eigenhändig Hühnern den Hals umdreht, in einem perfekt sitzenden, je nach Abtastung des 1948er Technicolor-Materials grau oder bräunlich schimmernden Anzug, der vor Gewissensbissen von Einstellung zu Einstellung mehr durchdreht. Für Hitchcock natürlich ein wunderbar perverser Typ, aber wie Granger ihn spielt, als Galerie verzweifelter Blicke, wie er Halt sucht im Spiel eines Klavierstücks, das bezeichnenderweise „Perpetuum Mobile“ heißt, wie ihm vor Schreck das Cocktailglas in der Hand zerbricht und wie ihm zwischen zwei der nur neun Schnitte in diesem Film eine Locke aus der akkurat gebändigten Frisur in die Stirn fällt – das ist ein Glanzstück männlichen Schwachwerdens, für das andere später method acting brauchten. „Schwach Sein ist ein Fehler!“, sagt sein Liebhaber im Film. Zu schwach für diesen Film waren Montgomery Clift und Cary Grant, die Grangers Mitspieler sein sollten, aber aus Outing-Angst ablehnten. Fand auch Arthur Laurents, Grangers damalige Affäre, der das Drehbuch zu Hitchcocks schwulem Kindergeburtstag (es fällt darin der böse Satz, der Tote hätte „leben und lieben können“ wie die beiden Schwulen es niemals gekonnt hätten) schrieb und der – laut Celluloid Closet – keine Sissys mochte. Fand wohl auch Luchino Visconti, der mit ähnlich kaltem Blick Granger als Schwächling inszenierte – als Aas, der Frauen verführt, weil er das Gefecht mit Männern scheut, der ihr Geld (das dringend zur Unterstützung des italienischen Widerstands gegen die österreichischen Besatzer gebraucht wurde) für die Bestechung eines Arztes erschleicht, der ihn kriegsuntauglich schreibt. Viscontis Empathie hat in Senso die Frau, die sich demütigen lässt, weil sie ihren Gefühlen folgt. Blind ist sie für den sexy Körper des italienischen Helden, gespielt vom virilen Massimo Girotti (Viscontis Lieblingsschauspieler, solange er volksnahe Filme drehen wollte). Empfänglich dagegen ist sie für den blasierten, überfeinerten Granger-Körper, nach dem Uniform-Strip im Baumwollunterhemd, später sogar unrasiert. Ein Feigling, der ausgerechnet den Italienern vorwirft, Kriege mit „Blumen und Mandolinen“ zu führen und der folgerichtig von einem lächerlichen Aufmarsch schicker österreichischer Uniformen exekutiert wird. Man hätte Granger wohl davon abraten müssen, seine Talente zur Darstellung männlicher Schwäche darin zu investieren, Feiglinge und Perverse zu verkörpern. Ansonsten konnte man aber wenig mit ihm anfangen (Sal Mineo ging es kurze Zeit später ähnlich). Er ging zurück zum Broadway, später zum Fernsehen, behielt seine Würde und veröffentlichte schließlich, gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Robert Calhoun, seine vielbeachteten Memoiren („Include Me Out“).
Was aber an Potential in diesem Schauspieler, diesem Körper und diesem Gesicht steckte, wurde ganz am Anfang seiner Karriere deutlich. In They Live By Night war er zwar auch der Junge mit Problemen – er durfte aber auch schön sein in seiner Schwäche und gefühlvoll in seiner Schönheit. Er ist Bowie, mit sechzehn des Mordes angeklagt, der mit zwei anderen sieben Jahre später aus dem Gefängnis ausbricht und Banken ausraubt. Bowie, der Junge, der nie gelernt hat, mit Frauen zu sprechen, trifft Keechie, ein Mädchen, das in ihrer kriminellen Sippe noch keinen gefühlvollen Jungen kennengelernt hat. Keechie wurde auf Grangers ausdrücklichen Wunsch von Cathy O’Donnell gespielt, einer weiteren hoffnungslosen SamuelGoldwyn-Verpflichtung, die in kein Darstellerprofil passte. Nicholas Ray inszeniert dieses Paar auf seiner kurzen Flucht, in seinem kurzen Glück, mit einem völlig verliebten Blick. Sie fast ungeschminkt, im Trenchcoat, mit emanzipierter Zurückhaltung, eine Frau, die sich nichts aus Geld macht – er ein scheues Reh, verletzt, verletzlich, oft nur halb bekleidet, voller Angst. Beide haben keine Übung im Küssen und im Tanzen, sie schenken sich Uhren und eine kurze gute Zeit, heiraten für 20 Dollar und haben überhaupt keine Chance. „Ich bin ein schwarzes Schaf“, sagt Bowie. „Das einzige, was an dir schwarz ist, sind deine Wimpern“, antwortet Keechie. Dass Nicholas Ray ein Regisseur war, der die Schwäche seiner Figuren liebte und ernst nahm, muss man heute niemandem mehr erzählen, der weiß, dass er wenig später mit James Dean und Sal Mineo in Rebel Without A Cause ein neues Männerbild popularisiert hat. Zu dieser Zeit erfror Farley Granger gerade unter dem Schwulen-Selbsthass-Blick von Visconti. Method Acting kam Granger unprofessionell vor. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort schwach geworden. s
Der Fremde im Zug von Alfred Hitchcock US 1951, 93 Min, DF/OmU
Cocktail für eine Leiche von Alfred Hitchcock US 1948, 80 Min, DF/OmU
Sehnsucht von Luchino Viscont IT 1954, 117 Min, DF/OmU
Auf DVD bei Warner Home Video, www.warnerbros.de
Auf DVD bei Universal, www.uphe.de
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt, www.arthaus.de
Im Schatten der Nacht von Nicholas Ray US 1949, 92 Min, DF/OmU
Include Me Out von Farley Granger und Robert Calhoun Autobiografie, 288 Seiten (TB), Griffin. Als Import.
Auf DVD bei Arthaus Kinowelt, www.arthaus.de
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film-flirt
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Was in meiner Erinnerung hängen geblieben war: Serge und François beim gemeinsamen Masturbieren; Serge und François beim Herumtollen auf den Ufersteinen der Garonne, ihre nassen weißen Unterhosen an ihren Lenden klebend; François, wie er sich während einer Motorradfahrt an Serges Rücken schmiegt; das erotische Knistern, das auch von Maïté ausgeht; der Wunsch, die beiden Jungs mögen sich finden; das Schmutzgefühl darüber, dem Mädchen ihr eigenes Glück – sprich ihre Liebe zu François – nicht gönnen zu wollen.
Der Moment Sch r i f tst e l l e r se h en F i lm e: si mon f roe h l i ng
Sein Romandebüt „Lange Nächte Tag“ war 2010 eine kleine Sensation auf dem Buchmarkt. Vorher war der australischschweizerische Doppelstaatsbürger und Wahl-Züricher Simon Froehling schon als Autor preisgekrönter Theaterstücke bekannt geworden. Für die SISSY und für André Téchinés Film „Wilde Herzen“ hat er für einen Moment seine Angst, über Filme zu schreiben, besiegt.
s Ich schreibe nicht gerne über Filme. Es ist das Jahr 1997, und ich soll für mein Nebenfach eine Arbeit über Rainer Werner Fassbinder verfassen. 15.000 Wörter. Ich studiere an der University of Queensland in Australien, wohin ich mit achtzehn aus der mittelständischen Schweizer Enge und vor meinem Coming-Out geflüchtet war. In Brisbane behaupte ich eine studentische Bohème, die beinhaltet, in Groß-WGs unten am Fluss zu wohnen, Fächer wie Filmwissenschaften zu belegen und vehement für oder gegen etwas zu sein – sowie jeden Freitagabend ins Schonell Theatre zu gehen, damals das einzige Kino der Stadt, das europäische Autorenfilme zeigt. Als ich Wilde Herzen (Les Roseaux Sauvages) von André Téchiné zum ersten Mal sehe, im Beisein meiner Bezugsgruppe, beherrsche ich mich. Aber in der Matinee am folgenden Tag heule ich ohne Scham los. Ich weiß, dass ich mich sowohl in den Bauernsohn Serge, verkörpert vom göttlichen Stéphane Rideau, als auch in den Bücherwurm François, gespielt vom engelhaften Gaël Morel, verliebt habe, will aber mit jeder Faser meines Seins der Ideologin Maïté verfallen sein – den Brüsten, den Lippen, der hohen Stirn von Elodie Bouchez. Schnitt ins Jahr 2011. Wochenlang klicke ich mich auf meinem Laptop durch die Nachrichten zu den Aufständen in Nordafrika und dem Nahen Osten: Tunesien, Ägypten, wo ich nach meiner Australienzeit eine Weile lang lebte, Algerien … Gerade als die Protestwelle Syrien erreicht, verbringen mein Freund und ich ein verlängertes Wochenende im malerischen Appenzellerland. Les Roseaux Sauvages sei der erste schwule Film, den ich je sah, sage ich, als ich die DVD spätabends ins Laufwerk ebendieses Laptops schiebe. Ich erschrecke noch im Sprechen ob der Behauptung, ein einziger Film hätte meine persönliche sexuelle Revolution ausgelöst. Meine Liebe zum französischen Kino ja, aber – 38
Schnitt in den Sommer des Jahres 1962. Der von Frankreich auf äußerst grausame Weise geführte Unabhängigkeitskrieg Algeriens geht seinem Ende zu. François, Serge und Maïté bereiten sich aufs Abitur vor und ringen mit ihren sexuellen und schulischen Problemen sowie der komplexen politischen Situation. In der Anlage also ein klassischer Coming-of-Age-Film. Auftritt Henri, ein aufsässiger Algerienfranzose, dessen Vater im Gefecht gestorben ist, und der alle angelegten Konflikte zwischen den Figuren zu verschärfen weiß – und den ich komplett ausgeblendet hatte. Wie auch die Kriegsgeschichte. Also doch eine politische Allegorie? Eine Charakterstudie von vier Individuen, gefangen in einem Liebesviereck? Eine Ode an die Freundschaft? André Téchiné drehte die ursprüngliche, einstündige Version für eine „Arte“-Reihe, nachdem der Sender verschiedene Regisseure gebeten hatte, Filme über die Zeit ihrer Jugend einzureichen. Die Zeitschrift „Film-Dienst“ feierte die Kinoversion von 1993, die mit einer Vielzahl der französischen Filmpreise César ausgezeichnet wurde, als ein „autobiografisch-authentisches Zeit-, Milieu- und Generationenporträt, das sich jeder Sentimentalität enthält“. Mich selber hatte Les Roseaux Sauvages bei der ersten Sichtung überfordert, bei der zweiten erschüttert und beim dritten Mal verstand ich ihn unter anderem als eindrückliche Hintergrundgeschichte für die gegenwärtigen arabischen Aufstände – Nachwehen der europäischen Kolonialgeschichte. Vielleicht sträube ich mich dagegen, diesen eindringlichen, intensiven und vielschichtigen (sowie gleichzeitig erfolgreichsten) Film von Téchiné zu sezieren und in Schubladen zu pressen, weil die herausragenden Kunstwerke jene sind, in denen man ein Leben lang immer wieder etwas Neues sehen kann. Weshalb ich die Arbeit zu Fassbinder damals nicht gepackt habe, kann ich mir bis heute nicht wirklich erklären. Mein Nebenfach schloss ich in jenem Semester auf jeden Fall nicht ab. Aber meine Angst, über Filme zu schreiben, soll mit diesem Text als überwunden gelten. Danke SISSY. s
Les Roseaux Sauvages von André Téchiné FR 1994, 110 Min, OF Auf DVD als Import
Lange Nächte Tag von Simon Froehling Roman, 196 Seiten, Bilgerverlag 2010, www.bilgerverlag.ch
frisch ausgepack t
Neu auf DVD von Pau l Sch u l z (PA SCH), M a i k e Sch u lt z (M S), M a n u e l Sch u be rt (SCHUB), Ch r ist oph M e y r i ng (CM) u n d Ja n K ü n em u n d (J K)
BEAUTIFUL THING UK 1996, Regie: Hettie MacDonald, Edition Salzgeber
Jamie und Ste, zwei Nachbarjungs aus einer englischen Hochhaussiedlung, verlieben sich und werden zu den Hauptfiguren eines der schönsten Coming-Out-Filme aller Zeiten. „Zuvor aber noch dieses unvergessliche Schlussbild, mit dem sich Beautiful Thing in die Filmgeschichte einschreibt. ‚Komm, tanz mit mir‘, sagt Jamie nach all dem durchlittenen Kummer mit der Selbstannahme, und als sein Liebster im Hof vor aller Augen der Aufforderung folgt, betreten wir das Reich Utopia, ohne das niemand wirklich menschenwürdig leben kann. Dieses Schlussbild ist ein großes Gleichnis. Wer davon nicht berührt wird, dem hat sein Leben noch keinen Mut abverlangt, zum Beispiel den Mut, draußen die Hand des anderen nicht loszulassen, oder den Mut, sich zu küssen, auf einer belebten Straße und bitte nicht bloß zu Karneval. Selbst wer die Verfolgung des Andersartigen in der Ära Westerwelle & Wowereit für überwunden erklärt, weil ihm das Opfer-Gebarme unsexy scheint, wird still für sich einsehen, wie zielsicher diese einfache Szene der beiden eng umarmt tanzenden Jungs in das Herz unserer gemeinsamen Erfahrung vordringt. Denn die Kinder sind, noch immer, in Gefahr.“ (Michael Sollorz in SISSY 4/10)
ICH KANN NICHT SCHLAFEN FR 1993, Regie: Claire Denis, Edition Salzgeber
„Hauptfigur ist ein schwuler Serienkiller, das war Mitte der 90er, als man die positiven, identitätsstiftenden Szenebilder satt hatte, durchaus nicht selten. Doch wie diese Figur eingewebt ist in eine Stadt und wie sie darin zum Tanzen gebracht wird, ist nach wie vor ziemlich einzigartig. Erotisch sind die Filme von Claire Denis immer, weil sie an den Körpern hängen und sich mitbewegen. Zum einzigen Mal bislang zeigt sie hier dezidiert schwule Erotik – obwohl sie auch einen der schönsten
Filme über einen pubertierenden Jungen (Nénette et Bonie) und den vielleicht schärfsten Film über eine Männergruppe (Beau Travail) gedreht hat. Das Schwulsein in Ich kann nicht schlafen hat eine metaphorische Ebene (es passt zur urbanen Fremdheit, zur Außenseiterstudie, zum Thema der ‚gelösten Verbindungen‘ zu Heimat, Kultur, Familie) – aber auch eine konkrete, körperliche. Es erzählt den ausgestellten männlichen Körper, schutzlos und gewalttätig zugleich, objekthaft und narzisstisch mit sich selbst beschäftigt, begehrt und fremd.“ (Jan Künemund in SISSY 1/11)
The Kids Are All Right US 2010, Regie: Lisa Cholodenko, Universal
Jede lesbische Frau, die einmal Mutter werden will, muss sich irgendwann die Frage aller Fragen stellen: Woher nur nehme ich die Spermien? Und später dann: Was sage ich meinem Kind? Wie stark die Neugier auf den Vater werden kann, bekommen auch Nic (Annette Bening) und Jules (Julianne Moore) zu spüren, als ihre Sprösslinge Joni und Laser eines Tages beschließen, ihren Erzeuger kennen lernen zu wollen. Kurzerhand rufen sie bei der Samenbank an und plötzlich gibt es da IHN: Paul (Mark Ruffalo), Motorradfahrer, alternativer Restaurantbetreiber und notorischer Frauenheld. Die Ergebnisse seiner Samenspende schließt er sofort ins Herz. Und als wäre der plötzliche Familienzuwachs nicht kompliziert genug, sucht Paul auch noch einen Designer für seinen Garten – ein Job, der für die frisch gebackene Landschaftsarchitektin Jules wie gerufen kommt. Ja, auch sein Bett lernt sie im Laufe der Handlung zur Genüge kennen. Und doch ist Lisa Cholodenkos Komödie The Kids Are All Right (man beachte das schöne Wortspiel) alles andere als eine Lesbe-wird-Hete-Geschichte. Die Schöpferin des Arthouse-Klassikers High Art erzählt vielmehr herzerfrischend davon, wie das Leben nun einmal so spielt: Inklusive jener vielfältigen Spielarten von Sexualität, wie sie eine grandiose Ich-erkläre-meinen-Kindern-warum-wir-schwule-Pornos-g uckenSzene von Annette Bening auf den Punkt bringt. Ansonsten sind die Probleme, die Kontrollfreak Nic und ihre nach Selbstverwirklichung gie-
rende Hausfrauengattin so haben, normaler Beziehungsalltag. So charmant normal, dass Cholodenko mit ihrer Hollywood-Komödie den Sprung in den Mainstream geschafft hat: Sogar für den Oscar war der Teddy-Preisträger The Kids Are All Right nominiert. Zu Recht. ms
THE BOYS OF ST. VINCENT CA 1992/93, Regie: John N. Smith, Pro-Fun Media
In St. Vincent, einem katholischen Waisenhaus für Knaben im kanadischen Neufundland, herrscht ein noch rauheres Klima als in der umgebenden Natur. Denn jeder noch so kleine Fehltritt der Zöglinge wird von den Glaubensbrüdern mit grausamen Züchtigungen geahndet. Das ist aber nicht alles. Noch viel schlimmer nämlich als die Schläge auf die zarten Körper wirken sich die sexuellen Übergriffe der pervertierten Seelsorger auf die Seelen der Kinder aus. Darunter hat vor allem der kleine Kevin Reevey zu leiden, der häufig noch spät abends in das Büro des diabolischen Anstaltsleiters Pater Lavin gerufen wird. Von dem, was dort hinter der schweren Eichentür vor sich geht, ahnt nur der freundliche Hausmeister etwas. Die polizeilichen Ermittlungen, die auf seine Veranlassung hin ein engagierter Kommissar einleitet, werden jedoch wegen des massiven Drucks der kirchlichen Obrigkeit und ihr ergebener Lokalpolitiker rasch wieder eingestellt – und Lavin wird lediglich versetzt. Erst 15 Jahre später muss er sich – inzwischen aus dem Kirchendienst ausgeschieden und selbst Familienvater – für seine Untaten vor Gericht verantworten. Dabei verfolgt er – bar jeden Schuldbewusstseins – die perfide Strategie, seine ehemaligen Schutzbefohlenen im Zeugenstand einzuschüchtern und von seinem Anwalt verunglimpfen zu lassen. Als eines der Opfer sich im Zuge dessen das Leben nimmt, muss sich der im Erwachsenenalter immer noch von Albträumen geplagte Kevin überlegen, ob er seinen Entschluss, nicht im Verfahren auszusagen, wirklich verantworten kann … John N. Smiths zweiteilige kanadische TVProduktion aus dem Jahr 1992/93, die nun als deutsche Synchronfassung in Form einer Doppel-DVD vorliegt, erlaubt sich keinen Bruch mit konventioneller Fernsehfilmästhetik und -dra39
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maturgie und wirkt daher zwar solide, aber auch ein wenig bieder und vorhersehbar. Das Prädikat „sehenswert“ verdient sie dennoch dank Hollywoods Dauerunsympathen Henry Czerny (Das Kartell, Mission: Impossible, Der Exorzismus von Emily Rose), dem ein ebenso vielschichtiges wie erschreckendes Psychogramm Pater Lavins gelingt. cm
nau in Mousses Gesicht schaut, wenn man Paul beobachtet, wie er das Neugeborene in seinen großen Händen hält, dann weiß man, dass es auch ein sehr erwachsener und durchaus mit Hoffnung verbundener Schluss ist.“ (Michael Eckhardt in SISSY 3/10)
A MARINE STORY US 2010, Regie: Ned Farr, Pro-Fun Media
TO DIE LIKE A MAN PT/FR 2009, Regie: João Pedro Rodrigues, Edition Salzgeber
„Als glamouröse Drag Queen mit einer langen blonden Lockenperücke war Tonia über Jahre hinweg der große Star des Clubs. Nur wird sie nun langsam älter. Zudem hatten ihr immer Kraft und Mut gefehlt, ihre Verwandlung endgültig zu machen. Alles in Rodrigues’ grandiosem Melo-Drama verweist auf die Konstruktionen von Weiblichkeit, die in der Welt der Transvestiten und Transsexuellen sich ganz augenfällig als eben solche erweisen. Das Weibliche ist in der patriarchalischen Gesellschaft immer etwas Gemachtes, etwas durch Abgrenzung Erschaffenes, entweder erzwungen durch männliche Erwartungen oder aus eigener Kraft geboren. Tonias tragisches Scheitern und ihr später, dann aber wahrhaft göttlicher Triumph sind der Stoff eines großartigen, zutiefst erschütternden Klagegesangs, der sich schlussendlich nur in eine ebenso grandiose, zutiefst ergreifende Utopie verwandeln kann.“ (Sascha Westphal in SISSY 4/10)
RÜCKKEHR ANS MEER FR 2009, Regie: François Ozon, Indigo/Good Movies
Ozons vorletzter Spielfilm erzählt von einer fragilen Freundschaft zwischen einem schwulen Mann und der schwangeren Freundin seines toten Bruders. „Ozon stellt mit Mousse und Paul ganz bewusst zwei so konträre Figuren gegenüber, denn so ist es regelrecht schön zu sehen, wie Grenzen, Neigungen und Zukunftspläne verwischen. Trotz aller Unterschiede in der Lebensweise verbindet Paul und Mousse sehr viel, deswegen ist Rückkehr ans Meer auch eine Geschichte über fehlende Liebe, schmerzlichen Verlust und nicht zuletzt über das Bewusstsein, dass wir alle in bestimmten Lebensphasen allein sind – und manchmal allein sein müssen. Und da Ozon den harten Schnitt mag, passt das – auf den flüchtigen Gedanken – doch sehr krasse Ende erst einmal sehr gut. Denn wenn man ganz ge40
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Die Armee ist weder für Frauen noch für Männer ein Ort der Emanzipation, sondern ihr Gegenteil, aber sie verspricht insbesondere den Unterprivilegierten die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg, finanzielle Sicherheit und Teilhabe am großen Ganzen der Nation. Nach dem Motto: Ich kann nichts, ich bin nichts, gebt mir eine Uniform! Alex gehört zwar nicht der Unterschicht an, sie ist auch nicht schwarz oder Chicana, sondern setzt eine Familientradition fort. Aber auch sie hat eine Schwachstelle: Sie ist Lesbe, ein vermeintliches Manko, das sie verbergen und kompensieren will. Dafür ist eine Uniform immer gut – und manche finden sie ja auch sexy.“ (Jessica Ellen in SISSY 1/11)
Nowhere USA 1997, Regie: Gregg Araki, Pro-Fun Media
MEIN DOMINANTES LEBEN US 2010, Regie: Irving Schwartz, Edition Salzgeber
„Für die einen ist es das Normalste der Welt, mit 30 Jahren zum zweiten Mal Mutter zu werden und ein Häuschen zu besitzen. Andere erleben das Zusammenwohnen in Kommune-ähnlichen Zuständen, als gäbe es nichts Alltäglicheres. Und Menschen wie Natalie finden es eben ganz normal, Lesbe und gleichzeitig Domina zu sein. Das Erstlingswerk Mein dominantes Leben beeindruckt mit Details aus der Masochismus-Szene, kommt wie ein kleines Bilder-Kunstwerk der beiden Filmemacher daher, jedoch nicht als unbedingtes LesbenLiebhaber-Stück. Die Drehbuchschreiber und Produzenten Garzon und Sales wollten nach eigenen Angaben in dem Film ihre ‚politischen, sozialen und romantischen Lebenseinstellungen und Erfahrungen‘ verarbeiten. Eine gewaltige Anforderung, die vielleicht ein Stück zu hoch gegriffen war. Dafür aber, so erfährt man auf der Internetseite zum Film, habe das Filmteam während der Dreharbeiten einen gewaltigen, chaotischen Spaß gehabt.“ (Jana Schulze in SISSY 1/11)
THE STRANGER IN US – EIN SCHATTEN VON GLÜCK USA 2010, Regie: Scott Boswell, GMfilms
Während Kaboom, Arakis letzter Streich, seit Mai in den Kinos läuft, hat sich endlich Pro-Fun erbarmt und Nowhere in Deutschland zum ersten Mal auf DVD veröffentlicht. Es hat vierzehn Jahre gedauert, aber Arakis Fans sind da nicht kleinlich. Schließlich ist Nowhere, der Abschlusstusch zu seiner L.A.-Trilogie, der Arakischste aller Araki-Filme: auf hysterische Weise schwermütig, grundlegend zynisch, voller Sex und Gewalt, aber nie hoffnungslos und immer sehr unterhaltsam. Hauptfigur Dark Smith, gespielt von Arakis Muse James Duval, fasst den Filmtitel erklärend zusammen: „L.A. is like nowhere … everybody who lives here is lost.“ Diese verlorene Generation bereitet sich in Gestalt eines der prominentesten Casts der jüngeren Filmgeschichte darauf vor, die aufregendste Party des Jahres zu feiern. Aber vorher wird eine von ihnen von einem Fernsehstar vergewaltigt, einer von einer riesigen Schabe gefickt, zwei sterben, Shannen Doherty, Christina Applegate und Traci Lords lachen bis der Bus kommt, und alle haben Sex mit allen und sind ständig auf irgendwas drauf. Klingt wie ein Meisterwerk über die postmoderne Pubertät? Ist es auch. pasch
Anthony, ein eher unsicherer, melancholischer und stets ein wenig verloren wirkender junger Mann, stammt aus der tiefsten Provinz Virginias, wo er den erfolgreichen Innenarchitekten Stephen kennen lernt, und zieht wenig später zu ihm nach San Francisco. Das Zusammenleben mit dem neuen Lover gestaltet sich dann allerdings mehr als schwierig, denn Stephen entpuppt sich schnell als besitzergreifender, unberechenbarer und cholerischer Kontrollfreak. Anthony versucht zunächst, sich den Launen des Psychopathen anzupassen, doch nachdem Stephen ihm gegenüber mehrfach handgreiflich geworden ist, verlässt er den geschmackvoll möblierten Beziehungsknast. Anthonys schmales Budget – er träumt den naiven Traum einer freien Schriftstellerexistenz – zwingt ihn nun zu einem kärglichen Leben in einem WG-Zimmer abseits des glamourösen Castro-Viertels. Auf einem seiner planlosen Streifzüge durch die nächtliche Großstadt trifft er zufällig mit dem minderjährigen Ausreißer und Gelegenheitsstricher Gavin zusammen. Eine folgenreiche Begegnung, denn einerseits macht Ga-
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vin Anthony mit dessen eigenem Fremden bekannt, indem er ihn in eine dunkle Parallelwelt aus schnellem Sex, Drogen und Gewalt einführt. Andererseits aber stellt der erst 17-Jährige dem orientierungslosen Ex-Provinzler auch ein Vorbild an Selbstbewusstsein und gelebter Freiheit vor Augen. Als Stephen – „Ich bin jetzt ein anderer“ – ihn erneut mit seinen giftigen Tentakeln einzufangen versucht und Gavin plötzlich spurlos verschwindet, gerät Anthony in eine Situation, in der er endlich eine klare Entscheidung treffen muss … Scott Boswells gut beobachtetes Selbstfindungsdrama, das das Geschehen in kunstvollen chronologischen Sprüngen darbietet und auch einmal die Schattenseiten des schillernden Schwulen-Mekkas San Francisco beleuchtet, besticht vor allem durch seine hervorragenden Schauspieler: Raphael Barkers Darstellung Anthonys rührt an, ohne jemals ins Kitschige abzugleiten, und Scott Cox verkörpert den übergriffigen Stephen so glaubwürdig, dass sich beim Zuschauen Beklemmungen einstellen. cm
BLOOMINGTON US 2010, Regie: Fernanda Cardoso, Edition Salzgeber
„Eine dominante Lehrerin mit akkurat frisiertem Dutt, kurzem Rock und halb aufgeknöpfter Bluse, die, an ihrem Pult sitzend, lasziv an ihrem Bleistift knabbert. Eine Vorstellung, derer sich in diesem Genre nicht wenige Male bedient wurde und von der trotzdem nach wie vor eine Faszination ausgeht. Eine Faszination, die durch das Recht begrenzt ist und durch den Duft des Verbotenen, hier die Anziehung zu einem Menschen in einer übergeordneten Position, begünstigt wird. Diese Fantasie, die schon
oft zuvor bebildert wurde, erlebt in Fernanda Cardosos Bloomington ein filmisches Revival. Den Zuschauer beschleicht aber das Gefühl, dass die Studentin in der Professorin eher nach einer mütterlichen Figur als nach einem gleichgestellten Partner sucht; Wenn Catherine, mit einem schwarzen Trenchcoat bekleidet, den ganzen Weg zu Jacquelines Familie fährt, um diese nach einem handfesten Streit aus dem Umfeld der ‚es nur gut meinenden‘, aber ignoranten Mutter zu holen, fällt Jackie, die sich heute ebenfalls beim Griff in den Kleiderschrank für den schwarzen Trench entschieden hat, ihr weinend in die Arme, die ihre Mutter ihr nicht mehr öffnet.“ (Kerstin Welzenheimer in SISSY 4/10)
No Night ist too long UK/CAN 2006, Regie: Tom Shankland, Pro-Fun Media
No Night Is Too Long ist ein sehr guter, altmodischer, sehr spannender Thriller, in dem Homosexualität eine Quelle des Ungemachs ist. Das liegt daran, dass die Vorlage von Krimiautorin Ruth Rendell ist, einer nachgewiesenen Meisterin ihres Fachs, die aber ungefähr so sehr an das Glück schwuler Männer glaubt wie die Lesbe Patricia Highsmith. Schon die schickte ihr schwules Alter Ego Tom Ripley in vier Bänden genüsslich in die Abgründe seiner eigenen Seele. Und auch Tim, der „Held“ von No Night Is Too Long, ist ein echtes, bezauberndes Monster: schön, glatt, schnell entflammt, schnell überdrüssig und zu schnellen Lösungen bereit, wenn ihm sein Liebhaber zu sehr auf die Nerven geht. Regisseur Tom Shankland und sein fantastisches Ensemble zelebrieren ihren Marsch von Schuld nach Sühne aufs Allerfeinste und nehmen ihr
Publikum mit, ohne es bis zum Schluss wissen zu lassen, wo man sich gerade befindet. Großartig geschrieben, gespielt und gedreht, nicht kleinlich, wenn es um nackte Haut geht, plus mehrfach ausgezeichnete Filmmusik. Ganz feines Fresschen für Krimifreunde. pasch
Kuba und die Nacht – Zwei Heimatländer D 2007, Regie: Christian Liffers, Pro-Fun Media
Regisseur Christian Liffers begibt sich in seinem intensiven Dokumentarfilm auf die Suche nach dem Dichter Reinaldo Arenas. Oder vielmehr dessen Geist im heutigen Kuba. Die sinnliche Aufmüpfigkeit und das Verlangen nach einem ganzen, echten Leben als schwuler Mann haben Arenas von der Insel fliehen lassen, bevor er vor 25 Jahren in den USA starb. Christian Liffers hat sich fünf schwule Männer und eine Transsexuelle im Kuba des neuen Jahrtausends gesucht, die er auf Echos von Arenas Hinterlassenschaft abhört. Und er wird auf hochpoetische Weise fündig. Jede der sechs Stories wird eingeleitet, indem der Protagonist einen Text von Arenas verliest, der zu ihm passt. (Auch der Titel des Films stammt aus einem dieser Texte.) Daran entlang erzählt Liffers die Geschichten seiner alten und jungen Protagonisten, umrahmt von einem der schönsten Filmsoundtracks der letzten Jahre. Das Ergebnis ist ein Geflecht aus Bildern, Tönen und Worten, das so dicht ist wie eins von Arenas Gedichten, dieselbe Kraft und Schönheit besitzt, mehrere Ebenen gleichzeitig bedient und den Zuschauer mit dem Gefühl eines Bildungsurlaubs, in dem man viel guten Rum getrunken hat, zurücklässt. pasch
M us ik al isc h!
Pe op le B ea ut if ul rt DV D, Im po
Wir haben (fast) alles.
Und was wir nicht am Lager haben, besorgen wir gerne. Auch aus dem Ausland.
P o rt o fr e i
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Seeing Heaven
Cibrâil
GB 2010, Regie: Ian Powell, Pro-Fun Media
DE 2011, Regie: Tor Iben, Edition Salzgeber
Seeing Heaven ist das Verkopfteste, was im Moment zu haben ist. Ian Powell hat in seine Geschichte über den jungen Escort Paul so viele doppelte Böden, literarische wie filmische Referenzen und gedankliche Falltüren eingebaut, dass der Film öfter mal mit vollem Karacho durch eine durchbrettert und hart auf seinem hübschen Arsch landet. Vielleicht war dem Macher die Geschichte über einen Jungen, der sich heftig und möglichst unsafe ficken lassen muss, um sich in einer halluzinierten Parallelwelt auf die Suche nach seinem Zwillingsbruder Saul zu begeben, dann doch ein bisschen peinlich. Zu Recht. Wäre sie beerdigt, Linda Lovelace würde so schnell in ihrem Grab rotieren, dass sie inzwischen zum Erdmittelpunkt vorgestoßen wäre. Und diese Vorstellung ist das einzig Amüsante an diesem Film. pasch
Tor Iben ist in den letzten Jahren schon mit seinen Kurzfilmen Love Kills und Tourist angenehm aufgefallen. Und auch wenn er in den 70 Minuten, die man als Zuschauer mit Cibrâil verbringt, den einen oder anderen gedanklichen Haken schlägt, bleibt einem sein erster Langfilm in ebenso guter Erinnerung, weil Iben auch hier von dem erzählt, was er gut kennt: Berlin und Sehnsucht. Die Story: Streifenpolizist Cibrâil ist ein ruhiger Typ, der öfter mal lieber Laufen geht, statt mit seiner Freundin zu schlafen, und sich den Opfern homophober Gewalt im Berliner Tiergarten fast zu sehr verbunden fühlt, wenn er sie betreut. Warum, wird klar, als der Cousin seiner Freundin aus Rom das Paar besuchen kommt, denn der ist offen schwul und bringt Cibrâil auf ganz andere Gedanken, denen er über kurz oder lang wird nachgehen müssen. Am Ende sind alle das, was sie sein sollen und irgendwie glücklich. Ibens erster abendfüllender Spielfilm ist vielversprechend. Wir freuen uns schon auf Weiteres in dieser Art. pasch
SKIN & BONE US 1996, Regie: Everett Lewis, Pro-Fun Media
Der Nachspann zieht ein bitteres Resümee und teilt die Rollen auf in die Fickenden und die Gefickten. Und so richtig viele bleiben in der ersten Gruppe am Ende gar nicht übrig. Everett Lewis’ fünfzehn Jahre altes Stricherdrama wirft einen kalten, hartherzigen Blick auf das Selbstverständnis hübscher Jungs, die sich beim Anschaffen einreden, dass sie Schauspieler sind und bei den Schauspielcastings nur weiterkommen, wenn sie sich ausziehen und sexuell zu Diensten sind. Fernziel: Hauptrolle in Satanische Jugend III. Lewis’ Lieblingsdarsteller B.Wyatt hat es dagegen immerhin in Everett-Lewis-Filme geschafft (wie da das Casting ablief, mag man sich nicht vorstellen). Richtig spielen muss er zwar nicht, aber cool sein und Körper Zeigen ist drin. Was Lewis daraus macht, ist kein Sozialrealismus – er zerfetzt schräge Stricheranekdoten in experimentellen Schnittexzessen, verknüpft das mit einem abgründigen Verschwörungsplot um die undurchsichtige Zuhälterin des exklusiven Callboy-Rings und lässt das sonnige Los Angeles sich als fleischfressende Pflanze um die Hoffnungen und Identitätsentwürfe der hübschen jungen Männer schließen, bis sie als Gefickte aus den Fantasien ihrer Kunden verschwinden dürfen – wenn sie Glück haben. Da diese Fantasien ziemlich weit gehen, ist die FSK eingeschritten. Also: gute Erwachsenenunterhaltung. jk 42
CITY WITHOUT BASEBALL HK 2008, Regie: Lawrence Ah Mon (Scud), Pro-Fun Media
Baseball gilt in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong als eine eher exotische Sportart und wird dort dementsprechend auch nur von wenigen begeisterten Individualisten betrieben. Zum Beispiel von Chung, Ron und Jason, die sich unter der Leitung ihres taiwanesischen Trainers Mr. Tai gemeinsam mit ihrer Mannschaft verbissen auf ihr großes Ziel, den Gewinn der Asienmeisterschaft, vorbereiten. Abseits des Spielfeldes erleben die Sportsfreunde allerlei Geschichten amouröser Natur, wobei sich sogar zwischen zwei von ihnen Ballspiele intimerer Art anzubahnen scheinen. Ähnlich ungeordnet und chaotisch wie das sportliche Treiben auf dem Rasen dem regelunkundigen Beobachter vorkommt, so mutet allerdings auch die Art und Weise an, wie diese Geschichten nebeneinander herlaufen, sich hin und wieder überkreuzen, um dann schließlich leider ins Leere zu münden. Abgesehen von diesem Verpassen eines dramaturgischen Home Runs erweckt seine bisweilen bizarre Genremixtur aus Sportlerdrama, Teenagerkomödie, Coming-Out-Story und Soft-ErotikStreifen zudem fast den Endruck, als wolle
der Film bei jeder erdenklichen Zuschauerzielgruppe Punkte einsammeln. Erstaunlich ist aber die Tatsache, dass es sich bei den Darstellern um Spieler aus Hongkongs wirklicher Baseballmannschaft handelt, die sich in diesem Streifen darstellerisch überraschend professionell und unter der Mannschaftsdusche überraschend offenherzig in Szene setzen. Bei dieser Gelegenheit erörtern sie sogar, ob sie dank ihrer naturgegebenen Talente nicht auch mal einen Pornofilm drehen sollten. Da ihnen der Titel des Asienmeisters leider verwehrt bleibt, sollte man ihnen deshalb als Trostpreis den nächsten Bambi für Courage verleihen. cm
L-Shorts Die Dritte DE, NO, CA, USA 2005–2010, Edition Salzgeber
Na wenn das nicht wirklich Lust auf mehr macht: Im Trailer zur dritten Auflage der L-Shorts ziehen sich wunderhübsche Damen aus, wälzen sich im Gras oder auf dem Bett, eine amerikanische Butch verpasst einem TruckFahrer den Sticker-Slogan „A Dyke was here“ und eine freche Göre verkündet: „Wenn ich mal groß bin, will ich eine Lesbe werden!“ Man möchte sie sofort sehen, die Kurzfilme zu diesen Szenen, und bei den meisten der sieben Werke lohnt es sich auch. Trotzdem bleibt nach über hundert Minuten Gefühlsachterbahn zwischen Beziehungsdramen und Comedy leider auch die Erkenntnis: Die besten Szenen wurden bereits im Trailer verbraten. Zumindest, was die Erotik betrifft. Diskret blendet die Kamera ab, wenn es zur Sache geht; und was an Handlung übrig bleibt, hält oft nicht ein, was die wunderschönen Bilder versprochen hatten. So ganz glaubwürdig ist es jedenfalls nicht, dass die Tochter ihrem eigenen Vater in Die Trophäe die Freundin ausspannt, ohne auch nur das Geringste dafür zu tun. Oder dass die eben noch völlig verunsicherte, in ihrer vermeintlichen Heterosexualität erschütterte Louise nach nur einer Nacht mit einer Frau gleich klammert, dass es weh tut. Viel mehr Tiefgang hat dagegen der körperliche Schmerz in Dani & Alice: Die Regisseurin Roberta Marie Monroe widmet sich dem Tabuthema häuslicher Gewalt. Aus Eifersucht geschlagen zu werden und trotzdem kaum voneinander loszukommen, entspricht schon eher der Welt, wie sie wirklich ist. L-Shorts – Die Dritte ist und bleibt der perfekte Stoff für Träumerinnen: Niemals würden wir doch einfach so zu unserer neuen Nachbarin rübergehen und sie um einen Kuss bitten, wie es die Lofoten-Bewohnerin in Kurzatmig mit der attraktiven Fremden macht. Aber wir wären gerne so mutig. ms
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MISCELLANEA I–VII D 1986–2010, Regie: Heinz Emigholz, Filmgalerie 451
„Es gibt ja Leute, die behaupten, die Geschichte des Kinos ist länger als die Geschichte der Menschen.“ – So formuliert der Journalist Stefan Grisseman in einem Interview mit dem Filmemacher Heinz Emigholz. Dieses Interview hat mit der DVD Miscellanea I–VII erst mal nichts zu tun. Aber das Interview findet sich auf der Homepage von Heinz Emigholz’ Produktionsfirma „PYM“. Emigholz produziert seine Filme stets selbst, die „PYM“ ist so über die Jahrzehnte (Emigholz’ Filmografie reicht bis ins Jahr 1972) zu einem Logo geworden für etwas, das im heutigen Kino einzigartig zu sein scheint: die Wahrnehmung von Orten, Räumen und Objekten, sowie ihrer Umgebung und ihrer Details als Kern filmischen Erzählens. Die Arbeitsweise von Emigholz lässt sich anhand der auf der DVD versammelten sieben mittellangen Filme gut erkunden: Simpel formuliert stellt er seine Kamera vor ein Objekt oder in einen Raum und nimmt einfach auf; fotografisches Betrachten mithilfe des Bewegtbildes. Emigholz’ Blickwinkel wirkt dabei stets etwas entrückt und wortwörtlich schief. In seinen vielfältigen Architekturstudien, von denen sich auf dieser DVD unzählige finden, führt er so den Blick des Zuschauers auf Wesentliches, was mitunter einen immensen Sog erzeugt. Miscellanea I–VII ist eine 152-minütige Schule der optischen Wahrnehmung – im besten Sinne. Gleichzeitig wird auch eine Entwicklung im Schaffen von Emigholz erkennbar, handelt es sich bei dieser Sammlung doch auch um Material, das während der Dreharbeiten zu anderen Projekten entstand, wie das kleine Begleitheft informiert. Es finden sich in dieser Film-Sammlung allerdings auch Film-Text-Montagen, deren intellektuelle Verkopftheit gleichermaßen abstößt und, in ihrer latent schwulen Grundierung, auch wieder fasziniert. Die unausgesprochene Faszination für das Männliche schreit einen in diesen sieben Filmen aus 22 Jahren förmlich an: Miscellanea I–VII – Bewegtbild als schwuler Mindfuck. schub
Das Team der L-Filmnacht und der Gay-Filmnacht wünscht Euch einen schönen Sommer! Wir machen Pause.* Ab September geht es weiter!
*Achtet aber auf die CSD-Special-Screenings in ausgewählten Städten.
Wir bedanken uns bei unseren Partnern für die gute Zusammenarbeit: BAREFOOT WINE & BUBBLY, dbna, gab, gayPARSHIP.de, GAYPEOPLE.de, hinnerk, LEO, lesbisch schwule filmtage hamburg, manCheck, QUEER AGENT, Rainbowguide, SCHWULST, weird
www.Gay-Filmnacht.de www.L-Filmnacht.de Eine Veranstaltung von CinemaxX, L-MAG und der Edition Salzgeber.
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Halleluja, die gibt’s noch! von Ch r ist i n e W u n n ick e
privat
Literatur, DVDs und schwullesbischen Schnickschnack kann man ja überall bestellen, auch von zu Hause aus. Aber wer sich als MünchenerIn oder München-TouristIn die Gelegenheit entgehen lässt, in den schätzungeweise 27 Ecken des Buchladens „Max & Milian“ auf Entdeckungsreise zu gehen, hat wirklich etwas verpasst. Natürlich stößt man dort auch auf die so ganz eigenen Romane von Christine Wunnicke, die ihrem Lieblingsladen in der SISSY ein ganz wunderbares Porträt widmet; einer – wenn auch in Zeiten der Amazonen gefährdeten – Münchner Institution.
Miriam Leitner und Jan Kowalczyk in einer von siebenundzwanzig Ecken ihres Buchladens.
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s Ich wohne seit siebzehn Jahren siebzig Schritte vom Buchladen entfernt. (Für mich ist er schlicht „der Buchladen“, weil er in meinem Leben die absolute Buchladenshoheit hat; außerdem habe ich damals, als ich neu war, natürlich die Standardfrage gestellt, welcher von den beiden Herren denn nun der Max sei und welcher der Milian, und dieser Mangel an Abstraktionsfähigkeit ist mir noch heute peinlich.) Der Laden ist 1989 von Jan Kowalczyk und Rolf Klaiber gegründet worden, zweimal umgezogen (die erste Vermieterin in Schwabing kündigte nach einem Aha-Erlebnis dem „Schweineladen“ schon am Tag der Eröffnung) und seit 1994 in der Ickstattstraße. Er ist Herz und Nabel des Viertels und die linke Gehirnhälfte der Szene. Er ist kompakt und stabil. Er überlebt Amazon, er überlebt den ameisenartigen Zuzug gebärfreudiger junger Familien ins Glockenbachviertel, er überlebt auch den für mich noch immer unentschuldbaren Abmarsch des Gründungsvaters Klaiber in den Schwarzwald, und wenn die Welt verpufft, wird man gelassen aus der Tür schauen und das Verpuffte mit Regenbogengirlanden verzieren, wie man es sonst mit Baugerüsten tut. (Apropos Weltuntergang: Ich werde nie vergessen, wie im August 1999 kurz nach der totalen Sonnenfinsternis ein schwerer Bayer in Tracht aus dem Laden kam und voller Erleichterung hervorstieß:
„Halleluja, die gibt’s noch!“, bevor er seine Pappsonnenbrille zerknautschte. Das ist bis heute mein liebster Max-und-Milian-Satz geblieben.) Der Buchladen ist wie die Tasche von Mary Poppins, außen klein, innen bodenlos. Ich weiß nicht, wie viele Ecken er hat, mindestens siebenundzwanzig. In fast allen kann man sitzen und bleiben. Es gibt Bücher, Filme, Musik, schwul, lesbisch, queer, quer und anders. Es gibt die wunderlichsten Postkarten der Republik, liebevoll handverlesen, und zwar ungefähr eine halbe Million. Es gibt alle drei Nummern der englischen Zeitschrift „Meat“, Auflage 100, signiert, mit beigelegtem Gimmick, und die Ausgabe des Briefwechsels von Donald Windham und Tennessee Williams von 1976, weil es ja schließlich viel zu einfach wäre, nur Windhams deutsche Neuerscheinungen zu verkaufen. Lange gab es eine wandernde Riesenschneekugel mit Kaiserin Sissi darin, die dann abwanderte, wie auch die weihnachtlichen Keks-Attrappen mit Ejakulatdekor, die ich echt nicht vermisse. In einer der vielen Ecken liegt ein goldenes PrinzessinnenKrönchen. „Erstaunlich viele Kunden setzen das auf“, sagt Jan, „das scheint ein Bedürfnis zu sein.“ Bedürfnisse sind hier wichtig. Oft entdeckt man welche, die man vorher nie ahnte, findet ein Buch, das das Leben verändert,
oder Sextipps von Edith Schröder aus Neukölln. Sie werden staunen, womit Sie den Laden verlassen, wenn Sie nur schnell „Tipping the Velvet“ kaufen wollten oder Alain Claude Sulzer. Und man betütelt keinen (außer vielleicht mit altrosa Einkaufsnetzen, die von irgendetwas der Restbestand sind). Und man verbreitet nicht dauernd gute Laune. Dafür liebe ich den Laden wahrscheinlich am meisten. Empfiehlt Miriam Leitner einen Roman, in dem ein deprimierender Loser sein Leben in Selbstmordphantasien verdämmert, wird sie die Tatsachen gewiss nicht marketingstrategisch umhäkeln. Ich wünschte, Miriam gäbe Seminare zum Thema Klappentext. Sie ist erst seit drei Jahren hier und bringt frischen Wind in die Firma – weiblich, post-gay, jung. Meine Manieren im Umgang mit dem Buchladen haben über die Jahre ein wenig die Fasson verloren. Wären nicht diese siebzig Schritte im Freien, ich käme längst im Nachthemd. Ich stürze dort hinein mit meinen großen und kleinen Lebensfragen, als gäbe es keine Kundschaft, die verborgen in den siebenundzwanzig Ecken nistet, und mache mich zum Affen, oder zur Marketingstrategie. Wenn jemand fragt „Wer war denn das?“, sagt Jan „Das war die Christine Wunnicke“, und verkauft ihm schnell ein Buch von mir, solange er noch am Wundern ist. Halleluja! s
Christine Wunnicke ist Autorin und Übersetzerin. Ihr Romandebüt war „Fortescues Fabrik“ (München 1998). Zuletzt erschienen „Serenity“ (Berlin 2008, Tukan-Preis) und die Novelle „Nagasaki, ca. 1642“ (Zürich 2010). Sie lebt und arbeitet in München.
Fortescues Fabrik Roman, 444 Seiten, Knaus 1998/btb 2000, www.randomhouse.de/btb
Serenity Roman, 240 Seiten, Osburg Verlag 2000, www.osburg-verlag.de
Nagasaki, ca. 1642 Novelle, 112 Seiten, Edition Epoca 2010, www.epoca.ch
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abspann
Bezugsquellen Nicht-heterosexuelle DVDs erhalten Sie unter anderem in den folgenden Läden. Die Auswahl wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!
Berlin b_books Lübbenerstraße 14, 030/6117844 · Bruno’s Bülowstraße 106, 030/61500385 · Bruno’s Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · Dussmann Friedrichstraße 90 · Galerie Janssen Pariser Straße 45, 030/8811590 · KaDeWe Tauentzienstraße 21–24 · Media Markt Alexa Grunerstraße 20 · Media Markt Neukölln Karl-Marx-Straße 66 · Negativeland Dunckerstraße 9 · Prinz Eisenherz Buchladen Lietzenburger Straße 9a, 030/3139936 · Saturn alexanderplatz Alexanderplatz 7 · Saturn Europacenter Tauentzienstraße 9 · Video World Kottbusser Damm 73 · Videodrom Fürbringer Straße 17 bochum saturn Kortumstraße 72 darmstadt saturn Ludwigplatz 6 Dortmund Litfass der Buchladen Münsterstraße 107, 0231/834724 Düsseldorf Bookxxx Bismarckstraße 86, 0211/356750 · Saturn Königsallee 56 · Saturn Am Wehrhahn 1 Essen Müller Limbecker Straße 59–65 Frankfurt/ main Oscar Wilde Buchhandlung Alte Gasse 51, 069/281260 · Saturn Zeil 121 Hamburg Buchladen Männerschwarm Lange Reihe 102, 040/436093 · Bruno’s Lange Reihe/Danziger Straße 70, 040/98238081 · Empire Megastore Bahrenfelder Straße 242–244 · Media Markt Paul-Nevermann-Platz 15 Köln Bruno’s Kettengasse 20, 0221/2725637 · Media Markt Hohe Straße 121 · Saturn Hansaring 97 · Saturn Hohe Straße 41–53 · Videotaxi Hohenzollernring 75–77 leipzig Lehmanns Buchhandlung Grimmaische Straße 10 Mannheim Der Andere Buchladen M2 1, 0621/21755 München Bruno’s Thalkirchner Straße 4, 089/97603858 · Lillemor’s Frauenbuchladen Barerstraße 70, 089/2721205 · Max & Milian Ickstattstraße 2, 089/2603320 · Saturn Schwanthalerstraße 115 · Saturn Neuhauser Straße 39 nürnberg Müller Königstraße 26 Stuttgart Buchladen Erlkönig Nesenbachstraße 52, 0711/639139 trier media markt Ostallee 3–5 Tübingen Frauenbuchladen Thalestris Bursagasse 2, 07071/26590 Wien Buchhandlung Löwenherz Berggasse 8, + 43/1/13172982 Würzburg Müller Dominikanerplatz 4
kinos
Impressum Herausgeber Björn Koll Verlag
Salzgeber & Co. Medien GmbH Mehringdamm 33 · 10961 Berlin Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99
Redaktion
Jan Künemund, presse@salzgeber.de
Art Director
Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de
Autoren
Michael Eckhardt, Simon Froehling, Richard Garay, Fritz Göttler, Ekkehard Knörer, Jan Künemund, Claudia Lenssen, Christoph Meyring, Werner Schroeter, Manuel Schubert, Maike Schultz, Paul Schulz, Robert Schweizer, André Wendler, Sascha Westphal, Anna Wollner, Christine Wunnicke, Jenni Zylka
Dank an
Miriam Leitner (Buchladen Max & Milian, München), Bettina Huber (Aufbau Verlag Berlin)
Lektorat
Robert Schweizer
Anzeigen
Jan Nurja, nurja@salzgeber.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2010 (www.sissymag.de/media).
SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 40.000 Exemplare (Druckauflage).
Druck
Möller Druck, Berlin
Rechte
Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.
Verteilung
deutschlandweit in den schwul-lesbischen Buchläden, in den CinemaxXKinos in Augsburg, Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Essen, Hamburg, Hannover, Magdeburg, Mannheim, München, Oldenburg, Stuttgart, Wuppertal. ausserdem hier: Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (Potsdam), BarbieBar, Deutsche Film- und Fernsehakademie (Berlin), Orlando (Bochum), Birdcage (Kiel), Café Gnosa und Café unter den Linden (Hamburg), Café ERA, Bastard Bar, Kunsthochschule für Medien (Köln). Moro, Kraftakt (München), Rubens Home (Stuttgart), Bar Central (Frankfurt/Main), Rosa Archiv, Rosa Linde e.V. (Leipzig), Café Seitensprung (Düsseldorf ), Café Caldo (Hannover). Wenn Sie die SISSY ebenfalls auslegen möchten, freuen wir uns. Eine kurze E-Mail genügt!
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am Kocher Schleifbrückenstraße 15, filmtheater Ohm07361/5559994 Aschaffenburg Casino bachsgasse 1, 06021/4510772 Augsburg CinemaxX Willy-BrandtPlatz 2, 01805/24636299 Bad Füssing Filmgalerie Sonnenstraße 4, 08531/980555 bamberg lichtspiel Untere Königstraße 34, 0951/26785 Berlin arsenal Potsdamer Straße 2, 030/26955100 · Kino International Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · Xenon Kino Kolonnenstraße 5–6, 030/78001530 · Cinemaxx Potsdamer Platz Potsdamer Straße 5, 01805/24636299 · eiszeit Zeughofstraße 20, 030/6116016 · FSK am Oranienplatz Segitzdamm 2, 030/6142464 · Tilsiter Lichtspiele Richard-Sorge-Straße 25a, 030/4268129 Bielefeld CinemaxX Ostwestfalenplatz 1, 0521/5833583 bochum Endstation Kino im Bhf. Langendreer Wallbaumweg 108, 0234/6871620 Bremen Kino 46 Waller Heerstraße 46, 0421/3876731 · CinemaxX Breitenweg 27, 01805/24636299 dortmund schauburg Brückstraße 66, 0231/9565606 · sweetsixteen Immermannstraße 29, 0231/9106623 Dresden Kid – Kino im Dach Schandauer Straße 64, 0351/3107373 · CinemaxX Hüblerstraße 8, 01805/24636299 Essen CinemaxX Berliner Platz 4–5, 01805/24636299 Esslingen Kommunales Kino Maille 4–9, 0711/31059510 Frankfurt/Main Mal Seh’n Adlerflychtstraße 6, 069/5970845 · Orfeos Erben Hamburger Allee 45, 069/70769100 Freiburg Kommunales Kino Urachstraße 40, 0761/709033 · CinemaxX Bertholdstraße 50, 01805/24636299 Göttingen Kino Lumière Geismar Landstraße 19, 0551/484523 Hamburg Metropolis Kino Steindamm 52–54, 040/342353 · CinemaxX wandsbek Quarree 8–10, 01805/24636299 · B-Movie Brigittenstraße 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstraße 75–77, 040/437679 Hannover cinemaxx Nikolaistraße 8, 01805/24636299 · kino im künstlerhaus Sophienstraße 2, 0511/16845522 karlsruhe Kinemathek Karlsruhe Kino im PrinzMax-Palais Karlstraße 10, 0721/25041 Kiel Die Pumpe – Kommunales Kino Haßstraße 22, 0431/2007650 · CinemaxX Kaistraße 54–56, 01805/24636299 · Traum Kino Grasweg 48, 0431/544450 Köln filmpalette Lübecker Straße 15, 0221/122112 · Kölner Filmhaus Maybachstraße 111, 0221/2227100 Konstanz Zebra Kino Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 Leipzig Passage Kino Hainstraße 19 a, 0341/2173865 · Schaubühne Lindenfels Karl-Heine-Straße, 0341/4846211 magdeburg Cinemaxx Kantstraße 6, 01805/24636299 Mannheim Cinema Quadrat Collinistraße 5, 0621/1223454 Marburg Cineplex Biegenstraße 1a, 06421/17300 München Neues Arena Filmtheater HansSachs-Straße 7, 089/2603265 · City Kino Sonnenstraße 12, 089/591983 · CinemaxX Isartorplatz 8, 01805/24636299 Münster Cinema Filmtheater Warendorfer Straße 45–47, 0251/30300 Nürnberg Kommkino Königstraße 93, 0911/2448889 Offenbach CinemaxX Berliner Straße 210, 01805/24636299 Oldenburg Cine K Bahnhofstraße 11, 0441/2489646 · CinemaxX Stau 79–85, 01805/24636299 Potsdam Thalia Arthouse Rudolf-Breitscheid-Straße 50, 0331/7437020 Regensburg Wintergarten Andreasstraße 28, 0941/2980963 · CinemaxX Friedenstraße 25, 01805/24636299 Saarbrücken kino achteinhalb Nauwieser Straße 19, 0681/3908880 · Kino im Filmhaus Mainzer Straße 8, 0681/372570 Schweinfurt KuK – Kino und Kneipe Ignaz-Schön-Straße 32, 09721/82358 Stuttgart Cinemaxx an der Liederhalle RobertBosch-Platz 1, 01805/24636299 Trier Broadway Filmtheater Paulinstraße 18, 0651/96657200 Weiterstadt Kommunales Kino Carl-Ulrich-Straße 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185 Wuppertal CinemaxX Bundesallee 250, 01805/24636299 1181 Würzburg CinemaxX Veitshöchheimer Straße 5a, 01805/24636299
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Auch das noch …
SISSY kommt auch nach Rotenburg. (Gruß von einem Abonnenten.)
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ISSN 1868-4009
AB 14. JULI IM KINO
KAI HILLEBRAND RALPH HERFORTH MARIA SCHUSTER VASUPOL SIRIVIRIYAPOON
EIN FILM VON HUGO VIEIRA DA SILVA
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