SISSY zwölf

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Ausgabe zwölf · Dezember 2011 bis Februar 2012 · kostenlos

s Die Aufschneiderin: Heiteres Sozialdrama  s HipHopHomos: Musikanten der Heilsarmee  s Cédric und Christophe und Serge und Jimmy und jetzt auch Vassili: Wird das noch was mit uns?  s Bildsprung: Chaos und Ordnung  s Gentleman Jack: Emanzipation mit Stock und Hut  s Schönes Wochenende: Im 14. Stockwerk  s Wie war’s in der Schule? Kurz und unvergleichlich  s Doppelporträt: Mit Katze und Kippen im Kino  s Zimmermänner: Analverkehr als Kulturtechnik  s Der Zuschauer: „Soll ich das wirklich filmen?“  s Tagebuchwetter: Ein hölzerner Wal im Bad  s 80 Tage: Im selben Boot  s Mut zur Lücke: Lustvolle Leerstellen  s Unser Tipp: Grüne Unterwäsche


VIELFALT

macht uns bärenstark!

Wir leben Toleranz! Gemeinsam gegen Homophobie und Gewalt! We live tolerance! Against homophobia and violence!

Wir leben Toleranz. Gegen Homophobie und Hassgewalt. Für Vielfalt.

Ermöglicht durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB).

Berliner Toleranzbündnis


vorspann

Sissy zwölf In seiner – äußerst wohlwollenden – Besprechung des Films Weekend war es dem Filmjournalisten Peter Claus kürzlich wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: „Schnell ist klar: das Etikett ‚Schwulenfilm‘ passt nicht. Die Geschichte von Russell und Glen ist auf jede Zweisamkeit, egal welcher Konstellation, übertragbar, die daraus resultierenden Fragen sind es erst recht.“ Glück gehabt! Weekend kann als universelle Liebesgeschichte gesehen werden! Aber was ist hier eigentlich mit dem besagten Etikett gemeint? Was, um alles in der Welt, ist ein „Schwulenfilm“ und welche Gefahr bringt es mit sich, Weekend als solchen zu sehen? Offensichtlich ist ein Film ein „Schwulenfilm“, wenn die dort erzählte Zweisamkeit nicht auf andere Konstellationen übertragbar ist außer auf jene zweier Männer. Und offensichtlich denkt Claus, dass sich Nicht-Schwule nicht für Filme interessieren, bei denen das so ist. Vielleicht denkt er sogar, dass das eine eigene Kategorie ist, die von vorneherein gar nicht anstrebt, ein nicht-schwules Publikum anzusprechen. Da möchte man doch mal die Frage stellen, warum sich Nicht-Schwule nicht für spezifisch schwule Biografien, Erfahrungen oder Liebesgeschichten interessieren sollten?

titel: quinnford and scout / glendale picture company / gm-films

Im Queer-Diskurs würde man jetzt sagen: weil es das (also etwas spezifisch Schwules) nicht gibt. Andrew Haigh, der Regisseur von Weekend, betont aber bei jeder Gelegenheit, dass es in seinem Film um die „gay experience“ geht, um zwei Männer, die einen unterschiedlichen „Angelic Conversation“ (Schwulenfilm von Derek Jarman, 1985) Umgang mit dem eigenen Schwulsein haben und die deshalb in eine komplizierte Liebesbeziehung eintauchen (in der fast ausschließlich genau darüber geredet wird). Auch in dem Werk von Travis Mathews, von dem in dieser SISSY ausgiebig die Rede ist, geht es um spezifisch schwule Geschichten und schwule Sehnsüchte. Wie viele „Schwulenfilme“ gibt es eigentlich, die Geschichten nach dem Coming-Out erzählen, in denen es nicht um das Ausrufen der sexuellen Identität geht, sondern um die Frage, wie man als NichtHeterosexueller lebt, liebt, Beziehungen eingeht? Müssen sich also nicht eher jene eine kritische Nachfrage gefallen lassen, die erst die Existenz von „Schwulenfilmen“ ausrufen, um später nach Filmen zu suchen, die keine sind? (Dass es keine Kategorie der „Heterofilme“ gibt, muss man hier ja gar nicht erst erwähnen.) Dass es in den auf den kommenden Seiten vorgestellten Filmen um nicht-heterosexuelle Geschichten geht, darf behauptet werden. Um so mehr sollte, wenn schon nicht Herrn Claus, wenigstens uns interessieren, wie sie erzählt sind.

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mein dvd -regal

Travis Mathews, Filmemacher 4


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Travis Mathews


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Züri, was lauft? von SI MON F ROE H L I NG

Gleich vorweg: Der Tabubruch „Homos im HipHop“ – eine Musikrichtung, die bekanntlich für fette Bässe, geile Beats und heiße Bräute steht – funktioniert bei unsereins nicht. Was jedoch nicht weiter schlimm ist. Denn im Kern erzählt „Off Beat“, das bildstarke Spielfilmdebüt des jungen Schweizer Dokumentarfilmers Jan Gassmann („Chrigu“), eine manchmal berührende, oft beklemmende Brüdergeschichte, getragen von einer eingängigen Tonspur und angesiedelt in einem Zürich, das man so kaum kennt. Zu sehen im Dezember in der Gay-Filmnacht. 6


edition salzgeber

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s Zuerst scheint die italienische Herbstsonne. Es sind die Lichtbilder einer heimlichen Liebe zwischen dem verlebten Produzenten Mischa, 46, und seinem sensiblen, zwanzig Jahre jüngeren Protegé Lukas, der als Schweizer Mundart-Rapper Karma Kameleon bereits bessere Tage erlebt hat. Zurück im winterkalten Zürich und gefangen in einer Beziehung, die nicht sein darf, übermannt Letzteren die Lust am Exzess in einer Szene, die sich selbst überholt zu haben scheint: Verkokst und sturzbetrunken kämpft sich Karma Kameleon durch ein Konzert in einem kleinen Kellerklub. Im Publikum schämt sich sein sechzehnjähriger Bruder Sämi, der unter dem Namen Samsonite selbst Rap-Ambitionen hegt – was Produzentendaddy Mischa natürlich nicht entgeht. Er will Sämi an Lukas Seite in die Band integrieren. Der pikierte große Bruder stürzt einmal mehr massiv ab und wacht im Spital auf, wo sich Mischa prompt von ihm trennt. Ohne Geld und Plan zieht Lukas zurück zur Mutter, die ihren älteren Sohn längst aufgegeben hat, während Mischa Sämi zu seinem Nachfolger aufbaut. Lukas’ Geschichte scheint sich zu wiederholen. Soll er sich seinem Bruder stellen, um Mischa zu beweisen, dass er es auch alleine schaffen kann? Oder muss er verhindern, dass Sämi dieselben Verletzungen erfährt wie er? Was auf der Plot-Ebene manchmal etwas platt daher kommt und zu oft sehr oberflächlichen Dialogen führt, ist der Entstehungsgeschichte von Off Beat geschuldet, die bereits mit Gassmanns erstem abendfüllenden Dokumentarfilm beginnt. Ein kleiner Exkurs: Chrigu verzauberte 2007 die Berlinale, wurde zum Überraschungserfolg auf Festivals weltweit und mit diversen Preisen ausgezeichnet. Es ist das überraschende Portrait von Christian „Chrigu“ Ziörjen, der im Alter von 21 Jahren gegen einen Tumor im fortgeschrittenen Stadium und für das Leben kämpft – begleitet von seinem besten Freund Jan, Jahrgang 1983, der Chrigus Filmaufnahmen und seine eigenen Bilder zu einem kraftvollen Film über Leben und Tod, Freude und Schmerz verarbeitet. Bereits in Chrigu tauchen Mitglieder der HipHopBand „Mundartisten“ auf – jener Formation, die nun den Soundtrack für Off Beat geliefert haben und in der seit 2001 auch der begnadete Rapper und Musiker HansJakob Mühlethaler, alias Chocolococolo, mitmischt, der für Gassmanns ersten Langspielfilm direkt von der Konzertbühne weg gecastet wurde. Auch Manuel Neuburger, der in Off Beat als Sämi hervorsticht, ist mit der Welt des Raps aufgewachsen. Jan Gassmann in den Presseunterlagen über seine Hauptdarsteller: „So wird die Grenze zwischen der Figur, die sie spielen und ihrer eigenen Geschichte verwischt. Bei der Besetzung der wenigen professionellen Schauspieler haben wir darauf geachtet, dass sie sich mit ihren Rollen identifizieren konnten und ihre Geschichten Berührungspunkte aufwiesen.“ Dieses dokumentarische Prinzip hat sich auch in der Arbeitsweise niedergeschlagen: Räume „frei von Regeln“ habe Gassmann schaffen wollen. Das Set sei so gestaltet worden, dass es komplett und rundum bespielbar war. „Es wurde von den Darstellern während der ganzen Drehzeit belebt“, so Gassmann, „einige haben gar darin geschlafen.“ Wobei auf diesem belebten Set ohne Regeln immerhin ein Verbot galt: Scripts waren nicht erlaubt. Der Regisseur hat seinen Spielern die zu drehende Szene jeweils mündlich erzählt und die Figuren danach miteinander konfrontiert. Diese herangehensweise habe dem

Filmteam „immer wieder dokumentarische Geschenke beschert“ – möglicherweise auf Kosten der Dialoge. Andererseits führen die Aufnahmen mit einer sensiblen Handkamera (Bildgestaltung: Ramòn Giger) und die Maxime, möglichst nur mit vorhandenem Licht zu drehen, zu eindrücklich düsteren, authentischen Stadtbildern, wie man sie aus der schönen sauberen Schweiz selten sieht. „Mich fasziniert das Unperfekte, Dreckige und selbst Erlebte viel mehr als die perfekte Kamerafahrt“, fasst Gassmann zusammen. Gepaart mit den Rapeinlagen, den Studiosessions und einem grandiosen Gesangsduell der beiden Brüder resultiert daraus ein dichter, oftmals poetischer Musik- und Milieufilm, der die tot geglaubten Keller einer geschichtsträchtigen Zürcher Subkultur wieder aufleben lässt. Derweilen irrt Protagonist Lukas weiter durch besagte Stadt, versucht seine Karriere selber wieder in die Gänge zu bringen (was unter anderem zu einem tragikomischen Stelldichein mit Musikanten der Heilsarmee führt), versucht Mischa zurück zu gewinnen und gleichzeitig seinen Bruder vor diesem zu schützen, versucht seine Sexualität zu leugnen und sich in die schöne Maria zu verlieben, versucht immer wieder die richtigen Worte zu finden für sein Leid – und scheitert fast auf ganzer Linie, so dass man ihn mehr als einmal schütteln möchte und rufen: „Mischa, was lauft?“ – so wie Karma Kameleon sein Publikum einmal fragt: „Züri, was lauft?“ Trotz der Nähe, mit der die Kamera den Figuren auf ihren einsamen Wegen folgt, trotz der vielen starken Szenen, die ganz der Macht der Bilder vertrauen und nichts erklären, sondern nur zeigen wollen, und trotz eindrücklicher Schauspieler (auch Domenico Pecoraio in der Rolle des Mischa sei hier erwähnt) erscheint dieser Film fast so kalt wie die dargestellte winterliche Zürcher Nacht. Lukas’ Liebe zu Mischa bleibt wenig glaubwürdig und das weiche Innere des harten Rappers lässt einen erst dort mitfühlen, wo eine Versöhnung der beiden Brüder möglich scheint – womit wir wieder beim Kern der Geschichte und auch an ihrem beinahe schon pathetischen Ende angelangt wären, das Lukas doch noch als geläutert dastehen lässt. Off Beat ist dort am stärksten, wo am wenigsten gesagt und umso leidenschaftlicher Musik gemacht wird. Ob er trotz Tabubruch Anklang findet bei einem Rap-affinen Kinopublikum, wird sich zeigen. s

Off Beat von Jan Gassmann CH 2011, 95 Minuten, Schweizerdeutsch mit dt. UT Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino Gay-Filmnacht im Dezember www.gay-filmnacht.de

Chrigu von Jan Gassmann, Christian Ziörjen CH 2007, 87 Minuten, Schweizerdeutsch mit dt. UT Auf DVD bei StudioCanal, www.arthaus.de

Kinostart: Januar 2012

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Charlie, trust your instincts! von U lrich K riest

„Das traurige Leben der Gloria S. ist eine bitterböse, rabenschwarze Komödie über zwei starke Frauen, die sich gegenseitig verdient haben: Die eine ist Schauspielerin und sucht dringend einen Job; die andere ist Regisseurin und muss dringend einen Film über prekär lebende Frauen machen. Christine Groß und Ute Schall haben daraus eine durchgeknallte Farce über das falsche Bild vom wahren Leben und über glamouröse Überlebensstrategien gemacht. Zu sehen im Dezember in der L-Filmnacht.

Edition Salzgeber

„Ich kenne das Leben / Ich bin im Kino gewesen.“  fehlfarben „So sind diese Leute.“  kameramann c.p. s Wenn eine erfolgreiche Spielfilmregisseurin beschließt, einen Dokumentarfilm über soziales Elend zu drehen und dabei auf eine Gruppe prekär lebender Schauspieler trifft, dann hat das Resultat wechselseitiger Projektionen des Sozialen vielleicht nicht mehr viel mit dem Traum einer Abbildung des wahren Lebens zu tun, aber dafür sehr viel mit unseren medial vermittelten Vorstellungen von Realität: Das Lustige darin ist das Lustige daran. Längst ist die Vorstellung einer prinzipiellen Differenz zwischen Spiel- und Dokumentarfilm obsolet. Eisenstein hat einmal gesagt, ihn interessiere diese Unterscheidung gar nicht, weil er nicht an der Wirklichkeit, sondern an der Wahrheit interessiert sei. Und Godard (oder Thome) haben gesagt, dass jeder Spielfilm auch die Arbeit der Schauspieler dokumentiere, die vor der laufenden Kamera eine Fiktion mit Leben erfüllen. Dass die Dinge in Zeiten von „scripted reality“ und „mockumentarys“ noch einmal etwas komplizierter liegen, das zeigt auf „wirklich“ höchst unterhaltsame Weise Das traurige Leben der Gloria S. von Christine Groß und Ute Schall. In der Extended Version ihres erfolgreichen Kurzfilms Ich muss mich künstlerisch gesehen regenerieren (2010) treiben die beiden Filmemacherinnen die Konfrontation zweier Szenen (Theater/Film) und zweier Haltungen (dokumentarisch/fiktiv) auf die Spitze. Was dabei nicht aus dem Blick gerät: die Reflexion auf das, wovon man vermutet, dass der Zuschauer es sehen will. Oder der Reflex darauf, dass es vielleicht politischer wäre, könnte man die Konventionen und Erwartungshaltungen überwinden. Aber kann man? Im Falle der Figuren, denen wir in Das traurige Leben der Gloria S. begegnen, darf man das mit guten Gründen bezweifeln. Wie sagte schon Kant? Idealismus ohne Talent zahlt nicht die Miete. Davon weiß die Schauspielerin Gloria Schneider ein Lied zu singen. Mit ihren Schauspielkollegen macht sie Off-Theater, das so Off ist, dass es schon Off-Off-Theater ist: 3. Hinterhof links, 2. Untergeschoss. In der erfolglosen und tatsächlich auch künstlerisch nicht sonderlich begnadeten Truppe ist die Stimmung gereizt – und nach einer Abendvorstellung bleibt jedem Schauspieler kaum mehr als das Fahrgeld nach Hause. Man könnte natürlich noch mal wieder das Kommune-Modell vom Gemeinsam-leben-und-arbeiten aufwärmen, aber irgendwie fühlen sich dafür auch schon alle etwas zu alt. Glorias Krise kommt eine korrespondierende Krise entgegen: Die Filmemacherin Charlotte Weiss hat gerade ihren Spielfilm Die Terroristin abgedreht, einen sehr emotionalen Film über Ulrike Meinhof. So emotional, dass das politische Anliegen, der politische Diskurs vielleicht etwas zu sehr in den Hintergrund gerutscht ist. Besser gesagt: verschwunden ist. Und damit in eklatanten Widerspruch zu ihrem eigenen Anspruch an die Arbeit geraten ist. Was Charlotte auch deutlich spürt, weshalb sie zum eigenen Film, der offenbar ganz gut ankommt beim Publikum und bei der Kritik, auf Distanz geht. Mehr als unzufrieden mit ihrer aktuellen Situation sucht Charlotte eine kreative Herausforderung. Ihrer Produzentin schwant Schlimmes: „Du wirst doch deine künstlerische Krise anders bewältigen können als durch einen Dokumentarfilm. Lass diesen Kelch bitte an mir vorüber gehen!“ Doch Charlotte will das Elend des wahren Lebens dokumentieren, weiß 9


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Regisseurin Charlotte Weiss (Nina Kronjäger)

Das traurige Leben der Gloria S. von Ute Schall und Christine Groß DE 2011, 75 Minuten, dt. OF Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino L-Filmnacht im Dezember www.l-filmnacht.de Kinostart: 12. Januar 2012

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nur leider nicht so recht, wo sie es suchen soll. Ihre Recherchen in Trabantenstädten bleiben erfolglos, auch, weil sie den Kontakt zum Elend scheut. Alleinerziehende Mütter, so stellt sich heraus, laufen nicht so mir nichts dir nichts auf der Straße umher. Charlotte entscheidet pragmatisch: Wenn man nicht genau weiß, was man will und wo man es finden soll, dann lässt man es zu sich kommen. Hier kommt Gloria ins Spiel, die zwar auch nicht so recht weiß, wie richtige Armut funktioniert (obwohl sie es doch wissen müsste!), meldet sich zum Casting und bereitet sich ein wenig auf die Rolle vor: „Die gucken immer ganz traurig, diese Leute!“ Bevor das Spiel mit der Inszenierung von Realität, die so banal und klischeehaft ist, dass man sie gerade deshalb für authentisch hält, in Gang kommt („So was kann man gar nicht inszenieren!“, behauptet die Filmemacherin einmal mit dem Brustton der Überzeugung), sei zumindest noch der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass der Film zumindest skizzenhaft versucht, noch eine weitere Realitätsebene einzubauen, die auf die konkrete Realität der Figuren verweist. Auf dieser Ebene ist Das traurige Leben der Gloria S. weitgehend ein Frauenfilm. Da ist die erfolglose, unter prekären Bedingungen lebende Schauspielerin Gloria, die, wiewohl sie in einer nicht unproblematischen lesbischen Beziehung lebt, sich als integraler Bestandteil einer zwar kaputten, aber strukturell der Norm entsprechenden Kleinfamilie inszenieren muss/will. Charlotte, die Filmemacherin, sucht wiederum den Kontakt zur sozialen Realität aufgrund einer diffusen Krisenerfahrung, weil ihre Parameter einer Erfahrung des Politischen nicht mehr zu greifen scheinen. Als „Realitätsprinzip“ fungiert die toughe Filmproduzentin von Lösch, die das fadenscheinige Spiel früh und instinktiv durchschaut (was Margarita Broich ein paar prägnante One-Liner beschert). Auch am Set fallen die Figuren immer mal wieder aus ihren Rollen und geben „Privates“ preis, wenn etwa die Schauspieler die Qualität ihrer Authentizität durch Flirts abschöpfen wollen. Was sich im Folgenden ereignet, ist Mediensatire par excellence (und taugt zudem als kritische Reflexion auf überkommene Grundannahmen eines bloß naiven Dokumentarismus): Gloria erarbeitet sich mit den Mitteln eines entfesselten Method Acting eine ‚echte‘ HartzIV-Biografie, die ungefähr so aussieht: Vater, Mutter, Kind. Eine Familie. Und dann: Knast, Alkohol, Arbeitsamt, Alkohol, Schwangerschaft, Alkohol. Was vergessen? Klar: Vergewaltigung im Knast. Häusliche Gewalt. Hartz-IV. Ganz schön trostlos, aber so ist das Leben nun einmal. Oder zumindest manchmal. Charlotte, die es nicht besser weiß, akzeptiert dankbar,


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was Gloria ihr anbietet, und verteidigt ihr Projekt auch gegen sich schnell einstellende Einwände: das ‚wahre‘ Leben sei eben nicht so, wie man es aus dem Kino und dem Fernsehen kenne. Jetzt geht der Film entschieden dorthin, wo es weh tut. Weil Gloria sich eine brachiale Biografie erfindet, die genau das liefert, was sie als nachgefragt wähnt, ist sie rasch gezwungen, das zu tun, was sie auch sonst nicht gut kann, aber häufig macht: improvisieren. Einmal sitzt Gloria in der Küche und ihr gegenüber das Filmteam. Was macht die durchschnittliche, traurige Hartz-IV-Empfängerin, die morgens in der engen Küche ihrer kleinen Wohnung sitzt? Sie kocht sich einen Kaffee, führt Selbstgespräche und ist sehr, sehr traurig: „Na, dann trinke ich mal meinen Kaffee … Elf Uhr erst, der Tag dehnt sich … Vielleicht ruft ja noch jemand an … Vielleicht das Arbeitsamt … und hat einen Job für mich … aber erst mal trinke ich noch einen Schluck Kaffee.“ Das sei doch nun wirklich total authentisch, findet Charlotte und bricht den Dreh erst ab, als Gloria unvermittelt beginnt, mit ihren konventionellen Off-Theater-Mitteln die Szene ins Absurde zu weiten und zu extemporieren. Charlotte hat also offensichtlich eine recht genaue Vorstellung davon, wann Authentizität umschlägt ins Inszenierte. Andererseits – und auch hier ist Das traurige Leben der Gloria S. sehr genau – schreiben sich die Konventionen und Kunstfertigkeiten des Spielfilms immer deutlicher in den Dokumentarfilm ein: Szenen werden geprobt, Kamerabewegungen antizipiert, kunstgewerbliche Filmzitate eingebaut, Einstellungen abgebrochen – und schließlich wird sogar konkret in Glorias Leben eingegriffen, damit der Film keinen Schaden nehme. Andererseits versucht Gloria längere Zeit ihr richtiges Leben aus ihrem dokumentierten Leben herauszuhalten, was dem Film eine gewisse Warhol’sche Qualität verleiht. An einer Stelle, als Gloria das Filmteam einmal bewusst ausschließt, damit ihr „Spiel“ nicht auffliegt, heißt es bezeichnen-

derweise über den nicht-dokumentierten Zwischenfall: „Spannender als das, was die ganze Zeit gewesen ist, wird’s wohl schon gewesen sein.“ Trotzdem – so eine Biografie braucht eine dramaturgische Entwicklung – hat Gloria über kurz oder lang ihre ganze Theatergruppe in ihr zweites „Leben“ integriert: der gewalttätige Ex-Mann, die schwangere Tochter, deren Freund, dazu noch jemand für die Hartz-IV-Deko. Doch so dilettantisch und überzogen – der „kleinkriminelle Freund“ der „Tochter“ rekurriert bei seiner Darstellung natürlich auf Taxi Driver! – die Schauspieler auch agieren, so steht und fällt das ganze Projekt doch mit dem Engagement des Filmteams. Die lange verdeckte Machtfrage wird virulent, als der Schwindel durch einen Zufall auffliegt. Jetzt improvisiert das indignierte Filmteam: Während sich Glorias „Familie“ vom Projekt verabschiedet, schlüpft die hartgesottene Filmproduzentin Margarete von Lösch kurzerhand in die Rolle der strafenden Behörde, die die Hartz-IV-Empfängerin Gloria ordentlich an die Kandarre nimmt: „Das riecht hier aber nach Zugewinn!“ Gloria wird verdonnert, ihr Honorar durch einen Arbeitseinsatz auf einer Ex-LPG abzuarbeiten. Das Filmteam kann ihr leider nicht helfen: Schließlich drehe man ja eine Dokumentation, da müsse schon aus Gründen der Authentizität jede Wende des Schicksal mitgemacht werden. Das Problem: Wenn es jetzt „Danke! Aus!“ heißt, dann gilt das lediglich fürs Filmteam – die Protagonistin muss weiterarbeiten. Am Schluss dann der Film Das traurige Leben der Gloria S. auf der „Berlinale“: Bilder von starker Authentizität erzählen vom wahren Leben, von wirklichen Schicksalen, von den Problemen, Träumen und Wünschen einfacher Menschen, Bilder, denen in der Post-Produktion die Farben entzogen wurden, kunstfertige, ambitionierte Bilder, elegant montiert, aber schonungslos. Unterlegt von repetitiven Klavier-Stakkato. Bilder, die man nicht so schnell vergisst. s 11


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Instabile Bilder von Biru Dav id Bi n der

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„Dazed and Confused“ auf Isländisch – so könnte man, wie der Regisseur Baldvin Zophoniasson es in Anlehnung an Richard Linklaters großes Teenie-Cliquen-Porträt aus dem Jahr 1993 auch tut, „Jitters – Schmetterlinge im Bauch“ nennen, der im Januar in der Gay-Filmnacht läuft. Um ein schwieriges Coming-Out sind hier weitere schwierige Coming-Of-Geschichten von Jugendlichen angelegt, die in einer Welt zurechtkommen müssen, in der ihre Eltern täglich aufs Neue versagen.

s Der Titel ist cheesy, dafür treffend. Jitters, aus dem Englischen, im Plural, umgangssprachlich: Bammel; the jitters: Tatterich; das Verb to jitter deckt eine Bandbreite von „flimmern“ oder „zittern“ über „flattern“ und „bibbern“ bis „flackern“, „fluktuieren“ und „schwanken“ ab. Technisch bezeichnet der Singular Jitter eine „Bildinstabilität“ bzw. einen „Bildsprung“ (TV), eine „Bildschwankung“. Leuchtdioden können jitter-free ihren Dienst tun – der Film Jitters ist nicht „flimmerfrei“. Er beginnt in schnörkelloser Ordnung: Die Kamera beobachtet zwei Jugendliche, die sich offensichtlich nicht kennen, Koffer (nicht die billigen) hinter sich herziehend auf ihrem Weg vom Bahnsteig nach draußen. Beide ordentlich gekleidet, ordentliche Frisur, weiß. Beide warten ordentlich geduldig, unabhängig voneinander, auf den Bus nach Manchester. Der eine heißt Gabriel, erfahren wir später, und wirkt so ordentlich, so zart, dass einem schwindelt, weil Blicke ihn verletzen könnten. Der andere heißt Markus, einer von Cocteaus Matrosen, wäre da nicht 12

sein ordentlicher Gang und seine (imaginierten) Locken, die den venezianischen Jungen aus „Der Tod in Venedig“ (Buch, nicht Film) erblassen ließen. Nation und Männlichkeiten, diese Konzepte, Diskurse und Dispositive, die uns als nachtblaue Brillen, die wir selbst nicht sehen, auf der Nase sitzen, zuweilen auch auf ihr herumtanzen. Diese Brille registriert die erste verbale Äußerung auf Isländisch im Debüt des 1978 geborenen Regisseurs Baldvin Zophoníasson als ein Ziehen nationaler Grenzen, als unspektakuläre Wellen in einem Teich, sagen wir: in einem Baggerloch, die ausschlagend das Ufer in abertausend Splittern erreichen. Auf ihrem Weg lassen sie das Konturierte, Feste, das Rigide, Harte eines abgesteckten Gebietes (Nation/Nationalstaat/ Nationalität) gegen die eigene unaufhörliche Grenzwandlung in einer sich permanent wandelnden Welt mit weiteren Kinderstreichen (d.h. Grenzziehungen, -verrückungen, -korrekturen und so fort) anrennen, wie das Konturierte, Festgeformte, Harte (Männlichkeit/„Mann“) gegen das permanente Kon-

tinuum von Geschlechtern sisyphosgleich anschreien („… und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus“). Einmal scheinbar affirmativ-national: „Ouuugh, aus Island!“, bemerkt die Englischlehrerin leicht quietschend mit Blick auf die beiden Jungs, als ob’s Perlen der Weisheit seien in denen sich etwas noch nie Gesehenes, zooartiges bewegte. Das andere Mal in der Stimme Markus’, der während des Kofferauspackens im Doppelzimmer vor sich hin mit anschließendem Blick zu Gabriel über die Schulter feststellt: „Das war typisch britisch … 8 o’clock, sharp!“ Und zieht damit die Grenze um sie beide, als das, was monströs zur Grenze gerinnt: Island/Isländer. Hier: zu Zweit Island, dort: Königreich und Verantwortung. Weil der Autor sich am liebsten dort bewegt, wo nicht alle so aussehen wie er, fällt ihm Folgendes auf: Der ganze Film ist so „weiß“ (non-capitalized W), „weiß“ wie in Samuel Ray Delany’s „Dark Reflection“ (2007) ein Arzt auf die Frage Arnolds, wie viele Homosexuelle gibt es, mit „Einer auf fünfzigtausend!“ antwortet. Alles klart auf, und die Erde, tataah! Eine Scheibe! Der Film ist dem Autor zu weiß, wie sollte ein Mensch sich Anfang des 21. Jahrhunderts wohl fühlen, unter so vielen ordentlich wilden „weißen“ Superhelden des gesättigten Alltags, den uns der Film vorführt? Beauty is only the beginning of the terrible. Die ordentliche Welt der beiden Englischschüler aus Island gerät ins Zittern, als sie sich an einem Abend nach der Kneipe atemholend unter einem Baum zu küssen beginnen. Das Ganze ist unspektakulär, dauert nicht lange, vielleicht eine Bildstörung. Der Aufschlag dann, aus der dünnen Luft dieses Nicht-Ortes einer School of English lässt, zurück in Island, scheinbar auf sich warten. Jitters schwenkt auf die Freundesgruppe Gabriels, deren Mitglieder alle, ihn mit eingeschlossen, in ihren jeweiligen jugendlichen Sommerferienalltagen Ordnung ins Chaos ihrer Lebenszeit zu bringen versuchen – zwischen generalsgetreuer Inquisition (die Mutter Gabriels nach dessen Rückkehr), enervierenden Fragen nach dem Namen des leiblichen Vaters an die Mutter, deren namenloser Bettgefährte morgens aus der Wohnung herausstolpert (eine Freundin Gabriels) oder der totalen Überwachung durch die am Küchenfenster festgeschraubte Großmutter der besten Freundin und Verehrerin Gabriels, die, kaum den Ferienjob als Kassiererin begonnen, schon Opfer eines Raubüberfalles wird. Gabriel, mit der Freundin, die auf der Suche nach ihrem Vater ist, auf dem Weg, sich ein Zimmer anzuschauen, trifft eines Morgens auf Markus. Der ist auf dem Weg zu seinem ersten Friseursalonjob und bietet Gabriel einen Versuchshaarschnitt an. Als


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Gabriel dann auf einer der Sauf- und Knutschparties schwankend auf der Suche nach Markus durch den Flur einer verwischten Wohnung tastet, um diesen dann eine Lady vögelnd vom Türrahmen aus anzustarren, äußert sich das Schwanken in Gabriel in nichts weiter als seinen geöffneten Augen in seinem ordentlichen, ruhigen Gesicht, das sich, eine Träne verlierend, aufs ordentlich gemachte Bett sinken lässt. Da möchte ich diesen Engel packen und schütteln, wenn Engel das mit sich machen ließen (zweifelhaft). Aber vielleicht sind die Leben um Gabriel herum in ihrer Brüchigkeit genau so staunenswert und erschreckend wie der Moment, in dem Gabriel zu erkennen scheint, dass „man“ sich nicht „nicht verhalten“ kann, weder zu den Leben um einen herum, noch zu seiner Begierde und einer Zeit, die letzteres immer irgendwen zumindest dies einmal herauszuschreien verlangt („Gabriel ist schwul!“), denn das, worum eine Grenze gezogen wird, sei es Begierde oder Gebiet, verliert in seiner Präzisierung an Schrecken. Aber weil wir immer nur bewegte Leben leben können, ist es mit einer Präzisierung nicht getan (siehe Butlers „Iteration“). Da wir wissen, dass nichts wiederholt werden kann, ohne dass sich die Wiederholung ändert und die Wiederholung selbst die Differenzen (und alle ihre Wiederholungen) verändern (G. Deleuze, „Differenz und Wiederholung“), ist es ein Rennen für die Katz, an dem wir uns nicht „nicht beteiligen“ können. Mit Gabriel gelingt eine Figur, die das schon begriffen hat, bevor sie sich selbst als beteiligt sieht, als Akteur, im Schweigen, die beste Freundin in den Armen, im Krankenhausflur, beim ersten Kuss. Das ist dem Alter der Hauptfigur, Gabriel, zwar abnehmbar, aber fast zu schön, um wahr zu sein. Was, wenn dieses Wissen nicht vor dem Erleben des Todes eines geliebten Menschen schützt? So komplett gar nicht? Eine Freundin aus Gabriels Gruppe stirbt. Spielt das Horrormeisterwerk Kokuhaku (Geständnisse, Regie: Nakashima Tetsuya, Japan 2010) den Fall von Rache an zwei minderjährigen Mördern einer Schulklasse durch, so verhält sich Jitters wie die andere Seite der Münze: Was, wenn es nicht zur Eskalation bei den Hinterbliebenen kommt, verziehen wird? Wie funktioniert verzeihen und wie leben Menschen miteinander „nach“ dem Verzeihen? Jitters zeigt die Vielfältigkeit an mehr (Väter, Mütter, Großmütter) oder weniger (Gabriel und Gleichaltrige) sinnfreien Möglichkeiten und einmal mehr (glücklicherweise), wie wenig Alter und Reife miteinander zu tun haben können. Zusammengefasst, hier handelt es sich um einen Film, für den Zuschauende zwischen, sagen wir, vierzehn und neunzehn Jahren sein sollten, damit der Spaß daran am größten ist – gleich, wie ernsthaft Chaos und Ordnung im Film erzählt werden (Filmeschauen darf nicht, sondern sollte nach Möglichkeit Spaß bereiten). Dafür wurde Jitters verdientermaßen ausgezeichnet. Seine Hauptfigur ein Held, der zwar scheinbar nichts mit Bruno’s „Superhelden“ („mit Superausstattung“) gemein hat, dafür wohl aber für eine Mehrheit aller jugendlichen Zuschauenden als Identifikationsfigur dienen kann. Ich bezweifele nur, dass die Mehrheiten in duftigen Betten eines kuscheligen Schlafzimmers ihre späte Adoleszenz verbringen, sei’s drum. Coming-Out ist in dieser coming of age-Geschichte dezentral. Und gerade das macht Jitters zu einer spannenden Bildstörung, die vielleicht in Klassenzimmern ausgetestet werden sollte. s

Jitters – Schmetterlinge im Bauch von Baldvin Z IS 2010, 97 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino Gay-Filmnacht im Januar www.gay-filmnacht.de

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Gute Filme. Neu auf DVD! Überall im Handel und auf www.goodmovies.de

All My Life Ein Paradebeispiel des ägyptischen Untergrund-Films und zugleich ein politisches und poetisches Statement für den Kampf um Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung: Im Jahr 2001 werden 52 Männer auf einem Partyschiff in Kairo verhaftet. Auf dieser Basis erzählt der Film von der problematischen Realität schwulen Alltags in Ägypten…

Herzensbrecher Francis und Mary sind beste Freunde. Bis ihnen Nic begegnet, ein junger Mann und überirdisch schön. Beide tun alles, um ihm zu gefallen. Er lässt sie niederknien… Ein komödiantisches Doppelportrait des Verliebtseins in die Liebe, frech und stilbewusst!

Mein Maggie, 21, und Klaus, 45, sind in ihrem Campingfahrzeug in Deutschland unterwegs. Trotz Altersunterschied scheinen sie ein Liebespaar zu sein. Als Maggie sich auf einem Campingplatz für einen anderen Mann zu interessieren beginnt, verschieben sich die Machtverhältnisse. Allmählich decken sich die Hintergründe ihrer Beziehung auf, bis es zur tödlichen Eskalation kommt…


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Die Herrin von Shibden Hall von J essic a E llen

polyband medien

Empirekleider, Geheimschriften und nordenglischer Nebel sind genau das richtige für unsere Autorin. Wären diese Kostümdramen nur nicht immer so platonisch … Henry Kents Biopic über die ausgesprochen lesbisch orientierte Anne Lister geht einen Stiefelschritt weiter. „Die geheimen Tagebücher der Anne Lister“ werden vor der DVD-Veröffentlichung in der Januar-LFilmnacht auch im Kino zu sehen sein.

s Anfang der neunziger Jahre stieß ich in einer Londoner Buchhandlung auf das Tagebuch einer erstaunlichen Frau, die zu ihren Lebzeiten nie daran gedacht hätte, es zu veröffentlichen. Anne Lister (1791–1840) lebte in Halifax, Yorkshire und wurde nach dem Tod ihres Bruders und Onkels Erbin des Landgutes Shibden Hall. Sie führte ihr Tagebuch in einer von ihr entwickelten Geheimschrift, die die Literaturwissenschaftlerin Helena Whitbread 150 Jahre später entschlüsselte und die Aufzeichnungen aus Annes emotional turbulentesten Jahren veröffentlichte. Ich las in einer Zeit, in der die historische Frauenforschung den Frauen des neunzehnten Jahrhunderts eine lesbische Identität und ein aktives Ausleben ihrer Sexualität generell absprach, fasziniert das Bekenntnis der damals 30-jährigen Anne: “I love and only love the fairer sex and thus, beloved by them in turn, my heart revolts from any love than theirs.” („Ich liebe und liebe nur das schönere Geschlecht und so, von ihnen gleichfalls geliebt, revoltiert mein Herz gegen jede andere Liebe, als die ihre.“) Als ich vor kurzem erfuhr, dass Anne Listers Tagebücher von James Kent verfilmt worden waren, kannte meine Vorfreude keine Grenzen: Ich liebe sorgfältig recherchierte Historienfilme, besonders, wenn sie im frühen 19. Jahrhundert spielen. Keine Jane-Austen-Verfilmung, die ich nicht gesehen hätte. Schöne Frauen in hinreißenden, das Dekolleté betonenden Empirekleidern, einander leidenschaftlich, wenn auch platonisch zugetan, und eine starke Emanzipationsgeschichte in nebelverhangener nordenglischer Landschaft – Dramen ganz nach meinem Geschmack. Und Anne Lister, die unerschrocken lesbische Avantgardistin, krönt als das ultimative Sahnehäubchen die Torte … Bei so hohen Erwartungen hätte ich auch enttäuscht werden können, aber das war glücklicherweise nicht der Fall. Der Film setzt etwas früher als die Buchveröffentlichung an und führt fast beiläufig seine Protagonistinnen ein: Anne und Marian, die über den reichen, alten Witwer Charles Lawton lästern, von dem es heißt, er habe seine Frau umgebracht. Sie küssen einander zwischen alten Bäumen und träumen von einer gemeinsamen Zukunft. Doch kurz darauf folgt eine böse Überraschung für Anne: Marian heiratet eben diesen Mann, von dem sie sich einen entsprechenden Lebensstandard und ein respektables Erbe erhofft, denn Anne verfügt noch nicht über eigene Mittel, um ihr das zu bieten – so zumindest ihre Begründung. Ein Jahr lang kein Wort von M., die zu ihrem Mann 15


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nach Cheshire gezogen ist. Anne stürzt sich in das Studium von Sprachen, wehrt erfolgreich Versuche von Onkel und Tante ab, sie zu verheiraten, schläft mit ihrer Verflossenen Isabella, genannt Tibbs, was in dieser neue Hoffnungen weckt. Außerdem flirtet sie ein wenig mit der jungen Kaufmannstochter Miss Brown, doch diese ist ihr auf die Dauer zu naiv und uninteressant. Beide können Marian nicht ersetzten, und als die plötzlich wieder schreibt und ein Treffen zu zweit in Aussicht stellt, ist Anne nicht zu halten. Aber sie wird wieder enttäuscht: Ehemann Charles hat sich angeschlossen. Schließlich schafft M. es, Anne zu ihrem Geburtstag zu besuchen. Sie kaufen sich Verlobungsringe und versprechen sich ewige Treue. Tibbs ist eifersüchtig und fängt an zu trinken, was schließlich auch zu einem Zerwürfnis zwischen ihr und Anne führt. M.s Ehemann, gar nicht so kränklich wie von ihr behauptet, schöpft Verdacht. Ein abgewiesener Freier, dem es natürlich nur um Annes Land und die darin vermuteten Kohlevorkommen geht, hat ihm etwas zugeflüstert. Nichts scheint mehr möglich, da nehmen die Ereignisse auf Shibden Hall eine unerwartete Wendung: Annes Onkel stirbt, und sie wird mit ihrer gebrechlichen alten Tante Herrin des Anwesens. Sie drängt Marian, sich endlich von Lawton zu trennen und mit ihr zusammen zu leben. Doch Marian weigert sich. Sie möchte, dass alles so bleibt wie es ist, weil sie Angst vor dem Gerede der Leute und dem Verlust der Reputation hat, vor der sozialen Ausgrenzung, die das zur Folge hätte. Jetzt hat Anne endgültig genug von der Hinhaltetaktik ihrer Liebsten und trennt sich von ihr. Anne möchte selbst Kohle fördern, doch dazu fehlt ihr das nötige Kapital. Da kommt ihr sehr gelegen, dass die junge und zudem attraktive Anne Walker in Halifax ein riesiges Vermögen geerbt hat und sich vor Mitgiftjägern kaum retten kann. Aus der reinen Geschäftsverbindung wird Freundschaft und schließlich eine Lebensgemeinschaft. Die gute Gesellschaft von Halifax hat ihren Skandal; man nennt Anne 16

Lister, die schon immer als gebildeter, aber auch exzentrischer „Blaustrumpf“ galt, „Gentleman Jack“, und irgendein Neider setzt eine Annonce in die lokale Zeitung, die die Hochzeit zwischen einem „Mr. Jack Lister“ und Miss Anne Walker verkündet. Die beiden Frauen lassen sich nicht beirren. Endlich ist Annes Wunsch nach einer Lebensgefährtin, die zu ihr steht, in Erfüllung gegangen. Noch einmal taucht Marian bei ihrer Ex auf; ihr Mann vergnügt sich mit anderen Frauen. Jetzt möchte sie ihre „Fredi“ – so hatte sie Anne in den gemeinsamen Zeiten zärtlich genannt – zurück, glaubend, dass diese nur auf ihre Rückkehr gewartet hätte. Aber sie irrt sich. „Ich heiße Anne“ ist die kühle Reaktion. Im Nachspann erfahren wir, dass Miss Lister und Miss Walker viel auf Reisen gingen. Eine Leidenschaft, die Anne das Leben kosten sollte. Sie starb mit nur neunundvierzig Jahren in einem kaukasischen Dorf an einem Fieber, und ihrer Gefährtin blieb nur noch, die tote Anne nach Yorkshire zu begleiten, wo sie begraben wurde. Ich habe viel von Annes Tagebüchern im Film wieder gefunden. Nicht nur von den Ereignissen, die sie beschreiben, sondern auch vom Geist, aus dem sie entstanden: sowohl dem der Autorin als auch dem Zeitgeist. Anne, der als Frau keine Universität offen stand und die sich nur dem Selbststudium widmen konnte, gehörte als erstes weibliches Mitglied überhaupt dem Führungskomitee der „Literary and Philosophical Society“ an. Ihr Schreiben ist von einem großen Bedürfnis nach Selbsterkenntnis geprägt und zitiert programmatisch Rousseau, den sie besonders schätzte: “I know my own heart and understand my fellow man. But I am unlike anyone I ever met.” („Ich kenne mein eigenes Herz und verstehe meine Mitmenschen. Aber ich gleiche niemandem, den ich je getroffen.“) An anderer Stelle schreibt sie: “I am resolved not to let my life pass without some private memorial that I may hereafter read, perhaps with a smile, when time has frozen up the


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channel of those sentiments which flow so freshly now.” („Ich bin entschlossen mein Leben nicht vorbeiziehen zu lassen, ohne einige private Erinnerungen, dass ich sie später lesen möge, vielleicht mit einem Lächeln, wenn die Zeit die Kanäle jener Gefühle hat gefrieren lassen, die jetzt so frisch noch fließen.“) Es dürfte nicht leicht gewesen sein, die Tagebucheintragungen für den Film in fein geschliffene, scharfzüngige Dialoge in der Sprache des neunzehnten Jahrhunderts zu verwandeln – Wortgefechte, aus denen die schlagfertige Anne meist als Siegerin hervorgeht, die selbst in ihren Niederlagen zwar manchmal die Fassung, aber nie ihre Würde verliert. Dabei ist der Film keineswegs zu dialoglastig geraten, sondern entfaltet seine Wirkung gleichermaßen durch die Bilder, die Situationen und ProtagonistInnen, die zwar in den restriktiveren Bedingungen einer anderen Zeit agieren, aber uns doch modern genug erscheinen, dass wir uns in ihnen erkennen. Bei der Besetzung wurde nicht auf Prominenz gesetzt, sondern auf fähige, aber nicht international bekannte SchauspielerInnen; auch das eine richtige Entscheidung. Anne ist ein eher herber Rotschopf, meist sehr beherrscht, aber manchmal geht das Temperament mit ihr durch – dann rennt sie z. B. durch Moor und Heide der Kutsche entgegen, die ihre peinlich berührte Liebste bringt. Notfalls kann sie auch mit Pistolen umgehen, gibt diese Fertigkeit auch gern weiter und lässt sich selbst von bezahlten Raufbolden nicht einschüchtern. Marian dagegen erscheint von Kopf bis Fuß ladylike, mit Porzellanteint und einem Gesicht wie gemalt – fast überirdisch schön, aber eben auch feige und opportunistisch. Tibbs wiederum ist eine

Figur sehr von dieser Welt, nicht aus Äther, sondern aus Erde; dunkel, fast grob. Der Gegensatz zwischen den Charakteren wird in der Schlussszene auf den Punkt gebracht: Anne und ihre Lebensgefährtin sind in einem Gewächshaus mit dem Umtopfen von Pflanzen beschäftigt, die Hände voller trockener Erde, als Marian aus dem Nichts wie ein Luftgeist auftaucht – und abgewiesen wird. Ein Genuss ist es auch, wie die Kleidung Annes allmählichen Emanzipationsprozess, der sie immer rationaler und pragmatischer werden lässt, spiegelt. Anfangs sind die schwarzen Kleider – ihr Markenzeichen – noch konventionell, mitunter sogar ziemlich offenherzig, später werden sie immer männlicher – hochgeschlossene Jacke mit Jabot und einem Zylinder, der auf Annes wilden, aber nun streng zurückgenommenen Locken thront. Der Enge der Innenräume, Abbild gesellschaftlicher Konventionen, in denen selbst die gestohlenen Momente von Intimität zwischen den Frauen immer gestört werden, steht die Weite der Landschaft gegenüber. Dahin flüchtet Anne, um unbeobachtet zu sein und zu sich zu finden, bevor die Gefühle dem Tagebuch anvertraut und in Form gebracht werden. Aber das bedeutet eben auch, da draußen allein zu sein – ohne die ersehnte Nähe zur Geliebten. Ich hatte es schon geahnt, jetzt bin ich mir sicher: Die geheimen Tagebücher der Anne Lister ist mein persönlicher Favorit für den Film des Jahres! s

Die geheimen Tagebücher der Anne Lister von James Kent UK 2010, 92 Minuten, dt. SF Polyband Medien, www.polyband.de Im Kino L-Filmnacht im Januar www.l-filmnacht.de Auf DVD ab 27. Januar 2012

The Secret Diaries Of Miss Anne Lister von Helena Whitbread (Hg.) Taschenbuch, 422 Seiten, englisch als UK-Import, Virago Press, www.virago.co.uk

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von R ich a rd Ga r ay

Im Februar wird es wieder eine Gay-Kurzfilmnacht geben: ein Programm mit sechs Filmen, das in sechszehn Kinos bundesweit gezeigt wird. Also ein nicht-heterosexuelles Kinoereignis, auf das man in der SISSY unbedingt hinweisen sollte. Aber wie schreibt man über sechs einzelne Beiträge, die auf den ersten Blick nicht viel mehr gemeinsam haben, als dass sie kurz sind? Unser Autor schwärmt und verzweifelt.

s Ich habe jetzt keine Lust, schon wieder über das Format „Kurzfilm“ an sich zu schreiben: dass man sich da ausprobieren, etwas auf den Punkt bringen, sich Freiheiten angesichts des überschaubaren Aufwands nehmen kann, dass das alles per se knackig, experimentell, jugendlich rüberkommt, weil Kurzfilme ja oft von FilmstudentInnen gemacht werden, die ihr ganzes überschäumendes Talent in die kurze Form bringen, bevor es ernst wird und Richtung Spielfilmdebüt geht. Das stimmt hier zwar alles, aber damit wird man keinem der sechs Filme gerecht. Wie also kriege ich diese sechs tatsächlich großartigen Kurzfilme unter einen Hut und in einen Text? Aufzählungen. Zunächst mal sechs Namen für sechs Hauptfiguren: Lucho, Jérémie, Joe, Greg, Maurice und Bobby. Alles Jungs, klar. Typisch. Und schwul, allesamt. Lucho und Maurice sind ziemlich jung, sie sind zwar schon interessiert, aber da passiert noch nichts. Bei Jérémie passiert zum ersten Mal was, Maurice hat schon einen Freund und Bobby schon ein gebrochenes Herz. Joe ist 20, Designstudent und ein bisschen pervers; der erlebt ein erstes Mal der etwas anderen Art. Aber aus lauter Namen kann man noch keine Schwärmerei machen. Sechs erste Bilder. Eine gegenüberliegende Hauswand in sepiafarbener Abendsonnenstimmung, geöffnete Fenster. In einem kann man einen attraktiven Jungen in geöffnetem Hemd und gelben Shorts sehen – aus der Beobachterperspektive von Lucho, der sehr interessiert hinschaut. Ein anderer Junge in der Dusche, hinter dem jemand zärtlich seinen Namen flüstert: „Jérémie!“ Das stellt sich, spätestens mit dem Eintreten der Mutter ins Badezimmer, als erotische Fantasie heraus. Joe schaut dagegen direkt im ersten Bild ängstlich und erregt zu uns auf. Seine Wangen sind leicht gerötet, seine Sommersprossen treten deutlich hervor, seine Augen sind herausfordernd und ängstlich zugleich. Es ist Tim, dem dieser Blick eigentlich gilt. Joe hat Tim gerade kennen gelernt und möchte gerne was mit ihm anstellen – beziehungsweise möchte er, dass Tim was mit ihm anstellt. Ein anderer Junge tanzt in Slowmotion zu Gesängen der Fidschi-Inseln, hat eine blöde Sonnenbrille und einen noch blöderen Strohhut auf und – natürlich – ein Fidschi …, nein, ein Hawaihemd an. Offensichtlich hat er eine gute Zeit. Maurice dagegen sehen wir im ersten Bild seiner Geschichte auf dem Fahrrad. Nicht zum letzten Mal, denn Maurice ist immer unterwegs und will immer weg – ohne tatsächlich einen Schritt weiter zu kommen. Im letzten ersten Bild fällt Schnee vom schwarzen Nachthimmel, durch den schließlich Bobby tritt und kurz zögert. Er befindet sich vor einer Schwulenbar und überlegt sich, ob er mit seinen ewigen Zweifeln und seinem so maßgeblich gebrochenen Herzen diesen Raum 18

Blokes von Marialy Rivas CH 2010, 15 Min, OmU

Franswa Sharl von Hannah Hillard AU 2009, 14 Min, OmU

Cappuccino von Tamer Rugli CH 2010, 16 Min, OmU

L’Ami von Adrien Kuenzy CH 2010, 20 Min, DF

Spring von Hong Khaou UK 2010, 13 Min, OmU

Bedfellows von Pierre Stefanos US 2010, 16 Min, OmU

Im Kino Gay-Kurzfilmnacht im Februar www.gay-filmnacht.de edition salzgeber

Sechsfach verliebt

voller Männer betreten soll (was er natürlich wenige Augenblicke später macht). Erste Bilder voller Erwartungen, voller Spannungen und mit angespannten und erwartungsfrohen Helden darin. Sechs erste Sätze. „Wird es weh tun?“ Das ist so gemeint, wie man es in einem Filmprogramm mit schwulen Jungs erwartet. „Hallo, wie war’s in der Schule?“ Naja, so ein erster Satz kommt auch nicht gerade unerwartet. „Jérémie!“, das hatten wir schon, da stöhnt jemand den eigenen Namen. Aber „Hast du schon das mit Chichi gehört?“ ist hintergründiger – er etabliert, in einem Gespräch zwischen Nachbarin und Mutter, die Gerüchteküche, die Sozialkontrolle und das Lauern auf vermeintliche Schwächen der Mitmenschen. Diese Chichi soll schwanger sein. Und Lucho soll – aber das weiß außer uns noch keiner – auf Jungs stehen. „Mach dich nicht lächerlich!“ sagt sein Vater zu Greg, und er weiß genau warum. Greg ist ein unkontrollierbares Bündel nicht ausreichender Männlichkeit, für seinen Vater ein ständiger Quell der Unsicherheit und des Ärgers. Dass Greg sich am Ende als „Franswa Sharl“ (eigentlich „Françoise Charles“, aber er ist Australier und kann das nicht aussprechen) für den Beauty-Contest der „Miss Fidschi“ anmelden und in einer aufreizenden Choreographie dem Vater vor die Urlaubskamera hüpfen wird, ahnt dieser jetzt schon, will es aber noch nicht wahrhaben. Schließlich der programmatischste unter den ersten Sätzen, und der ist für Bobby: „Wahre Liebe ist noch niemals reibungslos verlaufen.“ Behauptet ein Erzähler mit einer völlig emotionslosen Stimme, während Bobby durch den Schnee tritt. Und dann begleitet er Bobby kühl durch seine Träume und Ängste, bis Bobby schließlich das Gerede über ihn zum Schweigen bringt und endlich glücklich ist und die wahre Liebe erkennt, die ihm begegnet. Aber was fangen wir jetzt mit all diesen Jungs, Bildern und Sätzen an? Kann man mit diesen ziemlich willkürlichen Vergleichen tatsächlich das Staunen, den Witz, die Verwirrung und das AngemachtSein beschreiben, das mich hier in sechs verschiedenen Geschichten ergreift? Muss ich nicht einfach das Besondere erwähnen, das jede einzelne davon auszeichnet? Die durchgeknallte Fischi-in-den-80ernSzenerie in Franswa Sharl zum Beispiel oder die verstörende emotionale Zerrissenheit, die sich am Ende von L’Ami enthüllt, nachdem man zuerst eine nette kleine Gay-Teenie-Romanze zu sehen glaubte? Die Geschichte einer Erniedrigung, die sich am Ende als Kick entpuppt (Spring), die großartige Beziehung eines Jungen und seiner Mutter, die es beide nicht erwarten können, flachgelegt zu werden (Cappuccino), die glasklar in den Bildern durchgespielte Liebesbeziehung, die der Held durch sein unsicheres Geschwätz beinahe verhindert (Bedfellows), schließlich das erotische Spiel zweier Nachbarn, das zur Katastrophe führt (Blokes). Jetzt schreibt man hier gerne sowas wie „eine Reise durch …“, „ein Mix aus …“ oder betont ein Spektrum oder eine Spannbreite. Ich kann nur einen Kinoabend empfehlen, der zwar aus unterschiedlichen Teilen besteht, der sechs Anfänge hat, sechs Pointen und sechs Helden, den man aber trotzdem nicht durch sechs teilen möchte. Dazu hat am Ende zu viel erlebt. Im besten Fall: sich sechsmal verliebt. s


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Kurzer Ausbruch aus Remote Control von A ngelik a Ngu y en

Zwei ältere Damen, die einmal Schulfreundinnen und noch etwas mehr waren, führt das Schicksal wieder zusammen. Nun müssen sie, besser spät als nie, ihre Lebensentwürfe überdenken und Gefühle zulassen, die schon fast ein Leben lang darauf warten. Nach vielen Festivals und vielen Preisen (zuletzt dem Zuschauerpreis beim Festival Homochrom) ist „Herbstgefühle – 80 Egunean“endlich in der L-Filmnacht zu sehen.

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s Die Sicht auf die Geschichte von Axun und Maite beginnt mit dem Titel. Während die beiden jungen baskischen Filmemacher Jon Garano und Jose Mari Goenaga ihren Film schlicht 80 Tage nannten, gibt der deutsche Titel Herbstgefühle bereits eine Sichtweise und auch eine Ideologie vor, die der Film überhaupt nicht hat. Herbstgefühle, das klingt nach den verzweifelten Namen von Altenheimen wie „Abendfrieden“ oder „Erfülltes Leben“, was vor allem eins impliziert: Du bist zwar noch da, aber es ist vorbei. Das Alter der Figuren in 80 Tage ist zwar Teil der Geschichte, aber nicht ihr Thema. Axun und Maite sind Frauen um die 70, die eine ist verheiratete Hausfrau auf dem Lande, die andere ist Pianistin und lebt allein in der Stadt. Ihre Liebesgeschichte wird vom Ende her erzählt, buchstäblich in der Nähe des Todes. Ausgerechnet beim Besuch zweier komatöser Patienten, Axuns Ex-Schwiegersohn und Maites Bruder, beginnt sie. Dort begegnen sich Axun und Maite, aber nicht zum ersten Mal. Denn sie kennen sich aus ihrer Jugendzeit, als sie beste Freundinnen waren. Bevor der Film das entdeckt und bevor er die erotische Komponente der Beziehung freilegt, inszeniert er zwei gängige heterosexuelle Paarbeziehungen. Gleich im ersten Bild weint im Auto eine junge Frau in einer Trennungssituation einem ungerührt weiter fahrenden Mann die Ohren voll bis zum tödlichen Unfall, eine Szene weiter sitzt ein altes Paar, Axun und Juan Mari, (die Vorsilbe „Ehe“ ist ebenfalls abgebildet), starr


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und ohne jedes Zeichen eines Austauschs auf einer Gartenbank, bevor das Telefonklingeln, nämlich die Nachricht vom Unfall, die Frau aufstehen lässt. Aber nicht nur die Ehe ist erstarrt, auch die Beziehung Axuns zu ihrer Tochter in den USA wird in unbeweglicher Rollenverteilung, aufdringlich vonseiten der Mutter und genervt vonseiten der Tochter, beschrieben. Es folgen die Schilderung des Ehealltags und die Krankenhaus-Besuche Axuns bei ihrem schwer verletzten Ex-Schwiegersohn. Nach der Entdeckung der alten Bekanntschaft mit Maite, der Frau, die Axun vom ersten Moment an anziehend findet, geraten die Krankenbesuche immer mehr zu einem Ausbruch aus Axuns enger Welt. Bald fährt sie täglich aus ihrem Dorf in die Stadt, wo das Krankenhaus ist. Maite und Axun unterhalten sich, lachen miteinander, erinnern sich, tanzen sogar in dem Krankenzimmer der zwei bewusstlosen Männer. Die Spannung zwischen beiden wird langsam aufgebaut, ihr Unterpfand sind die sepiafarbenen Rückblenden in die Jugendzeit. Leider wird der Spannungsbogen zu viel verbal flankiert in Szenen, wo Maite in Gesprächen mit Dritten ihre Homosexualität und ihre mögliche Verliebtheit in Axun thematisiert. Aber den Filmemachern geht es nicht nur um die lesbische Liebesgeschichte. Sie fragen sich auch, wie es dem zurück gelassenen Ehemann Juan Mari wohl geht, was aus der Ehe wird. So bekommt Juan Mari große Parts, in denen man ihn einsam und hilflos in der Küche sitzen oder an seinem Spielhaus basteln sieht, ohne dass er auch nur eine Sekunde lang denunziert wird. Und so unbeweglich die Ehebeziehung von Juan Mari und Axun in der ersten Hälfte des Films beschrieben wird, so erwacht sie im zweiten Teil durch die Krise zu neuem Leben. Es geht nicht darum, ein verfehltes Leben zu kritisieren, wohl aber die Alternative schonungslos als versäumt zu schildern. Den Trost des Satzes „Es ist nie zu spät“ unterläuft der Film, erlaubt sich in den 80 Tagen kein Happy End für die Liebe der beiden Frauen. Zu fest ist Axun in ihrem Leben, zu sehr braucht sie es, gebraucht zu werden, als Fürsorgerin des Ehemannes, als Gegenpart der Tochter, ja sogar vom bewusstlosen Ex-Schwiegersohn. Axun in verschiedenen Rollen, nur nicht als Axun. Maites Leben wirkt dagegen wie ein Paradies der Selbstbestimmung: große weitläufige Wohnung nur für sich, der geliebte Beruf, Freundeskreis, Führerschein, offene Homosexualität. In der vielleicht schönsten und wichtigsten Szene des Films, am 34. Tag und kurz vor der erzählerischen Wende, beschreibt Axun ihr Dilemma, aber nur auf einer Insel und nur angetrunken: „Wenn ich bei dir bin, Maite, bin ich irgendwie nicht ich, aber gleichzeitig fühle ich mein wirkliches Selbst.“ Und da endlich geht’s zur Sache. Maite küsst Axun in einem Arrangement wie damals in der Sepia-Erinnerung. Axun küsst sekundenlang zurück, entschließt sich dann zur Abwehr. Der dramatische Ausbruch der lange verschlossen gehaltenen Gefühle findet auch metaphorische Entsprechungen: Das Boot der beiden hängt seeuntüchtig in den Seilen, als sie zum Steg zurück kommen, Axun schließlich fällt ins Wasser und Maite springt hinterher. Die sexuelle Konnotation der klatschnassen Körper, der unmittelbare physische Kampf zwischen beiden nach all

den Gesprächen, Berichten, Diskussionen wirkt befreiend. Eine wirklich erotische Szene. Für eine totale Ablehnung Axuns jedenfalls sind Maites Charme und vor allem ihr uneingeschränktes Verlangen zu stark. So begehrt zu werden ist unwiderstehlich. Aber Axun findet sich nicht zurecht. Einmal, mitten im Drama, scheint plötzlich alles spielerisch und leicht, als könnten die Figuren sich das Ende ihrer Geschichte selbst aussuchen. „Ich will nicht, dass es so endet“, sagt Axun zu Maite. „Dann lass es uns nicht so beenden“, sagt Maite. Und sie fahren zu Maite und verbringen vermutlich eine Liebesnacht miteinander. Was aber erst nur aussieht wie der Kampf ums Coming-Out, kann mit fortschreitender Filmerzählung auch als Test für die heterosexuelle Ehe gelesen werden. So erzählt der Film den Ausbruch vielschichtig. Als Juan Mari den Mann schlägt, von dem er glaubt, er sei der Liebhaber Axuns, kommt in diese alte Ehe noch einmal richtige Leidenschaft und eine Ahnung auf, warum Axun sich einst in Juan verliebte. Zu den großen Momenten des Films zählt, wenn Juan Mari, der alte verzagte Mann, um sein Letztes, Wichtigstes kämpft: um seine Ehefrau. Die für ihn kocht, ihm das Einweckglas öffnen kann, die in der Küche hantiert und tröstliche Geräusche macht, wenn er allabendlich die Fernbedienung des Fernsehers anschaltet. „Ich brauche dich“, bringt er über sich zu sagen, als sie ihn verlassen will. Das Remote Control dieser Ehe hat in letzter Minute doch noch funktioniert. Und Axun kehrt heim von einer Affäre, die Juan nie durchschaut hat. Aber das Ende ist nicht das Ende. Die Autoren erlauben sich einen Kunstgriff und zeigen entgegen dem Titel den 984. Tag, an dem die beiden Frauen sich zufällig wiedertreffen. Kein Ja, kein Nein, aber ein: Vielleicht. Mitten in der Szene blendet der Film aus. Nach den Darstellerinnen haben die Filmemacher lange gesucht. Itziar Aizpuru als Axun kann ihrer Figur eine großmütterliche, sehr konventionelle Ausstrahlung genauso präzise wie die Irritation und das Sehnsüchtige mitgeben. Mariasun Pagoagas androgyner selbstsicherer Charme als Maite wiederum erinnert glattweg an Vanessa Redgrave. Gefragt, wie sie auf die Idee für einen lesbischen Liebesfilm über 70-jährige Frauen gekommen seien, sagten die beiden Regisseure, die einzige Vorgabe für sie wäre gewesen, es sollte von älteren Menschen handeln und Baskisch sollten sie sprechen. Ansonsten hätten sie keine Randgeschichte, auch keine kämpferische Emanzipationsgeschichte erzählen oder ein Coming-Out beschreiben wollen, sondern eine universale Geschichte. Ein Stück Normalität. s

Herbstgefühle von Jon Garaño und José María Goenaga ES 2010, 105 Minuten, OmU Edition Salzgeber, www.salzgeber.de Im Kino L-Filmnacht im Februar www.l-filmnacht.de

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Als ob ein Strand Ecken hätte von Paul Schul z

Im nächsten Jahr wird ein Film ins Kino kommen, der jedem Fan des nicht-heterosexuellen Kinos ein unvermutetes Glück verspricht: Stéphane Rideau („Wilde Herzen“, „Full Speed“, „Sommer wie Winter …“, „Brüderliebe“, „Sitcom“) in einer neuen Hauptrolle! Zwar ist auch Rideau nicht mehr das, was er mal war. Doch Paul Schulz stört das nicht. Eine Schwärmerei in miesem Französisch.

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s Ich weiß nichts über Stéphane Rideau. Ich kenn ihn ja gar nicht. Ich kenne nur seine Gang. Cédric und Christophe und Serge und Jimmy und jetzt auch Vassili. Ein bisschen jedenfalls, vom Sehen. Wenn Stéphane und ich uns in den letzten 15 Jahren getroffen haben, stand er immer genau hinter einem der Jungs und sagte nichts. Guckte bloß ab und zu rüber zu mir. Und sah mich nicht. Weil es so hell war, wo er war und so dunkel, da wo ich saß. Ich habe auch nichts gesagt und bloß geguckt. Und so lernt man halt niemanden kennen. Wer Stéphane ist? Woher soll ich das wissen? Und warum überhaupt? Und, wen kennt man schon wirklich? Was ich weiß: Es gibt seit „Sommer wie Winter …“ eine kahle Ziegelwand im herbstlichen Strandhaus meiner Seele, an der nichts weiter hängt als ein großes Bild von Cédric. Aus dem er rausguckt, als gäbe es kein Haus und keine Wand und kein Bild und keinen Rahmen. Als würde er da gleich raussteigen und dann würde es plötzlich warm und er würde mich an die Hand nehmen und wir würden am Meer spazieren gehen und er würde mir mal erklären, wie das wirklich geht mit dem Glücklichsein und dann würde ich ihn in den Dünen ficken bis wir beide satt und verliebt und müde sind. Passiert nicht, weiß ich auch. Ich bin zu alt und zu geistesgegenwärtig für so viel Gefühl und außerdem wären ja auch immer Christophe und Serge und Jimmy und jetzt eben auch Vassili dabei und würden dazwischenreden. Und David hätte seine bescheuerte Ratte mitgebracht und Christophe würde die ganze Zeit seine Familie schlecht machen und Vassili würde Angelo vermissen und irgendwann ein Messer rausholen und sich prügeln wollen. Und sie alle würden mich und Cédric nie alleine lassen, weil sie einfach nicht merken würden, dass da was ist, zwischen mir und ihm. Aber vielleicht auch nicht. So gut kenn ich die Jungs auch wieder nicht / dass ich sagen könnte / ob sie merken würden / dass sie stören bei der großen Liebe / die da gerade passieren würde. Was ich über die Jungs weiß: Sie sind schön, alle, auf unterschiedliche Art und Weise. Und sie haben alle diese Augen, die Stéphane auch hat. Augen, denen man gerne zuguckt, während sie gucken. Augen, die, auch wenn sie mal ein Meter mal ein Meter groß werden, so aussehen können, als würden sie die kleinsten Dinge im Leben am schönsten finden. Augen, die mich anfassen wie große, warme, von Sport und ein bisschen zu viel Leben schwielige Hände. Die hinlangen können und mich am Hinterkopf packen und zu sich ranziehen. Augen die herumschreien können und schweigen, die sich kaum mal aus der Deckung ihrer mit den Jahren immer schwerer werdenden Lider trauen und wenn doch, sind sie so, dass man die Fresse halten und einfach nur in sie reinsteigen möchte, wie in ein warmes heißes Bad nach einem Tag, der so Scheiße war, das man einfach nur 20 Minuten in den chemisch verstärkten Piniendampf flennt und danach geht es einem besser. Was ich noch weiß: Cédric und Christophe und Serge und Jimmy und jetzt eben auch Vassili sind schnell dabei, wenn es darum geht, ihre Kleider abzuwerfen und dann sind ihre Augen immer noch das Schönste an ihnen, aber ihre Ärsche und ihre Brust und ihr Bauch und ihr Schwanz sind auch schön. Unterschiedlich alt, unterschiedlich groß, unterschiedlich käuflich, aber immer schön. Sie können nichts dafür, das ist ja alles Stéphanes Schuld, weil der bestimmt, wann sie sich ausziehen und wie sie dann aussehen. Aber das macht auch nichts, sie finden das nicht so schlimm. Weil Stéphane ein bisschen ist wie ein älterer, freundlicher Zuhälter, der einsieht, dass seine Huren auch ein Privatleben brauchen, von dem er nichts weiß und das nur ihnen gehört. Und Stéphane lässt sie auch größtenteils in Ruhe. Weil: Im Moment hat er mit Vassili alle Hände voll zu tun. Seit der in Paris und den französischen Bergen all diese Leute umgebracht hat, und weil er ja blöd genug war, Angelo da mit reinzuziehen, und sich dann auch noch von den Bullen hat erwischen lassen, kriegt er sich gar nicht mehr ein. Und ich versteh ja auch, warum er sich so aufführt. Es ist eben schwierig, älter zu werden. Besonders, wenn da immer Cédric und Christophe und Serge und Jimmy sind, die aussehen wie seine


jüngeren, knackigeren Brüder, und die Leute gucken ihn an und sagen nichts, aber sehen so aus, als würden sie denken: „Was ist denn mit dem passiert?“. Bloß, weil er ein bisschen fett geworden ist und jetzt diese kahle Stelle auf dem Kopf hat und sich den Rest seiner früher so schönen, wilden Haare immer so unglücklich in die Stirn kämmt. Als ob man dann nicht merken würde, dass es weniger sind als noch vor ein paar Jahren. Dabei will er doch eigentlich nur glücklich sein, mit Angelo, in dem großen Haus mit dem tollen Swimmingpool. Alles wäre einfacher, wenn sich Gaël Morel nicht vor 17 Jahren in einen Jungen verliebt hätte, der François hieß und den es nicht mehr gibt, weil Stéphane für die naive bisexuelle Unschuldsnummer inzwischen wirklich ein bisschen zu verheiratet und zu hetero und zu sehr Vater ist. Danach wollten Lifshitz und Ozon dann, dass David und Cédric dazukommen und Morel hatte aber schon Jimmy und Christophe eingeladen und es war immer zu voll und es haben vier Leute in einem Bett schlafen müssen und François ist dann irgendwann einfach aus Stéphanes kleiner Pariser Wohnung ausgezogen, ohne seine neue Adresse dazulassen. Dumm gelaufen. Es ist wohl nicht immer schön da, aber wo sollen sie hin. Wenn ich dann alle zwei Jahre mal kommen darf, um im Dunkeln zu sitzen und zu gucken, hat Morel immer schlechte Laune, legt pathetische Musik auf und ist auch sonst ungeheuerlich französisch. Ob er trinkt, weiß ich nicht, aber ich halte die Verhältnisse ohne Alkohol jedenfalls nicht aus. Schon, weil Cédrics Englisch so schlecht ist und mein Französisch auch und wir uns deshalb nie wirklich unterhalten können und ich ganz wuschig werde, weil er ja immer noch genauso aussieht wie auf dem Bild in meinem Kopf und Lifshitz die ganze Zeit so tut, als wäre das nicht Dorian-Gray-mäßig unheimlich, sondern eben bloß Kino und deswegen ganz normal. Ozon hat niemand von ihnen in letzter Zeit gesehen, denn der fühlt sich längst zu Höherem berufen und geht zum Lunch mit der Deneuve. Was, wenn er davon erzählt, immer klingt, als würde er sie dabei teeren und federn oder als wäre er ein ganz anderer Regisseur, weil er „Lynch avec Catherine“ sagt, statt „Lansch“ wie jeder normale Mensch. Aber ich schweife ab. Weil, die eigentliche Frage ist ja: Wird das nochmal was mit mir und Cédric? Ich habe da so meine Zweifel. Er hat noch nie viel geredet und wenn er was sagt, kann ich die Dialoge inzwischen mitsprechen und überhaupt, er kann seine Jugendliebe Mathieu einfach nicht vergessen. Stéphane hat inzwischen auch keine Lust mehr, mich Cédric sehen zu lassen, weil ihn meine Verliebtheit irgendwie anstrengt und er findet, wir würden jetzt seit 2000 aneinander vorbei leben und ich sollte endlich mal erwachsen werden und mir was Reelles suchen. Damit hat er ja auch nicht ganz Unrecht. Das Beruhigende ist, ich bin mit diesem ganzen Quark nicht alleine. Jedes Mal wenn ich einem meiner wahren Freunde gegenüber erwähne, dass ich Cédric für das Allertollste überhaupt halte, ernte ich Seufzen und andächtiges Nicken und dann kommen die Geschichten darüber, wie sie selber immer an französischen Stränden herumlaufen und denken, gleich kommt er um die Ecke und alles wird gut. Als ob Strände Ecken hätten oder schon jemals irgendwo alles gut gewesen wäre. Aber weil das eben nicht so ist, habe ich dann immer gleich jemanden, den ich auch in die schlechtesten französischen Schmonzetten mitschleppen kann, solange Stéphane Rideau mitspielt. Weil wir dann gemeinsam im Dunkeln sitzen können, während er im Hellen steht und mit diesen Augen guckt und aussieht, als müsste man ihn nur ein wenig straffen und ihm ein paar Haare ankleben und dann würde er wieder genauso aussehen wie Cédric und wir alle wären plötzlich wieder jung und verliebt und einfach nur sowas von soweit und genau richtig füreinander. Auch wenn wir sonst nichts voneinander wissen. s Mehr zum Kinostart von „Unser Paradies“ in der nächsten SISSY.

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Stéphan Rideau in „Unser Paradies“ (links; Gaël Morel, 2011), in „Sommer wie Winter …“ (rechts; Sébastien Lifshitz, 2000)

Full Speed von Gaël Morel FR 1996, 82 Minuten, OmU

Sommer wie Winter … Brüderliebe von Sébastien Lifshitz von Gaël Morel FR 2000, 93 Minuten, dt. SF/OmU FR 2004, 86 Minuten, OmU

Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

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Lückenfüller von H a n no St e cher

Die Teddy-Jury der diesjährigen Berlinale war begeistert: „Als der fesselndste, topaktuelle Film in der Auswahl, befindet die Jury, dass der Film den Geist des Award zelebriert.“ Vielleicht hat auch sie die Leerstellen der Erzählung mit eigenen Seh(n)süchte aufgefüllt – um nichts anderes geht es nämlich in „Ausente“. Ab dem 12. Januar läuft der zweite Spielfilm von Marco Berger im Kino an.

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Ausente von Marco Berger AR 2011, 91 Minuten, OmU Pro-Fun Media, www.pro-fun.de Im Kino ab 12. Januar 2012

Plan B von Marco Berger AR 2009, 103 Minuten, OmU Auf DVD bei Pro-Fun Media, www.pro-fun.de

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s Ein baumelnder Fuß, feine Brusthaare, eine Hand, Augen, Zehen, ein behaarter Bauchnabel, Achselhaare. Zu unheilvoller Kontrabassmusik nähert sich der argentinische Regisseur Marco Berger im Vorspann zu Ausente in verschiedenen Einstellungen dem Körper seiner Hauptfigur, dem Schüler Martín (Javier De Pietro). Irgendwann filmt die Kamera dann aus weiterer Entfernung und das Körperpuzzle entpuppt sich als Examination des jungen Mannes durch einen Schularzt, was den voyeuristischen Charakter der Bilder noch unterstreicht. Die Anfangssequenz weckt Begehrlichkeiten, der junge Mann wird zum Objekt und bleibt gleichzeitig völlig abstrakt. Sie lädt den zentralen Protagonisten von Ausente, einen sechzehn Jahre jungen Mann, sexuell auf. Dieser bleibt allerdings nur für einige kurze Szenen Objekt der Begierde. Bald reißt er das Ruder herum und bestimmt selbst das Geschehen. Die Story von Ausente, dem Film, mit dem Berger bei der diesjährigen Berlinale den Teddy gewonnen hat, folgt entlang der ersten zwei Drittel einer Art queerem Lolita-Motiv: Ein junger Mann täuscht während des Schwimmunterrichts Schmerzen im Auge vor. Sein Ziel ist es, von seinem Lehrer, einem eher unauffälligen, ruhigen Mann namens Sebastián (Carlos Echevarría), zum Arzt gefahren zu werden. Der Lehrer willigt ein, was eine längere Auto-Odyssee nach sich zieht, da sich Martín nach dem (natürlich unnötigen) Besuch des Krankenhauses eine Ausrede nach der anderen einfallen lässt, um nicht nach Hause zu seiner Familie zurückkehren zu müssen. Er setzt sich durch: Diese Autofahrt endet in der Wohnung des Lehrers, der sich nach Absprache mit seiner Freundin entschlossen hat, den Schüler trotz der Gefahr eines Disziplinarverfahrens bei sich übernachten zu lassen. Damit ist Martíns Plan offensichtlich aufgegangen, während sich Sebastián alle Mühe gibt, angesichts der sich plötzlichen einstellenden Intimität, seine Autorität zu untermauern. Eine nächtliche Szene, in welcher sich Martín schließlich in sein Zimmer schleicht und seinen schlafenden Körper berührt, zeigt schließlich, wie groß seine Obsession gewesen sein muss. In seiner Inszenierung erinnert das alles an einen Thriller mit dem bekannten Motiv des unbescholtenen Menschen, in dessen Leben sich unverhofft ein Fremder einnistet, der die Freundlichkeit seines Gastgebers ausnutzt. Doch hier führt Ausente den Zuschauer in die Irre, um bald eine zweite, noch tragischere Seite zu offenbaren: Kurz nach der Konfrontation zwischen Lehrer und Schüler (Sebastián findet heraus, dass der Schützling ihn bewusst getäuscht hat und stellt ihn zur Rede) dreht sich die Erzählung um 180 Grad und Berger rollt alles Geschehene noch einmal neu auf. Plötzlich wird klar, dass die intime Begegnung mit dem Jungen bei Sebastián mehr Spuren hinterlassen hat als bislang verraten. Tiefe Spuren. Und so widmet sich der zweite Teil des Films den Leiden eines Mannes, in dem unverhofft eine Sehnsucht geweckt wurde, die sich nie einlösen lassen wird. Was der Film vorher spannungsvoll als ein Zu-viel an (vor allem körperlicher) Nähe kommuniziert hat, ist nun plötzlich ein Viel-zu-wenig. Das Grundmotiv von Ausente, das schrittweise Erwachen von Begehrlichkeiten in einer Beziehung zwischen zwei nicht als schwul identifizierten Männern einerseits, sowie das Fehlen eines Kanals für diese Begehrlichkeiten andererseits, findet sich auch schon in Bergers Debütfilm Plan B. Hier kommt ein junger Heteromann auf den gewagten Plan, seiner Exfreundin den Freund auszuspannen, nachdem er erfährt, dass dieser sich auch für Männer interessiert. Nach ersten erfolgreichen Anbahnungsversuchen entwickeln die beiden frisch angefreundeten Kumpel tatsächlich Gefühle zueinander. Wobei Berger die Veränderung der Beziehung von der klassischen Jungsfreundschaft zu etwas, was darüber hinaus geht, in vielen kleinen Stationen erforscht. Wie auch bei Ausente liegt die Stärke des 34-Jährigen dabei in der Genauigkeit, in welcher der das Aufkeimen von Begierden in Gesten, Blicken und sonstigen unterschwelligen Kommunikationsmitteln nachforscht und zugleich die Strategien zeigt, mit welchem das eigene Verlangen in Schach gehalten wird. Während Plan B jedoch eine (wenn auch fast unerträglich langsame) schrittweise Annäherung der beiden Männer zeigt und man den Film eine Art diskrete Romanze nennen könnte, bleibt bei Ausente alles virtuell. Allerdings ist es diese Abwesenheit von Nähe und Sex, welche die eigentliche Spannung des Filmes ausmacht und das Begehren sowohl auf der Leinwand als auch beim Zuschauer sogar noch verstärkt. Dabei entzieht sich Berger, der den Film ursprünglich als Kurzfilm über eine ähnliche Geschichte zwischen einem 12- und einem 18-Jhrigen anlegen wollte, jeglicher moralischen Wertung oder Einordnung. Das Thema Altersunterschied ist daher für den Film letztlich zweitrangig, viel mehr geht es ihm darum, abzubilden, wie zwei Menschen mit gesellschaftlichen Normen umgehen, und wie diese Normen ihr Handeln und ihre Gefühle bestimmen. Bleibt dahingestellt, was die Teddy-Jury mit „topaktuell“ gemeint hat, „fesselnd“ ist Ausente tatsächlich allemal. s

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Last Night Stand von Ja n K ü n emu n d

Andrew Haighs erster Film „Greek Pete“ hatte sich noch sehr in ironischen Pseudo-Dokumentar-Experimenten verfangen, die den gedankenlosen Blick auf schöne Stricher frei- und gleichzeitig zustellten. Im Nachfolger „Weekend“ (ab 13. Januar auf DVD) ereignet sich dagegen etwas unerhört Schönes und Wahrhaftiges: ein stillstehender Dreitagesflirt, in den das ganze Leben zweier gestandener schwuler Männer einfließt.

s FREITAG. Am Anfang funktioniert das voyeuristische Schauen ziemlich gut. Ich sehe einen schönen Mann in seiner Wohnung, sehe ihm dabei zu, wie er sich für das Ausgehen fertig macht, badet, sich anzieht, kifft, sich einer Party in einem Haus nähert. Sehe ihn süß unbeholfen im Türrahmen zwischen Männern und Frauen stehen, die Freunde eingeladen haben, Essen und Anekdoten aufwärmen, den Tisch decken und dem schönen und unbeholfenen Mann vorwerfen, dass er sich rar gemacht hätte in letzter Zeit. Dann beobachte ich, wie er unter fadenscheinigen Ausflüchten Reißaus nimmt, in eine Schwulenbar geht, zu schlechter Musik mit Männern flirtet, ein bisschen tanzt. Es reicht fast, dass er hübsch ist und ich ihn ansehen kann. Dann beobachte ich ihn beim Beobachten, er hat einen Typen entdeckt, den er jetzt klarmachen will. Ich sehe mit ihm in Spiegel, sehe im Spiegel, wie er den anderen ansieht. Dann gibt es einen Schnitt. Die Nacht, der Sex, das Aufwachen fehlen. Es gibt Kaffee, Angst vor dem eigenen Mundgeruch und vorsichtige erste, unangemessene Gespräche. Der eine ist verkatert, der andere macht ein Kunstprojekt und will die Sexerlebniserzählung des fremden Mannes mit ihm auf Tonband aufzeichnen. Aus der Zauber. Das wird nichts, denkt man, denke ich. Wie werden sie sich jetzt bloß los? Ein Typ ruft was von draußen („Queers!“), der Gast öffnet das Fenster und pöbelt zurück. Der, der da zuhause ist, hat immer noch Angst, dass man ihm die Fenster einwirft (im 14. Stock). Und ich betrachte jetzt keine schönen Männer mehr, sondern lasse mich darauf ein, was die Kamera von diesen 14 Stockwerken erzählt: Plattenbau, Nottingham, eine Parkanlage, eine Überwachungskamera. Ein öffentlicher Raum der etwas unangenehmen Art. Deshalb auch nur ein verhuschtes Küsschen im Treppenhaus, ein Nachschauen des Weggehenden aus dem geschlossenen Fenster des 14. Stocks. SAMSTAG. Der schöne Mann arbeitet in einem Schwimmbad. Der andere holt ihn ab. Ein Bademeister und ein Künstler. Wieder sind sie in der Wohnung. Und reden. Und jetzt lernen sie sich, lerne ich sie kennen. Hallo Russell, hallo Glen. Glen will mit seinen Sexgeschichten-Tonbändern, seinem Kunstprojekt, der Heterowelt ans Bein pinkeln, die mit ihren Geschichten ungefragt ins Öffentliche geht, während sich die Schwulen immer noch verhuschte Küsschen im Treppenhaus geben. Glen weiß aber auch, dass sich diese Kunst nur 26

quinnford and scout / glendale picture company / gm-films

„Diese Bewegung: was die Figuren, die Menschen und auch die Schauspieler voneinander entfernt und annähert, dieses Zittern des Lebens versuche ich mit meiner Kamera einzufangen!“  andré téchiné

Schwule ansehen werden, weil sie ein bisschen Schwanz sehen wollen. Sehe ich deshalb diesen Film? Russell ist Waisenkind. Er konnte sich nur vor Freunden outen und hat eine kleine Obsession für Männer, die „es“ ihren Eltern sagen. Glen dagegen hatte nach dem Outing keine Freunde mehr, dafür jetzt eine kleine Obsession für die fehlenden Freiräume des sich-selbst-entwerfen-Könnens. Verletzungen, Identitätszwänge, die ungestreichelte Haut, aus der man nicht raus kann, Rupert Graves‘ zitternder Schwanz im angehaltenen Videobild, das vom Klassenkameraden entdeckt worden ist. 30-jährige schwule Biografien in Bildern und Momenten, die ich selbst irgendwo abgelegt habe. Ich beobachte keine Filmmänner mehr, ich fange an, mich selbst zu beobachten. Und drifte mit Russell und Glen durch den Samstag, den hektischen Nachmittag mit dem schlimmen Geständnis, dass Glen auf gepackten Koffern sitzt, den Abschiedsfeierabend, an dem nochmal die Heterofreunde brüskiert werden, die Nacht bei Russell, in der gekifft, gekokst, getrunken, gestanden, gestritten, fast getrennt wird, was die Nacht davor zusammengeführt hat. Für manche Vorwürfe kennen sich Russell und Glen noch nicht lang genug. Für ein unverbindliches Auseinandergehen zu lang. Sie merken das, ich auch. Und zuletzt die Kamera, die endlich die indirekten Aufnahmen aufgibt, in Spiegel, in sich spiegelnde Kacheln, durch unscharfe


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Türrahmen. Sie fängt nun schwächer werdendes Licht ein. Hält zuvor geraffte Zeit an. Und findet zum schönsten Bild dieses Films: Fenster werden geöffnet und ich darf aus dem Dunklen, von 14 Stockwerken darunter ein schwules Liebespaar in einer Umarmung im einzig erleuchteten Fenster des Wohnturms sehen. Nach der Freude über den letzten Joint kommt, ehrlich, existentiell, zärtlich, der Sex. Sex, keine Performance. Und ein letztes, nicht performtes Gespräch. „Vergiss einfach, dass wir Sex hatten.“ SONNTAG. Jetzt kommt’s, jetzt wird die Geschichte zur Countdown-To-FarewellRomanze, wie ein US-Kritiker so schön schrieb. Wann geht Glens Zug? Will ich das wissen? Will ich da jetzt durch? Nochmal ein Blick aus dem 14. Stock auf den Weggehenden, der kurz, aber nicht lang genug, zögert. Russell geht zur Patentochter, hat eine Fahne

und fühlt sich elend. Ich komme wieder ins Beobachten, wie schön er leidet. Und sich in die große Abschiedsszene wirft. Es gibt ein paar Filme über Menschen, die sich kennen lernen und für die die Zeit stehen bleibt. Ein schöner Film aus den 90ern namens Trick ist darunter, eine Asgood-as-Hollywood-Version über unerfüllte Sehnsüchte, die eine Nacht lang brauchen, bis sie sich doch erfüllen und dadurch selbst eine unerfüllbare Lebens-Sehnsucht hervorrufen. Hier, im Weekend, bleibt die Zeit sehr präzise stehen: eine Zeit des Uneasy-Seins mit den Identitätsangeboten und mit den Anfeindungen von außen. Ganz weit weg, in Sicherheit, ist die Kamera beim großen, ungeschützten, öffentlichen Abschiedskuss, in den sich ein ironisches Pfeifen und ein diskriminierender Zwischenruf einmischen, die garantiert nicht performt sind. Eine schwule urbane Lie-

besgeschichte, der so klar ist, dass sie keine geschützte Zeit und keinen geschützten Ort hat, hat man auch schon lange nicht mehr gesehen. Sie lässt eine Blase platzen und hinschauen. Tschüss Russell, tschüss Glen, schönes Wochenende. s

Weekend von Andrew Haigh GB 2011, 94 Minuten, OmU

Greek Pete von Andrew Haigh GB 2009, 72 Minuten, OmU Beide auf DVD bei GMfilms, www.gmfilms.de

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Echt Sexy von Ja n K ü n emu n d

Gerade erscheint das bisherige Gesamtwerk des Filmemachers Travis Mathews, dessen Arbeiten bislang nur im Netz und auf Festivals zu sehen waren, auf einer DVD. Oberflächlich betrachtet sind das dokumentarische Inszenierungen von Jungs und Männern in ihren Schlafräumen, oberflächlich eingeordnet grenzt das an Pornografie, oberflächlich politisch korrigiert kann man das Voyeurismus (PUNKT.) nennen. Hier der Versuch, ein paar mehr Kontexte ins Spiel zu bringen. “See our reflection / Cast no reflection.” the chromatics, i want your love

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edition salzgeber

s Das Queer-Kino wurde im Schlafzimmer erfunden. Zumindest in privaten Räumen, die von Kenneth Anger, Maya Deren, James Bidgood, Andy Warhol oder Jack Smith, abgeschirmt von der heterosexuell dominierten Öffentlichkeit, mit Träumen, Begierden und Sehnsüchten dekoriert wurden. Ganze Südseelandschaften wurden im Wohnzimmer erschaffen, damit sich ein nackter Pink Narcissus darin räkeln, eine Garage mit rosa Vorhängen verhängt, damit ein jugendlicher Autoschrauber zum Paris-Sisters-Song „Dream Lover“ homoerotisch seinen Hot Rod streicheln konnte. In their rooms, in ihren Räumen, wurden Jungs und Männer ausgezogen, dem Privatkamerablick enthüllt und auf verschlungenen Wegen den gleich Fühlenden (und Sehenden) zugänglich gemacht. Travis Mathews schlug vor einigen Jahren den Herausgebern der Zeitschrift „Butt“ für ein Videoprojekt auf ihrer Webseite vor, intime Porträts schwuler Männer in ihren eigenen Schlafzimmern zu drehen. Diese stellten dafür Kontakte zu ihren Abonnenten her, die sie liebevoll „Buttheads“ nennen. In bester Queer-Kino-Tradition also entstanden (und entstehen) Mathews Arbeiten als Szene-Projekt und erfanden ihren Vertriebsweg dabei gleich mit, ohne sich als Position auf dem Mainstream-Gebiet behaupten zu müssen. Das Format ist durch die Beschränkung auf den Netz-Vertriebsweg völlig frei, die Produktionskosten gering. Man denkt nicht zu Unrecht an die kreative und radikale Verwendung von 16mm, Super 8 oder Video durch Pioniere des queeren Undergroundfilms und kann das Netz durchaus in die Linie der vom kommerziellen Markt unabhängigen Queer-‚Cinema‘-Abspielorte einordnen wie die Filmkunstprogramme von Unis und Museen, Off-Theater-Bühnen, Gallerien und Festivals, in denen Zielgruppe und Kreative seit jeher zusammenkamen und kommen. Zu Beginn der 1970er Jahre gab die Filmgruppe „Mariposa“ in gewissen Zeitschriften eine Anzeige auf. Darin suchten sie Schwule und Lesben, die in einem Film etwas über „gay lifestyle“ erzählen sollten. 1978 kam der Dokumentarfilm Word Is Out – Stories Of Some Of Our Lives auf Festivals und in einigen US-Kinos heraus. 26 Schwule und Lesben zwischen 18 und 77 erzählten darin warmherzig und offen, was es für sie bedeute, „gay“ zu sein. Das Ganze wurde im Talking-Heads-Stil gefilmt und schnörkellos zusammengeschnitten. Keine Verfremdungen, keine Formspielerei sollten ablenken vom hehren Projekt des Sichtbarwerdens: Schwule und Lesben bringen sich selbstbestimmt auf die Leinwand und senden wichtige Impulse nach innen und außen. Andere Schwule und Lesben sollten sehen, dass sie nicht allein sind und dass sie mitmachen können an der Konstruktion von „Gay Identity“ – und der Rest der Welt sollte sehen, dass die allgemeinen Stereotypen und Bilder über Homosexuelle völlig falsch sind, dass diese genau so nett, humorvoll, sozial und adrett sein können wie die Menschen, die ansonsten auf Leinwänden und im Fernsehen zu sehen waren. Und dass das auch – im Film – überhaupt nicht anders aussah. Wenn „Butt“ seine Buttheads dazu aufruft, einen Filmemacher für eine Stunde in ihr Schlafzimmer zu lassen und ihm private und intime Gedanken und Handlungen zu enthüllen, scheint hier eine interessante Parallele auf. Und da das explizite „Butt“-Programm war, Entertainment von schwulen Männern für schwule Männer zu publizieren, durfte man ebenso mit Aussagen über den „gay lifestyle“ rechnen. Aber welche Szene ist das eigentlich, die sich hier ins Schlafzimmer schauen lässt? Und welche identitätspolitischen Impulse senden „Butt“ und Travis Mathews eigentlich nach innen, in die eigene Szene, und nach Außen, in die heteronormierte Gesellschaft? Die Episode Will beginnt mit Küchengeräuschen, während man den einheitlichen In Their Room-Titel auf schwarz sieht. Dann ist die Kamera sehr nah auf dem Protagonisten, der in T-Shirt und Shorts auf seinem Bett sitzt, mit einem kleinen Hund spielt und – nicht in die Kamera – dabei erzählt, dass er den Hund aus dem Tierheim geholt hat und nun für immer behalten will. Will steht irgendwann links oben in der Ecke, dann gibt es einen Schnitt und Will legt, mittlerweile hat er kein T-Shirt mehr an, eine CD in eine kleine Audio-Kompaktanlage ein. Die Musik hört man nicht, stattdessen hängt die Kamera erst auf dem konzentrierten Gesicht, schließlich nur auf den Lippen von Will. Dann liegt er im Bett und beginnt zu erzählen, dass er noch nicht so genau weiß, ob Analsex was für ihn ist. Hier löst sich der Ton vom Bild und während die Erzählung weiterläuft, sieht man Will in seinem Zimmer beim virtuellen Tennis-Spielen. Mehrfach fängt die Kamera Details seines nackten Oberkörpers ein, zwischendrin gibt es eine genau kadrierte Einstellung mit Will im rechten Vordergrund, der Kompaktanlage im linken Teil des Bildes und einem an der Wand hängenden Plattencover der queeren Popband Hercules & Love Affair, letzteres ist scharfgestellt. Dann hört man tatsächlich auch Musik, immer mehr Einstellungen zeigen Will in seinem Bett, nur noch von der Decke geringfügig bedeckt, während er seine Erfahrungen mit Analsex direkt (in den wenigen On-Bildern) in die Kamera spricht. Ziemlich malerisch scheint in den letzten Bildern die Sonne durch das Fenster und gibt Wills Köper eine romantische Kontur. Auf dem Abschlusstitel liegen Geräusche, die nahelegen, dass Will jetzt masturbiert. Der Clip dauert 2 Minuten, 19 Sekunden. In wiederum 3 Minuten 51 lernt man Brontez kennen, einen viel exaltierteren 29


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Typen mit viel arty stuff an den Wänden, der kifft, Gitarre spielt und singt, sich mit Edding etwas auf seine schwarze Haut zeichnet und (unter anderem!) davon erzählt, dass er einfach zu faul für versauten Sex ist. Im intimsten Moment (der wieder dadurch gekennzeichnet ist, dass der Protagonist direkt in die sehr nahe Kamera spricht) hat sich Brontez nackt in eine Lichterkette eingewickelt und spielt mit seiner Vorhaut. Während Mathews ihn schließlich in fast embryonaler Stellung auf dem Bett liegend zeigt, erzählt Brontez auf der Tonspur, wie vermessen es ist zu erwarten, dass man einfach seinen Panzer ablegt, sich öffnet und sich dabei sicher fühlt. Als die In Their Room-Clips zum ersten Mal auf der „Butt“-Webseite auftauchten und danach über andere Blogs im Netz weiterverbreitet wurden, war schnell klar, dass darin etwas Besonderes gelungen war. In diesen kurzen Skizzen verbirgt sich eine interessante Komplexität, die sich zum Teil in offenen Widersprüchen äußert: Dem expliziten Zeigen von Nacktheit, z.T. sogar Sex, und dem expliziten Reden darüber steht ein betont unaufgeregter und nicht-skandalisierter Ton gegenüber, in dem das Ganze inszeniert ist. Diese Inszenierung wiederum ist (wie durch die kleinteilige Beschreibung versucht wurde, deutlich zu machen) äußerst aufwendig – Kadrierung, Schnitt, das Verhältnis von Bild und Ton, die Auswahl der O-Töne, die Rahmungen durch die Titel, der Rhythmus sind ausgesprochen experimentell gesetzt, frei von dokumentarischem Purismus und ebenso frei im Umgang mit dem, was die Protagonisten von sich aus beisteuern. Immer wieder gibt es voyeuristische Momente, in denen die Kamera in Achselhöhlen lugt, auf Unterhosen fokussiert, Muskeln abfährt. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass sich das nicht ausbeuterisch gegen die Protagonisten richtet, dass es sich vielmehr um ein komplizenhaftes Spiel handelt zwischen Geben und Nehmen, Selbstinszenierung und Kommentar, mit dem Ziel, Intimität und Verletzlichkeit, die Atmosphäre des Für-sich-Seins auf filmischem Wege erst herzustellen. Wir beobachten im eigentlichen Sinn keine privaten Situationen und sind auch nicht Zeuge, wie sich Intimität in Echtzeit entwickelt – Mathews vermittelt vielmehr ein über das Material hinausgehendes Bild von schwuler Sensibilität und Verletzlichkeit, das hinreichend fragmentarisch und komplex bleibt, um seine Protagonisten nicht zu verraten. Durch die DVD-Veröffentlichung (die mit der Strategie, die Clips und Kurzfilme deutsch zu untertiteln, auch ein Signal setzt, Mathews’ Arbeiten als „Filme“ ernst zu nehmen) kann man die interessante Entwicklung des filmischen Werks verfolgen. Aus den In Their RoomClips ist ein 20-minütiger Kurzfilm entstanden, den Mathews In Their Room SF genannt hat. Mit der erzählerischen Klammer der Stadt, in der die einzelnen Arbeiten entstanden sind, scheint eine „Tales-ofthe-City“-Idee auf, eine Konstruktion, aus lauter Einzelporträts die queere Erzählung einer Stadt zu entwickeln. Mit wenigen dramaturgischen Eingriffen (z.b. werden Aussagen von Protagonisten über ihren Umgang mit Musik hintereinander geschnitten) behält Mathews sein Schlafzimmer-Intimporträt-Konzept bei, nimmt aber den „Butt“-Reihentitel ernst, der von „ihren Räumen“ spricht, behauptet also, dass es etwas gibt, das eine Gemeinsamkeit der Erzählungen stiftet. Vielleicht ist es aber nur der poetische Zugang zu seinem Material, der diese Einheit evoziert – somit wäre auch das San-Francisco-Porträt ebenso frei konstruiert wie die Porträts von Will oder Brontez. Interessanterweise schafft sich aber In Their Room SF durch seine Länge von 20 Minuten und den behaupteten Zusammenhang einen neuen Vertriebsweg – Queerfilm-Festivals auf der ganzen Welt luden den Kurzfilm ein und zeichneten ihn z.T. mit Preisen aus. Mathews war da allerdings schon zwei Schritte weiter. Zum einen verließ er San Francisco und übertrug seine Methode auf eine andere Stadt (Berlin) und erweiterte dabei gleichzeitig die Dramaturgie, die Erzählungen verschiedener Protagonisten zu einer Stadt-Erzählung zu kompilieren, zum anderen entwickelte er seine Themen der schwulen Sensibilität und der spezifischen Sexyness ‚realer‘ Situationen in 30

einem Spielfilmprojekt weiter, zu dem er vorab einen eigenständigen Kurzfilm als Teaser drehte (I Want Your Love). Seinem filmemacherischen Zugriff bleibt er sich bei beidem treu. Obwohl die BerlinAusgabe von In Their Room einige ikonische Stadtbilder (U-Bahnen, Straßenszenen) bemüht und generell das Klischee der atmosphärischen Rauheit und Kälte Berlins weiterschreibt, nimmt er sich doch wieder überraschende Freiheiten gegenüber den dokumentarischen Vorlagen: Ganz unhinterfragt reden alle Berliner in dem Film Englisch (was aber in einer Queer-Metropole so absurd auch wieder nicht ist) und am Beispiel eines Protagonisten konstruiert der 60-Minüter einen gesamten „sexuellen Tag“, der bei der morgendlichen GayRomeo-Session anfängt und beim One-Night-Stand mit einem Frem-

Ist das jetzt Kunst oder Pornografie? (Blöd, aber nicht selten gefragt.) den in der eigenen Wohnung endet. Was in der Beschreibung ziemlich gewollt erscheint, entwickelt als im Konzept schon mitgedachten Überschuss interessante Reflexionen über Fremdheit und Intimität, Offenheit und Selbstschutz, etwa wenn die Nacktheit beim Sex plötzlich Narben früherer Selbstverletzungen sichtbar macht und das Reden darüber den Sex unterbricht. Die explizite Sexszene dieses Films verweist auf Mathews Spielfilmprojekt I Want Your Love, der zusammen mit dem Kurzfilmteaser einen weiteren Diskurs aufmacht: Ist das jetzt Kunst oder Pornografie (blöd, aber nicht selten gefragt)? Dass Mathews sich diese Filme von der Pornoproduktionsfirma NakedSword finanzieren lässt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihn wahrscheinlich nötiger brauchen als er sie. Beide zusammen reagieren auf das Überangebot sowohl kühl kalkulierter Gay-Feelgoodmovies (im Spielfilmbereich) wie auch steriler, immergleicher schwuler Pornografie, die vom tatsächlichen schwulen Leben seit jeher weit entfernt ist, aber offensichtlich auch als Projektionsfläche nicht mehr taugt. Mathews’ Ansatz bzw. Frage ist hier: Ist es nicht sexy, Männer beim Sex zuzusehen, die man vorher kennen gelernt hat? In Interviews spricht er viel über Authentizität, über Ehrlichkeit und Verletzlichkeit von Männern, die man sonst nicht zu sehen bekomme und die daher aufregend sei. Natürlich profitiert er dabei von der Kultur virtueller sozialer Netzwerke, die private Aussagen provozieren und gleichzeitig den postmodernen Performancedruck kanalisieren, und ihrer allgemein schizophrenen (weil umfassenden, aber genervten) Verwendung. Wenn, wie „Butt“ im nicht unumstrittenen Ausblenden des Queer-Diskurses klargemacht hat, zum Schwulsein auch (die gerne vom schwulen Mainstream verschwiegene) schwule Sexualität gehört, ist es für Mathews selbstverständlich, sie zu zeigen. Und damit konstruiert er Bilder für das Schwulsein nach dem Coming-Out, mit dem die meisten Filme ansonsten aufhören. – Ich bin schwul! – Und wie? Todd Verow (der auch Kunstfilme für Pornoproduktionsfirmen dreht) wird gerne mit den Worten zitiert: „Pornografie ist, wenn der Betrachter masturbiert. Kunst ist, wenn der Künstler masturbiert. Warum masturbieren wir nicht gemeinsam?“ Und das kann man mit Anger, Genet, Jarman und Cadinot tatsächlich fragen. Man kann die Szene, die Mathews’ Protagonisten repräsentieren, als sehr speziell und nicht auf einen gemeinsamen schwulen Lifestyle übertragbar finden. Aber die Neu-Bebilderung und Neu-Interpretation von schwuler Sexualität wirkt nach innen und außen: sie heischt nicht nach Toleranz und Normalisierung, sondern verlässt den Bereich des Privaten. Wie Klaus Walther so schön in seiner „Butt“-Rezension schrieb: „Wenn alle vom Arschficken reden, alle Arschficken sagen und nicht Analverkehr, dann ist das keine private Sexpraktik mehr, sondern wird als Kulturtechnik erkennbar.“ s


privat

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„Ich komme vorbei und filme dich“ I n t erv iew mit Tr av is M at hews von H a n no St e cher

sissy: Deine Filme haben alle sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten. Fangen wir doch mal mit der San-Francisco-Folge von „In There Room“ und deiner Zusammenarbeit mit BUTT an … Travis Mathews: Ich hatte die Idee dafür 2009. Ich war damals gerade zu den dokumentarischen Arbeiten zurückgekehrt, nachdem ich eine zeitlang Psychotherapeut werden wollte, und steckte meine ganze Energie ins Filmemachen. Auf der Webseite von „Butt“ gab es damals einen Aufruf für ein Videospecial im Zusammenhang mit einer Hoteleröffnung, man konnte selbst gedrehtes Material einreichen. Ich begann also, einfach ein paar Leute in ihrem Schlafzimmern zu filmen, ohne so recht zu wissen, wohin das führen sollte oder nach was für einem Schema ich verfahren wollte. Es war schnell klar, wie sich das zu einem ganzen Film mit unterschiedlichen Männern zusammensetzen lassen würde. Das Ergebnis schickte ich an „Butt“,

und der damals zuständige Redakteur Adam Baran antwortete mir, dass es ihm sehr gut gefiele, es aber leider nicht so richtig in die Serie auf der Webseite passe. Trotzdem entwickelte sich daraus eine gute Beziehung zu „Butt“ und eine Freundschaft zu Adam, der mir dann vorschlug, einfach ein paar Folgen von In Their Room auf ihrer Webseite zu veröffentlichen. Was für mich toll war, denn was Cooleres als „Butt“ gab es ja damals nicht. Du hast gerade gesagt, dass du bei den ersten Gehversuchen überhaupt noch keine Ahnung hattest, in welche Richtung das laufen würde. Aber hattest Du nicht zumindest eine abstrakte Idee davon, was oder wen du da zeigen wolltest? Die Idee geht zurück auf einen Kurzfilm namens Men, den ich ein Jahr zuvor gemacht habe. Es war im Grunde ein voyeuristischer Wichsfilm, der in einem Badezimmer spielt, ein bisschen arty; er lief 2008 auch auf dem San Francisco Indie Erotic Filmfestival. Ich habe mich schon immer für diese semi-dokumentarischen „Zwischenmomente“ interessiert und weniger für klassisches großes Kino. Ich glaube, dass man viel über Menschen lernen kann, wenn man ihnen zusieht, wie sie alltägliche Dinge tun. Also habe ich meine Freundin Linda gefragt, ob sie nicht Lust hat, einfach einen Tag lang in meiner Wohnung abzuhängen. Sie kam vorbei und ich fing an, ihr verschiedene Dinge zur Beschäftigung zu geben, dirigierte das, was sie machte, also ein wenig. Aber sie spielte trotzdem sich selbst, und während sie das tat, begann sich in meine Kopf eine Art Erzählung um sie herum zu spinnen. Ich fand das wirklich spannend und ich denke, das hat das geprägt, was ich dann für „Butt“ gemacht habe. Wie hast Du die Protagonisten von „In Their Room“ gefunden? Es war einerseits Mund-zu-Mund-Propaganda unter meinen Freunden in San Francisco, außerdem habe ich Leute angeschrieben, die auf der Onlineseite von „Butt“ ein Profil als „Butthead“ haben. Wonach hast Du die Leute ausgewählt? Hast Du auch welchen abgesagt? Ich wollte Jungs, die bereit waren, sich vor der Kamera von ihrer verletzlichen Seite zu zeigen und sich nicht verstellen, um ein gutes Bild abzugeben. Sie sollten außerdem ein interessantes Schlafzimmer haben, das viel über sie aussagte. Diese Kriterien waren mir wichtiger als das Alter oder der Stil oder die Frage, wie sexy sie sind. Es ging mir darum, wirklich authentische Jungs und nicht die heißesten Typen zu zeigen. Wobei die meisten von ihnen doch ziemlich sexy sind. Nach dem „In Their Room“-Projekt kam dann der Kurzfilm „I Want Your Love“, den eine Pornofirma gesponsort hat. Ja, ich hatte bereits im Sommer 2009 das Drehbuch für einen Spielfilm mit diesem Titel geschrieben und eine Freundin von mir kannte Jack Shamama, der bei der Porno-Produktionsfirma NakedSword Produzent ist. Ich kannte weder Jack noch NakedSword und interessierte mich zu diesem Zeitpunkt auch nicht großartig für die Pornoindustrie; und die interessierten sich natürlich auch nicht für mich. Meine Freundin wollte uns aber vernetzen und lud mich zu einem Geburtstagsessen ein, zu dem auch Jack kam. Der hatte sich aus reiner Höflichkeit meine In Their Room-Sachen angesehen, weil er dachte, dass wir dann beim Essen etwas zu reden haben würden … … und sie haben ihm wahrscheinlich gefallen. Ja, es gefiel ihm gut und er wollte mit mir zusammenarbeiten. Die wollten bei NakedSword nie, dass ich handelsüblichen Porno mache – das war für die von Anfang an ein Experiment, mit dem sie ein neues Publikum erreichen wollten. Sie erhalten regelmäßig Beschwerden von Leuten, denen ihre Pornos zu künstlich und mechanisch waren und die sich damit langweilten. Außerdem will niemand mehr bei all den kostenlosen Angeboten im Netz für klassischen Porno zahlen. Sie mochten meine Idee für den Spielfilm, wollten aber vorher noch einen Testlauf mit einer kurzen Szene daraus machen, um sich zu vergewissern, dass es auch wirklich ein Publikum dafür gibt. Ich glaube, sie trauten mir nicht richtig zu, Sex in einer natürlichen Art und Weise zu filmen, die zugleich spannend und sexy ist. Doch als der Film erstmal im Netz 31


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Will, Brontez, Jesse

war, war er unglaublich erfolgreich, viel erfolgreicher als wir dachten. Wir erhielten gute Kritiken und nach meinem letzten Stand haben ihn mehr als drei Millionen Menschen angeklickt. Das Gute dabei war, dass ich nebenher genug Zeit hatte, den Spielfilm vorzubereiten, denn oft hat man bei Porno-Produktionen nur zwei bis drei Monate Zeit, um eine Idee umzusetzen. Außerdem wollte ich unbedingt, dass I Want Your Love ein ‚richtiger‘ Film werden würde, der einerseits expliziten Sex enthielte und andererseits auf klassischen Festivals wie Sundance oder der Berlinale laufen könnte. Ich fand auch, dass die Überschrift „Indiefilmemacher arbeitet mit Pornofilm-Pruduktionsfirma zusammen, um Erstling zu produzieren“ ziemlich gut klang. Vor der Arbeit an dem Spielfilm kam aber auch noch die Berlin-Ausgabe von „In Their Room“, für die Du nach Deutschland gekommen bist. Ja, die Idee dafür geht zurück auf einen Ratschlag eines Programmleiters bei Sundance, der auch das NewFest, das schwullesbische Filmfestival in New York, geleitet hat. Er meinte, wenn ich die Leute in Sachen I Want Your Love wirklich bis zum Erscheinen des Spielfilms am Ball halten wolle, wäre es clever, im Vorfeld regelmäßig TeaserMaterial oder anderes Promomaterial zu veröffentlichen, um die Spannung zu halten. Daher dachte ich, dass es eine gute Idee wäre, eine neue Episode von In Their Room zu machen, die an einem anderen Ort spielt. Also bin ich letztes Jahr nach Berlin gereist und habe hier eine neue In Their Room-Folge gedreht. Hast Du für die Berlin-Folge ein ähnliches „Casting“ gemacht wie in San Francisco? Ich bin verdammt dankbar, dass es Gayromeo gibt. Ich hatte vorher noch nie davon gehört, aber alle, die ich gefragt habe, meinten, ich sollte mir einfach dort ein Profil zulegen und Leute anschreiben. Letztendlich habe ich dann wohl an die hundert Leute angeschrieben und mit ihnen Nachrichten hin und her geschickt, um ihnen irgendwie zu vermitteln, dass ich kein Verrückter bin. Es ist natürlich verdächtig, wenn man über so eine Plattform von jemandem aus einem anderen Land angeschrieben wird, der sagt, ich komme vorbei und filme Dich. Gab es Dinge, die Du bei der Berlin-Folge anders machen wolltest? Meine Idee war, einen 24-Stunden-Berlin-Film zu machen. Ich wollte einfach ein paar Typen 24 Stunden lang begleiten und sie dabei zeigen, wie sie andere Männer treffen, Freunde und Sexpartner. Ich wollte verschiedene Formen von Intimität filmen, vermittelt jeweils durch einen anderen Protagonisten: One-Night-Stands, längerfristige Beziehungen, Freundschaften … Ich habe aber schnell gemerkt, dass diese Idee zu ambitioniert war angesichts der kurzen Zeit, die ich in Berlin hatte. Also fing ich an, die Jungs einfach auf dieselbe Art und Weise zu filmen, wie ich es auch in San Francisco gemacht habe, stellte aber schnell fest, dass ich es langweilig fand, immer dieselben Fragen zu stellen und dass es auch die Protagonisten langweilte. Dann 32

traf ich Toby, der vor allem im zweiten Teil des Films eine große Rolle einnimmt. Ich hatte ihn einmal gefilmt und er war sehr interessiert an dem Projekt und hatte Zeit und Lust, sich mehr zu engagieren und sich öfter mit mir zu treffen. Daher beschloss ich, mich mehr auf ihn zu konzentrieren. Ich habe das Gefühl, dass Du in der Berlin-Folge auch nicht nur die warmen und verspielten Momente und Seiten der Protagonisten zeigen wolltest. Es gibt auch „kältere“ Momente, in denen man spürt, dass manche von ihnen sich einsam fühlen oder mit Problemen zu tun haben. Zumindest ist das meine Wahrnehmung. Mir geht es ja, wie gesagt, letztlich darum, authentische Menschen zu porträtieren. Klar gibt es da auch diese Seite. Ein Beispiel dafür ist die Begegnung zwischen Luc und Toby. Die hatten vorher nur Fotos voneinander gesehen und eingewilligt, sich zum Sex zu treffen. Als sie sich bei Toby zuhause kennen lernten, gingen irgendwie alle davon aus, dass sie jetzt eine rauchen, einen Whiskey kippen und dann rummachen würden, während ich sie einfach filme und sehe, wo es hinführt. Was am Ende passierte, ist, dass die beiden eine ziemlich lange und aggressive Diskussion anfingen, die fast eine dreiviertel Stunde dauerte, bevor sie dann doch Sex hatten. Es gibt sogar eine Version von In Their Room Berlin, die nur zeigt, wie sie sich erst streiten und dann Sex haben. Ich fand diesen Schnitt großartig, es war eine fiese und zugleich sehr intensive Sache, aber irgendwie kam diese Version nicht so gut an, die Leute wollten sich das nicht komplett ansehen. Aber ich hoffe, dass etwas davon noch in der neuen Version zu spüren ist. Sind das nicht Momente, in denen Du das Gefühl hast, in etwas zu Privates einzudringen? Fühlst Du Dich dabei nicht wie ein Voyeur? Immer, ich fühle mich eigentlich nie richtig wohl dabei. Ich denke ständig, oh Gott, sollte ich jetzt wirklich hier sein, soll ich das wirklich filmen? Aber ich habe als Mensch etwas sehr Entwaffnendes und gehe mit den Protagonisten sehr respektvoll um, es ging mir nie darum, jemanden schlecht aussehen zu lassen. Wenn ich einen guten Tag habe, denke ich, dass meine Porträts für viele Zuschauer, die vielleicht nicht so offen ihre Sexualität leben können, auch etwas Heilsames haben und ihnen helfen, sich weniger allein zu fühlen. Ich denke, es hat etwas sehr Kraftvolles, Männer von ihrer verletzlichen Seite zu zeigen. Haben die Männer in „In Their Room“ denn eigentlich sonst noch etwas gemeinsam? Ich habe das Gefühl, und Du hast es ja auch schon angedeutet, dass es Dir um mehr geht, als nur darum, einzelne Menschen zu porträtieren. Ja, was ich an dem Projekt nach wie vor spannend finde, ist, dass es mal ein wirklich interessantes Zeitdokument werden könnte mit all diesen verschiedenen Männern, die ja schon bestimmte Interessen und eine gewisses Perspektive auf bestimmte Dinge teilen. Wobei ich mich da scheue, irgendwelche Schubladen aufzumachen. Aber


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ich fand schon, dass es gerade auch zwischen den Männern in San Francisco und Berlin viele Ähnlichkeiten gibt. Ich glaube, das hat vor allem damit zu tun, dass geografische Distanzen heute an Bedeutung verlieren, weil so viele Menschen durch das Internet Zugriff auf dasselbe Material haben. Du hast ja schon angedeutet, dass man bei NakedSword nach Alternativen zu klassischem Porno gesucht und Dich gefunden hat. Aber wie wichtig ist es Dir denn selbst, Dich mit Deiner Arbeit von herkömmlichen Sex-Produktionen abzugrenzen und eine andere Form von Sexualität zu zeigen? Im Netz kann man ja ziemlich genau nach dem suchen, worauf man steht. Das ist zwar praktisch, aber auf Dauer ja auch langweilig. Ich glaube, dass etwas anderes auch geil sein kann. Beispielsweise, weil man das Gefühl hat, die Person, die man da sieht, zu kennen oder sie zumindest als authentisch empfindet. Ich glaube, das macht viele Menschen ziemlich an – mich zumindest. Ich dachte ja immer, man geht bei Figuren in Pornos lieber auf Distanz, damit man mehr in sie hineinprojizieren kann? Das mag für viele so sein. Die fühlen sich sicherer, wenn sie keine Verbindung mit sich selbst zulassen. Wie ist das denn mit den Filmfestivals, sind die eher zögerlich mit Deinen Filmen? Wie ist denn da gerade der aktuelle Stand in den USA, zeigen die Festivals überhaupt Filme mit expliziten Sexszenen? Ich habe die Erfahrungen gemacht, dass vor allem schwule Filmfestivals traditionell von ihrem Programm her immer auch Filme mit expliziten Inhalten unterbringen wollen. Die hatten also bisher weniger Probleme, auch wenn es einige Ausnahmen gab. Ich glaube auch, dass es weltweit derzeit ein größeres Interesse daran gibt, mehr Sexualität zu zeigen, da kommen ständig neue Sachen raus, die die Grenze dessen, was man in einem herkömmlichen Spielfilm zeigen kann, immer wieder neu in Frage stellen. Und größere Festivals wie Sundance versuchen gerade, mit Biss und Relevanz ihr Profil zu schärfen, dadurch nehmen sie derzeit auch wieder mehr an, was an bestimmten Normen kratzt. s

In Their Room San Francisco · Berlin von Travis Mathews US 2009–2010, 81 Minuten, dt. OF/OmU

Wie wir mit HIV leben erfährst du auf www.iwwit.de

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Auf DVD bei der Edition Salzgeber, www.salzgeber.de

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„Despair – Eine Reise ins Licht“ (1977)

„Leben Sie eigentlich gern?“ von Christ oph M e y ri ng

Im September sind zwei Filme aus dem übergroßen Fassbinder-Werk erstmals auf DVD erschienen: „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt“ und „Despair – Eine Reise ins Licht“. Diese kurz vorzustellen ist für SISSY Ehrensache.

s Diese ebenso schlichte wie schwerwiegende Frage richtet die Psychologin Erika Runge am Ende von Rainer Werner Fassbinders 1976 ausgestrahltem (und jetzt in restaurierter Fassung bei Euro Video als DVD vorliegendem) TV-Film Ich will doch nur, dass ihr mich liebt an den wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilten Peter Trepper (Vitus Zeplichal), und der weiß außer Kopfschütteln keine Antwort darauf. − Peter ist eigentlich ein guter Junge. Das sagen alle, denn Peter, der Maurer, hat für seinen Vater (Alexander Allerson) und seine Mutter (Ernie Mangold), die gemeinsam eine Gastwirtschaft im Bayerischen Wald betreiben, an den Wochenenden ein schönes Haus gebaut. Doch große Zuneigung bringt ihm das nicht ein. „Genau zwei Wochen“, so informiert uns einer von mehreren den Bilderfluss unter34

brechenden Zwischentiteln, „liebten die Eltern ihn für seine Arbeit an dem Haus, dann war alles wie früher“, und das heißt, auch in seiner Kindheit umfing Peter nur Kälte. Vielleicht aber liebt ihn Erika (Elke Aberle), die Apothekenhelferin und ein gutes Mädchen ist, ja wirklich. Nachdem Peter und Erika geheiratet und in die winzige Wohnung nach München gezogen sind − ein Fortgehen, über das die Eltern ihre Freude kaum verbergen konnten − schuftet er hart auf dem Bau, um die Miete sowie die Raten für Möbel, Fernseher und die viel zu kostspieligen Geschenke an die junge Ehefrau finanzieren zu können. Sie schenkt ihm im Gegenzug einen Sohn, was die finanzielle Lage noch verschlimmert, bis schließlich der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Doch Peter ist körperlich wie seelisch mittlerweile ohne-


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Um Zwänge geht es auch in Fassbinders − nun ebenfalls auf DVD erhältlicher − Nabokov-Verfilmung Despair (dt. Verzweiflung) aus dem Jahr 1978. Und deren Protagonisten, dem exilrussischen Berliner Schokoladenfabrikanten Hermann Hermann (Dirk Bogarde) könnte man ebenfalls zu Recht die Frage stellen, ob er denn eigentlich gerne lebt. Hermann nämlich, den bereits erste Symptome einer Schizophrenie heimsuchen, fühlt sich auch bedrängt und eingezwängt − durch seine geschäftlichen Verpflichtungen, durch seine strunzdumme Ehegattin Lydia (Andrea Ferréol), die zudem mit ihrem Cousin fremdgeht, und durch die um 1930 schon sehr erstarkte Nazi-Bewegung. Deshalb setzt Hermann, nachdem er auf einer Kirmes seinen exakten Doppelgänger namens Felix (Klaus Löwitsch) getroffen hat, einen ebenso raffinierten wie perfiden Plan ins Werk: Er schließt bei Herrn Orlovius (Bernhard Wicki) eine Lebensversicherung ab, tauscht mit Felix Kleidung und Papiere aus, erschießt diesen dann und setzt sich finanziell abgesichert in die Schweiz ab. Doch das perfekte Verbrechen ist ihm dennoch nicht gelungen, da er in seinem Wahn etwas Entscheidendes übersehen hat, das die Zuschauer von Anfang an gar nicht übersehen konnten. Despair − Eine Reise ins Licht markiert in Fassbinders filmischem Werk eine wichtige Station, sofern es sich dabei um seinen ersten internationalen, in englischer Sprache und mit großem Budget (in den Münchner Bavaria-Studios) gedrehten Film handelt, in dem mit Bogarde und Ferréol zwei echte Weltstars mitwirken. Die sehr gelungene Ausstattung, zum Teil im Art-Deco-Stil, besorgte Oscar-Preisträger Rolf Zehetbauer. Obwohl es Fassbinder (und seinem Kameramann Michael Ballhaus) gelingt, Hermanns geistige Dissoziierung visuell durch allerhand Verschiebungen und Verzerrungen vortrefflich einzufangen und − nicht zuletzt in Form eines eigens produzierten Stummfilmstreifens − auch thematisch auf das Medium Film zu beziehen, erreichte Despair 1978 auf dem Filmfestival von Cannes keine allzu große Beachtung. Seinen internationalen Durchbruch schaffte das früh verstorbene Kino-Genie erst ein Jahr später mit Die Ehe der Maria Braun. Vielleicht ist der Grund für diesen Misserfolg darin zu sehen, dass der komplexe Film seine Zuschauer zu gesteigerter gedanklicher Mitarbeit herausfordert − in seiner heutigen Schnittfassung (119 Minuten) noch mehr als in seiner dreißig Minuten längeren, aber leider verschollenen Originalfassung. s

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hin am Ende: Er geht nicht mehr zur Arbeit, streift nur noch ziellos in der großen Stadt umher und erschlägt schließlich in Verwirrung einen Gastwirt, der stark an seinen Vater erinnert. Die affektgesteuerte Tat, auf die Fassbinders freudianisch angehauchtes und zudem durch die eigene Biographie beeinflusstes (die eigene, hassgeliebte Mutter hat sogar einen Kurzauftritt) Sozial-Psychodrama hinausläuft, basiert auf einem wahren Fall, den der Regisseur in der 1972 publizierten Studie „Lebenslänglich – Protokolle aus der Haft“ auffand. Seine in nur 25 Tagen abgedrehte Filmerzählung enthält mehrere, die Psycho-Logik unterstützende chronologische Sprünge und zeichnet sich durch eine brillante Kameraführung (Michael Ballhaus) aus, die die Situation des Eingesperrtseins dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie die Charaktere häufig mit Mauern und Barrieren bedrängt oder in Spiegelrahmen und andere optische Begrenzungen einzwängt. Befremdlich für heutige Kinoaugen wirkt sicherlich die − an Brechts episches Theater erinnernde und zuweilen schon auf Elfriede Jelineks Popanzparaden vorausdeutende − Spielweise, die Fassbinder seinen Darstellern verordnete. Denn die agieren oftmals wie fleischgewordene, ferngesteuerte Sozialklischees oder somnambule Puppen, die wie weggetreten abgenutzte Sätze ausspucken. Manchmal stellt sich auch eine geradezu märchenhafte Atmosphäre ein, etwa wenn Ernie Mangold (als Mutter) ihren grundnaiven und nach Liebe hungernden Sohn mit den eiskalten Blicken einer Schneekönigin zurückweist − ein wohl nicht ganz unbeabsichtigter Effekt, trägt doch das Drehbuch bereits den Untertitel „Ein Märchen von den Zwängen“.

„Ich will doch nur, dass ihr mich liebt“ (1976)

Ich will doch nur, dass ihr mich liebt von Rainer Werner Fassbinder DE 1976, 106 Minuten, dt. OF

Despair – Eine Reise ins Licht von Rainer Werner Fassbinder DE/FR 1977, 117 Minuten, dt. OF/engl. SF Beide auf DVD bei Eurovideo, www.eurovideo.de

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Der Moment Sch r i f tst e l l e r se h en F i lm e: A n tj e Wagn e r

Zum Schreiben ist Antje Wagner angeblich gekommen, weil sie ihren Fotoapparat vergessen hatte. Nun schreibt sie in der SISSY über einen Filmmoment. Zuletzt erschienen von ihr das preisgekrönte Jugendbuch „Unland“ und der Thriller „Schattengesicht“. Aktuell arbeitet Antje Wagner an ihrem ersten Kinderbuch.

s Ich sehe meine Liebe das erste Mal im Sommer 1992. Ich bin in Dresden. In hundertsechsundsechzig Minuten werde ich mein Herz verlieren. Ich bin nicht vorbereitet. Der Tag war heiß. Ich bin ewig gelaufen. Meine Füße sind müde, ich hab genug Sonne gehabt, genug Stadt gesehen. Ich möchte sitzen, irgendwo im Dämmer. Möchte ausklingen. Ich weiß nicht, wie ich dorthin gelangt bin, weiß nur, dass es eine Seitengasse ist, ein verschlissenes, von der Zeit zernagtes Eckgebäude. Ein Kino. Ich werde es danach nie mehr finden. Nicht, weil es so versteckt wäre, sondern weil ich es nicht suche. Ich möchte keine Veränderung erleben, nicht sehen, dass aus der Bruchbude vielleicht ein Kino mit glitzerndem Tresen geworden ist, mit Popcorn in drei Geschmacksrichtungen und einem Saal, der nach Raumspray duftet. Ich möchte die erste Begegnung so im Kopf bewahren, wie sie für mich war: unerhört. Als ich eintrete, riecht es nach Zwiebeln und zeratmeter Luft. Die Sitze sind hart, aus rohem Holz. Splittergefahr. Der Steinboden: warm. Er hat die Hitze des Tages gespeichert und wird sie im Laufe des Films abgeben. Er ist von kleinen, dunklen Flecken übersät, deren Ursprung mir ein Rätsel ist. Das Kino ist zu einem Viertel gefüllt. Kurz bevor das Licht vergeht und der Film beginnt, drängt sich eine Katze durch die 36

Sitzreihe, an meinem Fuß vorbei, gleich darauf eine zweite, die den Fuß einfach überspringt. Dann wird es dunkel, die Leinwand hell, und ich sehe sie zum ersten Mal. Es ist ein Moment … … in Prag. Wir haben 1968. Die Zeit des Prager Frühlings. Tomas (Daniel Day-Lewis) ist Arzt, ein Charmeur, der die Frauen liebt. Sabina (Lena Olin), sirenenhafte Künstlerin, ist seine Geliebte. Teresa (Juliette Binoche) ist das Mädchen vom Land: fiebrig schön und wild entschlossen, dem Provinzmief zu entkommen. Als sie Tomas kennenlernt, der für einen Tag in ihren Dorfalltag hereinbricht, fasst sie einen Entschluss. Sie folgt ihm nach Prag, klingelt an seiner Tür. Und bleibt. Eine Ménage-à-Trois beginnt. Der Moment … … nein, er ist noch nicht da, denn zuerst entsteht die Ahnung: dass (neben der historischen Geschichte) nicht von zwei, sondern von einer Frau erzählt wird. Dass die schillernde Sabina und die pausbäckige Teresa, zu der Tomas sich ebenso hingezogen fühlt, Facetten einer einzigen Frau sind – aufgeteilt in zwei Figuren. Und in diesem Moment … … gehen Flämmchen im Dunkel auf. Rechts und links von mir. Zigaretten werden angesteckt, Glut wird am Boden zertreten. Jetzt weiß ich, woher die dunklen Flecken stammen. All diese Unerhörtheiten – Katzen, die sich unter den Sitzen jagen, Rauchschwaden

vor der Leinwand, das Zischen, wenn eine Bierflasche mit dem Feuerzeug geöffnet wird – mischen sich mit dem Geschehen im Film: eine dumpfe Kurklinik, stickige Politbüros, Sabinas lichtes Künstleratelier, Sabina, nackt bis auf Hut und Strapse in Tomas’ Bett, das Dröhnen der Panzer auf den Straßen, Schreie, Teresa, die die Geschehnisse fotografiert, die Russen marschieren ein. Und dann … … der Moment. Nach der Flucht in die Schweiz. Nachdem die Katze sich an meine Wade drängt. Als Teresa sich beruflich auf Aktfotografie verlegt hat. Und ein Model sucht. Und zu Sabina geht: der Künstlerin, Freundin und Konkurrentin. Dieser Moment, als der Film Sabina und Teresa, das Doppelporträt, zusammenbringt. Er ist pure Verführung. Wie sie Wein trinken, um sich Mut zu machen. Wie Sabina aufsteht und sich hinter einem dünnen Vorhang auszieht. Die Musik ist verstummt. Es gibt keine Geräusche mehr. Es gibt nur noch das Atmen. Und den Ton, der entsteht, als Teresa den Vorhang wegzieht. Der Blick durch den Sucher, dann das Klicken der Kamera. Und jäh passt alles zusammen: der Vorhang quer durch das Atelier, der sich in der Leinwand wiederfindet, die hier draußen quer durch unseren Blick geht. Das Atmen im Film und das Atmen hier, vor dem Film. Und das Klicken der Kamera, das brutal ist. Weil es Blicke sind, die hörbar werden, Berührungen, Augenschüsse. Sabina, von Teresa sanft zu Boden gestoßen, in verschiedene Positionen, und Klick. Das Geräusch eines Fingernagels auf nackter Haut. Sabina, die Teresa die Kamera aus der Hand nimmt. „Jetzt bist du dran. – Zieh dich aus.“ Der Film ist Romantisierung und wird der Brutalität der realen Ereignisse nicht gerecht. Doch nicht selten – das ist paradox – ist die Schwäche einer Sache zugleich auch ihre Stärke. Ich jedenfalls sitze in einer Bruchbude und sehe meine Liebe. Sie wirft Bilder aus, die an mir zupfen, Worte und Lieder, flirrend, wie ein Lasso. Die nächsten zwanzig Jahre werde ich ihr folgen. Werde nicht müde, sie immer wieder zu sehen, ihren Stimmen zu lauschen. Und meinem Herzen hundertsechundsechzig Minuten lang hinterherzuwinken. s

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Philip Kaufman US 1988, 165 Minuten, DF/OmU Auf DVD bei Warner Home Video, www.warnerbros.de


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Neu auf DVD von M a ike Schultz (M S), Christ oph M e y ri ng (CM), Paul Schul z (PS) u n d Ja n K ü n emu n d (J K)

Shit Year US 2010, Regie: Cam Archer, Edition Salzgeber

In Cam Archers zweiten Film nach Wild Tigers I Have Known spielt Ellen Barkin eine alternde Hollywood-Diva. „Über weite Strecken ist das alles, um nur das Mindeste zu sagen, rätselhaft. Immer aber ist es wunderschön. Nicht nur Colleen und Harvey füllen mit ihren wundervollen Gesichtern die Leinwand. Auch die Welt, in der sie sich begegnen und wieder verlieren, aneinander erinnern und voneinander loskommen wollen, entwirft der Film als eine Welt aus großartigen Lichttexturen. Waldboden und Wasseroberfläche, Gazeschleier und Wasser-Sternenhimmel werden zu den Wänden dieser Kinowelt, auf die ihre Figuren und wir alles mögliche projizieren können. Einmal erinnert mich diese Welt aus Licht und Schatten an Maya Derens und Alexander Hammids Meshes of the Afternoon, der, nicht weit von Shit Year entfernt, ebenfalls in L. A. gedreht wurde. Was beide verbindet ist das unnachgiebige und sehr besondere Licht, welches die amerikanische Filmproduktion kurz nach 1900 an die Westküste lockte und Hollywood erst zu dem werden ließ, was es dann wurde. Mir scheint, dass dies das eigentlich Drama dieses Films ist: In welches Licht taucht dieser Ort seine Menschen? Im Licht Hollywoods zu stehen, das heißt jemand anderes zu werden.“ (André Wendler in SISSY 2/11)

SASCHA DE 2010, Regie: Dennis Todorovic, Edition Salzgeber

„Sascha von Dennis Todorovic ist auf dem ersten Blick ein Film über einen jungen Migranten, der Schwierigkeiten hat, in einer traditionellen Familie seine Homosexualität auszuleben. Es ist aber auch ein Film über die Probleme von Gastarbeitern, die sich auch nach Jahrzehnten in Städten wie Köln nicht wirklich heimisch fühlen und ständig von ihrer alten Heimat träumen. Und es ist ein vielschichtiges Beziehungsdrama, das eine un-

glückliche Liebesgeschichte (zwischen Sascha und Gebhart), ein verschachteltes Beziehungsdreieck (Sascha-Boki-Jiao) und auch das alltägliche Drama von Vater Vlado und Mutter Stanka erzählt, deren Zweckgemeinschaft im Alltag schon längst zur Qual geworden ist.“ (Nenad Kreizer in SISSY 1/11)

KABOOM US/FR 2010, Regie: Gregg Araki, Universum

„Sexualität ist bei Araki nicht auf so was Albernes wie Identitäten festgelegt und im besten Sinne queer: Der eigene Körper ist ein großer Abenteuerspielplatz, auf dem man viel über sich und andere lernen kann. Ein weiterer Baustein in Arakis Universum ist der ständige Verdacht, die Welt befände sich insgesamt auf dem absteigenden Ast. Auch diesen Gedanken führt er in Kaboom so konsequent zu Ende wie nie zuvor. Michael Stipe würde sagen: ‚This is the end of the world as we know it … and I feel fine‘. Mit diesem Gefühl verlässt man das Kino. Und was könnte schöner sein.“ (Paul Schulz in SISSY 1/11)

STADT LAND FLUSS DE 2011, Regie: Benjamin Cantu, Edition Salzgeber

„Auch im Kino müssen die Dinge ins Verhältnis zueinander gesetzt werden. Wenn sich am Ende die beiden Jungs, ich bin unsicher, ob ich sie Marko und Jacob oder Lukas und Kai-Michael nennen soll, auf dem Hof in die Arme nehmen, umrundet von der Kamera, ganz bei sich, dann lösen sich von dieser Geste der Nähe die Töne des Hofes ab: das Tuckern der Traktoren, Hammerschläge, undeutliche Stimmen, diffuse Maschinengeräusche. Die Leinwand wird schwarz, das Paar verschwindet, die Töne bleiben aber noch für einige Sekunden. Was die Kinomaschine mühselig synchronisiert hat, wird wieder auseinander genommen, wie ein Möhrenaufbereiter, der gewartet werden muss. Am Ende also kein ganzheitliches Liebesglück, sondern Kinoana-

lytik der Verhältnisse.“ (André Wendler in SISSY 1/11)

Wir waren ein Mann FR 1979, Regie: Philippe Vallois, Bildkraft

Nur vier Jahre nachdem er mit Johan 1975 einen der faszinierendsten schwulen Filme aller Zeiten abgeliefert und in Cannes für einen ordentlichen Skandal gesorgt hatte, drehte Philippe Vallois Wir waren ein Mann, eine Zweiter-Weltkrieg-Liebesgeschichte zwischen dem einfach gestrickten Waldbewohner Guy und dem deutschen Soldaten Rolf. Wie schon in Johan überzeugt Vallois weniger mit seiner tragischen Story, die man aus heutiger Sicht auch ein bisschen naiv finden kann, als mit seiner Schauspielerführung – oder vielmehr der Freiheit, die er seinen Darstellern lässt – und seinen unfassbar schönen Bildern. Wie hier die Körper von und die Körperlichkeit zwischen Männern gezeigt werden, hat, bei aller Schwerfälligkeit der überfrachteten Handlung, die naive Leichtigkeit des Filmemachens vor Aids: Männer sind einfach schön, Sex ist simpel, wenn man sich denn mal traut, und um Körperflüssigkeiten jeglicher Art muss man sich nicht allzu viel Gedanken machen. Weil einem diese Sichtweise 2011 so fremd ist, fühlt man sich nach Wir waren ein Mann auf deprimierende Art beschwingt. Ein schönes Gefühl. ps

DAS SCHMUCKSTÜCK FR 2010, Regie: François Ozon, Concorde Video

„Ein Tanz im ‚Badaboum‘ verlässt die oberflächliche Lustigkeit um die Energie der sich oberflächlich emanzipierenden Fabrikantenfrau. Da gleitet die Kamera auf Deneuve und Depardieu zu, sie sehen sich an und eigentlich uns, da verschwimmt alles an den Rändern, die Welt wird unscharf, die Backgroundsängerinnen lassen den Mund offen stehen, Räume lösen sich in Farbe auf, Discokugelreflexe flirren über das sonst gestraffte, 37


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jetzt endlich gelöste Gesicht der Schauspielerin, das im Engtanz mit dem Depardieuhintergrund verschmilzt. Ein Gedicht, inmitten der ganzen Stickerei. Der unvermeindliche Kuss findet kurz danach in der Garderobe statt, zu den Bee Gees, im Gegenlicht einer Neonanzeige, das darf tatsächlich die ganz große Liebesszenen-Aufnahme sein. Und als letzte Referenz an dieses Paar klappt später im Film ein Amoulette auf, darin zwei Jugendbilder von Deneuve und Depardieu, blond und wild, tatsächliche 70er Jahre. Wie sich Ozons Film überhaupt verbindlich verbeugt vor schönen Dingen, ist auch das eine Verbeugung, die gar nicht mehr sein will.“ (Jan Künemund in SISSY 1/11)

weit weg war. In diesem Spiel zählen keine Identitäten. Im Gegenteil: Identitäten sind hinderlich, weil sie sich sichtbar und lesbar machen wollen. Das Outing, das in diesem Film passiert, wird damit zur Ungeheuerlichkeit, denn da bringt jemand plötzlich, in einem Raum der flüchtigen Begegnungen, seine gesamte Identität ins Spiel.“ (Jan Künemund in SISSY 3/10)

The Advocate for Fagdom FR 2011, Regie: Angélique Bosio, GMfilms

„Ein riesiges Spiegelkabinett des Narzissmus, so ließe sich Les Amours Imaginaires wohl am Besten beschreiben. Ein Entkommen gibt es nicht, aber das will in Wahrheit auch gar keiner. Auf der Oberfläche hat Niels Schneider als Nicolas die Rolle des Narcissus von Xavier Dolan übernommen, der nun einen der Verschmähten spielt. Doch so einfach war es noch nie mit diesem Mythos. Der schöne Jüngling und seine zurückgewiesenen Verfolger waren letztendlich immer eins: ‚Happiness in Stalking‘, und jeder, vor wie hinter der Kamera, auf der Leinwand wie vor ihr, liebt seine amours imaginaires, seine Projektionen und Wunschbilder. Das weiß Xavier Dolan, und so bietet er sich der rein narzisstischen Schaulust des Kinopublikums als Objekt wie auch als Subjekt an. Er ist Ideal und Identifikationsfigur, unerreichbar und doch eins mit seinen Bewunderern.“ (Sascha Westphal in SISSY 2/11)

Bruce LaBruce – Filmemacher, Autor, Theaterregisseur, Fotograf und Allround-Kunstbetreiber – ist ein modernes Genie. Weil das schon länger bekannt ist, wurde es mal Zeit für eine ordentliche Lobhudelei. Die liefert Angélique Bosio mit The Advocate of Fagdom nun ab und hat sich berühmte Unterstützer gesucht: John Waters, Gus van Sant, Jürgen Brüning, Richard Kern, Harmony Korine und viele andere haben eine diebische Freude daran, Bosio beim Zusammensetzen ihres Personen-Puzzles aus Auskünften über LaBruce und seltenen Film- und Fotodokumenten vom Meister selbst zu helfen. Der Grundton der feinen, kleinen Doku ist frivole Anbetung, was hervorragend zum Objekt all der Verehrung passt, das sich selber nicht ganz so ernst nehmen kann und will, wie es alle anderen Beteiligten tun. Die Struktur des Films ist ein geschickter Tanz der sieben Schleier, der nur so tut, als würde er enthüllen, wer LaBruce ist oder was ihn antreibt. Das wird nämlich nicht verraten, weil es sonst keinen Spaß mehr macht, sich an seinen künstlerischen Werken aus Pornografie und Provokation abzuarbeiten. Aber wie immer hat man jede Menge Spaß. Und das ist doch was. ps

ORLY

ZURÜCK INS GLÜCK

DE/FR 2010, Regie: Angela Schanelec, Indigo/Good Movies

BR 2010, Regie: Malu De Martino, Pro-Fun Media

Eine Beobachtung von Menschen auf einem Flughafen: Begegnungen, Geschichten, Verzweiflungstaten. „Erotisch aufgeladen ist dieses Spiel nicht nur durch die Flirts der Flughafengäste – es ist auch aufgeladen durch den Blick der Kamera, die sich von weit weg als Voyeur betätigt, aus der Bewegung vieler Menschen einzelne herausschält, ihnen ein Begehren gibt und dieses im Verlauf des Films lebendig hält. Schanelec hat beschrieben, dass die Schauspieler sich oft gar nicht von der Kamera beobachtet fühlten, weil diese viel zu

„Von ihrer großen Liebe Antonia verlassen, wähnt die 35-Jährige Julia sich schon am Ende ihrer Tage und versinkt zusehends in einer handfesten Depression. Dann sieht zunächst alles danach aus, als würde sie irgendwann dem Charme ihrer Studentin Carmen erliegen. Nur einen kurzen Blick in ihr Schneckenhaus gewährt ihr die Regisseurin Malu de Martino. Dafür erspart sie uns ein kitschiges Happy End: Nach einigen amourösen Verwicklungen gibt es in Zurück ins Glück keine ‚Alles wird gut‘-Gewissheit. Etwas hat begonnen, viel-

HERZENSBRECHER CA 2010, Regie: Xavier Dolan, Indigo/Good Movies

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leicht. Aber auch das kann ja schon ermutigend sein.“ (Maike Schultz in SISSY 1/11)

In Their Room US 2009-2010, Regie: Travis Mathews, Edition Salzgeber

Es wird ja jetzt wieder so früh dunkel. Deswegen gibt es auch wieder diese Momente, in denen man über den Hof ins Hinterhaus guckt, wo ein schöner Mann gerade die Vorhänge seines Schlafzimmers zuzieht und dann steht man irgendwie alleine in der eigenen Wohnung und überlegt sich, was der jetzt wohl macht. Travis Mathews beantwortet diese Frage in In Their Room. Er hat Jungs in San Francisco und Berlin in ihren Schlafzimmern besucht, sie beim Kuscheln, Tanzen und Wichsen gefilmt und interviewt. Das ist nie voyeuristisch, sondern hinreißend intim und deswegen hochgradig erotisch. Hier wird nichts entlarvt, sondern Menschen öffnen sich der Kamera und damit auch dem Zuschauer bis aufs Äußerste. Man kann das, wie viele Menschen auf Filmfestivals rund um die Welt, einen „Indieporno“ nennen. SISSY nennt es „Liebesgeschichten“ und ist damit ihrer Meinung nach näher dran. Ganz wunderschön. ps

BREAK MY FALL UK 2011, Regie: Kanchi Wichmann, Pro-Fun Media

„Überhaupt wirkt der ganze Film wie ein einziger, fließender Soundtrack: Sein Schnitt-Rhythmus reflektiert den Rhythmus von Sallys und Lizas Beziehung, mal romantisch verträumt, dann wieder laut und heftig. Dabei hängt der Zuschauer in einem permanenten Raum der Unsicherheit. Nähern sich die beiden Frauen an, gipfelt Zärtlichkeit plötzlich in brutalen Sex, fordert die eifersüchtige Liza ein Liebesgeständnis ein, legt Sally hilflos den Hörer auf. Dieses Nicht-Voneinander-Loskommen verpackt Wichmann in elektrifizierende Bilder, die sich synchron zu den Emotionen der Protagonisten zu einem Rausch steigern – bis Exzesse uns Betrügereien schließlich bei einer illegalen Hausparty an Lizas 25. Geburtstag eskalieren. So ist Break My Fall auch eine Hommage an jene von Gentrifizierung bedrohten Abbruchhäuser, Bars und Raves, die das Londoner Eastend ausmachen. Vor allem aber an eine Generation, die zwischen Alternativkultur und dem Aufbruch in ein bürgerlicheres Leben wankt, um sich in den Grenzen vermeintlicher Freiheit schließlich selbst zu entzaubern.“ (Maike Schultz in SISSY 1/11)


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WEEKEND UK 2011, Regie: Andrew Haigh, GMfilms/Indigo/Good Movies

„Jetzt kommt’s, jetzt wird die Geschichte zur Countdow n-To-Fa rewell-Romanze, wie ein US-Kritiker so schön schrieb. Wann geht Glens Zug? Will ich das wissen? Will ich da jetzt durch? Nochmal ein Blick aus dem 14. Stock auf den Weggehenden, der kurz, aber nicht lang genug, zögert. Russell geht zur Patentochter, hat eine Fahne und fühlt sich elend. Ich komme wieder ins Beobachten, wie schön er leidet. Und sich in die große Abschiedsszene wirft.“ Ein Dreitagesflirt zweier gestandener schwuler Männer. (Siehe S. 26.)

CONTRACORRIENTE PE/CO/FR/DE 2010, Regie: Javier Fuentes-León, GMfilms/ Indigo/Good Movies

„Nur ein konventioneller Coming-Out-Film in zugegeben sehr malerischer Umgebung? Mit diesem Urteil würde man dem Regisseur Fuentes-León unterstellen, dass der Film vor allem für das peruanische Massenpublikum gemacht ist: Seht her, dieser Mann küsst auch gern Männer, aber trotzdem will er ein Familienvater sein und liebt seine Frau, guckt, deswegen weint er so viel, es geht hier um echte Gefühle, zu beiden! Im Sinne, dass derart augenscheinliche Bisexualität das homosexuelle Begehren weniger bedrohlich für die Mehrheitsgesellschaft macht. Javier FuentesLeón sieht seine Herangehensweise aber noch breiter und nicht so plump edukativ. Er will die Kategorien schwul/bisexuell/heterosexuell insgesamt hinter sich lassen. Genau deswegen setzt er den Plot auch in die peruanische Provinz.“ (Malte Göbel in SISSY 3/11)

mehrfach zweifeln, ob das, was sie sind, auch wirklich sie repräsentiert. Erwachsene Frauen blicken auf eine langjährige Beziehung zurück, die nun eine schwere Belastungsprobe aushalten muss. Der Ausgang der Geschichte ist offen, das Scheitern der Partnerschaft droht. Aber wenigstens versuchen sie es und wagen sich an diese Zumutung. Ihre Zuschauer nehmen sie dabei mit und man folgt ihnen gerne.“ (Manuel Schubert in SISSY 3/11)

DARE US 2009, Regie: Adam Salky, Pro-Fun Media

„Wer von uns hätte es nicht gern gesehen, wenn Holden Caulfield aus „Der Fänger im Roggen“ ein wenig mehr schwul gewesen wäre? Vielleicht war er das ja auch – dieser von der amerikanischen gehobenen Mittelschicht satte Junge, der durch Manhattan streift und das einzig Liebenswerte der Welt in seiner Schwester findet und den einzigen Ort, der ihm behagt, als Naturkundemuseum ausmacht. Er ist und bleibt der neurotische Prototyp für das Hin- und Hergerissensein zwischen verspielter Kindheit und dem Scheinernst der Erwachsenenwelt. Dieses Umherirren in jenen wechselvollen Jahren können US-Amerikaner simpel unter Highschool subsumieren. Highschool meint Risiko, Herausforderung, Wagnis – es ist die erste Bewährungsprobe zur Behauptung der eigenen Identität. Es ist der holprige Weg vom Dasein zum Sosein. Insbesondere weil wir alle diesen Weg gegangen sind oder gerade gehen, lassen wir uns vielleicht gern in die Geschichten der Charaktere ziehen, die in ihrem Coming-of-Age und manchmal auch in ihrem Coming-Out gefangen sind. In Adam Salkys Filmdebüt Dare läuft das Drama um die Selbstwerdung mit Humor ab.“ (Ringo Rösener in SISSY 1/11)

SEA PURPLE IT 2009, Regie: Donatella Maiorca, Pro-Fun Media

FJELLET – DER BERG NO 2011, Regie: Ole Giæver, Edition Salzgeber

„Nichts Abgründiges ist zu sehen, niemand onaniert, pisst, schreit, blutet oder gibt sich seinen multiplen Perversionen hin. Aber trotzdem geht es um Abgründe. Hier haben sich zwei Menschen über ein Unglück entzweit, die eigentlich zusammengehören. Diese zwei, Solveig und Nora, müssen nicht erst mit ihrer eigenen Sexualität zu Recht kommen und

Für Fans von lesbischer Historie galt bisher Großbritannien mit den BBCVerfilmungen der SarahWaters-Romane (zuletzt „The Nightwatch“) als Vorreiter. Mit Sea Purple ist nun ein weiteres Epos mit Klassiker-Potenzial auf DVD erschienen; aus Italien, das jüngst nicht gerade durch queeres Filmschaffen Schlagzeilen machte. „In Sea Purple geht es nicht um die weibliche Sexualität an sich, sondern vielmehr um die Freiheit der Selbstbe-

stimmung und das Finden der eigenen Identität“, erklärt die Regisseurin Donatella Maiorca denn auch gleich. Basierend auf einer wahren Geschichte porträtiert ihr Film ein sizilianisches Frauenschicksal im 19. Jahrhundert: Als weiblich geboren zu werden war damals eine „schlimmere Schande als der Tod“, erzählt die Hauptfigur, Angela. Bei jeder Gelegenheit bestraft ihr Vater sie für ihr unerwünschtes Geschlecht – wenn er nicht gerade ihre Mutter verprügelt, wie ein gewiefter Mafiosi Geschäfte abwickelt oder die Frauen seiner Schuldner besteigt. Kein Wunder, dass sich Angela schon als Kind allen gängigen Rollenmustern entzieht. Auch als aus ihrer Freundschaft zur einstigen Spielkameradin Sara Liebe wird, reagiert der Vater brutal: Er sperrt Angela in den Keller und will sie zwingen, seinen Arbeiter Ventura zu heiraten. Um ihrem Ansehen in der patriarchalisch geprägten Gemeinde nicht weiter zu schaden, verfolgen die Eltern schließlich einen perfiden Plan. Aus Angela soll Angelo werden. Einer Ehe mit Sara stünde nun nichts mehr im Wege. Doch auch dieses Glück droht an den Anforderungen konservativer Familienstrukturen zu zerbrechen. Maiorcas leidenschaftliche Fremde Haut erinnert, überzeugt mit wunderschönen Küstenaufnahmen, vielversprechenden Nachwuchdarstellerinnen und durch die Beteiligung zweier berühmter Italienerinnen: Maria Grazia Cucinotta (James Bond: Die Welt ist nicht genug) als Angelas Tante Agnese und Koproduzentin, sowie Gianna Nannini als Soundtrack-Komponistin. Ihre rockigen Gitarrenakkorde wirken vor der historischen Kulisse zwar manchmal etwas deplaziert. Doch ein großes Werk übersteht auch das unversehrt. ms

BEGINNERS US 2010, Regie: Mike Mills, Universal

„Hal – mit Würde und Charme gespielt von Christopher Plummer – ist mit seinen 75 genauso aufgeregt wie ein Teenager: Alles ist neu, er ist ungeduldig, ein Stück naiv und anfällig für die neuen Gefühle in einer (homo)sexuellen Beziehung. Mike Mills’ Beginners ist ein zauberhafter Film über Anfänge, Umbrüche, Aufbrüche und Veränderungen. Es ist kein Film über schwul sein, lesbisch sein oder heterosexuell sein, sondern vielmehr ein Film über die emotionalen Risiken einer Liebesgeschichte. Durch die Mischung aus Fiktion und Autobiographischem bekommt Beginners eine angenehme Authentizität, ist nicht aufgesetzt und nicht konstruiert. Ein bisschen verschroben zwar – aber genau richtig.“ (Anna Wollner in SISSY 2/11) 39


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BUFFERING ... ES WIRD GELADEN GB 2011, Regie: Darren Flaxstone, Christian Martin, GMfilms

Kurz nachdem Seb und Aaron ihr schmuckes Haus in der Vorstadt Bristols verlassen haben, um wie jeden Morgen zur Arbeit zu fahren, treffen sie sich unverhofft in den eigenen vier Wänden wieder. Die Erklärung dafür: Aaron verheimlicht Seb seit drei Monaten, dass er gefeuert wurde, während Seb Aaron nicht gestehen wollte, dass er seit neustem zwangsweise auf Teilzeit zurückgestuft ist. Nun ist guter Rat teuer, denn die Rechnungen wollen trotzdem bezahlt werden. Immerhin ist aber im Schlafzimmer die Stimmung noch ungetrübt − bis Seb einem plötzlich auftretenden, ominösen Piepgeräusch nachgeht und dabei eine Kamera entdeckt, mit der Aaron heimlich den gemeinsamen Sex aufzeichnet und gegen Bezahlung ins Internet stellt. Seb ist schockiert − allerdings nicht lange, sieht er doch rasch ein, dass sich auf diese Weise wirksam das Konto ausgleichen und darüber hinaus noch locker Zusatz-Profit machen lässt. Unter der Regie ihrer gemeinsamen Freundin Jem erreicht das über die hauseigene Website „20 th Century Fux“ vertriebene lukrative Treiben bald seinen ersten Höhepunkt. Als sie jedoch anregt, einen dritten Mann mit ins Boot bzw. Bett zu nehmen, wird die Sache richtig kompliziert … Muss man den beiden niemals ladegehemmten Matratzenakrobaten ihr Durchhaltevermögen sicherlich zugute halten, sonst kann man der ansonsten durchaus vergnüglichen und temporeichen britischen Beziehungskomödie zuweilen mit Recht Ähnliches vorwerfen − nämlich dass sie allzu lan-

ge auf ihren Gags herumreitet. Denn merke: Vermag die Redundanz dem erotischen Reiz auch nichts anzuhaben, so erlaubt die Wiederholung einer Pointe keine erneute Entladung lustvollen Gelächters. cm

Bruderschaft DK 2009, Regie: Nicolo Donato, Pro-Fun Media

Bruderschaft wurde auf Filmfestivals rund um den Globus und von vielen Kritikern aus offensichtlichen Gründen gefeiert: Nicolo Donato inszeniert seine dänische Sozialromanze über zwei schwule Nazis in rauen, schönen Farben und hat mit Thure Lindhardt und David Dencik zwei fabelhafte Hauptdarsteller. Man kann sich als Zuschauer hierzu allerdings auch ein paar richtig schwierige Fragen stellen, wenn man sich traut: Ist es nötig, dass aus ideologisch hirnverbrannten Tätern in Tatort-Plot-artiger Einfachheit gesellschaftliche Opfer werden, damit man sich als schwuler Mann den ungeschickten Sex zwischen zwei „echten Kerlen“ auch hübsch angeturnt ansehen kann? Könnte die Kamera die faschingsartigen Männlichkeitsbeweise ihrer Objekte vielleicht auch etwas weniger erotisiert einfangen, wenn die vorher in der gleichen Bildsprache einen Araber zusammengetreten haben? Und kann man Bruderschaft nicht eigentlich nur wirklich genießen, wenn man in politischem Denken über das Niveau eines Fünfklässlers nicht hinauskommt oder einen beunruhigenden Nazifetisch hat? Vielleicht. Vielleicht ist das hier ja aber wirklich „brutal und zärtlich zugleich, ein dramaturgischer Drahtseilakt“, wie ein Kollege schrieb. Ich weiß es einfach nicht. ps

EIN SOMMER DER LIEBE RCH 2010, Regie: Edwin Oyarce, Edition Salzgeber

Dass der Sommer in Santiago de Chile drückend heiß ist, bringt Edwin Oyarces Spielfilm nicht nur motivisch zum Ausdruck, indem er seine Protagonisten oft ermattet schlummern, bekifft oder betrunken dösen, ständig schwitzen, häufig das T-Shirt wechseln und mehrmals täglich duschen lässt, sondern ebenfalls auf der Ebene seines ästhetischen Verfahrens: Denn genauso wie die Kamera jede überflüssige Bewegung zu scheuen scheint, wird auch die Anstrengung hektischer Schnittfolgen tunlichst vermieden. Die sich von daher einstellende Atmosphäre extremer Verlangsamung − Video-Clip-geschulten Anhängern ungebremsten Vorwärtsdrangs mag sie bisweilen quälend vorkommen − wird aber konterkariert durch eine innere Unruhe und Gespanntheit, die vor allem Diego ebenso subtil wie eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Diego, der mit seiner unglücklichen und daher meist betrunkenen Mutter zusammenlebt, hat nämlich zufällig seinen alten Schulfreund Sebastian wieder getroffen und ist offenbar heftig in ihn verliebt. Ob Sebastian sein Begehren erwidert, bleibt − ungeachtet der großen Intimität, die er zulässt − lange Zeit in der Schwebe und klärt sich erst, als der Gluthauch des Sommers allmählich an Intensität einbüßt. cm

Eating Out 4: Drama Camp US 2011, Regie: Q. Allan Brocka, Pro-Fun Media

Gute Filme über Sex zu drehen ist nicht so einfach. Gute Komödien über Sex zu drehen ist noch schwieriger, weil viele Menschen

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finden, dass Lachen und Vögeln nicht zusammenpassen. Regie-Wunderkind Q. Allan Brocka beweist auch im vierten Teil der Eating-out-Reihe, dass das nicht stimmt, wenn der Sex so gut ist wie die Witze darüber. Natürlich ist die Story über das übersexualisierte Liebespaar Zack und Casey, das zusammen in ein Drama-Camp fährt, in dem Sex verboten ist, hochgradig albern, aber auf eine angenehm subversive Art. Sätze wie „So feucht war ich nicht, seit Reagan angeschossen wurde“, und dass die John-Waters-Heroine Mink Stole als 60-jähriger Cougar mit 25-jährigem Liebhaber ihrem Affen hier ordentlich Zucker geben darf, weisen darauf hin, wo das Herz von Brockas kleiner, feiner Sauerei schlägt: auf dem rechten Fleck. Dass der wahrscheinlich feucht ist, bedeutet nur, dass die Macher beim Dreh so viel Spaß hatten, wie ihr Publikum beim Zuschauen. ps

schaftlich und oft sehr grausam gestaltet sich vor diesem Hintergrund auch die labile Stimmungslage innerhalb des erotischen Trio Infernals. Insbesondere Mateo, der unter einem rätselhaften Kindheitstrauma leidet, kann bald nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden … Ein reizvolles Spiel mit Realität und Fiktion, das man angesichts dieser interessanten Grundkonstellation erwarten könnte, gelingt Regisseur Matias Lira allerdings nur gelegentlich. Denn er über­d ramatisiert die Inszenierung und versetzt seine Darsteller in den Zustand einer hochtheatralischen Dauerhysterie: Kein Blick ohne Bedeutungsschwangerschaft, keine Reaktion, die nicht heftig ausfiele oder durch Unberechenbarkeit auffallen wollte, keine Atempause, nur Höhepunkte. Der Mangel an Spannungsökonomie und die damit einhergehende Permanenz des emotionalen Ausnahmezustandes bewirken beim Zuschauer so häufig das Gegenteil des Bezweckten, nämlich Abstumpfung und Gleichgültigkeit. cm

Mary Lou

DRAMA

IL 2009, Regie: Eyton Fox, Pro-Fun Media

RCH 2010, Regie: Matias Lira, Pro-Fun Media

Der blonde Mateo ist ein schwieriger junger Mann, aber ein umschwärmter, denn er bildet den Mittelpunkt einer seltsamen Dreiecksbeziehung, an der außer ihm noch seine Freundin María sowie der offenbar schwule Ángel beteiligt sind. Gemeinsam besuchen die drei einen Kurs des von Antonin Artauds Theater der Grausamkeit stark beeinflussten Schauspiellehrers Dante, der vollkommene Hingabe und Leidenschaft einfordert. Leiden-

Es ist schön, dass Eyton Fox mit Mary Lou endlich mal was macht, das absolut perfekt zu seinem Verständnis von Film passt. Krankten Walk on Water oder The Bubble bei aller Großartigkeit auch immer daran, dass die Drehbücher ein bisschen zu voll waren und sich die Macher ein bisschen zu ernst nahmen, ist im fröhlich gesellschaftskritischen Singspiel von Fox aktuellem Werk nichts davon zu merken. Die Liebesgeschichte von Meir und Oris ist bunt, quietschig, voller schlechter Perücken

und fröhlich radikalem Veränderungswillen. Das unterhält erst mal und hat gar nicht die Absicht, den Zuschauer vordergründig aufzuklären oder zu belehren. Und Fox hat mit 150 Minuten jede Menge Zeit um Charaktere zu entwickeln, weil Mary Lou kein Kinofilm, sondern eigentlich ein Mehrteiler ist, der vor zwei Jahren ein Straßenfeger im israelischen Fernsehen war. Mit der DVD kann dieses Erlebnis jetzt auch bei uns nachvollzogen werden. ps

JUDAS KISS US 2011, Regie: J. T. Tepnapa, Pro-Fun Media

In Stellvertretung für seinen Freund Topher, einen erfolgreichen Kino-Regisseur, kehrt Zachary Wells an seine ehemalige Filmhochschule zurück, um dort als Jury-Mitglied im Rahmen eines Nachwuchsfestivals die Wettbewerbsbeiträge der talentiertesten Studierenden zu beurteilen. Allerdings nur widerwillig, denn die eigene Karriere des frustrierten Mittdreißigers, der sein Geld mittlerweile mit Gelegenheitsjobs verdienen muss, verlief absolut im Sande. Nachdem Zach gleich am Abend seiner Ankunft im College den attraktiven Erstsemesterstudenten Daniel Reyes verführt hat, trifft er ihn schon am anderen Morgen wieder. Unter heiklen Umständen, denn Daniel nimmt mit seinem ebenso favorisierten wie geheimnisumwitterten Kurzfilm Judas Kiss am Wettbewerb teil. Zacks Verwirrung ist groß, und zwar nicht nur, weil er nicht weiß, wie er sich nun verhalten soll, sondern auch deshalb, weil er sich mit Daniel auf eine geradezu magische Art verbunden und in schon unheimlicher Weise in seine eigene Vergangenheit zurückversetzt fühlt. Wie

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wenig ihn dieses eigentümliche Empfinden trügt, ahnt er noch gar nicht … Obwohl J. T. Tepnapas mit phantastischen Elementen durchsetztes Drama nicht jedes Klischee zu umschiffen versteht und gelegentlich allzu pathetisch tönt, weiß es sein Publikum dennoch zu fesseln, vor allem durch seine raffinierte Konstruktion, die einige Überraschungen bereithält. cm

THE FOUR-FACED LIAR – LIEBE FINDET EINEN WEG US 2010, Regie: Jacob Chase, Edition Salzgeber

„Dass der Tiefgang selbst bei den komödiantischen Einlagen des Films aber nicht verloren geht, liegt vor allem an Marja Lewis Ryan. Sie spielt nicht nur die herrlich zwischen ihren herberen Butchuntertönen und ihrem hochgradig verletzlichen Innern hin und her schwankende Bridget. Viel mehr ist sie auch Ideengeberin und Drehbuchautorin dieser Low-Budget-Independentproduktion. Ihre Sicht auf die Dinge geht tiefer, als die inhaltliche Zusammenfassung erwarten ließe. Zwischen den üblichen Liebeleien und Reibereien der Protagonisten webt der Film einiges an Reflexionen über die neue Generation junger Amerikaner ein, die gefangen ist in der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen den propagierten (auch sexuell) unbegrenzten Möglichkeiten und der Realität, die meist ein tiefes Gefühl von Orientierungslosigkeit und Performancedruck mit sich bringt. Und in diesem Sinne ist es auch manchmal schrecklich und schwierig, als ‚Twenty-Something‘ in New York City zu wohnen – einer Stadt, die den Erfolgsdruck noch viel größer macht.“ (Beatrice Behn in SISSY 3/11)

ANARCHIE GIRLS LT/HU 2010, Regie: Saulius Drunga, Pro-Fun Media

Wer kennt es nicht aus seiner Schulzeit, das große A im Kreis? Ob auf Shirts von MöchtegernPunks oder in der ButtonSammlung vieler Indiemädchen gehört das Anarchie-Symbol bis heute fest zur Popkultur, gleich neben dem Konterfei von Che Guevara. Auch in Litauen, wohin uns Saulius Drungas Debütfilm Anarchie Girls führt. In der Plattenbau-Tristesse von Vilnius will Landei Vile Pädagogik studieren. Anstatt wie abgesprochen zu ihrer Tante zu ziehen, beantwortet sie jedoch einen Zettel mit einer Wohnungsanzeige – unterschrieben mit jenem eingekreisten A, 42

das Vermieterin Sandra zum Leitmotiv ihrer Frauengang erkoren hat. Mit ihren Einmachgläsern von Mutti hat Vile eigentlich gar keinen Platz in dieser Welt. Die rebellische Butch nimmt den neuen Flirt trotzdem unter ihre Fittiche, ein Bruch von vielen in Sandras nach außen klaren Regeln. Obwohl Anarchie für die Abwesenheit von Herrschaft steht, herrscht Sandra über ihre Mieterinnen, wie sie selbst von den kriminellen Machenschaften ihres Bruders bestimmt wird. „Anarchie bedeutet Schutz“, bläut sie ihren Kumpaninnen ein. Wie hohl diese Parolen tatsächlich sind, muss Vile bald erkennen, die sich als einzige für den Sinn hinter den lippenstiftgemalten Zeichen interessiert. Mit fatalen Folgen. Und doch ist Anarchie Girls ein durchaus politischer Film: als Kommentar zur Orientierungslosigkeit einer Generation zwischen Sowjetzeit und EU-Osterweiterung, die trotz aller Fortschritte vom Auswandern träumt. In Form von TV-Nachrichten streut Drunga diese Fakten immer wieder ein. Die Flucht in die AnarchoUtopie ist hier auch eine vor staatlicher Repression. Unter ihrem Deckmantel erscheint lesbischer Sex genauso selbstverständlich wie eine Spritztour mit fremden Autos. So restriktiv wie Litauens Regierung mit dem Thema Homosexualität umgeht, grenzt es nämlich schon an ein Wunder, dass das in Cannes mit dem New Talent Award geehrte Drehbuch dank Fördermitteln des litauischen Kultusministeriums verfilmt wurde. Zumindest das lässt hoffen. ms

VIOLET ... SUCHT MR. RIGHT! US 2010, Regie: Casper Andreas, Pro-Fun Media

Die New Yorkerin Violet ist das, was man hierzulande eine „Gabi“ nennt, also eine − gern etwas schrille und nicht selten auch etwas vollschlanke − heterosexuelle Frau, die vorwiegend mit ihren schwulen Freunden herumhängt und als Stimmungskanone auf keiner einschlägigen Party fehlen darf. Ihren Ehrenposten als „Fag Hag“ bzw. „Queen Mother“, so die angelsächsische Fachterminologie, ist die knapp 40-Jährige mittlerweile allerdings leid, sofern dieser − mehr noch als das katholische Priesteramt − mit einem strikten Zölibat einhergeht. Fragte man ihre feierfreudige Entourage, dann käme für Violet als Partner nur das sagenumwobene „Einhorn“ in Frage, womit − in verdrehtem Gayromeo-Deutsch ausgedrückt − ein „homoliker“, „szenenaher“ Hetero gemeint ist, also ein Fabeltier, dessen Existenz mehr als umstritten ist. Nichtsdestoweniger macht sich Violet − ausgerüstet mit den unumstößlichen Dating-Rules des dauerhungrigen Magenmodells Salome − beherzt auf die Suche nach einem

Herzbuben und gabelt nach allerhand desaströsen Rendezvous schließlich Vern auf, einen, höflich gesagt, eher ruhigen Zeitgenossen mit Nestbauambitionen. Das Nest mit Familienanschluss, so plant Vern, soll ausgerechnet im Staate Idaho gebaut werden, dessen übertriebener Beschaulichkeit Violet einst erfolgreich entfloh … Casper Andreas’ romanische Komödie lebt vor allem vom Charme ihrer unwiderstehlichen Hauptdarstellerin Mindy Cohn, erfrischt durch ihre vehemente, mittlerweile schon wieder subversive Verteidigung eines hedonistischen Lebensstils und gönnt ihren Zuschauern ein genre-typisches Happy-End, das wieder an Einhörner glauben lässt. cm

ALL MY LIFE EG 2008, Regie: Maher Sabry, GMfilms/Indigo/Good Movies

Maher Sabrys All My Life ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil es sich dabei um den ersten offen schwulen Film aus Ägypten handelt, weil er mit wenig Geld nur heimlich in Kairo gedreht werden konnte und weil er aufgrund der jüngsten Revolutionsereignisse zusätzlich eine enorme Aktualität gewonnen hat, sondern auch, weil er auf sehr gekonnte Weise ein Panorama der gesellschaftlichen Verhältnisse im Schatten des religiösen Fundamentalismus und des unterdrückerischen MubarakRegimes entfaltet. Im Zentrum der Handlung, die sich aus mehreren parallelen Erzählsträngen zusammensetzt, steht Rami, ein 26-Jähriger mit gut bezahltem Job, der sich − seitdem ihn sein Freund Walid verlassen hat, um eine Tarnehe zu schließen − heimlich auf allerhand Affären mit fremden Männern einlässt und von Outing und offenem Aufbegehren nichts wissen will. Seine politisch engagierte beste Freundin Dalia hingegen hält die repressive Situation nicht mehr aus und emigriert frustriert nach San Francisco. Der Arzt Karim wiederum lebt seine Homosexualität − anders als Rami − relativ ungeniert aus, indem er gemeinsam mit seinem amerikanischen Freund einschlägige, aber polizeilich überwachte Etablissements besucht, ein riskantes Unterfangen. Und dann sind da noch Ahmad, ein streng gläubiger Muslim, der sich im Dauerkampf mit seinen unterdrückten heterosexuellen Trieben befindet, sowie der Junge von nebenan, der gerne durch sein Zimmerfenster Rami beobachtet, dieses Begehren aber sorgsam vor seiner christlichen Mutter verstecken muss. Als Rami den Kellner Atef kennenlernt, muss er sich entscheiden, ob er sich auf jemandem aus der Unterschicht einlassen kann und wie er in Zukunft mit seiner sexuellen Orientierung umgehen will − und kann. cm


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MAL WAS ANDERES? IT 2009, Regie: Umberto Riccioni Carteni, Pro-Fun Media

Da der bei den parteiinternen Vorwahlen frisch gekürte Kandidat für das Bürgermeisteramt in einer nordostitalienischen Provinzstadt noch während seiner Dankesrede einer Herzattacke zum Opfer fällt, muss nun plötzlich der Zweitplatzierte antreten. Und das ist ausgerechnet der offen schwule Piero Bonutti, ein engagierter Streiter für Liberalität und Minderheitenrechte. Um seine nur schwer vermittelbaren politischen Positionen zu entschärfen, stellt man ihm daraufhin die bärbeißige, konservative Familienpolitikerin Adele Ferri als potentielle Vizebürgmeisterin zur Seite. Nach anfänglichen Reibereien nähern sich die ungleichen Partner einander im weiteren Verlauf des turbulenten Wahlkampfes überraschender Weise immer weiter an, und zwar nicht nur politisch, denn schließlich landen sie sogar zusammen im Bett. Davon − Mamma Mia! − darf natürlich weder Pieros treuer Lebensgefährte Remo noch das Wahlkampfteam etwas erfahren − und schon gar nicht das Wahlvolk, das sich gerade für den netten Politik-Homo zu erwärmen beginnt … Die wortwitzige und mit ebenso überzeugenden wie sympathischen Darstellern besetzte italienische Komödie Mal was Anderes? macht zwar auch nicht alles anders als andere Filme dieses Genres, doch sie zeigt einleuchtend, dass das andere gar nicht immer so anders ist als das eine, dass das eine nicht dasselbe bleibt, wenn man von woanders kommt − und dass es neben dem einen und dem anderen noch etwas Drittes geben kann. cm

LIEB MICH! − DIE 3. US/DE/GB/FIN/ES/DK 2011, Pro-Fun Media

Unterstellt man als Absender der flehentlichen Bitte, die den Titel dieses Kurzfilm-Samplers bildet, die darunter versammelten acht höchst unterschiedlichen Beiträge, so dürfen sie vielleicht nicht alle mit der uneingeschränkten Gegenliebe ihrer Zuschauer rechnen. Curious Thing und The In-Between, zwei Arbeiten des US-Amerikaners Alain Hain, die klischeehafte Stimmungsbilder schwuler Beziehungskisten mit nicht minder klischeehaften Off-Dialogen unterlegen, wirken nämlich beispielsweise fast so steril wie Fotoromane. Alexander Pfeuffers deutscher Beitrag Hinterbliebene − über die Zufallsbegegnung eines al-

ternden Schwulen mit einem verbitterten Heranwachsenden − vermag demgegenüber immerhin schauspielerisch zu überzeugen, auch wenn ihm ein Glaubwürdigkeitsproblem anhaftet. Und wenn man nicht auch noch Jason Bradburys We Once Were Tide, Miikka Leskinens Small-Time Revolutionary, Carla T. Albrechtsens XY Anatomy of a Boy und Michel J. Sauls Go Go Reject ihre − manchmal verzeihlichen, manchmal aber auch etwas nervtötenden − Schwächen vorhalten möchte, dann wendet man sich am besten gleich Marco Bergers argentinischer Episode El reloj zu. Die nämlich ist ohne Abstriche liebenswert und erzählt mit wunderbarer Lakonie und ebenso wunderbar verdrucksten Dialogen − „Magst du ‚ne Cola?“ … „Gerne.“ … „Schläfst du hier?“ … „Okay.“ − davon, wie der offensichtliche, aber unausgesprochene Wunsch zweier unerfahrener Jungs, die Nacht miteinander zu verbringen, dadurch vereitelt wird, dass Mutti überraschend nach Hause kommt. Dumm gelaufen, aber dennoch gut! cm

etwas miteinander zu tun. Hoffen wir weiterhin auf die DVD-Werkausgabe der Filme Werner Schroe­ters. jk

MONDO LUX

„Despair − Eine Reise ins Licht markiert in Fassbinders filmischem Werk eine wichtige Station, sofern es sich dabei um seinen ersten internationalen, in englischer Sprache und mit großem Budget (in den Münchner Bavaria-Studios) gedrehten Film handelt, in dem mit Bogarde und Ferréol zwei echte Weltstars mitwirken.“ (Siehe ebenfalls S. 34.)

DE 2011, Regie: Elfie Mikesch, Filmgalerie 451

Wenn es wirklich einen deutschen Filmemacher gegeben hat, der atemberaubend schöne audiovisuelle Homoerotik erschaffen hat, war das Werner Schroeter. Aber eigenartigerweise stehen seine Filme eher selten in den Regalen schwuler Filmfans. Nicht zuletzt deshalb ist Mondo Lux, Elfi Mikeschs sehr persönliche und doch so umfassende Filmbiografie, so traurig; fast wohnt auch ihren Bildern schon das Wissen inne, dass sich auch durch sie wenig mehr Menschen in die dahinschmelzende Schönheit des Schroeter-Werks verlieben werden. Was nicht an ihnen liegt. Alles ist darin enthalten: die Poesie, die Klugheit, der Schmerz, der Prozess, nicht zuletzt das berühmte Credo, Kunst sei „ein Abfallprodukt der Liebe“. Wenn Schroeter in diesem Film spricht, egal, wie schwer ihm das fällt, wie krank er bereits ist: Es steht eine Welt still. Und es wird ein Leben sichtbar, das immer seinen eigenen Koordinaten gefolgt ist und das auf die wenigen Mitstreiter und Seelenverwandten, die Freunde und Geliebten, oft viel zu früh verzichten musste. Auf Elfi Mikesch nicht – an ihr war es, um ihn zu trauern und diesen Film zu machen. Auch auf Rosa nicht, den Exliebhaber mit dem so ganz anderen Sinn für Schönheit. Und es gehört zu den schönsten Momenten in Mondo Lux, wie beide zusammen auf dem Sofa sitzen, ein Kuscheltier im Arm, sich königinnenhaft herausfordern und Rosa einfach nicht preisgeben will, mit wem er gerade Sex hat. Hochkultur und Besudelung haben unbedingt

ICH WILL DOCH NUR, DASS IHR MICH LIEBT DE 1976, Regie: Rainer Werner Fassbinder, EuroVideo

„Peter ist eigentlich ein guter Junge. Das sagen alle, denn Peter, der Maurer, hat für seinen Vater (Alexander Allerson) und seine Mutter (Ernie Mangold), die gemeinsam eine Gastwirtschaft im Bayerischen Wald betreiben, an den Wochenenden ein schönes Haus gebaut. Doch große Zuneigung bringt ihm das nicht ein.“ (Siehe S. 34.)

DESPAIR – EINE REISE INS LICHT DE/FR 1977, Regie: Rainer Werner Fassbinder, EuroVideo

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nachruf

Der Tornado von U lrich Ziemons

Youtube / ProfessorCraigles

Man täte dem am 6. September verstorbenen George Kuchar etwas Unrecht, würde man ihn darauf reduzieren, John Waters’ erklärter Lieblingsregisseur und ein Pionier der Camp- und Bad-Taste-Filmkultur gewesen zu sein. Tatsächlich umarmte er sein kreatives Leben lang mit kauzigem Abstand eine schrecklich-schöne Welt aus Pop und Naturkatastrophen. Ulrich Ziemons hatte das Glück, Kuchar noch kurz vor seinem Tod kennenzulernen.

s In dem 1983 von David Hallinger gedrehten Portrait The Comedy Of The Underground führt der Filmemacher George Kuchar durch seine kürzlich neu bezogene Wohnung im Mission District von San Francisco. Das Apartment ist voll von Figuren und Objekten, kitschigen Staubfängern, Spielzeug-UFOs, Madonnenstatuen und Georges eigenen Gemälden. Für George ist es ein Schutzraum vor der „craziness“, die draußen lauert. 28 Jahre später, im Juli diesen Jahres, treffe ich ihn zum ersten Mal persönlich in eben dieser Wohnung. Eigentlich hatte sie sich kaum verändert, der hölzerne Wal hing immer noch im Bad, die Stehlampe, an deren Schirm der Button des Kuchar-Fanclubs in Madison, Wisconsin befestigt war, existierte noch. Vollgestopfter war sie, die Polstermöbel von den Hauskatzen zerkratzt, die Bibliothek der UFO-, Bigfoot- und Tornadobücher angewachsen. George war noch derselbe verschmitzte, jungenhafte Gastgeber wie in dem Film aus den 80er Jahren. Doch wie sein Apartment war auch er älter geworden, inzwischen sichtlich gezeichnet von einer Krebserkrankung, die 44

ihm seit längerem zu Schaffen machte. Das alles wusste ich schon, bevor ich selbst in der Wohnung stand, die Veränderungen des Apartments und seines Bewohners hatte ich über die Jahre in Georges Video-Diaries beobachten können, einer Video­serie, in der er seit 1985 in unzähligen Arbeiten sein Leben dokumentierte, seine Freunde, seine Kollegen und Studenten und eben auch seine Wohnung. Als er 1985 seine Videokarriere begann, war George Kuchar bereits eine feste Größe in der US-amerikanischen Underground- und Avantgarde-Filmszene. Seit den späten 50er Jahren hatte er, zunächst mit seinem Zwillingsbruder Mike, auf 8 und 16mm Film die Prototypen des Camp Cinema gedreht: schrille Hommagen an das Genrekino Hollywoods, besetzt mit Schulfreunden und Verwandten, inszeniert in der elterlichen Mietwohnung in der Bronx, mit dickem Make-up, exaltierten Performances und knalligen Titeln – etwa A Lust For Ecstasy, Pussy On A Hot Tin Roof oder Hold Me While I’m Naked (Foto). In den 70er Jahren zog er von New York nach San Francisco, lehrte am Art Institute und drehte weiter

Filme, immer wieder in Zusammenarbeit mit Curt McDowell, dem queeren UndergroundPornographen, für den er auch das Drehbuch zum Klassiker Thundercrack! schrieb. Als McDowell, sein Student und Liebhaber, an HIV/Aids erkrankte, dokumentierte George dessen letzten Tage in Video Album 5/The Thursday People. Mit dem Camcorder trat in Kuchars Arbeit das Dokumentarische in den Vordergrund, auch wenn er an „Realität“ nicht sonderlich interessiert war. Doch statt wie in seinen Filmen seine persönlichen Obsessionen und Dramen in Fiktion zu überführen, fand er mit Video einen Weg, seinen Alltag unmittelbarer zu dramatisieren. Seine Faszination für Wetterphänomene zum Beispiel verarbeitete er in der Weather Diary-Serie, die seine jährlichen Urlaube im TornadoStaat Oklahoma dokumentiert und idiosynkratische Naturbeobachtungen mit intimsten Details von Georges Psyche und Verdauung verknüpft. Sein Blick war der eines liebevollen Voyeurs, George filmte aus der Sicherheit seines Apartments, seines Motelzimmers, versteckt hinter Fenstern, und schrieb sich selbst in jedes einzelne Bild seiner Diaries ein – sei es als Protagonist, wenn er die Kamera am ausgestreckten Arm auf sich selbst richtet, oder als Erzähler, der mit humorvollen Kommentaren aus dem Off den improvisierten roten Faden seiner „pictures“ spinnt. Sein letztes Tornado-Video, Hot Spell, drehte er im Mai 2011, es sollte sein letztes Video überhaupt bleiben. Einen Monat nach meinem Besuch unterzog er sich im Krankenhaus einer Behandlung und kehrte nicht wieder in sein Apartment zurück. Am 6. September starb George Kuchar in einem Hospiz in San Francisco. Er hinterlässt eine überbordende Film- und Videographie, mehr als 300 Titel, eine Schatztruhe voll schmerzhaft intimer, wundervoll verrückter, bombastischer No-Budget-Produktionen, einen der persönlichsten Kinoentwürfe in der Geschichte des Mediums. s


profil

Ronja, Sindbad, Bruno’s von A x el Neustä d t er

s Als 1988 der erste Bruno’s-Store in Berlin eröffnete, herrschte Aufbruchstimmung in der schwulen Subkultur. Erasure landeten mit „ A little Respect“ einen Welthit, in der DDR wurde der Homo-Paragraph 151 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, John Waters feierte mit Hairspray seinen ersten Erfolg im Mainstream-Kino. Und ich war zehn Jahre alt und fristete ein kindliches Dasein in einem Vorort von Hannover. Das Erotischste, was meine heimische Mediensammlung damals zu bieten hatte, war eine Illustration in „Ronja Räubertochter“, die die Räuber zeigte, wie sie splitternackt in den Schnee stürmten, um sich den Muff des Winters abzuwaschen. Und dann war da noch die Sindbad-Platte von Eterna, die mir meine Großtante aus Greifswald mitgebracht hatte, und auf der der Titelheld den aufregenden Satz aussprach: „Am Strand begegnete mir eine Schar nackter Männer“. Meine sehr bewusste und von heimlicher Sinnlichkeit geprägte Wahrnehmung dieser unbedarft drauflos gekritzelten, beziehungsweise dahingesagten Skizzierungen entblößter Männlichkeit ist für mich bis heute der lebendige Beweis dafür, dass kindliche Sexualität weder unterschätzt, noch tabuisiert werden sollte. Wie ich wohl reagiert hätte, wenn man mich damals in jenen Laden mit dem kuscheligen Namen „Bruno’s“ geführt hätte, der über und über mit Memorabilia angefüllt war, die die maskuline Blöße in all ihren Erscheinungsformen präsentierte? Ich werde es nie erfahren. Der Laden sollte noch zweimal den Standort wechseln und zwölf Jahre Entwicklung durchlaufen, bis ihm das erste Mal die Ehre meines Besuches zuteilwurde. Zu der Zeit machte ich eine Journalistenausbildung in Hamburg und war mit meinem ersten festen Freund für ein Wochenende zu Gast in Berlin. Wir landeten am Nollendorfplatz. Und damit bei Bruno’s. Das gehörte dazu, das war schwul und der Laden atmete diese sexuelle Übersteuerung, die Berlin

anderen deutschen Städten ohnehin voraushatte. Dem entsprechend kauften wir Cockringe (die billigen aus Gummi), Kondome und Gleitgel. Das war’s. Kein Gedanke an Bücher, die ohnehin zu teuer waren, kein Gedanke an Videos, mit denen es sich genauso verhielt. Abgesehen davon, dass deren praktischer Nutzen für uns gleich Null gewesen wäre. Wir waren ja nicht zum Lesen oder Fernsehen in die Hauptstadt gekommen. Zwei Jahre später war meine Ausbildung vorbei. Die Beziehung auch. Also zog ich um. Nach Berlin. Nicht nach Schöneberg, sondern nach Friedrichshain, aber ich war trotzdem oft im Homokiez am Nollendorfplatz unterwegs. Einer nostalgischen Eingebung folgend, machte ich es zur Gewohnheit, Kondome und Gleitgel weiter bei Bruno’s zu kaufen. Gleichzeitig wurde es zum Hobby, mir unbekannte Homo-Spielfilme auf blauen Dunst zu erstehen. Diese Wundertütenkäufe führten dazu, dass ich mich durch Homo-Trash wie das Cazzo-Softcoredrama Gefangen, die grottige Schönlingsserie Dante’s Cove oder Eating Out quälte. Sie hatten aber auch unerwartete Entdeckungen zur Folge. Gaël Morels wundervolle Milieustudie Le Clan zum Beispiel, deren Schlusskapitel mich immer wieder zum Heulen bringt. Oder L’Homme de sa Vie, ein Film, den ich eigentlich nur mitnahm, weil mich das Weizenfeld auf dem Cover an jene Kindertage mit Sindbad und Ronja erinnerte, in denen ich im Sommer durch die Felder zum Freibad radelte, der mich in seiner existenzialistischen Atmosphäre dann aber dermaßen berührte, dass ich seitdem nicht wage, ihn ein zweites Mal zu gucken, aus Angst, er könnte mir nicht mehr gefallen. Ohne meine Besuche am Nollendorfplatz hätte ich diese Filme gar nicht kennengelernt. Genausowenig wie die Pornos, die ich mir im Laufe der Jahre ausgeliehen habe (in der Hardcore-Variante war Gefangen alias Eingelocht nämlich doch gar nicht schlecht). Zwischendurch bringt mich der Laden sogar dazu, mich selbst neu kennenzulernen.

bruno’s

Seit über 20 Jahren gibt es die Ladenkette Bruno’s schon. Autor Axel Neustädter hat nur die Hälfte ihrer Entwicklung mitbekommen. Ein Leben „ohne“ kann er sich trotzdem nicht mehr vorstellen.

Vor einem Jahr habe ich mir bei „Bruno’s“ zum ersten Mal eine Unterhose gekauft. So ein stylischer Jock aus dunkelgrünem Rippstoff mit abgesetzten Nähten. So was gab’s da früher gar nicht. War ein ganz ungewohntes Gefühl, in der weiß-blauen Tüte neben Kondomen und Gleitgel mal keine DVD, sondern ein Kleidungsstück rumzutragen. So wie es auch ein komisches Gefühl war, mit dem neuen, stylischen Jock das erste Mal zu einer Underwearparty zu gehen. Irgendwie fühlte ich mich total overdressed. Aber halt nur beim ersten Mal. Inzwischen ist das Ding eingetragen und zum Lieblingsteil in meiner Unterwäschekiste avanciert. Vielleicht kann man diese Entwicklung mit meinem Verhältnis zu „Bruno’s“ vergleichen. Wenn ich dahingehe, passt das irgendwie. Es ist immer ein vertrautes Gefühl dabei. Dieses Gefühl habe ich auch in den Filialen im Prenzlauer Berg, in Köln, München und Hamburg, am Nollendorfplatz ist es aber am stärksten. Mit dem Laden sind mittlerweile viele persönliche Geschichten verbunden. Er ist quasi meine eingetragene Unterhose. s Axel Neustädter hat mehrere Bücher in der „Lover Boys“-Serie (Bruno-Gmünder-Verlag) veröffentlicht. Zuletzt sind erschienen „Ungeniert umgepolt“ (2010), „Unkeusche Klosterschüler“ (2010) und „Durchtriebene Schulschwänzer“ (2011). Im Dezember erscheint „Nachts im Sportinternat“.

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Auch das noch …

Stefan Neuberger

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Fünf schlaflose Ritter aus der Extremadura sind die Titelhelden des ersten Langspielfilms von Stefan Butzmühlen („Nach Klara“) und Cristina Diz, der 2012 ins Kino kommt.


Gute Filme für den Winter. FjeLLeT – der berg

The Four-Faced Liar – Liebe FindeT ihren Weg

von Ole Giæver · Norwegen 2011, 70 Minuten Seit Vetle, der fünfjährige Sohn von Nora und Solveig, bei einer Bergtour ums Leben kam, lastet die Trauer über seinen Tod auf ihrer Beziehung. Um das Trauma zu überwinden, begeben sich die Frauen zwei Jahre später auf eine Wanderung zum Unglücksort. Solveig hofft auf einen Selbstfindungsprozess, doch je näher sie dem Berggipfel kommen, desto auswegloser scheint ihre Beziehung dem Ende entgegenzutreiben. „Von atemberaubender Schönheit!“ (kino-zeit.de)

L-ShorTS – die VierTe neue lesbische Kurzfilme Zwei Damen in der Paartherapie, ein pikantes Geburtstagsgeschenk, eine Sprayerin, die mit der Politesse flirtet, die heißeste Hotline des PC-Fachhandels und mindestens zwei Möglichkeiten der DildoVerwertung: Das alles und noch viel mehr in sieben weiteren L-SHORTS.

von Jacob Chase · USA 2010, 87 Minuten Hippe 20-Somethings im New Yorker West Village treffen sich im „Four Faced Liar“. Das ist auch die Stammkneipe von Bridget (die ihre weiblichen One-Night-Stands nach Wochentagen benennt), ihrem Mitbewohner Trip und seiner Freundin Chloe. Als Greg und Molly dazu stoßen, kommt Bewegung in die Clique: Trip und Greg werden Kumpels, Molly und Bridget überraschend ein Paar. Eine tragikkomische Großstadtromanze nimmt ihren Lauf.

„Nachdenkliche, überwiegend aber sehr humorvolle Geschichten aus dem lesbischen Leben.“ (Siegessäule)

STadT Land FLuSS

ein Sommer der Liebe

SaScha

von Benjamin Cantu · Deutschland 2011, 83 Minuten

von Edwin Oyarce · Chile 2010, 107 Minuten

von Dennis Todorovic · Deutschland 2010, 101 Minuten

Marko ist Auszubildender in einem großen Agrarbetrieb. Als eines Tages Jacob, ein neuer Praktikant, im Betrieb auftaucht, wagt sich Marko langsam aus der Rolle des Außenseiters heraus. Zwischen Möhrenwaschen, Kälberfüttern und Traktorfahren werden verstohlene Blicke gewechselt und nach einem Ausflug nach Berlin ist nichts mehr wie zuvor. „STADT LAND FLUSS ist ein erstaunlicher und ein sehr schöner Film.“ (perlentaucher) „Das ist die zärtlichste, schönste und intimste Liebesgeschichte, die es dieses Jahr zu sehen gibt. Man kommt so nah an diese große erste Liebe ran, das es einem das Herz brechen kann!“ (Männer)

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Diego trifft nach seinen ehemaligen Schulfreund Sebastian und schnell werden sie wieder unzertrennlich, flüchten gemeinsam vor ihren Familien, kiffen die Nachmittage durch und erzählen sich ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Bald fragt man sich, wann die beiden sich eingestehen, dass sie mehr als nur Freunde für einen Sommer sind … Wo hört Freundschaft auf, wo fängt Liebe an? Regisseur Edwin Oyarce steigert die Spannung, die in dieser Frage liegt, in seinem charmanten Spielfilm bis ins Unermessliche!

Das Leben kann verdammt kompliziert sein! Erst recht, wenn man neunzehn, schwul und heimlich in seinen Klavierlehrer verliebt ist, während einen die Mutter schon für eine Musikerkarriere und der Vater für die Familienrückkehr nach Montenegro verplant hat. Sascha muss endlich ein paar wichtige Entscheidungen treffen. „Deutsches Kino, das sich was traut!“ (Player) „Entwaffnend charmant und urkomisch!“ (SWR)


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