SISSY zweiundzwanzig — Magazin für den nicht-heterosexuellen Film

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Magazin für den nicht-heterosexuellen Film Ausgabe zweiundzwanzig · Juni bis August 2014 · kostenlos

Zu Tisch, bitte: Godzilla mit Mutter  s  Nachtgestalten: Die Idee einer Juke-Box  s  Verwechselungskomödie: Ein Penis, der einfach nichts hinkriegt Wüstenrobe: Strukturalistische Arbeit mit den Tanten  s  Fremd in der Provinz: Schmerz ist die Grundlage  s  Diskursfiguren: Von Lesben, über Lesben, mit Lesben  s  Selbsttherapiegeschäft: Besser als gar kein Film?  s  Unabhängigkeitstag: Amerikanische Nachtträumer  s  Ästhetik des Alltäglichen: Doc & Go  s  Kopf und Bauch: Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!  s  Pornozeiten: Fußball oder französischer Chansonfilm? s  Engelsgesichter: Kitsch queen and plastic drag  s  Am Lagerfeuer: „I love you though …“  s  Limettenwurf: Hitzige Tresendiskussionen s  s


»Eine wunderbare Tragikomödie — zum Niederknien!« ZITTY

»Der schönste deutsche Film des Jahres!« DLF CORSO

»Dieser Seelenwärmer ist zum Küssen gut und triff t mitten ins Herz!« AZ MÜNCHEN

»So wunderbar, dass einem fast die Worte fehlen!« SISSY

»Wenn Kino einfach Spaß macht: Axel Ranischs spektakulär geglückte Vater-Sohn-Geschichte.« KULTURSPIEGEL

»So ehrlich, schräg und berührend wie das Leben selbst.« KÖLNER STADTANZEIGER

»Einen derart warmherzigen, mal mit stillem, mal mit derberem Witz orchestrierten und durchweg mit sauguten Darstellern besetzten Film hat man im Kino wirklich nicht oft gesehen!« PLAYER

D! JETZT AUF DV


vorspann

sissy zweiundzwanzig Nachweislich gehen genau so viele Frauen ins Kino wie Männer. Das Verhältnis von Filmstudentinnen und -studenten beträgt 50:50. Die SISSY hat genau so viele Leserinnen wie Leser. Trotzdem gibt es verschwindend wenig Frauen, die in der Filmbranche arbeiten (Tendenz: weiter rückläufig) und folglich weniger Frauenfiguren in Filmen, die von Frauen entworfen wurden. Auch wer vom Queer Cinema spricht, meint meistens Filme von Männern und meistens Filme über Männer. Mit solchen Statistiken wird man Repräsentationen queeren Lebens allerdings nicht gerecht. Allein in dieser SISSY geht es um diverse Figuren, die sowohl vom klassischen Frauen- wie vom klassischen Männerbild abweichen: von der Hexe bis zum Muttersöhnchen über eine Buddy-Transe, drei Vamps, diversen Variationen über Marilyn Monroe, eine Filmemacherin in einem offiziellen Cannes-Wettbewerb (!) und eine deutsche Kinobetreiberin haben wir es mit einem schillernden Geschlechterspektrum zu tun. Trotzdem muss man festhalten: nur einer der vorgestellten Filme ist in weiblicher Autorschaft entstanden. Er hat den erhellenden Titel: Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste. Also reagiert diese SISSY mit zwei SchwerAllein unter Palmen: „Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste“ (Seite 16) punkten: einem über Frauen, die ihre Filme zeigen – und einem über heterosexuelle Männer, die auf Männerbüste schauen. Dazwischen brechen Männerherzen am Lagerfeuer, der Homosexuelle, das muss mal wieder gesagt werden, ist immer noch nicht pervers und Xavier Dolan, der auch gerade einen Film in Cannes gezeigt hat, tanzt einen frauenlosen Tango.

MISSING FILMS

TITELBILD: EDITION SALZGEBER

Wir hoffen: Es ist für jede etwas dabei.

Titelbild: „Begegnungen nach Mitternacht“ von Yann Gonzalez (Seite 8)

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de SISSY 22     3


mein dvd -regal

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YANN GONZALEZ

Yann Gonzalez, Filmemacher

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CONCORDE FILMVERLEIH

MUTTERSOHN

— My mother made me a homosexual. — If I gave her the wool, would she make me one too? Graffiti, London

Liebe Mama, VON PAU L SCH U L Z

In „Maman und Ich“ setzt sich Guillaume Gallienne als Regisseur, Drehbuchautor und doppelter Hauptdarsteller zwischen alle Stühle. Seine autobiografische Tragikomödie darüber, wie es ist, wenn die eigene Familie einen für schwul hält, auch wenn man das selbst gar nicht so genau weiß, war der erfolgreichste französische Film 2013 und veranlasst Paul Schulz, einen Brief an seine eigene Mutter zu schreiben.

Maman und ich von Guillaume Gallienne FR 2013, 87 Minuten, deutsche SF, französische OmU Concorde Filmverleih, 3 www.concorde-film.de Im Kino ab 5. Juni 2014, 3 www.mamanundich-derfilm.de

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Es ist dann doch noch Sommer geworden, und ich sitze mitten in der Nacht mit Wein und Zigaretten bei sperrangelweit geöffneten Fenstern am Schreibtisch und „arbeite schon wieder viel zu spät“, wie du finden würdest. Was aber in diesem Fall wirklich nötig ist. Es ist so heiß, ich kann über Tag nur das Notwendigste denken. Zu meiner weiteren Verteidigung: Schuld an der Spätschicht ist Guillaume Gallienne. Der hat einen Film gedreht, der Maman und ich heißt (oder im französischen Original sehr viel schöner: Les garçons et Guillaume, à table!, „Die Jungen und Guillaume, zu Tisch!“), in dem er sich anderthalb Stunden lang mit seinem Verhältnis zu seiner Mutter auseinandersetzt. Gallienne ist einer von den Männern, die du hinter ihrem Rücken liebevoll „zart“ nennst und für ihre Einstecktücher magst. Er scheint schon immer so gewesen zu sein. Glaubt man seinem Film, liegt das an seiner „Maman“, die er so verinnerlicht hat, dass er sie im Film gleich auch selbst spielt. Was ihm nicht schwer gefallen sein wird. Seit frühester Kindheit war er in der Lage, sie am Telefon täuschend echt zu imitieren, und selbst sein Vater muss seinen Sohn schon sehen, um dessen Stimme von der seiner Frau unterscheiden zu können. Außerdem sitzt Guillaume wie seine Mutter, geht wie sie und versucht, sich genau wie sie zu kleiden. Was ihn vor allem deswegen zu einer kleinen Dragqueen in zu engen Hosen macht, weil seine Mutter eine relativ kalte Frau ist, auch wenn sie es mag, dass ihr Sohn eine lebende Hommage an sie ist. Selbst wenn Guillaume darunter ausgiebig leidet.


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Warum ich dir das alles erzähle? Weil es in Maman und ich eigentlich weder um das Kind noch um die Mutter geht, das ist nur der komödiantische Lack, den Gallienne auf seinen hübschen kleinen Streifen aufgetragen hat. Die eigentlichen Fragen lauten: Was ist das, ein schwules Kind? Woran erkennt man es? Und was macht man damit, wenn man es hat? Das solltest du wissen, schließlich hast du gleich zwei. Und weißt es nicht, weiß ich auch. Du kennst nur deine beiden Versionen. Den Fünfjährigen, der im Vordergrund eines 35 Jahre alten Fotos, das ich sehr mag, gerade dabei ist, zum Kinderfasching zu gehen. In einem weitschwingenden, aber knapp über seinen Kinderknien endenden roten Hängekleidchen, das sein Papa extra für ihn genäht hat. Mit einer großen, roten Schleife im bescheidenen Haupthaar, die exakt die gleiche Schattierung hat wie seine offenen, hochhackigen Schuhe und mit deiner kleinsten Handtasche bewaffnet. Im Hintergrund steht ein runder Vierjähriger in einem Katzenschlafanzug neben seinem Zwillingsbruder und betrachtet, während er am Daumen lutscht, etwas gelangweilt die Erscheinung vor sich. Ich habe damals nicht verstanden, was die Aufregung sollte, schließlich war mein großer Bruder schon immer so gewesen und das Kleid stand ihm wirklich gut. Ich konnte ja nicht wissen, dass mir meine frühkindliche Gelassenheit während des eigenen Coming-Outs auf die Füße fallen würde: „Dein Bruder, ja, natürlich. Aber du? Wie hätte ich das wissen sollen?“ Gute Frage. In Maman und ich weiß Guillaumes Vater Bescheid, als er sein Kind dabei ertappt, wie es sich einen Kaschmirpullover über den Kopf zieht, um eine strenge Frisur damit zu knoten, sein Deckbett mit einem Gürtel an den schmalen Hüften befestigt, so dass es ihn wie ein Reifrock umfließt, und dann so tut, als wäre er Magda Schneider in Sissi. Die strenge Mutter, die ihrer hysterischen Tochter erklärt, eine Kaiserin müsse nicht glücklich sein, sondern nur ihrer Pflicht nachkommen. Diese Szene, die es in Sissi wirklich gibt, ist, so will es die Phantasie des Film-Kindes, an Originalschauplätzen gedreht und endet erst mit dem Auftritt von Guillaumes Vater, der in seinem Büroanzug so gar nicht in den Palast passen will. Dafür versucht er in Erfahrung zu bringen, was das Ganze eigentlich soll. „Mir ist nachts immer furchtbar kalt“, antwortet der Sohn in seinem Daunenkleid. Woraufhin Papa erst mal die Heizung aufdreht und sein Kind dann für zwei Jahre auf ein englisches Jungen-Internat schickt. Sissi mochte ich auch immer sehr. Um genau zu sein, konnte ich, bevor ich zehn war, große Teile der Filme mitsprechen. „Aber das konntest du mit einer ganzen Reihe von Filmen. Victor/Victoria zum Beispiel. Und diversen Büchern. Ich war immer stolz auf dein hervorragendes Gedächtnis.“ Stimmt. Ich habe mir dabei ja auch nichts weiter gedacht. Jedenfalls nicht oft. Und englische Jungeninternate? Die kannten wir nur aus Büchern. Wo sie auch nicht anders waren, als in Maman und ich: Ein Hort der hormonell übersteuerten Jungmännlichkeit, an dem Bübchen wie Guillaume in gleich mehreren Sportarten schlecht sein können. Wo man gehänselt wird. („An zwei Jahren Hazing stirbt man nicht“, befindet Maman.) Aber wo man auch wenigstens einen Freund findet. In den man sich dann verliebt. Als Guillaume das im Sommerhaus seiner Eltern seiner Erzeugerin gesteht, passieren zwei Dinge: Maman reagiert verständnisvoll („Das macht doch nichts. Viele von denen leben ein glückliches Leben.“ „Was meinst du mit ‚von denen‘?“ „Also, ich werde das nicht auch noch aussprechen. Du wirst doch wissen, was du bist. In zehn Minuten gibt es Abendbrot.“). Und seine Brüder versuchen, ihn zu ertränken. Nicht so schön. Als ich das erste Mal in einen Jungen verliebt war, hast du davon nichts mitbekommen. Niemand wusste das. Derjenige welche weiß es bis heute nicht. Ist vielleicht auch besser so. Denn er hatte schon damals mit seiner Freundin alle Hände voll zu tun. Sie war für unser Alter außergewöhnlich gut entwickelt. Und einen Pool, in dem man mich vielleicht hätte ertränken können, hatten wir auch nicht.

Nach einem Selbstmordversuch (doch, der Film ist wirklich eine Komödie!), der dadurch ausgelöst wird, dass der Geliebte ihn abweist, muss Guillaume zu mehreren Psychiatern und wird vom Militärdienst befreit. Seine Tanten eilen zu Hilfe. Beide sind verschrobene Modelle, die solche Sachen sagen: „Ich war auch auf einem Internat. Weil ich wusste, dass man vor der Ehe keinen Sex mit einem Mann haben soll, habe ich einfach mit allen Mädchen geschlafen. Lesbisch bin ich deswegen aber noch lange nicht.“ Immerhin hat die besser gekleidete der beiden einen guten Ratschlag für Guillaume: „Probier es einfach aus. Wenn du es gut findest mit Männern, bist du eben schwul. Wenn nicht, dann nicht.“ Ich hatte keine Tanten, die so was gesagt hätten, aber gute Freundinnen, die diese Rolle übernahmen. Ja, Mama, es war genau wer du denkst. Und ja, das war der Grund, warum wir damals kein Paar geworden sind. Ich verstehe, dass dir das heute manchmal immer noch leid tut. Sie ist wirklich eine bemerkenswerte Frau. War sie damals schon. Guillaume tut wie ihm geraten und probiert es, genau wie ich, einfach aus. Und stellt sich dabei ähnlich bescheuert an. Erst landet er am Stadtrand fast in der Mitte eines Gangbangs, dann fällt ihm frisch geduscht im Angesicht seines ersten nackten Kerls auf einmal auf, dass er Angst vor Pferden hat und er nimmt Reißaus. Wo sich die Wege dieses und deines Kindes trennen. Ich bin nicht weggelaufen, im Gegenteil, ich bin wieder hin. Warum Guillaume da so anders ist als ich, stellt sich heraus, als er sich das erste Mal richtig verliebt, ohne darüber nachzudenken, was seine Mutter wohl davon halten könnte: Es ist eine Frau, die sein Herz zum Singen bringt. Der Gute ist gar nicht schwul, nur tuntig. Aber woher soll man das wissen, bei einem Kind? Man kann ja schlecht fragen, stimmt’s? Warum eigentlich nicht? Das fragt Guillaume seine Mutter auch und versteht dabei, dass sie nicht gefragt hat, weil sie wollte, dass er schwul ist. Weil sie einen Jungen wollte, der neben ihr keine anderen Frauen liebt. Was ich ein bisschen unglaubwürdig finde. Das liegt wahrscheinlich daran, dass du es soviel besser gemacht hast und ich mir deswegen zweierlei nicht vorstellen kann: Erstens, dass eine Mutter ihr Kind so behandelt. Und zweitens, dass ihr Kind sie dann noch genug liebt, um erst ein Theaterstück über sie zu schreiben und das, wegen des großen Erfolges, dann zu einem noch erfolgreicheren Film zu machen. Ach so, ja, jetzt, wo du es sagst: Das Kuckucksei, mein schwuler Lieblingsfilm. Auch ne böse Mutter. Aber auch eine, die ihr Kind total falsch liebt. Wenn auch völlig anders als die in Maman und ich. Die glaubt ja zu wissen, was sie da hat und lässt weder ihren Sohn noch sich selbst davon durch irgendetwas abbringen. Was sie wirklich lassen sollte. Schließlich wissen Kinder meistens relativ früh selber, was sie sind. Auch wenn das bei Guillaume Gallienne anders war. Und diese Kinder sagen das ihren Müttern dann schon irgendwann von selbst. Das dauert nur deswegen unterschiedlich lange, weil unsere Gesellschaft so mit Geschlechterrollen und sexuellen Vorgaben zugestellt ist, dass ein Kind sich nicht mal einen Kaschmirpullover auf den Kopf setzen kann, ohne dass jeder gleich sonst was denkt. Und das kann dazu führen, dass das Kind das dann auch denkt. Was es wirklich lassen sollte. Fassen wir also zusammen: Was schwule Kinder sind, wissen nur schwule Kinder. Und auch aus Maman und ich erfahren wir das wieder nicht. Was wir erfahren: Jungs, die genauso sind wie ihre Mütter, können das auch nur deswegen sein, weil sie Frauen so toll finden. Ja, du hast Recht: Ödipus Schnödipus. Aber ein wirklich guter Film. Der Wein ist alle, ich mach mal Schluss. Vergiss nicht, dass wir nächste Woche zusammen in Godzilla gehen. Ich freu mich schon. Mitternächtliche Grüße, dein Sohn

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ZÄRTLICH IST DIE NACHT VON SA SCH A W E ST PH A L

Seltsame Gäste erscheinen zur erotischen Soiree eines jungen Paares und ihrer hedonistischen Haushälterin: ein Teenager, ein Star, ein Hengst und eine Schlampe. Eine Musicbox findet die richtige Musik zu ihren Geschichten. In Cannes hat sich das französische Publikum im letzten Jahr gleich in Yann Gonzalez’ Spielfilmdebüt „Begegnungen nach Mitternacht“ verliebt. Das hat aber auch nicht so viele Schwierigkeiten mit schwer einzuordnenden Filmen. Wie werden die Filmfans hierzulande darauf reagieren? Unser Autor schlägt eine Nachtwanderung vor.

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Tonight I love you / Tonight I dream of you Tonight I want you / Tonight I shall melt with you Othon Mataragas, Tonight

Ein Film der Nacht. Dunkel und melancholisch, exaltiert und exzessiv. Wild wie der Rausch zufälliger Leidenschaft, betörend wie der Trost zärtlicher Liebkosungen. Hemmungslos und polarisierend, radikal und eigenwillig. Diese Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Schließlich spricht Yann Gonzalez’ Spielfilmdebüt seinen Betrachter ganz direkt an … nein, das stimmt so nicht. Das ist viel zu zurückhaltend, viel zu moderat. Begegnungen nach Mitternacht spricht nicht nur zu einem, er springt einen gleich an … schon mit seiner ersten Szene, einer delirierenden Traumvision von einem schwarz gekleideten Fremden auf einem Motorrad, der eine junge Frau mit halblangem, im Fahrwind wehenden Haar entführt. Er entreißt sie dem Mann, auf den sie doch warten wollte. Doch der kommt etwas zu spät, musste zu spät kommen – das liegt in der Logik des Traums – und bleibt alleine zurück. Ein Verlassener, aber auch eine Chimäre, ein doppeltes Traumbild, dessen Züge unscharf bleiben, verloren im Dunkel der Nacht. In einem Interview mit Mathieu Macheret gesteht Yann Gonzalez freimütig ein, dass diese Szene „praktisch gestohlen ist“ … aus Alain Robbe-Grillets bizarr-bedrohlichem Traumspiel Die schöne Gefangene (1983). Das schwarze Motorrad in der Nacht, die dünnen Nebelschwaden, die so dekorativ durchs Bild ziehen, und Kate Morans Ali, die tatsächlich eine vage, eher unterschwellige Ähnlichkeit mit Robbe-Grillets von Cyrielle Clair gespielter Sara Zeitgeist hat. So erschafft Yann Gonzalez umgehend eine Art filmischen Echoraum, eine Welt, die unzweifelhaft etwas ganz Eigenes hat und dabei doch durchlässig für Assoziationen und Querverbindungen ist. Es geht also gar nicht so sehr darum, ob der Zuschauer nun RobbeGrillets verwunschenes Traumgeflecht, in dem Vergangenheit und Zukunft die Gegenwart mehr und mehr überlagern, und sich rätselhafte Erinnerungen ständig mit düsteren Vorahnungen vermischen, kennt oder nicht. Schon in diesen ersten Einstellungen hallen so viele Erinnerungen und Erfahrungen wie auch Bilder und Mythen nach, dass jeder in ihnen eine oder eben seine eigene Welt entdecken kann. Alis Vision von dem Motorradfahrer zeugt auch von einer Sehnsucht nach einem anderen Kino, einem Kino, das einen in jeder Hinsicht umschließt und gefangen nimmt … eben wie ein Traum, in den man tiefer und tiefer eintaucht, in dem man sich entweder ganz verliert oder auch selbst findet. Hush, may I ask you all for silence? / The dreamer is still asleep

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Othon Mataragas, The Dreamer Is Still Asleep

Schlaf … Traum … Kino. Im Idealfall findet während des Sehens von Begegnungen nach Mitternacht ein quasi alchemistischer Prozess statt, ein Verschmelzen von Betrachter und Film, Kunst und Leben. „Tonight I shall melt with you …“ Natürlich wird es nicht jedem so ergehen. Aber wer einmal in Gonzalez’ Nachtstück versunken ist, wird sich nicht mehr von ihm lösen können. Es gewinnt dann eine wunderliche, bewusstseinsverändernde Macht über einen. Die durch und durch künstliche Welt, die der französische Filmemacher hier aus Zitaten und Allusionen, aus Farben und Musik, aus Sehnsüchten und Ängsten webt, wächst und wächst in einem fort. Sie verbindet sich mit anderen Filmen und Kunstwerken, Romanen und Liedern zu einem labyrinthischen Ganzen. Eine eigene, parallele Welt, in der Jean Coteaus Orpheus und Othons grandioser Songzyklus „Digital Angel“, Luis Buñuels Würgeengel und die Gedichte von Charles Baudelaire genauso ihren Platz finden wie Alain Robbe-Grillets surrealistische Filme und Jean Genets Außerseiter-Balladen. In den frühen 1980er Jahren gab es schon einmal eine kurze Revolte für ein anderes Kino. Damals entstanden neben Alain RobbeSISSY 22     9


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Grillets Die schöne Gefangene und Jean-Jacques Beineix’ NeonNacht-Poem Der Mond in der Gosse (1983) in Frankreich mit Francis Ford Coppolas Einer mit Herz (1982) und Paul Schraders Nachzügler Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln (1985) auch in Hollywood Filme, die das Künstliche als Freiheit feierten. Doch selbst in dieser Zeit, als die Popmusik im Zeichen der New Wave und der New Romantics stand und das Kino sich deren Ästhetik mehr und mehr öffnete, standen diese Filmemacher auf verlorenem Posten. Ihre radikalen Vorstöße in ein Reich, in dem sich die Wirklichkeit dem Traum unterordnet, in dem das Unbewusste die Welt in seine grellen Farben tönt, fanden keine Nachahmer. Ihre Filme wurden verrissen und erst einmal vergessen, während sie selbst einlenkten oder sich wie RobbeGrillet mehr oder weniger vom Kino zurückzogen. Nun, 30 Jahre später, wagt Yann Gonzalez noch einmal den Ausbruch aus den herrschenden Konventionen. In einer Zeit, in der das Weltkino entweder dem Realismus huldigt und sich weitgehend asketischen Kunstidealen verpflichtet hat oder aber versucht, den vorherrschenden Dogmen und Tendenzen durch die Flucht ins Genre zu entkommen, gleicht sein Spielfilmdebüt einem Fremdkörper. Zudem verweigert sich seine Rückkehr zu den Ideen und Ästhetiken der 1980er Jahre allen typischen Retro-Moden, die das Vergangene entweder nostalgisch verklären oder aber ironisch brechen. Gonzalez ignoriert einfach die vergangenen Dekaden. So wie in der Geschichte, die er erzählt, Zeit mehr oder weniger bedeutungslos ist und Gefühle ihre eigenen Ewigkeiten erschaffen, scheint auch sein Film regelrecht aus der Zeit heraus gefallen. Vergangenheit und Gegenwart, Zukunft und Illusion werden eins in Gonzalez’ Welt. Die Idee einer Juke-Box, die von den Stimmungen der Menschen gesteuert wird, die ihre Emotionen, ihren momentanen Gefühlszustand ‚liest‘ und dann darauf reagiert, ist pure Science-Fiction … aber eben aus dem Geist der 1980er Jahre. Das Innere wird nach Außen gekehrt und verwandelt sich in mal treibende, mal düstere Beats, während flackernde Lichter den Raum in ihre Farben tauchen. Wie leicht hätte dieser Einfall in reines Augenzwinkern oder gar ins Absurde abgleiten können. Aber Gonzalez nimmt auch dieses futuristische Wunderwerk, das seiner Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit entsprungen ist, ganz ernst. Die Ironie, mit der Xavier Dolan, der andere große Schwärmer und Träumer unter den jungen Filmemachern unserer Tage, seine flamboyanten Exzesse abmildert, liegt ihm gänzlich fern. In der Welt von Begegnungen nach Mitternacht gibt es weder Abkürzungen noch Fluchtwege. Man muss sie aushalten, die Visionen von Glück und Schmerz genauso wie die höchsten und die abgründigsten Gefühle … oder sich ihnen gleich verweigern. I was young to have met you / Our love being so real Enthusiastic promises / Were made by your side Othon Mataragas, Digital Angel III: Brave New World

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Verbunden durch die Jahrhunderte, vereint in einer Liebe, die stärker ist als der Tod und die Zeit. Das sind Ali und Niels Schneiders Matthias, dieser Jüngling voller Schönheit und Trauer, dem die Nacht und die Schatten der Toten immer auf den Fersen sind. Als sie ihre Geschichte von einer Liebe so rein und so wahr, dass sie die Hexe Udo (Nicolas Maury) und ihre Zauberkünste auf den Plan gerufen hat, erzählen, schlägt der Film eine seiner wunderbaren ästhetischen Volten. In Bildern, die zugleich an frühe Renaissance-Gemälde und die Filme von Jack Smith erinnern, die etwas Verwunschenes und auch etwas Heiliges haben, beschwört Gonzalez eine Zeit jenseits der Zeit herauf. Liebende, die sich finden, nur um sich schon bald im Krieg zu verlieren und dann auf einem Friedhof wieder zusammenzukommen … mit Udos Hilfe, zu der auch eine exaltierte schwarze Messe gehört, eine Anrufung Luzifers, die Kenneth Anger und das englische Horrorkino der 1960er und frühen 1970er Jahre gleich mit heraufbeschwört. Der Teufel als orpheischer Gott, Freund und Beschützer der Liebenden. The sky turns black / The stars are falling The sea bleeds / The birds are crawling The moon is hiding / All cats are crying When I leave you Othon Mataragas, When I Leave You

Seither, Jahrhunderte sind vergangen, leben Ali, Matthias und Udo zusammen. Aus der Hexe des 14. oder 15. Jahrhunderts ist im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Bürgerlichen, eine Zofe geworden. Eine Entscheidung, die Udo getroffen hat, weil sie die Uniform der Dienstmädchen so schätzt. Das Spiel der Geschlechter, das ihre transsexuelle Identität von Anfang an ganz offen gehalten hat, erhält durch diese Verwandlung, diese Maskerade, noch eine weitere Dimension. Udo und die Liebenden zitieren die klassischen bürgerlichen Machtverhältnisse, die immer auch Klassenverhältnisse waren. Doch in Wahrheit setzen diese drei sie ganz außer Kraft. So klar die Verhältnisse äußerlich sein mögen, so fließend sind sie in Wirklichkeit. Natürlich dient Udo dem Paar und mehr noch ihrer Liebe. Aber zugleich dienen die beiden mit ihrer Liebe ihr, die sich an ihr erfreut und nährt. So bilden diese drei letztlich eine Einheit, eine andere Heilige Dreifaltigkeit. Immer wieder zitiert Yann Gonzalez die klassische christliche Ikonographie. So auch zu Beginn, als Ali aus ihrem Traum erwacht und den sterbenden Matthias im nächtlichen schneebedeckten Garten in ihrem Schoß wiegt. Eine Pietà, die sich schließlich durch Udos Anwesenheit verwandelt. Aus dem Monument der Trauer und des Schmerzes über den Tod wird ein Bacchanal des Lebens. Udo holt Matthias mit einem Handjob zurück in die Welt und ins Bewusstsein. Die Lust weist den Tod, der allgegenwärtig ist – einst hatte er Matthias ein Auge genommen und ihn damit gezeichnet – ein weiteres Mal in die Schranken. Doch das Dunkel breitet sich aus. No trumpets but pianos and melancholic techno … Othon Mataragas, The Epitaph of God

Niels Schneiders Matthias, der schöne, der rätselhafte, der versehrte, der so unendlich traurige Zurückgekehrte, ist das eigentliche Zentrum der Erzählung, auch wenn Ali ihr Motor ist. Genau auf der schmalen Grenze zwischen Leben und Tod stehend, kennt er die andere Seite und kommt einfach nicht mehr von ihr los. Nicht Jesus, aber eben auch nicht Orpheus, der fast alles für seine Liebe getan hat, eher schon Eurydikes Bruder … schwermütig und passiv, alles wissend und auch alles vergebend, aber nichts vermögend. Nur die Leidenschaft, die höchste Intensität der Gefühle, kann ihn auf dieser Seite halten. Nur ist da nach den Jahrhunderten zusammen mit seiner großen Liebe eine Müdigkeit, eine Sehnsucht nach dem Tod, gegen die Ali


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so verzweifelt wie vergeblich mit ihren Partys und Orgien ankämpft. Und so kommen sie alle, La Chienne (Julie Brémond), L’Adolescent (Alain Fabien Delon), L’Étalon (Eric Cantona) und La Star (Fabienne Babe), und können gleichwohl nichts ändern. Gestalten der Nacht, deren Namen schon alles sagen und doch nichts erzählen. Die Schlampe, der Teenager, der Hengst und die Diva, Treibende auf den Wellen des Lebens, Außenseiter, allein und verlassen, und wie das Dreigestirn aus Ali, Matthias und Udo Poeten im Herzen.

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Ten million boys and glorious sinners / March silently through the night Shining with torches / Leading the world behind Dried blood on our fingers / Dried sperm in our mouths Othon Mataragas, The Epitaph of God

Auf dem Höhepunkt, bevor alles wieder auseinander strebt und der Tag den Traum vertreibt, die Andeutung einer Orgie. Paare und Konstellationen, ständig wechselnd. Polyamourös. Keine Grenzen anerkennend wie der Film selbst auch. Zuvor jedoch erst einmal ein Kaleidoskop der Geschichten und Phantasien. Der Hengst erzählt von einer Verhaftung und einer sadomasochistischen Kommissarin (Béatrice Dalle). Die Schlampe träumt von Männern und von ihrer Mutter. Der Jugendliche berichtet vom Durchstreifen der Nacht, von flüchtigen Begegnungen, absoluter Freiheit und einem Leben ohne Konventionen. Und die Diva beschwört ein Phantomkino herauf, einen Ort, an dem Träume zu Filmen werden, Sehnsüchte Bilder gebären. Für Momente sind sie sich alle ganz nah, erkennen den anderen und damit zugleich auch sich selbst. Begegnungen nach Mitternacht ist ein Film, der perfekt in das von der Schauspielerin, die sich in einer inzestuösen Liebe verzehrt, imaginierte Phantomkino passen würde. Noch auf 35mm gedreht und selbst in seinen Tricksequenzen weitgehend analog realisiert, den Tag in Nacht verwandelnd, ist Gonzalez’ Erstling selbst eine Art Phantom. Einer Vergangenheit entrissen, die immer schneller im Dunkel einer geschichtslosen Gegenwart zu versinken droht, gleicht er einem Traum. Oder sollte Gonzalez der neue Orpheus sein? Dann hätte er Begegnungen aus einem Totenreich der Kinobilder zurückgebracht, und es wäre an uns, ihn und alles, wofür er steht, am Leben zu erhalten. And as I walk / To the beautiful land of the sun and the snow I pray to the Mighty One to show me The Way Othon Mataragas, Greater Feast Massacre

Zuletzt dann noch einer der vielleicht schönsten Sonnenaufgänge der Kinogeschichte. Ein Wintermorgen auf einer ländlichen Straße. Das rotglühende Licht der Sonne fällt auf eine neue Familie, die sich gerade gefunden hat. Der Kampf gegen den Tod geht weiter, wenn auch in einer anderen Konstellation. s

Begegnungen nach Mitternacht von Yann Gonzales FR 2013, 93 Minuten, französische OmU Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de Im Kino ab 10. Juli 2014

»Alte Männer hassen diesen Film!« I N T E RV I EW: T HOM A S A BE LTSH AUSE R

SISSY: „Begegnungen nach Mitternacht“ ist ein merkwürdiger Film, bizarr und komisch, sexy und verstörend. Yann Gonzalez: Oh, vielen Dank. Was stand am Anfang dieser nächtlichen Orgie? Ich wollte ganz unterschiedliche Leute in einem Raum versammeln, ein Kammerspiel. Da es mein Langfilmdebüt ist, wollte ich es so einfach wie möglich halten. Anfangs dachte ich, dass man es vielleicht sogar ganz ohne fremdes Geld machen könnte. Aber beim Schreiben ging dann doch meine Fantasie mit mir durch und es kamen etliche imaginierte Szenen und Traumsequenzen dazu, die an anderen Orten spielen. Da fing es an, teuer zu werden. Ein Kammerspiel könnte ja alles Mögliche sein, ein Gerichtsdrama etwa … Ich war schon immer von Sexualität besessen, auch meine Kurzfilme handeln davon. Ich finde, Sex ist ein guter Ausgangspunkt, um über Identität zu reden, über unsere Psyche, Gefühle und Träume. Und mir gefiel es, Begegnungen zu entwickeln, die sehr sexuell aufgeladen beginnen und dann in etwas Sanfteres, Weicheres übergehen. Wie hast du diese Begegnungen dann entwickelt? Ich hatte beim Schreiben zwei Filme im Kopf: Breakfast Club von John Hughes, in dem sieben Schüler einen Nachmittag lang nachsitzen müssen. Jeder von ihnen wirkt am Anfang wie ein Stereotyp, doch diese Klischees brechen immer mehr auf und sie werden zu dreidimensionalen Charakteren, die im Laufe dieses Nachmittags zueinander Beziehungen aufbauen. Wie da Freundschaften gezeigt werden, hat mich immer fasziniert und ich liebe diesen Film seit meiner Kindheit. Und der andere Film? Das ist Der diskrete Charme der Bourgeoisie von Luis Buñuel. Darin treffen sich Leute zu einem Abendessen, das aber nie stattSISSY 22     11


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findet, weil es ständig irgendwelche Unterbrechungen gibt, genau wie bei mir mit dem Sex. Aber es gibt ein paar explizite Szenen in deinem Film … Stimmt. Aber er ist nie Mittel zum Zweck, sondern immer an Emotionen geknüpft. Du zeigst aber Dinge, die man sonst außer bei etwa Travis Mathews im Kino nicht zu sehen bekommt wie … Einen gigantischen Penis! Ich mochte I want your Love von Travis Mathews nicht besonders, diese Mischung aus Charakterstudie und Porno, keins davon richtig entwickelt. Ich fand den ein bisschen seicht. Aber im Allgemeinen ist das Kino heute doch viel prüder als in den 70er oder 80er Jahren, und ich habe meinen Film auch als Reaktion auf diese Angst vor Sex gemacht. Ich bin mit Filmen aufgewachsen, die sehr viel gewagter waren als das heutige Kino, und ich bin da sehr nostalgisch. Die repräsentierte Sexualität war damals aber vor allem heterosexuell. Bei den „Begegnungen“ ist das sehr viel offener … Es ist ein Queerfilm, ja. Jeder Charakter ist offen für Männer und Frauen, sie reden noch nicht einmal über ihre Orientierung. Ich mag diese Labels wie gay oder bi nicht. Queer ist da als Begriff sehr viel großzügiger. Ist das eine Utopie, die du da zeigst? Oder hältst du Sexualität tatsächlich für f ließend? Das ist natürlich eine Art von Wunschvorstellung. Filme dürfen träumen. Auch wenn ein Film nicht die Macht zur Veränderung hat, kann er doch Hoffnung machen. Apropos Penis: Die Rolle des Hengstes spielt Ex-Fußballstar Eric Cantona. Wie hast du ihn dazu gebracht? Wie alle anderen: Ich habe ihm mein Drehbuch und meine Kurzfilme geschickt. Als er sich mit mir getroffen hat, meinte er, er habe 12     SISSY 22

das Drehbuch oberflächlich gelesen, aber das sei auch nicht so wichtig, er liebe meine Kurzfilme und will dabei sein. Er war ja schon immer anders als die anderen Fußballer, mehr ein Performer. Er ist ein verrückter Typ und zugleich sehr bescheiden. Ich liebe ihn. In einer Szene kriecht er in Unterhose auf allen Vieren vor Béatrice Dalle als russischer Dominatrix … Vor der Szene hatte er schon ein bisschen Angst. Aber das war auch gegen Ende der Dreharbeiten und ich glaube, ich hatte durch die vorherigen Sequenzen sein Vertrauen gewonnen. Und ich habe ihn zu nichts gezwungen. Man merkte nur, dass er ein bisschen Lampenfieber hat. Wie haben Sie Charaktere entwickelt? Jeder von ihnen spielt im Grunde ein Instrument mit verschiedenen Tönen. Meine Aufgabe war es, die richtige Kombination aus Stimmen und Gesten zu finden, um daraus ein harmonisches und emotionales Ganzes zu machen. Viele wirken vielleicht etwas überzogen, aber darum geht es auch: das Unmögliche möglich machen. Der Film handelt von einer Orgie, und das soll er auch sein: eine Orgie verschiedener Bilder und Geschichten. Im Raum steht auch eine Jukebox, die von den Figuren immer wieder benutzt wird. Welche Rolle spielt Musik im Film? Sie reflektiert das Innenleben und die Emotionen meiner Figuren. Diese Maschine im Film spiegelt die Psyche der Charaktere wieder, je nachdem, wer Play drückt. Der Soundtrack stammt von dem bekannten Electroprojekt M83 … … das mein Bruder Anthony gegründet hat. Sonst hätte ich es mir auch nicht leisten können. Davor hat er den Score für den Tom Cruise Blockbuster Oblivion geschrieben, was ziemlich hart war, weil er dauernd von

Studioleuten kontrolliert wurde. Bei meinem Film fühlte er sich sehr viel freier. Welche Vorgaben hast du ihm denn konkret gemacht? Wir arbeiten auch bei M83 schon länger zusammen, ich schreibe die Lyrics und er hatte auch die Musik zu meinen Kurzfilmen gemacht. Wir sind mit den gleichen Platten und Filmen aufgewachsen, deswegen war das ganz einfach. Ich schickte ihm als Anregung ein Dutzend Songs, die ich im Kopf hatte. Ganz unterschiedliche Sachen, Electrotracks, französische Filmmusik aus den 70ern und viel deutscher Krautrock von Tangerine Dream und Ash Ra Tempel. Als Teenager hörte ich den Soundtrack zu Philip Garells Film Le Berceau de Cristal von Ash Ra Tempel rauf und runter, ich war besessen davon. Ich würde wahnsinnig gerne einen Film über diese Krautrockbands machen, keine Dokumentation, sondern eine Mischung aus Fiktion und Traumsequenzen. Wie kamst du zum Filmemachen? Ich habe Filmwissenschaften studiert und hatte eine herausragende Professorin, Nicole Brenez, ein Experimentalfilmguru. Durch sie lernte ich all die großartigen Filmemacher wie Kenneth Anger, Maya Deren, Jonas Mekas und Stan Brakhage kennen, aber auch Eisensein, Godard, Ferrara … Das öffnete mir den Blick für ein völlig anderes Kino und ich fing an, mir Gedanken darüber zu machen, wie man experimentell in klassischen narrativen Strukturen arbeiten kann. Der Film feierte letztes Jahr in Cannes Premiere. Wie war danach der Filmstart in Frankreich? Trotz guter Kritiken etwas enttäuschend, weil er in Paris nur in zwei Kinos lief. Viele Kinobetreiber sind alte Männer und die haben den Film gehasst. Und es ging gar nicht so sehr um den Inhalt, sondern um die Ästhetik. Ihnen gefiel das Artifizielle daran nicht. Sie haben dem Film einfach nichts zugetraut. Du bist ganz sicher eine neue Stimme im französischen Queer Cinema. Aber weißt Du schon, wie es weitergeht? Queer interessiert mich auf jeden Fall mehr als gay. Mein neues Projekt spielt in der schwulen Pornoindustrie der 70er Jahre. Es geht um eine französische Produzentin und Regisseurin, deren Geschichte ich vor einiger Zeit entdeckt und über die ich recherchiert habe. Ein sehr interessanter Charakter. Aber was die Finanzierung angeht, bin ich recht naiv, ich hoffe einfach mal, dass wir das Budget zusammenbekommen. Ich beschränke mich beim Schreiben nicht, sondern entwickle mein Traumprojekt, wie ich es mir vorstelle. Erst danach beschäftige ich mich mit den Herausforderungen, das sollte man nicht schon beim Schreiben tun, das halte ich für Selbstzensur. s


kino

KOOL FILMDISTRIBUTION / CL ARA PAL ARDY

ÜBERMANNTER NARZISS VON F R É DÉ R IC JA E GE R

Nach der barocken Maßlosigkeit von „Laurence Anyways“ (SISSY 18) übt sich Xavier Dolan mit seinem aktuellen, aber nicht neuesten Film (der lief gerade im Wettbewerb von Cannes) „Tom at the farm“ in Reduktion und Kammerspiel. Mit blondem Spliss und fragiler Statur liefert sich der von ihm gespielte Held einem rohen Milieu aus ländlicher Provinz und aggressiven Männertum aus – und das durchaus lustvoll.

s Schmerz ist ein Beginn. Oft kommt er als Schock und entfaltet seine Kraft doch erst nach und nach. Wenn Schmerz bleibt, die Dauer oder die Wiederholung für sich beansprucht, sich hinein bohrt in den Körper und bald jede Regung steuert, vielleicht ist der Mensch dann erst mit seinem Menschsein so richtig verbunden. Die universelle Sprache, nicht übersetzbar, aber jedem verständlich: Nichts weniger als das ist der Schmerz. Je tiefer er reicht, je stärker er einen übermannt, desto klarer wird der Horizont. Alle Perspektiven ordnen sich dem Unmittelbaren der körperlichen Plage unter, kein Gedanke wird mehr verschwendet. Die tiefste Betroffenheit lässt keine Zwei-

fel mehr zu, aus ihr wird geboren. Aus ihr entsteht das Wahrhafte. Für existenzielle Krisen, wie sie das Kino gerne zeigt, ist Schmerz die Grundlage, bevor die Ordnung wiederhergestellt wird. Aber Schmerz muss nicht zwangsweise überwunden werden. Denn manchmal ist er auch das lustvollste Ziel. Die Leidenschaft trägt die Bürde schon im Namen. Xavier Dolans vierter Spielfilm Tom at the farm zieht aus dieser Sehnsucht seine schwermütig funkelnde Erotik. Thomas (Dolan) will sich unterwerfen, denn er hat gerade seinen Freund Guillaume verloren. Er will sich dem Schmerz hingeben, alles über sich zusammenbrechen lassen. Doch Thomas ist keiner, der sich so leicht unterwirft. Er hat gelernt, sich anzupassen, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Im Stillen hält er dagegen. Er ist ein Fremder in der Quebecer Provinz, auf dem Hof, wo die Männer den Kampf nutzen, um sich ganz nahe kommen zu dürfen. Hier will er sein und wird er auch bleiben wollen, obwohl alles dagegen spricht. Er wird seinem Impuls widerstehen, vor der trauernden Familie, der ahnungslosen Mutter und dem brutalen Bruder zu fliehen – als er dazu noch die Möglichkeit hat. Seine Empfindsamkeit ist seine Last, aber auch eine Kraft. Mutige Empathie und sanfter Masochismus verbinden sich bei Thomas zu einer gefährlichen Neugier am Anderen. Und so findet er sich als freiwillig Gefangener auf dem abgeschiedenen Hof der Familie seines verstorbenen Freundes wieder. In den ersten Einstellungen des Films kritzelt Thomas schnell ein paar Worte auf eine Papierserviette, mit blauer Tinte schreibt er seine Trauer nieder. Er schöpft aus seinem Zustand, ist präsent und gleichzeitig kaum greifbar. Er steht mit der wilden, dreckig blondierten Mähne, mit der Lederjacke und den Cowboystiefeln auf dem Boden der Tatsachen, wenn er muss. Sein Leid teilt er mit der Familie nur indirekt, erst im Verborgenen lässt er den Gefühlen freien Lauf. Doch in seinen Worten, der geschliffenen Sprache, mit der er gegenüber SISSY 22     13


KOOL FILMDISTRIBUTION / CL ARA PAL ARDY (2)

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Mutter Agathe (Lise Roy) die Vielschichtigkeit seiner Beziehung zum Verstorbenen zum Ausdruck bringt, scheint bereits alles enthalten. Er testet die Grenzen aus, obwohl er gleich begriffen hat, dass sein Freund ihn der Mutter verschwiegen hat. Und Grenzen wird ihm der Bruder Francis (Pierre-Yves Cardinal) schon in der ersten Nacht aufzeigen, als er in sein Bett klettert und ihn mit allem Gewicht und aller Muskelkraft zum Schweigen bringt. Ab dem unheimlichen Überfall im Dunkeln ist die Anspannung gesetzt. Und Francis’ und Thomas’ Körper waren erstmals dicht beieinander. Thrill und Erotik gehen Hand in Hand. Tom at the farm ist in erster Linie ein eigensinniger Psychothriller. Sein Suspense breitet sich auf durchaus merkwürdige Weise aus. Xavier Dolan kanalisiert erstmals sein überbordendes Formbewusstsein im Rahmen einer stark reduzierten und konzentrierten Ästhetik. Die einzige explizite filmische Spielerei ist der Wechsel zwischen den Formaten: In drei Schlüsselszenen der Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern lässt Dolan langsam schwarze Balken oben und unten ins Bild gleiten, bis sie das breite Cinemascope-Format erreicht haben. Im Kornfeld und im Wald liegt es nahe, aber auch wenn sich die beiden vor einer Wand im Niemandsland mit aller Wucht in die Augen starren, scheint das Western-Duell nicht fern. Einmal werden der bullige Francis und der zierliche Thomas auch miteinander tanzen und auch da stehen die unablässigen Bewegungen von Unterwerfung und Aufbegehren im Raum. Es ist eine dieser irrealen Szenen, die sich nahtlos einfügt in eine längst nach völlig eigenen Regeln funktionierte Parallelwelt, die der Hof für deren Bewohner darstellt. Hier, wo durch die Tore unheimliche Sonnenstrahlen auf die zum Tanzsaal umfunktionierte Scheune fallen, scheinen die Herzen schon seit Jahren der Dunkelheit überlassen zu sein. Das Abwegige ist glaubwürdig. Thomas ist hinein geschlittert in einen Kosmos, dem er sich immer mehr übergibt, dessen Gesetze schon bald sein Denken einschränken. 14     SISSY 22

Es ist dies die Geschichte eines Helden, der vor sich selbst gerettet werden muss. Und in dieser Situation soll sich auch das Publikum wiederfinden: verlockt, hinabzusteigen mit Thomas, versucht, dort zu verweilen. Tom at the farm darf bei aller stilistischen Zurückhaltung, bei aller zeitlosen Eleganz nicht mit zu großer Distanz betrachtet werden. Dolan hat die Szenen so arrangiert, dass der Kamerablick oft ein subjektiver ist. Selbst wenn es nicht explizit Aufnahmen aus der Perspektive einer der Figuren sind, vermitteln die Bilder das Rätsel, das es heißt, in eine Welt geworfen zu sein, die einem nicht zu Füßen liegt. Eine Welt, die sich einem entziehen will und soll, vielleicht gerade um einen dann umso leichter gefangen zu nehmen. Gleichzeitig lässt Dolan die Einstellungen auch zu emotionalen Spiegeln der Befindlichkeiten seiner Protagonisten werden und erhebt sie so zu Sinnbildern, die den Psychothriller befeuern und transzendieren. Die Trauerfeier für Guillaume bietet hierfür einige gute Beispiele, weil sich dort mehrere Perspektiven und Erwartungen, Gefühlszustände und Geheimnisse kreuzen. Während Bruder, Mutter und Freund nebeneinander stehen und nacheinander in einem Crescendo des Unwohlseins fokussiert werden, tritt der Film mit dem Abspielen einer schnulzigen Chanson vom klobigen Kassettenspieler aus einem früheren Zeitalter hinein in die impressionistische Rückblende eines Karaokeabends, an dem die blondierten Haare von Thomas noch nicht so ausgewaschen waren. Wenn Dolan zurückschneidet ins Hier und Jetzt, ist Francis verschwunden. Mit den Augen von Thomas verfolgen wir eine Szene am Rande der Feier, die verborgene oder verdrängte Konflikte sichtbar werden lässt, ohne sie auszubuchstabieren: Männer schubsen sich an der Tür, mehr erfahren wir nicht. Kurz darauf entfaltet der Regisseur in wenigen, prägnanten Gruppenaufnahmen das Panorama eines ländlichen Publikums, hier ein unter dem Kragen mehr schlecht denn recht verstecktes Tattoo am Hals, dort ein unpassendes Kleid – und kontrastiert es mit dem Bild eines Ausgeschlossenen, der alleine in der Ecke sitzt, trotzig die Füße auf dem Tisch legend, tief in seinen Stuhl hineingelehnt: An seinem Nacken und dem starken Rücken erkennen wir Francis. In der nächsten Szene wird sich sein Frust wieder in Gewalt entladen. Nur wird die Gewalt von so sanften Gesichtszügen begleitet sein, dass die Toilette in deren Licht mehr an einen Zielort des Cruisings denn an den Tatort von Bullys denken lässt. Die beiden Männer reden Tacheles und doch spielt sich alles zwischen den Zeilen ab, in einem Zwischenraum, den die Fantasie des queeren Blicks füllen darf. Das Irreale, das die Aufnahmen immer wieder transportieren, mag auch dem Ursprung von Tom at the farm als Theaterstück geschuldet sein, wobei die Adaption, dessen Drehbuch der Bühnenautor Michel Marc Bouchard zusammen mit Dolan verfasste, mit einem Kammerspiel nur die reduzierte Zahl an Figuren und Settings gemein hat. Die Transposition ins Filmische, das stringente Ineinandergreifen von Landschaftspanoramen und ausschnitthaften Nahaufnahmen der Figuren, ist denn auch besonders gelungen – in aller Bescheidenheit eines offensichtlich klein und günstig angelegten Projektes. Einigen Dialogen und Situationen – vor allem dem späten Auftritt einer vierten Figur auf dem Hof, die den dritten Akt einläutet – haftet das Theatrale zwar noch an. Das ist aber nur insofern ein Nachteil, dass diese Szenen dazu verleiten können, die affektive Tauchstation zu verlassen und einen Aufblick auf die Struktur und die Funktionsweise des Dramas zu gewinnen. Im Horrorfilm ist ein solcher Wechsel der Rezeptionsmodi oftmals absichtlich zur Ausnüchterung zwischen besonders elektrisierenden Szenen eingebaut, der Psychothriller kann es ebenfalls vertragen – vorausgesetzt man bleibt deswegen nicht insgesamt außen vor. Eine der in Tom at the farm herausstechenden Szenen spielt sich am Esstisch ab, an dem die Mutter recht unverhofft zu Lachen beginnt. Eigentlich ein Augenblick, der eine dramatische Erleichterung bieten könnte, trotz und wegen der steifen Inszenierung verstärkt die Szene hinterrücks aber sogar noch die Anspannung. Denn Agathes Lachen ist kein freies –


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DER MEGA-ERFOLG AUS FRANKREICH!

MAMAN UND ICH

vielmehr ist ihre Erheiterung über die Schilderung einer schlüpfrigen Geschichte kalkulierter Ausdruck ihrer Rolle als Matriarchin, die im Haus und erst recht zu Tisch bestimmt, wann und worüber gelacht wird. Nebenbei führt sie die vom Sohn vorgebrachte angebliche Fragilität der alternden Frau, wegen der sie nicht von der Sexualität des Verstorbenen Bruders erfahren dürfe, ad absurdum. Dolan erweist sich einmal mehr als begabter Schauspielführer. Lise Roy hat die Rolle der Agathe bereits in der Theaterinszenierung gespielt. Auch sie muss hier also Transpositionsarbeit leisten und beherrscht tatsächlich die Großaufnahme genauso wie die Totale. Im Weitwinkel der Scheune ist sie die kleine aber standfeste Frau in Stiefeln und weiter Jacke, die die beiläufige Präsenz der Lebenserfahrenen ausstrahlt. An der Küchenzeile changiert sie von Betroffenheit zu Wut in Sekundenbruchteilen. Im Wohnzimmer ist sie die gütige, aber ununterbrochen wachsame Mutterfigur, der keiner etwas verbergen kann. Auch der zunächst nur über die Physis präsente PierreYves Cardinal als Francis wächst schnell über die anfängliche Eindeutigkeit eines seine Potenz beweisen müssenden Mannes hinaus. Doch die tatsächliche schauspielerische Entdeckung ist Dolan selbst. Bereits in seinen ersten beiden Filmen I Killed My Mother und Herzensbrecher hatte er sich selbst Hauptrollen gegeben. Seine Arbeit als Schauspieler bezeichnet er zudem immer wieder als seine große Leidenschaft. Obgleich inzwischen niemand mehr daran zweifelt, dass Dolan talentierter Autor und Regisseur ist, muss er sich nun gegen die eigene Künstlerpersona als Darsteller erst wieder durchsetzen. An Komplexität und Nuancen übersteigt seine Rolle in Tom at the farm auch in der Tat die früheren Figuren, die stärker an sein öffentliches Image anschlossen. Die zitternde Lust an Schmerz und Unterwerfung, an Widerstand und Selbstvergewisserung, die er leise und doch unmissverständlich zum Ausdruck bringt, lässt die Figur schillern und den Film leuchten. Dolan hatte sich vorgenommen, alles anders zu machen. Vielleicht ist es deswegen wenig überraschend, dass er, wie er bei der Premiere berichtete, selbst lange gebraucht hat, um sich mit dem Film anzuCOC_MN_5116_AZ_103x138.indd freunden. Erst die Musik habe ihn schließlich mit ihm versöhnt. Und das, obwohl er ursprünglich gar keine Musik für den Film wollte, im Glauben, sich auch in dieser Domäne neu erfinden zu können. Bei letzterem blieb es, bei ersterem nicht. Und so ist die dann doch eingesetzte Musik eines der Elemente, die den Film stark von den Vorgängern unterscheiden. Während insbesondere der Soundtrack von seinem Opus Laurence Anyways (2012) aber auch schon bei Herzensbrecher als heterogene Überwältigungsmaschine eines hochemotionalen PopMixtapes daher kam, erscheint die atmosphärische Klassik des eigens komponierten Scores von Gabriel Yared geradezu filigran und wie aus einem Guss. Und auch wer sich auf den nächsten, wieder eindeutiger Dolan-geprägten Pop-Film freut, darf sich in der Zwischenzeit an Tom at the farm erfreuen: dem stimmigen Gesamtbild eines nach wie vor eigenen, intensiven und diesmal besonders Genre-affinen Intermezzos in der bereits starken Filmografie des Quebecers. s

VON UND MIT GUILLAUME GALLIENNE

Tom at the farm von Xavier Dolan CA 2013, 105 Minuten, deutsche SF, französische OmU Kool Film, 3 www.koolfilm.de Im Kino ab 21. August 2014

Laurence Anyways von Xavier Dolan ES 2013, 90 Minuten, deutsche SF und französische OmU

Herzensbrecher von Xavier Dolan CA 2010, 95 Minuten, deutsche SF, französische OmU

Auf DVD bei EuroVideo, 3 www.eurovideo.de

Auf DVD bei Kool Film/Indigo, 3 www.indigo.de

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/mamanundich TV5MONDE PUBLIKUMSPREIS - 30. FRANZÖSISCHE FILMTAGE 2013 TÜBINGEN | STUTTGART

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Ab 26. Juni im Kino

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CANNES NICHT MEHR VON A I L E EN PI N K E RT

Statt ihren Kurzfilm in Cannes feiern zu lassen, hat die Potsdamer HFF-Absolventin Isabell Šuba eine Schauspielerin verpflichtet, ihre Identität als Nachwuchsregisseurin beim wohl glamourösesten Filmfestival der Welt zu übernehmen. Abgestoßen vom oberflächlichen Schein der männlich dominierten Filmbranche flüchtet sich die fiktive Isabell in dieser heiter-ironischen Mockumentary in auch für die Zuschauer anstrengende Streitereien mit ihrem Produzenten und neu entfachte Gefühle für eine Exfreundin. Ohne Drehgenehmigung, dafür mit Mini-Treatment, Digital- und Handykamera ausgerüstet, entstand ein experimentierfreudiges Langfilmdebüt, das im Januar beim Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde.

s Schauspielerinnen spielen Regisseurinnen. Produzenten spielen Produzenten. Palmen, Sonne, blauer Himmel. Yachten, Luxushotels und Haute Couture. Roter Teppich, Blitzlichtgewitter, glanzvolle Auftritte der Hollywoodstars. In Cannes trifft sich beim jährlichen Schaulaufen das Who-is-Who der Filmbranche. Mittendrin und irgendwie doch nicht dabei: Jungregisseurin Isabell Šuba, die vor zwei Jahren in der Sektion Next Generation Short Tiger ihren Kurzfilm Chica XX Mujer zeigte. An ihrer Seite und irgendwie doch nicht bei ihr: Filmproduzent David Wendlandt.

„Ich entscheide gerne selbst, was für mich ein Weltuntergang ist.“ Es ist kalt, es regnet. Der Wind zerzaust die Frisur schon am Busbahnhof. Cannes Beach Residence, Zimmer 299C. (Nicht viele empfehlen dieses Hotel bei den einschlägigen Touristikwebsites.) Direkt vor dem kahlen Balkon des kleinen Hotelzimmers, das sich Isabell mit vier Leuten teilen muss und das mit einer kaputten Toilette aufwartet, ist zwar das blaue Meer zu sehen, aber auch Güterzüge fahren hier regelmäßig vorbei. Neben „diesem Typen“ David an den Rand des Bettes geflohen, und unter dem Filmposter von Fellinis La Dolce Vita verschlafen, wird Isabell durch den Anruf einer Journalistin der Tagespresse geweckt: Zu spät, Termin verpasst. Das gilt auch für David: Er hat das neue Treatment von Isabell nicht gelesen, das die beiden eigentlich an der Croisette pitchen wollten. „Alles, was ich angefangen habe und du warst dabei, haben wir geschafft, ja.“ Wenn Isabell und David einmal nicht unterschiedlicher Meinung sind und damit gleich peinlich auf Dritte wirken, schweigen sie sich an. Nahaufnahme, Schnitt–Gegenschnitt. Nur immer eine/r wird von der DSLR fokussiert. Fragil von einem Moment zum nächsten. Ein schmaler Grat zwischen scharf und unscharf, Vorder- und Hintergrund, Spielball und Projektionsfläche. Zweifellos ist es die Spannung zwischen diesen beiden Figuren – Regisseurin und Produzent –, die das 87-minütige Langfilmdebüt trägt. „Ruf mich doch umgehend zurück, wie du auf deiner Mailbox sagst.“ Er ist ein Penis, der nichts hinkriegt, und sie ist unerträglich verbissen. Bevor die zwei aber doch noch vereint (leider ohne großen Erfolg 16     SISSY 22

bei der arte-Redakteurin Barbara Häbe, der Šuba in den Credits für ihr Schauspieldebüt dankt) pitchen, beschränken sich ihre Gemeinsamkeiten auf in der Postproduktion erzeugte visuelle Match-Cuts und Montagesequenzen. So am Flughafen von Nizza, wo die Kamera erst David, dann Isabell durch die Wartehallen folgt. Ungeduldige Blicke ins Leere, am Smartphone lediglich die Option, Fragen zu stellen und keine Antworten zu erhalten. Oder vor der Filmpremiere beim getrennt blutigen Rasieren in Begleitung exponierter metallischer Kratzgeräusche: Teils durch extreme Close-Ups, die mehr Informationen vorenthalten denn offenbaren, sind David und Isabell kaum voneinander zu unterscheiden. Wer enthaart sich da gerade die Füße?

„Aber ich mach nicht Hangover.“ Mit roten Pumps, getuschten Wimpern und dem passenden Lippenstift geht Isabell die sauber gefegten Promenaden entlang. Auf dem Plakat der 65. Filmfestspiele von Cannes ist Marilyn Monroe abgebildet: Unschuldig und lasziv zugleich formt sie ihre Lippen zur Geste des Auspustens einer Kerze, die in ihren Händen auf einer kleinen Torte thront. Wünsch dir was. Einer plumpen, ja fast resignierten Feststellung kommt Šubas Filmtitel Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste gleich. Dass keine einzige Regisseurin im Jahr 2012 im Offiziellen Wettbewerb vertreten ist (zwei Jahre später sind es immerhin schon mal zwei von 19), wird gleich mehrfach erwähnt. Der Kampf, einen Platz im Filmbusiness zu ergattern, ist wie in fast allen Branchen für Frauen noch heute wesentlich schwieriger als für Männer, weiß Isabell. Trotz ausgeglichener Anzahl weiblicher und männlicher Absolventen der größten deutschen Filmhochschulen erhalten Filmprojekte von Frauen in Deutschland nie mehr als drei Millionen Euro Förderung. David hakt nach: Was ist mit Hanni & Nanni? Überhaupt wäre ein Buddy-Movie doch besser als eine Westernkomödie, wie sie Isabell vorschwebt. „Der Film war zu leise.“ Die junge Regisseurin ist nicht wirklich zufrieden nach, bzw. mit dem Screening ihres Kurzfilms. Ob Kylie Minogue das auch aufgefallen wäre, ist eine anmaßende, wenn nicht unpassende Frage. Passend und glänzend dagegen war ihr großer Auftritt zur Premiere des Films Holy Motors. Im Bronzekleid glitzert sie mit ihrem breiten, weißen


MISSING FILMS

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Lächeln um die Wette: Seht nur hierher, ich kann auch Film. Isabell hat ihre Augen ähnlich starr wie Hunderte begeisterter Festivalbesucher auf die Riesenleinwand gerichtet, um die Australierin, die den Kinosaal soeben betritt, besser sehen zu können. Isabell sieht anders aus als die da oben. Isabell ist sich nicht sicher, was sie, was das hier soll. Frauen sollen hübsch aussehen und ein bisschen moderieren. Männer erledigen dann den Rest, das richtige Geschäft.

„Wir leben unseren Traum. Just do it!“ und weitere „leere Hülsen“ Im Dreiergespann ziehen David, Isabell und ihre Ex Viola, die die beiden zufällig bei einem ihrer verpatzten Termine getroffen haben, auf eine nächtliche DFFB -Filmstudentenparty in einer Hochebene über Cannes. Aus der Ferne großes Puffpaff des Feuerwerks. Wichtiger aber, die Augen offen zu halten und seinen Stehplatz im überfüllten Bus nicht zu verlieren. Peter Oldak, Producer einer kleinen Firma aus Hamburg, der sich vielleicht eines Tages wünschen wird, aus dem Film geschnitten zu werden, berichtet von den Strapazen der Hinfahrt im uralten Mini-PKW und tönt verherrlichend in die Lagerfeuer­atmosphäre hinein, dass wir eine Gemeinschaft bilden, Filmemacher sind und einen Grund zum Leben haben. Aus seinem unverfrorenen „Let’s do it!“ formuliert David auf dem Fußweg zurück ins Hotel zwar noch ein „Let’s try it!“. Aber selbst das ist Isabell zuwider. David sei eine Floskel, ein totes Stück Fleisch. Kein Gefühl für den Beruf. Getoppt wird die Groteske im Morgengrauen noch von Viola, die nach der Pitchmappe grapscht und sie nicht mehr loslässt. Sie will jetzt auch mal pitchen. Ein Spiel, in dem jede austauschbar ist. Substituier- und addierbar wie die Nummern der Hotelzimmer, die Stöckelschuhe und stark geschminkten Grinsegesichter der zufällig ins Bild geratenen und vom gleißenden Gegenlicht fast ausgelöschten It-Girls, wie die frivolen Namen der CannesTouristinnen am Swimmingpool und die Slogans auf den T-Shirts von Isabell. Smile if you’re gay / I love my wife Für unqualifizierte und sexistische Sprüche ist natürlich David in seiner Antagonistenrolle verantwortlich. Allein wegen ihrer Regenbogenshirts würde man ja sofort erkennen, dass Isabell „vom anderen Ufer“ sei. Wann entscheidet man sich dafür, dass man nicht normal

ist? Obwohl Isabell beim Knutschen mit Viola ihre Hände zärtlich unter deren Haaransatz einhakt und am Pool sachte Küsschen mit Molly Ullery austauscht, so fehlt ihr doch Laura, der sie inständig auf die Mailbox spricht. Auch hier scheinen die Shirts und deren Aussagen nicht nach innen gerichtet. Nicht happy, weil ich lesbisch bin. Was wirklich gut, vielleicht für einige auch enttäuschend ist an Šubas Film: Davids dumme Fragen erscheinen völlig obsolet, zumindest sicher der Mehrheit des Publikums, das dieser Film erreichen wird. Und auch in der Presse wird die Sexualität der Hauptfigur, zugegeben durch den extremen Metatext, den es zu beackern gilt, wenig bis gar nicht thematisiert. Auch die nichtfiktionale Isabell, die als Regisseurin von Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste Pressetermine wahrnimmt und die es als Fensterscheibenreflektion auch in den Final Cut geschafft hat, wird nicht nach ihrer Sexualität gefragt. Entweder sprechen die Shirts oder Šubas Filmografie für sich oder aber es ist eben so normal, dass es thematisch fast irrelevant vor dem Kontext des Films anmutet. Im Grunde ist Šubas Film eine Verwechslungskomödie ohne Verwechslung. Ein Film, der ohne Gage an fünf Tagen im Mai 2012 auf einem der lautesten Filmfestivals der Welt, so nebenbei, gedreht wurde und auch dank Crowdfunding im August in die Kinos kommt. Und das zurecht. s

Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste von Isabell Šoba DE 2013, 87 Minuten, deutsche OF Missing Films, 3 www.missing films.de Im Kino ab 14. August 2014, 3 www.maenner-zeigen-filme-und-frauenihre-brueste.de

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LESBEN. MACHT. FILME. Es gab kaum Filme von und über Lesben im letzten Berlinale-Programm. Das war auch dem Teddy-Jury-Präsidenten Marten Rabarts aufgefallen, der als langjähriger Leiter des Binger Labs weiß, wie es allgemein um den globalen Filmnachwuchs bestellt ist. Sein Aufruf „Frauen, macht mehr Filme! Nehmt eure iPhones, tut etwas!“ war gut gemeint als Strategievorschlag gegen schlechte Strukturen, er verlegte aber auch das Problem auf das weibliche Künstler-Individuum: Wenn du nichts machst, selbst schuld. Dabei wissen alle, dass es ein Problem gibt: Nur 15% Frauen arbeiten in den Gewerken der Filmindustrie, obwohl es genauso viele Filmhochschülerinnen wie Filmhochschüler mit Abschluss gibt. Selbst unter den Filmen, die jüngst explizit lesbisches Leben und lesbische Figuren erzählt haben, kamen viele von männlichen Autoren. Die Fragen also stellen sich: Fehlt ein weibliches Queer Cinema? Wird es verhindert? Oder übersehen wir es? Woran könnte das liegen? Und was hat das für Auswirkungen auf das Bild, dass wir uns von Frauen machen? SISSY hat vier Fachfrauen gefragt.

L vs. Q

EDITION SALZGEBER / MEGAN GHIROLI

Z

wei Aspekte des Teddy-Awards 2014 sollen hier zentral sein: Zum einen war da ein offener Brief, der darauf aufmerksam machte, dass zu wenige Filme mit lesbischen Figuren, zu wenig Lesbenfilme, in der Auswahl vorkamen. Zum anderen ist da eine Antwort eines JuryMitglieds des Teddy-Awards, die besagt, Frauen sollten doch einfach Filme machen. Den Wunsch nach mehr lesbischen Filmen kann ich gut verstehen. Doch sollte man ein paar grundsätzliche Gedanken zur Debatte nicht vorschnell abschmettern. Im Rahmen der Berlinale wird der Teddy als queerer Filmpreis vergeben. Als ein queerer Filmpreis muss die Diskussion und tatsächliche Existenz von Machtverhältnissen sehr ernst genommen werden, muss Film als queerer Film mehr sein als das Vorkommen von Figuren, denen klare Identitätspositionen zugewiesen werden. Der Teddy-Award ist keine eigene Sektion der Berlinale. Das heißt, es gibt – meines Wissens nach – kein dem Programm vorausgehendes Auswahlgremium, obschon der Teddy eng an die Sektion Panorama gebunden ist und hier schwul-lesbische und Transgender-Filme einen Schwerpunkt bilden. Die Filme, aus denen die Teddy-Jury die Preisträger_innen auswählt, werden zusammengestellt aus allen Sektionen des Festivals. Das Vorkommen lesbischer Figuren im Film könnte ein Kriterium für die Aufnahme eines bereits für die Berlinale ausgewählten Films in die Liste des Teddy-Awards sein. Wenn nun nicht besonders viele Filme mit lesbischen Figuren in diese Liste rutschen, dann ist Wut über eine Unterrepräsentiertheit lesbischer Identifikationsfiguren nachvollziehbar und sollte als ein Effekt bestimmter Strukturen diskutiert werden. Für mich ist das schon aus persönlicher Sicht einleuchtend, da meine eigene Kino-Filmbegehrensgeschichte sich auch mit dem für mich damals großen Glück intensiviert hat, lesbische Figuren im Film zu sehen. Von dieser Verzückungs- und Lustgeschichte ausgehend ist meine Festivalseh(n)sucht aber nun die, mehr und andere Geschichten zu wollen, queere Filme zu sehen, die Räume und Denken immer wieder erweitern oder auch verwirren. Ich will nicht, dass queere Filmprogramme vorführen, dass schwule und lesbische Beziehungen auf der Leinwand angeblich jetzt erwachsen wären, weil sie in die Rollen passen, die eine eher fantasielose Filmgeschichte auch schon den Hetero-Paar-Beziehungen zugewiesen hat. Ich will, dass in queeren Filmen genau diese Rollen gesprengt und Erzählformen wie NarSISSY 22     19


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rative in Frage gestellt werden. Und dies will ich, eben weil Film Begehrensgeschichten sichtbar und möglich macht und für diese und für sich viel mehr Fantasie übrig haben sollte. Queerer Film ist auch der Film, der Lust macht, über Kino und Begehren nachzudenken und zu sprechen. Und queeres Kino ist zudem ein Ort der Kritik. Gerade darum sollte rund um queere Filmprogramme die Diskussion über Film ernst genommen und gepflegt werden. Es gibt im Vorfeld der Berlinale eine Kategorisierung der Filme, die erklärt, welche Filme ich als lesbische Filme zu lesen habe – und diese lässt wenig Platz für Filme, die von Begehren erzählen, ohne dies an klaren Identitätszuschreibungen festzumachen. Paradoxerweise kann ich die Kritik am Fehlen bestimmter Filme verstehen, kann aber gleichzeitig mit der Kategorisierung der Filme selbst wenig anfangen. Wenn der Teddy wirklich ein queerer Filmpreis sein möchte, dann sollte er ganz auf eine kleinteilige Einteilung nach Kategorien verzichten, die Identitäten festsetzen und diese sogar noch hierarchisieren: hier bedeuten kleines „l“ – bisschen (?) lesbisch, großes „L“ – sehr (?) lesbisch. Dabei werden queer (q) und Queer (Q) hier schon per se von l und L getrennt, denn sie sind eigenständige Kategorien, und auch dies will ich überdacht wissen. Begehren und Identitäten sollten im queeren Film(programm) so kompliziert, besser: komplex, bleiben, wie sie sind, weil Vereinfachungen in diesem Bereich für einige vielleicht repräsentativ sind, für andere dagegen schmerzhaft. Zuschauer_innen wie Programmmacher_innen sollten sich trauen, sich vielmehr an der Bewegung der Filme zu orientieren als an ihrer Oberfläche. Das könnte, so meine Hoffnung, die Liste der Filme, die zum Teddy dazugezählt werden, vielleicht noch einmal erweitern. Unter dem Label eines queeren Filmpreises sollten Filme zusammenkommen, die einerseits nicht-heteronormatives Begehren zeigen, wecken oder einfach thematisieren, und die zudem nach ästhetischen, formalen Möglichkeiten suchen und ausprobieren, sich zu positionieren gegen Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie, Klassismus. Es schwingt in der Aussage, Frauen sollten einfach mehr Filme machen, auch die Position derjenigen mit, die bereits mehr Filme machen und für die dies eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, die damit Privilegien ausblendet. Keine Filme zu machen bzw. nicht auf der Berlinale gezeigt zu werden, wird durch diese Aussage von einem strukturellen Problem weggewiesen hin zu einem individuellen Problem der Produktivität. Das macht für die Diskussion eines queeren Filmprogramms schlicht kei20     SISSY 22

nen Sinn. Queere Filmprogramme sind auch aus Positionen der Kritik an heteronormativen Strukturen hervorgegangen und daraus, sich zusammenzuschließen und Gefühlen von individueller Verantwortung für die Möglichkeiten von Glück in kapitalistischen, sexistischen, homophoben, transphoben, rassistischen Zeiten, Räumen, Narrativen die Dominanz zu nehmen. Sie sollten Orte des Streits, der Auseinandersetzung und der Kritik bleiben und werden, um sich solchen Strukturen weiter zu widersetzen. Natascha Frankenberg ist Medienwissenschaftlerin und arbeitet derzeit am Helene-Lange-Kolleg „Queer Studies und Intermedialität: Kunst – Musik – Medienkultur“ der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Für das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln hat sie unter anderem als Programmverantwortliche der Sektion „begehrt!“ gearbeitet.

LEINWANDLESBE ALS DISKURSFIGUR

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as waren eigentlich die letzten Lesbenfilme im Kino? Und wo waren sie zu sehen? Zugegebenermaßen bin ich bekennende Festivalgängerin und schaue viel bei der Berlinale, beim heimischen Filmfest Hamburg und den Lesbisch Schwulen Filmtagen Hamburg, oder auswärts in Wien und Amsterdam. Aber ich gehe einfach auch gern ins Kino. Und was bekommt man da geboten an lesbisch-queerer (lesbisch/Q*) Kost? Die gute Nachricht: Es gibt sie, die lesbisch/Q*-Charaktere und Storys. Die schlechte Nachricht: selten oder versteckt im regulären Kinoprogramm und selten von Regisseurinnen. Der größte Kinoerfolg mit lesbisch/Q*Plot seit Lisa Cholodenkos The Kids Are All Right (2010) war jüngst der französische Arthouse-Film Blau ist eine warme Farbe. An diesem Film kam im letzten Jahr praktisch niemand vorbei. Er erhielt die Palme d’Or, die höchste Auszeichnung beim Filmfestival in Cannes 2013, Regisseur Abdellatif Kechiche und seine beiden Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos wurden von der Jury hervorgehoben, selbst die deutschen Fernsehnachrichten berichteten davon. Natürlich passte das auch gerade gut zum Thema der konservativen Diskussionen zur Einführung der französischen Homoehe. Außerdem erhitzte die wohl längste explizite lesbische Sexszene jenseits von Pornografie die Gemüter. Einige waren schockiert, andere fanden sie komplett unglaubwürdig. In jedem Fall ist sie jedoch so gedreht und geschnitten, dass sie aus dem restlichen (drei­stündigen!) Film heraussticht, ja sogar

„Hight Art“ von Lisa Cholodenko

herausfällt. Während die Kamera im gesamten Film sehr dicht an den Hauptfiguren ist und so eine eindringliche Nähe erzeugt, sehen die Bilder in der Sexszene eher distanziert, kühl, bisweilen klinisch aus. Einige haben das als männlichen Blick auf weibliche explizite Sexualität abgetan. Aber das ist wohl als Erklärungsmuster zu einfach, wenn der gleiche Regisseur es schafft, im restlichen Film eine knisternde Chemie und Intimität zwischen den Charakteren aufzubauen. Warum die Szene dann so herausfällt, ist unklar – ist es nur ein billiger ArthouseTrick des vermeintlichen Tabubruchs, ein provozierter Skandal oder Unentschlossenheit? Sei es wie es sei. Viele Leute haben – auch wegen der Skandale drumherum – von dem Film gehört, darüber gelesen und ihn im Kino gesehen. Andere Filme hatten es da mit der Aufmerksamkeit nicht so leicht. Da gab es in den letzten Jahren einige ArthouseFilme mit lesbischen Storys oder zumindest weiblicher Intimität. Zu nennen wären hier Cristian Mungius Jenseits der Hügel (2012) oder Denis Côtés Vic + Flo haben einen Bären gesehen (2013). Das Interessante an diesen Arthouse-Filmen (von männlichen Auteurs): Sie wollen eine universelle, humanistische Geschichte erzählen. Dass es lesbische Pärchen sind, die im Zentrum stehen, scheint nebensächlich. Zumindest geht es nicht um ein Coming-Out und Selbsterkenntnis; über dieses Stadium sind wir hinaus und das ist ja auch gut so. Es sind spannende Filme, es fragt sich nur, warum es jeweils lesbische Paare sind, die für tragische, außergewöhnliche Strukturen einstehen. In Jenseits der Hügel versucht Alina, die nun in Deutschland lebt, Voichita, ihre Jugendliebe aus der gemeinsamen Zeit im Waisenheim, aus dem Klosterleben zu retten – mit tragischem Ausgang. Die Frauenliebe steht hier ein für


PRO-FUN MEDIA

SCREENSHOT / FOCUS FEATURES

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„Pariah“ von Dee Rees

einen gesellschaftlichen Spagat im aktuellen Rumänien, zwischen Aufbruch und Erzkonservatismus. In Vic + Flo geraten die beiden ehemaligen Gefängnisinsassinnen, die sich in der kanadischen Einöde zurückziehen wollen, in eine Fehde, die grausam in einer Bärenfalle endet. In beiden Filmen geht es nur nebensächlich um das Lesbischsein. Sie sind nicht interessiert an Identitätskonstruktionen und Repräsentation. Vielmehr sind hier Outsider-Geschichten mit tragischem Ausgang zu sehen. Typisches Auteur-Kino. Kino für Lesben sieht anders aus. Filme, die ein explizit lesbisch/Q*-Publikum anvisieren, scheinen es im Kino schwer zu haben. Sowohl Albert Nobbs (2011) als auch Flores Raras (2013; aktuell mit uninspiriertem deutschen Titel Die Poetin in einigen Kinos) scheinen im stetigen Fluss der Kinostarts völlig untergegangen zu sein. Wären diese beiden Filme nicht auf Festivals und in der L-Filmnacht gelaufen, wären sie womöglich völlig am Zielpublikum vorbeigegangen. Bei Albert Nobbs dauerte es volle zwei Jahre, bis er überhaupt in Deutschland anlief. Dabei hatte er mit Glenn Close in der Titelrolle und Mia Wasikowska doch eine Starbesetzung vorzuweisen, und das CrossdressingHistoriendrama war solide erzählt und toll gespielt. Mit dem brasilianischen Biopic Die Poetin konnten die mehrheitlich (hetero-) männlichen Kritiker augenscheinlich auch nichts anfangen. Was schade ist, denn wann bekommt man mal die Chance, einen komplett frauenzentrierten Film zu sehen, mit atemberaubenden Bildern, tollem Schauspiel – mit einer grandiosen Glória Pires als Architektin Lota de Macedo Soares, die mit der amerikanischen Dichterin Elizabeth Bishop (Miranda Otto) zusammenkommt und eine alternative Familienkonstellation entwirft? Was da platt als ménage à trois betitelt wird,

zeigt eigentlich auf, dass es auch jenseits der monogamen homonormativen Zweierbeziehung Lebensarrangements geben kann. Und im Jahr der allgegenwärtigen Fußball-WM, wo Brasilien einen Hype erlebt, schafft es der Verleih nicht, daraus Kapital zu schlagen und einen wunderschönen Lesbenfilm an die Frau zu bringen? Man gewinnt den Eindruck, die lesbisch/ Q*-Zuschauer*in ist einfach keine angestrebte Zielgruppe. Auch in Arthouse-feelgood-Filmen wie dem aktuell laufenden Beziehungsweise New York findet man eher zufällig heraus, dass sich eine nicht geringe Nebenhandlung um die Beziehungen, Familienplanung und Affären der lesbischen ExMitbewohnerin Isabelle (Cécile de France) entspinnt. Vor einigen Jahren wurde von Ben Walters im „Guardian“ die Ankunft des NewWave Queer Cinema postuliert. Gemeint waren komplexe Filme mit einer neuen Sensibilität für Alltagsgeschichten, die sich nicht um die Standardthemen Coming-Out und homophobe Diskriminierung scheren, sondern sich auf das Leben im queeren Universum konzentrieren. Als Paten für dieses Phänomen standen Filme wie Andrew Haighs Weekend und Ira Sachs’ Keep the Lights On. Filme über lesbisch/Q*-Konstellationen, die einen ähnlich zurückgenommenen, aber dennoch eindringlichen Realismus an den Tag legen, waren eigentlich nur auf Festivals zu sehen. Dee Rees’ beeindruckendes Langfilmdebüt Pariah (2011), einer der wenigen Queer-of-Color-Filme, hatte trotz Verleih keinen Kinostart. Der heimische Frauensee war auch eher ein verschmähter Geheimtipp. Gäbe es nicht die L-Filmnacht oder die vielen kleinen und großen ehrenamtlich aktiven queeren Filmfestivals hierzulande, wo eine Bandbreite von Komödien (Cloudburst,

Lengua Materna), Sexstorys (Concussion, A Perfect Ending), Schmachtfetzen (Küss mich, Easy Abby), politischen Dokumentarfilme (Audre Lorde, Alice Walker, Lesbiania), spannende Coming-of-Age-Geschichten (Mosquita & Mari, Gun Hill Road, Joven y alocada) zu sehen ist, die Kinoauswahl wäre sehr traurig. Und das, obwohl es doch augenscheinlich Produktionen gibt. Trotz der (oft männlichen) Gatekeeper – erstaunlich, wie wenig von Frauen gedrehte Lesbenfilme es in den größeren Umlauf schaffen, während Hetero-Auteurs die Lesbe als Diskursfigur entdecken. Wer also auch die kleinen, kantigen, unangepassten Geschichten sucht, Filme, die von den A-Festivals links liegen gelassen wurden, die dennoch mit Sicherheit ihren Platz beim lesbisch/Q*-Zuschauerspektrum finden, die Filme von Frauen, wendet sich am besten an das queere Filmfestival ihres Vertrauens. Dort gibt es sie! Skadi Loist unterrichtet Medienwissenschaft an den Universitäten Rostock und Hamburg, forscht und schreibt zu Queer Cinema und Filmfestivals und ist im Vorstand der Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg.

BECHDELTESTENTWICKLUNG

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as macht eigentlich einen guten lesbischen Film aus? Die einen sagen Romantik, Sex und „Happy-End“, die anderen meinen, es sei „Geschmacksache“. Viele Filme werden gleichermaßen geliebt wie gehasst, je nach persönlicher Vorliebe und Abneigung. Die Frage nach der vorgeblich objektiven Qualität von Filmen ist fraglos von der jeweiligen Perspektive abhängig. So werSISSY 22     21


EDITION SALZGEBER

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„Alles wird gut“ von Angelina Maccarone

den zur Orientierung auch in den gängigen Filmtipps Qualitätskriterien mit „Likes“ und „Dislikes“ markiert. Diverse Bewertungskataloge kursieren, so auch der erst kürzlich von der deutschen Presse zur Kenntnis genommenene und daher auch im deutschsprachigen Raum prominente sogenannte Bechdel-Test (eigentlich Bechdel/WallaceTest, nach der Ideengeberin Liz Wallace): Die US -amerikanische Comic-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel führte in einer Ausgabe ihres Comics „Dykes to Watch Out For“ (also bereits 1985!) einen Test ein, mit dem die Darstellung weiblicher Figuren in Literatur oder Film auf ihren Sexismus überprüft werden kann. Danach sollte ein Film drei Bedingungen erfüllen: Es müssen erstens mindestens zwei Frauen mitspielen, die sich zweitens miteinander unterhalten, und zwar drittens über etwas anderes als über einen Mann. Diese immer noch recht effektive Methode kann freilich nur einem ersten Überblick dienen; für eine tiefergehende Beurteilung reichen die Prüfsteine nicht aus. Der Bechdel-Test wurde daher vielfach aufgegriffen und weiter entwickelt, so z. B. im Vito-Russo-Test, den die US -amerikanische Medienorganisation GLAAD (Gay & Lesbian Alliance Against Defamation, inzwischen Bisexuelle und Trans* einschließend) im letzten Jahr als Maßstab für die Darstellung lesbischer, schwuler, bisexueller, trans* oder intersexueller Lebensweisen vorstellte. Dieser Test – nach dem Filmhistoriker und Aktivisten Vito Russo (1946–1990) benannt – stellt folgende Kriterien auf: Der Film muss erstens eine Figur enthalten, die als lesbisch, schwul, bisexuell und/oder trans* identifzierbar ist, darf zweitens nicht ausschließlich oder überwiegend über ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität definiert werden und muss drittens derart in die 22     SISSY 22

„Tomboy“ von Céline Sciamma

Handlung eingebunden sein, dass der Handlungsstrang ohne sie nicht funktioniert. Schön und gut, aber auch dies greift bei der Mehrzahl der Produktionen viel zu kurz. Deshalb möchte ich einen zusätzlichen Kriterienkatalog vorschlagen, der die Inhalte lesbischer Filme kritisch hinterfragt: Interessieren sich die als lesbisch identifizierbaren Figuren auch noch für etwas anderes als Sex und Beziehungen (oder Beziehungen und Sex)? Sprechen sie über anderes als über ihr Coming-Out? Wird die Anpassung an herrschende Normen hinterfragt? Folgen sie eigenen Lebensentwürfen? Repräsentieren die Hauptpersonen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen oder ausschließlich beispielsweise junge weiße christliche nicht-behinderte Mittelschichts-Lesben? Verlieben sie sich z. B. auch in dickere, dünnere, größere, kleinere, ungeschminkte, behaarte, botoxfreie Frauen? (Die Liste ist beliebig zu erweitern!) Wird auf Errungenschaften lesbisch-feministischer Vorkämpferinnen Bezug genommen oder geben sich die Figuren alle geschichtslos? Besonders deutschsprachige Filme sollten außerdem dahingehend untersucht werden, ob die Hauptpersonen als Einzelkämpferinnen inszeniert werden oder ob z. B. Angebote und Infrastruktur von LGBTIQ -Beratungsstellen, -Zentren und -Gruppen eine Rolle spielen. Profitieren mehr lesbisch lebende Frauen (finanziell) als Männer von dieser Produktion? Wurde der Film von Frauen gedreht? Wäre er auch sehenswert, wenn, falls handlungstechnisch möglich (s. oben), die lesbischen Figuren durch heterosexuelle ersetzt werden? Und schließlich – bei fiktiven Geschichten – leben die lesbischen Frauen am Ende noch? Nun gilt es zu entscheiden: Wie viele dieser Kriterien sollten bei einem guten Film

erfüllt sein? Alle! Alle? Bleiben dann überhaupt noch Filme übrig? Ingeborg Boxhammer veröffentlichte „Das Begehren im Blick: Streifzüge durch 100 Jahre Lesbenfilmgeschichte“ und betreibt die Webseite www. lesbengeschichte.org.

BAD LESBIAN MOVIE NIGHT

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eine Wahlfamilie und ich pflegen eine Tradition: Alle paar Monate treffen wir uns auf der Couch of Truth und gucken eine Reihe schlecht gedrehter Lesben-Filme, die alle die gleichen vorhersehbaren und grottig geschriebenen Geschichten erzählen, denen es auch noch an Tempo mangelt. Wir bestellen Take-Out, mixen Cocktails und nennen das ganze trashige Spektakel „Bad Lesbian Movie Night“. Wir regen uns darüber auf, wie wir repräsentiert werden, springen schreiend hinters Sofa und pöbeln wild den Fernseher an. Warum tun wir das immer wieder? Weil diese verzweifelte Mischung aus selbstironischem Humor und kathartischem Masochismus die beste Umgangsstrategie ist, die wir haben. Lieber ein schlechter Lesben-Film als gar kein Lesben-Film? Können Lesben keine Filme machen? Doch, können sie (Angelina Maccarones Alles Wird Gut, Lisa Chodolenkos High Art, Dee Rees Pariah, Céline Sciammas Tomboy). Sind Geschichten mit lesbischen Charakteren langweilig, unsexy, nicht tiefgründig? Ganz und gar nicht (Andy and Lana Wachowskis Bound, Stephen Daldrys The Hours). Drehen Heteros keine guten Filme mit queeren Frauenfiguren? Doch tun sie (Lukas Moodyssons Fucking Åmål, David Lynchs Mulholland Drive, Bruno Barretos Flores Raras).


AL AMODE FILMVERLEIH

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Die wenigen wirklich guten Filme, die hier anklingen, gehen allerdings unter in den Fluten schlecht inszenierter, überbelichteter, zu langsam erzählter Filme. Dieser Mangel an guten Filmen mit lesbischen Charakteren ist nicht nur nervig, er ist mir auch furchtbar peinlich. Manchmal schäme ich mich richtig. So ist das eben mit der Repräsentation marginalisierter Realitäten. Das Fremdschämen wird schnell zum Selbstschämen. Das ist nicht nur ärgerlich, weil dabei ein Sehvergnügen verloren geht – ich will Filme sehen, in denen überzeugende queere Frauenfiguren vorkommen, ob sie nun schlaue Dialoge haben oder aufregenden Sex. Sondern auch, weil der queere Film doch bitte mehr zu bieten haben sollte als Lesben, die Kleinfamilie spielen wollen. Woher kommt also diese auffällige Lücke? Wir haben es mit mindestens drei Problemen zu tun. Zum einen die bequeme oder naive Annahme, die Repräsentation eines Themas oder gar einer marginalisierten Identität reiche aus, um künstlerische Qualität zu produzieren. Tut sie natürlich nicht. Ich muss einen Film nicht mögen, nur weil „lesbisch“ drauf steht. Ich brauche auch keine „Lesben-Filme“ per se, also Filme von Lesben über Lesben, gespielt von Lesben mit dem Thema Lesbisch-Sein. Es geht auch anders. Nämlich mit Humor statt identitärer Nabelschau. Alles wird gut, die Komödie um zwei afro-deutsche Frauen, ist deshalb so witzig, weil sie den Alltagsrassismus der deutschen Gesellschaft verarscht und die lesbische Obsession mit der Ex gleich mit, ohne dass es um Lesbisch-Sein als solches geht. Das war 1998. Und heute? Das zweite Problem ist, dass so viele Filme lesbische Sexualität an sich zum Thema machen. Warum können Charaktere sich nicht über andere Dinge definieren,

Agentinnen oder Freiheitskämpferinnen sein und nebenbei mit Frauen schlafen? Nein, können sie offenbar nicht. Stattdessen geht es in jedem zweiten Film ums Coming-Out. Das Coming-Out trotz der bösen Familie, trotz der bösen Gesellschaft, der Gewohnheit zum Trotz (Lieblingsplot: Frau mit Mann trifft Frau und verlässt Mann). Als sei das Coming-Out der Höhepunkt, die Notwendigkeit für ein queeres Leben. Es gibt nun wahrlich Wichtigeres. Und wenn schon Coming-Out, dann bitte als eine Coming-ofAge-Geschichte, die verdammt gut ist, wie Pariah zum Beispiel. Drittens und zuletzt wären noch die anti-queeren Strukturen des Film-Business zu nennen: von der mangelnden Finanzierung queerer, insbesondere lesbischer Filme, bis hin zum Risiko für Schauspieler_innen, lesbische Rollen anzunehmen. Jemand wie Whoopie Goldberg kann sich das erlauben (in Herbert Ross’ Kaffee, Milch & Zucker), Meryl Streep natürlich auch (brillant in The Hours) oder Cate Blanchett, die gerade Carol dreht. Doch nur Hollywood-Größen können es sich leisten, queere Rollen zu spielen, ohne fortan auf sie festgelegt zu werden. Vom Preis des Coming-Outs für Hollywood-Schauspielerinnen wollen wir gar nicht erst anfangen. Dass die Sexualität oder Gender-Identität der Schauspieler_innen noch lange nichts mit dem Inhalt oder der stilistischen Qualität eines Films zu tun hat, kann nicht oft genug betont werden. Sie müssen auch keine Lesben- oder Trans-Charaktere darstellen oder darstellen wollen. Schauspieler_innen zeigen uns Charaktere, die anders sind als sie selbst. „Von sich weg“ zu spielen, ist die Kunst ihres Berufs. Und aufgrund der Dominanz heteronormativer Geschichten stellen sie die meiste Zeit sowieso heterosexuelle Charaktere dar. Sie bekommen für diese erstaunliche Leistung bloß keinen Oscar wie Tom Hanks für Philadelphia oder Hilary Swank für Boys Don’t Cry. Und genau da liegt dann doch ein repräsentatives Problem: Wenn zum Beispiel Transmenschen es schwerer haben, Rollen zu kriegen, wird es irgendwann auffällig, dass Transcharaktere nie von Transleuten gespielt werden. Das ist dann aber keine identitäre Frage per se, sondern eine Frage des Zugangs zum gender-normativen Filmgeschäft. Auf all diesen Ebenen könnte, ja muss also noch viel passieren. Bis dahin geh ich weiter zu unserer Bad Lesbian Movie Night und trinke dazu Cocktails. Cheers.

The Kids Are All Right (Lisa Cholodenko) als DVD bei Universal. Blau ist eine warme Farbe (Abdellatif Kechiche), Tomboy (Céline Sciamma) als DVD bei Alamode. Albert Nobbs (Rodrigo García) als DVD bei StudioCanal, Beziehungsweise New York (Cédric Klapisch) erscheint dort am 11. September. Kaffee, Milch & Zucker (Herbert Ross) als DVD bei Warner Home Video. Mulholland Drive (David Lynch), Raus aus Åmål (Lukas Moodysson) als DVD bei Concorde. High Art (Lisa Cholodenko), A Perfect Ending (Nicole Conn) auf DVD bei Pro-Fun Media, Die Poetin (Bruno Barreto) erscheint dort am 15.8. Vic + Flo haben einen Bären gesehen (Denis Côté), Frauensee (Zoltan Paul), Cloudburst (Thom Fitzgerald), Concussion (Stacie Passon), Küss mich (Alexandra-Therese Keining), Audre Lorde – Die Berliner Jahre 1984–1992 (Dagmar Schultz), Mosquita & Mari (Aurora Guerrero), Alles wird gut (Angelina Maccarone) auf DVD bei Edition Salzgeber. Easy Abby (Wendy Jo Carlton) erscheint dort am 24.6. Bound – Gefesselt (Andy & Lana Wachowski) als DVD bei Cine Plus. The Hours (Stephen Daldry) als DVD bei Highlight. Jenseits der Hügel / Beyond The Hills (Cristian Mungiu) als Import bei Artificial Eye. Pariah (Dee Rees) als Import-BluRay bei Focus Features. Joven y alocada (Marialy Rivas), Lesbiana (Myriam Fougère), Alice Walker – Beauty in Truth (Pratibha Parmar) und Lengua Materna (Liliana Paolinelli) sind bisher nirgends auf DVD erschienen. Carol (Todd Haynes) wird voraussichtlich 2015 ins Kino kommen.

Noemi Yoko Molitor ist visuelle Künstlerin und hat Gender Studies und Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität und der Cornell University studiert. Gelegentlich schreibt sie über queere Themen für verschiedene Zeitschriften und die Kunstkolumne im tazplan der taz. SISSY 22     23


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Four von Joshua Sanchez US 2012, 68 Minuten, englische OmU Auf DVD bei der Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de

AMERIKANISCHE TRÄUMER VON C A R ST EN MOL L

Am amerikanischen Unabhängigkeitstag hat ein Familienvater ein heimliches Date mit einem Jungen und seine brave Tochter trifft sich ebenso heimlich mit einem Typen aus vermeintlich ‚schlechter Neighbourhood‘. Der Sex ist für alle vier nur die erste Station auf ihrem Drift durch die Nacht, den Pulitzer-Preis-Finalist und Obie-Preisträger Christopher Shinn virtuos geschrieben und Joshua Sanchez atmosphärisch inszeniert hat. Ein cooler Ensemblefilm über Vorurteile und die Sehnsucht nach Unabhängigkeit.

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EDITION SALZGEBER

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s Das Sonnenlicht ist schnell vergessen. In den ersten Minuten von Four brennt es noch gnadenlos durch die Fensterscheiben und leuchtet in den Gärten von Suburbia makellose Tableaus voller Friede, Freude und Apfelkuchen aus. Doch die Blicke von drinnen auf das Treiben vor den Fenstern sind düster, und die Sonne selbst ist bald wie ausgelöscht. Joshua Sanchez’ Debütfilm zieht es gemeinsam mit seinen vier Protagonisten in die Nacht. Hinein in dunkle Kinosäle, schummrige Motelzimmer und auf verlassene Basketballplätze, aber auch zu Neonleuchten, Leinwandflimmern und Wunderkerzen. Es ist der 4. Juli, Unabhängigkeitstag, und die Abenddämmerung treibt den jungen June aus seinem Elternhaus, irgendwo in Connecticut. Mit traurigen Augen und offenem Mund, zwischen dessen vollen Lippen Schmollen, Verführung und Staunen zugleich Platz finden, stapft der Heranwachsende trotzig und unbeirrt durch die menschenleere Vorstadtszenerie. June klettert über morsche Holzzäune, überquert ausgedehnte Parkplätze, streunt durch verwilderte Gärten. Und als er schließlich in einem abgeschiedenen Industriegebiet ankommt, begibt sich Four für einige Einstellungen auf die Spuren des Film Noir: Ein Griff zur Zigarette und ein Telefonat mit einem öffentlichen Münzfernsprecher (ein sperriges und altmodisches Wort für einen sperrigen und altmodischen Kasten, wo doch auch in Sanchez’ Film sonst Handys und Smartphones zu ständiger Erreichbarkeit verdammen) erweisen sich als eine Referenz an die pechschwarzen Kriminalfilme, die Hollywood mit großem Erfolg in den 1940ern und 50ern produzierte. „Hallo. Hey. Ja. Pünktlich. Kariertes Hemd. Ich bin allein.“ Die Sätze, die hier kurz angebunden im Zwielicht einer Straßenlaterne gesprochen werden, klingen zwar wie die Vorkehrungen für eine Geldübergabe oder einen hinterhältigen Mord, tatsächlich aber sind es die letzten Augenblicke vor einem Date. Dass sich hier zwei Männer treffen – der eine ein weißer Highschool-Schüler, der andere ein schwarzer Familienvater aus der Mittelschicht namens Joe –, scheint Grund genug für Junes scheinbar aus der Zeit gefallenes Bemühen um Anonymität und die Verknüpfung einer alltäglichen Begegnung mit kriminellem Nervenkitzel zu sein. Und wie Joe später beiläufig und mit größter Gelassenheit bemerkt (wie er überhaupt alles mit größter Gelassenheit bemerkt), ist zumindest der Sex, den die beiden im Lauf der Nacht haben werden, illegal: Ehebruch lautet das Vergehen. Der Film Noir ist nur eine der vielen Modulationen, in denen Sanchez sein im Kern zutiefst realistisches Drama erzählt. Es sind die großen amerikanischen Kinoträume vom Western bis zum Roadmovie, die natürlich längst rund um den Globus durch die Köpfe spuken und die den öden Kleinstädten genau wie die nationalen Mythen von Aufbruch, Aufstieg und Mobilität tief in den Knochen stecken. Gas geben, groß und laut sein, das ist es, was vor allem Joe mit aufgeblasener Überzeugung propagiert, während er June in seinem Auto durch eine durchkommerzialisierte und austauschbare Landschaft kutschiert. Immer wieder rät er dem mit sich selbst und seiner sexuellen Identität hadernden Jugendlichen dabei im selben Atemzug dazu, sich selbst zu finden ebenso wie zu erfinden. Egal ob im Motelbett, im Autositz oder im Sessel des Mulitplex-Kinos, Joe beschwört all die Möglichkeiten, Abenteuer und Gefahren herauf, die diese Räume bieten sollen – etwa die Chance auf ein Coming-Out, die June bloß ergreifen muss. Dass diese Nicht-Orte, wie der Anthropologe Marc Augé die Diners, Shopping Malls und Autobahnen einmal bezeichnete, keine Identität stiften, sondern nur Gleichgültigkeit, Konsum und Anonymität produzieren, ist ebenso Teil einer bitteren Pointe wie Joes Unfähigkeit, das von ihm ausgemachte emanzipatorische Potenzial auch nur ansatzweise für sein eigenes Leben zu nutzen. Der zögerliche June scheint die Lebenslüge hinter all den Versprechungen, die Joe macht, längst zu wittern und die Trümmer des Scheiterns hinter der aufgeräumten Fassade zu erkennen.

„I hate this town“, gibt Joes Tochter Abigayle zur gleichen Zeit, irgendwo anders in der Stadt resigniert von sich. Zusammen mit Dexter, einem flüchtigen Bekannten mit krimineller Vergangenheit, kreuzt auch sie im Auto ziellos umher, um Einsamkeit und Langeweile zu vertreiben. Genau wie June zeigt sich Abigayle desillusioniert und kritisch, wenn Dexter sich etwa eine Karriere als Basketballstar herbeifantasiert und nicht sehen will, dass er sich seine Zukunft eigentlich schon längst verbaut hat. Joshua Sanchez’ Spielfilmadaption des gleichnamigen Theaterstücks von Christopher Shinn schildert diese Schieflage zwischen amerikanischen Träumen und einer Realität, die sich immer wieder schmerzhaft bemerkbar macht, unaufgeregt und mit viel Verständnis für seine Figuren. Mit kleinen, bisweilen humorvollen Gesten und Irritationen lässt Sanchez Träume platzen oder bringt allzu selbstgefällige Posen ins Wanken: So verbrennt sich June, der doch mehr Weichei als hardboiled ist, in der Noir-Szene vor lauter Nervosität die Finger an der Zigarette und muss sich für einen Augenblick aus dem Kader beugen, um sein Feuerzeug aufzuheben. Und als Dexter sich in seinem klischeehaften Gangsterlook vor dem Spiegel in Positur bringt, um sich selbst zu bewundern, fällt der Spiegel kurzerhand von der Wand – und ruiniert damit jede Travis-BickleHommage. Aber nicht nur die Handlungen, Dialoge und Bilder stoßen in Four immer wieder an ihre Grenzen oder werden in ihrer Kontinuität unterbrochen. Auch die Sehnsucht der Protagonisten nach innerem und äußerem Aufbruch, nach Veränderung und Zweisamkeit wird mit stoischer Melancholie in ihre Schranken verwiesen. Aus dem Off weiß das immer wieder zu hörende nostalgische Rattern und Zischen einer Eisenbahn noch von anderen möglichen Orten und einem mythischen Westen zu erzählen. Doch für die vier Suchenden bleibt die nächtliche Autofahrt vorerst ein Roadmovie im Kreisverkehr und die geografische und psychologische frontier aus undurchdringlichem Asphalt und Beton. Vor allem für Joe, den Verträumtesten in Sachen American Dream, heißt es am Ende der Nacht, in einem Land der unbegrenzten Müdigkeiten zu erwachen. Wenn der American Way in Four auch nirgendwo hinzuführen scheint, so ist Sanchez’ Film dennoch nicht ohne Hoffnung und Auswege. Am großen Feuerwerk zum Independence Day zeigt sich der Film betont desinteressiert und wagt stattdessen einen Blick auf die kleinen Unabhängigkeiten und Glücksmomente. Beim leisen Knistern einer Wunderkerze wird da aus Leere manchmal ein Freiraum und es findet sich Versöhnlichkeit im Trotz, Schönheit in der Verzweiflung und noch im Zusammenbruch ein wenig Zärtlichkeit. Dass Four es hierzulande gar nicht erst in die Kinos geschafft hat, ist zwar nicht überraschend, aber umso bedauernswerter, wenn man bedenkt, wie klug und lustvoll Sanchez doch gerade auch vom Kino selbst erzählt. Etwa wenn er Joe in einem Meer von roten Sesseln über das Kino als einen kollektiven Traum und als erregenden, sexuell geladenen Ort voller Gefahren und gespannter Erwartungen sinnieren lässt. Völlig widersprechen möchte man da nicht: Wenn dann die Lichter ausgehen und ein traumhaft buntes Flimmern die Leinwand erfüllt, sind zumindest die zum Kauf von Süßigkeiten animierende Lautsprecherdurchsage und das wie sediert herumsitzende Publikum vergessen. Und als Joe das Wörtchen „queer“ flüstert, weil June nicht einverstanden damit ist, als „gay“ bezeichnet zu werden, gibt es sogar einen kurzen Moment der Begegnung: Eine Zuschauerin aus den vorderen Reihen verdreht sich neugierig den Hals, um zu schauen, wer denn da hinter ihr tuschelt. Die Anonymität und Gleichgültigkeit, die überall zu herrschen scheint und in die sich June dankbar flüchtet, wird für einen Augenblick brüchig. Die Angst, erkannt oder für irgendwas gehalten zu werden, lässt June sich in seiner Haut sichtlich unwohl fühlen. Aber dass er überhaupt eine Haut hat, dass er da ist und gesehen wird, kann er nun nicht mehr leugnen. s SISSY 22     25


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Restexzess VON R A J KO BU RCH A R D T

Die Oscars und Golden Globes für Matthew McConaughey und Jared Leto sind eingesammelt, 180.000 ZuschauerInnen haben ihn allein in Deutschland im Kino gesehen, der Ärger über unsensible Preisreden ist verebbt, „Dallas Buyers Club“ erscheint auf DVD. Er erzählt die Aidskrise über eine heterosexuelle Figur und hat sich von der „wahren Geschichte“ dahinter filmisch weitgehend gelöst. Kann man aber von einem Meilenstein der queeren Filmgeschichte reden? Unser Autor ist skeptisch.

s Pflichtschuldig wandert der Sternenbanner durch die Arena, finden sich leicht ramponierte Insignien des freien Amerikas gleich schon im ersten Bild. Von seinem kleinen Rodeostall aus hat Ron Woodroof (Matthew McConaughey) den anderen Bullenreiter genau im Visier. Keines Blickes würdigt er die beiden Frauen, mit denen er darin zugange ist, selbst noch dem Koks schenkt er mehr Aufmerksamkeit. Dann liegt der andere Bullenreiter plötzlich regungslos am Boden. Woodroof hält inne, kneift die Augen zusammen. Eine epische Vorausdeutung? Dieser Ron Woodroof, das scheinen uns die Bilder sagen zu wollen, ist dem Exzess sehr zugeneigt. Ein Leben für Frauen und Drogen und Wettspiele, manchmal auch für ein wenig Arbeit als Elektriker. Aber das ist dem hageren Texaner und seinen Kollegen auch nur Anlass, sich gegenseitig um Geldeinsätze zu bringen und über „pussies“ schwadronieren zu können. Ob er denn schon gehört habe, dass Rock Hudson ein „cock sucker“ gewesen sei, fragt Ron einen seiner Rodeokumpel. In großen Überschriften verkünden Zeitungen den Tod des an den Folgen von Aids verstorbenen Schauspielers, aber in diesem Mekka der Heterosexualität spielen solche Neuigkeiten eigentlich keine Rolle. Allemal für einen kurzen homophoben Einwurf eignen sie sich. Dann erwacht Ron im Krankenhaus, ein Arbeitsunfall hat ihn aus der Bahn geworfen. Aussetzer und Ohnmachtsanfälle, die wir auch in den ersten Filmminuten schon bei ihm beobachten konnten, gehören wohl schlicht zum Exzess dazu. Doch ihre tatsächliche Ursache ist eine tödliche Krankheit, in seinem Blut weisen Ärzte das HI-Virus nach. Er sei selbstverständlich keine „gottverdammte Schwuchtel“, versichert Ron umgehend, und nichts könne ihm irgendetwas anhaben. 30 Tage aber, so die Diagnose, habe er jetzt nur noch zu leben. Und nach anfänglicher Skepsis beginnt der Rodeoheld, 1985 noch der ganz jungen Mär von Aids als „Schwulenseuche“ aufgesessen, über die Krankheit zu recherchieren. Eine Rückblende schafft Klarheit: Ron hatte ungeschützten Sex mit einer heroinabhängigen Frau, mut26     SISSY 22

maßlich der Moment der Übertragung. „Fuck“, brüllt es durch die Stadtbibliothek. Aber die Entscheidung, das Virus zu bekämpfen, ist gefallen. Dallas Buyers Club lässt keine Gelegenheit verstreichen, diese recht abscheuliche Figur als zutiefst homophob, rassistisch und frauenfeindlich zu entwerfen. So wolle er gefälligst von einem Arzt behandelt werden, fordert Ron nach seiner Rückkehr ins Hospital, nicht jedoch von einer Krankenschwester, für die er Dr. Saks (Jennifer Garner) fälschlicherweise hält. Und dann folgt sogleich der nächste Schock: Die anlaufende Therapie ist noch unerprobt, Patienten würden wahlweise AZT-Pillen oder Placebos verabreicht, um die Wirksamkeit des seinerzeit einzigen Aids-Medikaments zu testen. Der Film bekommt hier über die verbürgte Geschichte seines Helden in spe einen historischen Moment der vollständigen Überforderung zu fassen. Eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Aids weder ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen noch adäquat behandelbar ist. Das Schicksal der auf sich allein gestellten Betroffenen macht Regisseur Jean-Marc Vallée, der mit dem queeren C.R.A.Z.Y. – Verrücktes Leben“ 2005 einen ausgemachten Publikumsliebling drehte, dabei ebenso nachvollziehbar wie die Rat- und auch Verantwortungslosigkeit der Ärzte und Pharmazeuten. Den Konventionen des biographischen Dramas verpflichtet, gewiss, aber eindrucksvoll in der zeitgeschichtlichen Rekonstruktion. Dass Ron Woodroof mit seinen Sorgen nun keineswegs allein ist, begreift er zwar schnell, nach Solidarisierung steht ihm der Sinn allerdings weniger. Das noch in der Testphase hängende AZT beschafft er sich eigenmächtig auf dem Schwarzmarkt, die Behandlung schlägt jedoch nicht an. Ron findet heraus, dass es in Europa, in der alten Welt, ungleich wirksamere Medikamente gibt, die von der FDA , der Lebens- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, nicht zugelassen werden. Mit Vitamincocktails und Proteinen beginnt er schließlich eine Selbsttherapie, aus Mexiko kehrt er mit eingeschleusten Kombinationspräparaten zurück, die er anderen


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Erkrankten verkauft. Ein bisschen Restexzess, ein wenig freies Amerika genügt, um dem von seinen Rodeo- und Arbeitskumpanen längst zurückgewiesenen Ron neue Kraft zu geben. Natürlich aber ist die Misanthropie einer solchen Figur für den Film und seine Absichten nicht haltbar. Ron muss jene Ressentiments, die sein reales Vorbild – glaubt man zumindest dessen Angehörigen – so ohnehin nicht gehabt haben soll, erst einmal tapfer überwinden, um zum moralisch geschulten Samariter zu reifen. Im Krankenhaus lernt er den transsexuellen, ebenfalls HIV-infizierten Rayon (Jared Leto) kennen, eine entzückende, fast schon Buddy-Movie-hafte Annäherung. Gemeinsam werden sie den Titel gebenden Dallas Buyers Club gründen, in den Betroffene sich einkaufen und alternative Behandlungsmethoden nutzen können. Rechtlich abgesichert, aber zum großen Unmut der FDA , die das Geschäftsmodell bald zu sabotieren beginnt. Die in Ansätzen problematisierte Diskriminierung weicht im Verlauf der Handlung einer auf Allgemeinplätze abschwenkenden QuasiHeldensaga. Ron Woodroofs Engagement ist zweifelsfrei und leider auch ausschließlich als mit Geschick und Durchsetzungskraft geführter Kampf gegen das System, die Pharmaindustrie und Unterdrücker der von ihm so hoch gehaltenen Werte zu verstehen. In der Art, wie Dallas Buyers Club dabei eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der Krankheit und ihren sozialen Folgen, der Erfahrungswirklichkeit der Betroffenen und deren systematischer Diffamierung scheut, ähnelt er Philadelphia, der anderen von nun gerade einmal zwei großen Hollywoodkinoproduktionen über Aids. Beide Filme nehmen ihr Thema zum Anlass, um mit grobem Strich über gesellschaftliche Missstände, institutionalisiertes Unrecht und individuelle Freiheit zu erzählen, ohne dabei allzu konkret oder gar LGBT-repräsentativ vorgehen zu müssen. Queere Begehrlichkeiten spielen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Ganz kurz nur gönnt sich der Film etwa einen Blick auf Rayons Beziehung, als sei der Geschichte alles Private ihrer Figuren unangenehm.

Was Dallas Buyers Club als erzählwürdig oder eben erzählhinderlich erachtet, legt einige seiner Schwächen frei. Zu Recht ließe sich der Vorwurf erheben, der Film wolle diese wahren Begebenheiten ausgerechnet über die Perspektive eines weißen heterosexuellen Texaners vermitteln. Ließe sich die versäumte Gelegenheit bedauern, eine genderqueere Figur wie Rayon ja vielleicht auch einfach mal genderqueer zu besetzen. Und sicherlich müsste diese Einzelschicksalsgeschichte auch auf ihre Abgrenzungen überprüft werden, wenn sie größere Zusammenhänge oder unentbehrliche Links (ACT UP) schon gar nicht erst herstellt. Dass Matthew McConaughey und Jared Leto, die herunter gehungerten Stars des vielfach prämierten Dallas Buyers Club, einen Großteil ihrer zahlreichen Dankesreden während der Oscarsaison ohne jeglichen Verweis auf das Thema des Films bestritten, spielt solcherlei Skepsis bequem zu. Vielleicht ist ein gut gemeinter, nicht wirklich gut gelungener Film ja immer noch besser als gar kein Film. Bedenkt man aber, dass dieses letztlich sehr unspezifische Drama in gewisser Weise queere Relevanz beansprucht oder zumindest nachgesagt bekommt, ist derartiges Wohlwollen eigentlich nicht besonders viel wert. s

Dallas Buyers Club von Jean-Marc Vallée US 2013, 117 Minuten, deutsche SF und englische OmU Auf DVD bei Ascot Elite Home Entertainment, 3 www.ascot-elite.de

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EUROVIDEO / KINO KONTROVERS

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Darf man lachen? VON DI ET R ICH K U H L BROD T

„Theatralisch ist der!“, war Rosa von Praunheims Kommentar zu seinem wunderbaren Krawallfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von 1971 im SISSY-Interview. Das Theater rührte von einer nonchalanten Vermischung von Spielfilm, Dokumentarfilm, Essay und Pamphlet her und macht auch heute noch, in neuer DVD -Ausgabe, sehr viel Spaß. Dietrich Kuhlbrodt schrieb schon 1983 für die „Reihe Film“ bei Hanser über den Film. Jetzt haben wir ihn zum Wiedersehen genötigt.

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt von Rosa von Praunheim DE 1970, 67 Minuten, deutsche OF Auf DVD bei EuroVideo/Kino Kontrovers, 3 www.kinokontrovers.de

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s 1970. Ein Jahr zuvor war die Kriminalisierung der Schwulen aufgehoben worden (§175: „Widernatürliche Unzucht“), und es war sowieso die große Zeit des Aufbruchs und der Aufsässigkeit. Rosa von Praunheim verschaffte sich mit seinem Film Gehör und verstörte nicht nur die damalige Öffentlichkeit, sondern auch einen großen Teil der schwulen Gemeinde. Hallo! Was zum Nachschmecken! Nicht der Homosexuelle lief zwei Jahre später im WDR 3 und 1973 im 1. Programm, nur Bayern hatte sich ausgeklinkt. Sieht man den Film 44 Jahre später, ist er nach wie vor ein Hinkucker. Und, Überraschung!, er funktioniert auf ein paar Leveln mehr. Es macht Spaß zu sehen, wie er weiter wächst und gedeiht. Ja, ich bewundere den Film. Klar, Nicht der Homosexuelle ist ein Manifest, ein lauter Aufruf, sich zu politisieren und sich nicht von konservativen Spießern vereinnahmen zu lassen. Auf einem zweiten Level demonstriert er, wie Schwule, die nicht auf Rosa von Praunheim hören wollen, in die Krise kommen, vom netten Boy zum SM-Praktikanten und weiter zum Pissbudenschwulen. Heute gibt’s zwar keine Pissbuden mehr auf der Straße und – Moment mal, ich wollte noch bei den Leveln bleiben. Da gibt’s einen, für den der Film ausgiebig bewundert wurde. Denn der Drohgebärde Praunheims zum Trotz gibt es viel Freude, die komplette Berliner Schwulenszene von 1970 vorgeführt zu bekommen. Danke, Rosa von Praunheim bzw. der neuen DVD! Daniel (Bernd Feuerhelm) entflieht dem Luxusbett (Ernst Kuchling), um die Freuden der Konsumwelt zu genießen. Seine Arbeit als Kellner im Schwulencafe (man erkennt das ehemalige Moby Dick in der Grolmannstraße) verschafft ihm „interessante Gespräche über Film, Mode und Körperpflege mit den dort verkehrenden Freizeitschwulen“ (man erkennt Dietmar Kracht). Auf der Wannseeterrasse Deck 4 lässt Daniel sich eincremen. „Trotzdem hasst ein Schwuler den anderen, denn er sieht in ihm sein eigenes Unglück. Statt gegen eine Gesellschaft zu kämpfen, der sie ihr Unglück verdanken, geben sie sich lieber selber die Schuld.“ – Zwei Jahre später findet Daniel schnellen Sex auf der Straße und in Nachtlokalen. „An jeder Ecke bieten Schwule sich wie Nutten an.“ Mit einer Rose im Eingang einer Kneipe steht ein Partner (Manfred Salzgeber). „2000 wechselnde Sexualpartner im Leben eines Schwulen sind oft der Ersatz für den einen“: der Kommentar zur Fassade des KleistCasinos. Die Kleist-Quelle und die Haci-Bar am Savignyplatz kommen ins Bild, während der Off-Sprecher für die Tunten plädiert: „Sie sind nicht so verlogen wie der spießige Schwule.“ Die Musik stimmt sich ein: „Was ist das Ziel in diesem Spiel, das der Natur gefiel.“ – „Wie bei den Nazis, in Cowboyfil-

men und beim Militär sehnen sich die Ledermänner in eine Welt der Gewalt.“ Es herrscht konzentrierte Stille. Die He-Schwulen befingern Ketten, Ringe, Reißverschlüsse: „Sexuelle Hilfsmittel“. – Daniel sinkt zum Pissbudenschwulen hinab. In den Klappen erfährt er, dass Stricher und Rocker die Schwulen hassen. Auf der Straße möchten die Passanten Schwule vergasen und kastrieren. Daniel sucht Trost in der Transvestitenkneipe (Ellis Bierbar): „Ja, ich bin die tolle Frau von der Tingeltangelschau“. Ellis Bierbar. Praunheims Film hat ihr ein „Denkmal“ gesetzt (Wolfgang Müller, Subkultur Westberlin 1979–1989). Direkt gegenüber dem Görlitzer Bahnhof mischten sich dort Lesben, Schwule und Transvestiten im Rentenalter mit minderjährigen Vertretern der Punkszene aus dem SO36. Ingeborg Bachmann, Kurt Mühlenhaupt und Friedrich Schröder-Sonnenstern ebenso wie Rudi Dutschke trafen in den sechziger Jahren hier aufeinander. Heute bietet dort ein Maklerund Immobilienbüro seine Dienste an. Nackt lässt sich Daniel von emanzipierten Schwulen einer WG ein Manifest vortragen (es ist von Martin Dannecker theoretisch abgesichert). Dieses will „den Pissbudenschwulen und Parkfickern helfen, aus ihrer beschissenen Situation herauszukommen“. Disziplin und Moral sind erforderlich, bewusst „schwuler zu werden“ und „mit den Negern der Black Panther und der Frauenbewegung gegen die Unterdrückung von Minderheiten zu kämpfen“. Jei! Mit dem Aufruf „Werdet stolz auf eure Homosexualität! Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen! FREIHEIT FÜR DIE SCHWULEN! “ hätte der Film sein HappyEnd gehabt, wenn nicht zu den starken Worten die abgebildeten jungen Männer ein schwaches Bild böten. Darf man nun lachen oder nicht? Die kämpferisch-pathetischen Manifestsätze des Films verlieren angesichts der professionell-kühlen Bilder Robert van Ackerens ihre Verbindlichkeit und werden selbst eins der Phänomene, die der Film beschreibt: Der analytische Berufsschwule ist eine der vielen Facetten, die den Reichtum des Films ausmachen. Der Film unternimmt Unvereinbares (Wirkliches/Fiktives, Beschriebenes/ Analysiertes, Dokumentiertes/Inszeniertes) und gewinnt doch Balance und Authentizität in der vorsätzlichen „diffusen Künstlereinstellung“ (Praunheim) des Filmmachers. Indem dieser Material organisiert, das er quasi als Feldforscher gefunden hat, macht er sich gleichzeitig selbst zum Gegenstand der Beschreibung. Der Film funktioniert, da Praunheim selbst die Vielfalt der DanielIdentität ist: Der Film ist sein Coming-Out. Seine Eltern erfuhren erst durch den Film, dass ihr Sohn homosexuell ist. Gerade weil

die Modelle des Schwulenfilms auch Travestie sind – das politische Pathos in rosa Licht getaucht wird –, die schlimmsten Heteroklischees über die Welt der Perversen bestätigt und gleichzeitig zerstört werden – Bild und Ton einander zum Zeugen aufrufen und dementieren –: Gerade in dieser überreichen Widersprüchlichkeit stellt sich etwas her, was – in der Person des Filmmachers – wirklich ist, authentisch, lebendig und menschlich. Praunheim reagierte als Betroffener, der persönlich erfahren hat, was im Schwulenlager Selbstunterdrückung bedeutet, Selbsthass und Schuldgefühle. Im Film passiert grade das nicht, was in dieser Situation sonst als wohlfeiler Ausweg dient, nämlich den Schwulen als Opfer der (Hetero-)Gesellschaft hinzustellen und über die Diskriminierung zu klagen. Stattdessen soll Praunheims aggressive und provozierende Selbstkritik aus der schwulen Subkultur hinaushelfen. Gegenstand der Kritik ist damit der schwule, verlogene, anpassungswillige Kleinbürger, der sich bereitwillig aufs Sexuelle reduzieren lässt, gesprächsunfähig wird, Gefühle und Kommunikation verliert und sich mit Lust sich selbst gegenüber repressiv verhält, obwohl die alte Unterdrückung durch die Gesellschaft längst ihre Wirksamkeit verloren hat. „Die Situation, die die Schwulen in Clubs und Saunen treibt, das eben ist die schizophrene Subkultur“ (Praunheim). Praunheim reibt sich mit seinem Film als Minderheit in der Minderheit an der schweigenden Mehrheit konservativer und reaktionärer Schwulengesinnung. Er will das (schwule) System verändern, dessen Teil er bleibt. Das gewährleistet in der Tat intensive Lernprozesse. Zu lernen ist etwas aus der schwulen Wende, die Praunheim schon im Jahr 1970 konstatiert. Das ist für ihn die Änderung des schwulen Rollenverhaltens: vom femininen zum maskulinen Ideal, nämlich von der Tunte, deren Gebaren Protest gegen die Rollenerwartung war, zum Lederschwulen, dessen Gebaren Anpassung (Überanpassung) an die Repressionsmechanismen der Gesellschaft ist. Vor dreißig Jahren hatte ich mich in einem Buchbeitrag für Rosa von Praunheims Film begeistert. Und heute, dreißig Jahre später? Also echt: jung geblieben! Rosa war 27 oder 28, als er den Film machte, und der Charme des Unschicklichen und Ungeschickten des Schwulenfilms war es, der den Film glaubwürdig und attraktiv machte. Die Abwesenheit von Professionalität und Kommerzialität brachte das Unikum eines Kampffilms zuwege, der sich genießen ließ. Denn der Film spricht Kopf und Bauch an, auch meinen. s

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FRAUEN IM ABGLANZ VON JA N K Ü N EM U N D

In der wunderbaren DVD -Edition des Filmmuseums München ist nun endlich auch Werner Schroeters „Willow Springs“ (1973) erschienen. Ein Avantgardefilm, der Hollywood so nahe kam wie kein Petersen, Emmerich und Donnersmarck es je vermochten.

s 1972 geht Werner Schroeter nach Hollywood. Ungefragt natürlich. Er ist unterwegs mit etwas Geld vom deutschen Fernsehen und mit einem Projekt, das man dort sicher nicht verstanden hätte: Eine „strukturalistische Arbeit über die Monroe-Bilder von Warhol mit Elvis-Presley-Musik und Allen Ginsberg und allem Möglichen“, wollte und sollte er dort drehen, für quasi nichts, weil er das vom ZDF bereitgestellte Minimalbudget für den vorherigen Films überzogen hatte. Eine lustige Vorstellung wäre das heute: zum ZDF gehen und das Exposé zu einer „strukturalistischen Arbeit“ anbieten. Schroeter fand dieses Projekt zwar selbst schnell ziemlich bescheuert, fuhr aber trotzdem hin, begleitet von seinen drei „Tanten“, wie er sie in seiner Autobiografie nennt: seinem „Star“ Magdalena Montezuma (bürgerlich: Erika Kluge), dem „Neurosen-Resli“ Christine Kaufmann und seiner Cutterin und Assistentin Ila von Hasperg. Zum ersten Mal in L.A., macht er seinen Führerschein und fährt viel in der Gegend herum. Er hat einen Freund, Michael O’Daniels, der einen Fuchs an der Leine herum führt, mit Schroeter Josephine-BakerKonzerte und afroamerikanischen Gottesdienste besucht, aber leider nicht mit ihm ins Bett geht. L.A. scheint ihm immer noch unter dem Eindruck von den Ritualmorden der Manson Family zu stehen. Die „düstere soziale Verfassung der Leute“ hätte eigenar30     SISSY 22

tig mit dem „brüllenden Sonnenlicht“ kontrastiert, erzählt er 2010 Dietrich Kuhl­brodt. Das brüllende Sonnenlicht, die sogenannte „verlässliche Tageslichtlänge“, weswegen die Filmindustrie einmal von New York aus in das Kaff namens Hollywood gezogen war, scheint auch auf den deutschen, filmisch kaum gebildeten Avantgardisten, seine drei Diven und seinen schwierigen Boyfriend herab. Das ZDF drängt auf Ablieferung der Strukturanalyse des Marilyn-Mythos. Schroeter heiratet schnell eine Jugendfreundin in Las Vegas, um an weiteres Geld zu kommen (das gab es damals fürs Heiraten). Christine Kaufmann versucht gleichzeitig, ihre Kinder aus der Traumstadt zurückzuholen, die der Vater, Tony Curtis, nicht mehr nach Deutschland reisen lässt. In Sichtweite Hollywoods schreibt Schroeter ein neues Drehbuch, findet in einer Geisterstadt am Rande der Mojave-Wüste einen abbruchreifen Saloon, leiht sich Equipment im 2 km entfernten L.A., erklärt seine Darstellerinnen zu Stars und setzt Licht. Hollywood-Glamouroder Butterfly-Licht, gleichmäßig von oben und – mit Hilfe eines Reflektors – von vorne. Lichtsetzer, Ausstatter, Drehbuchautorinnen, Kostümbildnerinnen – als solche bauten seit jeher Schwule und Lesben an den Hollywoodträumen mit, die nicht für sie bestimmt waren. Die Subkultur wiederum wurde von Hollywood mit Glamour, Camp und Eskapismus versorgt. Ein queeres Under-

groundkino entstand, Curtis Harrington und Gregory Markopoulos studierten Film an der Universität Südkaliforniens, Kenneth Angers Großmutter war Kostümbildnerin in den Studios. Maya Deren etablierte das Drehen auf 16mm, fand Abspielorte für die Avantgarde an der Peripherie des Systems. In Markopoulos’ Filme verliebte sich Werner Schroeter auf dem Experimentalfilmfestival in Knokke, Rosa von Praunheim arbeitete sogar kurz als dessen Assistent. Eine Szene im Abglanz, nicht im Schatten Hollywoods, genauso leidenschaftlich damit beschäftigt, das Alltägliche zu eliminieren und das Unbewusste, die Träume, das große Leuchten der Gefühle über die glaubwürdige Setzung von Zeiten und Räumen zu stellen. Schon in den ersten Aufnahmen einer subjektiven Autofahrt in Willow Springs frisst sich das kalifornische Licht ins Filmmaterial. Grelle Reflexe auf der Windschutzscheibe, ausfransendes Grün im Negativ. Wir wären ganz klassisch im Western, wäre die Windschutzscheibe nicht, wäre die Arie nicht und das Motorenbrummen. Als Hollywoodfilmkenner würden wir fragen: Was soll der Quatsch? Hier passt doch nichts zusammen. Als Fans des deutschen Avantgardefilms aber vertrauen wir dieser Schroeter-Fahrstunde, dass sie eine Exposition darstellen soll zur folgenden Szene: Ein Biker hält vor einem schief gefilmten Gasthaus, vor dem eine glamouröse Frau in einem weißen Kleid in einer lasziven Pose steht. Und denken: also doch Western. Der Mann schleift sie ins Innere, die Saloontüren schwingen, die Frau schreit, der Mann reitet nach getaner Arbeit mit seinem Motorrad von dannen. Dazwischen eine Schocksequenz: Magdalena, von einem Nietengürtel gewürgt. Arie und Schluchzen. Ein Fuchs läuft ins Haus. Vogeltumult. Eine Vergewaltigung hat stattgefunden im brüllenden Tageslicht und sie wird, alles deutet ganz hollywoodesk darauf hin, nicht ungesühnt bleiben.


SCREENSHOTS (4)

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Drei Frauen führen ein Mördergasthaus. Vorbeifahrende Männer werden angelockt, benutzt, ermordet und verscharrt. Die Frauen haben keine Geschichte, sie leben ein autonomes Leben. Magdalena, die Oberdiva, befiehlt den anderen: „Werft alles weg und bleibt, was ihr seid!“ Die drei sind die GothicVariante des Frauentrios aus Schroeters Bomberpilot, wo drei ehemalige Nazi-Vamps im Nachkriegsdeutschland versuchen, etwas Großes zu leisten und doch überall scheitern, auch in Amerika – bis sie sich in einem Kabarettprogramm ihrer Vergangenheit stellen. Erfolglos wollten sie Manifeste schreiben, sich der Frauenbewegung anschließen, ihre vielseitige Begabung zum Wohl der Menschheit einsetzen: „Aus purer Verzweiflung rauchten wir nach dem Frühstück eine Marihuana-Filterzigarette und sahen die Möglichkeiten der Rassenintegration in einem neuen Licht!“ Nun haben sie sich selbst in die Wüste geschickt und halten sich die Männer langfristig vom Leib. Fassbinders Petravon-Kant-Konstellation kommt durch die Schwingtür wieder herein: auch ohne Männer wird ihr Leben von Gewalt dominiert – nur dass sie sich diese nun selbst zufügen. Die Gruppe ist streng hierarchisch zusammengesetzt: die Herrin (Magdalena), ihr passiv-unnahbares Liebesobjekt (Christine) und die Dienerin (Ila), die stumm leidet, die Leichen wegschafft, das Frühstück macht und Wasser holt für Christines Morgentoilette. Eine brütende Atmosphäre aufgestauten Verlangens, Ersatzfamilienterror, es gibt mehrere misslungene Fluchtversuche. Ein Poster von Marilyn Monroe auf rotem Samt, es heißt „Golden Dreams“, hängt an Christines Tür – aber wenn sie sie öffnet, steht sie vor einem Spiegel. Das ist keine Strukturanalyse, der Film hat sich längst für seine traumhaft schönen Alternativ-Diven entschieden. Spiegel überall. Ständig sind die Frauen auf sich zurückgeworfen, multiplizieren sich in diesem Haus; es sind beschädigte, blinde Spiegel, das Licht wird darin gebrochen.

Es sind Camp-Bilder von behaupteter und gleichzeitig verschmierter Größe. Zu den wenigen anderen Requisiten der Frauenwelt gehören ein Batterieplattenspieler, aus dem ohne Unterbrechung Arien (Micaela aus „Carmen“: „Hier in der Felsenschlucht ich sprach, dass ich furchtlos mich fühle“) und Schlager („Rum and Coca-Cola, working for the yankee dollar“) plärren, diverse widerspenstige Tiere (Katzen, Hunde, ein Fuchs), ein Revolver und, vor allem, Kleider. Christine in rot, in grün, Ila in weiß, Magdalena in nietenbesetztem Leder, Christine und Magdalene in strassbesetzten schwarzen Organza-Capes, Kleider, die das brüllende Licht zurückfunkeln. Golden Dreams. Mehr Hollywood war nie im deutschen Avantgardefilm. Die tollste Szene findet, brighter than life, direkt in der Wüste statt – die expressionistisch geschminkten deutschen Stars mit rollenden Augen in großer Robe vor Kakteen im gleißenden Sonnenlicht. Das Filmbild verbrennt, buchstäblich. Das Schönste aber ist das, was passiert, wenn die großen Träume im Do-it-yourselfModus erschaffen werden. Wenn ein Sonnenstrahl auf die in einer (!) Einstellung gefilmte Anlockung, Ermordung, Entsorgung eines Mannes fällt und wieder verschwindet. Wenn sich eine Katze mitten in Ilas verquastem Monolog aus ihren Armen befreit. Wie die notdürftig von Schroeter selbst bediente Kamera in ihrem wirren Vorund Zurückzoomen plötzlich instabil wird, in Schieflage gerät. Wenn immer wieder der hochempfindliche Super16-Film vom grellen Licht überstrahlt wird. Es ist zwar Hollywood-Licht, aber es darf machen, was es will. Natürlich wird ein Mann auftreten, der zu schön ist, um ihn zu entsorgen. Michael nämlich, ein trauriger Boy in weißem Satinhemd und enger Hose, ein Kind, dem man verboten hat, mit Murmeln zu spielen. Ila liebt ihn auf Christines Matratze, bevor sie mit ihm durchzubrennen versucht. Seine Mutter (auch Montezuma) kommt, mit Nerz-

Stola, aus der „big city“, will ihn retten, reist aber unverrichteter Dinge wieder ab. Magdalena, müde: „Life in the desert is very demanding, you know …“ Es gibt keinen Ausweg aus dieser Welt, aus diesem Film. Immer wieder die gleichen Lichtbilder, helle Fenster in der Nacht, ein entferntes Schiff im Sonnenuntergang, eine unendlich lange Fahrt durch die gleißende Wüste. Traumbilder, losgelöst, festgesetzt. Der letzte Fluchtversuch scheitert westerngroß: Magdalena hat einen Revolver und beginnt mit dem Showdown. Sie erschießt Michael, dann Ila, dann Christine. Die Kamera schwenkt in die Sonne. Magdalene kommt aus dem Haus, läuft ins Helle, schwankt, großer Abgang. Das Hollywood-Glamour-Licht, das auf ihr liegt, verlässt sie, verrutscht, wird zu einem sinnlosen Lichtflecken auf der Hauswand, das den Reflektor verrät. Das Bild kippt ins Schwarz. Der Abglanz Hollywoods erlischt. Schroeter hat keine Lust mehr auf „brotlose Kunst“, für experimentelle TV-Formate (*hust*) und das „Andere Kino“. Er geht auf die italienischen Straßen und dreht mit Laien Neapolitanische Geschwister. Im natürlichen Licht. Die Fernsehredakteure, in Erwartung einer Strukturanalyse des Marilyn-Mythos, sind nach der Vorführung des Materials entsetzt. Statt einer essayistischen Befragung populärkultureller Grundlagen haben sie einen Hollywoodfilm bekommen. Der Chef sagt später zu seinen Angestellten: „Sehen Sie denn nicht, dass der Herr Schroeter uns ein Geschenk gemacht hat?“ s

Willow Springs & Tage der Idioten von Werner Schroeter DE 1973/1981, 78/106 Minuten, deutsche OF/englische OmU Auf DVD bei der Edition Filmmuseum, 3 www.edition-filmmuseum.com

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KAM EIN ENGELEIN UND WOLLT MICH ABWEISEN … VON GU N T H E R GE LT I NGE R

MISSING FILMS

Es gab die stotternde Marilyn und Bette Davis im Rollstuhl. Und es gibt Cybersissy und BayBjane, die eine Psychose und einen schiefen Körper der normativen Schwulenszene als Glamourkonzept entgegenstellen. Tim Lienhardt hat mit den Performancekünstlern Antoine Timmemans und Mourad Zerhouni einen Film gemacht: „One Zero One“ ist eine queere Oper der Humanität.

s Der Mythos der Marylin Monroe ist das Drama des seelischen und körperlichen Ausverkaufs eines Menschen im Namen der Kunst. Unauflösbar darin eingeschrieben wie die Grammatik selbst, die diesen Mythos in Bild und Sprache hervorgebracht hat, ist er zugleich die Geschichte einer Veräußerung der Kunst durch den Kommerz. Billy Wilder, der seine Schauspielerin für „völlig naiv“ hielt, mit ihr aber trotzdem (oder gerade deshalb?) ihre erfolgreichsten Filme drehte, brachte es auf den Punkt: „Nicht Hollywood hat Marylin Monroe umgebracht, es sind die Marylin Monroes, die Hollywood umbringen“. Norma Jeane Baker, wie das Waisenmädchen Marylin Monroe auf dem Taufschein hieß, sah das wesentlich nüchterner; in ihrem als Nachlass erschienenen Tagebuch schreibt sie lakonisch: „Ich bin wohl an den falschen Stellen emotional“. Verwundet, könnte man auch sagen, und hier geht die Psychopathologie noch einen Schritt weiter und attestiert der Schauspielerin eine Borderline-Störung, die sie im Alter von nur 36 Jahren umbrachte, letzter Akt in ihrem tragischen Lebensprojekt, das Authentische zu erobern. „Weder tot noch lebendig“ betitelt der Borderline-Forscher J. Erik Mertz seine bedrückende Bestandsaufnahme von der spätmodernen Grenzgängergesellschaft zwischen Autismus, Beziehungssucht und Ich-Simulation. Auf dem Umschlag seines Buches vervielfacht sich das von Andy Warhol zur Pop-Ikone stilisierte Porträt der Monroe ins Unendliche. Auf Millionen von T-Shirts, Taschen, Tassen und Stickern druckt die Merchandising-Maschine Marylins Zerrbild in die Welt; die traurige Biographie dahinter zählt zu den lukrativsten Passionsgeschichten des vergangenen Jahrhunderts. Nach Mertz’ Theorie war Marylin Monroe keine klassische Schauspielerin, die es zum Beruf wählte, Rollen zu spielen, sondern eine „existentielle“, eine Frau, der allein die Simulation das Überleben sicherte und deren „anonymisierte Weiblichkeit in einem (Nicht-Ich) Fremdkörper feststeckt und von dort aus im Sinne einer ‚objektiven Bühnenpräsenz‘ allerlei superreale Effekte erzeugt.“ Spätestens wenn in Tim Lienhards Film One Zero One die transsexuelle Party-Hostess Amanda Lepore als kunstvolle (oder durch zahlreiche Operationen künstlich hergestellte) Monroe-Wiedergängerin ihren Auftritt in der Glamourwelt der Nachtclubs hat, ist die Geschichte der Norma Jeane eng mit dem Erfolg der PerformanceKünstler Cybersissy und BayBjane verknüpft. Auf dem Höhepunkt SISSY 22     33


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ihrer Karriere hauchte Marylin Monroe dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy ihr Happy Birthday zu, ein verführerischer Lockruf, der sie als Engel des Sex unsterblich machen sollte. Was kaum jemand weiß: Marylin Monroe verhauchte ihr Geburtstagsständchen derart, weil sie stotterte. Was als Sirenengesang ihren Mythos komplettierte, war die zum Markenzeichen gewordene Verwischung eines Makels, die Deformation einer Deformation. Neun amerikanische Präsidenten später, es ist die Ära von George W. Bush, kämpft der aus den Niederlanden stammende Antoine Timmemans gegen seine Psychose und für seine Homosexualität, die ihm seine Mutter, eine Zeugin Jehovas, austreiben wollte, bevor sie selbst psychotisch wurde und sich das Leben nahm. Seine Familiengeschichte, „Horror“, sagt er, „voller schlimmer Klischees“, liefert ihm die theatralische Grundlage für ein Leben als Performer; seine Bühnenfigur Cybersissy verwischt bewusst die Grenzen zwischen Inszenierung und Autobiografie, sexueller Identität und Projektion. Voller Zorn auf die Terror-Bekämpfungs-Politik der Bush-Regierung, die gleichzeitig freedom of speech verspricht, nimmt er sich als Künstler vor, „die Unschuld meines Arschlochs“ zurückzuerobern. Der Anus wird zum Zentrum seiner Arbeit. Als Antwort auf Bushs leere politische Versprechen malt er ein Bild mit dem Titel „Cybersissy’s turn to terrorism“. Darauf drückt die Figur den Knopf für eine Bombe, die amerikanische Flagge ragt aus ihrem After. Auf einem weiteren Selbstporträt prangt die blutrote Rosette wie eine Einschusswunde. Auf seiner Bühnentournee durch die Party-Clubs lernt er den kleinwüchsigen Deutschmarokkaner Mourad Zerhouni kennen, an dessen Körper „nichts gerade ist“. Mourad wurde mit einer Erbkrankheit geboren, Morbus Perthes nennen es die einen, Glasknochenkrankheit die anderen, eine genaue Diagnose scheint es – wie auch bei Antoines psychischer Erkrankung – nicht zu geben. „Only a dog can judge me“, wird Mourad später während eines gemeinsamen Auftritts auf Antoines Rücken schreiben.

»But your are, Blanche, you are in that chair!« Antoine sieht die fehlenden Fingerglieder an Mourads Händen und fragt sich, wie man dafür ein Kostüm entwerfen soll: „Versucht man, es normal zu machen, oder verstärkt man die Deformation?“ Sie entscheiden sich für Letzteres; die Kunstfiguren Cybersissy und BayBjane sind geboren. Ihre überbordenden Kostüme kaschieren und betonen die körperlichen und seelischen Makel gleichermaßen, ihre Show Acts sind hochpoetisch und obszön, stilisiert und anarchisch, liebevoll und monströs, grenzüberschreitende lebendige Gemälde, die beim Publikum „den Raum der Buhrufe explorieren, den Leuten die Kunst vor die Füße schmeißen“ sollen. 34     SISSY 22

Mourad führt die Begegnung mit Antoine zu seiner künstlerischen Selbstfindung, und auch Antoine, der Denker und Analytiker des ungleichen Duos, wächst durch die enge Zusammenarbeit mit Mourad über sich selbst hinaus, sei er doch zuvor wie „ein Klon von Marylin Monroe“, gewesen. BayBjanes Künstlernamen entlehnt Antoine dem amerikanischen Spielfilm What ever happened to Baby Jane. Joan Crawford und Bette Davis spielen darin die Schwestern Blanche und Jane, die zurückzogen in einer Villa in Hollywood leben. Jane war einst unter dem Künstlernamen Baby Jane ein erfolgreicher Kinderstar, bevor die Schwester Blanche sie mit einer steilen Filmkarriere in Hollywood überholte, aus deren Zenit sie ein mysteriöser Autounfall riss. An einen Rollstuhl gefesselt wird sie seitdem von ihrer psychisch kranken Schwester Jane malträtiert. „You wouldn’t be able to do all these awful things to me, if I weren’t still in this chair“, klagt Blanche ihre Schwester an, und Jane alias Bette Davis ruft mit diabolischem Lachen ihren berühmten Satz: „But your are, Blanche, you are in that chair!“ „Verwöhnt vernachlässigt“, nennt Antoine die Behinderten, denen das Mitleid der Gesellschaft unterm Deckmantel der Political Correctness zweifelhafte Privilegien einräumt: „Man drückt ihnen eine Tüte Süßigkeiten in die Hand und sagt: Wie süß, aber halt deine Klappe.“ Mourad ergänzt: „Man wird geboren mit einer Krankheit, hat aber als Kind lange Zeit den Eindruck, dass man gar nicht so anders ist als die anderen“ – bis ihm in der Partywelt von Köln, der Karnevalsmetropole, in der die bewusste Entstellung doch zum Straßenbild gehört, seine Andersartigkeit bewusst wird, weil gerade in der muskelsüchtigen Schwulenszene die Behinderten, Dicken und Versehrten fast völlig fehlen. Auftritt Cybersissy und BayBjane. In einem von Tim Lienhards märchenhaften Filmsets stehen die halbnackten Beaus mit den athletischen Körpern hinter einer Glastür, gefangen in einer prachtvollen Villa, die ihren goldenen Käfig symbolisieren mag. Zwei dämonische Feen kommen aus dem verschlungenen Garten an die Tür, Finger tasten von beiden Seiten über die Glasscheibe und berühren sich doch nicht. Wer strebt zu wem? „Wer ist draußen und wer klopft an? / Der mich so leise wecken kann?“ erklingt in einer hingehauchten Club-Version das Lied „Wo die schönen Trompeten blasen“. In Lienhards Film prallt die todessehnsüchtige Musik Mahlers, zu seiner Zeit Grenzgänger zwischen Spätromantik und Moderne, auf die hedonistische Partyszene, die den Angriffen der Vergänglichkeit den Optimismus ihrer synthetischen Beats entgegenstellt. Schnitt. Am Ende von What ever happened to Baby Jane gesteht Blanche der nun völlig verrückt gewordenen Schwester, dass sie selbst den Autounfall verursacht habe. War es ein Selbstmordversuch oder Selbstrettung, das letzte Herumreißen des Steuers an Hollywoods Klippen, bevor die Filmkarriere eines alternden Stars steil nach unten führt? Joan Crawford machte in späteren Jahren kein Geheimnis daraus, in welchem Maße die Rolle der Querschnittsgelähmten ihrem Image geschadet hatte. Als die Filmangebote nachließen, ließ sie sich in den Aufsichtsrat des Konzerngiganten Pepsi wählen. Elf Tage nachdem Marylin Monroe dem amerikanischen Präsidenten ihren Geburtstagsgruß zugeraunt hatte, fand man die Schauspielerin leblos in ihrer Villa, offizielle Todesursache: Schlafmittelvergiftung. Allerdings wurden in ihrem Magen keine Überreste gefunden. Die Frage, ob sie doch Opfer eines Mords oder Mordkomplotts war, bleibt unbeantwortet. Eine der vielen Theorien über ihr Ableben schließt nicht aus, dass die tödliche Dosis rektal eingeführt wurde. Marylin Monroes Tod, ein analer Terrorakt gegen die herrschenden Machtverhältnisse? Als polysexuelle Bomben schlagen Cybersissy und BayBjane in die strengen Körperhierarchien der (vor allem schwulen) Clubs ein und sprengen die Verlogenheit der politisch korrekten Diskurse frei, die den Umgang mit Behinderten auch in der Feierszene prägt. Weil der Makel im Fantasiekostüm zwar nicht zu eliminieren, aber doch besser zu ertragen ist, feiert die Masse nun die Sensation: Mourad wird zum


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bejubelten Star in den Clubs von Ibiza, wo die schönen Party-Spießer in ihrem Pauschal-Exzess das Zwischenwelt-Kuriosum BayBjane mit ihren Handys fotografieren und als Fetisch-Objekt ihrer intersexuellen und interrassischen Toleranz feiern, solange die Wirkung von Drogen, Alkohol und mediterraner Sonne anhält. „O Röschen rot“, klingt es aus „Des Knaben Wunderhorn“, „Der Mensch liegt in größter Not / Der Mensch liegt in größter Pein“. Die psychische Erkrankung zwingt Antoine, kürzer zu treten. Er fertigt Skulpturen in einer therapeutischen Frauengruppe und betreibt weiterhin scharfe Selbstanalyse. In der Psychose lösen sich die Welt und ihre vielschichtigen Beziehungen in Zeichen und Symbole auf. Antoine begegnet der magischen Zahlenkombination 1-0-1 und deutet sie als „ein Loch und zwei Beine, lol, laughing out loud, ein Teller mit Messer und Gabel, das ganze digitale System.“ Antoine verrät die Zahl etwas über die Zeit, in der wir leben, „über das, was geil ist und was nicht, was man darf und was man nicht darf. Das Spiel mit dem Leben, dem Tod, das Groteske, das Schöne, geboren werden, sterben und alles dazwischen.“ 1-0-1 wird für ihn zur Chiffre für die postmoderne Gesellschaft. Dieser prognostiziert Erik J. Mertz ein düstere Zukunft: Die lebendige Person habe, so wie die Dinge stünden, ausgedient. Der Autor zweifelt daran, dass die „spätmoderne Gesellschaft die ohnehin schon verwahrlosten Restbestände ihrer beziehungskulturellen Substanz über die Runden retten kann.“ Er lässt die Welt in einem zunehmend globalisierten Dämmerzustand versinken, dem Tim Lienhard in seinem Porträt von Cybersissy und BayBjane das einzige entgegenzusetzen weiß, was uns noch retten könnte: die Kunst und noch mal die Kunst. Er inszeniert sein Doku-Märchen als kitsch- und bildpralle Kino-Oper, eine im besten Wortsinn queere Hommage an die Humanität, durchzogen von der leisen Traurigkeit über deren drohenden Verlust wie von einer leisen, spätromantischen Melodie: „Je lieber möcht’ ich im Himmel sein / Da kam ich auf einen breiten Weg / Da kam ein Engelein und wollt mich abweisen / Ach nein, ich ließ mich nicht abweisen …“ Indes klettert Mourad weiter die Karriereleiter hinauf. Er lernt Künstler kennen, die sein Potenzial erkennen und fördern. Durch seine Krankheit verliert er ein Auge und ersetzt es durch das gläserne eines Terminators; fortan seziert sein Blick mit einem roten Laserstrahl das applaudierende Publikum. Wieder kommt die Idee für seine neue Identität von Antoine, BayBjane findet als bionic drag zu seiner eigenen Vokalstimme. Während für Antoine eine Amerikareise erst wieder durch die Wahl Obamas zum Präsidenten denkbar wird, gründet Mourad „im Land des Entertainment“ eine neue Show. „Sie wollen Dollars, Dollars, Dollars, und so machen wir alles für Dollars, Dollars, Dollars.“ „I’m a kitsch queen, plastic drag“, singt BayBjane, „I’m a piss bitch, freaky chick.“ „Ich bin von Gott und will wieder zu Gott / Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben / wird leuchten mir bis in das ewig selig’ Leben“, lässt Lienhard Mahler ergänzen, und Marylin Monroe antwortet in ihrem Tagebuch: „Ach, Friede, wie ich dich brauche – und sei es als friedliches Monster.“ s

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Warhol 2.0 VON PAU L SCH U L Z

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Cory Krueckeberg („Wäre die Welt mein“) erzählt in „My Private Go-Go“ zunächst etwas hysterisch von einer sexuellen Obsession und später, nachdem diese sich lustvoll-utopisch realisiert hat, ganz entspannt eine sehr schöne, ernsthafte schwule Liebensgeschichte.

s Andy Warhol hat 1963 über ein Dutzend Filme gedreht, die alle versuchten, die Ästhetik des Alltäglichen zu beleuchten. Menschen beim Frisör, beim Tanzen, beim Einkaufen. Sonst nichts, oft in nur einer Einstellung. Drei dieser Experimente, Sleep, Eat und Kiss schienen für nachfolgende Generationen schwuler Männer vor allem deswegen so interessant zu sein, weil sie versprachen, Abbildungen ganz normalen queeren Lebens zu sein. Über 50 Jahre später ist der Neuigkeitswert verflogen, und man hat die Chance, sich anzusehen, was der gute Andy eigentlich meinte: Intimität. Die er einfach nur so inszeniert hat, wie er es in dem Kosmos, in dem er lebte, konnte, schwul nämlich. Eine buddhistische Meditationspraxis ist es, Sachen, die man jeden Tag macht, aufmerksamer zu tun, sich darauf zu konzentrieren, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken, und sie so quasi neu zu entdecken. Etwas ganz Ähnliches tut Wäre die Welt mein-Produzent Cory Krueckeberg in seinem Debüt als Regisseur. Und bedient sich dabei der Mittel, die Warhol erfunden hat. Denn der nutzte die neueste AllerweltsTechnik, die ihm und jedem anderen zur 36     SISSY 22

Verfügung stand. Also erzählt Krueckeberg die Geschichte davon, wie sich der Doktorant „Doc“ in den Gogo-Tänzer „Go“ verliebt, und der sich auch in ihn, als Fakeumentary, die auf Handys, mit Webcams und Heimvideokameras gedreht ist und damit immer so nah dran wie möglich an seinen Protagonisten. Was dabei vor den Augen der Zuschauer entsteht, ist, lässt man sich auf die Form ein, ein buntes Kaleidoskop moderner Kommunikationsmöglichkeiten. Und, weil wir alle an die ästhetisch inzwischen so gewöhnt sind, eine erstaunliche Nähe zu den zwei Hauptakteuren. Die Story: Der New Yorker Doc gesteht seiner treuen Zuschauerschaft auf seinem Blog, dass er eine Obsession hat, den GogoTänzer Go. Um ihm näher zu kommen, kontaktiert Doc Go übers Internet und gibt vor, eine Doku über einen Gogo-Tänzer drehen zu wollen. Go trifft sich mit Doc, Go überlegt, Go willigt ein. Womit wir mitten drin wären, in der Welt von Matthew Camp, einem realen New Yorker Gogo-Boy, Performance-Künstler, Modeschöpfer und Parfümeur. Der spielt Go und ist der Grund, warum es My Private Go-Go überhaupt gibt. „Meine private Obsession mit Matthew hat mich dazu gebracht,

ihn für die Hauptrolle anzufragen, gesteht Krueckeberg. Das hat er gut gemacht, denn Camp ist nicht nur ein überraschend guter Schauspieler, sondern auch wirklich wunderschön und überhaupt nicht dumm. Viele der Szenen sind improvisiert oder basieren auf Interviews mit Camp, die Krueckeberg kannte. Und wenn Go Docs lüsterne Frage, nach seinem Lieblingskörperteil mit: „Ich mag mein Gehirn sehr gern“, beantwortet, was Doc ihm verbieten will, ist man mitten drin in der Körperpolitik. Denn neben der hinreißenden Lovestory, und dem formellen Experiment, ist My Private Go-Go noch etwas anderes: ein in die leuchtende Verpackung von zwei schönen Kerlen eingeschlagene Diskussion darüber, was schwuler Sex und schwule Körper sind und/oder sein sollen. Denn Docs komplett voyeuristischer Standpunkt, und mit ihm der des Zuschauers, wird durchbrochen, als Go sich auch für ihn interessiert und nach einer gewissen Zeit nicht mehr als die geile Projektionsfläche herhalten will, zu der Doc ihn macht. Tanner Cohen, den viele aus Wäre die Welt mein aus guter Erinnerung haben werden, gibt Doc als Figur soviel Naivität und schwanzwedelnde Neugierde mit, dass man es der Figur nicht übel nehmen kann, dass sie am Ende des Films (zurück) nach Iowa zieht, weil sie die große Freiheit, die Go anbietet, nicht aushalten kann. Vielleicht sollte Krueckeberg die Figuren in zehn Jahren wieder besuchen und dann gucken, wer glücklicher geworden ist. Bis dahin kann man mit der mehr als willkommenen Ergänzung, die der Regisseur mit My Private Go-Go gedreht hat, jede Menge Spaß haben und ihn immer wieder ansehen. Und zwar auch, weil der Regisseur wunderschöne Neuinszenierungen von Warhols kleinen Filmexperimente in seinem eigenen Film versteckt hat, von denen vor allem die nicht enden wollende Kusssequenz einfach nur glücklich macht. Der Film reiht sich ein in eine ganze Anzahl wirklich aufregender und komplett gelungener queerer Versuche aus den letzten Jahren, herauszufinden, was Kino heute kann. Dass er dabei so leicht ist, dass er wahrscheinlich in Milch schwimmt und nicht mit nackter Haut geizt, könnte einige dazu bringen, an seinen großen Qualitäten vorbeizusehen. Das wäre extrem schade. s My Private Go-Go von Cory Krueckeberg US 2013, 92 Minuten, englische OmU Auf DVD bei Pro-Fun Media, 3 www. pro-fun.de


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film-flirt

Der Moment SCHRIFTSTELLER SEHEN FILME: MATTHIAS FRINGS

Matthias Frings, in Aachen geboren, seit 35 Jahren in Berlin lebend, kennen viele noch als Moderator, Redaktionsleiter und Produzent der TV-Sendung „Liebe Sünde“. Frings war aber auch immer als Autor aktiv. 2009 erschien die Schernikau-Biografie „Der letzte Kommunist“, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse, 2011 der Roman „Ein makelloser Abstieg“. Zuletzt hat Frings seinen Berlin-Hype-SchwellenRoman „Manchmal ist das Leben“ vorgestellt, der im Querverlag erschienen ist.

s Gus Van Sant – ein Regisseur mit einem Namen wie aus einer Seifenoper: Gass Vän Sänt. Keanu Reeves und River Phoenix – die schönsten (Reeves) und talentiertesten (Phoenix) Jungstars ihrer Zeit zum ersten Mal gemeinsam auf der Leinwand. My Own Private Idaho – dort findet sich mein ganz persönlicher Filmmoment. Aber ein Moment ist immer Verdichtung, hat immer eine Vorgeschichte. Dieser auch. Es muss 1987 gewesen sein. Ich berichtete für das Radio von der Berlinale, und der legendäre Panorama-Chef Manfred Salzgeber nahm sich wie jedes Jahr eine Stunde Zeit, um mich auf die Filme einzuschwören, die für „uns“ wichtig waren. Er hielt dies auch mit anderen Journalisten so, Lobbyarbeit für schwullesbische Filme, wie man damals sagte, so gescheit und originell, so My own private Idaho von Gus van Sant US 1991, 104 Minuten, deutsche SF und englische OmU Auf DVD als Import und Gebraucht­ware

innig und mit Schmackes, dass niemand es fertig gebracht hätte, über einen seiner Herzensfilme nicht zu berichten. In diesem Jahr trommelte er besonders für Van Sants Mala Noche, eine Arbeit in körnigem Schwarzweiß, die Geschichte einer Amour fou zwischen dem Verkäufer Walt und einem mexikanischen Gelegenheitsstricher, ebenso roh wie stilbewusst, auf eine leicht verstörende Art sexy, aber vor allem: Dieser Film entschuldige sich nicht für sein Thema, erkläre sich auch nicht, darin ein veritabler Vorläufer des New Queer Cinema. Wahrscheinlich hat Manfred Salzgeber es nicht nur mir beigebracht: Ein Film muss nicht von Vor- bis Abspann perfekt sein, um ihn schätzen zu können. Schon aus technischen Gründen besteht jeder Film ausschließlich aus unendlich vielen einzelnen

Momenten – und genau dies wusste er zu schätzen. Manchmal sagte er: „Als Ganzes kannst du den Film vergessen, aber diese eine Szene gegen Ende hin, dieser eine Moment, da musst du genau hinschauen, dafür lohnen sich die restlichen anderthalb Stunden.“ Einen solchen Moment – und nicht nur diesen, sondern viele weitere erinnerungswürdige Momente – gibt es in Van Sants übernächstem Film My Own Private Idaho zu bestaunen. Nachdem sein erster Langfilm Drugstore Cowboy (Matt Dillon und Kelly Lynch als Bonnie and Clyde auf Heroin) ein Achtungserfolg geworden war, arbeitete er an einer Liebesgeschichte unter Strichern. Zwei junge Wölfe unterwegs, einer, der romantisch aufheult, der andere mit kaum sichtbaren Fangzähnen im hübschen Mund. Da der Film ein Roadmovie ist, muss mindestens einmal ein Lagerfeuer brennen, denn im Feuerschein, das wissen wir alle, kommen die wirklich wichtigen Dinge zur Sprache. Beste Freunde sind die beiden, ja, aber Mike (River Phoenix) ist in seinen heterosexuellen Kumpel Scott (Keanu Reeves) verliebt. Wir kennen auch dies, das Gefälle des Begehrens. Scott, der das Gewerbe der Liebe nutzt, um sich für die Herausforderungen einer Karriere zu stählen, sagt: „When you start doing things for free you grow wings and become a fairy.“ Rot ist die dominierende Farbe dieses Films, ein angeschmutztes Rot, ein rostiges Orange fast schon, Scotts T-Shirt und Mikes Jacke, immer dasselbe Rot, und nun legt das Licht des flackerndes Feuers eine weitere Schicht fleckigen Rots über die Szenerie. So vertraut, so anrührend: Wie Phoenix da hockt, das Herz übervoll und schon auf verlorenem Posten, Arme und Beine ganz nah an den Körper gepresst, Wörter, die nur stockend herauskommen: „I mean, I mean … for me … I could love someone even if I, you know, wasn’t paid for it.“ Scott neben ihm, hingegossen, das Gegenteil seines zusammengefalteten Freundes, sagt nur: „Mike“. Sehr freundlich, aber mit warnendem Unterton. Doch der ist schon zu weit gegangen. Hockt da in diesem Höllenrot, weiß um die Vergeblichkeit dieser Liebe, aber jetzt muss alles raus: „I really wanna kiss you man … Well goodnight man … I love you though … “ Wem da nicht das Herz bricht, der hat keins. s

Manchmal ist das Leben von Matthias Frings Roman, 360 Seiten

Der letzte Kommunist von Matthias Frings Biografie, 496 Seiten

Querverlag, 3 www.querverlag.de

Aufbau-Verlag, 3 www.aufbau-verlag.de

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JIM TUSCHINSKY

tellerr and

GEILE FILMKUNST VON M A RCO SI E DE LM A N N

Ein sich heterosexuell identifizierender Filmschreiber, der im Kino keine Angst vor sichtbaren Erektionen hat, beklagt die Ignoranz der meisten Filmexperten gegenüber dem Golden Age des Schwulenpornos. Und würdigt seinerseits das queere Kino aus einer für uns ungewohnten Perspektive: Er fühlt sich von ihm verstanden.

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tellerr and

s Ausgerechnet zwei Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber gleichermaßen einen schlechten Ruf unter vielen Homosexuellen haben, haben mich als junger Zuschauer vor der Pubertät „herangeführt“: William Friedkins legendär umstrittener Serienkillerfilm Cruising und Sönke Wortmanns Ralf-König-Adaption Der Bewegte Mann. Nun werfen beide Filme bekanntermaßen einen heteronormativen Blick auf die schwule Szene, hier auf die Lederszene New Yorks, dort auf Tuntenpartys in Köln. Vom eklektischen Friedkinfilm, bis heute ein Favorit von mir und nicht durch ideologische Komplikationen kaputtgedacht, fühlte ich mich an die Hand genommen und in eine nie abstoßende, sondern glühend „echte“ Parallelwelt gezogen, die mir kein Stück Angst oder Bedenken eingeflößt hat. Die oft beschworene Dämonisierung, für die Gegner des Films, zugegeben, auch schlüssige Gründe finden, sie ist bei mir jedenfalls nicht angekommen. Selbiges gilt für den Bewegten Mann, der mich nicht nur zu den Comics von Ralf König gebracht, sondern sich gleichzeitig nicht wesentlich anders angefühlt hat in seiner Szenebeschreibung. Der Unterschied ist mir heute klarer, wobei ich der Verfilmung immer noch zugute halte, nicht nur einen zufriedenstellenden Teil des Humors schadlos übertragen zu haben, sondern eben auch, dass die (vergleichsweise) wenigen Modifikationen, die aus der schwulen Vorlage eine Hetero-Mainstream-Bearbeitung machen und somit einem großen Publikum öffnen, aus meiner Perspektive sinnvoll und wenig entstellend wirken. Beide Filme vereint für mich auch heute noch abseits der durchaus diskutablen Kritikpunkte vor allem eins – ohne es explizit zu erarbeiten und wegen der fehlenden Subkulturherkunft von Machern und Produzenten durchaus bemerkenswert: Die Heterowelt sieht gegen den dampfenden Underground mit zügellosem Sex oder eben gegen frivole Verkleidungspartys mit Monty Arnold ganz schön trostlos und langweilig aus. Das führt dann dazu, dass ich mich phasenweise sogar auf die Suche gemacht habe nach diesbezüglichem Filmmaterial, was dann – wenig überraschend – etwa zu den Frühwerken von Gus van Sant, Todd Haynes und anderen Queer-Cinema-Ikonen führte und damit erst zu authentischen Annäherungen und Innenansichten. Bei einer auf solch thematischen Schwerpunkten basierenden Recherche und entsprechendem Filmkonsum wird aber auch schnell klar: Nicht grundsätzlich muss das interessant und funkelnd sein. Eine Tendenz hat sich aber abgezeichnet und ist nicht verschwunden. Ist das dann gleich Anbiederung? Randgruppentourismus? Ist das überhaupt „normal“, dass mir trotz meiner Heterosexualität schwule Figuren, Sujets und dazugehörige Befindlichkeitsprobleme auffällig oft und bereits als junger Filmfan Identifikationsflächen gegeben haben? Ist das „bedenklich“ oder „verdächtig“, wie es in Veit Harlans berühmtberüchtigtem Das dritte Geschlecht heißen würde? Gucken Jungs nicht eher Fußball als französische Chansonfilme? Suche ich da was in den Filmen, das mir im Leben und in der Sexualität fehlt und kann mir einfach nicht eingestehen, dass ich auf Männer abfahre? Für mich würde sich kaum ein Konflikt ergeben: Sowohl mein Freundeskreis als auch meine Familie und alle anderen Vertrauten würden mich nicht ächten, da müsste ich keine Sekunde zweifeln. Mein Coming-Out wäre so unkompliziert wie das des Sprösslings einer Kunstsammlerfamilie aus der New Yorker Upper-Class. Selbst meine Großmutter wäre nicht verstörter als von meinem Lebensstil allgemein, würde mir weiter Kartoffelpüree zubereiten, wenn ich ihn mir wünsche, und mir selbst als aufgebrezelter Szene-Tucke Glück wünschen, mit wem auch immer ich zusammen sein möchte. Bedingt durch diese Umstände, in denen ich aufgewachsen bin, wo Homophobie nicht die geringste Chance haben konnte zu gedeihen: Auch in mir selbst loderten nie Konflikte, moralische, religiöse oder sonst wie geartete. Tatsächlich war ich lange Zeit meiner Jugend betrübt vom Ausbleiben ganz großer romantischer Gefühle, eine ungeheure Jugendliebe fehlte mir genauso wie die Erfahrung, wie übersinnlich eine sexuelle Begegnung sein kann. In dieser Phase fragte ich mich

hin und wieder, ob ich nicht schwul sein müsse: Das würde nicht nur erklären, warum das Verliebtsein nie eine gewisse Messlatte übersprungen hat, sondern auch vieles andere, was ich glaubte, daran geknüpft zu sehen. Aus dieser unbewussten Entwicklung, der beiläufigen Beschäftigung, bin ich zur Überlegung gekommen, dass queerer Film für mich eben überhaupt nicht von sexuell motivierter Neugier gespeist wurde, sondern von einem viel allgemeineren Bild vom „anders sein“. Mit Sicherheit auch sexuell, genauso aber in Bezug auf gruppendynamische, subkulturelle und politisch-ideologische Vorstellungen und Erfahrungen. Überhaupt unterscheidet aus meiner Perspektive dieses Bewusstwerden der eigenen Sexualität den Heteromann vom Schwulen, und da ist man als selbstbewusster und offen lebender Homosexueller einen ganzen Schritt voraus. Paradoxerweise erwächst dieser Schritt eben aus der gesellschaftlichen Emanzipation, die immer noch weit davon entfernt ist, abgeschlossen zu sein. Heteromänner mussten ihre Sexualität nie erklären, auch sich selbst nicht. Dieser Weg, etwas „Offizielles“ wie das Coming-Out zu absolvieren, ist das Ergebnis einer intensiven Erforschung der eigenen Sexualität und noch viel wichtiger: Das Resultat ist auch ein Einverständnis. Aus etlichen Gesprächen von Heteromännern über Sex weiß ich mit einiger Sicherheit, dass eine so mit sich selbst im Reinen stehende Sexualität eher selten ist, dass sie im umgekehrten Fall den sozialpolitischen Prüfstand eines Coming-Outs nur selten stand halten würde. Queere Filme sind das eine, aber schwule Pornos sind dann endgültig das No-Go. Selbst unter toleranten, weltoffenen und ganz sicher nicht ernsthaft homophoben Filmfreunden stößt man bei diesem Thema an Grenzen und muss unweigerlich zweideutige Kommentare hinnehmen. Küsse unter Männern oder andere schwule Gesten kennt man (wenn auch als Exotismus) auch aus dem gewöhnlichen Fernsehprogramm. Zum ersten Mal gesehen, wie zwei Männer miteinander ficken, habe ich ungefähr 2007, in Wakefield Pooles Pornoklassiker Boys in the Sand. Ich kann unumwunden einräumen: ein irritierendes Bild, welches mir so ungewohnt war, dass ich durchaus das Gefühl hatte, dieses Bild sehe „falsch“ aus. Ich war schon damals in jeder Hinsicht einverstanden mit dem, was ich da gesehen hab. Was ich zunächst für die oft beschworene Homophobie eines Heteromannes gehalten habe (von der ich mich bis dahin völlig frei gesprochen hätte und bei der ich mich damit „ertappt“ hätte) glich aber bei weiterer Reflektion eher dem auf unbestimmte Weise überfordernden Eindruck, den ich viele Jahre früher auch hatte, als ich überhaupt zum ersten Mal realen Sex auf dem Bildschirm gesehen hab, bevor die Pubertät richtig einsetzte und natürlich auch vor ersten eigenen sexuellen Erfahrungen. Mann und Frau waren das natürlich, ein ramschiger deutscher Videoporno, Blow-Job, Cunnilingus, Vaginalverkehr. In beiden Fällen wurde mir wohl klar, so schätze ich heute, wie sich die Körperlichkeit eines Films von Grund auf verändert, wenn realer Sex abgebildet wird. Weiter gedacht, handelt es sich um Sex, den man (noch) nicht kennt oder der schlichtweg nicht die eigenen Fantasien trifft. Ob der Zuschauer nun stimuliert wird, ändert nichts am massiven Eindruck, den der gezeigte Sex auf anderer Ebene machen kann. Vergleichbar auch mit einem bisher fremden Fetisch, der zwar nicht unbedingt sexuelle Erregung evoziert, dennoch als Bild eine spektakuläre Wirkung entfalten kann. Und wäre ich schwul, so würde mir das auch nicht zu jedem schwulen Film den Zugang erleichtern, und ich würde auch nicht nur wegen „passender“ sexueller Ausrichtung jeden GayPorno erregend finden. Letztlich geht es um Sex als Ganzes, was er bedeuten kann, wie vielgestaltig er ist und für das Cineastenauge selbstverständlich darum, wie er inszeniert wird. Muss man sich als weltoffener Filmkonsument also unbedingt die Klassiker des schwulen Pornofilms ansehen? Sicher nicht, aber im Gegenzug sollte es kein Ausschlusskriterium für die Filmwahl sein, ob wir mit echtem Sex konfrontiert werden. Viele kleine Meisterwerke der Filmgeschichte SISSY 22     39


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sind praktisch unerschlossen, weil es sich um Gay-Pornos handelt, die längst noch nicht eine ähnliche Neugier erzeugen, wie es die heterosexuellen Pornofilme des „Goldenen Zeitalters“ in einem gewissen Rahmen schaffen. Die wenigen Gegenbeispiele, die bereits ihren cinephilen Ritterschlag erhalten haben, sind immer noch kaum sichtbar oder zu erweben. Und doch gibt es für jeden Geschmack etwas zu entdecken, und damit ist mitnichten der Männergeschmack gemeint. Fred Halsted ist dank seiner avantgardistischen Meisterwerke Sex Garage oder L.A. Plays Itself zwar als einziger seiner Zunft im New Yorker Museum of Modern Art vertreten, eine gescheite Veröffentlichung seiner Werke sucht man vergebens. Dabei hat man selten so rohe und gleichzeitig filigrane Lehrstunden in Filmmontage erhalten, fast als hätte Stan Brakhage sich mit Peter Kubelka zusammengesetzt, um einen einschlägigen Film zu drehen. Sanfter und unaufgeregter dagegen Wakefield Poole: Der hat nicht nur den historisch bedeutsamen Boys in the Sand gedreht, welcher noch vor Deep Throat als erster Porno von der seriösen Presse ernsthaft als Film rezipiert wurde – vor allem der anschließend entstandene Bijou könnte zweifellos zu den großen psychedelischen Filmtrips gezählt werden, doch diesen wundervollen Film kennt im Gegensatz zum schwächeren aber ähnlich geeichten Pink Narcissus in Europa kaum jemand. Beide Filme vereint das Schwelgen und Erkunden fetischistischer Situationen und natürlich die Feier des männlichen Körpers, Bijou ist aber im Direktvergleich der größere Film. Einer, der hätte bleiben müssen, wenn er je angekommen wäre. Selten (vielleicht allenfalls bei Jack Deveaus Drive und damit wiederum im Gayporno) hat die Kamera so fleischlichen, organischen Sex in extraordinäre Mise-en-Scene gekleidet. Selten auch ein Film, der so eins ist mit seiner Musik – Kinowunder wie diese entgehen einem schlichtweg, wenn man das „Golden Age of Porn“ nur auf seine heterosexuellen Filme hin durchforstet. Überraschenderweise ist die Verfügbarkeit mit Ausnahme einiger Ausreißer enorm hoch: Labels wie Catalina, Bijou oder Falcon kümmern sich geradezu vorbildlich um ihren Vintage-Bestand. Restaurierte DVDs auf hohem Niveau sind keine Seltenheit – umso mehr eine Schande, dass viele so erhältliche Filme wie zum Beispiel Adam & Yves von Peter de Rome in dieser Ecke abgestempelt und 40     SISSY 22

unbeachtet weiterhin einer entsprechenden Neubewertung harren. Besonders absurd wird das Desinteresse der Cineastenwelt, die sich schließlich auch auf Festivals und in der alltäglichen Filmwahl mit queerem Filmgut beschäftigt, wenn man gedanklich durchspielt, wie ungleich schwerer und frustrierender sich oftmals die Materialsuche in anderen Nischen gestaltet. In diesem Bereich liegt alles ausgebreitet, vernachlässigt, unbemerkt. Was ich damit vor allem sagen will: Wer das Kino liebt, aber Angst hat vor steifen Schwänzen und männlicher Geilheit, dem entgeht unweigerlich und – drastisch gesagt – aufgrund von Vorurteilen und unbestimmten Ängsten die Entdeckung eines aufregenden Kapitels der Filmgeschichte. Die Revolution ist hier fühlbar und unmissverständlich in jedes einzelne Filmbild geschrieben. Nie waren sozialkulturelle und gesellschaftspolitische Entwicklungen (hier eben die schwule Emanzipationsgeschichte) enger mit einer Cine-Strömung verzahnt als im Golden Age of Gay Porn. Abschließend stellt sich vielleicht die Frage, ob man auch als Hete queer sein kann oder darf? Ist man so queer wie man sich fühlt? Wahrscheinlich sollten sich solche Überlegungen gar nicht aufdrängen, nicht allem muss man ein Label aufdrücken. Am wenigsten sich selbst. s

Boys In The Sand und weitere Filme von Wakefield Poole Auf DVD bei Gorilla Factory Productions, 3 shop.gorillafactoryproductions.com

Pink Narcissus von James Bidgood US 1971, 65 Minuten, ohne Dialog Auf DVD bei der Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de

The Erotic Films of Peter De Rome 98 Minuten, englische OF Auf DVD als Import


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JUNG & SCHÖN FR 2013, Regie: François Ozon, Weltkino

Die erste Viertelstunde ist ein Wunder ökonomischen Erzählens: Urlaub am Strand, liberale Familie, die Tochter wird 17, ihr kleiner Bruder sorgt als Komplize dafür, dass sie sich für ihr erstes Mal aus dem Haus schleichen kann, dann, dabei, eine präzise Szene, in der sie sich selbst beim Sex beobachtet, Persönlichkeitsspaltung, Isabelle wird Isabelle und gleichzeitig Léa. Der Urlaubsflirt verschwindet im Rückspiegel und aus dem Film. Als Léa dann der skandalöser Ausbruch aus dem gutbürgerlichem Familiennest, sie prostituiert und entzieht sich, hat mit der Polizei zu tun, Mama kommt dahinter und versteht ihre Welt nicht mehr. Vorsichtiger Versuch der Wiedereingliederung, mit Teenagerpartys und Babysitting. Wie immer bei Ozon: ein melancholisches Rebellieren gegen ein Bürgertum, das sich nicht infrage stellt. Aber auch Ozon stellt keine Fragen. Es gibt wunderbar einfache, klare Bilder für Isabelles Eigensinn, sie werden aber von restaurativen Hardy-Chansons eingelullt, die schön sind und Heilung versprechen. Den Film interessiert sehr, wie die Mutter mit allem klarkommt, da regiert dann das bad acting des Kunsthandwerks. Aber wenn am Ende Charlotte Rampling auftaucht, alt & schön, und sich neben die 50 Jahre jüngere, aber doch so ähnliche Marine Vacth legt und beide über den Mut des Ausbruchs spekulieren, ist das ein schöner, queerer Moment, der wirklich einer ganz anderen Realität angehört. Doch, halt: „Je suis moi“, singt Françoise Hardy und koppelt die Identität der Frau wieder an den Blick des Mannes. jk

ICH FÜHL MICH DISCO DE 2013, Regie: Axel Ranisch, Edition Salzgeber

Ein dicker Junge in der Pubertät mit Vorliebe für Schlager entwickelt Gefühle für den Lieblingsschüler seines Sprunglehrer-Vaters. Als die vermittelnde Mutter plötzlich nicht mehr da ist, müssen sich Vater und Sohn zusammenraufen. „Liebe ist halt nicht so einfach. Filme drehen, die ihr Publikum glück-

lich machen, auch nicht. Aber Axel Ranisch ist einer, der das kann. Das hat der 30-Jährige schon im Vorjahr mit Dicke Mädchen bewiesen, einer wirklich schönen schwulen Liebesgeschichte. Jetzt legt er noch mal eine Schippe drauf. Und das Ergebnis ist so wunderbar, dass einem fast die Worte fehlen. Weil es so persönlich ist. Ich fühl mich Disco ist offensichtlich vollgesogen mit autobiografischen Details. (…) Ranisch ist der, auf den das deutsche Kino, aber wohl besonders das deutsche Publikum, gewartet hat. Das dürfte auch seinem Ziehvater geschuldet sein. Der heißt Rosa von Praunheim. Ranisch ist einer von denen, denen der Meister während seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam gesagt hat: ‚Mach einen Film darüber, womit du dich auskennst!‘ Sein Schüler hält sich seitdem daran. Ranisch erzählt von einem Alltag, der nicht in den Büros von Werbeagenturen spielt oder mit geistigen Elipsen über den Köpfen der Zuschauer entschuldigt werden muss, sondern der so blutwarm und gegenwärtig ist, dass man glaubt, nur in die S-Bahn nach Lichtenberg steigen zu müssen, um seinen Protagonisten zu begegnen. Das heißt nicht, Ranisch-Filme blieben immer am Boden der Tatsachen, im Gegenteil. Ich fühl mich Disco ist magischer Realismus pur, stellenweise ein Musical, gespickt mit so vielen fantastischen Einfällen, dass man als Rezensent gar nicht weiß, was man zuerst nicht verraten soll, um dem Publikum die große Freude nicht zu verderben.“ (Paul Schulz in SISSY 19)

TEST US 2013, Regie: Chris Mason Johnson, Pro-Fun Media

Nach zehn Jahren des Stilstands scheint es so, als würde sich eine neue Generation von Filmemachern der nicht erzählten Geschichten über HIV und Aids annehmen. Der vielleicht beste Film der letzten Jahre zum Thema erscheint jetzt auf DVD. Test begeisterte im letzten Jahr auf amerikanischen Filmfestivals, weil Regisseur Chris Mason Johnson und sein Ensemble es schaffen, ein Gefühl begreifbar zu machen: die bedrohliche Ungewissheit, mit der eine ganze Generation schwuler Männern in der 1980ern aufwuchs. Das Nichtwissen um das was das Virus eigentlich ist oder wie es übertragen wird treibt auch Frankie (Scott

Marlowe) durch das San Francisco des Jahres 1985. Auf seinem Walkman läuft Bronski Beat, jeder Leberfleck wird auf seine karzenomen Eigenschaften hin überprüft, und wenn einem der Choreograf, für den man gerade arbeitet, sagt, man möge „tanzen wie ein Mann“, streitet man sich nicht über Queerpolitik, sondern versucht, die Schultern zu straffen und weniger affektiert zu lachen. Furchteinflößende OneNight-Stands und seelenrettende Kameradschaft, während man erst auf den alles entscheidenden Test und dann auf dessen lebensbedrohliches Ergebnis wartet, verdichten sich zu einem bemerkenswert akkuraten Zeitporträt, das durch die genaue Arbeit seines Hauptdarstellers zusammengehalten wird. Guter Film das, eine sehr unterhaltsame Geschichtsstunde für die Nachgeborenen. ps

NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS … DE 1970, Regie: Rosa von Praunheim, Kino Kontrovers

„Nicht der Homosexuelle ist ein Manifest, ein lauter Aufruf, sich zu politisieren und sich nicht von konservativen Spießern vereinnahmen zu lassen. Auf einem zweiten Level demonstriert er, wie Schwule, die nicht auf Rosa von Praunheim hören wollen, in die Krise kommen, vom netten Boy zum SM-Praktikanten und weiter zum Pissbudenschwulen.“ (p  Seite 28)

TRIPLE CROSSED USA 2013, Regie: Sean Paul Lockhart, Pro-Fun Media

Sage nochmal einer, es gäbe kein filmisches Leben nach der Pornokarriere. Sean Paul Lockhart war mal jung und brauchte das Geld, also war er für einige Jahre „Brent Corrigan“. Ein knappes Jahrzehnt später ist er deswegen immer noch jung, aber inzwischen relativ wohlhabend. In den letzten fünf Jahren hat es Lockhart geschafft, sich unter dem Erotikfilmstar-Label herauszuarbeiten und hat ein paar trashige und einige gar nicht mal so schlechte Streifen mit seiner physischen Anwesenheit geschmückt. Triple Crossed ist nun sein Debüt als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller. Und gar nicht doof. Natürlich hält der Erstversuch seine komplexe Thriller-Handlung nicht lange zusammen und Lockhart gibt die eine oder andere Fleischbeschau-Einlage, aber insgesamt ist das Stück über einen heimkehrenden Afghanistan-Veteranen, der sich in einem Liebesdreieck mit dem von Lockhart dargestellten Mann und einer fiesen alten Dame, die sie nicht schwul sein lassen will, verfängt, auch nicht schlechter, als das, was einem Sonntag Abend um 20.15 Uhr in der ARD angeboten wird. Nur fehlen da dann der Camp und die SISSY 22     41


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ganze nackte Haut, an denen man sich hier freuen kann, wenn man bei der verworrenen Story nicht mehr durch sieht. ps

THE FALLS 2: TESTAMENT DER LIEBE US 2013, Regie: Ron Garcia, Pro-Fun Media

Man muss Filme über schwule Männer, die an Gott glauben und sich damit schwer tun, als durchschnittlich atheistischer Mitteleuropäer ja nicht mögen. Diese filmischen Äquivalente des Moments, an dem der niedliche Pfarrer aus Augsburg anfängt, sich während des Wortes zum Sonntag schwer atmend den Talar vom keuschen Leib zu zerren, haben aber was. Im Fall von The Falls 2: Testament der Liebe zum Beispiel einen Titel zum Niederknien. Die Wiederbegegnung der beiden Mormonen aus The Falls, von denen man eigentlich dachte, sie hätten sich nach dem Abspann des ersten Teils für den Rest ihres Lebens an den Ufern eines großen Salzsees in Utah in der Missionarsstellung geliebt, gestaltet sich schwierig: Einer ist verheiratet und hat ein Kind, der andere lebt seine wenig religionskonforme Neigung völlig unverfroren aus. Drama! Oder so. Natürlich gibt es eine Sexszene voller verzweifelter Liebe und Momente, in denen tränenverloren über die tiefen Gräben zwischen den eigenen Wünschen und den möglichen Lebensentwürfen gestarrt wird, dicht gefolgt von einem Monolog, der so schwulenbewegt ist, dass Harvey Milk laktoseintolerant geworden wäre. Völlig Panne das Ganze. Ergo: Nach dem dritten Sekt auf Eis eine ganz große Sommerfreude! ps

CONCUSSION US 2013, Regie: Stacie Passon, Edition Salzgeber

Durch eine heile, aber nicht wirklich eingespielte Vorstadt-RegenbogenFamilie geht ein kleiner Riss. Ausgelöst durch eine Gehirnerschütterung, begreift eine der beiden Mütter in Stacey Passons abgründigen Debüt, dass ihre Welt zu klein geworden ist, dass eine größere aber vielleicht auch nicht so anders aussehen würde. „Concussion quält uns nicht mit einer Utopie, sondern sieht der Realität ins Angesicht. Die Flucht aus einem grau-beigen Haus führt in ein anderes grau-beiges Haus. Die Aussicht ist überall dieselbe: Es gibt diese oder jene Aussicht auf die New Yorker Skyline oder irgendwelche benachbarten Vorgärten. Es ist bewundernswert, wie der Film es schafft, die Gefährdung und gleichzeitige Stabilität dieser Welt zu zeigen. Es ist ein bisschen die lesbi42     SISSY 22

sche Version von David Lynchs Straight Story: Die Bedrohungen und Brüche sind subtil und manchmal kaum zu sehen. Oft ist es nicht mehr als ein entgleister Mundwinkel, ein aus Versehen entblößter blauer Fleck oder ein kurzer Moment, in dem man das Auto einfach an den Straßenrand fahren muss, um aus dem Fenster zu starren. Wir sehen die Gesichter von Menschen, die alles haben, was man sich wünschen kann und die doch die Leere nicht länger übersehen können. Es sind diese typisch amerikanischen Fernsehgesichter: gute Haare, gute Zähne, gute Haut, gute europäische Gene. Sie sehen wahlweise amazed, happy, tired, sad oder bored aus. Gute Schauspieler_innen habe noch einige Adjektive mehr für ihre Gesichter.“ (André Wendler in SISSY 19)

CUPCAKES IL 2013, Regie: Eytan Fox, Pro-Fun Media

Jetzt wo die Eurovision wegen eines bärtigen 25-Jährigen mit Echthaarperücke und einer anständigen Vokal-Performance weltweit wie ein Phönix aus der Versengung aufgetaucht ist, könnte man glauben, Eytan Fox hätte seinen Film auf Punktlandung gedreht. Denn Cupcakes ist, auch wenn die Veranstaltung hier unter einem anderen Namen („Universong“) stattfindet, ein buntes Eurovisionsspektakel, für das Monsieur Fox seinem inneren Almodóvar mal so richtig Zucker gegeben hat. Hysterisch, satirisch platt und über alle Linien getuscht, aber auf eine gute Art. Ein Freundeskreis in Tel Aviv ist so gelangweilt von der offiziellen israelischen Teilnehmerin, dass er kurzerhand seinen eigenen Song auf einem Mobiltelefon aufnimmt und sich wenige Monate später durch eine Reihe absurder Zufälle als direkte Konkurrenz zum russischen Beitrag auf der „Universong“-Bühne wiederfindet. Von der intellektuellen Lesbe bis zum Mann im Tutu ist alles dabei und kein Klischeefettnapf wird ausgelassen, aber insgesamt ist das Ganze so süß, harmlos und spaßig wie die Eurovision selbst. Käseigel hingestellt, Sekt aufgemacht und los geht’s! ps

FOUR US 2012, Regie: Joshua Sanchez, Edition Salzgeber

„Wenn der American Way in Four auch nirgendwo hinzuführen scheint, so ist Sanchez’ Film dennoch nicht ohne Hoffnung und Auswege. Am großen Feuerwerk zum Independence Day zeigt sich der Film betont desinteressiert und wagt stattdessen einen Blick auf die kleinen Unabhängigkeiten und Glücksmomente. Beim leisen Knistern einer Wunderkerze wird da aus Leere manchmal ein Freiraum und es findet

sich Versöhnlichkeit im Trotz, Schönheit in der Verzweiflung und noch im Zusammenbruch ein wenig Zärtlichkeit.“ (p  Seite 24)

I AM DIVINE US 2013, Regie: Jeffrey Schwarz, Pro-Fun Media

Diesen Film wollen Menschen sehen, viele Menschen. Regisseur Jeffrey Schwarz war einer der ersten, die Kickstarter als Finanzierungsmodel für Independent-Cinema ausprobierten und hat so 51.000 Dollar eingetrieben, die mehr als ausreichend waren, um die Arbeit am Film abzuschließen. Fünf Jahre hat die gedauert. In denen Schwarz quer durch die USA fuhr, um über hundert Stunden Interviews mit so gut wie jedem zu führen, der Glenn Milstead, den Mann, der Divine war, gekannt hatte. John Waters, Ricki Lake, Mink Stole, Holly Woodlawn und viele andere kommen zu Wort. Der Coup in Mitten all der Szenegrößen ist allerdings ein langes Gespräch mit Divines 2009 verstorbener Mutter, die sich liebevoll daran erinnert, dass ihr dickes Kind in den 50ern verprügelt und gehänselt worden war, sie ihren Sohn nach seinem Coming-Out rausschmiss und Divine sich mit seinem Vater eigentlich nie versöhnt hat. Das alles wird mit Fotos und Super8-Filmen aus Divines Kindheit illustriert und von Schwarz schlau dazu benutzt, ein Psychogram der Figur zu entwerfen, die der kleine Glenn entwarf, um sie schützend vor sich zu stellen: die dicke, laute, furchtlose Dragqueen, die in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts ein Weltstar wurde und als solcher auf der New Yorker Theaterbühne für ausverkaufte Häuser sorgte, noch bevor er in Waters Pink Flamingos Scheiße fressen und mehre Welthits haben durfte. Es wäre interessant zu wissen, was Divine, der 1988 an einem Herzinfarkt starb, heute machen würde. Nach I am Divine hat man eine ungefähre Idee. Schön. ps

AMERICAN VAGABOND DK/FI/US 2013, Regie: Susanna Helke, Edition Salzgeber

„Ohne Planwagen, dafür aber bepackt mit Rucksack, Tennisschlägern und einem schwarzen Rollkoffer, der in der ihm behutsam nachfolgenden, oft nach unten gerichteten Handkamera dominant ins Bild gesetzt scheint, und seinem Freund Tyler im Schlepptau, bricht James auf in eine neue Stadt, in ein neues verheißungsvolles Leben. ‚Macht’s gut, Arschlöcher!‘, verkündet uns die jugendliche, leicht lispelnde Off-Stimme von


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James, der sich zu Beginn des Films verabschiedet von der Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist. Unscharf im Autofenster vorbei fahren Häuser, Bäume, Highschool und der Park, in dem James mit seinem ersten Freund rumgemacht hat. Im christlich und patriarchalisch geprägten Mittelschichtselternhaus wegen seiner Homosexualität fehl am Platz, sieht der junge Mann mit den leicht abstehenden SpockOhren einen Ausweg nur in der Flucht. Die Sui­ziddrohung seines Sohnes hat der Vater mit den Worten ‚Beweis es mir‘, kommentiert und hielt ihm sein geladenes Jagdgewehr vor. Zurückhaltende Klaviermusik und das Motorengeräusch des Autos begleiten die letzten Worte, die James an seine Heimatstadt Chico richtet. Der Blick aus der Windschutzscheibe auf einen neblig grau verhangenen Himmel wird überstrahlt vom grünen Exit-Schild des Highways. Alle Wehmut, Angst und Ungewissheit scheint verdrängt. San Francisco, die schwulste Stadt der Welt und nur drei Autostunden von Chico entfernt, ist das auserkorene und verheißungsvolle Ziel von James und Tyler.“ (Aileen Pinkert in SISSY 21)

DIE FALSCHMÜNZER FR 2010, Regie: Benoît Jacquot, Edition Salzgeber

„Jacquot hat André Gides Falschmünzer, einen der großen Klassiker der Literatur des 20. Jahrhunderts, fürs französische Fernsehen verfilmt. Es ist wohl die erste Verfilmung, die es überhaupt gibt. Das ist kein Wunder. Die Schwierigkeiten haben mit Form und Inhalt des Buches zu tun. Der Roman ist ein figurenreiches Sozialpanorama, das im Pariser Literatenmilieu spielt. (…) Es gibt Perspektivwechsel, unterschiedlichste Textformen, eingestreute Aphorismen und Zitate, sogar ein Kapitel, in dem der ‚Autor‘ seine Figuren einer kritischen Analyse unterzieht. Jacquots Film ist in der Form deutlich klassischer als der Roman. Erstaunlich ist aber, wie viele Handlungsmomente er in seine zwei Stunden Erzählzeit übernimmt, und wie viele Subtilitäten ihm dabei zu wahren gelingt. Die Protagonisten sind frühreife Gymnasiasten, die sich in undefinierte Beziehungen mit erwachsenen Männern verstricken. Aus deren ephebophilen Neigungen macht das Buch so wenig wie Jacquots Film ein Geheimnis; diese Neigungen sind vielmehr etwas wie das Medium, in dem die Intrigen zwischen den Figuren Form und Ausdruck finden. (…) Inszeniert ist das als hoch elegantes Kammerspiel, das Jacquot in vielen verschiedenen Kammern und Räumen und Zimmern (und in einem Nebenstrang in den Alpen) verortet. Die Szenen sind meist kurz, die Einstellungen souverän, aber unaufdringlich aufgelöst, so rücken

die Schauspieler ins Zentrum: Es ist schön, mit welcher Liebe Jacquot, den man vor allem als Frauen-Regisseur kennt, seine großartigen jungen Darsteller ins Bild setzt.“ (Ekkehard Knörer in SISSY 21)

LIBERACE – ZU VIEL DES GUTEN IST WUNDERVOLL US 2013, Regie: Steven Soderbergh, DCM/ Universum

Soderbergh verfilmt die Lebens- und Beziehungsgeschichte des Showpianisten und seines Liebhabers Scott Thorson. „Schwule Mafia. Welche schwule Mafia? In Hollywood wird gerne darüber spekuliert, wie die Homos sich gegenseitig stützen und ihre Agenda durchbringen. Schön wär’s. Dass es sie leider nicht gibt, beweist die Produktionsgeschichte dieses Films. Da hat man einen berühmten Regisseur, zwei Weltstars als Zugpferde, die sahnige Lebensgeschichte eines Mannes, den jedes Kind in den USA kennt – und doch scheiterten jahrelang alle Bemühungen, den Stoff zu finanzieren. Vergleichsweise läppische 23 Millionen Dollar waren aufzubringen, doch sie kamen nicht zusammen. Begründung: zu schwul! Und so erweist sich nebenbei die These, Brokeback Mountain habe im Mainstreamkino einige Türen für schwule Themen aufgestoßen, als Wunschdenken. Schließlich griff der Kabelsender HBO zu. Dass Soderbergh seinen ersten Film auf der großen Leinwand in Cannes präsentierte und seinen letzten für das Fernsehen realisierte (in Europa läuft der Film allerdings im Kino), zeigt ungewollt, wie sich die Gewichte zwischen dem ideenmüden Hollywood und einem quicklebendigen Fernsehen verlagert haben. Bei seiner TV-Ausstrahlung holte Behind the Candelabra die besten Quoten für den Sender seit 2004. Bye, bye Hollywood.” (Matthias Frings in SISSY 19)

BLAU IST EINE WARME FARBE FR 2013, Regie: Abdellatif Kechiche, Alamode

„Emma ist es, die die Farbe Blau in den Film einführt. Mit ihren kurzen blauen Haaren nämlich fällt sie eines Tages Adèle ins Auge, als diese gerade unterwegs zu ihrem ersten Date mit einem Jungen ist. Blaue Haare sind nicht das einzig Auffallende an Emma: Sie läuft in zärtlicher Verbindung Arm in Arm mit einer anderen Frau. Beides scheint auf Adèle eine Art Signalwirkung zu haben – sie, die sich sonst so forschen Schrittes durch die Stadt bewegt, kommt plötzlich ins Stolpern, gerät aus dem

Konzept. Etwas ist passiert. (…) Wie kaum ein anderer Film vor ihm, erzählt Blau ist eine warme Farbe vom sinnlichen Erleben mit den Mitteln und den Zeichen der Sinnlichkeit. Die Nähe der Kamera zu seiner Protagonistin hat zeitweise fast etwas Bedrängendes. So ungewohnt in ihrer Länge und Deutlichkeit besagte Sexszenen auch sind, bilden sie letztlich doch nur einen von vielen Bausteinen, mit denen Kechiche jenes den ganzen Film bestimmende Gefühl von Unmittelbarkeit, Intimität und Sinnlichkeit erzeugt. Man versteht, dass es den Schauspielerinnen viel abverlangt haben muss, sich gleich in mehrfacher Hinsicht so nackt und bloß zu zeigen. Das sexuelle Erwachen, von dem der Film handelt, aber geht über die mehr oder weniger gymnastischen Bettszenen weit hinaus. Sinnlichkeit manifestiert sich, wie gesagt, auch in all den gezeigten Kussszenen und in der Nähe, in der die Kamera stets auf die Gesichter hält, die hier so ungeschützt wie nie wirken.“ (Barbara Schweizerhof in SISSY 20)

CLOUDBURST US 2013, Regie: Thom Fitzgerald, Edition Salzgeber

Olympia Dukakis und Brenda Fricker spielen zwei kratzbürstige ältere Damen, die sich nicht ins Altersheim abschieben lassen, sondern einen Umweg in die selbstbestimmte Freiheit nehmen. Das Ergebnis ist einer der größten Festivalerfolge der letzten Jahre. „Nackt sind in Cloudburst nur die Männer, und über Sex und alles, was dazu gehört, wird ausschließlich gesprochen – das allerdings sehr direkt. Einen Höhepunkt stellt hier sicherlich jener Dialog dar, in dem Stella einem fremden Mann schwärmerisch erklärt, was das für sie wundervolle Wort ‚Cunt‘ (Fotze) alles bedeutet, wie sie deren Beschaffenheit liebt, was sie gegen Jungfräulichkeit hat, und dass ‚Vagina‘ allenfalls klingt wie eine Krankheit. Welch großartige Filmszene! Man möchte sie sofort allen Frauen und noch dringender allen heterosexuellen Männern vorspielen. Diese Direktheit ist aber nicht nur amüsant, sie bewahrt den Film auch davor, zu kitschig zu werden. Es hat tatsächlich Methode, dass auf jeden emotional anrührenden Moment sofort eine kleine Provokation folgt – selbst nach dem einzigen Kuss, liebevoll inszeniert inmitten eines Wolkenbruchs.“ (Maike Hank in SISSY 20)

MY PRIVATE GO-GO US 2014, Regie: Cory Krueckeberg, Pro-Fun Media

„Neben der hinreißenden Lovestory und dem formellen Experiment ist My Private Go-Go noch etwas anderes: ein in die leuchtende Verpackung von zwei schönen Kerlen eingeschlaSISSY 22     43


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gene Diskussion darüber, was schwuler Sex und schwule Körper sind und/oder sein sollen.“ (p  Seite 36)

DAS LETZTE SPIEL – LA PARTIDA ES/CU 2012, Regie: Antonio Hens, Edition Salzgeber

Fußballtalent und Gelegenheitsstricher Reinier verliebt sich in Yosvany, der die Tochter eines Gangsters heiraten soll. „Homosexualität ist ein Vehikel des Kapitalismus, ein unschöner, aber gangbarer Weg aus der Armut, möglicherweise die einzige Chance, dem tristen Leben in der Bruchbude von Havanna zu entkommen – und zwar für die ganze Familie. Eine reale Chance im Gegensatz zum FußballTraum. (…) Also Yosvani und Reinier zusammen gegen den Rest der Welt? Man wünscht es den beiden Jungs, die auch ein ziemlich niedliches Pärchen abgeben. Auch Yosvani will das: abhauen, ganz woanders hin, dort neu anfangen zu zweit. Doch Reinier will nicht mehr, oder kann nicht, denn unverhofft hat sich ein anderer Traum von ihm erfüllt: Beim Kiezbolzen waren Scouts da und haben ihn zur Jugendnationalmannschaft geladen. Seine große Chance! So dreht sich das Kräfteverhältnis vom Anfang des Films: Damals hatte Yosvani eine Existenz, eine anstehende Hochzeit, Job und Perspektive, Reinier hatte nur Hoffnung. Nun hat Reinier ein Ziel vor Augen, eine Chance, ein Ziel, eine Existenz. Und Yosvani lebt von der Hand in den Mund. Ihm geblieben ist nichts als seine Hingezogenheit zu Reinier, und er nimmt auch nichts anderes mehr wahr. (…) Die ganze Dramatik von Das letzte Spiel speist sich aus der allgegenwärtigen Verachtung für schwule Liebe. Eine Boy-meets-Boy-Geschichte, die durch gesellschaftliche Umstände keine unbeschwerte Love-Story sein darf.“ (Malte Göbel in SISSY 21)

VIC + FLO HABEN EINEN BÄREN GESEHEN CA 2013, Regie: Denis Côté, Edition Salzgeber

„Die einundsechzigjährige Victoria, eben auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen, zieht bei ihrem gelähmten Onkel ein, der in einer eingestellten Zuckerhütte irgendwo in den Wäldern von Quebec haust. Vic erwartet Flo, ihre jüngere, widerspenstige Geliebte, mit der sie am liebsten den Rest ihres geborgten Lebens verbringen würde, in dieser Zuckerhütte fernab der Restmenschheit. ‚Je hais le monde‘, sagt Vic an einer Stelle: Ich hasse alle, ich hasse die Welt. Zu den beiden Frauen stößt Vics 44     SISSY 22

schwuler Bewährungshelfer Guillaume, zuerst als Agent einer aufdringlichen Kontrollmacht, dann aber immer mehr Anteil nehmend am gemeinsamen Leben, bis zu dem Punkt, an dem sich neben Vic und Flos volatiler Liebschaft noch andere Bindungsarten abzuzeichnen beginnen. Vic + Flo ist eine Beziehungsstudie, die nach den beweglichen Konturen ihres Gegenstands tastet, ohne ihn je ganz festzulegen: Wie man miteinander leben soll, ist in keinem Moment eine ausgemachte Sache. Als weiterer Spielstein tritt später eine Fremde hinzu, die erst ein bisschen mit Vic flirtet und ihr Tipps für den Gemüsegarten mitgibt, sich dann – Achtung Spoiler! – aber als ausgesprochenes Ungeheuer entpuppen wird. ‚Ja, ich weiß‘, wird das Ungeheuer nach getaner Arbeit sagen, erstaunt von der eigenen Grausamkeit, ‚man sollte nicht glauben, dass es so grundböse Menschen wie mich tatsächlich gibt.‘ Diese Fremde, ein böser Geist aus Flos Vergangenheit, ist einerseits eine generische Figur, vertraut aus unzähligen Gangsterfilmen. Zugleich aber trägt sie subkulturelle und persönliche Insignien, die eigentümlicher kaum sein könnten und so über ihre narrative Funktion hinausweisen. Auch den anderen Filmfiguren eignen solche kleinen Besonderheiten, welche die Korsage lockern und sich bisweilen geradezu ablösen vom Erzählzusammenhang – etwa in der völlig unverankerten Szene, worin ein Handlanger der Fremden, von dem ansonsten nichts als stumpfe Bedrohung ausgeht, ein paar Akkorde auf seiner Gitarre greift. Côté gebraucht GenreTropen als Gerüst oder als Leiter, die man, einmal oben angekommen, auch wieder entsorgen kann. Am Ende wird alles Generische im Idiosynkratischen aufgelöst – oder schlicht ins Offene des Walds entlassen.“ (Nikolaus Perneczky in SISSY 21)

KILL YOUR DARLINGS US 2013, Regie: John Krokidas, Koch Media

Harry-Potter-Star Daniel Radcliffe gibt hier (wortwörtlich) mit Haut und Haar den adoleszenten Allen Ginsberg, Beatpoet und Kultfigur der amerikanischen Gegenkultur in spe. „Als unbedarfter junger Mann macht sich Ginsberg auf nach New York City, um an der prestigeträchtigen Columbia University zu studieren. Der Auszug in die weite Welt ist dabei auch eine Flucht vor den Eltern: Vater Louis ist Spießer und wenig visionärer Dichter der alten Schule, während die psychisch kranke Mutter Naomi von Wahnvorstellungen geplagt wird, die allen Alltag verschlingen. Vor diesem Hintergrund verheißt der Studienbeginn noch mehr als Zurichtung für den Arbeitsmarkt und ein erstes Tapsen in die Bü-

rokratie. Aber auf den Ausbruch ins Akademische folgt für Ginsberg erst einmal die Ernüchterung. Denn weder Wissensdurst noch Lebenshunger wollen an der altehrwürdigen Universität gestillt werden, die Formung von jungen Menschen zur Bildungselite folgt den alten, aber in Ginsbergs Augen alles andere als ehrwürdigen Mustern von Restriktion und Imitation. Die Bibliothek sei eine Kirche, erklärt man den Erstsemestern bei der Einführung und meint damit allerdings keinen Raum der Erleuchtung und Spiritualität, sondern eine nicht zu hinterfragende Dreifaltigkeit aus Hierarchie, Prätention und verstaubter Ideologie. (…) Regisseur Krokidas und Ko-Autor Austin Bunn liefern keine straighte Geschichtslektion und erst recht kein filmisches Äquivalent zur Beatliteratur. Im Geflecht aus Prüderie und Paranoia, Abhängigkeit und Ablehnung, zwischen Jungenstreichen und Jungs-Streicheln spinnen sie vielmehr eine kleine, feine Coming-of-AgeGeschichte um jugendlichen Idealismus und schwules Begehren. Der Collegefilm dürfte als Referenzpunkt dann auch weitaus bedeutender sein als die Beatbiografien, die hier in ihrer Zuspitzung mehr dramatische Schablonen sind als der Versuch eines authentischen Reenactments.“ (Carsten Moll in SISSY 20)

DALLAS BUYERS CLUB US 2013, Regie: Jean-Marc Vallée, Ascot Elite

„Der Film bekommt über die verbürgte Geschichte seines Helden in spe einen historischen Moment der vollständigen Überforderung zu fassen. Eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Aids weder ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen noch adäquat behandelbar ist. Das Schicksal der auf sich allein gestellten Betroffenen macht Regisseur Jean-Marc Vallée, der mit dem queeren C.R.A.Z.Y. – Verrücktes Leben 2005 einen ausgemachten Publikumsliebling drehte, dabei ebenso nachvollziehbar wie die Rat- und auch Verantwortungslosigkeit der Ärzte und Pharmazeuten. Den Konventionen des biographischen Dramas verpflichtet, gewiss, aber eindrucksvoll in der zeitgeschichtlichen Re­kon­struktion.“ (p  Seite 26)

WILLOW SPRINGS & TAG DER IDIOTEN DE 1973 & 1981, Regie: Werner Schroeter, edition filmmuseum

„In Sichtweite Hollywoods schreibt Schroeter ein neues Drehbuch, findet in einer Geisterstadt am Rande der Mojave-Wüste einen abbruchreifen Saloon, leiht sich Equipment im 2 km entfernten L.A., erklärt seine Darstellerinnen zu Stars und setzt Licht. HollywoodGlamour- oder Butterfly-Licht, gleichmäßig von oben und – mit Hilfe eines Reflektors – von vorne.“ (p  Seite 30)


profil

SEKT IST ALLE VON T. BL A K E

Das Zazie Kino in der Kleinen Ulbrichstraße in Halle ist ein verlässlicher Abspielort für Filme, die in der Sissy besprochen werden. Aber natürlich ist es viel mehr als das – vor allem aus der verliebten Perspektive eines Mitarbeiters und Kinofans. Ein Arbeitsbericht. ANDREAS BARTSCH

Liebe Jeanette, ich glaube, wir sollten irgendwann mehr Sessel ins Kino schrauben. 80 reichen einfach manchmal nicht aus! Ich glaube, an der Decke ist noch Platz. Dann bräuchten wir allerdings auch Gurte und Leitern. Kennst du jemanden, der Gurte und Leitern verkauft? Läden für Schlüssel und Schuhe gibt es doch auch! Oder was hältst du von Hängematten? Außer, dass der Kinosaal voll war, gibt es heute nichts weiter Nennenswertes zu berichten. Na gut, vielleicht habe ich unter Umständen, in genauer Betrachtung der Sachlage, einen Gast möglicherweise ein klitzekleines Bisschen mit Limettenstücken beworfen … Aber er hatte sich auch erdreistet, nach mir zu pfeifen! Ich bin doch kein Hund! Soll er doch zu mir kommen, wenn er was möchte! Der sieht doch, dass ich zu tun habe! Ach, und die Sahne ist wieder explodiert. Habe mit dem Mopp schon die Decke geschrubbt. Schien aber kaum jemand bemerkt zu haben, die Leute waren wohl vom letzten Mal schon daran gewöhnt. Wenn du übrigens morgen Mittag hier im Laden bist, wundere dich nicht über das etwas dezimierte Gläsersortiment. Es gab ein kleines Malheur. Ich sage nur Wasserpistole, Zigarettentricks und eintausend Nelken. Details später. Du siehst, alles wie immer. Merci ans Zazie für den schönen Abend! Gute Nacht. P.S. Der Sekt ist alle.

Diese Nachricht sende ich nach einer Schicht an meine sogenannte Chefin. Sogenannte, weil sie es nicht leiden kann, wenn ich sie so nenne. Es ist Nacht. Morgen wird sie die Nachricht lesen, über die Fantasmen der Irrsinnigkeiten in dem „Arbeitsbericht“ schmunzeln und beruhigt in den Laden treten können. Nur der Sekt muss nachgekauft werden. Seit über 13 Jahren betreibt Jeanette Schlottig das Zazie. Ein Kino ohne Popcorn, ohne Nachos, aber mit Bar. Wer mag, kann sich was zu Trinken mit reinnehmen. Hier habe ich eine für mich neue Art von Kino erlebt. Manch angetrunkener Hobbyphilosoph würde vielleicht sagen: „Die Art und Weise, hier einen Film zu sehen, hat seine eigene Realität“. Programmkinos haben nun mal jedes für sich einen eigenen Charme. Das Zazie ist mein liebstes. Wenn ich mir dort einen Film ansehe, verweile ich danach noch einen oder mehrere Momente an der Bar, bestelle einen Whisky Sour, rauche eine Zigarette und denke noch mal über das Gesehene nach. Meistens endet das in wilden Diskussionen mit dem Barpersonal. Vor ein paar Jahren saß ich zum ersten Mal hier. Damals schien es nur logisch, nach einem Job zu fragen. Nicht ausschließlich wegen des Geldes, sondern vor allem wegen der lebensbejahenden Atmosphäre, die dem Zazie und den dort arbeitenden Menschen anhaftet. Dazu kommen ein den Raum beherrschender Tresen und die vielen kleinen Dinge, die dir sagen: „Du kannst gern hier bleiben! Was möchtest du denn?“ Zu Manchem, wie etwa den versteckten Marienstatuen im Regal, gibt es

Geschichten, die mit dem Laden gewachsen sind. So war der Tresen zu Beginn ursprünglich das Heck einer Schiffskonstruktion, mit Bug in einem Restaurant auf der anderen Seite des Gebäudes. Das Restaurant gibt es nicht mehr, Bar und vor allem Kino sollten bleiben. In all dem steckt Jeanettes Vorstellung vom Prinzip „Kino“. Es ist ihr Laden, sie baut die Spielpläne. Was sie nicht durch Festivals wie die Berlinale weiß, erfährt sie durch Fachblätter und Feuilletons. Hin und wieder finden auch kleine Events den Einzug ins Zazie-Programm, wie die Arab-Shorts, Gay- und L-Filmnacht oder Werkleitz-Kurzfilme. Zu den Zazie-Vorstellungen kommen Junge und Alte, als Fans oder rein zufällig. Hier bist du Gast, nicht Kunde – eine stillschweigende Abmachung, auf die sich jeder einlassen kann, der zu Besuch kommt. Das würde der kleinen Zazie aus dem namensgebenden französischen Roman mit Sicherheit gefallen. Wenn ich vom Zazie spreche, kann ich die dazugehörige Bar nicht auslassen. Manchmal ist sie wie eine Schleuse für die Kinobesucher, an andern Tagen wie ein Sammelbecken für hitzige Tresendiskussionen. Doch am Ende ist es einfach eine Bar, ohne viel Chichi. Die Menschen dahinter sind verschiedenste Charaktere, doch etwas haben alle gemein: die Liebe zu diesem Kino, zu dieser Bar und natürlich zur Chefin. s Der Autor ist auf dem Foto in der hinteren Reihe in der Mitte zu sehen.

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3 BERLIN: B_BOOKS Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · BRUNO’S Bülowstr. 106, 030/61500385 · BRUNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · DUSSMANN Friedrichstr. 90 · FILMGALERIE Invalidenstr. 148, 030/23457911 · GALERIE JANSSEN Pariser Str. 45, 030/8811590 · MEDIA MARKT ALEXA Grunerstr. 20 · MEDIA MARKT NEUKÖLLN Karl-Marx-Str. 66 · NEGATIVELAND Dunckerstr. 9 · PRINZ EISENHERZ BUCHLADEN Lietzenburger Str. 9a, 030/3139936 · SATURN ALEXANDERPLATZ Alexanderplatz 7 · SATURN EUROPACENTER Tauentzienstr. 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73 · VIDEODROM Fürbringer Str. 17 3 BOCHUM: SATURN Kortumstr. 72 3 DARMSTADT: SATURN Ludwigplatz 6 3 DÜSSELDORF: BOOKXXX Bismarckstr. 86, 0211/356750 · MEDIA MARKT Friedrichstr. 129–133 · SATURN Königsallee 56 · SATURN Am Wehrhahn 1 3 FRANKFURT/MAIN: SATURN Zeil 121 3 HAMBURG: BUCHLADEN MÄNNERSCHWARM Lange Reihe 102, 040/436093 · BRUNO’S Lange Reihe/Danziger Str. 70, 040/98238081 · MEDIA MARKT Paul-Nevermann-Platz 15 3 KÖLN: BRUNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe Str. 121 · SATURN Hansaring 97 · SATURN Hohe Str. 41–53 3 LEIPZIG: MÜLLER Petersstr. 28 · SATURN HAUPTBAHNHOF Willy-Brandt-Platz 1 3 MANNHEIM: DER ANDERE BUCHLADEN M2 1, 0621/21755 3 MÜNCHEN: BRUNO’S Thalkirchner Str. 4, 089/97603858 · LILLEMOR’S FRAUENBUCHLADEN Barerstr. 70, 089/2721205 · MEDIA MARKT Einsteinstr. 130 · SATURN Schwanthalerstr. 115 · SATURN Neuhauser Str. 39 3 MÜNSTER: SATURN Grevener Str. 69 3 NÜRNBERG: MÜLLER Königstr. 26 3 OSNABRÜCK: SATURN Kamp 50 3 STUTTGART: BUCHLADEN ERLKÖNIG Nesenbachstr. 52, 0711/639139 3 TRIER: MEDIA MARKT Ostallee 3–5 3 TÜBINGEN: FRAUENBUCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 3 WIEN: BUCHHANDLUNG LÖWENHERZ Berggasse 8, + 43/1/13172982 3 WÜRZBURG: MÜLLER Dominikanerplatz 4

IMPRESSUM Herausgeber  Björn Koll Verlag

Redaktion

Jan Künemund, presse@salzgeber.de

Gestaltung

Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de

Autoren

Thomas Abeltshauser, Ingeborg Boxhammer, Rajko Burchardt, Natascha Frankenberg, Gunther Geltinger, Yann Gonzalez, Frédéric Jaeger, Jan Künemund, Dietrich Kuhlbrodt, Skadi Loist, Noemie Yoko Molitor, Carsten Moll, Aileen Pinkert, Paul Schulz, Marco Siedelmann, T. Blake, Sascha Westphal

Anzeigen

Jan Nurja, nurja@salzgeber.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2013 (www.sissymag.de/media).

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 20.000 Exemplare (Druckauflage).

Druck

Möller Druck, Berlin

Rechte

Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.

KINOS 3 AACHEN: APOLLO Pontstr. 141, 0241/9008484 3 AALEN: KINO AM KOCHER Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 3 ASCHAFFENBURG: CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 3 BAD FÜSSING: FILMGALERIE Sonnenstr. 4, 08531/980555 3 BAMBERG: LICHTSPIEL Untere Königstr. 34, 0951/26785 3 BERLIN: ACUD Veteranenstr. 21, 030/44359498 · ARSENAL Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · KINO INTERNATIONAL Karl-MarxAllee 33, 030/24756011 · XENON KINO Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · CINEMAXX POTSDAMER PLATZ Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstr. 20, 030/6116016 · FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 · TILSITER LICHTSPIELE Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 · ZUKUNFT Laskerstr. 5, 0176/57861079 3 BOCHUM: ENDSTATION KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 3 BONN: KINO IN DER BROTFABRIK Kreuzstr. 16, 0228/478489 3 BRAUNSCHWEIG: C1 CINEMA Lange Str. 60 3 BREMEN: CITY 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 3 DORTMUND: SCHAUBURG Brückstr. 66, 0231/9565606 · SWEETSIXTEEN Immermannstr. 29, 0231/9106623 3 DRESDEN: KID – KINO IM DACH Schandauer Str. 64, 0351/3107373 · THALIA Görlitzer Str. 6, 0351/6524703 3 ERLANGEN: MANHATTAN Güterhallenstr. 4, 09131/22223 3 ESSLINGEN: KOMMUNALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 3 FRANKFURT/MAIN: LESBISCH-SCHWULES KULTURHAUS Klingerstr. 6, 069/293045 · MAL SEH’N Adlerflychtstr. 6, 069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 3 FREIBURG: KOMMUNALES KINO Urachstr. 40, 0761/709033 · KANDELHOF Kandelstr. 27, 0761/283707 3 GÖTTINGEN: KINO LUMIÈRE Geismar Landstr. 19, 0551/484523 3 HALLE: ZAZIE Kleine Ulrichstr. 22, 0345/7792805 · PUSCHKINO Kardinal-Albrecht-Str. 6, 0345/2040568 3 HAMBURG: METROPOLIS KINO Kleine Theaterstr. 10, 040/342353 · B-MOVIE Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679 3 HANAU: KINOPOLIS Am Steinheimer Tor 17, 06181/42825188 3 HANNOVER: KINO IM KÜNSTLERHAUS Sophienstr. 2, 0511/16845522 · KINO IM SPRENGEL K.-M.Kilian-Weg 2, 0511/703814 · APOLLO Limmerstr. 50, 0511/452438 3 KARLSRUHE: STUDIO 3 Kaiserpassage 6, 0721/9374714 · SCHAUBURG Marienstr. 16, 0721/3500018 3 KASSEL: BALI Rainer-Dierichs-Platz 1, 0561/710550 · FILMLADEN Goethestr. 31, 0561/707650 3 KIEL: DIE PUMPE – KOMMUNALES KINO Haßstr. 22, 0431/2007650 · TRAUM KINO Grasweg 48, 0431/544450 3 KÖLN: FILMPALETTE Lübecker Str. 15, 0221/122112 3 KONSTANZ: ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 3 LEIPZIG: PASSAGE KINO Hainstr. 19 a, 0341/2173865 · KINOBAR PRAGER FRÜHLING Bernhard-Göring-Str. 152, 0341/3065333 · CINEDING Karl-Heine-Str. 83, 0341/23959474 3 MAGDEBURG: STUDIOKINO Moritzplatz 1, 0391/2564925  MANNHEIM: CINEMA QUADRAT Collinistr. 5, 0621/1223454 · CINEMAXX N7 17, 01805/625466 3 MARBURG: CINEPLEX Biegenstr. 1a, 06421/17300 3 MÜNCHEN: NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-Str. 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstr. 12, 089/591983 · CINEMAXX Isartorplatz 8, 01805/24636299 3 MÜNSTER: CINEMA FILMTHEATER Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300 3 NÜRNBERG: KOMMKINO/FILMHAUSKINO Königstr. 93, 0911/2448889 · CASABLANCA Brosamer Str. 12, 0911/454824 3 OFFENBURG: FORUM Hauptstr. 111, 0781/4350 3 OLDENBURG: CINE K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 3 POTSDAM: THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Str. 50, 0331/7437020 3 REGENSBURG: WINTERGARTEN Andreasstr. 28, 0941/2980963 3 SAARBRÜCKEN: KINO ACHTEINHALB Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Str. 8, 0681/372570 3 SCHWEINFURT: KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 3 STUTTGART: CINEMAXX AN DER LIEDERHALLE RobertBosch-Platz 1, 01805/24636299 3 TRIER: BROADWAY FILMTHEATER Paulinstr. 18, 0651/96657200 3 WEIMAR: LICHTHAUS Am Kirschberg 4, 03643/777177 3 WEITERSTADT: KOMMUNALES KINO Carl-Ulrich-Str. 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185

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ISSN 1868-4009

Auch das noch …

PUBLIC DOMAIN / THE PHOTO-PL AY JOURNAL, JUNE 1916

Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!

Salzgeber & Co. Medien GmbH Mehringdamm 33 · 10961 Berlin Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99

Bad Hair Day: Als Mary am 21. Juni 1928 zum Friseur ging, ließ ihr Publikum sie fallen. (Buchtipp: „Mary Pickfords Locken. Eine Etüde über Bindung.“ von Stefan Ripplinger, Verbrecher Verlag 2014)


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. t s u L e n i e D . s B G A e n i e M Mateusz (Escort, 29): Vor einem Treffen spreche ich mich mit meinen Kunden ab, was gehen soll. Das gehört zu meinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Wer das akzeptiert, kann viel Spaß mit mir haben. Schließlich wollen wir beide, dass die Lust im Mittelpunkt steht.

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