Magazin für den nicht-heterosexuellen Film Ausgabe fünfundzwanzig · März bis Mai 2015 · kostenlos
s Gelddruckmaschine: Hochtoupiert in Küchenschürze s Croissants aus der Dose: Zum Kotzen schön s Fell mit Kulleraugen: Intimität statt Revolution s Sendungsbewusstsein: Voller Musik und Lokalkolorit s Spiel nach Noten: Ein kleines Stück harmonische Utopie s Vibrierendes Alphamännchen: Vor langer Zeit an Land ertrunken s Umschwärmt und übersehen: „Du bist ein Perverser!“ s Traum und Phantasie: Regelrechter Deneuve-Wahn s Fensterblicke: „Let’s just leave.“ s Kino der Dinge: Kind, Make-up, Spiegel s Möglichkeitsform: Sex als Metapher s Realismus: „Natürlich ist das nicht dein Leben!“ s Mutterrolle: Eine bessere Welt gibt es nur am Stück s Wispern, raunen, krächzen: Dandy Butch im Darkroom
vorspann
sissy fünfundzwanzig Dublin, 19. Jahrhundert: Ein Hoteldiener verbirgt geschickt, dass er anatomisch eine Frau ist. Wyoming, 1963: Zwei Cowboys, die Schafe hüten, kommen sich näher. Wales, 1984: Minenarbeiter protestieren gemeinsam mit einer Allianz von Lesben und Schwulen aus London. Las Vegas, 1977: Ein unbedarfter Tiertrainer lernt einen berühmten Entertainer kennen. Zürich, 1956: Ein junger Lehrer nimmt Kontakt zu einer Schwulenorganisation auf. Rio de Janeiro, 1951: Die Dichterin Elizabeth Bishop verliebt sich in eine Architektin. San Francisco, 1978: Stadtrat Harvey Milk kämpft für Schwulenrechte und wird ermordet. Bletchley, 1939: Ein schwuler Mathematiker knackt einen Nachrichtencode der Nazis. New York, 1952: Eine junge Kaufhausangestellte verliebt sich in eine verheiratete Frau aus bester Gesellschaft. Eine Liste von Loglines erfolgreicher (und erfolgversprechender) Indie- und Main streamproduktionen mit nicht-heterosexuellen Konstellationen. Auffällig ist, dass diese Filme allesamt in der Vergangenheit spielen. Oft wird zielgruppenintern die Wichtigkeit hervorgehoben, vergangene Demütigungen, Kämpfe und Errungenschaften nicht zu vergessen. Doch der Blick zurück macht auch etwas anderes deutlich: wie einfach queere Geschichten zu erzählen sind, wenn sie eine Zeit abbilden, in der das Anders-Sein die „Albert Nobbs“ von Rodrigo García (2011) komplette Existenz betraf – und wie wenig Geschichten sich trauen, vom queeren Leben heute zu erzählen. Gibt es keine spannenden Themen mehr, wenn Diskriminierung, ComingOut, Aids und Außenseitertum keine unmittelbaren Erfahrungen mehr sind? Oder lässt sich heutiges, im Vergleich privilegierteres Nicht-heterosexuell-Sein einfach nicht mehr so plakativ erzählen, so dass es auch nicht mehr in die Erfolgsformeln des Erzählkinos passt?
PANDASTORM PICTURES / EDITION SALZGEBER
TITELBILD: POLYBAND / BSM STUDIO. ALL RIGHTS RESERVED.
Viele Filme und auch die HBO -Serie Looking versuchen es dennoch – und treffen hart auf Erwartungshaltungen einer ausdifferenzierten Community. SISSY erkundet diese Dynamik im aktuellen Heft – und entwirft darüber hinaus die Perspektive eines queeren, produktiven Von-sich-weg-Schauens. Unter anderem, natürlich.
Titelbild: „Still Alice“ von Richard Glatzer und Wash Westmoreland (p Seite 18)
Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de SISSY 25 3
mein dvd -regal
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ESTER MARTIN BERGSMARK
Ester Martin Bergsmark, Filmemacher_in
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GIRLIE STUFF VON A I L E EN PI N K E RT
In Stockholms trostlosen Seitenstraßen und verlassenen Parks porträtiert Ester Martin Bergsmark in seinem vielfach international ausgezeichneten Spielfilmdebüt „Something Must Break“ eine junge Beziehung voller Widersprüche, die droht, an dem Bedürfnis nach Identität zu scheitern. Eine Narration in Transition zwischen gesellschaftlicher Akzeptanz und der Abwehr eines binären Genderzwangssystems. Ein mutiger Transfilm, der durch seine intensiven Bilder beeindruckt und selbst in seinen düsteren Momenten Platz für Hoffnung lässt.
SOMETHING MUST BREAK
von Ester Martin Bergsmark SE 2014, 81 Minuten, schwedische OF mit deutschen UT, Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de IM KINO in der Gay-Filmnacht im März,
3 www.Gay-Filmnacht.de
s „Verrückt! Croissants aus der Dose.“ Einmal erst habe ich mir bisher Croissants aus der Dose gemacht. Weil man den fertigen Teig sofort aufrollen und verbrauchen soll, musste ich mich einen Tag lang davon ernähren. Für Singles nicht besonders gut geeignet. Kein Wunder, so könnte man meinen, dass Sebastian auf den richtigen Moment gewartet hat, um dieses Experiment zu wagen. Die Croissants aber, die er in Something Must Break für sich und Andreas im Ofen aufgehen lässt, werden wie auch der Rest des liebevoll zubereiteten Frühstücks ganz plötzlich unbedeutend. „Ich bin nicht schwul.“ – „Ich auch nicht.“ – „Nicht? Was zum Teufel bist du denn dann?“ Sebastian kann darauf nicht antworten. Zum Kotzen schön sei er, das bringt Andreas noch heraus, bevor er geht. Bergmarks erster Spielfilm beginnt mit einem Stopptrick: Im Zeitraffer sehen wir eine Rose aufblühen. Im Anschluss streift ein Zeigefinger über Dornen. Um sich abzugrenzen, um dem dornigen Weg, den er auf sich nehmen wird, schon einmal vorzufühlen? Sebastians Stimme aus dem Off erzählt, dass er sich fremd fühlt – verloren und ungeschützt. Er weiß, dass er bald wieder fort sein wird. So schnell, wie eine Rose verblühen kann? Ein Kirchenchor ertönt und geht über in Discobeats. Er sei ein Tragträumer, der sich nie entscheiden kann und der einen guten Fick nötig hat, schlussfolgert seine Mitbewohnerin Lea trotzig. Nur in der Dunkelheit fühlt sich Sebastian wohl. Doch trägt er nicht einen seiner Kapuzenpullover, fällt er auf mit seinem androgynen Antlitz, seinen langen dunklen, teils gelockten, teils rot gefärbten Haaren, seinem Ring durch die Nase, der Perlenkette um den Hals, den Stöckelschuhen und seinen neonrosafarbigen, goldglänzenden Jacken. Wenige, mit einer zum Teil sehr wackligen Handkamera aufgenommene Filmminuten genügen, um aus den Großund Nahaufnahmen des schönen und ruhigen Gesichts abzulesen, wie sehr sich der Protagonist verzehrt nach Liebe, Zuneigung und Geborgenheit, wie sehr er angewidert ist vom Warten, von der Monotonie, von der Leere seines Alltags. Ist es Traum oder Wirklichkeit, wenn Sebastian am Tag im Park von einem Typen genommen wird? Zeugt sein verzerrtes Gesicht von Schmerz oder Genuss? Bewegungslos wirkt die Aufnahme, wie ein Gemälde, leicht und schwer zugleich. Fest verankert auf einem Stativ fängt die Highspeed-Kamera jede noch so kleine Regung in ihrem Bildausschnitt ein – jede Haarsträhne sehen wir einzeln durch die Luft tanzen. Gegen Ende des Films wiederholt sich dieses Überdehnen, dieses Zerfließen in der Zeit, wenn Ellie in einem Darkroom in engelsgleicher Pose in den Armen zweier Männer zu schweben scheint. Auch dann tanzen ihre Haare zu Peggy Lees „You’re My Thrill“, ähnlich den Tropfen des Urinstrahls, die nacheinander ihre Brust benetzen. Die Zeit wird nicht kommen, wenn Sebastian jetzt nicht ausbricht. Zwei Wege stehen zur Auswahl, hin- und hergerissen auf Messers Schneide. Gut gewählt für diesen Filmtitel scheint der gleichnamige Song Something must break der englischen Punkrockband Joy Division. Zurückbleiben oder vorwärtsgehen. Sebastian möchte Ellie sein, die Traumschwester, die in ihm lebt und die es nach außen drängt. „Als ob dein Gesicht und deine Stimme nicht zusammengehörten“, kommentiert treffend ein Webdesigner, der zunächst fasziniert ist von Ellies geheimnisvoller Ausstrahlung, im nächsten Moment schockiert über ihre unzureichende Weiblichkeit. Abseits der Heteronormativität sind Sebastian, aber auch Ellie Gewalt und Zurückweisung ausgesetzt. Zwei Wege und doch kein Ziel? Klassischerweise begegnen sich Sebastian und Andreas auf einer Herrentoilette – jedoch in weniger stereotypen Rollen. Andreas ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort und schützt Sebastian vor der angedrohten Misshandlung durch einen anderen Mann. Das Nasenbluten, das Andreas selbst dafür kassiert, beschert Sebastian ein Relikt in Form eines verschmutzten Taschentuchs, das er in seiner Schatzkiste aufbewahrt und immer wieder genauestens inspiziert, auf sein Gesicht legt und einatmet. Wir sind dabei so nah; wir erahnen die rotgetränkten 6 SISSY 25
EDITION SALZGEBER
Kinostart: 26. März 2015
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Texturfasern, vernehmen das Rascheln des Stoffs. Aber ist es Andreas, der Sebastians tiefe Sehnsucht nach Nähe, gepaart mit der Lüge, alles wird schon gut gehen, erfüllen kann? Riecht er gut? Riecht er nach Schweiß und Schwanz? Was folgt, ist der Versuch, Grenzen auszutesten, den Sommer Stockholms auszukosten. Geklautes Bier und ein Tangotänzchen über den Dächern der Stadt (das wohl schönste Pressebild der karikierten Tangopose, dazu noch mit einem Regenbogen versehen, war so leider nicht im Film zu sehen) bringt die beiden näher. Noch näher kommen sie sich in der Steigerung ihres rebellischen Verhaltens, das ihnen hinweghilft über die nervöse Antizipation der noch unsicheren Zukunft. Die Ausrede, nach Zecken zu suchen, erlaubt Sebastian und Andreas, sich gegenseitig auszuziehen, sich zu berühren. Sind sie Kumpels oder Geliebte? Das scheint nicht immer eindeutig. Als sie sich zum ersten Mal küssen, wird die visuelle Naturidylle durchbrochen von einem umgefallenen Baumstamm, der direkt hinter ihren vereinten Köpfen durchs Bild zieht. Ein Detail, das mir erst auf den zweiten Blick aufgefallen ist. Zum Kotzen schön sind auch die beiden anzusehen. Der Film wie ein Oxymoron der Gefühle und Erinnerungen. Hier ein empfindsames Ertasten des noch unbekannten Körpers, da ein zu tiefer Ritz in die Haut des anderen. Frenetische Glücksmomente des Zusammenseins im Wechsel mit apathischer Verzweiflung beim Verlust des anderen. Leicht und schwer zugleich. Ein liebevoller Kuss, dann das Auflecken eines hinterlassenen Schuhabdrucks. Die Zeit in Something Must Break vergeht wie das genuin filmische Motiv des Blätterrauschens im Baum: dem Zeitvergehen durch Bewegung im Bild zusehen. Wir können sehen, wie Sebastian nachdenkt, wie er nicht nachdenkt. Viel zu nah dran: Nicht mehr als konturlose, farbige Pixel sind im heimlich aufgenommenen Handyvideo des schläfrigen Andreas erkennbar. Der gute Geruch ist verflogen. In seiner Abwesenheit löst er Angst aus. I never felt as beautiful, as when you told me I was beautiful Your words have a tendency to reach deep within Touching my soul, penetrating my skin Tami Tamaki vermag mit ihrer autogetunten Stimme Worte für das zu finden, was wir auf der Leinwand sehen. Wenn Sebastian mit sich allein ist und Andreas vermisst, stellt er sich vor, in dessen Körper einzutauchen und sich darin zu verlieren. In ihm wäre es wohl dunkel und Ellie hätte es schwerer, an die Oberfläche zu gelangen. Zerrissen zwischen dem binären Geschlechtersystem und den Ansprüchen der bürgerlichen, mit Ikea-Möbeln ausgestatteten Gesellschaft, entfremden sich Sebastian und Andreas zunehmend, um sich anschließend wieder anzunähern. Ellie, die mehr und mehr als Frau erscheint und als solche wahrgenommen wird, denkt darüber nach, was kaputt gehen muss, um den Stillstand zu überwinden. Sie oder die Beziehung zu Andreas, der sich selbst in Widersprüchen gefangen hält. Andreas, so scheint es uns, hinterfragt zu wenig, er entzieht sich einer Reflexion. Er will Sebastian nicht verlieren, sieht sich aber auch nicht in einer Beziehung mit ihm. Einerseits soll Sebastian eine Vagina bekommen, andererseits soll er es in der Gegenwart Dritter nicht übertreiben mit dem Mädchenzeug. Grenzen werden nun nicht mehr ausgetestet, sie werden überschritten. Ester Martin Bergsmark hat unverkennbar Themen und stilistische Elemente seines zwei Jahre zuvor entstandenen Dokumentarfilms She Male Snails in seinen ersten Spielfilm transferiert. Einer der Protagonisten des experimentellen Films ist Eli Levén, Verfasser der Romanvorlage für Something Must Break und gleichzeitig CoAutor des Drehbuchs. Selbst wenn in der Presse von dramaturgischen Schwächen die Rede sein mag und Schwarzblenden in ihrem konventionellen Gebrauch eines Endes/eines Übergangs obsolet erscheinen, so verstehen der Film und vor allem die Darsteller – allen voran Saga Becker –seltsam intensiv zu berühren. Nicht nur Sebastian/Ellie will sich nicht in Geschlechterrollen einordnen lassen. Auch der Film fei8 SISSY 25
ert sich als Hybrid, verbindet gekonnt die Darstellung einer klaustrophobisch-gesellschaftskritischen Milieustudie mit einem kitschresistenten Coming-of-Age-Drama, expliziten Nacktaufnahmen und stilistisch-künstlerischen Zeitlupen. Mit ihrem Charisma und ihrer gelassenen Sicherheit tritt Becker ein für die Idee einer freien, unabhängigen Persönlichkeit jenseits der Kategorien Mann und Frau. Es kann nicht nur am Erfolg einer Conchita Wurst und den Transfiguren aus Orange Is The New Black, Glee und Transparent liegen, dass Becker als erste Transfrau in der Kategorie Beste Schauspielerin die bedeutendste Filmauszeichnung Schwedens erhalten hat. Allein um Cross-Dressing geht es schon lange nicht mehr. Es gehe um so viel mehr als nur um einen Film, es gehe um die Bereitschaft der Gesellschaft für etwas Neues, so Becker nach der Verleihung. LGBT-Filme handelten zumeist von Sexualität und Liebe. Wichtiger noch scheint aber die Selbsterkenntnis zu sein. Erst wenn ich mich akzeptiere, kann ich lieben, wen ich will. Auch wenn Neil Jordans The Cyring Game von 1992 ein breiteres Publikum erreichen konnte und mit Jaye Davidson in der Rolle der Dil eine noch ambivalentere Figur geschaffen wurde, so erscheint Ellie über 20 Jahren später und dank des Meta-Presserummels um Becker vergleichsweise selbstbestimmt. Auch der Film Something Must Break wird in seiner Fortdauer immer selbstbewusster. Ziel des Films ist es in keinem Moment, festgefahrene Meinungen des Publikums verändern zu wollen. Bergsmark geht es nicht um eine gute Tat. Ihm geht es um eine möglichst emotionale Inszenierung, um Tränen, Blut, Schweiß, Urin, Speichel und Sperma: Flüssigkeiten, die von innen nach außen treten – wie auch Ellie. Dass sie als Transgenderfigur verstanden werden kann, zweifelt der Film nicht an, wenngleich er keine Identitätslabel verhängt, diese nicht einmal ausspricht. Inspirierend und bereichernd dagegen zugelassene Graubereiche und Unsicherheiten. Eindeutig allerdings ergibt sich aus dem anfangs erwähnten Dialog, dass sich weder Sebastian noch Andreas als schwul identifizieren (wollen). Ein Vexierproblem, das die Beziehung der beiden immer wieder einholt. Dass sie unterschiedliche Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft haben, wird spätestens klar, wenn Ellie die zigarettenspendende Funktion, die bisher Andreas innehatte, übernimmt. Andreas beachtet sie in dem Moment nicht, nimmt weder ihre Zigarette an, noch überreicht er ihr eine. Stattdessen zündet er sich eine dritte an. Es scheint, als würden die beiden nie das gleiche für einander zur gleichen Zeit empfinden. So schön, dass er kotzen muss. Vielleicht lieben sie aneinander vorbei. Ein beklemmendes Gefühl bleibt: Ist ein drittes Geschlecht für Andreas so überflüssig wie eine zweite Zigarette zu viel für Ellie? Wer riskiert mehr, wer verliert am Ende am meisten? Etwas muss jetzt kaputtgehen, dieses Leben ist nicht meins. Als Ellie vorerst bei sich angekommen zu sein scheint und den Raum betritt, besingt Andreas in der Karaokeversion des Lieds „Fading Like a Flower“ die Metapher einer verwelkenden Rose, sobald seine Liebe das Zimmer verlässt. Everytime I see you Oh, I try to hide away But when we meet it seems I can’t let go Sebastian muss loslassen, um Ellie zu werden. Einiges auslassen musste auch der Film, um eigentümlich zu werden: so bei elliptischen Jump Cuts oder der verhinderten Wiederkehr von Lea, der Mitbewohnerin von Sebastian. Mit Ausnahme seiner Sexualpartner kommen erwachsene Figuren wie Arbeitskollegen, Vorgesetzte oder Familienangehörige erst gar nicht vor. Genau diese Auslassungen aber kommen dem Film zugute, kann er sich so doch in einer Wucht präsentieren, die auch Ablenkung und Kontemplation wohlberechnet einkalkuliert hat und Lust auf mehr macht. Vielleicht sogar auf Croissants aus Dosen. s
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„DEIN SCHWANZ GEHÖRT MIR!“ VON A X E L SCHO CK
HÄRTE
von Rosa von Praunheim DE 2015, 98 Minuten, deutsche OF, Missing Films, 3 www.missingfilms.de IM KINO ab 23. April 2015
Rosa von Praunheim hatte immer schon ein Faible für extreme Biografien. Insofern überrascht sein Doku-Drama über den ehemaligen Zuhälter Andreas Marquardt nur bedingt. Umso mehr aber die stilisierte Ästhetik, mit der Praunheim in „Härte“ neue künstlerische Wege erprobt.
MISSING FILMS
s Seine Protagonisten hat Rosa von Praunheim immer schon gerne über Sex reden lassen, möglichst direkt, unverkrampft und detailliert. Gegen (klein)-bürgerliche Konventionen zu rebellieren, hieß für den Filmemacher immer auch, jene sexuelle Lebenswirklichkeit zur Sprache zu bringen, die gegen gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen verstößt. Die Provokation, gepaart mit darstellerischer Improvisation und Anarchie am Set, macht für viele auch den besonderen Charme seiner Arbeiten aus. Für andere offenbaren sich darin vor allem die filmkünstlerischen Defizite und lassen die vermeintlich authentische Abbildung wahren Lebens als trashig und unfreiwillig komisch erscheinen. In Praunheims neuem Film, wie schon bei Ich bin meine eigene Frau (1992) ein Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, sind solche Szenen allerdings nicht zu finden. Ein einziges Mal ist sich der Zuschauer womöglich unsicher, ob er das Geschehen komisch finden darf oder sogar soll. Katy Karrenbauer, die einen Großteil ihrer Schauspielkarriere als Knast-Butch mit streng zurückgekämmten Haar in der RTL -Serie Hinter Gittern verbracht hat, ginge da mit ihrer hochtoupierten Sixties-Frisur und adretten Küchenschürze durchaus auch als Drag Queen durch. Nur wenige Filmminuten später schmiert sie, den lüsternen Blick konsequent in die Kamera gerichtet, ausdauernd und sinnlich einen Dildo ein und sagt dabei Sätze wie: „Steck ihn mir ruhig ganz tief rein.“ Als Solitär würde diese Szene grotesk und schräg wirken, doch zu diesem Zeitpunkt ist längst klar: Diese Frau spricht zu ihrem sechsjährigen Sohn. Die Dildo-Nummer ist kein schräger Tuntenspaß, sondern die nachgestellte Szene einer von sexuellem Missbrauch (durch die Mutter) und Gewalt (durch den Vater) geprägten Kindheit. Es ist die Lebensgeschichte des
ehemaligen Berliner Zuhälters und zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilten Kriminellen Andreas Marquardt. „Härte: Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ hat er die gemeinsam mit seinem Therapeuten Lemke verfasste Autobiografie betitelt. Der Sadismus des Vaters, die sexuellen Übergriffe und der subtile Psychoterror der Mutter („Dein Schwanz gehört mir, Freundchen!“) haben Marquardts Leben nachhaltig geprägt. Bloß keine „Puschmütze“ werden, sagt sich der Jugendliche Andreas, trainiert verbissen Kampfsport und schafft es bis zum Karateweltmeister. Fürs Finanzamt arbeitet er in einem Bestattungsunternehmen, es sind aber die Nebeneinnahmen als brutaler Geldeintreiber und Zuhälter, die ihn zum Millionär machen. Praunheim erzählt diese Lebensgeschichte als Stationendrama in stilisierten Schwarz-Weiß-Sequenzen. Gedreht wurde weitgehend im Studio, mit spärlicher Ausstattung und vor Fotoprojektionen. Diese formale Strenge und Ästhetisierung ist neu bei Praunheim. Für einen Regisseur wie ihn, der sich in seiner fast 50-jährigen Karriere weniger für wortgenaue Umsetzungen von Drehbüchern interessierte, sondern lieber auf die Spontaneität seiner Laiendarsteller setzte, ist Härte eine überraschende Entwicklung. Praunheim hat die Hauptrollen durchweg mit gestandenen Profis besetzt; wohl wissend, dass die schauspielerische Präzision entscheidend sein würde, um in den skizzenhaften Kammerspielszenen glaubwürdige Charaktere zeichnen zu können und ein Abrutschen in den Trash und Camp zu vermeiden. Hanno Koffler als junger Andreas Marquardt erweist sich da als Idealbesetzung. Wie bereits in Stephan Lacants Freier Fall (2013) gelingt es ihm, selbst den extremen Wechsel von Emotionen im Gesicht wie in der Stimme miterleben zu
lassen, ohne dabei ins Over-Acting zu verfallen. Eben noch bedankt er sich gerührt bei seiner Geliebten Marion (Luise Heyer) für ihre Heilig-Abend-Überraschung, um sie im nächsten Moment wüst zu beschimpfen, zu schlagen und zum Anschaffen auf die Straße zurückzuschicken. Wie brutal und menschenverachtend der Zuhälter Marquardt sein „Hassprogramm auf Frauen“ umgesetzt hat, streift Praunheim lediglich am Rande. Ihn interessiert Marquardt vor allem als Opfer, weniger als Täter. In den zwischengeschnittenen Interviews, die Praunheim mit dem echten Marquardt gedreht hat, präsentiert sich ein gestandener Mann, der „Klartext“ reden will. Die Jahre im Knast, die Therapie hätten ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Inzwischen leitet er eine Sportschule, unterrichtet Kinder in Karate und gibt sich reuig. Wirklich sympathisch oder empathisch wirkt dieses kraftstrotzende Muskelpaket aber nicht. Am meisten irritiert das Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin Marion Erdmann. Warum, fragt man sich, ist sie bei ihm geblieben? Kennen gelernt hatten sie sich in einem Neuköllner Freibad. Sie war kaum siebzehn Jahre alt und Marquardt sah in ihr vor allem eine „Gelddruckmaschine“. Jahrelang hat sie für ihn angeschafft, sich belügen, betrügen, ausnutzen und unter Druck setzen lassen. Sie war nicht seine einzige Geliebte, der er falsche Versprechungen und Hoffnung auf ein gemeinsames Glück zu zweit machte. Zeitweilig seien es über ein Dutzend und entsprechend anstrengend gewesen. Marquardt erzählt das im Interview so, als erwarte er dafür Mitleid oder zumindest anerkennenden Respekt. Stattdessen aber schärfen Szenen wie diese die Widersprüche und Ambivalenz seiner Person – und machen so eine besondere Qualität dieses Porträts aus. s SISSY 25 9
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NOTE DREI (BEFRIEDIGEND) VON J E S SIC A E L L EN
Das Leben einer Klempnersfrau („Mausi“ Julia Richter) gerät aus den Fugen, als sie sich in die neue Lehrerin ihres Sohns verliebt. Schon wieder „Ehefrau wird lesbisch“, denkt man – doch die Dreierkonstellation in Maris Pfeiffers Fernsehklassiker „Lieb mich!“ kommt auf ganz andere Art ins Schweben, als jegliches Story-Klischee vorhersehen ließe.
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EDITION SALZGEBER
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s Die Regisseurin Maris Pfeiffer war mir bisher vor allem wegen ihrer Fernsehkrimis mit starken Frauenfiguren ein Begriff. Einer ihrer früheren Filme aus dem Jahre 2000, für den sie auch das Drehbuch schrieb, ist Lieb mich! – kein Krimi, aber nicht weniger spannend. Eher dunkle Bilder und sparsame, aber leicht bedrohlich wirkende Musikakzente sind dem Krimi-Genre entliehen. Zunächst beginnt der Film als typische Coming-Out-Geschichte: Katrin und Peter, ein junges Paar in Bremen mit ihrem kleinen Sohn Niki. Peter hat die Installationsfirma seines Vaters übernommen, Katrin erledigt das Organisatorische. Sie mühen sich gemeinsam, langsam geht es aufwärts, aber die Lebendigkeit in ihrer Beziehung ist dabei auf der Strecke geblieben. Kein glamouröses, sondern ein angenehm realistisches Kleinbürger-Dasein, das so hätte weiter dahin plätschern können, wäre da nicht Elena aufgetaucht – die neue Lehrerin von Niki. Schnell ist klar – sie steht nicht auf Männer, und zwischen ihr und Katrin funkt es gewaltig. Zunächst ist es von Katrins Seite aus vor allem Neugierde und ein reizvolles Spiel mit dem Feuer, bis sie merkt, dass sie sich verliebt hat. Elena will in weiser Voraussicht die Affäre beenden, schafft es aber nicht. Es kommt, wie es kommen muss – Peter erwischt die beiden in flagranti und ist wütend. So weit, so vorhersehbar. Aber dann nimmt die Geschichte Fahrt auf und eine überraschende Wendung; wenn auch, wie ich finde, auf Kosten der Plausibilität der Figurenzeichnung. Mehr soll hier nicht verraten werden. Was mir gefallen hat: Maris Pfeiffer nimmt ihre Figuren trotz dieser Einschränkung ernst. Es geht ihr nicht darum, zu behaupten, aus einer sinnentleerten Ehe auszubrechen und endlich das zu tun, was frau selbst wollte, wäre an sich schon Emanzipation und eine lesbische Beziehung Garantie zu ewigem Glücklichsein. Das wäre zu einfach. Eine Beziehung wegen einer neuen Liebe zu beenden, ist für alle Beteiligten immer schmerzlich, ganz besonders, wenn Kinder vorhanden sind, die unter der Trennung ihrer Eltern leiden. Wie im Film sehr lebensnah dargestellt, ist eine Trennung begleitet von Zweifel und Ambivalenzen. Der Wunsch, das Neue, Aufregende zu umarmen, ohne das Vertraute aufgeben zu müssen, gehört zu den typischen Merkmalen einer solchen Phase – mit offenem Ausgang. Wer sich nicht entscheiden kann oder will, bleibt nicht selten allein zurück – oder in der alten, beschädigten Beziehung hängen. Lieb mich! konzentriert sich ganz auf die private, emotionale Seite des Liebes-Dreiecks, auf andere Aspekte wird verzichtet. Aus der brisanten Konstellation Lehrerin
und Mutter eines Schülers wird nicht mehr gemacht als dass Elena in freier Entscheidung ihre Stellung kündigt. Dass eine solche Liebesbeziehung auch andere Konsequenzen haben kann, wie z.B. homophobe Angriffe und Kampf um den Arbeitsplatz einerseits und Entfremdung vom Kind andererseits, habe ich bei Freundinnen miterlebt. Vielleicht wäre es ja auch ein bisschen zu viel Dramatik geworden, solche Konflikte und feindselige Reaktionen im sozialen Umfeld der Protagonistinnen mit einzubeziehen. Dafür, eine dramatische Überspitzung vermeiden zu wollen, spricht auch das zurückhaltende, aber dennoch ausdrucksvolle Spiel von Julia Richter als Katrin und Naomi Kraus als Elena, das genau zu den Dialogen passt. Julia Richter spielte übrigens schon in dem Fernsehfilm Kommt Mausi raus?! die Hauptrolle. Ein weiteres Thema, das der Film verhandelt, ist Lesben und Kinder. Ein Thema, das um die Zeit, als Lieb mich! entstand, viel diskutiert wurde. Da waren nicht nur die Frauen, die aus früheren Ehen Kinder mit in Frauenbeziehungen brachten, sondern auch Lesbenpaare, die gemeinsam Kinder bekommen wollten. Sei es, weil ihnen das Adoptionsrecht verweigert wurde und wird, oder weil es um das Erleben von Schwangerschaft und Geburt ging. Ersteres war Teil des Kampfs gegen jede Form der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, letzteres die Affirmation des Credos, auch als Lesben alle Aspekte und Potentiale des Frauseins leben zu können und zu wollen. Wie viel davon wirklich ureigener Wunsch, wie viel elterliche Erwartung und sozialer Druck, nur als Mutter eine vollwertige Frau zu sein, darin zum Ausdruck kam, sei dahin gestellt. Lieb mich! ist wie vergleichbare Produktionen wohl auch ein Meilenstein auf dem Weg gewesen, lesbisch-schwule Themen fernsehtauglich aufzubereiten und für ein breites Publikum akzeptabel zu machen. Dies geschieht auf eine unaufgeregte, ehrliche, aber nicht langweilende Weise und lässt am Ende ein kleines Stück harmonische Utopie aufscheinen. Als ein Film für alle, die gerade ihre Coming-Out-Phase erleben, wird er auch in Zukunft seine Aktualität behalten. s
LIEB MICH!
von Maris Pfeiffer DE 2000, 85 Minuten, deutsche OF, Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de IM KINO in der L-Filmnacht im März,
3 www.L-Filmnacht.de
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ZUCKERWATTE ÜBER DEM OZEAN VON C A R ST EN MOL L
Gaywatch in knappen Badehosen. Im knisternden Lycra-Gewand eines Sexploitationfilms ertränkt ein Rettungsschwimmer sein schwules Begehren und geht dabei selbst unter, als ein schwuler Mitschwimmer ihm den AlphamannStatus streitig macht. Dean Francis’ Wasserstrudel von einem Film erzählt von verwirrten Gefühlen in grellen Farben und hypnotischen Rhythmen.
s „Inflammable desires dampened by day under the cold water of consciousness are ignited that night by the libertarian matches of sleep, and burst forth in showers of shimmering incandescence.“ Das wusste der junge Kenneth Anger zu Beginn von Fireworks (1947) aus dem Off zu erzählen, bevor er sich in einer SM-Fantasie mit muskulösen Matrosen zugleich verlor und wiederfand. An befreienden Schlaf oder gar homoerotische Träumereien ist für Lenny, den Protagonisten aus Drown, hingegen nicht zu denken: Das kalte Wasser spritzt dem Heranwachsenden mit vollem Druck ins Gesicht und lässt ihn um Atem ringen, mit dem Gartenschlauch versucht sein Vater ganz wörtlich all die brennenden Sehnsüchte des Sohnes auszulöschen. „Sei keine verdammte Schwuchtel“, schreit er immer wieder, während er Lenny quält, und will sein eigen Fleisch und Blut so mit aller Macht zum Mannsein drillen. Einige Jahre später scheinen sich die rigorosen Erziehungsmethoden ausgezahlt zu haben. Lenny ist ein vor Energie nur so vibrierendes Alphamännchen, ein überheblicher Anführer, dem die anderen Jungs bereitwillig und ziemlich hirnlos folgen. Und als der junge Mann dann zum wiederholten Mal von seinem stolzen Rettungsschwimmer-Club zum Mitglied des Jahres gewählt wird, weiß er ganz genau, bei wem er sich für seinen Erfolg zu bedanken hat. Unter Tränen und dem Einfluss von jeder Menge Schnaps stößt der unangefochtene Champion gemeinsam mit den Kameraden auf seinen alten Herrn an.
eindeutig voneinander getrennt wie Männliches von Weiblichem und Hetero von Homo. Doch dann taucht eines Tages ein Neuer in der auffallend frauenlosen Macho-Welt der Rettungsschwimmer auf, der schwule Phil. Phil ist ein Grenzgänger, der einerseits mit kühlem Kopf und Körperkraft seinem Beruf als Lebensretter nachgeht und dabei im Wettkampf schließlich sogar das Alphatier Lenny vom Thron stoßen kann. Andererseits tanzt Phil zusammen mit seinem Freund Tom unterm Feuerwerk beim queeren Mardi Gras in Sydney. Er tut das so ausgelassen und unbekümmert, als gäbe es das alles nicht, die subtilen Ausgrenzungen und die offene Gewalt, denen Homosexuelle wie er Tag für Tag ausgesetzt sind. Dass so einer wie Phil im klar abgesteckten Territorium von Lenny für Verunsicherung sorgen muss, versteht sich von selbst. Kamera und Tonspur spüren diese Irritationen zuerst, die anfangs recht cleanen Aufnahmen von einem Baywatch ohne Babes kippen immer mehr in von Elektrosounds umspülten, surrealen Camp: Rosa Zuckerwattewolken schweben über dem Ozean, die Blicke unter der Gemeinschaftsdusche werden vieldeutiger und die Kamera selbst schaut verräterisch oft und lange auf die knappen roten Badehöschen der Rettungsschwimmer. Mit Phils Ankunft leuchten Lennys verdrängte Sehnsüchte plötzlich in Signalfarben auf und ein schwules Leben, das nicht Schwäche bedeuten muss, rückt in greifbare Nähe. Doch Lenny ist einer, der sich selber nicht begreifen kann. Lenny ist einer, der zuschlägt, wenn er nicht versteht.
„Baywatch“ ohne Babes Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein und Wassermassen bis zum Horizont – das Leben am Bondi Beach, nicht weit von Sydney, gibt sich frei von Ambivalenzen. Himmel und Erde, Land und Wasser sowie Licht und Schatten sind scheinbar ebenso klar und
Der Plot im Malstrom Nach dem gleichnamigen Theaterstück von Stephen Davis inszeniert der Regisseur und Drehbuchautor Dean Francis diese Geschichte um unterdrücktes Begehren, Homophobie und Selbsthass. Dabei lässt sich Drown als eine Fortsetzung von Francis‘ ver-
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störendem Kurzfilm Boys Grammar (2005) verstehen, der die reale Vergewaltigung eines Teenagers durch seine Mitschüler aufgreift. Ausgerechnet Matt Levett, der den sadistischen Lenny in Drown spielt, ist in Boys Grammar in der Rolle des Vergewaltigungsopfers Gareth zu sehen. Für Gareths Vater ist das, was seinem Sohn unter der Dusche angetan wurde, bezeichnenderweise nicht mehr als ein Initiationsritus, der stark macht, wenn man nicht an ihm zerbricht. Der Frust über diese kaltschnäuzige Ignoranz entlädt sich schließlich in Gewalt, Boys Grammar endet mit einer befremdlichen Einstellung, die zeigt, wie Gareth und einer seiner Peiniger sich mit einer Geste zwischen Prügelei und tröstender Liebkosung in den Armen liegen. Diese Intimität, in der sich Bedrohung und Begierde auf verwirrende Weise durchdringen, zeichnet auch Drown aus und schlägt sich in der filmischen Struktur nieder. Francis erzählt sich nämlich nicht von vorne nach hinten durch seine Story: Das düstere Finale, bei dem Lenny Phil in ein grausames Katz-und-Maus-Spiel am nächtlichen Strand verwickelt, blitzt in all seiner
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Grimmigkeit schon gleich zu Beginn des Films auf und soll sich im weiteren Verlauf immer wieder zwischen die bunten CampBilder drängen. Vergangenheit und Gegenwart wirbeln durcheinander, anhand von Jump Cuts springt Drown vor und zurück durch die Zeiten und folgt dabei einer rein affektiven Logik statt sich einer chronologischen Ordnung oder kausalen Zusammenhängen zu fügen. Phils geschwollenes Auge und sein von blauen Flecken übersäter Körper etwa tauchen schon vor den Schlägen seiner Vereinskameraden im Bildersturm auf. Es ist, als würde der zerfetzte Plot orientierungslos in einem Malstrom treiben, der nur eine Richtung kennt: nach unten, immer tiefer zum Trauma und dem bitteren Ende entgegen. Botschaften aus Müll Für Lennys Verharren in der väterlichen Gewalt, sein Nicht-Emanzipiertsein, findet Regisseur Dean Francis eindeutige, ja plakative Bilder. So lässt er seinen Protagonisten beispielsweise einmal bei der Arbeit auf einem Schrottplatz ein großes Gitter vor sich hertragen. Diese Überdeutlichkeit bis zur
unfreiwilligen Komik, aber auch die grellen Effekte und die flache Figurenpsychologie können dabei durchaus abstoßend wirken und machen Drown oft nur mit etwas ironischer Distanz als Trash genießbar. Und doch verführt der Film zugleich auch mit seiner rauschhaften Clipästhetik, einem sehenswerten kinematischen Eigensinn und der beeindruckenden Performance Matt Levetts. Ein bisschen fühlt man sich wie Phil, der im Strudel der Ereignisse bloßes Opfer ist, aber diese Rolle mit masochistischem Gleichmut erduldet und sogar Vergnügen daran zu finden scheint. Von den vorbildlichen, sozial engagierten LGBT-Helden, die es ab und zu ins Main streamkino schaffen, sind Figuren wie Phil und Lenny natürlich ebenso weit entfernt wie von der postemanzipatorischen Gelassenheit in den Independentfilmen à la Travis Mathews. Sie lassen sich leichter in einem Exploitation-Kontext verorten und werden hier auch verständlicher, befreit von der Last strikt psychologisch glaubwürdig und nachvollziehbar zu agieren. Das Exploitationkino, zu dem Dean Franics mit dem OzploitationHorror Road Train (2010) ebenfalls schon
beigetragen hat, war schließlich stets auch ein Raum, um den realen Machismo frei von Subtilität sowie gutem Geschmack aufzublasen und – wenn ihn so schon nicht zum Platzen zu bringen – all die feinen Risse in seiner Oberfläche zum Vorschein zu bringen. Und genau das gelingt den Filmemachern mit diesem großen, erschreckenden Spaß, der sich im Ton vergreift und trotzdem weiter plärrt, der abstößt und mit seiner Kompromisslosigkeit gleichzeitig anzieht. Aber es bewegt definitiv, dieses Feuerwerk für einen Rettungsschwimmer, der schon vor langer Zeit an Land ertrunken ist. s
DROWN
von Dean Francis AU 2015, 104 Minuten, englische OF mit deutschen UT, Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de IM KINO in der Gay-Filmnacht im April,
3 www.Gay-Filmnacht.de
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kino AROUND THE BLOCK
von Sarah Spillane AU/US 2013, 104 Minuten, englische OF mit deutschen UT, Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de IM KINO in der L-Filmnacht im April,
3 www.L-Filmnacht.de
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HAMLET DOWN UNDER VON A L E X A N DR A SE ITZ
EDITION SALZGEBER / ALINA GOZIN’A
Die wunderbare Christina Ricci, ein längst erwachsen gewordener Kinderstar, der sich zwischen Hollywood, Independent und Fernsehen ohne Qualitätsverlust bewegt, spielt in „Around the Block“ von Sarah Spillane eine lesbische Lehrerin, die aus einem benachteiligten Jugendlichen einen Schauspieler und Menschen mit Perspektive machen möchte. Ein Film über Schicksal, Herkunft, gesellschaftliche Rollen und die Versprechungen der Kunst.
s „The Block“ ist nicht irgendein x-beliebiger Häuserblock. „The Block“ bezeichnet eine Nachbarschaft – cooler: Hood – innerhalb Redferns, eines Stadtteils von Sydney. In Redfern leben zahlreiche australische Ureinwohner und die Häuser zwischen Vine, Louis, Caroline und Eveleigh Street sind Eigentum der 1972 gegründeten Aboriginal Housing Company (AHC), der ersten indigen selbstverwalteten Wohnungsgenossenschaft. „The Block“ bietet den meist verarmten First Australians nicht nur bezahlbaren Wohnraum mitten in der Stadt, sondern hat darüber hinaus Bedeutung als konkrete Anlaufstelle für Outback-People wie als Ort kultureller Selbstvergewisserung. Im Februar 2004 kam es in Redfern in Folge des mutmaßlich von der Polizei verursachten Todes des 17-jährigen Aborigine Thomas Hickey zu einer Straßenschlacht. Diese gewalttätige Auseinandersetzung lieferte Wasser auf die Mühlen jener weißen Australier, denen das Gebiet rund um „The Block“ lediglich als Elendsviertel gilt, das nach Möglichkeit gentrifiziert werden müsse. Seither ist das Viertel von massiven Umstrukturierungen betroffen. In dieser Gegend und vor diesem Hintergrund siedelt Sarah Spillane ihr Spielfilmdebüt Around the Block an, eine australische Variation auf jenen bekannten Stoff, in dem ein Jugendlicher, der auf die schiefe Bahn zu geraten droht, dank des engagierten Einsatzes sendungsbewusster Pädagogen eine Chance auf Verbesserung seiner Lebensumstände erhält. Uraufgeführt wurde Around the Block im September 2013 beim Toronto International Film Festival. Dort antwortete Spillane im Rahmen eines Interviews mit Indiewire auf die Frage, was sie zu ihrem – später dann mit einem Australian Directors Guild Award ausgezeichneten – Drehbuch motiviert habe: „Die Inspiration für das Drehbuch ist mein persönliches Interesse am philosophischen Konzept des Existenzialismus, die Überlegung, dass wir alle frei sind, unseren Lebensweg zu wählen und Entscheidungen zu treffen, die unsere Zukunft bestimmen. Als ich mit dem Schreiben anfing, lebte ich in Redfern und unterrichtete an einer aboriginen Kunsthochschule, und meine Studierenden schienen von diesem Konzept so weit entfernt wie nur irgend möglich. Also versuchte ich, es dem Praxistest zu unterziehen; indem ich dem Leidensweg zweier Individuen – einer Idealistin und eines Underdogs – folgte, wollte ich herausfinden, ob das Erlangen persönlicher Freiheit tatsächlich jedem offen steht.“ Die Idealistin und der Underdog. Das sind im vorliegenden Fall die US -Amerikanerin Dino Chalmers, die es der Liebe wegen nach Australien verschlagen hat, und der 16-jährige Aborigine Liam Wood, dessen familiäre Situation mindestens problematisch ist. Während Dino feststellt, dass der Mann, dem sie gefolgt ist, nicht wirklich zu
ihr passt („Sometimes you’re so Aussie!“, stöhnt sie resigniert, als er mal wieder beiläufig einen rassistischen Spruch los lässt) und sie sich eigentlich doch eher für Frauen interessiert, kämpft Liam mehr oder weniger ratlos gegen den unseligen Einfluss an, den sein im Knast sitzender Vater und sein gewaltbereiter älterer Bruder auf ihn auszuüben versuchen. Sowohl Liam als auch Dino schlagen sich mit Problemen bezüglich Identität, Rasse und Sexualität herum und müssen ihren Weg durchs Chaos gesellschaftlicher wie kultureller Erwartungen finden. Dino unterrichtet Englisch und Theater an Liams Schule. Es ist eine jener Schulen, an der das Lehrerkollegium die Schülerschaft bereits aufgegeben zu haben scheint. Weil Resignation aber Dinos Sache nicht ist und kleinlich Denken auch noch nie geholfen hat, beginnt sie, mit ihrer Truppe William Shakespeares Theatermonolithen „Hamlet“ einzustudieren. Liam wiederum, dessen Onkel einst Mitglied einer Gruppe namens Black Theatre war und dem das Spielen sozusagen im Blut liegt, fängt rasch Feuer, er übernimmt die Titelrolle. Es dauert nicht lange, da keimt zwischen Liam und der Darstellerin der Ophelia erste Liebe auf. Auch Dino ist nicht untätig. Auf einen etwas unvermittelt daher kommenden One-Night-StandBefreiungsschlag mit einer Barbekanntschaft (Ruby Rose) folgt ihr zögerlicher Versuch, an die zurückliegende Romanze mit der Bio laden-Betreiberin Kate (Andrea Demetriades) wieder anzuknüpfen. Zudem hat der Bildungsminister sein Erscheinen zur Hamlet-Premiere angekündigt. Alles könnte gut werden. Wäre da nicht die Gewalttradition des Patriarchats. Mit der Figur der Dino Chalmers fügt Christina Ricci ihrer abenteuerlustigen Filmografie ein weiteres Beispiel für Neugier, Risikobereitschaft und Engagement für das unabhängige Kino hinzu. Riccis Darstellung der Dino ist untadelig, eine wohlabgewogene Mischung aus Durchsetzungskraft, Unsicherheit und Mitgefühl; sie wird allerdings von Hunter Page-Lochard, der mit Liam Wood seine erste Hauptrolle übernimmt, glatt an die Wand gespielt. So glaubwürdig wie anrührend verkörpert Page-Lochard – Sohn des künstlerischen Leiters des renommierten Bangarra Dance Theatres, Stephen Page – einen jungen Mann am Scheideweg. Hin- und hergerissen zwischen der Loyalität dem Vater und Bruder gegenüber und den eigenen Hoffnungen, Wünschen, Träumen, die Liam – und genau dies gelingt es Page-Lochard zu spielen – so gewagt erscheinen, dass er sie fast noch vor sich selbst geheim hält. Unschwer ist Hamlet, der arme Dänenprinz, in Liam wiederzuerkennen. Auch Liam wird von seinem Vater, der im Gefängnis ja quasi wie begraben ist, in die Pflicht genommen und um sein Glück gebracht. Auch Liam hadert. Auch er beugt sich und bezahlt eine Rechnung, die er nicht hat auflaufen lassen. Around the Block ist ein farbenfroher, energiegeladener Film voller Musik und Lokalkolorit. Spillane hat ein gutes Auge für die Kadrage und ein sicheres Gespür für den Rhythmus. Und auch wenn die Story auf den ersten Blick ein wenig banal erscheinen mag, so einfach wie David Rooney, der den Film im „Hollywood Reporter“ als „derivative collection of plot clichés lifted wholesale from 1990s black American cinema“ aburteilte, sollte man es sich nicht mit ihm machen. Zum einen, weil bekanntlich in jedem Klischee nicht wenig Wahrheit steckt, und zum anderen, weil Spillanes Reflexion des HamletStoffes in der Gegenwart der marginalisierten australischen Ureinwohner nicht hölzern oder erzwungen wirkt: Das Altbekannte der Shakespeare’schen Tragödie, man muss es hin und wieder modern gefaßt und gespiegelt sehen, um es in seiner ganzen Tieftraurigkeit zu erfassen. s
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CHRISTIN FREITAG
KEINE ROUTINE
EDITION SALZGEBER (2)
Im Mai präsentieren L-Filmnacht und Gay-Filmnacht wieder KurzfilmProgramme. Für uns ein willkommener Anlass, bei den jungen FilmemacherInnen nachzufragen, wie viel Spaß die Arbeit mit dem nicht-heterosexuellen Kino so macht. Wir haben mit der dffb-Studentin Christin Freitag gesprochen, deren Jungsgeschichte „Jetzt Jetzt Jetzt“ auf das Aussteigen aus dem heteronormativen Gruppenzwang hinausläuft, außerdem mit dem Werbefilmer Frederik Geisler, dessen freies filmisches Nebenprojekt „Stella“ eine Frau porträtiert, die mit einer weiteren Frau (in sich?) ein kompliziertes Verhältnis unterhält.
„Stella“ von Frederik Geisler (oben); „Jetzt Jetzt Jetzt“ von Christin Freitag (unten)
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SISSY: Dein Film ist an der dff b entstanden, mit einem ziemlich großen Team, vielen Komparsen – hast du zum ersten Mal in einem so großen Rahmen gearbeitet? Christin Freitag: Zu dem Zeitpunkt ja. Ein großes Team, viele Sets, viele Komparsen, das macht nicht unbedingt einen besseren Film, aber der Stil, der Rhythmus des Films, den ich mir vorgestellt hatte, hat einen gewissen technischen und menschlichen Aufwand gebraucht. Handwerk kann durchaus Emotionen erst auslösen und technische Mittel erzeugen Gefühle, die wir damit gar nicht verbinden. Was war der Auslöser? Es ist ein festes Seminar an unserer Hochschule, in dem jedes Jahr drei Filme mit Senderbeteiligung produziert werden. Ein Autor, mit dem ich bereits zuvor zwei Bücher entwickelt und gedreht hatte, schickte mir ein Buch mit der Frage, ob ich einen passenden Regisseur dafür wüsste. Das war so überraschend für mich, dass da ein Buch in meinem Briefkasten liegt, einfach so, und genau das ist, was ich machen wollte. Also musste ich ihn davon über zeugen, das ich die richtige Regisseurin für den Film bin. Die drei ausgewählten Projekte gehen dann direkt in Produktion. Es ist ein relativ schneller Produktionsprozess, die Deadlines sind knapp, man arbeitet sehr branchennah. Ich fand es befreiend. Man arbeitet sehr konzentriert, mit guten Spezialisten ihrer Gebiete, und kann sich ganz aufs Regieführen konzentrieren. Was hat dich als Filmemacherin so sehr an einer Jungsgeschichte interessiert? Mein Autor Sebastian Köthe entwickelte diese Geschichte aus dem Roman: „Die Verwirrungen des Zöglings Törless“ von Robert Musil. Mich hat vor allem die Gruppendynamik daran interessiert. Es sind fast klassische Kampfszenen, nur dass der Kampf erst mal nicht auf der körperlichen Ebene stattfindet. An den Jungs hat mich einfach diese „Jungswelt“ interessiert. Die natürlicherweise weit weg ist von mir. Es gibt immer eine Sehnsucht nach dem, was man nicht haben kann. Herauszufinden, wie man sich dort fühlt. Und glücklicherweise ist das mit Film möglich – in Welten zu kommen, in denen man sonst nicht sein kann. Hätte man diese Art Geschichte auch unter Mädchen erzählen können? Ganz sicher hätte man diese Geschichte auch mit Mädchen erzählen können. Die Machtspiele hätten genau dieselben sein können. Es ist eine Frage der Charaktere, nicht des Geschlechts. Ich hätte sie nicht weniger brutal angelegt. Ich denke aber, dass die Gruppendynamik eine andere gewesen wäre. Wie
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sich Freundschaft ausdrückt unter Jungs und unter Mädchen. Und mich hat in diesem Fall die der Jungs mehr interessiert. Sie greifen sich untereinander an, als Freunde, ziehen sich gegenseitig auf und testen sich. Und das macht die Konflikte mit Jakob als Außenseiter spannender, weil der Grad zwischen Zuneigung und Ablehnung schmal ist und einen doppelten Boden hat. Du gibst dem melancholischen Mitläufer Fabian und dem „Opfer“ Jakob ein schwules Begehren. Wie hast du das mit den Schauspielern erarbeitet? Fabian weiß selbst noch gar nicht, was er da fühlt, und wonach das eine Sehnsucht ist. Die beiden teilen etwas. Sie sind sich ähnlich in ihrer Sensibilität. Und was das genau bedeutet, das kann Fabian nicht wissen, ohne näher an Jakob heran zu kommen. So habe ich das auch mit den Schauspieler erarbeitet, als Sehnsucht und eine Ahnung davon, dass man etwas teilt. Das muss nicht zwangsläufig auch sexuell sein. Ist der Opferstatus von Jakob innerhalb der Gruppe durch sein Schwulsein begründet? Eher durch sein Anderssein. Durch seine Sensibilität. Man „hasst“ oft die Dinge, die einem Angst machen. Mädchen scheinen in diesem Film unerreichbar, fast wie von einem anderen Stern. Die Seilspringszene hast du durch Musik und Zeitlupe dem Rest völlig enthoben … Ich glaube, der Blick auf die „andere Welt“ ist in dem Alter sehr stark. Überhaupt auf alles Andere. Das gilt auch für den Blick von Mädchen auf Jungs. Es ist immer das Andere, immer die Sehnsucht. Das wollte ich mit dieser Szene übersteigern. Was mich immer fasziniert hat, ist die unterschiedliche Körperlichkeit von Jungen und Mädchen in dem Alter. Was diese Körperlichkeit erzählt, hab ich nicht entschieden, ich habe meinen Eindruck davon erst mal einfach ins Extreme getrieben. Findest du es – aus deiner Erfahrung oder der von Kommilitonen – generell unproblematisch, queere Stoffe an der Filmhochschule umzusetzen? Ja. Ich habe keine schwierigen Erfahrungen damit gemacht, und nichts Gegenteiliges von Anderen gehört. Queere Stoffe sind ein relativ beliebtes Thema, weil es Reibungsflächen bietet, und die klassische Romeo-und-JuliaKonstellation in unsere heutige Zeit, in ganz normale Milieus holen kann. Was man nicht begehren sollte oder darf – da ist Raum für die größten Sehnsüchte. Und das ist an sich sehr filmisch. Was sind denn deine Pläne für den Abschlussfilm? Im Moment bin ich noch sehr beschäftigt mit einem Dokumentarfilmprojekt in Los Angeles. Wir haben ein Jahr lang mit vier Boxern gedreht, die an unterschiedlichen Punkten
ihrer Karriere stehen. Es geht um Träume und dieses Mal ist Kämpfen also das zentrale Sujet des Films. s
FREDERIK GEISLER SISSY: In „Stella“ geht es um eine Frau, die offensichtlich mit ihrem Leben und in ihrer Ehe unglücklich ist. Visuell wird das aber durch ein erotisch aufgeladenes Spiel zweier Frauen dargestellt … Frederik Geisler: Wichtig war mir eine intro spektivische Erzählebene zu finden. Wie schafft man es, die Geschichte zu visualisieren, die im Kopf der Figur abläuft? Diese Überlegung spiegelt auf visueller Ebene die Art der Bilder wider, aber auch deren Montage, die nicht linear, sondern eher sprunghaft, assoziativ abläuft. Die visuelle Gestaltung des Films arbeitet besonders die sinnliche Ebene heraus. Ihr dreht viel in der Natur, lasst das Licht z.T. die Bilder überf luten. Bei einer Produktion mit sehr eingeschränkten Mitteln geht man eigentlich von Anfang an recht pragmatisch an die Produktionsbedingungen heran. Wir haben überlegt, welcher Drehort steht uns umsonst zu Verfügung, welches Umfeld finden wir dort vor. So kamen wir auf den Bauernhof meiner Schwester, die mit ihren zwei Pferden in der Lüneburger Heide lebt. Der Prozess der Drehbuchentwicklung und die visuelle Auflösung sind immer im engen Austausch mit den Orten einhergegangen. Und es gibt natürlich immer Momente, Bilder und Situationen, die erst beim eigentlichen Dreh entstehen, und die haben wir dann auch zugelassen, denn das ist natürlich der eine Vorteil gegenüber einer durchgeplanten High-Budget-Produktion, dass man flexibel auf den Drehverlauf reagieren kann. Ihr seid an den Schlüsselstellen – Regie, Buch, Kamera – ein rein männliches Team gewesen. Wie habt ihr euch den lesbischen Aspekten der Geschichte angenähert? Das spezifisch Lesbische stand eigentlich gar nicht so im Mittelpunkt. Die Hauptkonzentration galt einer weiblichen Perspektive auf das Thema Identität. Was passiert, wenn man von außen gesehen im Grunde alles hat, was gesellschaftlich als Glück bezeichnet wird, man aber trotzdem unglücklich ist. Die Beziehung zu Stella könnte ja auch eine Versöhnung oder Liebe zu einem unterdrückten Teil der eigenen Persönlichkeit sein. Bei der lesbischen Perspektive fanden wir aber interessant, dass am Ende nicht einfach klar ist: so, ich bin lesbisch und jetzt verlasse ich erst mal meinen Mann und alles ist easy, da stehen ja nach einer längeren Beziehung auch noch eine ganze Menge anderer zwischenmenschliche Aspekte im Raum, auch wenn
klar ist: Ich kann nicht mehr so weiterleben wie zuvor. Wir werden aber wirklich häufig gefragt, wieso wir uns als Männer mit der weiblichen Perspektive beschäftigt haben. Die einfache Antwort ist, dass wir es einfach spannender finden, uns mit etwas auseinanderzusetzen, das uns zunächst einmal ein Rätsel aufzeigt; wo ein Spannungsfeld entsteht, das meine Sinne permanent herausfordert: Werde ich jetzt prätentiös, wenn ich das so oder so mache, verfalle ich hier nicht in Klischees? Meine Beobachtung ist genauer, wenn ich mich auf einem Terrain bewege, das nicht meinen täglichen Routinen entspricht. Was ist dein Hintergund, in welchem Produktionskontext ist dieser sehr professionell wirkende Film entstanden? Normalerweise führe ich Regie bei Werbung, Vorspännen und Kinotrailern, also sogenannten Hochglanzproduktionen, wo mit einem enormen finanziellen Aufwand 30 bis 90 Sekunden produziert werden. Ich finde diese Arbeit unheimlich hilfreich und mache das wirklich richtig gerne. Aber es gibt auch eine große Bereitschaft unter Profis, an einem Herzensprojekt zu arbeiten. Wie sind eure Erfahrungen mit Startnext? Würdet ihr anderen Filmemachern diesen Weg zur Finanzierung ihres Films empfehlen? Zu aller erst ist, glaube ich, wichtig, dass man glaubwürdig ist, sowohl in seiner künstlerischen Vision, als auch, was das Geld angeht, das man von den Leuten haben möchte. Wir hatten 2.500 Euro anvisiert, die unerwartet durch einen Sponsor noch einmal verdoppelt wurden. Wenn man überlegt, dass in der Werbewirtschaft jeder Drehtag einen fünfstelligen Betrag kostet, war das für unsere acht Drehtage wirklich hart kalkuliert. Wie ist ist es denn mit „Stella“ weitergegangen? Wurde er als queerer Film rezipiert oder eher als interessant verschachtelte Identitätsgeschichte? Wir sind zufrieden, der Prozess ist auch noch im Gange. Die Rezeption geht aber tatsächlich stark auseinander, viele sehen die Geschichte als reine Alter-Ego-Erzählung, andere als rein lesbische Entdeckungsreise. Es steckt ja auch beides im Film, ich finde das spannend, denn das bedeutet doch, dass die Leute ihre eigene Geschichte mit dem Film abgleichen. s L-FILMNACHT IM MAI
DIE MAID UND DIE PRINZESSIN von Ali Scher, AU 2011 STELLA von Frederik Geisler, DE 2014 DIE ANDERE FRAU von Marie Ka, SA 2013 M WIE MARTHA von Lena Knauss, DE 2015 LUFTBALLON von Jenni Lee, NO 2011
3 www.L-Filmnacht.de
GAY-FILMNACHT IM MAI
BOYGAME von Anna Österlund Nolskog, SE 2013 DIK von Christopher Stollery, AU 2012 EIN NACHMITTAG von Søren Green, DK 2014 JETZT JETZT JETZT von Christin Freitag, DE 2012 WINI + GEORGE von Benjamin Monie, US 2013 JACKPOT von Adam Baran, US 2012 GAY GOTH Scene von Kai Stänicke, DE 2013
3 www.Gay-Filmnacht.de
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MOMMY VON PAU L SCH U L Z
POLYBAND / BSM STUDIO. ALL RIGHTS RESERVED.
„Still Alice“, der neue Film der beiden schwulen Regisseure Richard Glatzer und Wash Westmoreland („The Fluffer“, „Quinceañera“), ist ein ziemlich heteronormativer Tearjerker, in dem eine kranke Frau für ihre Kernfamilie zum Problem wird. Aber das Tolle ist: Er hat Julianne Moore endlich den Oscar eingebracht! Warum sie seit vielen Filmen die ungekrönte Königin des queeren Kinos ist, versucht diese Huldigung zu erklären.
s „Es war einmal ein kleines Mädchen. Sie war sieben Jahre alt, sie war klein und sie konnte Rad fahren. Kurzum, sie war wie alle kleinen Mädchen. Wenn sie nicht feuerrotes Haar und unzählige Sommersprossen gehabt hätte“, lauten die ersten Sätze von „Freckleface Strawberry“, Julianne Moores erstem Kinderbuch. Die Schauspielerin erzählt seit 2003 in bislang vier Bänden davon, wie der Ronja-Räubertochter-Verschnitt Freckleface merkt, dass sie schön ist, obwohl sie anders aussieht als die anderen Kinder, wie sie den DodgeballBully von ihrem Spielplatz vertreibt, wie sie und Windy Pants Patrick („Pupshosen Patrick“) beste Freunde werden, und dass ein Rucksack nur halb so schwer ist, wenn man ihn gemeinsam mit anderen trägt. Es sind entzückende, in den USA sehr, sehr erfolgreiche Bücher, mit einer Heldin, die immer Hosen und nie Röcke trägt, sich andere Außenseiter sucht, um sich zugehörig zu fühlen und sich überall einmischt, wo sie es für richtig hält. Auf die Frage danach, ob das alles autobiografisch ist, antwortete die 54-Jährige mit den roten Haaren und den Sommersprossen: „I really like skirts now.“ Julie Anne Smith wird am 3. Dezember 1960 in Fayetteville im US Bundesstaat North Carolina geboren. Ihr Vater ist bei der US -Army beschäftigt, weswegen die Familie oft umzieht und unter anderem auch einige Jahre in Deutschland lebt, wo Julie Anne in Frankfurt am Main ihren High-School-Abschluss macht. Ihre Mutter ist eine schottische Sozialarbeiterin, die einen komischen Akzent hat und sich immer um alle kümmert. „I did not know any other moms who talked like my mom did. But I really loved her“, beschreibt Moore ihre Kindheit. „My mother is a foreigner but I am not“, heißt ein weiteres Kinderbuch, das Moore im letzten Jahr veröffentlicht hat, und das sich ganz explizit an die Kinder von Immigranten richtet. „Meine Eltern haben mir immer gesagt, ich könne alles werden, was ich wolle, solange ich eine gute Ausbildung habe. Obwohl ich nicht glaube, dass sie damit Schauspielerin gemeint hatten“, ist die Mitte ihrer Oscar-Dankesrede. Es war so: Eltern, die, wie Hannibal Lecter jetzt sagen würde, „nur eine Generation von billigen Schuhen trennt“, übergeben ihre Kinder nur ungern dem unsicheren Fahrwasser im Showbusiness. Also studierte Ms. Smith Literatur an der Boston University und spielte nebenher dann und wann Theater, machte einen summa-cum-laude-Abschluss, ging danach nach New York und wurde zu Julianne Moore. Die bekommt ihre erste große Rolle in der Soap As the world turns, spielt Zwillinge, kriegt dafür einen DaytimeEmmy und ab da auch bessere Angebote. Außerdem passieren noch ein paar andere Dinge. „Mein Agent kam mit etwas, das wir für die Grippe hielten, aus dem Urlaub in Mexiko zurück. Sechs Wochen später war er tot.“ Die Aids-Krise ist auch für Moore die Initialzündung, um sich mehr um die Rechte ihrer LGBT-Freunde zu kümmern. „Einer meiner besten Freunde war bei ACT UP, also fing ich an, mit ihm zu deren Treffen zu gehen, SISSY 25 19
POLYBAND / BSM STUDIO. ALL RIGHTS RESERVED.
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und zu vielen, vielen Demos. Es war eine schockierende Zeit in Bezug auf das Gesundheitssystem und wie man darin mit schwulen Männern umging. Es ging einfach nie schnell genug. Also taten wir etwas, damit es schneller ging. So habe ich damals angefangen.“ Moore ist jemand, den das Wort „Ally“ (Kampfesbruder/schwester) nur sehr unzureichend beschreibt. Wie für viele andere amerikanische Prominente ist für Moore der Kampf für die Rechte von LGBT untrennbar mit dem Kampf für die Rechte von Frauen, Migranten, Behinderten und Kranken verbunden. Das alles hängt zusammen, ist zwar einzeln zu bearbeiten, aber letzten Endes nicht voneinander zu trennen. Ein bessere Welt gibt es nur am Stück. Trotzdem trennt sie ihren Aktivismus strikt von ihrer künstlerischen Arbeit: „Ich suche mir meine Rollen nicht danach aus, ob ich dabei in queeren Zusammenhängen arbeiten kann, sondern danach, ob das Skript gut ist, ich den Regisseur spannend finde oder mit tollen Kollegen und Kolleginnen arbeiten kann. Ich suche auch nicht explizit nach politischen Stoffen, aber da mich Geschichten interessieren, die von zutiefst persönlichen Gefühlen und Interessen vorangetrieben werden, sind die einfach oft deswegen hoch politisch. (…) Ich glaube aber nicht, das Filme gesellschaftliche Entwicklungen vorantreiben, ich denke, sie reflektieren nur Entwicklungen, die ohnehin passieren. The Kids are all right hätten wir nicht so drehen können, wie wir es getan haben, wenn nicht längst viele, viele Familien in Amerika so wären wie die in unserem Film.“ Diese Haltung hat dazu beigetragen, dass Moore jetzt, mit Anfang 50, vielleicht der weibliche Star ist, den Queerlinge jeden 20 SISSY 25
Geschlechts am meisten verehren. Lesben lieben sie für The Kids are all right und ihre Sport-Butch im ansonsten völlig überflüssigen Psycho-Remake von Gus van Sant, schwule Männer huldigen ihr wegen Ihrer Filme mit Todd Haynes (Dem Himmel so fern und Safe), Wilde Unschuld von Tom Kalin und A Single Man von Tom Ford. Und alle lieben sie dafür, dass sie in Camp-Meisterwerken wie Hannibal gut in hochgeschlitzten, schwarzen Kleidern aussieht, während Anthony Hopkins vor ihren Augen menschliches Hirn sautiert, und dass sie in Body of Evidence den Traum vieler Filmkritiker weltweit lebt: Sie zieht Madonna eine rein. Und dann ist da natürlich The Hours. Moore spielt eine (wahrscheinlich) lesbische Mutter, die begreift, dass ihr fünfjähriger Sohn schwul ist und die trotzdem nicht bei ihm bleibt. Und obwohl es Nicole Kidman war, die für ihre Darstellung als Virginia Woolf den Oscar bekam, ist es Moore, die die Fäden der Handlung elegant, oft nur mit Blicken und bis zu einem herzerweichenden emotionalen Crescendo zusammenhält. Etwas ganz Ähnliches tut sie jetzt in Still Alice, den die Regisseure und Drehbuchautoren Wash Westmoreland und Richard Glatzer, ein schwules Paar, mit ihr gemacht haben. Moore spielt eine Linguistin, die eine frühe Alzheimer-Diagnose bekommt und immer weniger und weniger wird, bis sie am Ende nur noch in der Stille ihrer Augen Alice ist. Eine Meisterleistung. Glatzer leidet an ALS, was Moore in ihrer Dankesrede genauso selbstverständlich erwähnt wie die langjährige Liebe und Beziehung der beiden Männer hinter dem Film. Ihr nächstes Projekt: Zusammen mit dem lesbischen Superstar Ellen Page spielt Moore ein Paar, das
sich mit dem Rechtssystem von New Jersey anlegt, weil eine von ihnen schwer krank ist und der anderen ihre Hinterbliebenen-Pension zukommen lassen will. Schwer emotional, hoch politisch, wieder mal. „Eine tolle Rolle“, so Moore. Es gibt in Boogie Nights von Paul Thomas Anderson, in dem Moore als Pornostar und Mutter Amber Waves ihren Durchbruch in die Hollywood-A-Liga feierte, eine Szene, in der Heather Graham in Rollschuhen auf einem Bett vor Moore kniet, während beide sich das Koks von den Nasenflügen wischen. Grahams Rollergirl sagt: „I would like to call you mommy. Is that ok? I’m gonna call you mommy. Because, you’re like everybodys mother. I’m just gonna call you mommy, ok?“ Moore lächelt und sagt: „Of course, sweetie, you can call me mommy.“ Während sie das sagt, blitzen kurz ihre unzähligen Sommersprossen auf und ihre Haare leuchten herrlich feuerrot. s Die FRECKLEFACE-STRAWBERRY-BÜCHER von Julianne Moore und LeUyen Pham sind auf Englisch bei Bloomsbury, auf Deutsch im Berlin Verlag erschienen · AS THE WORLD TURNS als ImportDVD · THE KIDS ARE ALL RIGHT auf DVD bei Universal Pictures · DEM HIMMEL SO FERN auf DVD bei Concorde Video · SAFE als Import-DVD · WILDE UNSCHULD auf DVD bei Concorde Video · A SINGLE MAN auf DVD bei Universum Film · HANNIBAL auf DVD bei Universal Pictures · BODY OF EVIDENCE auf DVD bei Highlight · THE HOURS auf DVD bei Highlight · BOOGIE NIGHTS auf DVD bei Warner Home Video
STILL ALICE
von Richard Glatzer und Wash Westmoreland US 2014, 99 Minuten, deutsche Synchronfassung, englische OF mit deutschen UT, Polyband Medien, 3 www.polyband.de IM KINO ab 5. März 2015,
3 www.stillalice.de
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MANDARIN CINEMA / MARS FILM / FRANCE 2 CINEMA / FOZ JEAN-CL AUDE MOIREAU
RAUSCH DER WEIBLICHKEIT VON BA R BA R A SCH W E I Z E R HOF
Das beste, was man wahrscheinlich über das Kino von François Ozon sagen kann, ist, dass er die Ambivalenz gegenüber seinen (über die Jahre ziemlich schick gewordenen) eigenen Bildern immer gleich mit in die Filme einbaut – mal als gymnasialironisches Gedankenspiel, mal als tatsächliche Verstörungserfahrung. In seinem neuen Film gelingt ihm eine weitere Blickverunsicherung, die das Gezeigte – vor allem unter Genderaspekten – immer wieder neu lesen lässt.
s Manche Filmtitel funktionieren wie eine Art Flaschenpost. Was zuerst als willkürliches Fundstück erscheint, entpuppt sich als Botschaft. Im Fall von François Ozons neuem Film besteht die Botschaft aus der Vorgabe einer Perspektive und zwar im ganz buchstäblichen Sinn: als Sicht von einem bestimmten Punkt aus. Eine neue Freundin setzt drei Frauen, oder besser drei weibliche Figuren, in einen vordefinierten Rahmen: Die „neue“ Freundin schließt eine Vorgängerin oder ein Vorbild mit ein, und beide gemeinsam beziehen sich auf ein Gegenüber, dessen Blickwinkel sie erst zu Freundinnen bestimmt. Auch wenn die „neue Freundin“ die Blicke auf sich zieht, so gibt es im Titel doch die Andeutung darauf, dass es hier nicht nur um sie, sondern um das Erleben ihres Gegenübers geht. Dem Mädchenfreundschafts-Thema gemäß beginnt der Film wie ein Fotoroman in Szenen. Ein Lippenpaar wird geschminkt, ein Ring angesteckt, ein weißes Strumpfband am schlanken Schenkel hochgezogen. Gerade noch denkt man als Zuschauer, dass hier eine Braut geschmückt wird, doch dann werden der blonden jungen Frau die Augen geschlossen, die Kamera offenbart ihr purpurnes Bett als Sarg und von unbekannter Hand schiebt sich ein weißlackierter Deckel über die schneewittchenschöne Braut. So können Blicke täuschen – SISSY 25 21
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und so setzt Ozon auch die ironisch erhöhte Tonlage seines Films. Mit seifigem Aplomb geht es weiter. Da hält im feierlich-ernsten Hall einer Kirche eine junge Frau die Trauerrede auf ihre beste Freundin. Mit sieben Jahren seien sie sich begegnet, und es sei klar gewesen, dass ihre Verbindung „für immer und ewig“ bestehen sollte. Der Fotoroman in Szenen zeigt zwei Mädchen, die eine blond, die andere rotbezopft, die sich in der Schule zusammenfinden und bald Seite an Seite über sonnige Wiesen toben. Die Blonde erweist sich als keck und selbstbewusst, die Rothaarige als schüchtern und beobachtend. Bald sind sie zu Teenager-Freundinnen herangewachsen mit der durchaus typischen Rollenaufteilung: Die blonde Laura, nun gespielt von Isild Le Besco, wird umschwärmt, die rothaarige Claire, nun gespielt von Anaïs Demoustier, wird übersehen. Laura erlebt erste HerzensDramen, Claire tröstet sie. Doch als Laura zuerst Braut und dann Mutter wird, findet auch Claire den passenden Mann. Als Patin reicht sie bei der Taufe die kleine Tochter an die bereits im Rollstuhl sitzende Laura weiter, mit der es kurz darauf zu Ende geht, gespiegelt in den Tränen von Claire und Lauras Mann David (Romain Duris). Das alles hätte auch einen ganzen Film ergeben können, doch in Eine neue Freundin sind bis zu dieser Stelle kaum acht Minuten vergangen. Fast ist es, als ob nun, da mit Laura die „alte“ Freundin beerdigt ist, das Sequel beginnt. Statt elegischer Szenen setzt Alltag ein: Eine von Trauer erschlagene Claire wird von ihrem Mann Gilles (Raphaël Personnaz) 22 SISSY 25
dazu aufgefordert, sich zusammenzureißen und doch zur Arbeit zu gehen. Sie schleppt sich durch die Tage, nimmt sich frei, tut sich schwer damit, den verwitweten David anzurufen, obwohl sie doch der sterbenden Laura versprochen hat, sich um ihn und die kleine Tochter zu kümmern. Dann joggt sie eines Tages zu dessen Villa, und da die Tür nicht verschlossen ist, tritt sie ein und findet zu ihrem Schock dort den trauernden Kindsvater vor, wie er in blonder Perücke und Frauenkleidern seinem Baby die Flasche gibt. Zuerst abgestoßen – „du bist ein Perverser!“, hält sie ihm entgegen –, lässt Claire sich von David aber bald dazu überreden, seine Seite anzuhören. Seine Erklärungen sind so offen wie simpel: Er habe immer schon einen Hang zu Frauenkleidern gehabt, sei aber nicht schwul. Laura habe davon gewusst und es toleriert. Ihre Weiblichkeit sei ihm in ihrer Ehe genug gewesen, das Bedürfnis zur Verkleidung habe ihn erst nach ihrem Tod wieder überkommen, wie ein Nebeneffekt im Bemühen darum, der kleinen Tochter die Mutter zu ersetzen. Claire ist schockiert – und zugleich fasziniert. Alsbald macht David sie zu seiner Komplizin, mit der er shoppen geht und von der er sich Schminktipps geben lässt. Sie erklärt ihn ihrerseits unter dem Codenamen „Virginia“ zur „neuen Freundin“. Was zwischen den beiden fortan passiert, ist ein ganz eigener Roman, der sich bei allen großen Gefühlen und großen Gefühlsumschwüngen von der Seifigkeit der ersten acht Filmminuten deutlich absetzt, den dort angeschnittenen Themen aber erstaun-
lich treu bleibt. Denn tatsächlich – und für manche kommt das einer Enttäuschung gleich – gilt Ozons Hauptinteresse weder dem Phänomen Transgender noch der Travestie, sondern etwas viel Diffuserem und schwieriger zu Etikettierendem. Besteht Weiblichkeit aus dem Tragen von Lippenstift und hohen Absätzen? Aus Parfümgeruch und rasierten Beinen? Unter der Oberfläche der vorgeblichen „Frauenfreundschaft“ von Claire und David/Virginia verschieben sich die Gewichte. Beim gemeinsamen Einkaufen und gegenseitigen Komplimentieren für Kleider und Frisuren steigern sich beide wie in einen Weiblichkeitsrausch hinein. Doch wirkt sich dieser Rausch bei beiden ganz unterschiedlich aus. Die Perspektive des Films bleibt die von Anaïs Demoustiers Claire, deren Genderidentität mehr ins Wanken zu geraten scheint als die von David, der sich in Frauenkleidern und Frauengefühlen wohl fühlt, ohne je an seiner heterosexuellen Orientierung zu zweifeln. Claire dagegen erlebt zunächst eine Intensivierung der eigenen Sexualität; sie entdeckt mit Lippenstift und neuen Roben eine Leidenschaft, die selbst ihren Ehemann Gilles überrascht. Diese „Sexualisierung“ aber zeitigt bald viel kompliziertere Effekte. Es ist, als ob die sich in ihrer femininen Rolle perfektionierende Virginia Claire bald wieder überstrahlt – ähnlich wie einst Laura. Gleichzeitig drängt sie sie in eine „männlichere“, bestimmtere Rolle – was der Film dezent in der Kleidung der beiden herausarbeitet. Auch führt die Intimität ihrer Freundschaft zu einer verwirrenden Gemen-
kino
Der neue Film von François Ozon
(»8 Frauen«, »Swimming Pool«)
MANDARIN CINEMA / MARS FILM / FRANCE 2 CINEMA / FOZ JEAN-CL AUDE MOIREAU (2)
Eine neue Freundin
gelage des Begehrens. Wer liebt hier wen in welcher Verkleidung und auf welche Spielart? Und welche Rolle spielt darin die tote Laura? Claires Ehemann Gilles bringt mit ahnungslosem Auftreten ein bisschen Ruhe ins Geschehen. Die nonchalante Großzügigkeit, mit der er die Eskapaden seiner Frau hinnimmt, sorgt im Übrigen dafür, dass auch der Zuschauer mit Sympathie bei der Stange bleibt. In einer an sich undankbaren Nebenrolle trägt Raphaël Personnaz damit auf sehr charmante Weise mehr bei, als man es ihm zunächst ansieht. Mit seinem Karussell der Geschlechterrollen und sexuellen Identitäten erinnert Eine neue Freundin ein wenig an die frühen Filme Pedro Almodóvars. Die herkömmlichen Kategorisierungen werden ironisch suspendiert; Authentizität wird zum Spiel, zur frivolen Maskerade, die befreiend wirkt, weil sie den Wechsel der Perspektiven erlaubt, das Erschließen von fremdem Terrain und das Aufbrechen überkommener Regeln. Doch wo Almodóvar die Flamboyanz und Intensität feierte, interessiert sich der nie die Kontrolle verlierende Ozon mehr für die Hemmung als für ihre Überschreitung. Aber gerade darin liegt der ganz spezifische Charme dieses Films: Claire ist ein durch und durch gehemmter Charakter, eine Figur, die permanent an ihre Grenzen stößt – und darin besonders vieldimensional und lebensnah erscheint. Anaïs Demoustier macht mit ihrem sommersprossigen Gesicht einer großen Naiven diesen inneren Kampf mit Projektionen und Überwindungen, mit einsamen Entschlüssen und Einsichten auf
wunderbare Weise sichtbar. Ihr gegenüber hat es Romain Duris fast schwer zu bestehen, so bewundernswert er sich in die feminine Rolle hineingehungert hat und so erstaunlich unmanieriert ihm seine Virginia auch gelingt. Wie Almodóvar besteht auch Ozon auf der Unauflösbarkeit von Ambivalenzen – und bemüht dazu die Genresprache des Kinos. In seinem Setting reproduziert Eine neue Freundin eine Art französisiertes RetroHollywood, wo Gefühlskino keiner sozialen Bodenhaftung bedurfte. Die Villen sind stattlich, die Autos schick und der materielle Wohlstand der Figuren eine Selbstverständlichkeit. In diesem Klischee einer christlichgesetzten, rein äußerlichen Bürgerlichkeit siedelt Ozon seine Gender-Definitionen sprengende Fabel an und zersetzt so mit leiser Ironie auch jenes konservative Familienbild, für das in Frankreich gegenwärtig so ressentiment-geladen demonstriert wird. s
EINE NEUE FREUNDIN
von François Ozon FR 2014, 108 Minuten, deutsche Synchronfassung, französische OF mit deutschen UT, Weltkino, 3 www.weltkino.de IM KINO ab 26. März 2015
3 www.eineneuefreundin.weltkino.de
Ab 26. März im Kino SISSY 25 23
/EineNeueFreundin www.EineNeueFreundin.weltkino.de
film-flirt
SCREENSHOT: STUDIOCANAL
Der Moment SCHRIFTSTELLER SEHEN FILME: SOPHIE STROHMEIER
Die in Wien und Pennsylvania aufgewachsene Autorin und Journalistin Sophie Strohmeier hat 2013 den wunderbaren lesbische Schundroman „Küss mich, Libussa“ veröffentlicht, in dem eine Slawistikstudentin in Prag versucht, ihre Literaturprofessorin zu verführen. Sophie Strohmeiers Moment geht zurück zu den Anfängen eines regelrechten Deneuve-Wahns: der Nicht-Kuss in „Belle de Jour“.
BELLE DE JOUR
von Louis Bruñuel FR 1967, 101 Minuten, deutsche Synchronfassung, französische OF mit deutschen UT AUF DVD bei Studiocanal, 3 www.studiocanal.de
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KÜSS MICH, LIBUSSA
von Sophie Strohmeier Roman. Gebundene Ausgabe, 256 Seiten, edition a, 3 www.edition-a.at
s Catherine Deneuve macht einen Schritt. Erst unentschlossen, dann mit wachsender Sicherheit, nähert sie sich mit der Absicht, die andere Frau zu küssen. Die Frau wendet das Gesicht ab. Unbeeindruckt und vielleicht etwas trotzig küsst Deneuve die Frau also am Hals. Es ist eine Geste der Ablehnung, des Verzichts, die plötzlich eine Geschichte erzählt. Mit einem Mal wird ein queerer Subtext deutlich: Hier geht es um mehr als um Erotik und Machtspiel; hier hat sich eine Frau in eine andere Frau verliebt. Genauer gesagt: Hier hat sich die Zuhälterin Madame Anaïs (Geneviève Page) in ihre Prostituierte Séverine (Catherine Deneuve) verliebt. Etwas noch Romantischeres und Tragischeres konnte ich mir in meiner verträumten Jugend eigentlich nicht vorstellen. Als ich diesen Moment in Belle de Jour (1967) das erste Mal sah, blieb mir fast das Herz stehen. Erst die Bewegung der Deneuve: Packte sie da Madame Anaïs tatsächlich um die Taille? Hatte sie etwa tatsächlich vor, die andere Frau zu küssen – und wenn ja, was erwartete sie sich davon? Und dieses davon, was genau bedeutete das? Ein Teil von mir akzeptierte, dass es sich um einen Machtbeweis handelte. Aber bedeutete Madame Anaïs’ Ablehnung des Kusses eben das, was ich mir dachte – genauer gesagt: wünschte? An diese Gedanken erinnere ich mich gut; ich konnte die Fragen allerdings nur einem Fernsehbildschirm stellen und bekam keine Antwort. War Belle de Jour mein erster Catherine-Deneuve-Film? Ich weiß es nicht mehr. Wenn ja – wusste ich damals schon von der langen Geschichte der Deneuve als lesbische Ikone, auf die später François Ozon in 8 Femmes (2002) verweist? Irgendwann Anfang 20 packte mich jedenfalls ein regelrechter Deneuve-Wahn, der mich dazu
film-flirt
zwang, so viele Filme wie möglich mit ihr zu sehen und jede ihrer Gesten genau zu begutachten, besonders, wenn diese andere Frauen betrafen. Dabei fühlte ich mich belohnt: nicht nur in The Hunger (1983) verführt sie eine Frau, auch in André Téchinés Les Voleurs (1996) spielt sie eine Professorin, die sich in eine Kleinkriminelle verliebt. Ganz zu schweigen von all den Filmen, in denen Deneuve eine gute Freundin, Schwester, Tochter, und Mutter einer Frau spielt. Ihre solidarische Einstellung und Engagement anderen Frauen gegenüber ist immer deutlich und gleichzeitig subtil erhaben, erwecken Ehrfurcht und Inspiration. Vor lauter Liebe zur Deneuve wanderte ich, rauchend und hungrig, am Place Saint-Sulpice in Paris wie eine verlorene Straßengöre herum, denn ich hatte gehört, Catherine Deneuve trinke des Öfteren dort ihren Café und plaudere gerne mit jungen Menschen – vielleicht auch jungen Verehrern. Mir reichte es, einfach nur die gleiche Luft wie sie zu atmen. Für mich symbolisierte Deneuve nicht nur mein eigenes Verlangen, sie symbolisierte lesbisches Verlangen überhaupt. Noch heute hängt ein eingerahmtes Photo ihres sehr jungen Antlitzes – jünger noch, als es mit seinen 23 Jahren in Belle de Jour war – über meinem Bett und beobachtet unbeteiligt mein Schlafzimmer. Aber zurück zu diesem Moment in Belle de Jour. Er hat sich mittlerweile unter die bekanntesten Standbilder des ikonischen Films gemischt, denn er vermittelt einen Schlüsselmoment in der Wandlung der Heldin Séverine zu einem autonomen sexuellen Wesen. Als sie zu Beginn des Films das Etablissement der Madame Anaïs aufsucht, erhält sie von dieser auch einen Kuss: auf die Lippen, aber keusch – Madame Anaïs’ Art, ihren Zögling zu umgarnen. Er passiert so geläufig wie die Namensgebung, mit der Madame Anaïs Séverine zur „Belle de Jour“ umtauft. Mit dem kurzen Abschiedskuss nun, den Séverine Madame Anaïs geben will, dreht „Belle de Jour“ das Spiel um und zeigt damit den Stich, den sie hinterlassen hat. Der Zuschauer, der den Moment aufschnappt, mag sich daraufhin erstaunt zeigen, den Film vor dem inneren Auge Revue passieren lassen, um noch einmal die Bewegungen und Blicke hervorzurufen, die von Madame Anaïs’ wahren Gefühlen gesprochen haben mögen. Genauer betrachtet, handelt es sich hier um einen kleinen, Pygmalion-haften Subplot: Madame Anaïs hat sich in ihr eigenes Geschöpf „Belle de Jour“ verliebt. Es ist einer jener Filmmomente – so häufig in der individuell interpretierten Geschichte des queeren Films – der innerhalb einer Sekunde ein ganz eigenes Melodram anreißt, das der Phantasie des Zuschauers überlassen wird. Und wenn wir um Madame Anaïs’ Gefühle Bescheid wissen, wie steht es dann eigentlich um Séverine? Sie mag vielleicht nicht verliebt sein, aber was ist mit Anziehung, und wie steht es um ihre Phantasien? Belle de Jour ist eben ein Film der Phantasie und des Traums. Séverines erotisch-masochistische Tagträume werden uns in kleinen Episoden vermittelt. Heute können wir uns denken – mindestens ich habe es mir gedacht – dass eine solche Episode verloren gegangen ist. Wie würde diese verlaufen, frage ich mich; wie würde der Tagtraum dieser fehlenden Szene des Films verlaufen, in der Madame Anaïs und Séverine „tatsächliche“ Liebhaberinnen wären? s
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Gute Filme. Neu auf DVD! Überall im Handel und auf www.goodmovies.de
Feriado Eher unwillig verbringt Juan Pablo seine Ferien fernab in den Anden bei seinem Onkel. So oft es geht, entflieht der Junge dem aufgeregten Chaos. Auf einem seiner Streifzüge begegnet er dem hübschen Juano und fühlt sich von ihm seltsam angezogen…
Gott verhüte! Der junge Geistliche Fabian soll auf einer kleinen dalmatinischen Insel die Nachfolge des alten, beliebten Dorfpfarrers antreten. Als ihm die geringe Geburtenrate der Insel auffällt, hat Fabian seine Aufgabe gefunden: Vermehrung der Gläubigen statt Beerdigungsalltag.
Bruce LaBruce: Pierrot Lunaire Inspiriert durch den gleichnamigen Gedichtszyklus von Albert Giraud und dessen Vertonung durch Arnold Schönberg, entwirft Bruce LaBruce eine Geschichte um eine junge Frau, die sich regelmäßig wie ein Mann kleidet und sich in ein junges Mädchen verliebt.
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Blicke aus dem Fenster in „Jaurès“ von Vincent Dieutre
HOW DO I LOOK (NOW) VON M A RC SI E GE L
Wie können queere Filme über die eigenen Befindlichkeiten hinaussehen und einen neuen Blick auf die Welt werfen, deren Teil sie sind? Filmwissenschaftler Marc Siegel hofft auf einen neuen Trend und nennt zwei Beispiele. Sein Vortrag wurde im Oktober an der Universität Hamburg im Rahmen der von Skadi List organisierten Tagung „Queer Film Culture: Queer Cinema and Film Festivals“ präsentiert.
s Ich möchte auf einen für mich wichtigen Aspekt der zeitgenössischen queeren Filmkultur hinweisen. Ob es sich hierbei um einen breiten Trend handelt, weiss ich nicht. Wir können nur hoffen. Es geht mir darum, Queerness als Ausgangspunkt zu verstehen, die Interessen des Staates herauszufordern – buchstäblich über sie hinauszublicken – und sich somit dem Homo-Nationalismus, der so viele Bereiche der etablierten LGBTQ -Kultur plagt, zu widersetzen. Meine Überschrift bezieht sich auf eine bahnbrechende Konferenz (und spätere Publikation) mit dem Titel „How Do I Look? Queer Film and Video“, die vor 25 Jahren, im Oktober 1989, im Anthology Film Archives in New York City stattfand. Soweit ich weiß, war das 26 SISSY 25
angeeignete Schimpfwort „queer“ damals zum ersten Mal in einem akademischen Kontext in Verbindung mit den Wörtern „Film“ und „Video“ benutzt worden. Ich beziehe mich auf diese wichtige Veranstaltung, weil sie den Ursprung der akademischen queeren Filmwissenschaft markiert, und weil ich finde, dass die exaltierte Frage, die der Konferenz und der Veröffentlichung vorangestellt war, auch heute noch von Bedeutung ist und meine Überlegungen hinsichtlich möglicher Trends in der queeren Filmkultur motiviert. Erlauben Sie mir ein ausführliches Zitat aus Teresa de Lauretis’ Gedanken zur Frage „How do I look?“, die dem Essay „Film and the Visible“, ihrem Beitrag zur Konferenz, entnommen ist.
ARSENAL DISTRIBUTION (2)
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„Das erste Mal hört es sich narzisstisch an … als ein intransitives Verb: Wie sehe ich aus? Für dich? Für mich? Wie komme ich rüber? Wie sieht man mich? Auf welche Art werde ich gesehen oder kann ich gesehen werden, was sind die Umstände meiner Sichtbarkeit? Beim zweiten Hören tritt die aktive, transitive Form des Verbs in den Vordergrund, Subjekt zu Objekt: Wie sehe ich dich, sie, den Film, mich selbst? Wie sehe ich, wie lauten die Modi, die Einschränkungen, die Möglichkeiten meines Sehens, meiner Sichtweise? Als nächstes nehmen wir das Verb als aktiv, aber nicht transitiv wahr: Wie sehe ich zu? Während der Film, Rolle für Rolle, durch den Projektor läuft, während die Bilder erscheinen und die Geschichte sich vor mir auf der Leinwand entfaltet? Während das Fantasie-Szenarium sichtbar wird und der Soundtrack in meinen Kopf weiterklingt? Kurz, die Frage dieser Konferenz scheint zu sein: Sehen oder nicht sehen, gesehen werden (und wie?) oder (überhaupt) nicht gesehen werden. Subjektive Sichtweise und soziale Sichtbarkeit, Dasein und passing, Repräsentation und Zuschauerschaft – die Umstände des Sichtbaren, was kann gesehen und erotisiert werden, und in welcher Szenerie?“ De Lauretis Überlegungen und die Konferenz selbst ereigneten sich vor dem Hintergrund lebhafter Debatten über die Möglichkeiten und Grenzen schwuler und lesbischer Sichtbarkeit und über positive und negative Bilder. Konfrontiert mit der Geschichte der Zensur von Homosexualität auf der Leinwand (z.B. durch den „Hays Code“ in Hollywood) und in der Öffentlichkeit generell – eine Geschichte, die aufgrund der homophoben, sexfeindlichen und rassistischen Reaktionen auf die Aids-Epidemie damals sehr akut war (siehe z.B. das „Helms Amendment“ in den USA oder den „Clause 28“ in Großbritannien) – appellierten die Veranstalter der Konferenz an die
Community-Aktivisten, die schwule und lesbische Filmkritik und die feministische Filmwissenschaft, über die Voraussetzungen zur Entstehung einer queeren Repräsentation auf der Leinwand nachzudenken, sowohl hinter der Kamera, als auch im Publikum. Folglich ging es um subjektive Sichtweise und soziale Visibilität, Repräsentation und Zuschauerschaft. Obwohl diese Themen auch heute noch relevant sind – natürlich abhängig davon, wo man lebt und arbeitet, und abhängig von dem Ort, von dem aus man auf sich selbst und die Welt blickt – interessiere ich mich weniger für die Bedingungen, die ein Sichtbarwerden von Queerness ermöglichen, als vielmehr für die Umstände, die durch Queerness sichtbar gemacht werden. Also nicht „Wie sehe ich?“, sondern „Wohin sehe ich?“ oder „Wie sehe ich (aus), wenn ich dort drüben hinsehe, wenn ich aus dem Fenster schaue?“ Ich möchte zwei Filme erwähnen, die – meiner Ansicht nach – diese wichtige Fragestellung aufgreifen. Zufällig wurden beide Arbeiten mit dem Teddy Award ausgezeichnet, und beide liefen – ob zufällig oder nicht – im Forum und im Forum Expanded und nicht im Panorama der Berlinale. Ich beziehe mich auf die persönliche Dokumentation Jaurès von Vincent Dieutre aus dem Jahr 2012 und Roy Dibs experimentelles Kurzvideo Mondial 2010 von 2014. Beide Filme erzählen die Geschichte einer Beziehung zwischen zwei Männern. Oh nein, nicht schon wieder jemand, der über schwule Paare spricht! – ja, ich weiß, aber mein Interesse, mich diesen Filmen zu widmen, ist darin begründet, dass keiner der beiden uns einen hermetischen Blick auf schwule Paarbeziehungen anbietet. Eigentlich blicken sie überhaupt nicht auf schwule Beziehungen, sondern von ihnen weg. Beide Filme ordnen die jeweilige Beziehung beinahe vollständig der Tonspur unter, den Off-Stimmen der Protagonisten und ihrer Freunde, und wählen stattdessen den beharrlichen und beinahe ausschließlichen Blick aus dem Fenster auf das Leben draußen, außerhalb der Beziehung. Es ist das Leben von staatenlosen Flüchtlingen – afghanischen Flüchtlingen in Paris (im Falle von Jaurès) und einem staatenlosen Volk (Palästinenser im Westjordanland in Mondial 2010). SISSY 25 27
ARSENAL DISTRIBUTION
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Blick auf eine Grenzanlage im Westjordanland in „Mondial 2010“ von Roy Dib
Jaurès ist ein langsamer, meditativer Langfilm, in dem der Regisseur Dieutre in einem Gespräch mit der befreundeten Schauspielerin Eva Truffaut überwiegend aus dem Off kommentiert. Die beiden werden in regelmäßigen Abständen gezeigt, wie sie im Tonstudio sitzen und die Bilder des Films auf der Leinwand betrachten. Durch die Einstellungen im Studio werden die beiden in einem erkennbaren Raum verortet, um ihren Kommentar räumlich und zeitlich von den Filmbildern trennen zu können. Für den Großteil des Films sehen wir nur die Bilder, die sie betrachten und hören ihre Stimmen aus dem Off. Es handelt sich bei dem Material um Aufnahmen, die Dieutre über einen unbestimmten Zeitraum hinweg aus dem Fenster der Wohnung seines Ex-Liebhabers drehte, die gegenüber der Metrostation Jaurès im Nordosten von Paris gelegen war. Die Geschichte der Beziehung von Dieutre und Simon ist recht interessant und verleiht den disparaten Bildern aus Simons Fenster eine gewisse Kontinuität. Die Beziehung etabliert auch recht klar die häusliche Sphäre, von der aus man auf die Welt draußen blickt. Dieutres subjektive Sicht ist daher deutlich als solche gekennzeichnet. Auch der Ton spielt eine wichtige Rolle, da wir gelegentlich den Originalton während des Drehens hören – Ausschnitte aus Gesprächen zwischen Dieutre und Simon, Haushaltsgeräusche (die Mikrowelle, das Geräusch des Geschirrspülens, die Dusche) und Simons Klavierspiel. Wie wir im Film erzählt bekommen, lernten sich die Männer in einem Darkroom kennen, hatten Sex und entwickelten eine regelmäßige und ausgesprochen sexuelle Beziehung. Dieutre bezeichnet Simon als den Liebhaber, der ihn sexuell am meisten befriedigt hat, als die Person, mit der er den meisten Sex und „eine Art von fragilem Glück“ gefunden hatte, und er fügt hinzu: „… das ich vermutlich so nie wieder erleben werde, aber das ist ist nicht so schlimm.“ Es ist also klar, dass wir es hier nicht mit einem schwulen Ehemodell zu tun haben, mit einer konventionellen Paarbeziehung, mit wahrer Liebe oder einer LTR , sondern stattdessen mit einer von vielen, mannigfaltigen Formen der Intimität, die uns aus der queeren Kultur vertraut sind. Tatsächlich erfahren wir, dass Simon einmal Katholik und (mit einer Frau) verheiratet war und drei Kinder hat. 28 SISSY 25
Er scheint auch kein offen schwules oder queeres Leben zu führen. Dieutre spürt, dass Simon zu seiner Familie zurückkehren wird und seine Beziehung mit ihm befristet ist. Und genau das trifft ein. Doch diese Tatsache verleiht dem Film keine Atmosphäre von Traurigkeit oder Verbitterung. Im Gegenteil, es fühlt sich irgendwie inspirierend an. Doch die Beziehung der beiden tritt hinter den großen Themen des Films zurück, hinter dem, was den Großteil der Bilder ausmacht, die Geschichte der sich verändernden Gegend rund um die JaurèsStation, das Leben an der Schnittstelle urbaner Gentrifizierung und an vorderster Stelle die Misere der afghanischen Flüchtlinge. Wir erfahren etwas über die täglichen Rituale der Flüchtlinge: wie sie sich waschen, beten, sich im Winter warm halten, sich auf dem gefährlichen Terrain entlang des Kanals bewegen, wie die Männer sich prostituieren, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wie sie den konstanten und grundlosen Schikanen der Polizei ausgesetzt sind. Wir sehen Filmaufnahmen von Demos der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer, wir hören Radioreportagen über Probleme der Immigration, erfahren etwas über die Sans-Papiers-Bewegung, und, bezeichnenderweise, über Frankreichs Verwicklung in die Tatsache, dass diese Leute überhaupt Flüchtlinge sind, bedingt durch die Beteiligung des Landes am Krieg in Afghanistan. Dieutre erwähnt, dass Simon für eine internationale humanitäre Hilfsorganisation arbeitet und sich besonders für die Sans Papiers einsetzt. Doch das ist nicht der Grund, warum das Thema Flüchtlinge im Film behandelt wird. Dieutre erklärt uns in seinem Kommentar, dass die Flüchtlinge ein Teil der Nachbarschaft sind, genauso wie die Yuppies und die internationalen Künstler in ihren Domizilen gegenüber. Die Flüchtlinge sind ein Teil der Welt draußen vor dem Fenster. Was mir an Dieutres Behandlung des Flüchtlingsthemas außergewöhnlich erscheint, ist, dass er nicht versucht, die Flüchtlinge in seine Welt zu integrieren oder ihre Situation mit seiner eigenen (also z.B. der Position der Schwulen in der französischen Gesellschaft) analog zu setzen. Er erkennt, dass zwischen seiner und Simons sozialer, ökonomischer und politischer Situation und der der Flüchtlinge ein radikaler Unterschied besteht. Der Film zwingt uns dazu, Queerness vor dem Hin-
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tergrund einer größeren sozialen und politischen Welt zu betrachten, also als queeren Internationalismus, der vor Ort zu praktizieren ist. Der Film tut das, indem er etwas erkennt, das vielleicht im Gegensatz zu einem anderen Trend des derzeitigen schwulen Films steht: Wenn wir nämlich „die Lichter anlassen“ (Keep the lights on) – um hier noch einen anderen Teddy-Award-Gewinner zu nennen – können wir nicht aus dem Fenster sehen. Mondial 2010 ist ein „unmögliches“ Roadmovie, in dem ein schwules Paar (die wir beide erneut nicht sehen, sondern deren Stimmen wir nur aus dem Off hören) aus Beirut abreist, um Freunde in Ramallah zu besuchen. „Unmöglich“ ist diese Reise nicht aufgrund der angeblichen Homophobie seitens der Palästinenser, die im Gegensatz zum vermeintlichen Homoparadies Israel steht, sondern weil es Libanesen gesetzlich verboten ist, nach Israel zu reisen, und weil das Westjor danland unter Israels Kontrolle steht. Fast der gesamte Film wurde aus Auto- oder Hotelfenstern gedreht, und obwohl das Paar in Mondial auch seine Probleme hat, scheinen die Schwierigkeiten schwuler Partnerschaft – und hier liegt der kleine Unterschied zu Jaurès – abhängig davon zu sein, was sich draußen vor dem Fenster abspielt. Nachdem er mehrmals darauf hingewiesen hat, in welchem Ausmaß die illegalen israelischen Siedlungen die Palästinenser einschließen, sagt Ibrahim zu Youssef, dass er sofort nach Beirut zurückkehren möchte. Er scheint darüber betrübt zu sein, denn er fragt: „Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass Ramallah verschwindet?“ Ich schlage vor, dass wir die beiden aktuellen Filme als Teil einer wachsenden Tendenz verstehen, die die queere Kultur unter Druck setzt, aus dem eigenen Fenster zu schauen, und damit z. B. ihre Verwicklung in Israels Okkupation von Palästina wahrzunehmen. Damit meine ich, wie ich u.a. die Debatten zum Pinkwashing verstehe, den Druck auf queere Filmfestivals, sich der Boycott Divestment und Sanctions-Bewegung anzuschliessen und andere wichtige Beiträge zur Bekämpfung der Instrumentalisierung der Geschlechter- und Sexual Politik für staats-ideologische Zwecke. s ----Übersetzt von Annika Vieweg (Babelfisch), überarbeitet vom Autor, der sich bei Nanna Heidenreich für eine laufende anregende Diskussion zum Thema des Textes bedankt.
JAURÈS
von Vincent Dieutre FR 2012, 83 Minuten, französische OF mit deutschen UT MONDIAL 2010
von Roy Dib LB 2013, 19 Minuten, arabische OF Beide im Verleih von Arsenal Distribution, 3 www.arsenal-berlin.de/distribution
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wir verreisen
QUEERE DINGE VON A N DR É W EN DL E R
Jeder Berlinale-Rückblick ist – bei der Menge an Filmen und den Leerstellen kuratorischer Einweisungen – nur als freie und willkürliche Bewegung durch das Programm denkbar. Auch für unseren jährlichen Überblick über das queere Berlinale-Programm trifft das zu.
„Nasty Baby“ von Sebastián Silva
s Manchmal ist es schön, ins Kino zu gehen und sich überraschen zu lassen. Ich wollte es auf der Berlinale dieses Jahr anders machen. Was passiert, wenn ich mit einer konkreten Frage, eine Hypothese, einem Problem ins Kino gehe und hoffe, dort Antworten auf diese Frage zu finden? Meine Frage: Gibt es so etwas wie queere Dinge oder Objekte? Gibt es Dinge, die in queeren Beziehungen und für queere Identitäten eine herausgehobene Rolle, eine andere Rolle als für heterosexuelles Miteinander spielen? Ich hatte zunächst erwartet, dass sich in Filmen, die sich um queere Identitäten und Individuen drehen, ganz andere Dinge fänden als in heterosexuellen Familienfilmen; dass hier Objekte erfunden würden, von denen die normalen Leute nichts wissen. Dem war nicht so. Stattdessen tauchen die üblichen Dinge auf. Sie unterscheiden sich jedoch durch ihren Gebrauch, durch das Umfeld, in dem sie verwendet werden, ihre Verfügbarkeit und Zugänglichkeit. Das fiel mir zuerst auf beim
Kind Der Gewinnerfilm des Teddy Awards, Nasty Baby (Panorama), zeigt eindrücklich, wieso man Kinder in eine Liste von Dingen und Objekten aufnehmen kann und sogar muss. Während sie sich in Beziehungen von Männern und Frauen einfach so einstellen oder schlicht da sind, stellen sie für queere Beziehungen ein Problem dar. Mit der Frage, ob man sie überhaupt will, wo sie herzubekommen sind und wie man das Leben mit ihnen einrichten will, kann man sich genau so eingehend befassen, wie mit der schwierigen Entscheidung für einen Hauskauf, dem richtigen Auto oder der passenden Einrichtung für das Esszimmer. Während in einem Film wie Petting Zoo (Panorama) die Schwangerschaft plötzlich, ungewollt und unerwartet da ist und genauso schnell auch wieder verschwindet, ist an der dann endlich sich einstellenden Schwangerschaft in Nasty Baby nichts, aber auch gar nichts natürlich oder selbstverständlich. Spermien müssen labormäßig untersucht werden, allerlei medizinisches Gerät wie Spritzen, Becher und Handschuhe wird benötigt, der Moment einer möglichen Empfängnis wird aufs genaueste kalkuliert, die Entscheidung, welcher der beiden Partner der Vater werden soll, muss erst getroffen werden, das ganze Freundschaftsverhältnis zwischen den drei Hauptfiguren steht zur Disposition. In einem Straßencafé leiht man sich ein Kind kurz aus, um zu sehen, ob einem Kinder überhaupt stehen. Das grassierende Kindes-Bewusstsein spitzt sich darin zu, dass alle Beteiligten in eine Kunstaktion einbezogen werden, in der sie sich selbst als Babys spielen müssen. Wo heterosexuelle Paare damit befasst sind, kein Kind zu bekommen, entwickeln queere Paare umfassende Techniken, um das Unmögliche eben doch möglich zu machen. Zweierlei ist damit gesagt: Wenn Kinder einen Platz in queeren Beziehungen haben sollen, dann ist 30 SISSY 25
dieser Platz nicht gegeben, sondern muss konstruiert werden. Es gibt keine vorgefertigten Antworten zu Überlegungen nach wann, wie, ob und warum. Das heißt aber andererseits, dass die Entscheidung mit dem gleichen Recht gegen sie ausfallen kann; ob Nachwuchs einen Platz in queeren Beziehungen haben muss, ist immer wieder neu zu diskutieren. Es gibt kein „einfach so“, sondern die Beteiligten müssen sich ein umgreifendes Bewusstsein dafür zulegen, dass sie selbst die Zutaten zu ihrem Beziehungsleben bestimmen, einrichten und anordnen. Das allein ist der Grund, warum gerade diese Frage immer wieder so prominent diskutiert wird und so leicht gesetzlich reguliert werden kann. Die biologische Sanktionierung von Beziehungen mit Kindern ist voraussetzungsreich und wir sollten uns gut überlegen, ob wir mit der Forderung nach ihr uns nicht in einen Bereich von Normalität einkaufen, der seine unangenehmen Schattenseiten erst zeigt, wenn es zu spät geworden ist. Diese nasty Seite des Unternehmens trifft die Figuren von Nasty Baby dann auch in Form einer Verfügung über das biologische Leben, an die sie vielleicht nicht gedacht hätten. Ob man diesen Film mit dem Teddy Award unbedingt zum Aushängeschild der queeren Berlinale-Filme machen musste, sei dahin gestellt, aber vielleicht ist er eine notwendige Komplikation für ein Thema, für das es keine einfachen Lösungen und naiven politischen Forderungen geben darf.
Make-up Auch Make-up ist eines der Dinge, deren queere Verwendungsweisen sich nur in Differenz zum „Normalgebrauch“ verstehen lassen. Wann immer wir eine Person, egal welchen Geschlechts, auf der Leinwand sehen, trägt sie als Schauspieler oder Schauspielerin Make-up. Das ist eine Notwendigkeit, um unter den Bedingungen der Spielfilmproduktion überhaupt bildfähig zu sein. Auch dann, wenn weibliche Filmfiguren extra ungeschminkt aussehen sollen, z. B. morgens nach dem Aufstehen oder nach monatelanger Isolation auf einer einsamen Insel, tragen die entsprechenden Schauspielerinnen ein „unsichtbares“ Make-up, damit sich das Licht des Filmsets nicht in ihren Gesichtern spiegelt, damit die Gesichter eine ausreichende Plastizität auf dem Filmbild haben. Es gibt im Film keine ungeschminkte Realität, sondern nur eine Zurechtmachung, die sich ungeschminkt gibt. Der Film hat eine Tendenz, diese seine eigenen Körpertechniken nicht zu zeigen. Wir sehen zwar immerfort schöne, geschminkte Menschen oder auch Leute, die durch Make-up jünger oder älter gemacht wurden, aber nur selten sehen wir das Schminken. Ihre filmische Erscheinung ist mehr oder weniger gegeben. Und die Stars begegnen uns auch jenseits ihrer Filme genau so: Auf dem roten Teppich treten sie zwar nicht als Filmfigur, sondern als Schauspieler_in auf, aber auch hier sitzen die Stylist_innen scharenweise backstage. So werden filmische Mythen geboren, die tief in unsere Realität hineinreichen. Die ersten
wir verreisen
der aus Rossellinis Film projiziert. Sie werden zu einer Art Ganzkörper-Make-up, das die Transformationskraft filmischer Bilder explizit macht. Eng im Zusammenhang damit stehen als queere Objekte
INT. FILMFESTSPIELE BERLIN (2)
Spiegel
„Danieluv Svet“ von Veronika Lišková
Make-up-Produkte für den Film wurden von Max Factor entwickelt und bald konnte man sie auch für private, nicht-filmische Zwecke erwerben. Im 19. Jahrhundert waren nur Prostituierte geschminkt, seitdem es das Kino gibt, ist es jede Frau. Wer die wechselnden Schönheitsideale des 20. Jahrhunderts beschreiben will, schreibt eigentlich eine Geschichte des Make-ups. In den meisten Filmen sehen wir zwar in jedem Gesicht Make-up, wir nehmen es aber nicht als solches wahr. Wir sehen nur ein Gesicht, ausdrucksstarke Augen, glatte Haut, rote Lippen – aber keine Foundation, Eyeliner, Mascara oder Lippenstift. Es ist wichtig, sich das vor Augen zu rufen, um zu verstehen, wie entscheidend es ist, dass wir in queeren Filmen immer wieder Menschen beim Schminken sehen. Was sonst stillschweigende und unsichtbare Grundlage filmischer Körperbilder ist, wird in queeren Filmen sehr häufig explizit. In Misfits (Panorama), einem einfühlsamen Dokumentarfilm über queere Jugendliche im amerikanischen Bible Belt, machen sich die Protagonist_innen irgendwann für eine Party zurecht und man sieht sie sich in langen Einstellungen schminken. Eine der Figuren trägt ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Perücke in der Schule und wiederholt wird im Film darüber gesprochen. Bizarre (Panorama) zeigt uns eine Bar in Brooklyn, in der allabendlich verrückte Sex-Shows aufgeführt werden, deren Protagonist_innen zentimeterdick Makeup im Gesicht tragen, das teilweise absichtlich verschmiert oder entfernt wird usw. I am Michael (Panorama) lässt uns fassungslos auf James Francos blond gefärbte Haare starren, in Beira-mar (Forum) kann sich einer der Charaktere nur an eine zügellose Nacht erinnern, weil man ihm bei einem Trinkspiel die Haare blau gefärbt hat. Je suis Annemarie Schwarzenbach (Panorama), die faszinierende Dokumentation einer halbfiktionalen Dokumentation ist nichts anderes als das Vorführen von Verkleidungstechniken, in der geschminkte und ungeschminkte Gesichter explizit sagen, dass sie stolz sind auf den Verfremdungseffekt, den sie an sich und der das alles inspirierenden Annemarie Schwarzenbach produzieren. In kaum einem queeren Film gehen die Figuren auf eine Party, ohne sich vorher ausdrücklich zu schminken und zu verkleiden. Queere Körper, sagt das alles, sind eben nicht gegeben, sondern gemacht. Sie können nicht so leicht in einen Bereich sorglos-normaler Unsichtbarkeit zurückfallen, in dem ihre Körperstandards zwar genauso fabriziert, aber unproblematisch sind, sondern müssen und können sich die Bilder, in denen zu sehen ist, wer und was sie sein wollen, immer wieder herstellen. Am eindrücklichsten zeigte sich das auf der Berlinale vielleicht in Viaggio nella doppo-storia (Forum) von Vincent Dieutre, bei dem dieser mit seinem Lebensgefährten eine Hommage an Rossellinis Viaggo in Italia aufführt und selbst als die Figur auftritt, die im Original von Ingrid Bergman gespielt wird. Am Ende stehen die beiden Männer nackt vor einer Leinwand und auf diese und ihre Körper werden die Bil-
Auf sie schreibt eine Protagonistin in Misfits Liebesbotschaften an ihre Freundin, die so kostbar sind, weil sie in der feindlichen Umgebung nur an den privaten Orten möglich sind, an denen die Badezimmer- oder Schlafzimmerspiegel sich befinden. In ihnen werden überall die Ergebnisse der kosmetischen Praktiken überprüft. In manchen Filmen werden sie übermächtig. In Beira-mar, einer zauberhaften Reise zweier brasilianischer Jungen zum Meer und zu einander, werden alle möglichen Oberflächen zu halbdurchsichtigen Spiegeln: Autoscheiben, Fenster, das Meer selbst. Die Welt wird zweideutig. Wir sehen immer zur Hälfte, was sich hinter der Scheibe abspielt und was davor geschieht. Wie unterschiedliche Realitätsebenen führen die Spiegelscheiben Differenzen in eine Welt ein, die niemals nur eine ist, sondern in der es verschiedene Gebiete gibt: solche, in denen wir sicher sind und solche, in denen wir uns verteidigen müssen; solche, in denen wir fremdbestimmt werden und solche, in denen wir selbst entscheiden können, wer oder was wir sein wollen. Der Protagonist in Danieluv Svet (Panorama), ein fünfundzwanzigjähriger Pädophiler, blickt immer wieder in den ranzigen Spiegel seines trostlosen Badezimmers, kämmt sich vor halbspiegelnden Fensterscheiben seine langen Haare und lässt sich diese schließlich vor dem Spiegel eines Friseurs schneiden. In diesem großartigen Porträt ist vieles nicht sagbar, nicht verhandelbar. Der Spiegel ist undurchdringlich geworden, und nur seine oberste Schicht ist sichtbar und wirft unseren eigenen Blick zurück. Man hat den Eindruck, dass vieles von dem Unaussprechlichen, das unter der Oberfläche dieses Films brodelt, in seinen subtilen Metaphern verhandelt wird, die ein wenig das zu spiegeln versuchen, was nicht gesehen werden kann und darf. Der Film beginnt damit, dass Daniel als Literaturstudent ein Märchen geschrieben hat, das vom tschechischen Radio produziert wird. Es geht um eine Meerjungfrau, und wenig später liegt Daniel in seiner Badewanne. Wie eine Meerjungfrau? Ich denke an Rapunzel, wenn er sich die langen schwarzen Haare bürstet. Besucht er seine Mutter mit ihren langen weißblonden Haaren, schießt mir ein Bild aus Schneeweißchen und Rosenrot durch den Kopf. Irgendwann schminkt er sich für eine Nikolausdarbietung das Gesicht rußschwarz und sieht mit Bart und Haaren aus wie der sprichwörtliche böse Märchenwolf. Der Film selbst wird zu einem Spiegel, der uns klarmacht, dass manche Dinge nur indirekt sichtbar sind, so wie wir für unser eigenes Bild Spiegel und Kameras benötigen.
Es könnte hier noch von anderen Dingen die Rede sein: von den Masken aus Der letzte Sommer der Reichen, von den schicksalsschweren Losen in How to Win at Checkers (Every Time), von den Ameisen und Maden in Zui Sheng Meng Si (alle im Panorama) und so weiter. Es würde aber wohl dabei bleiben: Queere Dinge, queere Identitäten, queere Figuren gehen aus Prozessen der Aneignung, der Reflexion, der Übertreibung hervor. Das gilt für heterosexuelle auch, aber bei diesen kann man es leicht übersehen, während queere Dinge diese identitätsfabrizierenden Prozesse immer wieder mitten ins Bild rücken. s NASTY BABY von Sebastián Silva · PETTING ZOO von Micah Magee · MISFITS von Jannik Splidsboel · BIZARRE von Étienne Faure · I AM MICHAEL von Justin Kelly · BEIRA-MAR von Filipe Matzembacher und Marcio Reolon · JE SUIS ANNEMARIE SCHWARZENBACH von Véronique Aubouy · VIAGGIO NELLA DOPO-STORIA von Vincent Dieutre · DANIELUV SVET von Veronika Lišková · DER LETZTE SOMMER DER REICHEN von Peter Kern · HOW TO WIN AT CHECKERS (EVERY TIME) von Josh Kim · ZUI SHENG MENG SI von Chang Tso-Chi
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ETWAS WIRD SICHTBAR VON M ICH A E L GI R K E
Zwei Filme erinnern an Pier Paolo Pasolini. Julian Coles „Ostia“ verlegt als Kurzspielfilm Pasolinis letzte Stunden ins trübe England, Cathy Lee Cranes Essayfilm „Pasolinis letzte Worte“ baut ein assoziatives Geflecht um letzte Äußerungen und betont die Aktualität der Pasolini-Präsenz.
PASOLINIS LETZTE WORTE
von Cathy Lee Crane US 2012, 61 Minuten, deutsche Synchronfassung, englisch OF mit deutschen UT Bonusfilm: OSTIA von Julian Cole (UK 1988, 26 Minuten) AUF DVD bei der Edition Salzgeber,
3 www.salzgeber.de
EDITION SALZGEBER
s Ausschnitte aus einem Nachrichtenbeitrag, gedreht am 3. November 1975 in Ostia bei Rom, wo man den Leichnam Pier Paolo Pasolinis gefunden hatte. Zu sehen sind sie in Cathy Lee Cranes glänzendem Essayfilm Pasolinis letzte Worte. Er enthält überdies auch eine Spielszene, in der man sieht, wie mehrere Männer Pasolini erschlagen. Der amtlichen Version zufolge war es hingegen ein Einzeltäter: der damals 17-jährige Stricher Giuseppe Pelosi. Er kurvte an besagtem 3. November mit Pasolinis Alfa Romeo durch Rom, wurde geschnappt und gestand den Mord. Die Polizei fand zwar Indizien, die darauf hindeuteten, dass mehrere Täter beteiligt waren, konnte es jedoch nicht beweisen. Der Mord wurzelt in der Schwulenszene. Das ist Julian Coles Meinung. In dessen Film Ostia stellt Derek Jarman Pasolini dar, genauer: den Typus des alternden, wohlhabenden Freiers, der auf sehr junge Männerkörper fixiert ist und sie sich auf dem Straßenstrich zu kaufen pflegt. Ähnlich sah es einst auch Hubert Fichte. „Jeder 53jährige“, notierte er anlässlich von Pasolinis Tod, „der mit den Statussymbolen des Homosexuellen, Fama, Parfum, ausgewählt teurer oder flusiger Kleidung, Sportwagen, nach Mitternacht mit einem oder mehreren Prostituierten nach Ostia fährt, riskiert einen Überfall und den Tod. Es dennoch zu tun, drückt ein Durchbrennen der Verhaltenssicherungen aus oder das bewusste oder unbewusste Spielen mit der Gewalttat.“ Giuseppe Zigaina, ein mit Pasolini eng befreundet Maler, legt das Augenmerk auf etwas anderes. Pasolini, schreibt er, hat seinen Tod an etlichen verborgenen Stellen seiner Texte angekündigt. Er habe ihn selbst konzipiert, er sei ein Werk des Autors Pasolini, quasi eine Aufführung mit bestimmten Intentionen. Wiederum anders die Einschätzung Alberto Moravias, Schriftsteller und Weggefährte des Filmemachers. Er meint, Pasolini, dieser Intellektuelle, der seine Homosexualität, seinen Marxismus und radikalen Einspruch gegen die italienische Politik und Konsumkultur in die Öffentlichkeit trug, 32 SISSY 25
hätte jene, die das Land beherrschen, bis aufs Blut gereizt. Er störte, man wollte ihn los sein. Pelosi (oder wer auch immer) sei nur der ausführende Arm gewesen. POLITIK AM EIGENEN LEIB
Sicher ist nur, dass nicht allein das Œuvre des Dichters und Filmemachers, sondern auch der Fall Pasolini bleibt. Cathy Lee Crane will Licht in dessen Dunkel bringen. Auf eine Weise, wie nur die Kinematographie es vermag, nämlich indem sie sichtbar macht, wie die Sphären sich berühren, Filmisches und Wirkliches ineinander verwoben sind. „In meinen Filmen“, hören wir Pasolini bei Crane sagen, „hat Sex eine spezielle Bedeutung. Er ist eine Metapher dafür, was Macht aus unserem Körper macht. Seiner Kommerzialisierung, seiner Verdinglichung.“ Es folgen einige Szenen aus Accattone, Pasolinis Debutfilm von 1961. Er handelt vom Subproletariat der römischen Vorstädte, auf das Pasolini damals große politische Hoffnungen setze, weil es, wie er meinte, nicht durch Machenschaften mit Italiens Mächtigen und Korrupten kompromittiert sei. Indes macht Cathy Lee Crane darauf aufmerksam, dass Pasolini mit der Kamera gleichsam begehrte, ihn auch die ungeschliffene Körperlichkeit solch jugendlicher Vorstädter wie seines Accattone bannte. Spätestens Ende der 1960er Jahre war es vorbei mit allen Hoffnungen. Wir sehen Interviewpassagen aus dieser Zeit, in denen Pasolini anmerkt, einen Film wie Accattone heutzutage nicht mehr machen zu können. Die Konsumwelt hätte alle einst so verschiedenen Körpersprachen inzwischen vollkommen gleich gemacht; das Subproletariat ist von den anderen nicht mehr zu unterscheiden. Die Italiener seien in nur wenigen Jahren dieser Entwicklung zu einem heruntergekommenen, lachhaften, monströsen, kriminellen Volk geworden. Der Regisseur wechselte die Seite. Er trat vor die Kamera. Cathy Lee Crane zeigt Fotografien, die im Todesjahr 1975 entstanden. Aktkunst. Motiv: der nackt posierende Pasolini. Schön gewachsen war
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er, nur gleichen die Bilder abgeschmacktesten Erotikstereotypen. Als wären sie Produkte jener Verdinglichung der Körper durch die Konsumkultur, die Pasolini so scharf verurteilt hat. Ebenso Widersprüchliches klingt auch zu Beginn von Cranes Essayfilm an. Da folgt die Kamera einem attraktiven jungen Mann durch hohes Gras. Aus dem Off sind einige Zeilen Pasolinis zu hören: „… ich konnte mich nicht enthalten, auf seinen Nacken, auf seine Schultern jenen Blick zu heften, der schließlich demütigen wird; für den, der beobachtet und den, der beobachtet wird.“ Pasolini, so scheint es, ist nicht entgangen, dass seine eigene Einstellung absolut problematische Züge aufwies, und er hat dies offenkundig auch in Poesie übersetzt zum Ausdruck gebracht. ZWEI, DREI, VIELE SODOMS Sehe mir neugierig geworden Salò oder die 120 Tage von Sodom, Pasolinis letzten Film, an. Ihm liegt ein Roman des Marquis De Sade zugrunde. Den Stoff aus dem 18. Jahrhundert hat Pasolini in jenes faschistische Staatsgebilde verpflanzt, das Benito Mussolini seit 1943 von dem norditalienischen Städtchen Salò aus regierte. Kulminationspunkt des Films: eine langgedehnte Sequenz, in der vier Angehörige der gesellschaftlichen Führungsschicht ihre jungen Gefangenen mit dem größten Vergnügen bestialisch verstümmeln und dann umbringen. Die Gräuel beobachtet stets einer der vier durch ein Opernglas (die Opernglasperspektive nimmt auch die Kamera häufiger ein, wodurch unser Zuschauen ins Filmgeschehen einbezogen wird). Zur faschistischen Gewalt, macht Pasolini deutlich, gehört, dass sie inszeniert und zelebriert wird. Dass der Faschist Grenzen überschreitet, quält und tötet oder Folterungen und Tötungen zuschaut, weil es ihn aufgeilt, belebt. Ein Dummer, wer an ein Lange-Her glaubt. Folgt man Pasolinis Symbolik, ergibt sich, dass er meint, solcherlei Gewaltdispositionen seien auch in der gegenwärtigen – italienischen – Kultur noch virulent. Ob man diesen Ansichten beipflichten sollte oder nicht, ist für Cathy Lee Crane nicht der entscheidende Punkt. Ihr Film sieht Pasolini beim Sehen zu, er zeigt: Der Regisseur hat in seinen Werken immer ein Stück weit seine eigene (Körper-)Geschichte bearbeitet. Hieße im konkreten Falle von Salò: Neben vielem anderen dürfte der Film auch davon handeln, dass Pasolini selbst schon (genau wie jene hohen Herren) junge Männer zu einem bloßen Stück Materie herabgewürdigt und dabei die größte Lust empfunden hätte. Den Schlussteil von Cranes Essayfilm bildet eine Art Blättern in „Petrolio“, Pasolinis letztem, unvollendet gebliebenen Roman. Einige Passagen hat die Amerikanerin verfilmt. Hauptfigur ist Carlo, ein Mann mit Doppelleben. Tagsüber Industriemanager, glatt und erfolgreich, vögelt er des Nachts wahllos, zwanghaft, stereotyp in der Gegend herum (mit unzähligen anderen Männern, überdies inzestuös). Auch Carlo will über Andere verfügen, kann sie nicht als gleichwertiges Gegenüber anerkennen. Am Ende stürzt er sich vom Dach. Schnitt. Bilder von Pasolinis zerschundenem Leichnam. Der Regisseur als doppelgesichtiger Carlo also. Der Tod als Ausweg aus der Verzweiflung an sich selber. Film in Möglichkeitsform. Ob was dran ist? Julian Cole versucht mit Ostia ebenfalls Pasolinis Sexus beizukommen. Er geht expliziter zu Werke, bloß ist seine Perspektive enger gefasst als Cathy Lee Cranes. Pasolini, so muss man Crane wohl verstehen, ist aktuell. Seine Analysen heutiger Macht- und Sexualstrukturen sowie des gnadenlosen Kalküls der Konsumkultur erweitern unseren Blick. Aber eines ist Crane noch wichtiger. Nämlich, dass Pasolini tat, was öffentlich in Erscheinung tretende Künstler, Intellektuelle, Politiker ansonsten wie die Pest meiden. Er legte mit unerschrockener Klarsicht seine eigenen Dämonien frei, ging, gerade da, wo es an der Oberfläche kratzt und schmerzt, mit sich selbst kritisch ins Gericht. Und er machte dies in der Tat öffentlich und damit produktiv. Nur ein Aspekt von Pasolinis Kunst, aber keine Frage: Eine solche Haltung fehlt. s SISSY 25 33
Ab 12. März im Kino
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EIN KRISTALLNES SEUFZEN VON JA N K Ü N EM U N D
Bruce LaBruce visualisiert Schönberg. Natürlich mit Erektion und Sperma. Beschmutzung der Hochkultur, mag mancher denken. „Schwuler Altherrenwitz“, fand die „Siegessäule“. Alle anderen sind wahrscheinlich erst mal Stunden damit beschäftigt, die ganzen Kontexte dieses Zusammentreffens aufzudröseln. Wer da auf Wikipedia gerät, kommt erst mal nicht davon runter.
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PIERROT LUNAIRE
von Bruce LaBruce DE/CA 2014, 51 Minuten, deutsche OF mit deutschen und englischen UT AUF DVD bei GMfilms,
GM-FILMS
3 www.gmfilms.de
s Es passt eben doch alles. Die Commediadell’arte-Figur des Pierrot, eine düstere, latent gewalttätige Figur, mondsüchtig, liebestrunken, verirrte sich in den Gedichten von Albert Giraud ins Grand Guignol, jener frühen Theatermaterialisierung von Splatter und Gore, die Ende des 19. Jahrhunderts in Paris in Mode war. Wiki: „Als die berühmteste Darstellerin des Grand Guignol galt Paula Maxa. In ihrer Karriere von 1917 bis in die 1930er Jahre verkörperte sie meist Opferrollen – neben über 3.000 Vergewaltigungen wurde sie öfter als 10.000 mal auf 60 verschiedene Arten ermordet.“ In Girauds Gedichten taumelt und randaliert sich Pierrot durch eine bildgewaltige Szenerie, setzt Schädelbohrer an, lässt schwarze Riesenfalter auf Menschenherzen herab fliegen, sich von einer alten Prostituierten umarmen. An seinem Kostüm klebt ein Mondfleck, Zeichen seines Andersseins. Schönberg sitzt in den frühen zehner Jahren des 20. Jahrhunderts in Berlin und braucht Geld. Etwas gequält nimmt der den Auftrag der solventen Diseuse Albertine Zehme an, aus den Pierrot-Gedichten ein Musikprogramm zu entwerfen. Und wenn der Pierrot schon von einer Frau dargestellt werden soll, kann man ja ruhig noch ein paar Kontraste mehr einziehen: ein Sprechgesang, dessen Rhythmus und Tonhöhe festgelegt wird, der aber nicht gesungen werden darf; ein Instrumentarium aus möglichst auseinanderfliegenden Instrumentenstimmen. So also wisperte, raunte, krächzte Frau Zehme 1912 zum Hohnlachen der Musikkritiker und zur Freude des restlichen Publikums ihren liebessüchtigen Pierrot durch die Berliner Nacht. So richtig viel Ahnung von Theater hatte Bruce LaBruce 2011 nicht. Seine Albertine Zehme heißt Susanne Sachsse, ein wunderbarer Berliner Underground-Star, der schon als seine Gudrun in Raspberry Reich zur schwulen Revolution aufrief. Sachsse und der befreundete Dirigent Premil Petrovic bitten LaBruce, ihr den Pierrot für das Hebbel-am-Ufer einzurichten, zur Unlust der „Siegessäule“ und des RBB Kulturradios, aber zur Freude des restlichen Publikums. Bruce LaBruce nimmt die Genderdivergenz von Figur und Stimme ernst und macht aus Pierrot eine Dandy Butch, deren schwanzlose Männlichkeit gegenüber seiner Geliebten und ihres Vaters zum Problem wird. Da gab es in Toronto mal einen Vorfall, lange vor Trans*-Bewusstsein und -Sichtbarkeit, der in liebestrunkenem Wahn und schließlich in einer Kastration endete: Wo kein Schwanz war, musste ein fremder her und angeklebt werden. Commedia-dell’arte, Grand Guignol, Symbolismus, Berliner Kabarett, Expressionismus, eine wahre Geschichte und Queer-Theater. Dass das bei Bruce
LaBruce am Ende alles in einen Film mündet, ist klar. Dieser Film nun, auf der 2014er Berlinale mit einem Teddy ausgezeichnet und Beruhigungspille für all jene, die LaBruce nach Gerontophilia an den Mainstream verloren glaubten, behält typischerweise die Splatteridee bei, baut aber aus WikipediaExzessen ziemlich aufregende, wenn auch meist schwarzweiße Bilder. Sachsse, die für die Bühnenversion natürlich tatsächlich den hochkomplizierten Schönbergschen Sprechgesang eingeübt hatte (auch Ingrid Caven ist damit seit einiger Zeit – ziemlich irre – unterwegs), bleibt im Film stumm, zumindest im On. Wie schon in Otto; or: Up with Dead People arbeitet ihr Regisseur ein expressionistisches Schauen bei ihr heraus, tief unglücklich über ihre Gender-Zerrissenheit, herausfordernd lüstern gegenüber ihrer Geliebten Colombine, aggressiv gegenüber all jenen natürlichen Schwanzträgern dieser Welt (das verkörpern ein paar ziemlich attraktive Pole Dancers, die sich mit der nicht mehr existierenden Stange des „Ficken 3000“ beschäftigen). Für die Dramatik sorgen Zwischentitel, die grundsätzlich mit Ausrufezeichen arbeiten. Die Geschichte bleibt dramaturgisch einfach: Pierrot will zum richtigen Mann werden, damit der böse Vater seiner Geliebten ihn wieder an sie ranlässt. Das baut sich visuell und akustisch aber komplex zusammen: Pierrot irrt durch Berlin und landet im Darkroom, während die Bühnenshow im HAU das Geschehen wie Traumsequenzen überlagert, Zwischentitel gegen Pierrots absurde Schwanzsehnsucht anpöbeln (selbst Marlene war mehr Mann als du, Ausrufezeichen) und auf der Tonspur der höllisch dichte Giraud-Text in Schönbergscher Kontrastschärfe so tut, als müsse man ihm genau zuhören. Aus einem bisschen Bühnennebel fliegen Falter und Totenköpfe, die Mondflecken sind natürlich Discokugelreflexe, bei „Eine blasse Wäscherin“ sieht man Pierrot beim Bügeln, bei „Die dürre Dirne“ im Gym auf dem Laufband. Wer diese Scherze flach findet, hat Schönberg nicht verstanden. Dass der groteske Irrgang des Pierrot in mörderische Kastrationslust mündet, dass die „roten Rubine“ natürlich wieder LaBrucesche Zombieaugen sind, die die Berliner Subkultur nach gesunden Körpern absuchen, dass hinter dem Glory Hole ein Klappmesser lauert und sich der Macho-Transmann Steroide spritzt, dafür hat Bruce LaBruce eine einfache Erklärung: Was lange unterdrückt wird, bricht sich schließlich als Monstrosität Bahn. Und so schreibt sich dieser Pierrot Lunaire in ein Berliner Nachtleben ein, das immer noch Mondflecken genug hat, die sich nicht abwaschen lassen. s SISSY 25 35
tellerr and LOOKING (STAFFEL 1)
US 2014, 213 Minuten, deutsche Synchronfassung, englische OF mit deutschen UT AUF DVD ab 26. März bei Warner Home Video, 3 www.warnerbros.de
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FREUNDE: EINE LIEBESGESCHICHTE VON PAU L SCH U L Z
HBOs „Looking“ gibt zwar vor, eine Serie darüber zu sein,
wie Männer in San Francisco nach der Liebe suchen, ist aber in Wirklichkeit eine große, schwule Erzählung über Freundschaft – und das große Vorbild ist deshalb auch weniger „Queer as Folk“ als vielmehr „Golden Girls“. „Golden Boys“ wurde lange als Serientitel gehandelt. Unser Autor hat sich die erste Staffel angesehen.
WARNER HOME VIDEO
Thank you for being a friend Traveled down the road and back again your heart is true you’re a pal and a confidant And if you threw a party Invited everyone you knew You would see, the biggest gift would be from me and the card attached would say, Thank you for being a friend
s Es ist schwierig zu erklären, warum man Patrick gleich mag, denn eigentlich ist er ein ziemlicher Idiot. Kindisch, selbstverliebt, randvoll mit katholischen Schuldgefühlen, weißen Privilegien und einer satten Portion Angst. Aber eben auch: charmant, ganz witzig und, wie Jonathan Groff ihn spielt, unglaublich niedlich. Ein Welpe, mit großen Kulleraugen und weichem Fell, von dem man vorher weiß, dass er einem zu Hause auf den Teppich pinkelt, den man aber trotzdem unbedingt mitnehmen muss. Als Hauptfigur in der von Andrew Haigh (Weekend) und Michael Lannan entwickelten Fernsehserie legt Pat gleich in Folge eins ordentlich los: Er versemmelt ein Date, sein bester Freund Augustín (Frankie J. Alvarez) zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und mit seinem Freund zusammen, bevor das passiert, gehen die beiden noch schnell mit ihrem Freund Dom (Murray Bartlett) ironisch cruisen, und als Patrick von einem schönen Fremden, der sich als Richie (Raúl Castillo) vorstellt, in der Straßenbahn angegraben wird, lügt er den an und erzählt ihm, er sei Arzt. Dabei ist er doch Spieledesigner. Ein selbstgebastelter Fallstrickparkour feinster Güte. Und, soviel sei verraten, das geht den Rest der acht Folgen der ersten Staffel auch so weiter. Looking tut zwar so, als würden Haigh und die anderen AutorInnen hier Geschichten über die Liebe und die Suche nach ihr erzählen, ist aber viel mehr an den Wirkmechanismen von Freundschaft und Sex interessiert. Wie das im real existierenden schwulen Leben eben auch ist: Die große, monogame Liebe „für immer“ gibt es unter Schwulen nur in den seltensten Fällen. Und obwohl alle ständig den Mühlstein „bürgerliche Romantik“ ihren ganz privaten Berg hochschieben, geht es eigentlich darum, sich Freunde anzuschaffen, die ein Leben lang halten, guten Sex zu haben SISSY 25 37
WARNER HOME VIDEO (3)
tellerr and
„Looking“ 38 SISSY 25
und das alles nicht zu sehr zu verkomplizieren, weil man sich auch gern mal aufführt. Looking läuft in den USA auf HBO auf dem Sendeplatz hinter Girls, weswegen viele bei der Ankündigung der Serie vor etwas mehr als zwei Jahren dachten, der Pay-TVKanal hätte sich ein schwules Pendant zu Lena Dunhams Frauen sind auch SchweineComedy über vier weibliche Hipster in Brooklyn bestellt. Was falscher nicht sein könnte. Klar, Looking spielt mit den Insignien moderner Popkultur, drei von vier Hauptfiguren haben Bärte und Augustín trägt öfter mal Schlabber in Pastelltönen. Aber sonst sind hier alle etwas zu sehr damit beschäftigt, arbeiten zu gehen, zu feiern und sich ständig über alles mögliche zu unterhalten, um wirklich einem durchkonstruierten städtischen Lebensentwurf zu folgen. Die Hauptfiguren sind keine Trendsetter, sondern Mitmacher, nicht die Avant Garde, sondern der Durchschnitt. Kein Brian Kinney, nirgends. Was schön ist, aber den Machern auch um die Ohren gehauen wurde: Kaum war die erste Folge in den USA ausgestrahlt, ging es los mit den unerfüllten Wünschen: Wo waren die Asian Americans von San Francisco, wo die Trans*-Community, wo die HIV-Positiven, die Lesben, warum schien niemand Geldsorgen zu haben, warum gab es keine harten Schwänze in der Serie und überhaupt, warum war das alles nicht Weekend, wo doch Andrew Haigh auf der Verpackung stand? Hinter diesen Vorwürfen steckt der politisch korrekte Wunsch nach Repräsentation der gesamten queeren Community und aller ihrer Belange in einem einzigen Format, verbunden mit der irrigen Annahme, die wäre nötig, machbar oder gäbe gutes Fernsehen ab. Denn das ist Looking ganz ohne Frage. Eben weil es sich beschränkt. Darauf, eine Geschichte über junge Mittelstandschwule in der zweitteuersten Stadt der USA zu erzählen, die versuchen, mit ihrem Leben klarzukommen. Was manchmal anstrengend und ab und zu sehr lustig ist und fast immer der Wahrheit der allermeisten seiner Zuschauer entsprechen dürfte. Deren Zahl seit Beginn der Ausstrahlung nicht riesig ist, aber ständig wächst. Looking will die fiktionalen Räume, die beispielsweise Queer as Folk vor zehn Jahren erst erschließen musste, gar nicht neu einrichten. Es geht um Intimität, nicht Revolution. Wer sich auf die geduldige Erzählung und die facettenreichen Charaktere einlassen will, wird Spaß haben, wer nicht, ist selber schuld. s
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Einfach langweilige Schwule I N T E RV I EW: JA N K Ü N EM U N D & EN R ICO I PP OL IT O
Es ist Berlinale. Wir nutzen die Gelegenheit, den durch „Weekend“ bekannt gewordenen britischen Filmemacher Andrew Haigh zu treffen. Er präsentiert seinen neuen Film „45 Years“ im Wettbewerb, ein paar Tage nach dem Interview werden seine beiden Stars Charlotte Rampling und Tom Courtenay die Darstellerpreise erhalten. Im RitzCarlton am Potsdamer Platz spricht der 41-Jährige über die Gemeinsamkeiten seiner bisherigen drei Spielfilme und über die HBO -Serie „Looking“, deren Showrunner er ist und deren erste Staffel gerade in Deutschland auf DVD veröffentlicht wurde.
SISSY: Mr. Haigh, Sie haben ihren neuen Film hier im Wettbewerb der Berlinale laufen, das Publikum war tief bewegt, die Kritiken sind großartig, die deutschen Journalisten, die ihren letzten Film mehrheitlich ignoriert haben, müssen erst mal in Erfahrung bringen, wer Sie überhaupt sind. Ihren Durchbruch „Weekend“ hatte das Festival, das ja recht stolz auf seinen queeren Schwerpunkt ist, 2011 abgelehnt. Andrew Haigh: Ja, darüber bin ich immer noch sauer. Ich war im Jahr davor mit einem Kurzfilm in der Sektion Generation zu Gast und habe mir ein paar Panorama-Filme mit schwulem Thema angesehen. Da dachte ich, Weekend könnte schon positiv herausstechen und habe ihn zuerst der Berlinale angeboten. Die Absage hat mich ziemlich deprimiert. Aber danach … … danach war der Film in England und den USA ziemlich erfolgreich und alle bekannten Kritiker haben darüber geschrieben. Nur in Festland-Europa bin ich direkt in der schwulen Nische gelandet.
Wird denn immer noch unterschieden zwischen queerem Filmemachen und Filmemachen? Ja, und das finde ich traurig. Zumal die Box-Office-Ergebnisse der letzten Jahre ja gezeigt haben, dass Filme mit nicht-straighten Geschichten in Bezug auf ihre meist geringen, weil nicht durch Förderung abgesicherten Produktionskosten sehr erfolgreich sein können. Vielleicht gibt es einfach zu viele schwullesbische Filmfestivals, wo diese Filme paradoxerweise dann ein Nischendasein führen. Aber es wird natürlich auch immer schwierig bleiben, heterosexuelle Menschen dazu zu bewegen, sich so was anzusehen. Das Problem werden Sie mit „45 Years“ bestimmt nicht haben. Nein. Aber als ich Leuten zuerst von diesem Projekt erzählt habe, wurde ich ungläubig angeschaut – was, der Film soll überhaupt nicht queer sein? Manche waren richtig wütend, so als hätte ich die Community im Stich gelassen. Wo ich ja nicht wenig Grund dazu hätte, mich angesichts der ganzen Kritik an Looking meinerseits von der Community im Stich gelassen zu fühlen (lacht). Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie seit dem GuardianArtikel von Ben Walters als Vorreiter des „New Wave Queer Cinema“ gelten. Ja, das war ja eine „Bewegung“, die von der Presse so ausgerufen wurde, weil gleichzeitig ein paar ähnliche Filme fertig wurden, von Filmemachern, die das Bedürfnis hatten, modernere, realistischere, wahrhaftigere Geschichten mit schwulen Hauptfiguren zu erzählen. Travis Mathews, Ira Sachs und ich, wir kennen uns jetzt natürlich, aber vorher wussten wir nichts voneinander. Und was ist mit den jüngeren britischen Filmemachern, Tom Shkolnik („The Comedian“) und Hong Khao („Lilting“) zum Beispiel, sind die nicht stark von „Weekend“ beeinf lusst? Weekend hat ihnen sicherlich geholfen, ihre Filme zu finanzieren. Hong, den ich gut kenne, hatte jahrelang versucht, Geld für Lilting aufzutreiben, es ist ja ein sehr persönlicher Film. Nach Weekend konnte er sagen: Schaut her, schwule Filme können auch Geld einspielen! Mir hatte man ja vorher auch gesagt: „Das will doch keiner sehen!“, dann lief der Film allein in London monatelang. Insofern glaube ich kaum, dass die jungen Filmemacher sich ästhetisch an meinem Film orientieren – aber dass es ihn gibt, erleichtert ihnen ihre Arbeit ein wenig. „45 Years“ ist jetzt zwar nicht queer, aber die Ähnlichkeiten zu Ihren anderen Filmen sind sehr offensichtlich. Schon wieder geht es um eine Beziehung zweier sehr verschiedener Menschen … Ja, das ist so ein innerer Dialog mit mir selbst, glaube ich. „Greek“ Pete, Russell aus Weekend und Kate aus 45 Years halten alle sehr entschieden an der Idee der großen Liebe fest – und sie haben ziemlich leidenschaftliche und herausfordernde Partner. Da ist der Konflikt vorprogrammiert: wie in der Beziehung eigenständig bleiben und gleichzeitig zum Bedürfnis nach Sicherheit, Trost und Unterstützung stehen … Ich hatte schon beim Schreiben von Weekend die merkwürdige Idee: Wenn Russell und Glen zusammen blieben, wäre das am Ende so eine Beziehung wie die von Kate und Geoffrey aus 45 Years, diese Geschichte hatte ich ja damals schon im Kopf. Was die drei Filme, genauso wie die von Ihnen geschriebenen und inszenierten Episoden von „Looking“, gemeinsam haben, ist, dass die Dialoge einerseits so präzise geschrieben erscheinen, andererseits die Schauspieler damit aber so locker und natürlich umgehen. Arbeiten Sie viel mit Improvisation? Nein, ich nenne das „Verzierung“. Ich schreibe ganz naturalistische Dialoge, mit Pausen, Gestotter, Drumherumreden und lauter Dingen, die unmittelbar gar keinen Sinn ergeben. Proben gibt es nicht, aber die Schauspieler können dann Sachen ausprobieren, ausschmücken. Dann habe ich die Eigenart, Szenen in einer Einstellung zu drehen, nicht permanent zwischen Totalen und Nahaufnahmen zu wechseln. Ich möchte Reaktionen nicht herausschneiden, Zeit wegschneiden. Schauspieler dürfen bei mir Pausen machen, zögern. Mir geht es um den natürlichen Rhythmus eines Gesprächs. SISSY 25 39
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PIFFL MEDIEN
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„45 Years“ (oben), „Weekend“ (unten)
Deshalb wird bei Ihnen auch Charlotte Rampling nicht einfach als „Star“ ins Bild gestellt, wie z.B. bei Ozon, sondern man sieht sie richtig spielen. Charlotte hat natürlich eine unglaubliche Präsenz, und es war toll, diese Präsenz mal in ein ganz naturalistisches Setting zu überführen. Hat sie das zugelassen? Ja, sie hatte Weekend gesehen und wollte das auch so machen. Wir haben alles ganz einfach gehalten – nur mit einer kleinen Crew gearbeitet, kaum zusätzliches Licht aufgebaut, nichts ins hohe Register gerückt. Alles sollte so realistisch wie möglich wirken. Aber nicht hart – deshalb haben wir auf 35mm gedreht. Damit Video nicht hart wirkt, braucht man sehr viel Licht, viel Make-up, das wollte ich nicht. Ich wollte es einfach haben, aber mit einem bestimmten Look. 40 SISSY 25
Sie benutzen ständig Adjektive wie „realistisch“, „naturalistisch“, „einfach“. In Ihren gesamten Filmen gibt es keine einzige Szene, die aus dem Realismus ausbricht. Warum halten Sie so sehr daran fest? Es interessiert mich einfach. Ich sehe gerne Filme, die überhaupt nicht so gemacht sind, ich liebe Guardians of the Galaxy, ich bin überhaupt kein Film-Snob. Aber mich interessieren gerade kleine, dichte Geschichten – und da macht eine naturalistische Herangehensweise einfach Sinn. Aus dem, was ich in 45 Years in Spielfilmlänge erzähle, hätte ein anderer Filmemacher vielleicht seine ersten zehn Minuten gemacht. Ich möchte da aber etwas ausdehnen, mir Zeit nehmen für kleine, profane Dinge. Es sind die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen, nicht die großen. Im Arthouse-Kino geht so was natürlich, aber Sie nehmen sich diese Zeit ja auch in „Loo-
king“, einer Fernsehserie, die aktuelle urbane schwule Lebensstile in den Mittelpunkt rückt. Verstehen Sie die kritischen Stimmen, die sich darüber beschweren, dass in „Looking“ zu wenig passiert? Aber es passiert doch total viel. Die, die das langweilig finden, haben meistens etwas anderes erwartet, etwas Witzigeres, Bissigeres, Sex and the City-haftes, und dann sehen sie etwas, was eher eine Indiefilm-Sensibilität hat und sind enttäuscht. Es braucht wohl manchmal ein wenig, um Looking als das zu sehen, was es ist, und nicht als das, was man erwartet hat, um zum Fan zu werden. Woher kommen diese Erwartungen? Wenn du schwul bist und Fernsehen schaust, möchtest du etwas sehen, was dein Leben widerspiegelt. Das kommt ja nicht so oft vor. Aber eigentlich möchten die schwulen Zuschauer dann eine bestimmte Version von sich sehen, eine bessere, eine makellose, die man der Welt verkaufen kann. Mich interessiert das nicht so. In unserer aktuellen Situation haben viele – vor allem in den USA – gerade das Gefühl, eine volle Akzeptanz sei nur möglich, wenn man heiratet und Kinder kriegt. Zeigt man ihnen dann „normale“ Schwule, die so sind wie sie oder ihre Freunde, finden sie das langweilig. Ich dagegen bin stolz darauf, wenn es mir gelingt, realistische schwule Figuren zu zeichnen. Aber was ist so interessant am Alltag von drei unspektakulären schwulen Männern im heutigen San Francisco, dass HBO darüber eine Serie machen wollte? Was ist denn so interessant am Alltag dreier heterosexueller Frauen im heutigen New York, dass eine Serie wie Girls darüber gemacht wird? In beiden geht es letztlich um drei Menschen, die etwas über sich herausfinden wollen und die auf der Suche sind. Das ist universell, das kennt jeder. Und HBO wollte mit Looking genau das zeigen, nichts anderes, kein Will & Grace. Ist „Looking“ jetzt universell oder geht es um Schwule? Es ist definitiv eine schwule Fernsehserie. Man könnte die Girls nicht einfach in die Welt von Looking verpflanzen. Es geht um vieles, was Teil des schwulen Alltags ist, es geht aber nicht um die großen schwulen Themen. Es ist keine Serie, die Themen abarbeitet. Aber ohne die großen schwulen Themen – Coming-Out, Diskriminierung, Aids – was ist denn dann bei einer schwulen Fernsehserie noch erzählenswert? Diese Fragen spielen ja durchaus ein Rolle in Looking, aber mich interessiert eben mehr, zu zeigen, wie sie in den Alltag der Hauptfiguren hinein wirken. Gerade in den Details zeigt sich ja die Komplexität. Die Beziehung von Patrick und Richie zum Beispiel, da spielen Fragen von Rassismus und Klassismus
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hinein, das kann man zeigen, wenn man entschleunigt, auch, wenn man nur 27 Minuten pro Folge zur Verfügung hat. Einige werfen „Looking“, aber auch „Weekend“, vor, jenseits des Alltags der Figuren kein queeres, utopisches Potential aufzuzeigen, kein Gefühl dafür zu vermitteln, dass die Jetzt-Situation nicht das Ende des Erreichbaren ist. Man könnte sich da auf Theoretiker wie José Esteban Muñoz beziehen, der vom „Gefängnis des Hier und Jetzt“ sprach … Es gehört ja zur Idee der Utopie, dass man darin nie ankommt. Das Gefühl, das es in den 1960ern und 1970ern ja mal gab, alles sein zu können, was man wollte, frei zu sein, wählen zu können – das kann ja auf der Ebene der konkreten Lebensführung ziemlich angst einflößend sein. Ich empfinde das selbst als konstanten Konflikt: sich außerhalb der Gesellschaft zu fühlen, gleichzeitig Sehnsucht nach Sicherheit und Trost zu haben. Man muss sehr mutig sein, um ein Leben außerhalb der Gesellschaft zu wählen. Und wenn heute die schwule Kultur im Mainstream verschwindet, was natürlich mehr individuelle Freiheiten bereitstellt, fühlt sich das für mich auch etwas traurig an: wir sind jetzt genauso langweilig, langweilige Schwule. Und dann kommt „Looking“ und verspricht, dass Schwule so interessant sind, dass man eine Serie darüber machen kann. Irgendwann mal wird man durch Looking vielleicht genau jenen Moment rekonstruieren können, wo wir so wurden wie alle anderen. Solch eine Serie ist ihrer Zeit verhaftet. Wenn HBO einmal mit ihr Schluss macht, würde es mich sehr wundern, wenn es überhaupt noch einmal eine Serie über schwule Männer geben wird. Nicht nur, weil das nicht allzu viele Leute sehen und man damit kein Geld macht – nein, auch, weil hier ein Ende erreicht wird. Es wird bestimmt Serien über Figuren geben, die transgender sind, aber ausschließlich über Männer, die sich als schwul definieren, erzählen wir hier vielleicht zum letzten Mal in solch einem Format.
Vielleicht ist deshalb die Sehnsucht nach den großen Identitäts-Narrativen so groß? Weil noch mal definiert werden muss, was heute Schwulsein bedeutet, und alle sich daran abgleichen wollen? Ja, oh mein Gott, es ist diese eine Schwulenserie, auf die alle auf der ganzen Welt warten! Alle wollen sich darin wiedererkennen. Wir möchten aber nur die alltäglichen Geschichten von drei Figuren erzählen – das erzeugt offensichtlich eine riesige Frustration. Zuschauer werfen mir vor: Das ist ja gar nicht mein Leben! Natürlich ist das nicht dein Leben. Jedes Leben ist anders, jeder Schwule ist anders. Nach 45 Years kriege ich garantiert nicht lauter Mails von 70-Jährigen, die mir vorwerfen: Das ist aber nicht mein Leben! Eigenartigerweise wurde „Looking“ ja schon vor Ausstrahlung der ersten Folge kritisiert. Ja, als der Trailer raus war, kriegten wir zu hören: Ah, da geht es also nur um weiße, reiche Schwule! Was ja Unsinn ist, wir haben zwei Latino-Hauptfiguren, einen Afroamerikaner, die meisten sind alles andere als reich. Aber selbst, als die erste Staffel schon lief, hörte das nicht auf. Das war oft auch ziemlich beleidigend, es gab Stimmen aus der Community, die uns sehr heftig angriffen, es nahm fast Formen von Bullying an. Ich dachte nur: Anstatt soviel Energie in eure Kritik hinein zu stecken, nur weil Looking nicht euer Leben repräsentiert, könntet ihr es ja einfach nicht einschalten. Aber ich habe keinerlei Illusionen, das man etwas machen kann, was allen gefällt. Looking besetzt eine Nische in einer Nische in einer Nische. Und ich bin kein Mainstream-Filmemacher, ich werde nie eine Serie auf ABC bekommen. Warum arbeiten Sie überhaupt für das Fernsehen? Ich mochte das Drehbuch zur Pilotfolge. Der Autor Michael Lannan und HBO haben mich gefragt, ob ich Regie führen möchte. Und, ehrlich gesagt, wenn HBO anruft und dich zu einem Treffen einlädt, sagt man: okay. Ich hatte 20 Jahre lang kaum Geld verdient,
das Projekt war gut, das Team ist toll – fast alle sind schwul, Schauspieler, die Leute vom Stab, die Produzenten vom Sender, Michael, ich, eine völlig neue Erfahrung für mich. Wir dachten, wir könnten hier einfach von uns erzählen, Geschichten, die wir über uns erzählt sehen wollten. Und dann kann man ja bei HBO mutigere Dinge tun als sonst im Fernsehen. Mutig heißt: mehr Sex zeigen? Nein, das war eine große Überraschung für uns, wie stark das thematisiert wurde. Looking ist ja alles andere als explizit, es geht auch nicht ausschließlich um Sex, wie viele sagen. In der ersten Staffel gab es fünf Sexszenen, in der zweiten vier. Sogar Leute, die für HBO arbeiten, sagten: Da ist soviel Sex drin, das kann ich nicht ansehen. Das Neue und vielleicht deshalb Schockierende ist vielleicht eher die Intimität der Szenen. Viele Heteros glauben ja, dass schwuler Sex nur Ficken ist, dass das nichts mit Intimität zu tun hat. Eine ziemlich liberal eingestellte Freundin von mir hat mir erzählt, dass sie durch Looking überhaupt erst erfahren habe, dass zwei Männer sich beim Sex in die Augen sehen können. Also, wenn die Serie diesen Erkenntnisgewinn hervorruft: schön. s ----Andrew Haigh, 1973 im britischen Harrogate geboren, arbeit seit Ende der 1990er als Cutter, u.a. für Filme wie GLADIATOR und BLACK HAWK DOWN. Seit 2003 schreibt und inszeniert er eigene Filme, nach einer Reihe von Kurzfilmen entstanden die Langspielfilme GREEK PETE (2008), WEEKEND (2011) und 45 YEARS (2015). Seit 2014 arbeitet er als ausführender Produzent, sowie als Autor und Regisseur mehrerer Folgen, bei der HBO-Serie LOOKING mit, deren zweite Staffel aktuell in den USA ausgestrahlt wird. GREEK PETE auf DVD bei GM Films · WEEKEND auf DVD bei GM Films · 45 YEARS bei Piffl Medien, Kinostart in Deutschland voraussichtlich im Herbst 2015
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JETZT NEU: »Happy End« von Petra Clever und »Der Kreis« von Stefan Haupt.
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Neu auf DVD VON PAUL SCHULZ
LILTING GB 2014, Regie: Hong Khaou, Edition Salzgeber
Ben Whishaw und Cheng Pei-Pei als ungleiches Paar, das um den gleichen Mann trauert, dabei aber kaum zueinander findet. „Angefangen mit der Retro-Tapete, über die betörend sanfte Bildsprache der polnischen Kamera frau Ula Pontikos (die übrigens auch schon für Andrew Haighs Weekend verantwortlich zeichnete), bis hin zum von Khaou sorgsam geknüpften Netz aus Sehnsucht, Trauer, Liebe und Freundschaft oder Chengs internalisierter Gebrochenheit bohrt sich dieser Film Stück für Stück und immer tiefer ins Herz seines Zuschauers. Doch es ist Whishaw, der einem dieses Herz bricht. Und wenn Richard in der finalen Aussprache mit Junn, die kaum weiter weg sein könnte von einem kathartischen Hollywood-Happyend, endgültig von seinen Gefühlen überwältigt wird, dann kann – und will – man nicht anders, als sich von den eigenen Tränen übermannen zu lassen.“ (Patrick Heidmann in SISSY 24).
DER KREIS CH 2014, Regie: Stefan Haupt, Edition Salzgeber
Stephan Haupts Film über die Schweizer Zeitschrift „Der Kreis“, die in den 1940ern bis in die späten 1960er Leser in der ganzen Welt hatte und das Medium einer der wichtigsten europäischen Schwulen bewegungen war, ist keine Geschichtsstunde. Er setzt, als Spielfilmversion einer wahren Geschichte, ganz auf die exemplarische und doch so besondere Liebesgeschichte von Ernst und Röbi, die im Umfeld des „Kreises“ zueinander fanden und es immer noch sind. „Die Spannungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen dokumentarischen, lebensgeschichtlichen Interviews und Spielfilmszenen, die eine Geschichte inszenieren wie imaginieren, macht sich der Film dabei zunutze, um anders von seinem Gegenstand sprechen zu können. Der Kreis erzählt eine schwule Geschichte im doppelten Sinn, als private Geschichte der Liebe zwischen Röbi und Ernst, als gesellschaftliche Geschichte der schwulen Sub42 SISSY 25
kultur in Zürich, als Geschichte der Bedingungen mithin, unter denen schwule Privatheit wie Öffentlichkeit möglich ist, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort. Seine spezifische Form, die als Dokudrama nur unzureichend charakterisiert wäre, weiß Der Kreis einzusetzen, um aus der Zeitspanne zwischen erzählter und Erzählzeit eine Geschichte zu lösen, gerade in der Lücke zwischen Imagination und biographischer Erzählung etwas sichtbar werden zu lassen.“ (Sebastian Markt in SISSY 23)
wandert ihr Blick nach oben in Richtung mütterliches Schlafzimmer, der Freudschen Urszene. Man wartet förmlich darauf, dass der Film die Sabotierungsversuche der Tochter noch auf die Spitze treibt. Stattdessen geht es hauptsächlich um Tru, eine Figur, die Bindungsängste hat. Doch das heimliche Zentrum der Erzählung ist Alice, mit Leichtigkeit gespielt von Kate Troter. Sie ist über die Dramen und Bemutterungsdynamiken ihrer Tochter erhaben, und auch Tru lässt in ihrer Gegenwart das Pokerface fallen. ‚Gertrude und Alice!‘, entfährt es Alice, ‚Paris!‘“ (Noemi Yoko Molitor in SISSY 23)
PIERROT LUNAIRE DE/CA 2014, Regie: Bruce LaBruce, GMfilms
LIEB MICH! – GAY SHORTS VOLUME 4 DE/BG/AU/ES/MX 2011–2014, Pro-Fun Media
„Pierrot irrt durch Berlin und landet im Darkroom, während die Bühnenshow im HAU das Geschehen wie Traumsequenzen überlagert, Zwischentitel gegen Pierrots absurde Schwanzsehnsucht anpöbeln (selbst Marlene war mehr Mann als du, Ausrufezeichen) und auf der Tonspur der höllisch dichte Giraud-Text in Schönbergscher Kontrastschärfe so tut, als müsse man ihm genau zuhören. Aus einem bisschen Bühnennebel fliegen Falter und Totenköpfe, die Mondflecken sind natürlich Discokugelreflexe, bei ‚Eine blasse Wäscherin‘ sieht man Pierrot beim Bügeln, bei ‚Die dürre Dirne‘ im Gym auf dem Laufband. Wer diese Scherze flach findet, hat Schönberg nicht verstanden.“ (p Seite 34)
Sieben kurze Geschichten über die Liebe, von Literaturwissenschaftlern und Studenten, die sich über ein Baugerüst hinweg verlieben, bis zu Männern, die vor ihrer jüdischen Familie davon und der Bareback-Szene in die Arme laufen. Der Fleischanteil ist hoch, der von kleinen, emotionalen Höhepunkten auch: We are fine von Simon Savory (siehe Bruno & Earlene go to Vegas), der einen heißen, australischen Nachmittag zu einer kleinen Meditation über List benutzt, und Julían Hernández’ Wandering Clouds, der so gut wie ohne Worte von Eifersucht und deren Folgen erzählt. Insgesamt: Bunte, thematisch nicht klar strukturierte Mischung, die einen, vielleicht genau deswegen, immer wieder angenehm überrascht. (PS)
TRU LOVE CA 2014, Regie: K. Johnston, S. MacDonald, Edition Salzgeber
HOUSE OF VERSACE US 2014, Regie: Sara Sugarman, Ascot Elite Home
Um eine neurotische Mutter-Tochter-Beziehung mit Rollentausch unter lesbischen Vorzeichen geht hier. Anwältin Suzanne bekommt Überraschungsbesuch von ihrer Mutter Alice und bittet ihre lesbische Freundin Tru, ihre Mutter zu „babysitten“. „Suzanne und Alice verbeißen sich in einem Kräftemessen: Wer darf Mutter spielen, lesbisch sein und wessen Lebens- und Liebesglück hat Vorrang? Suzanne ist die neurotische, distanzierte Tochter, bei der es einem kalt den Rücken runter läuft, wenn sie entrüstet ‚Mutter!‘ ruft. Fassungslos
Die Geschichte darüber, wie Gianni Versace auf den Stufen seiner Villa von einem ehemaligen Liebhaber erschossen wird und seine bis dato unauffällige Schwester Donatella daraufhin beschließt, das Mode-Imperium ihres Bruders nicht nur zu retten, sondern größer und schöner zu machen als je zuvor, während sie komischen Sachen mit ihrem Gesicht macht und von den Drogen loskommt, hätte man als große feministische Erzählung inszenieren können. Muss frau aber
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nicht. Jedenfalls nicht, wenn man Sara Sugarman heißt. Die hat wohl beschlossen: Manchmal braucht man einfach einen großen Haufen Camp mit ein paar queeren Einsprengseln, für den sich niemand schämt, um das Leben erträglich zu machen. House of Versace ist so ein Haufen. Die göttliche Gina Gershon (Showgirls, Bound) löst darstellerisch alle Bremsen, um dann, die Lippen schürzend, lachend ins Tal zu rasen. Eine große Freude, ganz im Ernst. Es ist immer schön, wenn Darstellerinnen wissen, was sie tun und dabei Spaß haben. Jeder schwule Mann mit einem Sinn für Humor wird hieran seine helle Freude haben. Groteske Menschen, die in aufregender Garderobe furchtbare Dinge tun, auch handwerklich gesehen. Ein Fest! Sekt auf, Glotze an! ps
DU WIRST SCHON NOCH SEHEN, WOZU ES GUT IST US 2014, Regie: Roberta Faenza, Alive
Peter Cameron ist ein großer Schriftsteller, der wunderbare Romane schreibt, mit deren Verfilmungen aber wenig Glück hat. Dabei hätte er das echt verdient. Auch Du wirst schon noch sehen …, der im Englischen den sehr viel schöneren Titel Some day this pain will be useful to you hat, hätte Besseres verdient als diese Umsetzung. Schon weil er die Homosexualität seiner Hauptfigur nur kurz erwähnt, um sich dann über große Strecken mit völlig anderen, wichtigeren Dingen zu beschäftigen, die einem beim Erwachsenwerden in New York so stören können. Das ist ein guter Ansatz. Und der Film scheitert auch nicht an seinem Cast, der mit Marcia Gay Harden, Lucy Liu, Ellen Burstyn und dem wunderbaren jugendlichen
Hauptdarsteller Toby Regbo vor Talent nur so strotzt. Regisseur Roberto Faenza inszeniert seine Coming-of-Age-Geschichte über aufkeimende Sexualität und gestörte Familien im Ostküsten-Sommer auch sehr ordentlich. Aber das Drehbuch wird Camerons Vorlage zu keinem Punkt gerecht, was dazu führt, dass seine Figuren die meiste Zeit in schönen Bildern irgendwie verloren in der Gegend herumstehen und ziellos vor sich hin spielen. Und das ist einfach nur schade. ps
SAG NICHT, WER DU BIST CA 2013, Regie: Xavier Dolan, Indigo
Xavier Dolan liefert sich als Tom mit blondem Spliss und fragiler Statur einem rohen Milieu aus ländlicher Provinz und aggressiven Männertum aus – und das durchaus lustvoll. „Tom à la ferme ist in erster Linie ein eigensinniger Psychothriller. Sein Suspense breitet sich auf durchaus merkwürdige Weise aus. Xavier Dolan kanalisiert erstmals sein überbordendes Formbewusstsein im Rahmen einer stark reduzierten und konzentrierten Ästhetik. Die einzige explizite filmische Spielerei ist der Wechsel zwischen den Formaten: In drei Schlüsselszenen der Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern lässt Dolan langsam schwarze Balken oben und unten ins Bild gleiten, bis sie das breite Cinemascope-Format erreicht haben. Im Kornfeld und im Wald liegt es nahe, aber auch wenn sich die beiden vor einer Wand im Niemandsland mit aller Wucht in die Augen starren, scheint das Western-Duell nicht fern. Einmal werden der bullige Francis und der zierliche Thomas auch miteinander tanzen und auch da stehen die unablässigen Bewegun-
gen von Unterwerfung und Aufbegehren im Raum. Es ist eine dieser irrealen Szenen, die sich nahtlos einfügt in eine längst nach völlig eigenen Regeln funktionierte Parallelwelt, die der Hof für deren Bewohner darstellt. Hier, wo durch die Tore unheimliche Sonnenstrahlen auf die zum Tanzsaal umfunktionierte Scheune fallen, scheinen die Herzen schon seit Jahren der Dunkelheit überlassen zu sein. Das Abwegige ist glaubwürdig. Thomas ist hinein geschlittert in einen Kosmos, dem er sich immer mehr übergibt, dessen Gesetze schon bald sein Denken einschränken.“ (Frédéric Jaeger in SISSY 22)
STURMLAND HU/DE 2014, Regie: Ádám Császi, Edition Salzgeber
Ein junger Mann schmeißt seine Fußballkarriere in Deutschland hin und geht zurück nach Ungarn, um ein Haus zu bauen und sich in Jungs zu verlieben. „In den schönsten Momenten wird so das Haus in der ungarischen Provinz zu einem Rückzugsort. Hier hämmern Szabi und Áron malerisch auf dem Dachfirst, hier züchten sie Bienen und ernten Honig – es ist eine mal männerbündlerische, oft entrückte Utopie. Hier ist kein Platz für das Getöse von Außerhalb, für die aggressiven Dorfjugendlichen, den brüllenden Fußballtrainer, den wütenden Vater Szabis, die jammernde Mutter Árons. (…) Hinzu kommen die Aktaufnahmen junger Männerkörper, die Császi als homoerotische Häppchen anrichtet: jugendliche Fußballer unter der Dusche, Szabi und Bernard ohne T-Shirt beim Kiffen auf dem Großstadtdach, Szabi und Áron ohne T-Shirt auf dem Dachfirst beim Hausrenovieren, Szabi
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nackt bei der Katzenwäsche am Bottich, Szabi und Áron beim Baden, Bernard bei der Katzenwäsche, Szabi, Áron und Bernard beim Baden. Ästhetisch ambitioniert drapiert Ádám Császi die jungen Männer in das bruchreife Haus, neben das Mofa, neben den Waschzuber, auf ausgelaugten Ackerboden. Hört sich nach Softporno-Erotik an? Das ist gar nicht mal so falsch, auch wenn man so etwas in einem ungarischen Film zur Zeit nicht erwartet.“ (Malte Göbel in SISSY 23)
DER DRITTE AR 2014, Regie: Rodrigo Guerriera, Pro-Fun Media
Sex als erzählerisches Mittel ist, wie Lars von Trier gerade erfahren musste, nicht so einfach wie Pornografie aussieht und kann auch ziemlich öde sein. Macht man es allerdings richtig und gut, kann dabei eine sehr sinnliche Sache rauskommen, in der einmal nicht über Körper gesprochen wird, sondern darüber, was man mit ihnen macht. Und das geht so: Der 22-jährige Fede flirtet so lange im Internet herum, bis ihn ein älteres Paar zu sich nach Hause einlädt, mit ihm zu Abend isst, wobei sie lange und intensiv über den körperlichen Ausdruck von Liebe sprechen, um sich danach ins Schlafzimmer zurückzuziehen und die Nacht miteinander zu verbringen. Regisseur Rodrigo Guerrero hat Spaß mit seinen drei fantastischen Darstellern, einer fast 20 Minuten langen, sehr intimen Sexszene und seinem fantasievollen Ausblick auf den möglichen Beginn einer polyamourösen Beziehung. Das ist für einen langen Film nicht wirklich genug Stoff, bietet aber wirklich hübsche 71 Minuten. Schön. ps
PASOLINIS LETZTE WORTE US 2012, Regie: Cathy Lee Crane, Edition Salzgeber
„Aber eines ist Crane wichtig. Nämlich, dass Pasolini tat, was öffentlich in Erscheinung tretende Künstler, Intellektuelle, Politiker ansonsten wie die Pest meiden. Er legte mit unerschrockener Klarsicht seine eigenen Dämonien frei, ging, gerade da, wo es an der Oberfläche kratzt und schmerzt, mit sich selbst kritisch ins Gericht. Und er machte dies in der Tat öffentlich und damit produktiv. Nur ein Aspekt von Pasolinis Kunst, aber keine Frage: eine solche Haltung fehlt.“ (p Seite 32)
DUAL HR/SI/DK 2913, Regie: Nejc Gazvoda, Edition Salzgeber
Es ist Nacht in Ljubljana. Die Wege zweier Frauen kreuzen sich und beide wollen wach bleiben. Sie haben Geheimnisse, die sie in ihren Muttersprachen äußern, die langsame erotische Annäherung geht auf Englisch. Before Sunrise auf lesbisch, ein Moment, den man nicht verpassen darf, dessen prekärer Status aber auch die Wahrnehmung intensiviert. „Es ist kein Zufall, dass Gazvodas Film fast ausschließlich nachts spielt. Denn die Nacht dehnt die Zeit aus. Genau wie die Gefühle. In der Nacht scheint alles wichtiger und dramatischer als am Tag. Man traut sich mehr. Kein Wunder, dass das Nachtleben laut Queer-Theoretiker_in Jack Halberstam zum Symbol queerer Zeitlichkeit geworden ist. Es gelten andere Regeln, alles
scheint machbar. Von Heteros haben sich die Queers hierfür den Vorwurf ewiger Unreife eingehandelt. Doch Iben und Tina lassen bei all ihrem neu erlangten Wagemut auch abgeklärte Nüchternheit durchscheinen: ‚Wenn ich jetzt nicht weggehe, dann gehe ich nie‘, sagt Tina, und sie meint es ernst. Neben die gegenseitige Faszination der beiden tritt nach und nach auch ein gewisser Grad von Verzweiflung und Fatalismus. So werden die Tagesszenen zur Fortsetzung des Nacht-Trips: Tina und Iben beschließen, nicht schlafen zu gehen, um am nächtlichen Moment der unendlichem Möglichkeiten so lange festzuhalten, wie sie nur können.“ (Noemi Yoko Molitor in SISSY 24)
JONGENS NL 2014, Regie: Mischa Kamp, Edition Salzgeber
Ein 15-jähriger Junge mit dem schönen Namen Sieger hat, so scheint es, nicht viel mehr im Sinn, als beim Sprintstaffelwettbewerb am Ende der Ferien als erster durchs Ziel zu laufen, als ihm plötzlich die erste Liebe ein Bein stellt. Sie heißt Marc, also ist Sieger schwul. Doch so eindimensional sind die Helden in Mischa Kamps vielfach ausgezeichneten Jungendfilm Jongens nicht. „Sie begegnen sich auch immer wieder beim Lauftraining im Sportverein, wo sie sich gemeinsam auf einen wichtigen Wettkampf im Staffellauf vorbereiten. Lang und intensiv üben sie ihre Geschwindigkeiten so aufeinander abzustimmen, dass sie den Staffelstab fließend übergeben können. Laufen, Springen, Rennen. Mit dem Fahrrad gemächlich durch den Wald zuckeln, mit dem Motorrad wie verrückt davon rasen, im Bus über die Autobahn gleiten, im Auto durch die
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Landschaft cruisen. Allein vorankommen oder einen anderen einholen. Davonlaufen und zurückkommen. Der Film widmet diesen Bewegungsabläufen mindestens soviel Aufmerksamkeit wie den Gefühlen und Wünschen seiner Protagonisten, so dass beide irgendwann zusammengehören. Der Staffellauf wird nur gelingen, wenn die Verhältnisse geklärt sind. (…) ‚Ich bin nicht schwul.‘ ‚Natürlich nicht.‘ Ob Sieger und Marc es jemals werden, ob sie sich diesen Begriff jemals zuschreiben wollen und werden, wissen wir nicht. Wir können in diesem zauberhaften Film aber sehen, was für eine sanfte und umfassende Kraft zwei Küsse zwischen Jungs haben können und was für ein anspruchsvolles Programm der Arbeit an sich selbst sie freisetzen können. Coming-out ist der Name dieser Arbeit.“ (André Wendler in SISSY 24)
lische Kamellen der italienischen Popschlagerkoryphäe Patty Pravo. ‚Albaner und Schwuchtel‘, zieht Ody ihn auf, als sei der Bruder damit gleich doppelt gebrandmarkt. An Dany jedoch könnten solche Zuschreibungen, könnte jedes Aufsehen um seine vermeintlich polarisierende Erscheinung kaum spurloser vorbeigehen. Er mag nicht wissen, wohin es ihn einmal verschlagen wird, mangelndes Selbstvertrauen allerdings ist das geringste seiner Probleme – eine Coming-Out-Geschichte erzählt Xenia nicht, der großen Themenvielfalt des Films zum Trotz. Er begreift die Figur vielmehr angenehm widerspruchslos als schwulen Teenager, dessen hibbeliger Habitus sich ganz besonders in hinreißend unbefangenen Übersprungshandlungen Ausdruck verschafft.“ (Rajko Burchardt in SISSY 24)
XENIA
HAPPY END
FR/BE 2014, Regie: Panos H. Koutras, Pro-Fun Media
DE 2014, Regie: Petra Clever, Edition Salzgeber
Eine albanisch-griechische Schwuchtel mit zuviel Fantasie und ihr etwas älterer und etwas bodenständigerer Bruder haben einen Fimmel für italienische 60er-JahreChansons, keine Mutter mehr und bald auch kein Zuhause mehr in dieser Welt. Das alles ist jedoch kein Grund zur Traurigkeit, sondern der Beginn einer ziemlich bunten Odyssee. „Was für ein wunderbarer Typ, dieser Dany. Mit seinen wuscheligen Blondsträhnen, dem leicht versteckt sitzenden Septum, der nicht zu bändigenden Lust auf bunte Lollies. Dazu pinkfarbene Chucks und Skinny-Jeans, Nietenhalsband, Armreifen, Fransenshirts. Und nicht zu vergessen: die Vorliebe für melancho-
„Eingeführt werden die beiden Protagonistinnen möglichst gegensätzlich, gegenübergestellt in Pa rallelmontagen. Das Kraftbündel Val, das mit viel Charisma in schwarzer Lederkluft vor einer Glitzerwand düstere Rockballaden im Sis Club schmettert und jeden Abend in Begleitung einer anderen Frau auf der Toilette verschwindet. Und Lucca, deren Bilderbuchkarriere als mit Paragraphen jonglierende Rechtsanwältin vorbestimmt scheint, und die sich zum Verfassen von selbstkritischer Poetry gern einsam auf ihr Bett verzieht. (…) Bis die beiden sich nah und näher kommen, dauert es noch eine Weile. Dabei fasst sich der Film knapp, das tut ihm aber
auch gut. Am Ende geht es letztlich um Begegnungen und um das Feiern des Lebens, das nicht ohne den Tod auskommt. Jede Energie bleibt erhalten, kann weder erzeugt, noch vernichtet werden, setzt sich nur woanders fort. Ob das Ende (des Films) glücklich ist, muss jede/r für sich selbst sehen.“ (Aileen Pinkert in SISSY 24)
BRUNO & EARLENE GO TO VEGAS US 2014, Regie: Simon Savory, Pro-Fun Media
Bilder dafür, wie es sich anfühlt, ganz allein in der Welt zu sein, sind nicht so einfach zu finden, wenn man sie nicht in Klischees begraben will. Es ist zu erwarten, dass man von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Simon Savory noch einiges hören wird, denn nicht nur findet er in seinem Erstlingsfilm klischeefreie Bilder für die innere Einsamkeit seiner Protagonisten, er schafft es auch, die Verschiebungen in Ton und Gefühl, die sein Roadmovie braucht, mit leichter Hand zu inszenieren und dabei nie seine Geschichte oder Charaktere aus den Augen zu verlieren. Die Story darüber, wie Earlene in Venice Beach den Teenager Bruno unter ihre Fittiche nimmt, mit ihm nach Vegas fährt und auf dem Weg dorthin alle herausfinden, wer sie selber sind und wie ungefähr das Leben funktionieren könnte, gibt nicht nur sehr unterhaltsame, sondern auch ganz schlaue und sexy 90 Minuten ab. Fein. ps
Jetzt im Buchhandel Tennessee Williams Moise und die Welt der Vernunft
Der Kreis Eine Sammlung
Will McBride Salem Suite
New York – Eine Nacht – Drei Menschen. Moise, eine begnadete aber mittellose Künstlerin, verzweifelt am Leben und gibt auf einer eigens dafür einberufenen Party ihren Rückzug aus der Welt der Vernunft bekannt. Der namenlose Erzähler, ein junger bedeutender und gescheiterter Schriftsteller und bester Freund von Moise, wird in dieser Nacht von seinem Freund verlassen und rekapituliert manisch schreibend sein Leben, seine Kindheit und Jugend, seine ersten Jahre in New York, und immer wieder Lance, seine erste große Liebe. Ein alter, ehedem erfolgreicher Bühnenschriftsteller auf der Suche nach menschlicher Nähe und dem Gefühl des vergangenen Erfolgs. Je tiefer die Nacht, desto größer die Verzweiflung und die Versuchung, aufzugeben. Aber der nächste Morgen kommt, und mit ihm erneut der Mut und die Hoffnung. Ein Abgesang auf der Welt der Vernunft und ein Plädoyer für Mitgefühl und Liebe, in einer großartigen Neuübersetzung von Josefine Haubold.
1942 gründete Karl Meier in Zürich den „Kreis“. Bis in die 1960er Jahre hinein entwickelte sich die Schweizer Schwulenvereinigung zu einer international vernetzten Organisation, die ihren Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite stand. Vor allem die glamourösen Bälle zogen schwule Männer aus der ganzen Welt an, in der dreisprachigen Zeitschrift „Der Kreis“ wurde die Schönheit der Männer gepriesen und die Erfahrungen eines Lebens im Geheimen ausgetauscht. 25 Jahre lang, zwischen 1943 und 1967, erschien „Der Kreis“ monatlich. Während des Zweiten Weltkriegs und noch einige Jahre danach war „Der Kreis“ die einzige Homosexuellenzeitschrift überhaupt. Im vorliegenden Band sind Texte, Fotos und Grafiken versammelt, die ein Vierteljahrhundert schwuler Geschichte vor Augen führen, wie man sie noch nie gesehen hat, abwechslungsreich zusammengestellt und informativ kommentiert. So lädt „Der Kreis · Eine Sammlung“ nicht nur zum Durchblättern, Anschauen und Schmökern ein, sondern gibt dem Leser einen einzigartigen Einblick in die Lebensumstände schwuler Männer in der Mitte des 20. Jahrhunderts.
1963 erstellte Will McBride für das Magazin „Twen“ eine Fotoreportage über das Internat Salem. Eine Auswahl von sechs Motiven wurde veröffentlicht und wurde, wie „Mike in the Shower“, zu fotografischen Klassikern des zwanzigsten Jahrhunderts. 2014 gab Will McBride für den Sammler Thomas Herrendorf weitere 11 Motive frei. Die als „Salem Suite“ bezeichnete Bildfolge zeigt junge Männer im Gruppenwaschraum des Internats.
Roman, 216 Seiten, leinengebunden mit Schutzumschlag, 19,90 Euro (D)
384 Seiten, Klappenbroschur, 59,90 Euro (D)
Katalog zur Ausstellung, 56 Seiten, gebunden. 38,00 Euro (D)
Thomas Herrendorf zu den Arbeiten: „Wie in vielen seiner Arbeiten hat McBride hier sowohl das Wesentliche als auch das Wesenhafte eingefangen: den unbekümmerten und, im besten Sinne, unschuldigen Spaß und das im wahrsten Sinne des Wortes ‚erfrischende‘ Lebensgefühl genauso wie selbstvergessenes Sosein, fröhliche Verbundenheit untereinander und unmittelbare Freude – all das spiegeln diese unverkrampften Aufnahmen der jungen Männer wieder.“
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KINOS Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!
3 AACHEN: APOLLO Pontstr. 141, 0241/9008484 3 AALEN: KINO AM KOCHER Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 3 ASCHAFFENBURG: CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 3 BAD FÜSSING: FILMGALERIE Sonnenstr. 4, 08531/980555 3 BAMBERG: LICHTSPIEL Untere Königstr. 34, 0951/26785 3 BERLIN: ACUD Veteranenstr. 21, 030/44359498 · ARSENAL Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · KINO INTERNATIONAL Karl-Marx-Allee 33, 030/24756011 · XENON KINO Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · CINEMAXX POTSDAMER PLATZ Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstr. 20, 030/6116016 · FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 · TILSITER LICHTSPIELE Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 · ZUKUNFT Laskerstr. 5, 0176/57861079 3 BOCHUM: ENDSTATION KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 3 BONN: KINO IN DER BROTFABRIK Kreuzstr. 16, 0228/478489 3 BRAUNSCHWEIG: C1 CINEMA Lange Str. 60 3 BREMEN: CITY 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 3 DORTMUND: SCHAUBURG Brückstr. 66, 0231/9565606 · SWEETSIXTEEN Immermannstr. 29, 0231/9106623 3 DRESDEN: KID – KINO IM DACH Schandauer Str. 64, 0351/3107373 · THALIA Görlitzer Str. 6, 0351/6524703 3 ERLANGEN: MANHATTAN Güterhallenstr. 4, 09131/22223 3 ESSLINGEN: KOMMUNALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 3 FRANKFURT/MAIN: LESBISCH-SCHWULES KULTURHAUS Klingerstr. 6, 069/293045 · MAL SEH’N Adlerflychtstr. 6, 069/5970845 · KINOTHEK ASTA NIELSEN Stiftstr. 2, 069/92039635 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 3 FREIBURG: KOMMUNALES KINO Urachstr. 40, 0761/709033 · KANDELHOF Kandelstr. 27, 0761/283707 3 GÖTTINGEN: KINO LUMIÈRE Geismar Landstr. 19, 0551/484523 3 HALLE: ZAZIE Kleine Ulrichstr. 22, 0345/7792805 · PUSCHKINO Kardinal-Albrecht-Str. 6, 0345/2040568 3 HAMBURG: METROPOLIS KINO Kleine Theaterstr. 10, 040/342353 · BMOVIE Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679 3 HANNOVER: KINO IM KÜNSTLERHAUS Sophienstr. 2, 0511/16845522 · KINO IM SPRENGEL K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814 · APOLLO Limmerstr. 50, 0511/452438 3 KARLSRUHE: STUDIO 3 Kaiserpassage 6, 0721/9374714 · SCHAUBURG Marienstr. 16, 0721/3500018 3 KASSEL: BALI Rainer-DierichsPlatz 1, 0561/710550 · FILMLADEN Goethestr. 31, 0561/707650 3 KIEL: DIE PUMPE – KOMMUNALES KINO Haßstr. 22, 0431/2007650 · TRAUM KINO Grasweg 48, 0431/544450 3 KÖLN: FILMPALETTE Lübecker Str. 15, 0221/122112 3 KONSTANZ: ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 3 LEIPZIG: PASSAGE KINO Hainstr. 19 a, 0341/2173865 · KINOBAR PRAGER FRÜHLING Bernhard-Göring-Str. 152, 0341/3065333 · SCHAUBÜHNE LINDENFELS Karl-Heine-Str. 50, 0341/4846210 · CINEDING Karl-Heine-Str. 83, 0341/23959474 3 MAGDEBURG: STUDIOKINO Moritzplatz 1, 0391/2564925 MANNHEIM: CINEMA QUADRAT Collinistr. 5, 0621/1223454 · CINEMAXX N7 17, 01805/625466 3 MARBURG: CINEPLEX Biegenstr. 1a, 06421/17300 3 MÜNCHEN: NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-Str. 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstr. 12, 089/591983 · CINEMAXX Isartorplatz 8, 01805/24636299 3 MÜNSTER: CINEMA FILMTHEATER Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300 3 NÜRNBERG: KOMMKINO/FILMHAUSKINO Königstr. 93, 0911/2448889 · CASABLANCA Brosamer Str. 12, 0911/454824 3 OFFENBURG: FORUM Hauptstr. 111, 0781/4350 3 OLDENBURG: CINE K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 3 POTSDAM: THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Str. 50, 0331/7437020 3 REGENSBURG: WINTERGARTEN Andreasstr. 28, 0941/2980963 3 ROSTOCK: LIWU IN DER FRIEDA Friedrichstr. 23, 0381/4903859 3 SAARBRÜCKEN: KINO ACHTEINHALB Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Str. 8, 0681/372570 3 SCHWEINFURT: KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 3 STUTTGART: CINEMAXX AN DER LIEDERHALLE RobertBosch-Platz 1, 01805/24636299 3 TRIER: BROADWAY FILMTHEATER Paulinstr. 18, 0651/96657200 3 WEIMAR: LICHTHAUS Am Kirschberg 4, 03643/777177 3 WEITERSTADT: KOMMUNALES KINO Carl-Ulrich-Str. 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185
IMPRESSUM Herausgeber Björn Koll Verlag
Redaktion
Jan Künemund, presse@salzgeber.de
Gestaltung
Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de
Autoren
Ester Martin Bergsmark, Jessica Ellen, Michael Girke, Enrico Ippolito, Jan Künemund, Carsten Moll, Aileen Pinkert, Axel Schock, Paul Schulz, Barbara Schweizerhof, Alexandra Seitz, Marc Siegel, Sophie Strohmeier, André Wendler.
Danke
Nicole Kühner, Arne Höhne
Anzeigen
Jan Nurja, nurja@salzgeber.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2015 (www.sissymag.de/media).
SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 20.000 Exemplare (Druckauflage).
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ISSN 1868-4009
Auch das noch …
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I’ve never loved a boy like you before …
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