SISSY zwanzig – Magazin für den nicht-heterosexuellen Film

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Magazin für den nicht-heterosexuellen Film Ausgabe zwanzig · Dezember 2013 bis Februar 2014 · kostenlos

Zwei Kapitel Blau: Dominante Küsserei  s  Hot Tub: Kanadischer geht es nicht  s  Familie als Versuchssystem: Sommer voller Glücksmomente Kurzfilmfragen: Dreh bei gutem Wetter  s  Flanell und Blümchen: Besessen von K.D. Lang  s  Erziehung: Joggen ist wie ein Gebet  s  Prediger und Indianer: Gipfel der Gottesfurcht  s  Kölner Traumcontainer: Am Bluteis verschluckt  s  Zwei mal Beat: Verkörpert und leibhaftig  s  Frau oder Tier: Warten auf den Biss  s  Ein Mann namens Ärger: Oma knows halt best  s  Vogelschreie: Brief an einen getarnten Dichter  s  Zellteilung: Krieg in der Küchenspüle  s  Erregungspotential: Schnaps ist Schnaps!  s  Pokerrunde: Benzin und Streichholz  s  Voller Liebe: Nur nichts beschönigen s  s


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vorspann

Sissy zwanzig Zwanzig Ausgaben in fünf Jahren! Und wir finden immer noch, dass das nicht-heterosexuelle Kino ein publizistisches Thema ist. Lange ist es nicht her, als ein Ozpetek-Film über zwei schwule Brüder noch mit einem 80-seitigen Presseheft erschien, in dem nicht einmal das Wort „homosexuell“ stand, und den Journalisten empfohlen wurde, das als bürgerliches Wohlfühlkino zu vermitteln. (Was es ja auch war.) Die deutsche Filmkritik muss sich neuerdings mit cruisenden Männern (Der Fremde am See) und sieben-minütigen Lesben-Sexszenen (Blau ist eine warme Farbe) auf internationalen A-Festivals, sogar im deutschen Kino auseinandersetzen, was oft zu wunderbaren Ergebnissen führt. Zum Beispiel Rüdiger Suchsland, der in seiner „artechock“Kritik zum Fremden am See, nachdem er 90 Minuten den Anblick nackter schwuler Männer, die Sex haben, überstanden hat, im Film einen „kritischen Blick auf freie Sexualität und libertäre Lebensformen“ ausmacht, sogar einen „versteckten Puritanismus.“ Warum sich Regisseur und Hauptdarstellerinnen von Blau ist eine warme Farbe darum bemühen, ihren Film unter keinen Umständen als lesbisch, vielmehr als eine „universelle Liebesgeschichte“ zu verkaufen, konnte Manuela Kay in der L-Mag mit der simplen Frage ad absurdum führen: „Wie lächerlich ist es zu behaupten, eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen sei nicht lesbisch?“ Herzlich gelacht haben wir alle über einen Queer-Cinema-Überblicksartikel in der „epd Film“, der die „neue Normalität“ (sprich: das gerne zukünftig zu IgnorieGewöhnlich sportliche Bäuche in „Jenseits der Mauern“ rende) von queeren Aspekte im Film mit dem Argument belegen wollte, dass in Filmen wie Jenseits der Mauern und Keep The Lights On keine „stilisierten, sondern normale Männer mit flacher Brust und einem bestenfalls gewöhnlich sportlichen Bauch gezeigt“ würden – „ein Trend, der im Lesbenfilm teilweise schon früher zu erkennen war.“ Solange solche Stilblüten noch für die Unsicherheiten im Umgang mit mindestens 70 Jahren Queer-Cinema-Tradition stehen, macht die SISSY lustig weiter.

EDITION SALZGEBER

TITELBILD: EDITION SALZGEBER

Um die 20. Ausgabe etwas zu feiern, haben wir uns übrigens ein kleines Redaktionsporträt in drei Regalen erlaubt. Auch damit: Viel Spaß!

Titelbild: „Bambi" von Sébastien Lifshitz (Seite 30)

Wenn Sie SISSY kostenlos abonnieren möchten: E-Mail an abo@sissymag.de SISSY 20     3


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unsere dvd -regale

Jan Künemund, Redaktion

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Jan Nurja, Vertrieb

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Johann Peter Werth, Grafik

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Farbverläufe VON BA R BA R A SCH W E I Z E R HOF

Während Menschen in westeuropäischen Ländern gegen die rechtliche Gleichstellung von sexuellen Minderheiten auf die Straße gingen, machten sowohl im Wettbewerb der Berlinale („Im Namen des …“, s. Seite 16; „Vic + Flo haben einen Bären gesehen“), als auch in Cannes drei Monate später Filme auf sich aufmerksam, die expliziten nicht-heterosexuellen Sex zeigten. Die Cruising-Fantasie „Der Fremde am See“ (SISSY 19) erhielt dort den Regiepreis der Sektion Un Certain Regard, Abdellatif Kechiches Drama einer lesbischen Beziehung, „Blau ist eine warme Farbe“, gewann sogar den Wettbewerb. Ab dem 19. Dezember kann man dem vieldimensionalen Aufsehen, für das dieser Film gesorgt hat, in den deutschen Kinos nachspüren.

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s Heute klingt es altmodisch, wenn man über jemand sagt, er/sie besitze „das gewisse Etwas“. Vielleicht gerade deshalb scheint der Ausdruck so passend, um die Ausstrahlung der 17-jährigen Schülerin zu beschreiben, die man in den ersten Bildern von Blau ist eine warme Farbe aus dem Haus gehen sieht. Da ist zum einen ihre keineswegs ‚ladylike‘ Aufmachung: die Haare trägt sie unordentlich aufgesteckt, ihre Hosen sind modisch eng, doch die Schuhe dazu praktisch flach, die übergezogene Jacke wirkt jungenhaft. Dazu läuft sie mitten auf der Straße, und in einem Moment, in dem sie sich vollkommen unbeobachtet wähnt, zieht sie sich schnell die Jeans am Hintern zurecht. Ihren Schritten glaubt man Selbständigkeit, Autonomie und Ernsthaftigkeit anzumerken. So eine träumt nicht davon, Topmodel zu werden. Eingeführte Etikettierungen wie „cool“ und „sexy“ treffen es auch nicht. Aber unbestritten verfügt diese Adèle (Adèle Echarchopoulos) über ein „gewisses Etwas“. Denn vor allem ist da ihr Gesicht, ebenfalls mit Attributen wie „schön“ und „apart“ nur unzulänglich beschrieben. Mit mädchenhaft runden Wangen und einem oft leicht geöffneten Schmollmund strahlt sie etwas Naives aus, etwas, das ihr rastloser, unentwegt auf Erkundung gehender Blick aber konterkariert. Und es ist dieser Blick, der den Zuschauer in seinen Bann nimmt – die ganzen nächsten 174 Minuten lang. Diese Augen, die Unsicherheit verraten, aber auch brennen können mit Bestimmtheit und Gefühl, die oft ins Abseits driften und permanent auf der Suche scheinen. Blau ist eine warme Farbe besteht zu einem überwältigenden Anteil aus Aufnahmen des Gesichts von Adèle; immer wieder sieht man sie durch Menschenmengen und -ansammlungen gehen, wobei die Kamera sich ganz auf sie konzentriert. Man beobachtet, wie sie beobachtet, mitlacht, mitmacht und wieder und wieder, auf sich 8     SISSY 20

selbst zurückfallend, wegschaut. Eine junge Frau mitten im Leben. La vie d’Adèle: Chapitre 1 & 2 benannte Abdellatif Kechiche seine Verfilmung von Julie Marohs Graphic Novel „Le bleu est une couleur chaude“. Es heißt, es sei seine Begeisterung für die junge Schauspielerin Adèle Exarchopoulos gewesen, die dazu geführt habe, dass aus der Clementine benannten Heldin in Marohs Original im Film eine Adèle wurde. Und der Zusatz „Kapitel 1 & 2“ verweist gewissermaßen auf die Lebenszeit, die hier in den Blick genommen wird: Erzählt wird von Adèles letzten Monaten auf dem Lycée und den ersten Jahren ihrer Ausbildung. Es handelt sich um eine Zeit, in der vor allem ein Thema das Gefühlsleben von Adèle dominiert: ihre Liebe zu Emma (Léa Seydoux). Emma ist es, die die Farbe Blau in den Film einführt. Mit ihren kurzen, blauen Haaren nämlich fällt sie eines Tages Adèle ins Auge, als diese gerade unterwegs zu ihrem ersten Date mit einem Jungen ist. Blaue Haare sind nicht das einzig Auffallende an Emma: Sie läuft in zärtlicher Verbindung Arm in Arm mit einer anderen Frau. Beides scheint auf Adèle eine Art Signalwirkung zu haben – sie, die sich sonst so forschen Schrittes durch die Stadt bewegt, kommt plötzlich ins Stolpern, gerät aus dem Konzept. Etwas ist passiert. Was genau passiert ist, wird Adèle erst nach und nach herausfinden. Zunächst gibt es da das Date mit dem Jungen, der ihretwegen bereit ist, sich durch Marivaux’ Roman „La vie de Marianne“ zu quälen. Doch in der Nacht nach dem ersten Kuss mit ihm durchkreuzt ein blauer Haarschopf Adèles Masturbationsfantasien. Später, nach dem ersten richtigen Sex mit ihm, muss sie dem Jungen eingestehen, dass sie nicht in ihn verliebt ist. Frustrierende Erfahrungen häufen sich: Eine Mitschülerin, bezeichnenderweise mit

blau lackierten Fingernägeln, verführt Adèle zu einem heimlichen Kuss, doch als sie diesen mit Leidenschaft erwidern will, wird sie abgewiesen. Eines Abends begleitet Adèle ihren besten Freund in eine Schwulenbar. Der Anblick all der küssenden Männer unter sich scheint sie wie in einen Bann zu ziehen, unter dessen Wirkung sie schließlich weiterwandert in eine Lesbenbar. Und dort sitzt sie schon, als habe sie nur auf sie gewartet: die Frau mit den blauen Haaren, die sich ihr bald als Emma vorstellt. Blau ist eine warme Farbe gleicht inhaltlich einem ganz gewöhnlichen Jugendroman, der von einer éducation sentimentale handelt. Es geht um erste Erfahrungen mit der Liebe, physisch wie psychisch, um das Kennenlernen des eigenen Herzens wie des eigenen Körpers. Der dramatische Bogen folgt den Stadien der ersten großen Liebe: dem Einschlag, den sie verursacht, dem vitalisierenden, Grenzen überwindenden Glück, das folgt, den leisen Enttäuschungen, die sich mit der Zeit der Gewöhnung einschleichen, und schließlich dem großen Schmerz, als es zu Ende ist. Um es einmal ohne jede Ironie zu sagen: Die Länge ist eine der stärksten Seiten dieses Films. Denn sie ermöglicht, dass hier nicht nur der glückliche Aufstieg, sondern auch der lang währende, schmerzhafte Niedergang einer großen Liebe zur vollen Geltung kommt. In Blau ist eine warme Farbe ist genug Zeit, um etwa auch noch das erste Treffen nach dem Schlussmachen zu zeigen, jenes, bei dem eine Seite immer noch auf Versöhnung hofft, während die andere mit Unwohlsein eingesteht, dass es da noch Gefühle gibt. Und selbst dem endgültigen emotionalen Abschied räumt der Film noch genügend Platz ein: jenem weiteren Wiedersehen, irgendwann später, wenn man mit Erleichterung feststellt, dass es nicht mehr schmerzt. Es ist gerade diese Coda, in der Adèle sich dem Zuschauer gleichsam entpuppt. In der letzten Sequenz verlässt sie eine Vernissage, allein, aber nicht unglücklich. Sie trägt ein blaues Kleid, stakst selbstbewusst auf hohen Absätzen davon, immer noch nicht „ladylike“, aber autonom wie nie. Der Bekannte, der ihr nachlaufen will, läuft in die falsche Richtung. Wie gesagt: Es ist schön, dass es mal jemand so ausführlich erzählt. Hinzukommt das „Wie“. Wie kaum ein anderer Film vor ihm, erzählt Blau ist eine warme Farbe vom sinnlichen Erleben mit den Mitteln und den Zeichen der Sinnlichkeit. Die Nähe der Kamera zu seiner Protagonistin hat zeitweise fast etwas Bedrängendes. Gefühlte neunzig Prozent des Films spiegelt sich alles Drama unmittelbar im Gesicht von Adèle, samt wirren Haarsträhnen, Tränen und Rotz. Ganz wichtig dabei ist ihr Mund. Wie


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überhaupt Kechiche über die Nahaufnahme von Mündern seinem Film Struktur verleiht. Am Anfang sieht man etwa Adèle mit ihren Eltern beim Spaghetti-Essen – und das genau in den Blick genommene Schlürfen und Saugen und Besteckablecken erzählt etwas über den ungezwungenen Umgang der Familie. Auch später im Film werden immer wieder Spaghetti von hungrigen Mündern geschlürft. Die Essszenen (irgendwann gibt es auch Austern) dienen in klassischer Weise als Vorspiel und gehen über in Kussszenen. Das Küssen bildet in diesem Film eine Art Leitmotiv: Wo immer Adèle hinkommt, sei es in der Schule, auf der Demo oder später in den Schwulen- und Lesbenbars und auf den Partys im Kunstmilieu, fällt ihr Blick auf küssende Menschen. Es ist wie eine ständige Herausforderung, sich zur Intimität zu bekennen. Im Grunde ist die häufige Küsserei dominanter als jene langen und ausführlichen Sexszenen, die dem Film seinen etwas notorischen Ruf einbrachten. Um letztere ist eine eigene Diskussion entstanden, wie sie die Darstellung von Sex im Arthousefilm oft provoziert. Ob Kechiche hier in erster Linie den männlichen Blick bedient und ob den Aufnahmen damit etwas Pornographisches anhaftet, muss vielleicht jeder Zuschauer und jede Zuschauerin für sich selbst entscheiden. Eine gut begründete, abgewogene Beobachtung dazu hat die Autorin der Vorlage, die 28-jährige Comic-Zeichnerin Julie Maroh, in ihrem Blog (www.juliemaroh.com) unmittelbar nach der Premiere des Films in Cannes abgeben. Man muss im Übrigen ihrem Urteil über die „pornografische Kälte“ der Darstellung nicht unbedingt zustimmen, um ihre Bemerkung über den Mangel an realer lesbischer Erfahrung am Set ernst zu nehmen. Marohs (und weiterer Filmkritikerinnen) Einwände sind wichtige Anstöße zum kritischen Hinschauen – und zum Hinterfra-

gen jener Rahmenbedingungen der Kinobranche, in denen vor allem heterosexuelle Darsteller und Regisseure mit homosexuellen Themen Erfolg zu haben scheinen. So überzeugend und einnehmend Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux in ihren Rollen sind, fragt man sich doch, ob es purer Zufall ist, dass im Fall von Blau ist eine warme Farbe zwei heterosexuelle Frauen Furore machen mit der Darstellung lesbischer Liebe. Oder liegt darin nicht doch ein Entgegenkommen an das heterosexuelle Publikum, das sich einfach „sicherer“ fühlt, wenn, verbrieft durch die Heterosexualität der Schauspielerinnen, auf der Leinwand eben nur so getan wird, als ob? Der Interviewkrieg, der auf der Pressetour zwischen den Schauspielerinnen und Regisseur Kechiche losbrach, hat mit solchen Fragen aber nur am Rande etwas zu tun. Dass vor allem Léa Seydoux ihre Erfahrungen am Set als „horrible“ bezeichnet und weitere Crewmitglieder sich über Arbeitsklima und Überstunden beklagten, führte dazu, dass Kechiche ebenfalls auszuteilen begann und zwischendurch sogar damit drohte, den Film gar nicht herauszubringen. Doch weder Seydoux noch Exarchopoulos werfen Kechiche vor, sie zu Pornozwecken missbraucht zu haben. Um zurück zum Film zu kommen: So ungewohnt in ihrer Länge und Deutlichkeit besagte Sexszenen auch sind, bilden sie letztlich doch nur einen von vielen Bausteinen, mit denen Kechiche jenes den ganzen Film bestimmende Gefühl von Unmittelbarkeit, Intimität und Sinnlichkeit erzeugt. Man versteht, das es den Schauspielerinnen viel abverlangt haben muss, sich gleich in mehrfacher Hinsicht so nackt und bloß zu zeigen. Das sexuelle Erwachen aber, von dem der Film handelt, geht über die mehr oder weniger gymnastischen Bettszenen weit hinaus. Sinnlichkeit manifestiert sich, wie gesagt,

auch in all den gezeigten Kussszenen und in der Nähe, in der die Kamera stets auf die Gesichter hält, die hier so ungeschützt wie nie wirken. So wird von der Debatte über Sexszenen noch ein weiterer Aspekt unverdienter Maßen in den Hintergrund gedrängt: Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, als ob Kechiche mit dem Insistieren auf Intimität das gesellschaftliche Ganze aus dem Auge verliere. Wer genauer hinschaut, wird jedoch entdecken, wie kunstvoll und organisch Kechiche die aktuellen sozialen Themen in sein sinnliches Mosaik einbaut. Da gibt es zum einen die Fülle der genau gesetzten literarischen Verweise: bei dem historischen Roman „La princesse de Clèves“, über den Adèles Abitursklasse am Anfang des Films diskutiert, etwa handelt es sich um ein Symbolwerk der französischen Hochschulbewegung gegen Sarkozy. Mit der Ernsthaftigkeit, mit der Kechiche seine Helden über Marivaux und Sartre reden lässt, verankert er sie in einer ganz bestimmten intellektuellen Tradition. Die Demonstrationen, an denen Adèle teilnimmt, sind ebenso mit Bedacht gesetzt. Und selbst wenn Kechiche das Multikulturelle und die Vielfarbigkeit seines Handlungsorts Lille in seinen scheinbar beiläufigen Aufnahmen ein wenig zu sehr feiert, so behält er die in Frankreich stark wirkenden Klassenunterschiede doch fest im Blick. Besonders die beiden Abende, die Emma und Adèle zu Besuch bei ihren jeweiligen Eltern verbringen, sind in dieser Hinsicht ein Lehrstück über die französische Gesellschaft und ihre feinen Unterschiede. Mehr als alles andere ist es dieser Sinn fürs wahrhafte Detail, der einen als Zuschauer am Ende, wenn Adèle im blauen Kleid einem neuen Lebenskapitel entgegenschreitet, eine filmische Fortsetzung, „Kapitel 3 & 4“ herbeiwünschen lässt. s

Blau ist eine warme Farbe von Abdellatif Kechiche FR 2013, 179 Minuten, deutsche SF und französische OmU Alamode Film, 3 www.alamodefilm.de Im Kino ab 19. Dezember 2013, 3 www.blauisteinewarmefarbe.de

Blau ist eine warme Farbe von Julie Maroh Graphic Novel, 160 Seiten, Splitter Verlag, 3 www.splitter-verlag.eu

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EINE ANDERE ATEMLOSIGKEIT VON F R ITZ G Ö T T L E R

2007 lief „Die Zeugen“ von André Téchiné im Wettbewerb der Berlinale. Aids ist ein Thema, 1984 in Frankreich, aber vor allem geht es um das Glück einer Gemeinschaft, prekär und bedroht, von Téchiné tänzerisch leicht in Bewegung versetzt. Michel Blanc, Sami Bouajila, Julie Depardieu und Emmanuelle Béart spielen die verzauberten Zeugen der Geschichte von Manu, dem Johan Libérau eine spektakuläre körperliche Präsenz und eine eigene Geschwindigkeit gibt. Zum Welt-Aidstag im Dezember in der Gay-Filmnacht, kurz danach endlich auf DVD.

Die Zeugen von André Téchiné FR 2007, 110 Minuten, französische OF mit deutschen UT Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de Im Kino in der Gay-Filmnacht im Dezember, 3 www.Gay-Filmnacht.de

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s Julie mag das Foto nicht, das von ihr bei ihrem Bruder Manu am Bett steht. Da schau ich aus, sagt sie, wie eine Blinde. Es gibt eine schöne Koketterie zwischen den beiden, sie hat ein Zimmer in einem Stundenhotel in Paris und darf dort auch üben, sie will Opernsängerin werden, ein Apartment können sie sich nicht leisten. Wie seh ich aus, fragt Manu, als er unvermutet bei der Schwester auftaucht, und fährt sich kurz durch die schwarzen Haare, grinsend. Immer noch so narzisstisch, meint Julie. Wenn er spät nachts zurückkommt und sich auszieht, schwitzend und müde von Freunden und Liebhabern, liegt ein Hauch von Keuschheit und Erregung über dem Zimmer. Ist das dir unangenehm, fragt er Julie, wenn du mich nackt siehst? Er hat noch nie mit einem Mädchen geschlafen. Blockaden Les beaux jours heißt der erste Teil des Films, die schönen Tage, Sommer 1984. Ein Paar kriegt ein erstes Kind, Sarah und Mehdi (Emmanuelle Béart, Sami Bouajila). Der Mann ist bei der Sittenpolizei, die Frau schreibt Kinderbücher, nun aber, als sie sich an einem Erwachsenenbuch versucht, hat sie einen writer’s block. Sie gestehen einander alle Freiheiten zu. Ihr Freund Adrien (Michel Blanc) ist Klinikarzt, ein Mann im besten Alter, homosexuell, er verliebt sich in Manu, aber der hält ihn auf Distanz. Plötzlich aber steckt Manu in einer intensiven Beziehung mit Mehdi, dem strengen, steifen Sittenwächter, der sein Vaterglück genießt. Mit somnambuler Sicherheit bewegt sich Manu auf den dunklen Pfaden im Gay-Quartier unter dem Eiffelturm. Als Adrien ihn direkt anspricht, macht er ihm überhaupt keine Hoffnungen, aber dann läuft er ihm nach, damit Adrien seine Jacke hält, wenn er sich mit anderen Jungs einlässt. Adrien setzt sich auf eine Bank, verwirrt, aber nicht verletzt.


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Sie sind dann doch viel zusammen und glücklich dabei, Manu und Adrien, durch Paris gleitend, auf einem Bateau-mouche. Manu steigt lässig über die Stange, die den Fahrgastbereich abschließt, er geht ein Stück weiter auf das Deck, setzt sich hin und hebt den Kopf gegen die Sonne. Adrien, dem er zuwinkt es ihm gleichzutun, bleibt an der Stange stehen, wie es sich gehört. Manu kennt keine Grenzen, keine abgesonderten Bereiche, in den heißen Nächten überquert er gern die Straße und bezaubert mit seinem Lächeln die Nutten auf der anderen Seite. Keiner filmt den Sommer so intensiv, mit solchen Glücksmomenten wie André Téchiné. Süchtigkeit nach Licht und Wärme, nach Körperlichkeit und Gemeinsamkeit und oft nach dem offenen Meer dringt aus den Bildern in seinen Filmen. Die Menschen müssen die Augen schließen vor lauter Glück. Es ist existentielles Glück, das auch das Glück ist vor dem Zusammenbruch, dem Nichts. Eine der schönsten Sommersequenzen, wenn Sarah im Ferienhaus im Süden den Hang hinunter eilt, um die Freunde zu begrüßen, im gelben Kleid zwischen den gelben Büschen, unterwegs ganz für sich, träumerisch, hinter ihr die Leere, die Weite des Meeres, mehr zu ahnen als zu sehen. Es gibt sie zweimal diese Einstellung, im ersten und im zweiten Sommer. Eine Passage von Camus, aus „Noces/Hochzeit des Lichts“, 1938: „Ich liebe dieses Leben von ganzem Herzen und will frei von ihm reden: ich danke ihm den Stolz, ein Mensch zu sein. Und doch hat man mich oft genug gefragt, worauf ich denn so stolz sei. Worauf? Auf diese Sonne und dieses Meer, auf mein von Jugend überströmendes Herz, auf meinen salzigen Leib und diese unermessliche Pracht aus Glanz und Glück, aus Gelb und Blau. Ich muss all meine Kräfte aufbieten, um dieser Fülle standzuhalten …“ Die Geschichte eines Neuankömmlings. Manu, der aus den Bergen kommt, den Bergler nennt ihn Adrien ironisch, liebevoll. Er verkörpert die Lebenslust, die Sinnlichkeit, er kocht und bäckt, führt Adrien die Hände, wenn er einen dünnen Teig in eine Form legt. Das bedeute das Intime mit dem Kollektiven vereinen, sagt Téchiné von seiner Arbeit als Filmemacher. Manu, das ist ein Glück, das nicht auf einzelne Partner fixiert ist. Der Neuankömmling ist auch Eindringling. Er bringt Beziehungen durcheinander, Balancen ins Schwanken, stört das Gleichgewicht. Aber schafft dadurch eine alle umfassende Intimität. Der Winter ist Krieg Dies ist einer der wenigen Filme, die aus dem Auftauchen von Aids, aus dem Schock, der Verzweiflung, der Wut der ersten Monate mit der Krankheit keine Tragödie machen. Es gibt keine einzige dramatische oder desperate, keine melodramatische Szene. Gelassen sieht man immer wieder, sommers wie winters, ein Bateau-mouche auf der Seine passieren, gleichgültig, vorübergehend, passager ist der französische Ausdruck. Der Narzissmus, den Johan Libéreau als Manu entwickelt, ist hinreißend, es steckt keine Spur von Überheblichkeit oder Schuld darin. Manu ist burschikos, trägt immer die gleichen bürgerlich karierten Hemden, und in seinem spontanen Lachen steckt immer ein kleiner Zug Naserümpfen. Eine Kunst der Hemdsärmeligkeit. „Man darf diese Körper nicht fetischisieren“, schrieb Serge Daney zu Téchinés Film Rendezvous, und das gilt aufs Komma auch für die Zeugen, „sondern es gilt die Geschwindigkeit zu würdigen, derer sie fähig sind, dieses Tempo, das sie schon in sich tragen … Es ist wie eine Dokumentation über diese Elans, diese abgebremsten Startversuche, diese erworbenen Tempi … Diese Körper sind nicht manipuliert, sie bewegen sich einfach mit verschiedenen Geschwindigkeiten.“ Keine Spur von Manipulation, dafür überall eine unglaubliche Diskretion. Michel Blanc, wie er lässig elegant unter den jungen Strichern herumstreicht, ist wie von einer anderen, einer ganz eige-

nen Welt, und ist doch ganz ihnen zugeneigt. Eine merkwürdige Omnipräsenz, als Arzt, als Eingeweihter. Wenn er gegen Aids in die Schlacht zieht, ist er wie Napoleon, da steckt etwas Königliches, auch fast Göttliches in ihm. La guerre heißt der zweite Teil des Films, Winter ’84/’85. In dem Moment, da Manu mit seiner Krankheit körperlich verfällt, erscheint er wie ein Erlöser, von einer zärtlichen, einer traurigen Gestalt, und sein Jünger Adrien wird zum treuen Sancho. Lernen allein zu sein, sagt André Téchiné, das ist ein großes Abenteuer heutzutage, ein Widerstand gegen den gesellschaftlichen Druck, die Repression. Das ist so kühn und bedeutend, wie ein Paar zu bilden. Und ich finde es schade, dass vom Wort Einsamkeit sich so schmerzensreiche Implikationen herleiten. Ich glaube, in dieser Geschichte verstehen Figuren wie Julie oder Adrien allein zu sein – und das ist eine Stärke, eine Öffnung, das ist überhaupt nicht trist. Mimosen pflanzen Téchiné mag keine exzessiven, obsessiven Momente, von Erinnerungen niedergedrückt. Bruder und Schwester filmt er gern, das sind die Beziehungen, die am produktivsten sind, am utopischsten und am gewagtesten, manchmal. Einer, der lernt für zwei zu leben. Es steckt eine Menge Familiensinn in diesen Filmen, Familien als Versuchssysteme, von den Müttern offen gehalten auf die Zukunft hin. Du pflanzst Blumen im Winter, fragt Sarah erstaunt die Mutter, als sie in der Schaffens- und Liebeskrise – Mehdis Affäre! Hat er sich bei seinem Lover infiziert? – nach Hause fährt. Ja, sagt die Mutter, das ist die beste Zeit. Ich dachte erst an Mimosen. Aber sie sind so fragil. Sarah kommt nicht klar damit, dass sie nun Mutter ist, sie schottet sich ab und stülpt sich sogar Kopfhörer über, wenn sie auf ihrer Schreibmaschine hämmert, damit das Baby sie nicht stört mit seinem Geschrei. Sie wird Manus Geschichte schreiben, als Zeugnis, für sich: Le nouveau venu.

Ein eigenes kleines Requiem, ein Gottesdienst auf offener Bühne, aber ganz privat und intim Das ist Kunst, sagt Sarah zur Sängerin Julie bewundernd, aber nein, sagt Julie, das ist keine Kunst, das ist Sport. Die Stimme ist ein Muskel. Man kann das Singen lehren, die Vokale, und trotzdem muss man weiter an Rimbauds Verse von den Vokalen denken, wie die Laute und die Stimme zusammenhängen mit dem Denken und dem Leben. Am Ende gehört der Film ganz Julie, die von Julie Depardieu mit schöner Klarheit gespielt wird. Sie hofft nicht auf eine Karriere, sondern auf eine feste Stelle, wird dafür nach München gehen. Wenn sie die Arie der Barbarina singt, nach der Trauerfeier für den Bruder, das ist wie ein eigenes kleines Requiem, ein Gottesdienst auf offener Bühne, aber ganz privat und intim, und Adrien sitzt im Publikum und versteht das genau. Mich interessiert, sagt André Téchiné, wenn eine Figur sich aufrecht hält und ihren Schatten wirft, und dass sie in unbegreiflicher Bewegung ist, wie im wirklichen Leben. Es ist eine andere Atemlosigkeit in seinen Filmen als jene, die die Nouvelle Vague provozierte und propagierte. Der Tod ist keine Lösung, hat er Fritz Lang zitiert im Zusammenhang mit den Zeugen, der berühmte Satz aus Le Mépris, dem legendären Sommerfilm Godards. Dem Tode nahe, verliert Manu, wie der alte Fritz Lang, auch die Kraft zu sehen. Nur das grelle Licht der Sonne bleibt, bei einem Spaziergang mit Adrien. Die Wahrheit der Sonne, noch einmal Camus, die auch die Wahrheit meines Todes sein wird. s

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QUEERE FILMEMACHER. UNTER ANDEREM. Der Januar steht endlich einmal wieder im Zeichen des queeren Kurzfilms. Sowohl die L- wie auch die Gay-Filmnacht bringen Programme mit knackigen Shorts aus den letzten Jahren in über zwanzig Kinos. Für die SISSY ist das ein Anlass, stellvertretend bei den jungen Filmemachern Petra Clever („The Mermaids“) und Stéphane Riethauser („Prora“) etwas über die besonderen Produktionsbedingungen für queere Filme in Erfahrung zu bringen – und darüber, wie es ist, seine Karriere als FilmemacherIn ausgerechnet mit einem queeren Film zu beginnen.

NISCHENFILME MIT ZORRINA Sechs Fragen an Petra Clever Regisseurin Petra Clever und die Kamerafrau Karola Keller haben nach diversen Erfahrungen im TV-Bereich die Produktionsfirma „Sistas Inspiration“ gegründet, um Filme mit lesbischen Geschichten zu erzählen. Nach dem Festivalerfolg „Lady Pochoir“ haben sie nun mit der Komödie „The Mermaids“ eine Hommage an die Sportund Highschool-Filme der 1980er Jahre realisiert. Ihre Heldin ist ein weiblicher Nerd mit Schwerpunktinteresse Mathematik, der sich plötzlich in einer American-Football-Mannschaft und damit in einem durchaus körperbetonten lesbischen Umfeld wiederfindet.

sissy: Wie genau funktioniert „Sistas Inspiration“? Wer steckt dahinter? Petra Clever: Mit „Sistas Inspiration“ realisieren wir, also meine Frau Karola und ich, neben unserer Arbeit bei Film und Fernsehen unsere eigenen, persönlichen Projekte und engagieren dafür weitere Kolleginnen, mit denen es eine Übereinkunft gibt, was den Look und den Ton der Filme angeht. Klar, manche KollegInnen nennen das „Nischenfilme“, aber wir bekommen andererseits auch viel positive Resonanz, Unterstützung und Hilfe. Wir finanzieren alles selbst, haben aber den neuesten Film auch mit Crowdfunding abgesichert. Wie beurteilt ihr die Situation queerer Filme aktuell? Wo seht ihr euch in diesem Kontext? Ich finde es schön, dass immer mehr queere Filme und Serien entstehen und durchaus ein größeres Publikum finden. Vor allem die Vielfalt begeistert mich, Coming-Out-Filme, persönliche Dramen, Familienfilme, aber 12     SISSY 20

eben auch bunte Komödien – Angela Robinson hat sogar gerade ein Musical gedreht, glaube ich. Wir Sistas würden gerne verschiedene Genres ausprobieren, eine Robina Hood zum Beispiel oder eine Zorrina … Aber so lange das für uns zu teuer ist, bleibt das leider vorläufig die Spielwiese von Till Schweiger und Bully Herbig. Auch „The Mermaids“ ist ein Genre-Film. Wie kamt ihr darauf, eine Highschool-Sportkomödie zu machen? Die Idee hatten wir, als wir auf dem CSD in Köln die Falconets entdeckt haben, die Frauenmannschaft der Cologne Falcons. Nachdem wir die Mädchen in ihrer Montur gesehen haben, waren wir uns sofort einig, dass wir eine American-Football-Komödie machen wollten und haben der Mannschaft unser Konzept vorgestellt. Sie haben sofort zugesagt und Teammitglied Mira Herold hat die Hauptrolle der Karo übernommen. Wo liegt für euch die Queerness in euren Filmen? Wir finden unsere Filme durchaus politisch. Wir versuchen, Figuren zum Leben zu erwecken, die Rollenvorbilder für junge Mädchen und Frauen sein können. Selbstbestimmte Figuren, oder solche, die es lernen. Das ist für uns das Wichtigste: dass wir eine Selbstverständlichkeit darin vermitteln, queer zu sein. Erzähl doch mal kurz, was es mit eurem Projekt „LESgenden“ auf sich hat … Die LESgenden entwickeln wir zusammen mit dem Onlinemagazin „phenomenelle.de“. Es geht dabei um die Geschichten von vor allem älteren lesbischen Frauen, die gesellschaftlich etwas bewegt haben. Wir wollen so viele dieser Geschichten wie möglich dokumentieren und damit auch vor dem Vergessen bewahren, lesbische Kultur sichtbar machen.

Und der neue Film? Happy End?! ist genauso entstanden wie die Filme davor: Man steht mit zittrigen Knien am ersten Drehtag am Set und hofft, dass es irgendwie ein Film wird, der einen magischen Funken sprühen lässt. Durch das Crowdfunding ist auch mehr Druck da: Wir wollen natürlich die Menschen, die uns unterstützt haben, unter keinen Umständen enttäuschen. Aber ich denke, wir sind alle über uns hinausgewachsen. Und gutes Wetter hatten wir zum Glück auch!

sistasinspiration.com

SCHÖNHEIT AN EINEM HÄSSLICHEN ORT Fünf Fragen an Stéphane Riethauser Der Schweizer Filmemacher hat unter dem Label „Lambda Prod.“ mit „Prora“ seinen ersten eigenen Kurzspielfilm entwickelt. Die Geschichte eines Coming-of-Age-Moments zwischen zwei Freunden im historischen „Seebad Prora“ auf Rügen war für einen Kurzfilm ungewöhnlich erfolgreich: „Prora“ lief auf über 100 Festivals zwischen China und den USA, gewann fünfzehn Preise und wird mittlerweile in Schulen zum Thema sexuelle Selbstfindung und Homophobie eingesetzt.

sissy: Wer oder was ist „Lambda Prod.“, die Produktionsfirma von „Prora“? Stéphane Riethauser: „Lambda Prod.“ bin nur ich und mein Computer. Das Team suche ich mir immer projektbezogen aus, davor hatte ich zwei Dokumentarfilme über Künstler gemacht, demnächst soll es wieder ein Spielfilm werden. Unterstützung habe ich für Prora von öffentlichen Förderern in der


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Schweiz bekommen – queere Themen sind da eigentlich kein Problem mehr. Es ist eher der Sex in allen Formen, also die Sexszenen, die die Unterstützer und offiziellen Behörden oft noch erschrecken. Was das queere Thema angeht, erzählt „Prora“ ja eigentlich eine bekannte Geschichte: Zwei Jungs fragen sich, ob sie mehr für einander empfinden als nur Freundschaft. Warum wolltest du diese klassische Erzählung variieren bzw. neu erzählen? Ob schwul oder nicht, viele Filmemacher erzählen in ihrem ersten Film von der Entdeckung der Sexualität. Ich denke, ich erzähle nichts Neues, es ist aber einfach mein Beitrag zu einem Thema, das mich seit Jahren beschäftigt. Ich wollte eine Geschichte übers Erwachsenwerden erzählen, welche die Männlichkeit in Frage stellt, sowie individuelle und gesellschaftliche Tabu-Themen ans Licht bringt. Die besondere Kulisse gibt auch dieser einfachen, klassischen Geschichte eine kraftvolle Perspektive. Wie bist du auf diese Kulisse, also diese von den Nazis errichtete Ferienanlage, gekommen? Ich saß schon am Drehbuch, als ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über Prora las und ein spektakuläres Foto sah und beschloss, dass das die perfekte Kulisse wäre. Proras unendliche Größe erlaubte grandiose kinematographische Möglichkeiten, und seine massive Architektur sowie seine Geschichte hatten starke symbolische Kraft. Ich habe erst drei Monate recherchiert und geschrieben, dann bin ich hingefahren und war sehr beeindruckt, es war Winter, alles war grau, eigentlich furchtbar. Schließlich konnten wir dort in drei verschiedenen Blocks mit Erlaubnis privater Eigentümer und des Bundes ohne weiteres drehen.

Wie hast du das Gigantische der Anlage und die Sensitivität der Geschichte ausbalanciert? Ich wollte schon einige klassische Kinobilder produzieren, da ich keine Filmschule besucht habe, es war für mich so wie eine Art Abschlussfilm. Ich bin ziemlich instinktiv rangegangen, und der Kameramann Marcus Winterbauer hat mir mit seiner Erfahrung sehr geholfen. Ich habe versucht, Schönheit an einem hässlichen und fürchterlichen Ort zu zeigen. Für mich ist die Prora-Anlage der dritte Darsteller des Films. Aufgrund ihrer kantigen, schweren und bedrückenden Architektur ist sie ein spannender Gegensatz zu den zerbrechlichen Gefühlen der Protagonisten. Die Schauspieler haben die Dialoge teilweise improvisiert, denn es ging mir nicht um die Genauigkeit des Textes, sondern um die Genauigkeit des Gefühls, und ich denke, sie haben einen tollen Job gemacht. Beim Schnitt habe ich dann viel Text rausgelassen, da ich merkte, dass die Blicke der Jungen auch ohne Worte was erzählten und die Spannung ihrer Beziehung reichte. Ich wollte nah ans Herz der Protagonisten gehen, aber auch der Geschichte etwas Episches geben. Was ist dein nächstes Projekt? Ich entwickle im Moment meinen ersten langen Spielfilm. Es dauert. Ich möchte, dass alles schneller ginge. Inhaltlich werde ich mich weiter mit queeren und Gender-Themen beschäftigen. Da gibt es noch so viel zu erzählen … Vor dem Label „queerer Filmemacher“ habe ich keine Angst. Ich bin schwul und erzähle Geschichten aus meiner Perspektive. Und ich bin Filmemacher. Und noch vieles andere.

Die Filme der L-Kurzfilmnacht im Januar: Flyer von Laura Terruso, US 2011, kein Dialog Anti-Aging Erna von Levin Hübner, DE 2012, dt. OV The Mermaids von Petra Clever, DE 2012, dt. OV Bus Pass von Narissa Lee, US 2010, eng. OmU Mann mit Bart von Mathias Vergels, DE 2010, dt. OV Frischluft-Therapie 2 von Christoph Scheermann, DE 2012, dt. OV Jungesellinnen von Anna Linke, DE 2012, dt. OV Nice Shirt von Erik Gernand, USA 2011, eng. OmU Yulia von Antoine Arditti, FR 2009 3 www.L-Filmnacht.de

Die Filme der Gay-Kurzfilmnacht im Januar: 52 von Josh Levi, CA 2010, eng. OmU) Alle werden von Piet Baumgartner, CH 2011, dt. OV The Wilding Grant Scicluna, AU 2011, eng. OmU Suikertrip Sia Hernandez, NL 2011, holl. OmU Prora Stéphane Riethauser, CH 2012, dt./frz. OmU Yeah, Kowalski Ewan Roberts, US 2012, eng. OmU Kiss me soflty Anthony Schatteman, NL 2010, holl. OmU 3 www.Gay-Filmnacht.de

www.riethauser.com www.prora-themovie.com SISSY 20     13


kino Cloudburst von Thom Fitzgerald US 2013, 93 Minuten, englische OF mit deutschen UT Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de Im Kino in der L-Filmnacht im Februar, 3 www.L-Filmnacht.de

Hand an Hemdzipfel VON M A I K E H A N K

36 Festivalpreise sprechen eine deutliche Sprache: Thom Fitzgeralds Tragikomödie über zwei kratzbürstige ältere Damen (Olympia Dukakis und Brenda Fricker), die sich nicht ins Altersheim abschieben lassen, sondern einen Umweg in die selbstbestimmte Freiheit nehmen, ist sicherlich der Film der Herzen aus den letzten Queerfilmfestival-Jahrgängen. Soviel zerknitterter Glamour war selten. 14     SISSY 20


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s „Wenn du das Glück hast, einen perfekten Tag zu erleben, lass ihn nicht los, male ein Bild davon.“ In Cloudburst legt der schwule amerikanische Regisseur Thom Fitzgerald (The Hanging Garden, 3 Needles) diese Worte seiner Figur Stella in den Mund und es scheint, als hätte er aus ebendiesem Grund auch seinen Film gemacht. Kitschig? Nicht, wenn man weiß, dass Stella ihre Aussage mit einer derben Penis-Metapher beendet. Stella und Dotty, gespielt von den wundervollen Oscar-Preisträgerinnen Olympia Dukakis (Moonstruck) und Brenda Fricker (My Left Foot) sind seit mehr als drei Jahrzehnten ein Liebespaar und bewohnen im US-Bundesstaat Maine ein kleines Haus auf dem Land. Stella spricht schnodderig, kleidet sich wie ein Farmer und beschreibt der weicheren Dotty, die im Blümchenkleid vor dem Fernseher sitzt, die Welt, denn Dotty ist blind. Es ist toll, wie die beiden zusammen sind: Hand an Hemdzipfel stapfen sie zum nahegelegenen Strand, stehen dort im Sonnenuntergang, wo Stella Vergleiche für die Farben des Himmels findet und ihrer Freundin die Formen einzelner Wolken beschreibt. Später liegen sie gemeinsam im Bett, während ein Lesben-Amateurporno läuft, den Stella an der Tankstelle gekauft hat, wo es mittlerweile ein ganzes Regal dafür gibt, denn schließlich sind Männer die eigentliche Zielgruppe. Lachend blödeln die Frauen mit einem Vibrator herum und wirken sehr glücklich miteinander. Bis Dotty aus dem Bett stürzt und sich das Steißbein bricht: „Die Ärzte haben gesagt, es wird sechs Wochen dauern, bis du mir wieder den Arsch küssen kannst!“ Weil sie um Dottys Gesundheit bangt und ein Auge auf das Haus geworfen hat, sorgt ihre konservative Enkelin Molly mit Hilfe eines Betrugs dafür, dass diese in ein Altersheim gebracht wird – und ahnt nicht, dass sie so nicht nur eine Freundschaft, sondern eine Liebesbeziehung zerstört. Aufgrund ihrer eingeschränkten Weltsicht hält sie lesbische Frauen in ihrem Umfeld für unmöglich und macht sich in schrillem Tonfall lustig, als jemand sie über die Liebe zwischen den beiden Frauen aufzuklären versucht: „Dotty ist meine Großmutter, sie hat meine Mutter zur Welt gebracht. Unter heterosexuellen Umständen!“ Als sie daraufhin in Erwägung zieht, dass immerhin Stella lesbisch sein könnte, bricht sie verzweifelt in Tränen aus. Um mit Dotty in Zukunft wieder ungestört zusammen sein zu können, entführt Stella ihre Lebensgefährtin aus dem Altersheim und unterbreitet ihr einen Vorschlag: „Ich habe diese TV-Show gesehen. Rosie O’Donnell nahm einen Haufen Lesben mit auf Vergnügungsfahrt nach Nova Scotia. Dann hat das Rudel dort geheiratet!“ Ihre Reise nach Kanada beginnt. Der Tarnung wegen nehmen die beiden Frauen den erstbesten Anhalter mit, der am Straßenrand steht: den Stripper Prentice, mit dem Regisseur Thom Fitzgerald sicherlich Brad Pitts Rolle als J.D. in Thelma und Louise zitiert, Prentice aber weitaus aufreizender inszeniert, indem er ihn mit offenem Hemd und unter den Hüftknochen hängenden Jeans ausstattet und vor allem die große Bühne des restlichen Films gibt. Prentice hat seine eigene Geschichte, und mit ihm als Gegenüber lernen wir Stella und Dotty besser kennen. So wird während des Road Trips, der viel Landschaft, Prentices Eltern, kanadischen Zoll, Menschen in Pubs und Institutionen erzählt, deutlich, dass die Rollen unter den beiden Frauen gar nicht so klar verteilt sind. Stella ist weicher und emotionaler, Dotty selbstbewusster und rationaler als zu Beginn angenommen. Stella ist die mit den großen Liebeserklärungen, Dotty hält eigentlich gar nichts vom Verheiratetsein, sie war es schließlich schon einmal. Oft genug weist sie Stella zurecht oder amüsiert sich über sie, und ausgerechnet die zotige Stella verhält sich beim Anblick von Prentices blankem Hintern wie ein verlegener Teenager. Nackt sind in Cloudburst nur die Männer, und über Sex und alles, was dazu gehört, wird ausschließlich gesprochen – das allerdings sehr direkt. Einen Höhepunkt stellt hier sicherlich jener Dialog dar, in dem Stella einem fremden Mann schwärmerisch erklärt, was das für sie wundervolle Wort „Cunt“ (Fotze) alles bedeutet, wie sie deren

Beschaffenheit liebt, was sie gegen Jungfräulichkeit hat, und dass „Vagina“ allenfalls klingt wie eine Krankheit. Welch großartige Filmszene! Man möchte sie sofort allen Frauen und noch dringender allen heterosexuellen Männern vorspielen. Diese Direktheit ist aber nicht nur amüsant, sie bewahrt den Film auch davor, zu kitschig zu werden. Es hat tatsächlich Methode, dass auf jeden emotional anrührenden Moment sofort eine kleine Provokation folgt – selbst nach dem einzigen Kuss, liebevoll inszeniert inmitten eines Wolkenbruchs. Regisseur Fitzgerald lässt keinen Zweifel daran, dass die beiden älteren Frauen tatsächlich Sex miteinander haben. Dabei ist eine solche Liebesbeziehung in Filmen nicht gerade ein geläufiger Topos, was laut Darstellerin Olympia Dukakis (Stella), die hier mit 80 ihre erste Hauptrolle spielte und von Fitzgerald zu Recht als Muse bezeichnet wird, jedoch keine moralische Entscheidung, sondern vielmehr eine des Marktes sei, denn Hollywood interessiere sich nun mal nur dafür, was Geld einspiele. Cloudburst ist sicherlich kein Blockbuster, aber ein außergewöhnlicher Festivalerfolg. Er hatte im Herbst 2011 auf dem kleinen Atlantic Film Festival im kanadischen Halifax seine Weltpremiere. Ein Ort, an den Thom Fitzgerald gezogen war, um dort seinen Abschluss zu machen, und wo bereits im Jahr zuvor sein gleichnamiges Theaterstück gefeiert wurde. Der Film gewann in Halifax zwei Preise – unter anderem den des Publikums. Ein Heimspiel, könnte man meinen. Doch Cloudburst erhielt seither bereits 36 Auszeichnungen – und zwar nicht nur auf LGBT-Festivals. Dieser große Erfolg, auch außerhalb der Community, liegt gewiss daran, dass die Liebesgeschichte von Dotty und Stella als solche im Vordergrund steht und der Film ganz generelle Fragen aufwirft: Wie verändert sich die Liebe füreinander im Laufe der Jahre oder gar Jahrzehnte? Wie schwierig ist es, für seinen Partner oder seine Partnerin im Alter Verantwortung zu übernehmen? Wann muss ich Aufgaben abgeben? Wer kann helfen, wenn die Unterstützung der Familie nicht da ist? Wie fühlt sich die Freiheit an, plötzlich heiraten zu können, was jahrelang nicht möglich war?

„Du bist besessen von K.D. Lang!“ Der Film ist jedoch nicht wirklich politisch. Nur sachte übt Thom Fitzgerald Kritik daran, dass die Ehe in den USA nicht in jedem Bundesstaat für alle möglich ist. Eine Tatsache, die nicht viel mehr ist als der Katalysator für die Handlung. Auch Diskriminierung ist kein großes Thema. Die beiden Frauen erfahren fast überall Zuspruch, lediglich die weltfremde Molly stellt sich den beiden in den Weg, wirkt aber mit ihrer Homophobie fast wie eine Karikatur. Obwohl Thom Fitzgerald in Cloudburst Klischees reproduziert, sind diese voller Selbstironie. Er macht sich mit Zuneigung über seine Hauptfiguren lustig, aber macht sie niemals lächerlich. Stella hört zum Beispiel mit Vorliebe Musik von K.D. Lang, was Dotty trocken kommentiert: „Du bist besessen von ihr. Du willst sie. Vielleicht solltest du K.D. Lang heiraten.“ Und oft genug bricht Thom Fitzgerald auch mit den Klischees: Wer traut schon einem Stripper zu, dass er im Sonnenaufgang am Flussufer ungelenke Tai-Chi-Übungen macht? Eine Ausgewogenheit, die ebenfalls dazu beiträgt, ein breites Publikum anzusprechen, und dem Film so seinen Weg in die Mainstream-Kinos ebnet. Cloudburst ist ein Roadmovie, das entspannt und gekonnt rhythmisiert eine Geschichte über Liebe und Verbundenheit erzählt. Mit seinen Hauptfiguren wäre man nur zu gerne befreundet und würde sich gegenseitig Wolkenbilder am Himmel zeigen. Zuletzt sei noch erwähnt, dass sich Stella für Prentice ein ganz besonders schönes Wort ausgesucht hat: Sissy! s SISSY 20     15


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CHRONIK EINES SOMMERS VON U L R ICH K R I E ST

Der Film „W Imie …“ („Im Namen des …“) der polnischen Filmemacherin Małgorzata Szumowska erzählt vom Leben in der polnischen Provinz, von Einsamkeit und Sehnsucht, von Coming-Outs – und wie einiges routiniert unter den Teppich gekehrt wird. Er tut dies mit genauem Blick und auf eine Art und Weise, die beim Zuschauer bestimmte Erwartungen weckt und dann doch durch erstaunliche Wendungen überrascht. Eine stete Abfolge filmischer Vexierbilder, nicht ganz unironisch mit christlicher Ikonografie spielend. „Im Namen des …“ wurde u.a. mit dem Teddy für den Besten Spielfilm, den Jurypreis der Hamburger Lesbisch Schwulen Filmtage und den Großen Preis des Internationalen Frauenfilmfestivals ausgezeichnet.

I Hot Fun in the Summertime. Eine Gruppe Kinder und Jugendlicher vergnügt sich mit einem halbnackten Erwachsenen bei dümmlichen Macho-Imponier-Spielchen. Ein junger Mann, offenbar mit Behinderung, steht gutmütig lächelnd daneben. Plötzlich werden die Kinder ihm gegenüber erst ausfällig, dann körperlich aggressiv. Er kann sich nicht wehren. Kurz darauf: halbnackte junge Männer beim Fußballspiel. Auch hier ist schnell körperliche Gewalt im Spiel. Es wird geflucht, gepöbelt und geboxt. Männlichkeitsrituale, Hackordnungen. Eine unangenehme Atmosphäre: Zum allgegenwärtigen Alkohol gesellt sich später auch noch ein nicht nur unterschwelliger Antisemitismus. Hier, wo der Film spielt, scheint Polen noch ein gutes Stück von der Moderne entfernt. Polen? Einerseits ja, andererseits verweisen die Aufdrucke einiger Kleidungsstücke der Jugendlichen („Bulls“) und auch die prominent eingesetzte Musik der US-Indie-Rock-Band „Band of Horses“ darauf, dass die Geschichte sehr wohl mit allgemeingültigem Anspruch auftritt.

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II Der Priester Adam (schlicht großartig: Andrzej Chyra) und der Sozialarbeiter Michal leiten ein Camp für delinquente Jugendliche. Mit harter Hand und freundlichem Verständnis. Good Cop und Bad Cop. Michal diszipliniert die Jungen mit harter Hand und Gebrüll, während Adam eher zurückhaltend am Rande steht und das Gespräch sucht. Er ist ein Beobachter, freundlich, immer etwas auf Distanz bedacht. Wenn gefeiert wird, bleibt Adam lieber nüchtern. Wer ihn aber beim Joggen beobachtet, könnte auf die Idee kommen, dass der Mann vor etwas davon läuft. Doch dagegen spricht vorerst seine gütige, freundliche Ausstrahlung, die ihn bei den Jugendlichen beliebt macht. Später im Film wird höheren Orts von den außerordentlichen pädagogischen Erfolgen Adams noch geschwärmt werden. Völlig uneitel sei er zudem. III Was für eine paradiesische Szene! Diesmal hat Ewa (Maja Ostaszewska) keine Schlange im Gepäck, sondern nur zwei Gläser Eingemachtes, aber ihre Frage ist vergleichbar drängend wie damals – und auch gereizt, leicht aggressiv: Was, bitteschön, hat Adam von Warschau hier her, an den Arsch der Welt, verschlagen? Muss ja wohl ne Strafe für ihn sein, oder? Nein, nein, solche Versetzungen sind normal, gehören zur Ethik des Ordens, versichert

Adam sanft. Nichts Neues für Ewa, denn deren Mann Michal war ja schließlich auch mal bei dem Orden, hat ihn aber verlassen, weil er „es“ nicht geregelt bekam. Wegen ihr, Ewa. Das klingt nicht nur latent provozierend, doch Adams Blick geht scheinbar ins Leere. Er hat eine Auseinandersetzung im Hof wahrgenommen und schreitet ein. Ewas Worte stehen im Raum, als Adam nach draußen eilt. Mit einem Schwenk folgt die Kamera Adams Bewegung und nimmt mit einem weiteren Schwenk das Geschehen im Hof durch das Fenster in den Blick. Adam schlichtet den Streit und kehrt ins Haus zurück: „Ewa?“ Ewa sitzt in seinem Schlafzimmer auf dem Bett, jetzt halbnackt. „Komm!“ Er nähert sich ihr, setzt sich dann allerdings auf den Stuhl gegenüber, erschöpft. „Du findest mich nicht attraktiv!“ – „Doch, aber ich bin bereits vergeben.“ Das hätte sie sich ja auch denken können – bei einem Priester. Doch das Thema ist längst nicht vom Tisch: In der nächsten Szene diskutieren ein paar Jungs über Adams Sexualität. Vielleicht denke der ja gar nicht ans Ficken, habe ganz andere Hobbys. Schließlich habe er ja sein Herz der Kirche gegeben. Okay, aber was ist mit dem Körper? Vielleicht ficke er ja die Hirsche, wenn er durch den Wald jogge. Gleich darauf nimmt Adam einem seiner Jugendlichen die Beichte ab. Grovy hat im Verlauf einer Party einen Fremden betrunken oral befriedigt und fürchtet nichts mehr, als dass dies herauskommt. Adam weist ihn auf das Beichtgeheimnis hin und fordert ihn auf, jeden Tag eine Stunde zu joggen. Das sei wie ein Gebet. Die Luft wird allmählich dünn. IV Im Rahmen einer Predigt erzählt Adam, wie er einst zur Kirche fand. Es ist nicht die übliche Biografie des Ministranten, der anschließend Theologie studiert und in kirchlichen Kreisen verkehrt. Adam erzählt, dass er eines Tages, als er allein war, die Präsenz seines kurz zuvor verstorbenen Vaters derart substantiell erfuhr, dass er fortan bewusst in die Kirche ging. Er sei damals 21 Jahre alt gewesen und habe plötzlich gewusst, dass er sein Leben ändern müsse, um seine Seele zu retten. Ihm sei klar geworden, dass seine Selbstsucht ein Gefängnis gewesen sei und er sich daraus befreien müsse. So gäbe es in jedem Menschen einen Punkt, der unschuldig und frei von Sünde sei. Während dieser nachdenklichen, fast schon philosophischen Predigt scheint Adam in sich hinein zu horchen, um die richtigen Worte zu finden. Die Kamera mustert derweil den Kirchenraum und regisSISSY 20     17


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Im Namen des … von Małgorzata Szumowska PL 2012, 96 Minuten, polnische OF mit deutschen UT Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de

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Im Kino in der Gay-Filmnacht im Februar, 3 www.Gay-Filmnacht.de

triert die Wirkung seiner Worte in den Gesichtern der Gläubigen. Ewa blickt versonnen, Michal dagegen scheint geradezu empört. Und dann ist da noch der junge Lukasz (Mateusz Kosciukiewicz), der mit seiner Familie in der Nähe wohnt, als Brandstifter auffällig geworden ist und deshalb als Heimschläfer zum Camp gehört. Er, selbst ein Außenseiter, begegnet Adams Worten mit unverhohlener Zärtlichkeit, ahnt eine Seelenverwandtschaft. Vielleicht ist ihm auch nur aufgefallen, dass Adam sagte: „Als ich allein war.“ V Höchst atmosphärisch fügt Szumowska die einzelnen Puzzleteilchen aneinander, bis sich beinahe ein stimmiges Bild ergibt. Doch braucht es noch eine Figur, die die immanenten Widersprüche der Figuren zuspitzt und dynamisiert. Der geheimnisvolle Adrian (Tomasz Schuchardt), kräftig, mit blondierten Haaren, cool bis hin zur Arroganz, ist eine regelrechte Pasolini-Figur, ein dramaturgisches Scharnier. Adrian verfügt über ein Wissen, das ihn instinktiv Dinge durchschauen lässt. Und er offenbart dieses Wissen, indem er provozierende Blicke aussendet oder auf Blicke provozierend reagiert. Szumowska inszeniert den Kampf um den Blick als regelrechte Choreografie einer ménage à trois, wenn Adam aus dem Fenster dabei zuschaut, wie Adrian seinen Platz in der Rangordnung der Jugendgruppe durch Armdrücken bestimmt. Adrian blickt ihn dabei provozierend an, während Adam leicht amüsiert scheint. Es ist Lukasz, der in dieser Szene als Fensterputzer agiert, der Adam zunächst die Sicht nimmt, bevor er im Wortsinne für Durchblick sorgt. Die wortlose Rivalität zwischen Lukasz und Adrian kulminiert in einer handgreiflichen Auseinandersetzung, als Adrian öffentlich macht, dass Adam eine „alte Schwuchtel“ ist. Zu diesem Zeitpunkt hat Adam allerdings längst die Fassung verloren. Als er Hilfe sucht, findet er kein Gehör. Seiner Schwester, die im Ausland lebt, ist er zu betrunken – und ein Priester ist nicht zu sprechen, weil die Kirche gerade gereinigt wird. Wäre es nicht so furchtbar, man müsste lachen. VI Das Geschehen eskaliert dann binnen weniger Filmminuten: Adrian verführt den sensiblen Grovy und arrangiert diese Verführung so, dass Adam Zeuge wird. Grovy bringt sich um – und Adam beginnt wieder mit dem Saufen. Der Priester fällt aus seiner Rolle: „Glaubt ihr, Christus war an irgendetwas anderem interessiert als an sich selbst?“, fragt er eine Gruppe von Jugendlichen, die ihn fassungs18     SISSY 20

los und verunsichert anstarren. Mühsam nur macht er daraus dann einen Witz für Dummköpfe. Das „Outing“ steht als Menetekel an der Wand, rot hingesprayt. Es ist dann Michal, der einst das Priesterseminar verließ, weil er sich in Ewa verliebt hatte, der Adam beim Bischof denunziert. Wer von der atmosphärischen Grundierung des Films ausgehend jetzt mit einer Wiedervorlage der „Jagdszenen in Niederbayern“ rechnet, wird allerdings gleich mehrfach überrascht werden. Als Adam und Lukasz einmal gemeinsam einen Markt besuchen, werden sie zwar durch kollektive Blicke stigmatisiert, aber gerade diese Blicke befreien Adam aus dem Gefängnis der steten Selbstverleugnung. Auf der Rückfahrt kann er sich Lukasz endlich öffnen und hingeben. Natürlich werden sie beobachtet – zur Musik von „Some broken hearts never mend“. Mit dem Alter fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren. VII Im Namen des …, auf der Berlinale 2013 mit dem Teddy-Award ausgezeichnet, hat in konservativen Kirchenkreisen Polens schon für Proteststürme gesorgt, dabei ist der Film als Kritik an der Kirche keinesfalls polemisch, sondern eher zurückhaltend. Szumowska erzählt zunächst einmal ganz allgemein von der Sehnsucht des Menschen nach Zuwendung und erst in zweiter Linie von der Einsamkeit im Zölibat. Der Film ist kein Pamphlet und auch kein Plädoyer, sondern eher eine Fallstudie mit Anspruch auf Verallgemeinerung. Immer wieder findet der Film prägnante Bilder (Kamera: Michal Englert, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat) für Adams Einsamkeit, wenn sich die Kamera nach oben schraubt und ihn in der Natur isoliert zeigt. Doch gerade seine Verzweiflung, sein Hadern, sein mühsames Ringen um die Selbstverleugnung, verleiht ihm eine Verletzlichkeit, die sein Charisma als Priester ausmacht. Am Ende wird der Fall „Adam“ routiniert abgewickelt werden: Der Priester wird ein weiteres Mal versetzt und bleibt als böses Gerücht seiner Gemeinde in Erinnerung. Doch Polen ist nicht allzu groß – und diesmal hat es nur noch zu 60 Kilometern gelangt. Eine Entfernung, die für Lukasz kein Problem darstellt. Doch der Film ist längst viel zu komplex in der ästhetischen Durchdringung seiner Problematik, um auf ein Happy End der Zweisamkeit hinauszulaufen. Vielmehr mündet er in einer Pointe, die aus dem Bildinventar des Horror-Genres stammt. Man könnte sagen, hier hat sich jemand ein Beispiel genommen. Aber man könnte auch sagen, hier wird ein Problem wider besseres Wissen auf Dauer gestellt. s


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WÄRMEQUELLEN VON J E S SIC A E L L EN

Hier wird ganz schön was aufgefahren: Yuppies, die von der Immobilienkrise überrascht werden, Immigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, jugendliche Abnabelungs- und lesbische Emanzipationsprozesse. Aber eigentlich geht es nur um Margarita. Und die ist so heiß, dass der gleichnamige Film zu keinem Zeitpunkt vor lauter Problemen kalte Füße bekommt. Nach „Finn’s Girl“ der neue Spielfilm von Dominique Cardona und Laurie Colbert. EDITION SALZGEBER

s „Wow, was für ein Prachtweib!“ denkt die geneigte Zuschauerin schon nach den ersten Minuten des kanadischen Films vom Regieduo Dominique Cardona und Laurie Colbert. Schön, klug, selbstbewusst und patent ist diese mexikanische Lesbe, die es irgendwie statt ins näher liegende, sonnige Kalifornien ins kalte Ontario verschlagen hat. Sie aalt sich mit Freundinnen in einem dampfenden Hot Tub – einer riesigen Außenbadewanne – und schmust mit ihrer Liebsten, der etwas bindungsscheuen Jurastudentin Jane. Kanadischer geht es nicht. Am liebsten möchte frau gleich mitbaden. Doch schon bald wird das Idyll jäh unterbrochen. Die Familie, für die Margarita als Hausangestellte arbeitet, kommt vorzeitig vom Wochenendausflug zurück. Anders als erwartet, sind Gail, Ben und die vierzehnjährige Mali aber nicht etwa empört, Margarita im Bade vorzufinden, sondern entschuldigen sich, ihr das Wochenende verdorben zu haben – Margarita, das wird schnell klar, ist mehr als eine Nanny der Tochter, sie ist der gute Geist der Familie, dem bewusst ist, dass er mehr kann, als den Familienalltag am laufen zu halten. Dabei ist Margarita keine gute Fee, kein Phantasiewesen, sondern eine durchaus sinnliche Frau aus Fleisch und Blut, selbst wenn alle sie für ersteres zu halten scheinen. „Ich bin nicht Mary Poppins“, sagt sie an einer Stelle. Wunderbar – denke ich. Endlich mal wieder ein Film, in dem das Lesbischsein der Protagonistin nicht das Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit ist. Aber das heißt natürlich nicht, dass eine Frau wie Margarita, besonders als mexikanische Immigrantin in Kanada, keine Probleme hätte. Ganz im Gegenteil: Ihre Arbeitgeber

Gail und Ben haben sich nie um eine Aufenthaltserlaubnis für sie bemüht. Jetzt stecken sie bis über beide Ohren in Schulden. Und da fällt ihnen keine bessere Sparmaßnahme ein, als ihrer Perle zu kündigen; ein Schwall linksliberaler Heuchelei ergießt sich über Margarita. Als Mali erfährt, dass ihre einzige Freundin eingespart werden soll, rebelliert sie gegen die Eltern. Wenn Margarita fort müsse, ginge sie auch – so lautet ihr Ultimatum. Doch erst als Margarita nach einem Unfall tagelang ausfällt und im Zuge dessen auch noch ihre Ausweisung droht, begreifen Gail und Ben, was ein Leben ohne Margarita bedeuten würde. Um ihre Abschiebung zu verhindern, überschlagen sich plötzlich alle mit Hilfsangeboten, die sie kaum abwehren kann. Bei der Wahl dieses Stoffes hätte aus Margarita leicht ein Sozialdrama werden können: Wir sehen die Überschuldung von Teilen der Mittelschicht, die unbedingt im Statussymbol Eigenheim wohnen wollen und sich dabei völlig übernehmen. Dazu kommt, dass sie Kinder haben wollen, aber nicht auf Selbstverwirklichung im Beruf verzichten mögen. Deshalb werden Lohnsklavinnen eingestellt, die von ihnen abhängig sind und an ihrer Stelle auf ein eigenes Privatleben verzichten müssen, oder bestenfalls eines auf Abruf zugestanden bekommen. Nicht nur in Kanada werden EinwanderInnen für diese Aufgabe besonders gern in Anspruch genommen, weil sie billig und wehrlos sind. Eine Absicherung sowie Entwicklungs- oder Aufstiegsmöglichkeiten bleiben ihnen versagt. Das gilt besonders für Frauen, die sich mit meist unsichtbarer Hausarbeit über Wasser halten müssen. So habe ich mich denn

beim Anschauen gefragt, ob dies wirklich so eine Familien-/Culture-Clash-Komödie ist, wie die Ankündigung verspricht. Verweist Margarita doch auf eine Realität, die gar nicht witzig ist: Ausbeutung bleibt Ausbeutung, auch wenn sie in liberaler Verkleidung daherkommt. „Du gehörst doch quasi zur Familie“, heißt es im Film. Margarita hat darauf eine entlarvende Antwort: „In Mexiko kündigen wir keinen Familienmitgliedern“, und schafft es dabei, aus den argumentativen Klimmzügen selbsternannter Wohltäter einige komische Funken zu schlagen. Sie ist es, die Ernsthaftigkeit und Ironie in einer fein austarierten Balance hält. Sie ist kein Opfer und bewahrt sich ihre Würde mit Klugheit und Witz. Sie ist schlagfertig und behält das letzte Wort. Fazit: Wie seine wunderbare Titelheldin passt dieser Film in keine der gängigen Kategorien. Und wo Margarita hingeht, da ist diese mitreißende lateinamerikanische Musik – ich merke, wie sich meine Füße im Takt bewegen … s

Margarita von Dominique Cardona und Laurie Colbert CA 2012, 90 Minuten, englische OF mit deutschen UT Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de Im Kino in der L-Filmnacht im Dezember, 3 www.L-Filmnacht.de

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Film, diese große, schöne Lüge VON T OBY A SH R A F

SISSY möchte auf den Kinostart des neuen Films von Jim Jarmush, „Only Lovers Left Alive“, hinweisen. Nicht, dass Jarmushs Filme generell oder speziell dieser besonders ‚queer‘ wären, das Vampirthema an sich Kontext genug wäre (siehe Seite 25) oder es vielleicht sogar reichen würde zu sagen: Tilda Swinton spielt mit! (Dazu mehr und Grundsätzliches von ihr selbst in der nächsten SISSY). Nein – die SISSY hatte einfach das Glück, einen Autor vor Ort zu haben, der die Produktion des Films aus nächster Nähe beobachten konnte. Ein Backstage-Bericht aus der Welt der Untoten und Lichtscheuen.

s Das erste Mal ist immer besonders. Es ist ein heißer Sommer, und ich reise nach Köln, um in eine Schattenwelt abzutauchen. Ich hatte blind ein Zimmer in einer WG gemietet und wusste nicht, was mich erwarten würde, als ich das erste Mal bei einer internationalen Filmproduktion mitarbeitete. Studiodreh, Jim Jarmusch, Vampire, eine Stelle als Produktionspraktikant – mein Abenteuer beginnt im Schlafzimmer des nachtaktiven Musikers Adam und endet in den verwinkelten und schummrig beleuchteten Gassen Tangers, wo nach Sonnenuntergang die Untote Eve für den „good stuff“, die besonders reinen Blutkonserven, ihren Vertrauten Marlowe aufsuchen wird. Etwas außerhalb, dort, wo die Wohnviertel Kölns enden und das Industriegebiet beginnt, liegt ein Container-Dorf, in dem sich die Produktionswelten der bewegten Bilder hinter grauem Wellblech verstecken. Der Eingang dieses merkwürdig anmutenden Paralleluniversums wird Tag und Nacht von Pförtnern bewacht; nach ein paar Tagen jedoch kennt man sich und kann nach einer kurzen Begrüßung ohne Kontrolle passieren. Später werden vor diesen Toren stundenlang Teenager darauf warten, dass Tom Hiddleston, der in Only Lovers Left Alive den melancholischen Vampir Adam spielt, nach Drehschluss noch Autogramme schreibt und für ein Foto posiert. „Loki, Loki!“, schreien Sie – das Auto hält und die Mädchen strahlen. Morgen kommen sie wieder. Bevor ich das erste Mal einen der Container betrete, hatte ich Film als arbeitsteilig und hierarchisch strukturierten, aber vor allem sozialen Prozess noch gar nicht richtig begriffen. Namen behalten, Departments lernen, Funktionen verstehen, Dispos lesen und WalkieTalkies bedienen lernen – das professionelle Gefüge der Filmproduktion bedarf einiger Einarbeitung, bevor ich begreife, dass die Magie, die sich hinter den Bildern versteckt, auf einem perfekt organisierten System fußt, in dem jeder funktionieren muss, weil jedem eine bestimmte Funktion zukommt. Die Tage sind lang, aber ihre Zeiten arbeitsrechtlich geschützt. Die Orte sind Illusionen, aber bereits oft schon ohne Blick durch die Kameralinse überwältigend. Eine erste Tour durch die Sets der riesigen Halle lässt mich wieder zum Kind werden, das alles anfassen und sich am liebsten in den künstlich auf alt dekorierten Räumen verstecken möchte. Das Art Department hat seinem Namen alle Ehre gemacht und detailversessen und kunstvoll, überbordend und atemberaubend die Wohnung des Vampirs Adam entworfen, ausgestattet und zum Leben erweckt, obwohl Adam doch eigentlich in Detroit wohnt und schon lange tot ist. Film, diese große, schöne Lüge. Als die fertigen Bilder abgemischt 20     SISSY 20

und geschnitten über eine große Leinwand flimmern, geht eine Tür in den USA auf und fällt im Kölner Studio-Set wieder zu – nur merkt das außer den verschworenen Beteiligten niemand. Adam lebt in dieser Wohnung und hat mit dem Nicht-Leben, das er als Ex-Mensch führt, schon lange abgeschlossen. Zu lange ist er schon auf dieser Erde. In Jahrhunderten oder Jahrtausenden hat er sich in seinem eigenen Museum der Musikinstrumente eingerichtet. Unsterblich und lebensmüde inmitten des Verfalls der Moderne. Das nächtliche Detroit als perfekte Bühne – aber eben zum großen Teil in Köln, in einem Container, im Hochsommer. Anton, Bea, Bina, Corinne, Carter, Christiane, Daniela, Franka, Gerd – das ABC der Magier und Zaubererinnen, die ich kennen lerne, ist fast lückenlos und endet erst mit „Y“ wie Yorick le Saux – dem Director of Photography, dessen Arbeit der Film einen großen Teil seiner Poesie verdankt. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus und bekomme erste Aufgaben. Zuerst organisiere ich ein Zelt, das vor dem Catering-Wagen aufgebaut werden soll, möglichst günstig versteht sich: Angebote einholen, Konditionen verhandeln. Neuland, wohin das Auge reicht. Später telefoniere ich mit Speditionen, um herauszufinden, wie das Material am günstigsten nach Marokko kommen kann, denn dort wird im Anschluss gedreht. Per Flugzeug? Und was ist mit den Zollbestimmungen? Per Mietwagen? Außerhalb Europas, habe ich doch gesagt! Überforderung von den neuen Aufgaben, aber ich lerne, im kalten Wasser zu schwimmen und werde bald von einer Prinzessin geküsst. Sie heißt Corinne Le Hong, ist Zweite Regieassistentin und nimmt mich an die Hand. Sie ist nicht die erste und nicht die letzte. Ich beginne, den Begriff der Ersatzfamilie beim Film zu verstehen. Ich koche für Komparsen Kaffee und finde alles super spannend. Dabei hat der Dreh noch nicht mal begonnen. Beim Mittagessen sitze ich neben John Hurt, dem Elefantenmenschen. Er ist für seine Rolle als Vampirvater Marlowe zu einem letzten Kostüm- und Maskencheck nach Köln gekommen und unterhält sich angeregt. Ich warte darauf, dass er sich windet und ein Baby-Alien aus seinem Bauch platzt und gaffe ihn unverhohlen und voller Bewunderung an. Ich halte nicht viel vom Begriff der Aura, aber er hat eine – und was für eine! Dieses Ikonische, Distinguierte! Man guckt ihn an und sieht sofort einen Schauspieler von Klasse, alte Schule, Theater, Größe. Jetzt werde ich pathetisch und weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass ich ihn als persönlicher Assistent nach Marokko begleiten darf. Im Film hat er nur ein paar kurze Auftritte, aber er fegt mich trotzdem von den Socken. Als er sich bluttrinkend in einem marokkanischen Café in einen Stapel Kissen fallen und seine Vampirzähne aufblitzen lässt, gibt es vom Team spontanen Szenenapplaus. Als er im Sterben liegt, weine ich mit Walkie-Talkie im Ohr. Am Bildschirm, vor der Tür. Bei allen fünf Takes. Ein Produzent steht neben mir, aber das ist mir egal. Gerade noch drehen sie in Detroit die Außenaufnahmen, höre ich. Es ist unverschämt heiß, höre ich. Die Zeit rennt weg, denn es müssen Nachtaufnahmen sein, höre ich. Vampire, verstehe. Na klar – kein Licht. Ankunft Jim Jarmusch. Später dann tanzen die Untoten durchs Kölner Studio. Tilda Swinton, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska – und Anton Yelchin als einzig noch Lebender. Ich bringe einen schwarzen Tee in die Maske, doch Allüren gibt es keine, sondern nur nette Menschen, wohin das Auge reicht. Erstaunlich, ich hatte ein paar Klischees erwartet. Ich setze Mia ihre deutsche SIM-Karte ein und warte in der Kulisse von Adams Schlafzimmer darauf, dass ich ihr ein Signal geben kann, wann sie als umtriebene Vampirschwester die Szene betreten darf. Braucht sie aber gar nicht, sie ist Vollprofi. Alle sind leichenblass geschminkt und haben umwerfende Perücken auf, die nach Drehschluss noch für den Folgetag präpariert werden müssen. Das macht Gerd – auch so ein Magier und der einzig offen schwule Mann am Set. Neben mir. Alle Vampire sind elegant bis zum Umfallen, cool bis in die Sonnenbrillen und tragen ihre Kostüme wie eine zweite Haut.


kino

Only Lovers Left Alive von Jim Jarmisch GB/DE/FR/US/CY 2013, 122 Minuten, deutsche SF und englisch-französisch-arabische OmU Pandora Filmverleih, 3 www.pandorafilm.de Im Kino ab 25. Dezember 2013

PANDORA FILMVERLEIH

Hamburg. Wir drehen die Detroiter Clubszene, Innenaufnahmen, und ich betreue 60 Komparsen, die im Film das Konzert besuchen oder an der Bar arbeiten. Wieder Neuland. Maske, Kostüm, Checkliste, alles im 10-Minuten-Takt. Corinne ist drinnen, ich bin draußen und warte auf Ansagen. Die White Hills spielen. Für viele viel Rumsitzen, aber so ist das halt beim Film. Das wissen die meisten auch schon. Sie machen das nicht zum ersten Mal. Ich schon. In Köln wird vor laufender Kamera musiziert und diskutiert, in der Küche Schach gespielt und am Blut-Eis gelutscht. Mia verschluckt sich am ersten Kunstblut und Anton muss irgendwann baden gehen, wozu jemand später die Computereffekte beisteuern wird. Ohne zu viel verraten, kann man sagen, dass die Szene gut aufgelöst wurde. Zum abgedrehten Schuss in Detroit gibt es hier den Gegenschuss, made in Germany. Ein kleiner Schnitt und fertig ist die Illusion, perfekt gemacht. Technik, die begeistert, in einem Film, der gekonnt verführt.

Dann Marokko, die letzten Drehtage, das Ende des Abenteuers. Tilda Swinton als Eve dreht sich im Kreis und liest Bücher, indem sie mit ihrer weißen Hand über die Seiten fährt. Ihre Geschlechtslosigkeit ist umwerfend und trotzdem funktioniert sie als letzte Liebhaberin, die ihren Adam nach Nordafrika holt. Tilda fasziniert, wie immer. Diese Eleganz, wenn sie nachts durch die Straßen geht, dieser Durst in den Augen, wenn das Blut ausgeht und diese Liebe in den Augen, wenn sie Marlowe begegnet. Christopher Marlowe, „Kit“, der Shakespeares Portrait einen Dolchhieb verpasst und wahrscheinlich eine Affäre mit dem marokkanischen Barbesitzer hat, in dessen Hinterzimmer (closet!) er sich versteckt. John Hurt, den ich begleite, bevor sich alle Wege wieder verlieren. Das erste Mal war besonders. Das Baby, das daraus geboren wurde, macht alle Eltern stolz. Der Sommer ist vorbei und die Dunkelheit hat wieder Einzug gehalten. Nur im Kino flimmert ein Licht. s SISSY 20     21


kino + dvd Kill Your Darlings von John Krokidas US 2013, 104 Minuten, englische OF mit deutschen UT Koch Media, 3 www.kochmedia-film.de Im Kino ab 30. Januar 2014

BEATNIKS IN DER SCHULE VON C A R ST EN MOL L

Ginsberg I, verkörpert. Und zwar von Daniel Radcliffe. Ein großer Schritt für den Darsteller, der – expelliarmus – in der Rolle des schwulen Beat-Schriftstellers an seiner eigenen Entzauberung beziehungsweise Wiederverzauberung arbeitet. Die Folie des College-Films funktioniert dabei aber auch hier wieder, um Radcliffe als prototypischen Darsteller des empfindsamen jungen Mannes zu empfehlen.

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Poetry In Motion von Ron Mann CA 1982, 91 Minuten, englische OF mit deutschen UT Auf DVD bei der Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de

s Kurz knistert da aus dem Radio ein oller Krieg, der so unvorstellbar weit weg scheint, dass man sich gar nicht für ihn interessieren muss. Ein Knopfdruck genügt und schon weichen die Berichte von der Front frischem Jazz. Bebop heißt der noch, ist aber schon auf dem Sprung zum Cool. Es ist Anfang der 1940er in den Vereinigten Staaten: Franklin D. Roosevelt (oder FDR, wie man in den USA so schön sagt) amtiert zum zweiten Mal als Präsident, Macht und Gesellschaft institutionalisieren sich zunehmend unter seiner Regierung, während Europa und Asien in blutigen Schlachten versinken. Auftritt Daniel Radcliffe. Der Junge, der seine eigene FranchiseWerdung überlebt hat, bringt auch gleich den ersten Liebling zur Strecke, der in John Krokidas’ Debütfilm dran glauben muss. Einen Atemzug lang meint man noch einen gewissen britischen Zauberlehrling und Popstar von internationalem Rang hinter der Drahtbrille aufblitzen zu sehen (da fehlt doch die Narbe auf der Stirn!), bevor sein Leinwandleben auch schon wieder ausgehaucht ist. Radcliffe gibt hier (wortwörtlich) mit Haut und Haar den adoleszenten Allen Ginsberg, Beatpoet und Kultfigur der amerikanischen Gegenkultur in spe.


KOCH MEDIA

kino + dvd

Als unbedarfter junger Mann macht sich Ginsberg in Kill Your Darlings auf nach New York City, um an der prestigeträchtigen Columbia University zu studieren. Der Auszug in die weite Welt ist dabei auch eine Flucht vor den Eltern: Vater Louis ist Spießer und ein wenig visionärer Dichter der alten Schule, während die psychisch kranke Mutter Naomi von Wahnvorstellungen geplagt wird, die allen Alltag verschlingen. Ihre Paranoia (als welche sich ihre Angst vor der technischen Überwachung durch den Präsidenten damals noch diagnostizieren ließ) lässt sie mit Argwohn auf ihre Mitmenschen blicken. Nur der eigene Sohn scheint ihr noch vertrauenswürdig, an ihn kettet sie sich und merkt nicht, wie sie ihn dabei erdrückt. Vor diesem Hintergrund verheißt der Studienbeginn noch mehr als Zurichtung für den Arbeitsmarkt und ein erstes Tapsen in die Bürokratie. Aber auf den Ausbruch ins Akademische folgt für Ginsberg erst einmal die Ernüchterung. Denn weder Wissensdurst noch Lebenshunger wollen an der altehrwürdigen Universität gestillt werden, die Formung von jungen Menschen zur Bildungselite folgt den alten, aber in Ginsbergs Augen alles andere als ehrwürdigen Mustern

von Restriktion und Imitation. Die Bibliothek sei eine Kirche, erklärt man den Erstsemestern bei der Einführung und meint damit allerdings keinen Raum der Erleuchtung und Spiritualität, sondern eine nicht zu hinterfragende Dreifaltigkeit aus Hierarchie, Prätention und verstaubter Ideologie. Noch beim Platzen gebiert Ginsbergs unschuldiger Traum von Freiheit einen Fieberwahn. Er trifft auf den älteren Kommilitonen Lucien Carr (herausragend: Dane DeHaan), ein charismatisches wie rätselhaftes Wesen, das Ginsberg mitnimmt in die Schattenwelten der Großstadt, in die Clubs und Kneipen, zu den Säufern und Junkies – Kerouac und Burroughs sind auch schon da. Es ist ein Leben für Schall und Rauch, Jazz und Marihuana sind überall verfügbar, im Kaffee schwimmen Amphetamine und auf Anstand und Sonette wird geschissen. Sowieso, die Literatur: Die soll raus aus den Glaskästen und Bücherregalen, mit der Schere zerschnitten und zu neuen Monstern zusammengeklebt werden, statt in der Analyse bloß ausgetrocknet, seziert und konserviert zu werden. Rimbaud, das heißt hier nicht Literaturkanon und Seminararbeit, aus Luciens amerikanischem Mund klingt das schon mehr nach Rambo, nach Aktion, Rebellion und Kanonen. Der Mythos Beat Generation ist nicht totzukriegen und erweist sich ganz besonders für das Kino immer wieder als produktiv. In den letzten Jahren machen vor allem Filme aus der Sundance-Ecke (die zugegebenermaßen ziemlich groß und alles andere als homogen ist) auf sich aufmerksam. Nach Howl (2010) und On the Road (2012), starten dieses Jahr die Kerouac-Adaption Big Sur und eben Kill Your Darlings, kommendes Jahr soll dann Steve Buscemis Queer nach dem gleichnamigen Roman von Burroughs folgen. Bei allen thematischen Überlagerungen, aus der Reihe der Geschwisterwerke tanzt wohl jeder dieser Filme auf die eine oder andere Weise. In Krokidas’ Film stößt man allerdings zunächst nur auf die zu erwartenden Qualitäten: Auf der Tonspur beschwört der Jazz vertraute Vergangenheit, auch Setdesign und Kostüme arbeiten ganz im Sinne des period piece und reanimieren abgehakte Historie. Die vergilbten Bilder spenden noch ein warmes Glimmen, an dem man sich aber schon nicht mehr verbrennen kann. Und Radcliffe wird so kalkuliert wie konsequent gegen sein biederes Magier-Image eingesetzt, für schwulen Sex darf er den Unsichtbarkeitsumhang vom haarigen Körper werfen, den er ja bereits für das Theaterstück „Equus“ medienwirksam verwerten konnte. Statt dem Film aber nun seine über weite Strecken konventionelle Inszenierung vorzuwerfen, oder darauf zu pochen, dass das alles zu zahm und vorhersehbar sei, um den Beats oder dem, was man von ihnen im Kopf hat, gerecht zu werden, lohnt es sich, einen Film zu entdecken, der komplexer und widersprüchlicher ist, als es zuerst den Anschein haben könnte. „Kill your darlings“, das ist eine Stilfrage, ein Ratschlag des Dozenten an seine Studenten, sich frei zu machen von jugendlichem Übermut und Maßlosigkeit und sich – nicht nur beim Schreiben – auf das Wesentliche zu beschränken. Im Gegensatz zu den werdenden Beats mit ihrem Drang zur Grenzüberschreitung scheint Krokidas doch etwas mit dieser Maxime anfangen zu können. Seine Inszenierung versucht bei allem Interesse an der aufkeimenden Beatkultur nie, deren Ekstasen und Exzesse unvermittelt in Bilder zu übersetzen, sein faszinierter Blick auf die Anfänge der amerikanischen Gegenkultur ist durchaus von Skepsis geprägt. So geht er zwar wie seine Protagonisten der Lust am Bruch und der Irritation nach, indem er die WASP-Welt seines period piece schon mal mit zeitgenössischem Indierock von TV on the Radio und Bloc Party kurzschließt oder im Zurückspulen und durch Fragmentierung erzählt. Zu den BeatMythen von Revolution, Transgression und Befreiung wahrt er aber Distanz: Der Drogenrausch erstarrt zur pittoresken Zeitlupe und die produzierte Literatur, die später als gesellschaftlicher Gegenentwurf gelesen werden soll, tapeziert fürs Erste nur die eigenen ZimmerSISSY 20     23


EDITION SALZGEBER

kino + dvd

wände. Die Beatpoeten erweisen sich den Gesten der Auflehnung und des Außenseitertums zum Trotz als Söhne aus gutem Haus, die mindestens so sehr vom Geld und der Anerkennung der Väter abhängig sind wie von Rauschmitteln. Krokidas und Ko-Autor Austin Bunn liefern keine straighte Geschichtslektion und erst recht kein filmisches Äquivalent zur Beat­ literatur. Im Geflecht aus Prüderie und Paranoia, Abhängigkeit und Ablehnung, zwischen Jungenstreichen und Jungs-Streicheln spinnen sie vielmehr eine kleine, feine Coming-of-Age-Geschichte um jugendlichen Idealismus und schwules Begehren. Der Collegefilm dürfte als Referenzpunkt dann auch weitaus bedeutender sein als die Beatbiografien, die hier in ihrer Zuspitzung mehr dramatische Schablonen sind als der Versuch eines authentischen Reenactments. Und wenn vor dem Abspann pflichtbewusst auf den Werdegang der Beats und ihre Werke hingewiesen wird, dann macht das vielleicht weniger Lust darauf, noch mal die zerlesene Ausgabe von „On the Road“ aus dem Regal zu kramen oder sich „Naked Lunch“ als E-Book runterzuladen, als dass man sich fragt, was denn da noch kommt. Von John Krokidas, Dane DeHaan und meinetwegen auch von Daniel Radcliffe. s

SEE YOU LATER, ALLEN GINSBERG VON PAT R ICK GU R R IS

Ginsberg II, leibhaftig. Unter vielen anderen taucht der Literat in Ron Manns aufregendem Dokument „Poetry In Motion“ auf, der in Deutschland nun auf DVD erscheint. In Manns Reihe von pophistorischen Dokumentarfilmen (unter anderem gab es da noch „Comic Book Confidential“, „The Twist“ und die Cannabis-Hommage „Grass“) funktioniert er besonders gut als Faszinationsträger heute nur noch kolportierter Starpower, die sich aus dem reinen Lesen von Texten nicht erschließt. s Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war es laut Aussage des Regisseurs Ron Mann verrückt, einen Dokumentarfilm über zeitgenössische Dichter zu machen, zumindest sahen das potentielle Geldgeber wie Produktionsfirmen oder Fernsehsender so. Wieviel verrückter wäre das wohl heutzutage? Immerhin war in den Achtzigern der Nachklang der großen Beat-Poetry-Heroen wie Jack Kerouac, William S. Burroughs, Gary Snyder oder Allen Ginsberg und ihr unbestrittener Einfluß auf die Pop-Kultur der 60er Jahre, die bis in den Mainstream reichte, noch weitaus präsenter. Der vermeint24     SISSY 20

liche Wahnsinn hielt den damals 23-jährigen Kanadier Ron Mann indes nicht davon ab, sich mit der Kamera auf die Suche nach seinen Helden zu machen; um die 70 Poeten wurden dabei zur Rede gestellt und die fette Ausbeute waren 45 Stunden Lyrik. Zusammengeschnitten auf 24 Dichterinnnen und Dichter und die anscheinend gottgegebene menschliche Aufmersamkeitsspanne von 90 Minuten ergab das dann den Film Poetry in Motion. Die arme Lyrik, schlimmer noch bekannt unter ihrem zweiten Namen Poesie, einst so mächtig, ist spätestens seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zum Mauerblümchen der Künste verkommen. Na ja, in Deutschland anscheinend jedenfalls – nur was für Alben, pubertierende Liebeskranke und Weicheier, echte Sissies eben. Poetry, drüben im wilden Westen, hatte nicht ganz so einen verzärteltintellektuellen Beiklang, immerhin rangen dort auch echte Harteier wie Charles Bukowski mit den Regeln der Verskunst, und ein wohl geschmiedetes Gedicht an das Objekt der Begierde war bestimmt öfter als Passierschein für etwas weniger zerebrales Liebemachen gut. In Poetry in Motion gibt Charles Bukowski den advocatus diaboli und wirft der Poesie vor, sie habe keinen Tanz und keine Gedärme, was er bestimmt selbst nicht ganz ernst meint, denn ein gutes Gedicht sei so befriedigend wie ein kraftvoller Bierschiß, wie er recht lyrisch sagt. Überhaupt war es eine großartige Idee von Regisseur Mann, Bukowski quasi als Zwischentitel-ähnliches Element in die Auftritte der anderen Poets einzuflechten; wird es gar zu poetisch oder avantgardistisch abgehoben, holt er uns unheilbar charismatisch hinab in die Niederungen elementarer Empfindungen. Von den übrigen 23 Poets sind wohl nur einige Namen selbst eingefleischten Fans amerikanischer Lyrik ein Begriff, allen voran natürlich Allen Ginsberg und William S. Burroughs und dann Tom Waits, Gary Snyder, John Cage, Michael Ondaatje. Weniger bekannt, mir jedenfalls: Helen Adam, Amiri Baraka, Anne Waldman, John Giorno, Rober Creeley etc. Ihre Auftritte oder Rezitationen folgen keiner erkenntlichen Dramaturgie oder Ordnung, und sie sind so unterschiedlich wie die Damen und Herren selbst. Einige wurden gefilmt bei sich auf der Couch oder im Hausflur, manche bei Performances oder Konzerten und andere auf einer eigens errichteten Soundstage. Gary Snyder, zum Beispiel, liest weise wie ein Bodhisattva auf der Veranda seiner Blockhütte und, Teufel auch, gleich, vermeint man, kommt Jack Kerouac um die Ecke mit dem Rest der Dharma Bums. Bakiri singt eher, denn dass er rezitiert, zu einer Combo aus Saxophon und Schlagzeug. Überhaupt wird bei etlichen Auftritten die Wechselwirkung zwischen Lyrik jener Zeit und Jazz und Dance klar ersichtlich. Wie auch die Tatsache, daß Allen Ginsberg gut daran getan hat, bei der Poesie zu bleiben und nicht Rockmusiker zu werden. Ob absichtlich oder unabsichtlich, eine Abfolge des Schnitts ist köstlich und nahezu unvergeßlich: wie Helen Adam (71), die Urmutter der San-Francisco-Beats, mit grenzenloser Energie den vierzig Jahre jüngeren Tom Waits in den Schatten stellt, übrigens angeblich seine erste Filmaufnahme. Die Stimmen sind eh das Lebenselexir dieses Filmes. Die Ursprünge der Lyrik, das sagt ja schon das deutsche Wort, liegen beim griechischen Sänger und seiner alten Leier, worauf sich einige Performances beziehen. Eher scheintot fristet die Poesie ihr Schattendasein auf der bedruckten Seite (oder mausetot im E-Book-Reader), lebendig wird sie durch den Vortrag. Ein Gedicht verstehe man nicht einen Deut besser, wenn man den Dichter kennt, sagt einer, aber umso mehr, wenn man ihn vortragen hört. Und wenn wir ihn oder sie dann auch noch sehen, desto besser. Wer beim drawl von Burroughs nämlich die Augen schließt, könnte glatt George Bush sen. vermuten. Die DVD bietet als Extra noch 20 weitere Poeten im Bonus-Material. Leider gibt es keine englischen, jedoch deutsche Untertitel, was den Zugang sicherlich erleichtert. Trotzdem ist Poetry in Motion etwas für ganz Hartgesottene und wie Bukowski weiß: „Nothing to analyze, nothing to say, it’s just done. Got it?“ s


kino

DER BERG RUFT VON CH R IST I A N W E BE R

PRO-FUN MEDIA

„Matterhorn“, Diederik Ebbinges märchenhaftes Regiedebüt, erzählt von der Begegnung zweier Menschen, die sich in ihren queeren Potentialen radikal unterscheiden. Ein kleiner, unvorhersehbar erzählter Film mit großem humanistischen Sendungsbewusstsein.

s Fred, ein biederer Mann Anfang 50, der in einem kleinen niederländischen Dorf wohnt, ist durch seinen Glauben in sozialen und geschlechtlichen Rollenbildern zwanghaft festgelegt. Theo hingegen, im gleichen Alter, tritt als Mann ohne Identität auf: ein Naiver, der eines Tages desorientiert vor Freds Haus steht und von allen gesellschaftlichen Prägungen befreit erscheint. Später wird sich herausstellen, dass die Schicksale beider Männer durch zwei Unfälle bestimmt wurden: Fred hat seine Frau verloren, gibt sich Mitschuld daran und fristet sein Leben seitdem als Sünder im Schatten der Dorfkirche. Dem titelgebenden Berg, der für Fred Gottesnähe und Liebesglück symbolisiert, fühlt sich der Elende denkbar fern. Theo hat durch einen anderen Unfall sein Gedächtnis und weite Teile seines Sprachvermögens eingebüsst – und wird gerade durch diesen Verlust zu Freds phänomenologischer Gegenfigur, die sich keine Gedanken darüber macht, wie sie auf andere wirkt. Fred fühlt sich von Theo zunächst um Geld geprellt und trägt ihm zur Begleichung der Schuld Gartenarbeit auf. Als ‚guter Christ‘ lädt er den Fremden aber auch an seinen Abendbrottisch und lässt ihn später sogar bei sich übernachten. Dann passiert das Wunder: Auf eigentümlich unschuldige und überaus queere,

weil von gängigen Kategorien losgelöste Weise verlieben sich die beiden ineinander. Während Fred zuerst noch versucht, Theo Manieren beizubringen, nimmt er ihn bald immer ernster und damit wirklich wahr – er lässt sich auf sein Wesen ein und wandelt sich vom pedantischen Erzieher zum Beschützer und Partner. Matterhorn handelt fortan von Freds Emanzipation vom kleingeistigen Spießertum und dessen erstarrten Vorstellungen, wie Liebe und Zuneigung sein dürfen. Der 44-jährige niederländische Regisseur Ebbinge ist in seinem Heimatland bislang vor allem als Schauspieler bekannt. Für Schlagzeilen sorgte sein Erstling bereits im Juni beim Filmfestival in Moskau: Dort wurde er als einer von drei queeren Filmen im Wettbewerb von der für ihre Unabhängigkeit nicht sonderlich bekannten russischen Presse scharf kritisiert. Aus wertkonservativer Sicht geht von Ebbinges unkonventionellem Liebesfilm tatsächlich Gefahr aus, denn der Regisseur entwickelt aus seiner kühnen Anordnung eine überaus wirksame Geschichte über die Kraft queerer Liebe, wovon auch die Publikumspreise von Moskau und Rotterdam zeugen. Es ist faszinierend, wie dem Regiedebütanten und seinen beiden Hauptdarstellern in dem schwierigen

Genre der Tragikomödie ein Gleichgewicht gelingt zwischen Freds überzeichnetem, mit Bachs Matthäus-Passion unterlegtem Leidensdrama und der absurd-komischen Konfrontation einer regelkonformen Welt mit Theos arglosem Geist. Ton Kas, der Darsteller von Fred, lässt aus seiner Gestik und Mimik allmählich die über die Jahre verfestigte Verkrampfung weichen und erwidert irgendwann den zutraulichen Blick René van ’t Hofs, der Theo mit stoisch-clowneskem Charme spielt. Matterhorn hat zudem wunderbare Nebenfiguren. Eine davon ist Theos Ehefrau Saskia (Ariane Schluter), die nach dessen Unfall eine anrührende neue Form für ihre Liebe zu ihm gefunden hat. In dieser lakonisch-humanistischen Figurenzeichnung und in der überzeitlichen Stilisierung seiner Ausstattung erinnert der Film an das Kino Aki Kaurismäkis. Ebbinge variiert aber auch spielerisch Stereotypen und Standardsituationen der Coming-Out-Dramaturgie und lässt seinen Film tatsächlich auf eine Shirley-Bassey-Nummer in einer Schwulenbar zulaufen, an deren Ende aus Fred ein weiteres Liebesbekenntnis hervorbricht – diesmal an eine Person, die er einst durch sein homophobes Weltbild verlor und die seine Befreiung in ein nochmal ganz anderes Licht setzt. Ebbelings Film ist vor allem deswegen ein Triumph, weil er mit einem dezidiert queeren Blick von den großen Dingen des Lebens erzählt: von Einsamkeit, Trauer, vom Loslassen und vom Wiederfinden von Liebe, der am Ende keine Gottesfurcht mehr Grenzen zu setzen vermag und die schließlich bis zur Spitze des Matterhorns reicht – und darüber hinweg. s

Matterhorn von Diederik Ebbinge NL 2013, 87 Minuten, niederländische OF mit deutschen UT Pro-Fun Media, 3 www.pro-fun.de Im Kino ab 9. Januar 2014

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portr ait

ANGER ME VON E GBE RT HÖR M A N N

ALLE SCREENSHOT: FANTOMA FILMS

Der als Kenneth Wilbur Anglemyer geborene Kenneth Anger („Ich wollte aus meinem Namen eine Marke erschaffen, ein Logo, eine Ansage“) war der erste offen schwule Filmemacher in Hollywood. Er erfand das Queer Cinema, 50 Jahre, bevor man davon sprach. Er wurde mit großer Sicherheit 1927 geboren (Anger besteht allerdings vehement auf Mitternacht, den 3. Februar 1930 – „Verwirrung zu stiften ist eine meiner Spezialitäten“). Er ist verantwortlich für einige der verehrtesten, schönsten, seltsamsten, verstörendsten, anarchistischsten und kontroversesten Filme, die je gedreht wurden. Auch wenn es gerade keine neue DVD, kein neues Buch, keine Festivalretrospektive gibt: ein dringend notwendiges Porträt.

s Filmemacher, Künstler, Agent Provocateur – es scheint Anger nicht besonders zu beunruhigen, dass er es, anders als Andy Warhol (weniger sein Zeitgenosse als seine Nemesis), nie in den Mainstream seines gewählten Mediums schaffte. Die Drogen, die Mörder, in deren Bannkreis er geriet, und der Flirt mit dem Satanismus hatten auf vertrackte Art zur Folge, dass das verhindert wurde. Aber daraus entstand auch die Kunst. Glorreich überdrehte, von sprunghaften Schnitten und irgendeiner Traumlogik folgenden Überblendungen bestimmte, durch einen heiß/kalten, wilden schwulen Blick gefilterte Filme, die mit zeitgenössischer Rockmusik oder Klassik der stürmischeren Art unterlegt waren (Anger war immer mehr Wagner als Mozart). Lucifer Rising (das Hauptwerk), Invocation To My Demon Brother, Scorpio Rising, Fireworks, Eaux d’artifice waren das Eintauchen in ein unbekanntes sexuelles Terrain Vague, mit einem Minibudget rücksichtslos und liebevoll handgemacht inmitten der paranoiden, hysterisierten Kulisse der McCarthy-Hexenjagd auf Kommunistenjunkies, die Hollywood infiltriert haben sollten. All das scherte Anger wenig. Nachdem er wegen des Vorwurfs der „Obszönität“ aus den USA nach Paris geflohen war, komplementierte er – angeblich auf Anraten von Francois Truffaut – stattdessen seine filmische und künstlerische Bewegungsbahn mit dem monumentalen, opulent bebilderten, Gift und Galle verspritzenden Hollywood Babylon. Ein kühner, schamloser Griff in die Hollywood-Toilette und hinter die dysfunktionalen Kulissen der (Alb)Traumfabrik, bei dem Anger süffisant-vergnüglich an der siechen Glamourkruste von adorierten Leinwandikonen kratzte. Faktisch zwar nicht immer korrekt, aber der Freigeist gab ja auch „Mentale Telepathie“ als eines seiner Recherchewerkzeuge aus. Das mag schon mal Rashomon-Borderline sein, aber Anger hält sich berechtigterweise an einen der berühmtesten Dialogsätze der Filmgeschichte aus John Fords Spätwestern The Man Who Shot Liberty Valance: „This is the West, Sir. When the legend becomes fact, print the legend.“ Susan Sontag bezeichnete das Werk voller Behauptungen und Gerüchte, Klatsch und Tratsch jedenfalls zu Recht als „so legendär wie Hollywood selbst“. Dann gibt es die Verbindungen zu dem Okkultisten Aleister Crowley, dessen Schriften Anger stark beeinflussten, die Mega-Interviews

mit „Dr. Sex“ Alfred Kinsey, das Lucifer-Tattoo auf der Brust, seinen Einfluss auf Jean Cocteau, auf das Goldene Zeitalter von MTV, auf Fassbinder, Lynch und Scorsese, die fatale Affäre mit dem polymorph perversen Stricher Bobby Beausoleil, die Freundschaft mit der Manson Family, und all die Jaggers und die Gettys und die Crème der Rockstars aus den 1960er und 1970er Jahren. Noch heute ist Anger Mitglied der elitären Geheimorganisation Ordo Templi Orientis, einer Art Freimaurerloge, und er bezeichnet sich als Heide (pagan). Schon als Teenager bastelte er im Garten seiner Eltern einen Schrein für Pan (kein Problem für die Eltern – die waren froh, dass der Junge mal an die frische Luft ging). 1967 schaltete er in der New Yorker Zeitung „Village Voice“ eine Todesanzeige für sich selbst, da er sich künstlerisch völlig ausgebrannt fühlte – makaber, ja, aber eben auch „ein echter Kenneth Anger“. Wenn man Anger eine Sache nicht vorwerfen kann, dann ist es, dass er jemals etwas halbherzig unternommen hätte. Und immer folgte ihm irgendwie die Dunkelheit … Er ist einfach der Typ, den es nicht wundern würde, wenn die zum Kaffee servierte Sahne schwarz wäre. Anger liebt Drama und Inszenierung, ein Hang, den er seiner Meinung nach einem seiner früheren Leben verdankt. Er ist ein Mythomane, und dies ist eine geschickt gehandhabte „professionelle Deformation“, die aber wohl zwangsläufig ist, wenn man ein eigenwilliges, aufgeweckt-neugieriges Kind Hollywoods ist und die glamouröse Beverly Hills High School besuchte, von deren Chemieunterrichtzimmer man in den Hinterhof von 20th Century Fox gucken konnte: „Wir Kinder spielten Film, atmeten Film, träumten Film.“ Der erste Film, der Anger angeblich zum Tagträumen verleitete, war das katholische Kitschepos The Song of Bernadette. Ein wenig fraglich ist auch, ob er als etwa Fünfjähriger in Max Reinhardts Verfilmung des Sommernachtstraums den Prinzen gab, und leider ging auch der im Sommer 1941 gedrehte Sieben-Minuten-Streifen Who Has Been Rocking My Dreamboat verschütt. Kurze Filme sind das perfekte Medium für Anger. Für einen langen Film war nie das Geld da, und jetzt sieht Anger die Kurzfilme einfach als Gedichte an. Der erste erhaltene Film ist Fireworks, eine hoch ästhetisierte, fiebrige Wet-Dream-Vision, in dem eine Gruppe SISSY 20     27


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von schmucken Marineangehörigen über Anger herfällt und ihm die Brust aufreißt, wo sich aber statt des Herzens eine tickende Uhr befindet, und dann geht auch noch ein Feuerwerk in der Hose los. Auch der Bikerfilm Scorpio Rising, ein Vorläufer von The Wild One und Easy Rider, mischt unbesorgt motorradbesessene Rocker, Hakenkreuze und katholische Passionsbilder und stilisiert die Lederjungs zu Outlaws und Helden der Sub/Gegenkultur. Es sind von einer dezidiert schwulen Ästhetik und Sensibilität bestimmte Filme, aber wie alle Filme Angers voller Anspielungen, Verweise, Zeichen und Symbole. Explizites findet sich hier nicht – sicher auch ein Ergebnis davon, dass in Angers entscheidend bildenden Jahren Homosexualität strafbar, tabuisiert und geächtet war. Zu sehen bekam diese Filme eh nur ein ziemlich elitäres Underground-Publikum, das sie „lesen“ konnte und mit der Thematik keine Probleme hatte. Heute gilt Anger vor allem wegen Fireworks als Pionier des Queer Cinema, aber er mag den Ausdruck nicht: „Das klingt nach Kino für Mädchen. Das ist doch was für Luschen. Zudem lehne ich es ab, in Schubladen und Kategorien gesteckt zu werden. Und die okkulte Dimension meines Werkes wissen die wenigsten zu lesen. Ich sehe mich als Vorreiter der amerikanischen Avantgarde. Nicht mehr, nicht weniger.“ Seine Eltern verstanden die Bedeutung seiner Arbeit nie, wie er einmal etwas nachtragend meinte, aber seine verständnisvolle Großmutter, der er die 16mm-Filmchen vorführte, die er im Garten hin28     SISSY 20

ter dem Haus drehte. Die goldene Pracht der Beverly-Hills-Kindheit endete, als ein Freund von Christopher Isherwood ihn mit schwulem Sex und harten Drogen bekannt machte. Von Kokain wusste der junge Anger zwar schon, aber dann kam das andere Zeug … Großmutter Bertha Coler jedenfalls verblüfften die frühen dystopisch-apokalyptischen Visionen ihres Enkels: „Aber Honey, das ist ja völlig fantastisch!“ Als Kind nannte er sie despektierlich „Big Bertha“. Und was war ihr Spitzname für ihn? „Trouble.“ Tja, Oma knows halt best. Es lässt sich fragen, welche kommerziellen Möglichkeiten ihm das Leben offeriert haben würde, wenn Geld der Impetus für seine vielfältigen künstlerischen Aktivitäten gewesen wäre. Aber er war nie ein kommerzieller Künstler im Sinne Andy Warhols, der zynischironische Siebdrucke mit Dollarscheinen herstellte, am Ende aber auch delirierend jeden Auftrag von irgendwelchen Society-Schnepfen und auch – Gipfel des Niedergangs – solchen Leuten wie dem Schah (der mit der Farah!) von Persien annahm (Kunst im Salon, Folter im Keller). Kurioserweise sind sich Anger und die perückte Sphinx ohne Geheimnis nie begegnet, aber immerhin kippte Anger in den 80er Jahren einmal einen Eimer knallroter Farbe vor Warhols New Yorker Haustür („Ich war auf Krawall gebürstet, ein Hitzkopf“): Pop-ActionPainting der etwas anderen Art. Anger hatte zum Glück immer die unwahrscheinlichsten Sponsoren: Der Multimillionär John Paul Getty unterstützte ihn bis zu dessen Tod 2007, heute ist es die Modedesignerin agnès b. Und es


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ALLE SCREENSHOT: FANTOMA FILMS

gibt allerlei kuriose Aufträge, die Anger kreativ nutzt: Werbung für Missoni, ein Video für die blitzsaubere Disney-Boygroup The Jonas Brothers etwa, die für Anger auch nichts anders sind als die Rolling Stones, mit denen Anger kursorischen Kontakt hat. Oder er beschriftet Reklametafeln in West Hollywood mit dem Wort ASTONISH und setzt seinen Namen darunter. Hier benutzt Anger die aphoristische Aufforderung „Erstaunen Sie mich“ von Cocteau: „Erstaunen beinhaltet ein Element der Verzückung, oder sollte dies zumindest haben. Es ist so, als würde man nach dem Regen in die Sonne treten. Man sieht überall diese glitzernden Tropfen auf den Blättern und es ist wie ein Meer von Diamanten. Das ist erstaunlich. Man muss nicht die Hosen runter lassen, um zu erstaunen. Darum geht es nicht. Der menschliche Geist muss sich Dinge ausdenken, um zu erstaunen. Das sind keine deprimierenden Dinge. Es gibt schon so viel Unheil und Übles auf der Welt.“ Angers Leben ist wie seine Kunst. Er ist sein eigener Herr, hat keinen „Lebensgefährten“ und hat seit Beausoleil mit keinem Partner zusammengelebt, was eine freie Entscheidung ist, wie er betont. Er vergleicht sich in der Lebensgestaltung mit John Waters, der allerdings mit der Musicalisierung von Hairspray ein ziemlich reicher Mann wurde. Ohne Anger gäbe es möglicherweise auch keinen Waters, der dessen Einfluss in Cecil B Demented anerkennt. Anger ist, wie Gus Van Sant sagt, „the original independent filmmaker“. Die Bedeutung seiner Filme wächst mit ihrem Alter. Ob es allerdings zu dem gierig erwarteten dritten Teil von Hollywood Babylon kommen wird, ist eher fraglich. Einerseits sind da zu viele Anwälte im Dienste von Vollidioten wie den Scientology-Freaks Tom Cruise und John Travolta zum Beispiel, andererseits ist das Goldene Zeitalter Hollywoods allerspätestens mit dem Niedergang des Studiosystems schon lange vorbei. Nur geistige Ladenmädchen oder Einzeller interessieren sich doch ernsthaft für das Treiben von Angelina, Brad, Lindsay Lohan und all den anderen. Das ist nur Personal „zum Anfassen“. Fakt ist: Es gibt keine Stars mehr. Keine Dietrichs, Chaplins, Harlows, Coopers, Waynes, Gishs, Keatons, Tierneys, Lancasters, Lombards, Crawfords, Davises, Stanwycks, Deans, Bogarts, Garbos, Gardners, Taylors, Valentinos, Wests, Mitchums, Hayworths, Turners, Clifts, Brandos – es gibt dieses unvorstellbaren Härten und Prüfungen ausgesetzte Ausnahmefleisch, diese geheimnisvollen Lichtgestalten mit der Macht einer absoluten Besonderheit nicht mehr, die die Logik außer Kraft setzten und sich in einer Art und Weise benahmen, die kein Mensch weder verstehen konnte noch wollte. Das einstige mythologische Faszinosum Hollywood ist heute nur noch Business as usual. Das amüsiert Anger zwar, aber interessiert ihn nicht wirklich. „Letztendlich bin ich Underground-Filmemacher. Kein Romancier, kein Regisseur für Musikvideos. Ich habe die amerikanische Avantgarde erfunden. Ich bin Kenneth Anger!“ s

The Films of Kenneth Anger US/FR 1947–2007, 90 Minuten, englische OF Auf DVD als Import

Hollywood Babylon, 1. & 2. Akt von Kenneth Anger Reprints, 638 Seiten Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 3 www.rogner-bernhard.de

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Gute Filme. Neu auf DVD! Überall im Handel und auf www.goodmovies.de

The Invisible Men Der Film erzählt die Geschichte von drei schwulen Palästinensern, die aus ihrem ursprünglichen Lebensumfeld fliehen mußten und sich jetzt illegal in Tel Aviv aufhalten.

Stud Life JJ hat eigentlich alles: eine Wohnung, einen tollen Job und jede Menge Freunde in der angesagten queeren Szene Londons. Wenn ihr nicht die Liebe fehlen würde – so wie ihrem schwulen Freund Seb auch!

I Am a Woman now Fünf starke Frauen, die eines verbindet: Alle ließen sich zwischen 1960 und 1980 von dem sagenumwobenen Arzt Dr. Georges Burou in Casablanca von Männern zu Frauen umoperieren. Die Frauen riskierten ihr Leben in der Hoffnung auf ein neues, ein besseres. Mehr als 40 Jahre später, im Herbst ihres Lebens schauen diese Frauen zurück…


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Fliegen lernen VON BI RU DAV I D BI N DE R

Mit einem Brief bedankt sich der SISSY-Autor bei Sébastien Lifshitz für dessen Dokumentarfilme „Die Unsichtbaren“ und „Bambi“. Beide entstanden in einer Recherche über nicht-heterosexuelle Biografien in Frankreich. Lifshitz ist mit diesen Filmen etwas Besonderes gelungen: Er erzählt die französische Nachkriegsgeschichte aus peripherer, aber gleichwohl vielfältig schillernder Perspektive und führt mit viel Liebe und Neugier seine Heldinnen und Helden des Alltags zu zutiefst persönlichen Aussagen. Neben überragenden Kritiken erhielt „Die Unsichtbaren“ u.a. den nationalen Filmpreis César und den Goldenen Stern des französischen Journalistenverbandes, außerdem den Gierson Award des Britischen Filminstituts; „Bambi“ erhielt den Teddy für den besten Dokumentarfilm.

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EDITION SALZGEBER

Monsieur Lifshitz, Vogelschreie. Die Nahaufnahme einer linken Männerhand, faltig, von rechts oben kaltes Licht, einer der Fingerknöchel wie arthritisch verformt, eine dünne Spritze im Hintergrund. Die rechte, eine Pinzette haltend, mit der sie ein winziges, augenloses und nacktes Bündelchen Vogel, das mit einem seiner Beinchen in die Luft tritt, in kleinen Stückchen aus seiner Schale befreit. „Vorsichtig“, sagt eine Stimme aus dem Hintergrund leise, und wir sehen die Profile zweier alter Männer, konzentriert auf diese Geburt blickend. „Es muss anders liegen …“, der eine, ohne seinen Blick abzuwenden, „Vorsicht“, der andere wieder, dann das ruhige „So ist es besser“, und die Nahaufnahme des winzigen Dings aus Schleim und Blut und nur noch wenig Eierschale zupfender Pinzette, schmerzhaft anzuschauen, bis den ungelenken Bewegungen des Vögelchens eine Pipette Feuchtigkeit spendet. Ganz aus seinen scharfkantigen Schalenresten befreit liegt es in einem weißen Bettchen, atmend, betupft, dunkles noch-nicht-Auge, lebendig. Zwei Totalen, eine Schnur dunkles, grünes Gebirgsmassiv mit Gewitterhimmel, von einem Vogel gekreuzt, eine graue, schwere Wolkendecke im Donnergrollen. Noch nicht einmal zwei Minuten dauert diese Sequenz, die einem den Atem stocken lässt, bevor Ihre elf „Unsichtbaren“ noch zu erzählen beginnen. Sich dafür zu entscheiden, alle in diesem Dokumentarfilm Porträtierten – zwischen den beiden Weltkriegen geboren und heute in Frankreich lebend – durch ihre Nicht-Heterosexualität zu verbinden, wäre ein Leichtes. Nur gerecht, pardon, das wäre es nicht, Monsieur. Denn, vielleicht aus Neugierde auf Enttäuschung, einmal auf Deutsch „altern“ und „Homosexualität“ in die Suchmaschine eingetippt, können einem hier in diesen Tagen solch aufmunternde Ergebnisse anspringen wie „Warum ein Coming-Out mit 60 einsam machen kann“, (also bloß aufpassen und im Schrank vor sich hinmodern?), eine Broschüre zum Thema mit Informationen für Altenpfleger (sinnvoll, aber die wenigsten scheinen diesen Beruf noch ergreifen zu wollen), oder der Bericht über ein städtisches Seniorenzentrum, das mit einer lesbisch-schwulen Beratungsstelle zusammenarbeitet. Voilà. Auf Englisch im Netz gesucht, gibt’s wissenschaftliche Artikel, die feststellen, dass homo- und heterosexuelles Altern größere Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweise, sich die als positiv oder negativ bewerteten Aspekte jedoch signifikant unterschieden. Wir fielen im Alter grundsätzlich auf ein dichteres soziales Netz zurück, da wir uns eben nicht scheuklappig auf eine genormte Blutskleinfamilie verlie-

ßen, Diskriminierungen hätten aber keine Ehrfurcht vor dem Altern, und wir empfänden sie nicht eben fluffiger in Zeiten von Pflegebedürftigkeit. Und dann kommen Sie, Monsieur Lifshitz, geboren 1968, Lyriker der filmischen Dokumentation, Ihre Tarnung im Abspann mit „Regisseur“ nicht vollkommen geglückt, und drehen uns allen (selbsternannte Heteros inklusive) Die Unsichtbaren, als antworteten Sie damit ganz verdutzt auf François de La Rochefoucaulds „Wenige verstehen es, alt zu sein“ (Peu de gens savent être vieux) mit einem „Aber wieso? Hier sind doch elf und ich hatte noch sechs Stunden Film …“, in knapp 120 Minuten.

„Jetzt ist auch Frankreich betroffen!“ Wie sagt uns doch die drohende Stimme in einem Juwel von Lehrfilmausschnitt (wo haben Sie den nur ausgegraben?) zu Bildern eines très gefährlichen, offenbar nicht sonderlich hetenbevölkerten Tanzschuppens: „Jetzt ist auch Frankreich betroffen …!“ Mon dieu, Frankreich war derart betroffen, dass es Ihnen dann 2013 für die Unsichtbaren den César verlieh, ein betroffenes Land, in dem nicht lange zuvor die „Heirat für Alle“ („Le Marriage pour tous“) proklamiert und mit Aufmärschen von Frankreichs Rechter in Paris und Lyon („Le manif pour tous“) begleitet wurde, Aufmärschen, die einem schweißkalte Schauder vor so viel aufgelaufener saturierter Dummheit beibrachten. Wenn’s einen, von diesem Land aus schreibend betrachtet, nicht so um den Schlaf gebracht hätt’, man wär’ an missverstandenen Dadaismus oder an die Absurdität vermeintlich Gebildeter erinnert, die sich gegen die Existenz der Sonne per se auf den Straßen zusammenrotteten. Und dabei lehrte Literatur in eben dem Land die längste Dauer ihres Lebens eine Marie-Pierre Ysser, seit ihrer Zeit am Travestietheater „Le Carousel“ in Paris auch als Bambi bekannt, die Sie in einem den Unsichtbaren an nichts nachstehenden 60-minütigen lyrischen Porträt aus Licht und Schatten zeichnen. Bambi, am elften November 1935 in Algerien als Jean-Pierre Pruvot geboren, trägt den Ordre des Palmes Académiques, kurz Palmes Académiques, wie sie uns beiläufig erzählt, eine der höchsten Auszeichnungen in Frankreich für Verdienste um das französische Bildungswesen. Wird mit Bambi/Marie-Pierre und in Bambi aber nicht eine andere aktuelle, ganz grundlegende gesellschaftliche Tendenz zur Verunsichtbarmachung evident, die nicht mit der grundlegenden gesellschaftlichen Ver-

unsichtbarmachung Alternder, gleich welcher sexueller Neigung, zusammenhängt? Undenkbar, so Bambi, sei doch als Prof. Marie-Pierre Ysser für die Menschen in ihrer Umgebung gewesen, sie sich als Jean-Pierre Pruvot, Travestiekünstler am „Le Carousel“, vorzustellen, ja, ihr bester „Schutz“ sei dies gewesen. Ist das nicht aber auch ambig insofern, als eben dieser Schutz, der aus der generellen Tendenz zur Ignoranz wie Mangel an Imagination überhaupt erst ermöglicht wird, den verunsichtbarmachenden Schleier gesellschaftlicher Blindheit gegenüber der Existenz von Trans*leben offen legt? Die unterbrochene filmische Narrative: „Mein Leben war eine Routine“, so Bambi. Die nicht vollendete Zeile, sie vermag hier diese abermalige Wendung zu erzeugen, diesen Zauber, der einen als Kind befallen hat, durch ein Guckloch auf glitzernde Mosaike am Ende einer kleinen Röhre schauend, die sich immer wieder zu anderen Mustern formen, wenn sie gedreht wird und von denen wir einmal mit Staunen lernten, dass sie doch aus immer den gleichen Steinchen bestehen, aber nein, wie kann das nur sein? „Mein Leben war eine Routine“, so Bambi, „eine glückliche. Da war die Illusion, einen Unterschied machen zu können, interagierend mit den Studierenden. Sie bekommen Unterricht in Menschlichkeit jeden Tag. Ich liebte das Unterrichten, liebte es absolut. Ich bin ganz darin aufgegangen. Es war eine Chance, etwas zu entdecken, zu teilen, ihr innerstes Selbst, ihre Lebenserfahrungen.“ Monsieur Lifshitz, Bambi und Die Unsichtbaren schauend, scheinen Sie mir ein als Regisseur getarnter Historiker und Dichter zu sein, lyrischer Archäologe des alltäglich-untäglichen Nicht-Fremden, in der gewählten Tarnung ein Paradox aus all dem Unfassbaren, das wir Wesentliches, für das Auge nicht Sichtbares nennen. Vogelschreie, nacktes noch-nicht-Auge, lebendig. Zum Fliegen geboren. Ihr Biru David Binder

Die Unsichtbaren / Bambi zwei Filme von Sébastien Lifshitz FR 2012/13, 115/60 Minuten, französische OF mit deutschen UT Auf DVD bei der Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de

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FRAUEN OHNE UNSCHULD VON JO CH EN W E R N E R

Am 2. April 2013 ist mit Jesús Franco Manera ein Fixstern des europäischen Exploitation-Kinos von uns gegangen. Wie viele Regiearbeiten genau er hinterließ, ist aufgrund seiner zahllosen Pseudonyme schwer zu sagen, die verlässlicheren Schätzungen bewegen sich um die 250 Filme. Am bekanntesten war er wohl als Jess Franco, und unter diesem Namen erscheint nun aktuell auch eine Reihe von Wiederveröffentlichungen jener Filme, die er in den 1970er Jahren für den Schweizer Produzenten Erwin C. Dietrich inszenierte – ein Anlass, sich kopfüber in einen mal kruden, mal psychotronischen Trip zu stürzen durch das verminte Terrain der „Lezploitation“, der lesbischen Sexploitation.

s Man muss sich da gar nichts vormachen: Die vier Filme, um die es hier geht, sind für ein heterosexuelles Männerpublikum inszeniert, und die lesbischen Sexszenen in ihnen sind ganz auf dessen Blick und dessen Erregungspotenziale hin maßgeschneidert. Dass diese Darstellungsform, angesichts der jahrzehntelangen Kolonisierung lesbischer Sexualität(en) durch einen heteronormativen Pornoblick, grundsätzlich über ein gewisses problematisches Potenzial verfügt, vor dieser Erkenntnis gibt es kein Entrinnen. Bleibt also die Frage, ob es in ihnen dennoch etwas zu entdecken gibt, was über das Exploitative, das Kalkulierte hinausreicht; etwas, das sich gegen das immer schon von vornherein Korrumpierte des exploitativen Blicks sperrt, etwas, das seine kalte Härte weich werden lässt, etwas, das inmitten der Falschheit selbst um eine Form von Poesie ringt. Aber beginnen wir mit dem auch chronologisch jüngsten Film der hier vorgestellten vier Wiederveröffentlichungen: Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (1975) ist nicht nur der für sich genommen schönste, sondern auch der mit Abstand am wenigsten niederträchtige Film in dieser Auswahl. Franco, der den Film unter dem Pseudonym Wolfgang Frank inszenierte, spielt darin, wiederum unter dem Alternativpseudonym Frank Manera, selbst die Hauptrolle des einigermaßen schmierigen puertoricanischen Privatdetektivs Al Pereira, einer Figur, die in unterschiedlichsten Schaffensphasen immer wieder in seinem Œuvre auftaucht und die vor allem als komische Figur zu verstehen ist. Der eher untersetzte, schnauzbärtige und schmerbäuchige Franco gibt Pereira hier als wunderbar knalltütige Schießbudenfigur, die einigermaßen unbedarft in eine Verschwörung zweier lesbischer Frauen hineintölpelt und statt je selbst zum Helden der Geschichte zu werden, konsequent Spielball der klugen Frauen in seinem Leben bleibt, die hier stets alle Fäden in den Händen halten. Abgesehen davon, dass Downtown insgesamt ein durch und durch fröhlicher, leichtfüßiger Film ist und man ihm schon ob dieser grundsätzlich sonnigen Gutherzigkeit eigentlich für nichts so richtig böse sein kann, blitzt bereits hier eine deutliche Emphase in der Inszenierung von Sexualität auf, die die Rolle der Lezploitation bei Franco dann doch etwas komplexer als auf den oberflächlichen Blick hin erscheinen lässt. So gibt es nämlich im Grunde gar keinen Mann in der Welt dieses Films, der überhaupt ernsthaft als sexuelles Wesen in Betracht käme: die sprücheklopfenden Zuschauer in der Stripbar, der nicht einmal im volltrunkenen Zustand erfolgreich zu 32     SISSY 20

verführende Gangster, und sicher nicht zuletzt Pereira selbst, der zwar ständig im film-noir-typischen Off-Kommentar über die eigene Geilheit schwadroniert, der sich dann aber doch immer wieder fast ängstlich-infantil aus Situationen herauswindet, sobald diese allzu sexuell aufgeladen werden. Um dann doch lieber ein Gläschen zuviel zu trinken: „Schnaps ist Schnaps und Bier ist Bier“ heißt es einmal, und das bringt die ziemlich jämmerliche männliche Heterosexualität im Kosmos dieses Films recht zutreffend auf einen Punkt. Die einzigen Momente einer jedenfalls versuchten und mitunter auch tatsächlich spürbaren Sinnlichkeit findet der Film in der Art, wie er die beiden lesbischen Liebhaberinnen in Szene setzt: Da sind dann plötzlich einfach mal, für Minuten oder auch nur Sekunden, zwei Partnerinnen, die sich wirklich berühren dürfen, ohne dass der sexuelle Akt zwanghaft als schnöder Auslöser für eine rustikale Pointe oder einen chauvinistischen Spruch herhalten müsste. Überhaupt kommt im Blick der Kamera von Jess Franco immer wieder eine mitunter überraschende Zärtlichkeit zum Ausdruck – insbesondere seine jahrzehntelange Ehefrau und Muse Lina Romay scheint er geradezu mit der Kamera zu streicheln, ganz unabhängig davon, was für boshafte Dinge sich vor ihrer Linse gerade abspielen mögen. Denn so freundlich und gutgelaunt wie Downtown sind die übrigen Filme der Auswahl nicht. Vergleichsweise harmlos geht es dabei noch in Wicked Women – Das Haus der mannstollen Frauen (1977) zu, in dem Franco eine etwas arg ungelenke Variation auf den Giallo, den bis zum Fetischistischen durchstilisierten italienischen Kriminalfilm, zu inszenieren versucht. Unter dem ursprünglichen Titel Frauen ohne Unschuld wählt Franco hier, wie nicht selten, ein relativ geschlossenes räumliches Setting, in das er eine mehr oder minder hilflose Protagonistin geraten lässt. Margarita (Lina Romay) ist die überlebende Zeugin eines Doppelmordes und fühlt sich im Anschluss daran nicht nur von einem schwarz gewandeten Killer verfolgt, sondern hat auch ihr Mitteilungsvermögen eingebüßt und wird infolgedessen in die psychiatrische Frauenklinik von Dr. Farkas eingewiesen. Dort frönt man recht ungewöhnlichen und sehr fleischlichen Behandlungsmethoden, denen der Film deutlich mehr Interesse entgegen bringt als seinem eher öden Kriminalplot, und insgesamt entsteht so ein eher lauwarmes Konglomerat ohne wirkliche, man verzeihe die Doppeldeutigkeit, Höhepunkte.


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Das bereits hier etablierte Machtgefälle – die Patientinnen hier, die männlichen Ärzte/Mörder dort (und, auch dies hier schon ansatzweise, ihre sadistischen, frauenhassenden Handlangerinnen) – spielt Franco dann in den zwei verbleibenden Filmen sehr dezidiert aus, handelt es sich doch sowohl bei Frauen für Zellenblock 9 als auch bei Ilsa – The Mad Butcher (beide 1977) um Genrevertreter des Frauengefängnis-Films, in dem die explizit dargestellte (sexuelle) Folterung und Degradierung der weiblichen Häftlinge durch sadistische WärterInnen einen bedeutenden Teil des Filmganzen ausmacht. Während Frauen für Zellenblock 9 die Dramaturgie von Tortur und anschließender Flucht durch den südamerikanischen Dschungel in recht reduzierter Form aufgreift, geht Ilsa – The Mad Butcher letztlich gar noch weiter und positioniert sich schon durch die Wahl von Hauptdarstellerin Dyanne Thorne in einer noch ambivalenteren Traditionslinie: Thorne ist bis heute bekannt vor allem durch ihre hier explizit wieder aufgegriffene Titelrolle in Don Edmonds’ atemverschlagend niederträchtigem KZ-Exploiter Ilsa – She Wolf of the SS (1975). In beiden Filmen sind letztlich Sexualität und Gewalt, Tortur, Grausamkeit untrennbar miteinander verschaltet – wenngleich in Gestalt der hier wie dort präsenten sadistischen Lager-/Gefängnisleiterinnen die Trennlinie von männlicher Gewalt und weiblicher Unterwerfung durchbrochen wird. Lesbischen Sex gibt es auf beiden Seiten – unter den Gefangenen als Ausdruck einer durchaus verzweifelten Intimität wie auch als seitens der Machthaberin erzwungener Akt der Befriedigung durch die hilflosen Gefangenen, in einer besonders sleazigen Sequenz in Frauen für Zellenblock 9 auch vor den Augen und für die Augen des geifernden Lagerarztes Dr. Costa (Howard Vernon). Über weite Strecken gibt es in diesen beiden Filmen kein einziges distanzierendes Moment vom reinen Ergötzen an Qual und gewaltsamem Sex – keine Metaebene, nirgends. Bis zum wahnwitzigen Zombiefilm-Finale von Ilsa – The Mad Butcher jedenfalls, denn da wird dieser Film ohne Vorwarnung kurzerhand zum waschechten Horrorfilm – und offenbart gleichzeitig, dass wir uns im Grunde schon die ganze Zeit in einer Horrorfilm-Welt bewegt haben. In diesem genuin transzendentalen Augenblick purer Sexploitation-Poesie kommt Francos Kino ganz zu sich – und offenbart, dass das Kino immer wieder eben auch imstande ist, die Falschheit selbst, ohne sie zu brechen, derart kristallisieren zu lassen, dass sie selbst wieder sprechend, entlarvend wird. Vielleicht ist das, jenseits der Langeweile einer So-Bad-It’s-Good-Attitüde, ein entscheidender Ansatz, um mit Jess Francos Filmen – statt dezidiert gegen sie – zu einer produktiven Lesart lesbischer Sexploitation zu gelangen: sich so weit und so rückhaltlos in ihre Falschheiten zu stürzen, bis diese von ganz allein wieder umkippen und auf einer anderen Ebene in eine poetische Wahrheit – ebendies: eine Poesie des Falschen – münden? Man muss ja schließlich auch nicht jeden Film gut finden, den man toll findet. s

Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt von Jess Franco CH 1975, 84 Minuten, deutsche OF Wicked Women – Das Haus der mannstollen Frauen von Jess Franco CH 1977, 77 Minuten, deutsche OF Frauen für Zellenblock 9 von Jess Franco CH 1977, 75 Minuten, englische OF, deutsche und französische SF Ilsa – The Mad Butcher von Jess Franco US/CH/DE 1977, 91 Minuten, englische OF, deutsche, italienische und französische SF Alle vier auf DVD bei Ascot Elite Home Entertainment, 3 www.ascot-elite.de

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FLIEGENDER SCHULZIRKUS VON JA N K Ü N EM U N D

Als in Deutschland gerade die „Lümmel von der letzten Bank“ Erfolge feierten, gewann Lindsay Anderson mit seiner tiefschwarzen Internatssatire „If …“ im Revolutionsnachbebenjahr 1969 in Cannes die Goldene Palme. Endlich erscheint dieses wilde, gestochen scharfe Hass-Meisterwerk hierzulande auf DVD.

s IRREALIS. Es gibt einen präzise markierten Moment in If …, in dem die bis dahin klassisch erzählte Studie institutioneller Gewalt an einer englischen Privatschule in eine surrealistische Satire kippt. Gerade hat der Film die exzessiv verübte Prügelstrafe am Schulrebellen Travis, ganze 10 Stockschläge auf den Hintern, mit Anlauf und voller Kraft, als akustisches Signal in die Zimmer der anderen Schüler transportiert, die, je nachdem, ängstlich, mitleidig oder schadenfreudig zuhören, als ein Mitschüler von Travis gezeigt wird, der völlig ungerührt in ein Teleskop schaut. Dieser Nerd, dessen wissenschaftliches Interesse ihn schon früh im Film quasi immun gezeigt hat gegenüber den Macht- und Ohnmachtsprozessen des sozialen Laboratoriums der Schule, der allerdings später, bei einer paramilitärischen Übung, von den anderen den richtigen Kriegsschrei, den „Schrei des Hasses“, einfordern wird, dieser Nerd zeigt uns den Prozess einer Cytokinese – mit jedem Schlag vom Rohr auf die menschliche Haut teilen sich die Zellen, vermehrt sich der Hass, verdoppelt sich der Widerstand. Und kippt dieser Film aus seiner kühlen, beobachtenden Form. If …, mit seinem „Was wäre wenn“Spiel des Titels, lässt die Möglichkeits- und Bedingungskonstruktionen der Rebellion als Frage hinter sich und kommt im „Warum nicht“ einer filmischen Befreiungsaktion an. Das kommt gut, 1969. Das gab es allerdings schon mal, filmgeschichtlich. BETRAGEN UNGENÜGEND. Zéro de Conduite (1933) heißt einer der beiden Langfilme von Jean Vigo, dem enigmatischen Filmemacher, der zu schwach zum Leben, aber voller Wut und Ekel gegenüber einem Internatssystem war, das er durchleiden musste, nachdem sein anarchistischer Vater unter ungeklärten Umständen im Gefängnis ums Leben kam. In seinem Schulrebellionsfilm, auf den sich If …-Regisseur Anderson und -Drehbuchautor David Sherwin ausdrücklich beziehen, gibt sich Vigo nicht lange mit dokumentarischen Beschreibungen der Schulzustände ab. Der Direktor ist ein Zwerg, die Lehrer armselige Spione, ein besonders fetter und dummer betatscht den langhaarigen Schüler Tabard, woraufhin die Sissy zum Querulanten wird: „Herr Direktor, ich sage Ihnen: Scheiße!“ Und der Aufstand bricht los. Vigos surrealistischer Furor stellt sich ganz in den Dienst der wilden Schüler: Kissenschlachten in Zeitlupe, Heftzeichnungen, die sich selbstständig machen, ein Gedenktag mit Offiziellen aus Pappe, die von den Schülern wie beim Dosenwerfen vom Schulhof gefegt werden, machen Schluss mit filmischen Anstandsformen. Die sich verteilenden Kissenfedern, zwischen denen die Schüler rückwärts Purzelbäume schlagen, signalisieren wie die Zellteilung unter dem Mikroskop, was nicht mehr aufgehalten werden kann: Das filmische Medium ergibt sich formvollendet der Bewegung und pfeift auf den Stillstand. Explosionen sehen einfach besser aus. 34     SISSY 20

QUEER KITCHEN SINKS. Ein Buch über die verklemmte Homoerotik der britischen New Wave ist leider noch nicht geschrieben worden. Gegenüber den leidenschaftlichen Heterotikern der Nouvelle Vague hing das Begehren in den Filmen von Lindsay Anderson, Joseph Losey, Tony Richardson und John Schlesinger, den vielen „Bisexuellen“ der britischen Kinolandschaft der 60er und 70er Jahre, irgendwo reizvoll in dezenter Perversion und einigen beachtlichen Versuchen, auch Homosexualität unaufgeregt und als soziale Tatsache koexistent zu erzählen (Victim, A Taste of Honey, The Servant, Sunday Bloody Sunday), fest. Was spätestens in den 1980ern merkwürdig wurde, als sich Zensuren lockerten, Richardson aber immer noch so etwas Verquältes wie das Hotel New Hampshire einfiel. Lindsay Anderson, der ewig in seine heterosexuellen Hauptdarsteller Verliebte, war unter diesen angry young men ein besonders schwieriger Fall, den erst sein langjähriger, ungleich flamboyanterer Freund Gavin Lambert ausplaudern durfte. (Lambert, ebenfalls Wegbereiter der British New Wave, verschlug es zu If …-Zeiten bereits nach Hollywood, dessen queere Subkultur ihm als Biotop mehr zusagte als seine Heimat). DON’T FLIRT! Der Star von If …, Malcolm McDowell, hat ganz offen darüber geredet, wie sehr Anderson in ihn verliebt war. Sein Flirt mit der Kamera ist eine der schönsten filmischen Liebesgeschichten dieser Zeit; die riesigen Augen, wie zu große Öffnungen in das Innere des verletzlichen Rebells, die den saugenden Blick des Objektivs zurückspiegeln. Auch Kubrick brauchte diese Augen, wenig später, in A Clockwork Orange. Doch es ist eine andere schwule Begehrensgeschichte, die der Film mit seiner Film- und Schulrebellion verschaltet. Travis’ Freund Wallace, der Schön- unter den drei Freigeistern der Schule, der ambitionslose Reckturner, der seinen Körper befreien will, bevor er in der Institution verrottet, ist der Schwarm des „Juniors“ Philips, der von den stockschlagenden Aufsichtsschülern (den „whips“) herumgereicht und getauscht wird wie ein sexuelles Prestigeobjekt. Wie der Junge sich in den „Senior“ verliebt, in Zeitlupe und Schwarzweiß, sich dabei gedankenverloren den Angora-Schulpullover überzieht, so dass sich ihm die zu langen Haare elektrostatisch aufrichten, hat sicherlich die pädoerotischen Fantasien befeuert wie kaum ein britischer Arthousefilm zuvor. Trotzdem setzt der Film das ab von der „frigiden“ schwulen Koketterie der Whips („Don’t flirt!“), die ihren institutionalisierten Jungstratsch in perverse Riten münden lassen, an dessen moralischem Ende wohl der dirty old Kaplan steht, der den Frischlingen („Scum“, Abschaum, wie sie von den Älteren genannt werden) im Mathematikunterricht in die Brustwarzen kneift. (Eine Figur, an die sich Anderson und Sherwin aus eigenen Internatszeiten gut erinnern konnten.) Philips, die Sissy, liegt nach der Zellteilung


dvd If … von Lindsay Anderson UK 1968, 107 Minuten, deutsche SF und englische OmU Auf DVD bei Paramount Home Entertainment, 3 www.paramount.de

Zéro de Conduite von Jean Vigo FR 1933, 44 Minuten, französische OF mit englischen UT Auf DVD als Teil der „Complete Works“ bei Criterion, 3 www.criterion.com

PARAMOUNT

seinem Irrwerden an den Zuständen in diesem 1969er-England aus der analytischen Beobachtung mit heiserem Kichern verabschiedet. Monty Python war später (und durchaus anschlussbereit), das britische Kino aber machte erst mal in James Bond. Luchino Visconti sitzt 1969 als Präsident in der Cannes-Jury und vergibt an If … die Goldene Palme; der zeitgleich ins Rennen geschickte Easy Rider hatte keine Chance (in schöngeistigerer Hinsicht macht Malcolm McDowell auf einem Motorrad nämlich die bessere Figur.)

der Aggressionen ganz friedlich in Wallaces Bett – und später wirft er mit den Rebellen gemeinsam Handgranaten auf Eltern, Lehrer, Generäle und Bischöfe, ganz wie sein Sissy-Vorgänger in Vigos anarchistischem Vorbildfilm. BRITISCHE WELLE. Mit „kitchen sink realism“ hat If … nicht mehr viel zu tun. Jäh wechseln Farb- mit Schwarzweißaufnahmen (man vermutet heute, aus Kostengründen), immer wieder wird man auf den Irrealis dieser Schulgeschichte gestoßen, nie darf man sich in dieser Proto-Harry-Potter-Welt sicher sein, die, mit all den blöden Idealen und standesgemäßen Perversionen, am Ende filmgemäß in die Luft gesprengt wird. Spätestens, wenn nach der Zellteilung alle Schüler plötzlich in Militäruniform in der Schulkirche sitzen, vom Pädokaplan gesegnet werden („Christ is our commanding officer!“), schließlich im Gänsemarsch durch die englischen Wiesen streifen („Wir werden diesen Baum zerstören!“), wenn die reizlose Lehrergattin nackt durch das verlassene Schulgebäude streift, wenn sich die Krankenschwester zu Blockflötenklängen in den Schlaf streichelt und der mit Platzpatronen exekutierte Priester vom Rektor als mahnendes Beispiel aus einer Schrankschublade gezogen wird, hat sich If … mit

KREUZRITTER. Aber wogegen richtet sich dieser anarchistische Schabernack eigentlich? Wenn dieser Eindruck durch das bisher Gesagte nicht entstanden sein sollte, muss das hier deutlich gemacht werden: Die ganze Wut, der ganze Hass auf das System hierarchisch geordneter Perversion ist echt und von Bedeutung. Anders als Vigo, der seine wilden Schüler einem blassen Haufen von vertrottelten Lehrern gegenüberstellte, zeigt Anderson in komplexen Raum- und Körperbildern, wie sich der Druck von oben nach unten selbst weitergibt, wie sich unbedeutende Einzelgänger sanktionierte Gewaltbiotope schaffen, in denen sie ihre Komplexe beherzt an Körpern, Ideen und Hoffnungen auslassen können, wie sich Sadisten, Mitläufer und Wegseher verstärken und ergänzen, da Gewalt keine Sache von einzelnen Diktatoren ist, sondern durchaus eine Konsequenz der Moderne, von Zugfahrplänen, Straßenbauten und Schulnoten (wie der freigeistige, gleichwohl sich aus allem Menschlichen heraushaltende Geschichtslehrer in diesem Film zwischendurch erklärt). Immer wieder zeigt Anderson die Postkartenkulisse der soliden Internatsgrundmauern von außen, während die Wände der Studierzimmer, mit Geronimo-, Mao-, Che-Bildchen beklebt, innen bereits hilflos den Aufstand proben. Wie Ausbrüche aus diesen Mauern, mit Mädchen, auf Motorrädern, am Ende domestiziert werden wie der kongolesische Kinderchor, vom Missionar in eine lateinische Messe gezwängt („Missa Lubis“, damals ein Pop-Hit), den Anderson zynisch auf die Tonspur legt, sobald McDowell seine Muskeln spielen lässt. „Crusaders“, Kreuzritter, werden die Rebellen mit sanfter Ironie vom Drehbuch genannt. Von besonderer Perfidie ist in diesem System der Schuldirektor, ein aufgeräumter Mann mit liberalen Ideen, der Prügelstrafen „dekadent“ findet und ein Loblied auf die Individualisten singt, da sie, wenn es darauf ankomme, anpacken und sich in den Schusshagel stellen würden. Dieser Schuldirektor (der gerechterweise am Ende so sorgfältig exekutiert wird, dass von ihm nur noch ein Loch im Rasen übrig bleibt) sagt zu Travis augenzwinkernd: „Sie sind viel zu intelligent, um ein Rebell zu sein!“ Ob We-are-in-this-together-David-Cameron diese Figur als Vorbild nahm, als er If … zu seinen Lieblingsfilmen aus der englischen Filmgeschichte zählte? s SISSY 20     35


PRO-FUN MEDIA

dvd

RAINBOY VON PAU L SCH U L Z

Quentin Lee schlägt in „White Frog“ milde emanzipatorische Töne an, hat einen fantastischen Hauptdarsteller, aber ein Script vom Reißbrett. Trotzdem ist der Film wichtig, weil nötig.

s Quentin Lee dreht seit fast 20 Jahren Indiefilme, die das queere Leben in den amerikanisch-asiatischen Communities zeigen, von komödiantischen kleinen Glanzstücken wie Shopping for Fangs über sein autobiografisches Debüt Flow bis hin zu seinem ‚Durchbruch‘ Ethan Mao. Der war vor fast zehn Jahren so voller langsam Geschwindigkeit aufnehmender Teenager-Wut und aus Entfremdung resultierender Gewalt, dass er ein Festival- und DVD-Hit war und Lee in die Position setzte, sich die Arbeit seither aussuchen zu können. Ethan Mao stellte den Repressionen konservativ leistungsorientierter, in asiatischen Kulturen verwurzelter Elternhäuser die völlig amerikanische Seelenpein der Teenager gegenüber, die in diesen Häusern aufwachsen und schuf sich so sein eigenes Filmgenre: Immigrantenkino der zweiten und dritten Generation. Das war und ist nötig, denn queere intellektuelle Diskurse werden seit dem zu frühen Aids-Tod eines Großteils der schwulen Teilnehmer von weißen Frauen dominiert und im Westen gibt es, von Gregg Araki mal abgesehen, so gut wie keine Repräsentanten einer asiatisch-stämmigen queeren Perspektive im Kino. In diese Lücke stellt Lee nun auch White Frog, obwohl ihn von seinen Vorgängern in Lees Œuvre ein paar wichtige Dinge unterscheiden: Das Buch ist nicht von Lee selbst, 36     SISSY 20

sondern vom Mutter/Tochter-Gespann Ellie und Fabienne Wen, was man an einem bei Lee sonst komplett fehlendem pädagogischen (aber nicht unangenehmen) Duktus merkt, und das Zielpublikum ist relativ klar definiert: Teenager und Twens. White Frog hat eine aufklärerische Mission und ist sich nicht zu fein, dafür auch mal zu „TV-Movie of the Week“-Mitteln zu greifen. Das geht schon bei der Besetzung los: Die Hauptdarsteller Booboo Stewart, Harry Shum Jr. und Tyler Posey kennt man in der Reinfolge aus Twilight, Glee und dem fabelhaftesten und homoerotischsten Trash der Neuzeit, der Werwolf-Serie Teenwolf. Sie alle können spielen, aber sehen natürlich erst mal gut aus – und müssen bis auf Stewart auch nur unwesentlich mehr tun, was am eher niedrigschwelligem Ansatz des Drehbuchs liegt, nicht an ihnen. Es geht nicht um Diskussion, sondern erst mal nur um Repräsentanz. Aber, gegen schöne Menschen, die mitfühlende, Akzeptanz einfordernde Dinge sagen, kann niemand etwas haben. Die Story: Chaz Young (Shum Jr.), achtzehn, Skateboarder und gerade in Yale aufgenommen, kümmert sich so liebevoll um seinen Bruder Nick (Stewart), der Asperger-Syndrom hat, dass er den Beginn seiner wöchentlichen Pokerrunde mit Freunden verpasst. Als er dorthin radeln will, kommt er unter ein Auto und stirbt.

Seine Eltern (der offen schwule TV-Star BD Wong und Joan Chen) können mit dem Verlust des Kindes, in das sie alle Hoffnungen gesetzt hatten, nur schwer umgehen. Besonders als Chaz’ Freunde den „Rainboy“ Nick in ihre Pokerrunde aufnehmen und er beginnt, ein eigenes Leben zu führen. Er erfährt, dass sein Bruder, genau wie er, ein großes Talent für das Spiel hatte und seine nicht unwesentlichen Gewinne alle an ein Jugendzentrum spendete, in dem er auch selbst gearbeitet hat und das von der HippieLesbe Ms. Lee geleitet wird. Der Grund für Chaz’ Großzügigkeit: Sein „bester Freund“ Randy war Chaz’ große Liebe und beide waren kurz davor, das auch Chaz’ Eltern zu sagen, bevor er starb. Für Nick ist jede neue Information über seinen Bruder etwas, das seine Welt von Grund auf erschüttert, Menschen mit Asperger-Syndrom reagieren auf Veränderungen und Ungewissheiten ungefähr so gelassen wie Benzin auf brennende Streichhölzer. Seine Eltern teilen die Intensität seiner Sorge, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Sie wollen nicht, dass jemand erfährt, dass ihr Sohn schwul war. Das Ende, eine bewegende Rede übers „Anders“-Sein ist für diese Art von Film erwart- und vorhersehbar, aber trotzdem schön. White Frog illustriert durch sein bloßes Vorhandensein gerade für europäische Zuschauer die unterschiedlichen Geschwindigkeiten parallel ablaufender Diskurse die es auch im queere Kino gibt: Moderne Großstadtbewohner und I want your Love-Gucker erreicht man hiermit natürlich nicht, für die ist der Film aber auch nicht. In einem Land wie den USA mit fast 400 Millionen Einwohnern aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen sind in den einzelnen queeren Millieus auch die cinematischen Bewegungen selbständig und führen zu unterschiedlichen Erzählungen. Zwanzig Jahre, nachdem Ang Lee mit Das Hochzeitsbankett einen ersten Versuch unternommen hat, amerikanische und asiatische Vorstellungen von Emanzipation, Privatheit und Kompromissen im Mainstream aufeinander prallen zu lassen, versucht White Frog etwas ganz Ähnliches und ist dabei für Europäer ähnlich amüsant und aufregend. s

White Frog von Quentin Lee US 2012, 90 Minuten, englische OF mit deutschen UT Auf DVD bei Pro-Fun Media, 3 www.pro-fun.de


film-flirt Tania Witte

Der Moment

lebt als freie Autorin, Journalistin und Lektorin in Berlin. Neben diversen Beiträgen in Anthologien und Zeitschriften sind bisher zwei Romane erschienen: „beziehungsweise liebe“ (2011) und „leben nebenbei“ (2012, beides im Querverlag). Zwischen Mai und Oktober 2013 erschien von ihr der wöchentliche Fortsetzungsroman „Lust. Ausgerechnet“ in der „taz“. Außerdem ist sie in Gestalt ihres Alter Egos Caya Te auf Spoken-WordBühnen aktiv.

SCHRIFTSTELLER SEHEN FILME: TANIA WITTE

œ www.taniawitte.de · www.cayate.de

s Es war der Biss. Oder eher: Das Warten auf den Biss. Vielleicht war es auch das gehauchte „Shall we allow an angel to pass?“, oder das hellblaue Hemdchen, das Herbert von Krolock trug, als er den überforderten Alfred zu verführen versuchte. Das Ganze fand 1967 irgendwo in Transsylvanien statt und Herbert von Krolock biss am Ende mitnichten in Alfreds Hals, sondern vielmehr in ein ledergebundenes Buch mit dem Titel „100 Wege, sich ins Herz einer Jungfrau zu schmeicheln“. Unnötig zu sagen, dass Herbert von Krolock ein Vampir war. Ein schwuler Vampir. Ich habe wenig schwule Anteile, aber als ich Jahre nach dem Erscheinen Polanskis Tanz der Vampire (The Fearless Vampire Killers) sah, war es genau diese Szene, die mich infizierte: Mit der Liebe zur Queerness von Vampirfilmen und mit dem Bewusstsein, dass obsessive Liebe möglicherweise unsterblich, dem Teint und der Lebensqualität aber wenig zuträglich ist. Homoerotik pflastert viele HollywoodBlockbuster – schwule Homoerotik, um genau zu sein. Während meiner Findungsphase war die Auswahl an möglichen Identifikationsfiguren für eine queere Frau eher gering. Was mich interessierte und interessiert – Androgynität, das Dazwischen, die Uneindeutigkeit –, fand in den Mainstream­ produktionen meiner Jugend nicht statt. Zumindest nicht bei den sogenannten und dargestellten Frauen. Androgyn waren Männer und am androgynsten: Vampire. 1992 lösten sich die Geschlechtergrenzen in meinem Kopf kurzzeitig fast vollständig auf – das war, als sich Winona Ryder in Coppolas Verfilmung von Bram Stoker’s Dracula einem grünen Nebel hingab. Grünem Nebel, der selbstverständlich lediglich Sinnbild des zeit-, alters- und geschlechtslosen Dracula war … „I’ve crossed oceans of time to find you …“ Das ist Romantik. Das ist Schmerz. Für mich ging es niemals um Dracula und sicher auch nicht um (den grandiosen) Gary Oldman – es ging um Lust, Leidenschaft, Obsession, um Einsamkeit, Macht und Hingabe. Es ging um Fluidität und darum, dass Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen und es ein Fehler ist, jemanden festnageln zu wollen. Nicht mal Vampire. Nicht mal mit einem Holzpfahl. 1995 kreuzte ein weiterer blutiger Leckerbissen meine Welten: Interview mit

einem Vampir basierte auf Anne Rices fantastischem Roman von 1976 und zelebriert in pompöser Kulisse das Leben, das über den Tod hinausgeht. Angeblich sollte die Rolle des Louis wegen der Homophobie im Hollywood der 1990er umgeschrieben und mit einer Frau besetzt werden. Was wäre uns entgangen! Denn es ist Brad Pitt als Louis, dessen geschlechtliche Uneindeutigkeit den Film sehenswert macht – er alleine ist weitaus (homo)erotischer als die sexuelle Energie, die ihn mit Tom Cruises Darstellung des Lestat verbindet. Die goldene Himbeere als schlechtestes Leinwandpaar bekamen die beiden also nicht gänzlich zu Unrecht, allerdings, das sei betont, alleine Tom Cruises wegen. Aber Androgynität hin oder her: Auch Feminist*innen kommen an der weiblichen Darstellung des Vampirs nicht vorbei. Vampirinnen sind unwiderstehlich, stark und über die Maßen sexy … bis sie sich weiterverwandeln und eines ihrer anderen, weniger gefälligen, aber nicht minder wahren Gesichter zeigen. Wer erinnert sich nicht an From Dusk Till Dawn? An Salma Hayek, die Schlange und den Whisky, den Whisky, den Whisky … 1996 war das und satte zehn Jahre, bevor es Stephenie Meyer mit ihrem restriktiven Twilight-Backlash fast gelang, mir das Genre zu verderben. Fast. Denn 2008 erschien in Deutschland ein kleiner britischer Independent-Film, der mein Interesse an der Gattung kurz wiederbelebte. Vampire Diary hieß er und sollte keineswegs mit der fast gleichnamigen Fernsehserie verwechselt werden. Vampire Diary ist Trash, Camp und Klischee und liebäugelt obendrein mit Dogma – und er ist im Gegensatz zur Serie alles andere als jugendfrei. Nachdem ich den Soundtrack zu Vampyros Lesbos (1970) bereits besaß, den Film aber nie gesehen hatte, wurde Vampire Diary zu meinem ganz persönlichen Crashtest: Ist ein Film, in dem es um die Beziehung zwischen zwei Frauen geht, von denen eine – shit happens – eine Vampirin ist, das Non-Plus-Ultra? Geht so. Das Bemerkenswerteste an dem Streifen war ein Satz von Vampirin Vicky, der eine weitere Tür öffnet: „Ich bin keine Frau, ich bin ein Tier.“ Wie gesagt: Alles ist fluide.

Tanz der Vampire von Roman Polanski GB 1967, 108 Minuten, deutsche SF und englische OmU

Bram Stoker’s Dracula von Francis Ford Coppola US 1992, 123 Minuten, deutsche SF und englische OmU

Auf DVD bei Warner Home, 3 www.warnerbros.de

Auf DVD Sony Pictures Home Entertainment, 3 www.sphe.de

Interview mit einem Vampir von Neil Jordan US 1998, 118 Minuten, deutsche SF und englische OmU

From Dusk Till Dawn von Robert Rodriguez US 1995, 104 Minuten, deutsche SF und englische OmU

Auf DVD bei Warner Home, 3 www.warnerbros.de

Auf DVD bei Studiocanal, 3 www.studiocanal.de

Vampire Diary von Marc James und Phil O‘Shea UK 2007, 90 Minuten, deutsche SF und englische OmU

Vampyros Lesbos von Jess Franco ES/DE 1971, 89 Minuten, deutsche OF

Auf DVD bei Indigo, 3 www.goodmovies.de

Auf DVD als Import

leben nebenbei beziehnungsweise liebe von Tania Witte von Tania Witte Roman, 328 Seiten, Roman, 232 Seiten, beide im Querverlag, 3 www.querverlag.de

s SISSY 20     37


frisch ausgepack t

Neu auf DVD VON M A IK E SCHULTZ (MS), SEBASTI A N M A R KT (SM), PAUL SCHULZ (PS) UND JA N KÜNEMUND (JK)

FREIER FALL DE 2013, Regie: Stephan Lacant, Edition Salzgeber

Hanno Koffler und Max Riemelt spielen Polizisten, die sich ineinander verlieben, und Freier Fall eroberte als seltenes Beispiel eines queeren deutschen Mainstreamfilms die deutschen Kinokassen und die internationalen Festivals. „Die Szenen und Bilder sitzen, die Handlung nimmt in eleganten Bahnen ihren Lauf, 100 Minuten sind schnell um, weil hier drei Schauspieler auf der Höhe ihrer Kunst zu sehen sind, die darin besteht, dass man die Kunst nicht sieht, sondern echte Menschen. Ein Regisseur weiß, was er zeigen, und ein Autor, was er erzählen will. Ein Freund und ich sitzen atemlos im Großstadt-Kino und gruseln uns vor den Insignien unserer Herkunft: einstöckige Einfamilienhäuser mit einem Stück Rasen dahinter, davor mit Wicken umrankte Carports. Und im Mauerwerk die Haustüren: massiv, Plastik, wie ein luftdichter Deckel für all die Lügen und Geheimnisse, die hinter ihnen lauern. Von denen es im Laufe des Films immer mehr gibt, bis Freundin Bettina mit Kind geht und Marc begreift, wer er ist und was das heißt. Dazwischen gibt es die eindringlichsten Sexszenen zwischen zwei Männern, die mir im deutschen Kino je begegnet sind. Weder Koffler noch Riemelt scheuen sich davor, ihre Körper zu blanken, schauspielerischen Instrumenten zu machen, an denen voyeuristische Augen schlicht abrutschen, weil sie viel mehr als nur Nacktheit erzählen. Glück ist schwierig und gelingt nur in Momenten, wenn man sich nicht sehr darum bemüht.“ (Paul Schulz in SISSY 17)

ALLE AUSSER MIR

saß, oder bald jemand sitzen wird, aber es ist ein Bild, das von einer Abwesenheit erzählt. Dann klingelt ein Telefon und die Fahrerin beginnt zu sprechen, mit einer, die nicht hier ist. Es ist ein tolles Anfangsbild für einen Film, der von einer Beziehung handelt, und es ist eines von vielen tollen Bildern, die Raúl Fuentes in Alle außer mir noch folgen lassen wird. Liebesgeschichten sind Erzählungen par excellence, ihre Bedeutung verdanken sie dem Verlauf, der Ordnung in der Abfolge ihrer Ereignisse. Alle außer mir stellt sie auf den Kopf – er beginnt mit dem Moment größter Leichtigkeit und größten Glücks: Alejandra, die elegante und selbstbewusste Verlegerin und Maria, die unbekümmerte, malende Abiturientin am ersten gemeinsamen Morgen, suspendiert von der restlichen Welt. Erzählt das weiter, bis die anziehenden Unterschiede Wellen schlagen, springt zurück vor den Anfang, und fährt dann fort zum Schluss. Ein anderes tolles Bild: Alejandra hat Maria in eine Jazzclub mitgenommen, einen, in dem man die Musik an Tischen sitzend hört. Maria aber will tanzen, und das tun sie dann, ohne Rücksicht auf jemand anderen die eine, zögerlich die andere, mal enthusiastisch, mal unsicher. Das Bild der tanzenden Frauen, jede für sich und zusammen, steht auch ein für das Verhältnis der Figuren zueinander. Diese Liebe steht und fällt nicht allein mit dem Ende, das sie findet. Versuche, sich aufeinander zu beziehen, und sich zusammen auf die Welt. Immer wieder kontrastiert der Film Alejandras angelesenes poetisches Weltwissen mit Marias ImMoment-leben-Wollen, immer wieder webt der Film Gesagtes und Geschriebenes in seinen Erzählfluss ein, Banalitäten und Gedichte, lässt lesen und rezitieren, Beschwörungen eines Gefühls, findet sie als Klischees an Wänden. Fragmente einer Sprache der Liebe: Daraus wird kein Ganzes, aber ein Film – und was für einer. sm

(erstmals gemeinsam auf der Leinwand) innerhalb eines winzigen Gastauftrittes als Angehörige des technischen Bodenpersonals versehentlich dafür gesorgt haben, dass eine Maschine der ‚Peninsula Airlines‘ auf dem Weg von Madrid nach Mexiko-City mit ihrem Fahrwerk auch die Bremsklötze verschluckt hat, weswegen sie nicht mehr normal landen können wird, hebt diese Komödie der Leichtbauweise dann auch relativ schnell in Regionen des höheren Schwachsinns ab. An Bord nämlich haben der Chefsteward und seine beiden nicht minder tuntigen Kollegen rasch reagiert und die gesamte Holzklasse samt der dort zuständigen Flugbegleiterinnen mit Schlafmitteln ins Land der Träume geschickt, um eine Massenpanik zu verhindern. (…) Almodóvars Komödie, die wahrscheinlich schlicht ein hedonistisches Lustprodukt nach eher düsteren und beziehungsreichen Streifen wie Die Haut, in der ich wohne (2011) darstellt, lädt ein zum Davonfliegen, und sticht trotz einiger Schwächen deutlich aus dem Kein- bis Zwei-Ohr-Komödienschrott hervor: sehenswert − und für Fans ohnehin ein Muss.“ (Christoph Meyring in SISSY 18)

ALBERT NOBBS GB/IR 2011, Regie: Rodrigo García, Pandastorm

Glenn Close spielt in ihrem Herzensprojekt den Diener Albert Nobbs, dessen wahres Geschlecht aus sozialen Gründen zum Verschwinden gebracht wird. „Man sieht diesem Nobbs an, dass er einer Theaterbühne entsprungen ist. Schauspielkunst steht im Vordergrund der Tragödie, die sich zu 80 Prozent zwischen den Hotelwänden und dessen Bewohnern abspielt – dank ‚Harry Potter‘-Stars wie Brendan Gleeson und Mark Williams auch mit durchaus komödiantischen Szenen. Nur eines überstrahlt sie alle mit seiner Traurigkeit. Das ausdruckslose und doch 1.000 Geschichten erzählende Gesicht von Close mit diesem fein geschwungenen, sanften Mund. Ach, würde man diese Lippen nur einmal die Contenance verlieren sehen.“ (Maike Schultz in SISSY 19)

MX 2012, Regie: Raúl Fuentes, Edition Salzgeber

Eine nächtliche Autofahrt, es läuft Musik, „Until the Night is Over“ von Timber Timbre. „Oh I just / wanna change your mind“ heißt es da. Der erste Blick fällt auf einen Beifahrersitz, der leer ist, nur die vorbeiziehenden Laternen werfen ihr Licht auf die Polsterung. Man weiß nicht, zunächst, ob da früher jemand 38     SISSY 20

FLIEGENDE LIEBENDE

DER FREMDE AM SEE

ES 2013, Regie: Pedro Almodóvar, Universal

FR 2013, Regie: Alain Guiraudie, Alamode/Al!ve

„Fliegende Liebende hat kaum etwas Schwergewichtiges im Gepäck, denn Almodóvar wollte nach eigener Aussage eine ‚leichte, sehr leichte Komödie‘ konstruieren. Nachdem Penélope Cruz und Antonio Banderas

Cruising-Choreografien an einem See in Südfrankreich. Ein junger Mann verschwindet. „Die Konzentration auf die wenigen Schauplätze am See geht einher mit einer beinahe pantheistischen Aufmerksamkeit für ihre


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Wesen. Das Raunen des Windes, das durch Schritte verursachte Knirschen der Kiesel am Strand, die Art, in der sich das Gras im Wald hin und her wiegt, der Lärm eines Flugzeugs, das unsichtbar bleibt, die Motorengeräusche auf dem Parkplatz, aber auch die achtlos weggeworfenen Kondome, die unter den Bäumen liegen. Guiraudie fängt jede noch so kleine Einzelheit ein und schenkt ihr Beachtung. Alles ist bedeutsam in den nachmittäglichen Stunden am See, schließlich ist hier auch alles möglich. No threat of law. Doch die Intensität des Lebens und die Wucht der Gefühle bringen ihre eigene Drohung mit sich, zumindest für den von Pierre Deladonchamps gespielten Franck.“ (Sascha Westphal in SISSY 19)

PEYOTE MX 2013, Regie: Omar Flores Sarabia, Pro-Fun Media

Als Pablo beginnt, Marco zu filmen, passiert das spontan, ein Ausbruch seines Begehrens, das unbewusst, aber mächtig versucht, festgehalten zu werden und sich so zu manifestieren, denn der jugendliche Held hat nicht so recht die Mittel, um zu sagen, was oder wer er ist, noch nicht. Dazu verhilft ihm die Person vor seiner Kamera: Marco. Der ist der personifizierte Machismo, was ihn für Pablo so anziehend macht, weswegen er ihn auch gleich mal die Initiative übernehmen lässt. Marco fährt mit Pablo in die Wüste und dort ändert sich ihrer beider Leben. Regisseur und Drehbuchautor Omar Flores Sarabia verlässt sich in Peyote ganz auf seine Hauptdarsteller, die das Zentrum und die Special Effects dieser mexikanischen Indieproduktion sind. Er tut gut daran. Joe Diazzi und Carlos Luque spielen sich gegenseitig ausdrucksstark an die Wand und können Liebe und Begehren und Zweifel im selben Moment. Toll, und trotz des Mangels an originellen Bildern nur wegen den beiden sehr sehenswert. ps

SOLO AR 2013, Regie: Marcello Briem Stamm, Pro-Fun Media

Sehr schwer, über diesen Film zu schreiben, weil man keinen seiner Story­ twists verraten möchte. Es geht nur so viel: Manuel, der gerade solo ist, trifft Julio, mit dem er gerne zusammen wäre. Denkt man. Julio ist so scharf, dass man sich um den blassen Manuel ziemlich schnell etwas sorgt, um dann festzustellen, dass man seine Gefühle völlig falsch investiert hat. Das Solo-Sein ist der roten Fa-

den des Films, mit allen nur möglichen Bedeutungen, die der Begriff haben kann: verlassen sein, frei sein, ganz verloren auf dieser Welt sein, allein auf einer dunklen Straße sein, keine Nachbarn zu haben, die einen schreien hören. Dieser rote Faden wird am Ende mit einem Hammer gekappt, ausgerechnet, denn wer mit einem Hammer auf einen Faden haut, hat eine merkwürdige Vorstellung von den Zusammenhängen dieser Welt. Der denkt wahrscheinlich auch, dass sich Menschen gerne und zum eigenen Vergnügen von einem Film austricksen lassen möchten. Die Filme des neuen argentinischen nicht-heterosexuellen Kinos (da hat Regisseur Marcello Briem Stamm viel mit Marco Berger und Marcelo Mónaco gemeinsam) tricksen gerne, nichts in ihnen ist, wie es zwischendurch scheint, und nichts an ihnen scheint ein Interesse an der Welt zu haben, das über die Schlusstitel hinaus geht. Die sich im Fall von Solo allerdings noch malerisch rot färben. Wie überhaupt alles an diesem Genrefilm, der Lust grundsätzlich an Gefahr koppelt, bemerkenswert konsequent ist. Ein Solo für die Paranoia. Argentinian Horror Story. jk

ANIMALS ES 2012, Regie: Marçal Forés, Pro-Fun Media

Jugend ist ein schlecht vermessener Kontinent. Zu unübersichtlich scheint das Terrain, zu unvorhersehbar die tektonischen Verschiebungen, als dass Verortung und das Überblicken eines gangbaren Weges hindurch möglich wären. Um Orientierung ringt in Marçal Forés’ Kinodebut Animals der Teenager und Schüler Pol. Oriol Pla spielt ihn mit einem Ausdruck, der an den Stausee erinnert, der ein zentraler Ort des Films ist: mit ruhiger Oberfläche und nicht abschätzbaren Tiefen. Überhaupt entfaltet sich hier ein Drama namenlosen Unglücks, das von anderem als bösen Absichten getrieben wird. Pols Weggefährten: Laia, die beste Freundin, vielleicht ein bisschen zu naiv; Mark, der Kumpel: vielleicht ein bisschen zu zynisch; Llorenç, der ältere Bruder, der sich als Erziheungsberechtigter fühlt: vielleicht ein bisschen zu hilflos; und Albert, der verständnisvolle Kunstlehrer: vielleicht ein bisschen zu sehr von der Lösbarkeit aller Probleme überzeugt. Als engster Vertrauter bleibt Pols Teddybär, der ihm auf seinen Wegen zwischen Zuhause, Schule und Stausee folgt, als Gesprächspartner und Bandkollege dient. Dann taucht Ikari auf, neuer Schulkollege, Graphic-Novel-Nerd wie Pol und frei von den wohlmeinenden Absichten von Pols Umgebung. Gerade dies wird Teil der Anziehung, die der mysteriöse Fremde auf Pol ausübt, und nährt die Sehnsucht, das Relikt seiner Kindheit gegen

einen Liebhaber zu tauschen. Die konventionelle Weisheit besagt, dass man aus den Tribulationen des Erwachsenwerdens als gestärktes Individuum hervorgeht. Animals erzählt dies als Mär in fantastischen Cinemascope-Bildern, in denen stets ein schwankender Untergrund fühlbar ist, etwas, das ins Bild drängt, aber ohne Anschauung bleibt. Was Pol widerfährt, und uns mit ihm, ist ein Leiden an sich selbst, das nicht abgegolten werden kann. sm

WAS DU NICHT SAGST IT 2012, Regie: Ivan Silvestrini, Edition Salzgeber

Alle von uns erinnern sich mit Grauen an den Moment, als wir unserer Familie sagen mussten, wie es so ist, mit uns und der Liebe. Ivan Silvestrinis Was du nicht sagst baut darum eine ganze Komödie, denn von außen betrachtet sind die Minuten, in denen sich unser Leben und das unserer Familien schlagartig ändert, oft zum Schreien. Mattia hat sein innerfamiliäres Coming-Out lange hinausgezögert und will es nun eigentlich völlig umgehen, indem er mit seinem Schatz Eduardo nach Madrid zieht und seinen römischen Anhang einfach Anhang sein lässt. Das klappt nicht, weil Eduardo in Rom aufschlägt, um vor der großen Reise Mattias Familie endlich kennen zu lernen. Der Film schöpft das Slapstickpotential, das sich aus dieser Situation ergibt, vollständig aus und geht dabei öfter mal einen italienischhysterischen Schritt zu weit. Aber die Schauspieler, der Drehbuchautor und der Regisseur haben so eine diebische Freude an den Absurditäten, die sie hier aufeinander häufen, dass man einfach mitlachen muss. Fazit: Heteros sind blind für die Realität und Homos benehmen sich oft schräg. Alles wahr. ps

JACK & DIANE US 2012, Regie: Bradley Rust Gray, Pro-Fun Media

Am Anfang war das Fleisch und es war unheimlich. Es ist ein Wulst aus Haut und Muskeln, Haaren und Nägeln, es ist blutig und es wabert, zittert und regt sich, es formt und gebiert: ein Monster. New York City im Sommer. Diane (Juno Temple) ist eine arglose Wolke faszinierter Konfusion. Die britische Schülerin ist den Sommer über bei ihrer Tante Linda untergekommen. Am Tag, als sie vergebens auf die Ankunft ihrer Zwillingsschwester Karen wartet, begegnet sie Jack (Riley Keough). Erst geht es nur darum, Dianes chronisches Nasenbluten zu stillen, dann bleiben sie aneinander SISSY 20     39


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hängen. Wo Diane ängstlich versucht, die Welt zu umarmen, da navigiert Jack sicher: als Minderjährige durchs New Yorker Nachtleben, als Liebhaberin in wechselnden Konstellationen. Was den Film antreibt, sind weniger die Hindernisse und Umwege einer sich anbahnenden Spätjugendliebe – Dianes Verunsicherung im Lichte der Erfahrenheit von Jack und ihrer eigenen Unerfahrenheit, ihre zunächst verheimlichte baldige Abreise zum Studium nach Frankreich, das Missfallen, das ihre Tante angesichts von Jack zu allerlei Sanktionen antreibt, die leere Stelle, die Jacks Bruder in ihrem Leben hinterlassen hat. Der Film bündelt all das zu einem veritablen Monster, das die Anziehung, die Jack auf Diane ausübt, in letzterer erwachen lässt, dass es von ihr Besitz ergreift und Jack bedroht. Jack & Diane gelingt so das Kunststück im Vokabular des amerikanischen Independent Cinemas, eine Romanze als einen Horrorfilm zu erzählen, deren Verbindung eine Unterseite von Sexualität ist. Ganz konkret, als furchteinflössender Kreatur, gibt der Film dem Ausdruck und Form, was bedrohlich ist und überwältigend am Erwachen des eigenen Begehrens. sm

TUMBLEDOWN US 2013, Regie: Todd Verow, Pro-Fun Media

Irgendwo in Maine, am Fuss des eponymen Bergs, zwischen Juni und September, ein Zusammentreffen, drei Geschichten, drei Wahrheiten: Der Barkeeper Rick wird in seiner Kneipe von Jay (Todd Verow selbst) aufgegabelt und zu einem Wochenende auf die Hütte eingeladen, in der dieser mit seinem jüngeren Freund Mike wohnt. Was als harmloser Dreier mit Grillabend und Bergwandern beginnt, verzieht sich zusehends in den Plot eines nichtlinearen Thrillers. Übersicht, Kontrolle und Plan verlieren sich, und die Einsätze sind insgesamt zu hoch, als dass nicht irgendwer den Kürzeren wird ziehen müssen. Mit den niedrigen Production Values eines digitalen Kinos ex Underground zielt Tumbledown hoch: auf das Ausloten der Untiefen einer sexuellen Beziehungsökonomie, in der nicht mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Mikes aus vergangenen Verletzungen angeschobener Drogenkonsum, Jays undurchsichtiges Dirigieren, Ricks unbekümmerter Hedonismus: Das ergibt zusammen keinen Vertrag. Todd Verow, Vielfilmer und „Once and Future King of DV“ (Patrick Harrison in „Film Threat“) hat seit Anfang der 90er Jahre mehr als zwei Dutzend Filme gedreht. In seinem jüngsten Spielfilm versucht er sich an einem expliziten Rashomon. Den Sachverhalt einer Grenz40     SISSY 20

überschreitung, der im dramatischen Zentrum steht, erzählt der Film in drei Kapiteln, jeweils einmal aus der Sicht aller in ihn Verstrickten. Die Multiperspektivität entwickelt er sich aus seinem Gegenstand, in dem Nehmen, Geben und Genommenwerden nicht ohne Rest als Kehrseiten darstellbar sind. Die Fäden des Knäuels aus Begehren und Eifersucht, Verführung und Gewalt, Einverständnis und Überwältigung, Öffnung und Betrug entwirren sich denn auch weniger, als Demarkationslinien der Nichtkommunizierbarkeit gezogen werden. Ficken ist kein Nullsummenspiel. sm

FIVE DANCES US 2013, Regie: Alan Brown, Edition Salzgeber

Ein junger Tänzer kommt in die große, kalte Stadt und alles, was er hat, ist sein Körper. „Chip gesteht Katie seine Gefühle für Theo, als wollte er sich die Erlaubnis der Freundin zu seinem neuen Leben einholen. In Anthonys Abwesenheit witzelt die Gruppe über den ‚Boss‘, ist über ihren Choreographen längst hinausgewachsen. Immer öfter lächelt Chip jetzt, reißt schließlich im Gelächter den Mund auf und würgt den darin eingeschlossenen Mann in die Welt. Der maximale Punkt der Leichtigkeit ist erreicht. In diesem Zustand verbringen Chip und Theo noch eine Nacht im Studio, vielleicht die letzte vor ihrem großen Auftritt. Chip will jetzt alles wissen – über die Liebe und ihre Stolpersteine. Spielerisch treten sie in einen Wettbewerb um die beste Pirouette, werfen sich euphorisch in die Proben zu ihrem gemeinsamen Glück. Fast erwartet man nun den dramatischen Wendepunkt, den Sturz, der das hochfliegende Projekt jäh zu Fall bringt: einen verstauchten Fuß, den Sehnenriss, das gebrochene Herz. Der sechste Tanz, er gehört dem Leben.“ (Gunther Geltinger in SISSY 19)

SILENT YOUTH DE 2012, Regie: Diemo Kemmesies, Edition Salzgeber

„Schon die erste Begegnung von Marlo und Kirill deutet an, dass eine flüchtige Berührung und ein kurzer, wortloser Augenblick genügen, um zwei Menschen zu verbinden. So zufällig, wie die Hand des einen die des anderen im Vorbeigehen streift, ist auch das zweite Wiedersehen am S-Bahnhof, wo Kirill Marlo überraschend fragt, ob er ‚schon mal was mit Typen hatte‘. Viel geredet wird nur am Küchentisch der Berliner WG, in der Marlo, Maschinenbaustudent aus Lübeck,

kurzzeitig wohnt, weil er eine Freundin besucht. Da geht es dann um physikalische Brechungsgesetze, um Statistiken und Zahlen und man merkt, dass Marlo in dieser Welt der Naturwissenschaften mehr zu Hause ist als in der Welt des Zwischenmenschlichen. Die Begegnung mit dem jungen Kirill, der – selbst noch Kind – schon Vater ist, läuft dann auch entgegen aller Gesetze der Wahrscheinlichkeit. Mitten in den Hauptschlagadern der Großstadt, zwischen Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln, steht plötzlich die Zeit still, und ein kurzer Abend­spaziergang durch die Straßen Berlins endet im Morgengrauen auf einer fast menschenleeren Warschauer Straße. (…) Es gehört viel Genauigkeit und noch mehr Mut dazu, mit wenig Sprache viel zu erzählen und sich dabei zudem einer bekannten Grundidee zu bedienen, die sich auf zwei Figuren und ein eventuelles Coming-out beschränkt.“ (Toby Ashraf in SISSY 19)

WHITE FROG US 2012, Regie: Quentin Lee, Pro-Fun Media

„Zwanzig Jahre, nachdem Ang Lee mit ‚Das Hochzeitsbankett’ einen ersten Versuch unternommen hat, amerikanische und asiatische Vorstellungen von Emanzipation, Privatheit und Kompromissen im Mainstream aufeinander prallen zu lassen, versucht ‚White Frog’ etwas ganz Ähnliches und ist dabei für Europäer ähnlich amüsant und aufregend.“ (p  Seite 36)

MOSQUITA UND MARI US 2012, Regie: Aurora Guerrero, Edition Salzgeber

Das muss einfach Liebe sein: „Du siehst aus wie eine kleine Fliege (Mosquita)“, sagt Mari zu Yolanda, als sie im Klassenraum neben sie gesetzt wird. Die eine die brave Musterschülerin, gelangweilt von den pubertären Eskapaden ihrer Freundinnen, die andere die BMX-fahrende Rebellin, die auf dem Schulklo kifft und im Supermarkt klaut. Schnell bemerken die scheinbar so verschiedenen Mädchen, dass sie nicht nur Nachbarinnen sind, sondern dass auch derselbe Druck auf ihnen lastet: Yolandas Eltern können sich das Haus im mexikanisch dominierten L.A.-Vorort Huntington Park zwar eher leisten als Maris alleinerziehende Mutter, die auf die Nebenjobs ihrer Tochter zählt. Dafür erwarten sie aber permanent Leistung, damit Yolanda es später einmal leichter haben wird, ihren Platz zu finden. In nur 85 Minuten erzählt Aurora Guerrero –


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selbst eine queere Latina – nicht nur eine authentische Coming-Out-Geschichte, sondern auch von Träumen, die der amerikanische Traum auf der Strecke lässt. In der stillgelegten Autowerkstatt, wo sich die Mädchen zum Lernen treffen, schreiben sie ihre eigenen in den Staub. Es ist nur einer von vielen wunderbar gefilmten Orten, an denen selbst die kalifornische Dauersonne niemals die Tristesse der Suburbs überscheint. Völlig zu Recht ein Sundance-Geheimtipp! ms

NAKED AS WE CAME

widmen. Klingt aufgesetzt? Das ist es auch, und durchweg mit experimentierfreudigen HeteroFiguren besetzt. Durchhalten lohnt jedoch, denn die zweite Hälfte der DVD birgt interessante Begegnungen. Die Schwester, die beim Picknick mit der Freundin ihres Bruders Dornröschen spielt, zwei Prostituierte, die bei der Arbeit ihre Vorliebe füreinander entdecken und zwei Schulfreundinnen, die sich immer wieder treffen: Diese Episoden sind nicht nur sexy, sondern überraschen auch mit einer ernsten Note. Instagram-Optik-Weichzeichner hin oder her. ms

US 2013, Regie: Richard LeMay, Edition Salzgeber

ALEKSANDRS PRICE Besonders schlechte Nachrichten kommen mitten in der Nacht. Elliot und seine Schwester Laura werden von jemandem, den sie nicht kennen und der Ted heißt, darüber informiert, dass ihre Mutter Lily an Krebs erkrankt ist und im Sterben liegt. Ted ist Schriftsteller und lebt mit Lily, ist allerdings 20 Jahre jünger als sie und bei seinem Eintreffen an Elliot interessiert. Laura wütet gegen ihre Mutter und Lily ignoriert jede Form von Wahrheit oder Erkenntnis, mit der sie ihr Leben in Würde abschließen könnte. Der Familie gehört eine Wäschereikette. Ob die die Inspiration für die Wagenladungen schmutziger Wäsche ist, die Richard LeMay in seiner dritten Regiearbeit auf hohem filmischem Niveau wäscht, wissen wir nicht. Dass seine Mischung aus Familienmelodram, Duellen, die nur mit spitzen Zungen ausgetragen werden, und fantastischer Kamera­ a rbeit einen der besseren Filme aus 2013 abgibt, schon. Was Vitaly Bokser hier aus einem verschlafenen Ostküstenkaff und einem großartigen Haus an Bildern rausholt, ist atemberaubend und sollte gesehen werden. ps

SEXUAL TENSION VOL. 2 : VIOLETAS AR 2013, Regie : Marco Berger + Marcelo Mónaco, Pro-Fun Media

FREUT EUCH AUF 2014.

US 2013, Regie: Paul Masó, Pro-Fun Media

Paul Masó, Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller von Aleksandrs Price hat sich viel vorgenommen. Als Heterosexueller eine Geschichte darüber zu erzählen, wie ein heterosexueller russischer Naivling in der großen, bösen Stadt New York aus Einsamkeit und Geldmangel anfängt, als Gogotänzer zu arbeiten und von da aus immer weiter und immer unfreiwilliger in die Sexarbeit abrutscht, ist ein gefährliches Pflaster. Man kann dabei fix mal in eine große, filmgeschichtliche Kiste voller homophober Klischees langen. Das vermeidet Masó, findet gute Bilder und spielt auch sehr anständig, nur am Drehbuch hätte noch gefeilt werden müssen. Der Film könnte dazu benutzt werden, von heterosexueller Seite aus eine Debatte über Homosexualität in Russland anzustoßen, und das ist vielleicht seine größte Qualität. Er ist als Erzählung über mannmännliche Prostitution lange nicht so wagemutig wie sein Macher im Bonusmaterial vermutet, aber sehr ordentlich. ps

MORE THAN FRIENDSHIP DE 2013, Regie: Timmy Ehegötz, Pro-Fun Media

Vorsicht, nicht das Kleingedruckte in Form des Untertitels überlesen: Blumig, wenn nicht gar rosa angehaucht sind nahezu alle dieser sechs argentinischen Kurzfilme, die erotische Schwingungen zwischen jungen Damen vermitteln sollen. Da ist die Lolita-Studentin, die ihre Vormieterin zu einer Erkundungstour in den Seidenschlüpfer lädt und dann furchtbar theatralisch wird; die Boutique-Kundin, die einer Fantasie von der Verkäuferin nachhängt; und natürlich die Café-Besucherin, die auf der Toilette mit der Kellnerin über Frisuren schnackt, nur um sich alsbald deren Brüsten zu

ZWEITE RUNDE!

„Ein authentisches deutsches Roadmovie in der wunderbaren Tradition von Filmen wie ‚Y tu mamá también“, sagt der Pressetext. SISSY sagt etwas anderes. Mia, Lukas und Jonas sind ein Dreiergespann, seit Kindertagen, nun auch als polyamoreskes Konstrukt, das von seiner gesamten Umgebung schwer ausgegrenzt wird. Man begibt sich, wie es das Drehbuch auf der Suche nach Außenwelt gebietet, auf eine Roadmoviereise zum Sinn des Lebens, der Liebe und sich selbst. Dabei findet die Regie keine solchen tollen Bilder wie das SISSY 20     41

Fünf erfolgreiche Jahre ICH WEISS WAS ICH TU. Fünf Jahre Antworten auf eure Fragen zu HIV und schwulem Leben. Aber das war nur das Vorspiel und ab Februar 2014 geht es noch mal richtig zur Sache. Das neue ICH WEISS WAS ICH TU kommt. www.iwwit.de – die Kampagne für alle, die es wissen wollen.


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große mexikanische Vorbild, aber dafür jede Menge Zuneigung zu seinen Charakteren, Sex und eine anständige Portion kitschiger Dialoge. Macht alles nichts, denn alle, die diesen Film gemacht haben, waren im wahrsten Sinne des Wortes mit Leib und Seele dabei, und das merkt man. Deswegen ist More than friendship ein schöner Film, den man, wenn man sonst nichts an ihm mag, auch nur für seinen großartigen Soundtrack lieben kann. ps

PASSION US/DE 2013, Regie: Brian De Palma, Ascot Elite

Lesben sind ein leidgeprüftes Publikum. Was haben sich frauenliebende Frauen in den letzten hundert Jahren Filmgeschichte auf der Suche nach Repräsentation nicht schon alles ansehen müssen, auch und besonders in der Ära des Sexploitation-Films in den 1970ern. Warum Brian De Palma 2013 das Gefühl hatte, er müsse da noch einen draufsetzen, ist schwierig zu beantworten. Vielleicht wird er einfach alt und die Prostata meldet sich. Passion erzählt die Geschichte von Christine (Rachel McAdams) und Isabelle (Noomi Rapace), leitende Mitarbeiterinnen einer internationalen Werbeagentur mit Dependance in Berlin, wo der Film hauptsächlich spielt. Beide – und nein, das kann man nicht höflicher ausdrücken – haben eine Vollmeise. Karoline Herfurth hat die undankbare Aufgabe, Dani, Isabelles Assistentin, zu spielen, die abgeschnittene Jeans ins Büro trägt und bis über beide Ohren in ihre Chefin verliebt ist. De Palma verheddert sich gnadenlos in einer völlig unglaubwürdigen Thrillerhandlung, es wird unmotiviert gesplitscreent, als hätten wir 1978, Dominic Raacke spielt einen Engländer mit unerklärlichem deutschen Akzent, alle Frauen haben Nervenzusammenbrüche oder bizarren Sex mit Männern und einander und am Schluss ist eine tot. Wenn man vorher zwei Glas Rotwein trinkt

und beschließt, Passion als filmischen Supergau zu sehen, ist De Palmas neuer der vielleicht lustigste Film des Jahres. Auch und gerade für Lesben. ps

FUCK FOR FORREST DE/PL 2012, Regie: Michal Marczak, Indigo

„Formulieren wir es mal ganz nüchtern und möglichst neutral: ‚Fuck For Forest‘ ist der Name einer Gruppe von AktivistInnen, die eine gleichnamige, kostenpflichtige Website mit pornografischen Inhalten (erotische Fotos und selbst gedrehte Sexvideos) betreibt, aus deren Einnahmen wiederum Umweltschutzprojekte finanziert werden. Gegründet wurde ‚Fuck For Forest‘ 2003 von dem Norweger Tommy Hol Ellingsen und der Schwedin Leona Johansson. Mittlerweile hat die Gruppe ihre Heimat in – na wo wohl? – genau, in Berlin. (…). Aus seiner zurück genommenen BeobachterPosition heraus kreiert Marczak in seinem Film einen Raum, der die F-F-F-Leute in ihrer ganzen Unschuld und Naivität zur Geltung kommen lässt. Man mag diese Unschuld sträflich und diese Naivität kindisch finden, man kommt jedoch nicht daran vorbei anzuerkennen, dass hier welche am Werke sind, die von dem, was sie tun, zutiefst überzeugt sind.“ (Alexandra Seitz in SISSY 18)

CAMMINANDO VERSO IT 2010, Regie: Roberto Cuzzillo, GM Films

Dieser Film ist ein Rätsel, aber ein schönes. Denn er stellt mehr Fragen, als er beantworten kann: Was treibt den bosnischen Kriegsflüchtling Emina ins italienische Turin? Und wer ist der geheimnisvolle Mann, der nachts

um ihre Imbissbude schleicht? Immer wieder wird sie heimgesucht, von einem aufdringlichen Chef, aber vor allem von Erinnerungen. In Gestalt von verschwommenen Fernsehbildern und knarzenden Radiostimmen wabern sie durch Eminas Sinne, wenn sie allein durch die herbstgraue Stadt läuft. Beim Vergessen helfen kann allein der Schmerz, den sie sich mit einer Nagelschere in die Haut ritzt. Und die Momente mit ihrer lebenshungrigen Mitbewohnerin Antonia, die ihren Liebeskummer nach dem Auszug ihrer Freundin zu gern mit der attraktiven Fremden betäubt. Nur einen Moment lang streift Antonia (eine italienische Nicole Kidman!) Eminas Leid, wie auch der suchende Serbe nur eine Geste der Versöhnung, aber keine Erklärung darstellt. Als Zuschauer erlebt man Camminando Verso eben genau so, wie Antonia die Affäre mit Emina beschreibt: Als flüchtige Begegnung, „ohne tiefes Gefühl, aber voller Energie“. Zu spüren in einem der schönsten Filmküsse aller Zeiten, bei dem Regisseur Roberto Cuzzillo das Sonnenlicht zwischen liebkosenden Mündern einfängt. ms

BENJAMIN BRITTEN – PEACE & CONFLICT UK 2013, Regie: Tony Britten, Edition Salzgeber

Benjamin Britten, genialer Komponist, Schwein und Liebhaber junger Männer, hätte 2013 seinen 100. Geburtstag gefeiert. Seine Zusammenarbeit mit seinem Partner Peter Pears hat einige der schönsten klassischen Werke des 20. Jahrhunderts produziert und Britten und Pears waren eines der wichtigsten offen schwulen Powercouples Großbritanniens. Tony Britten hat mit Peace und Conflict ein Dokudrama über Brittens Erziehung gedreht, das oft erfolgreich versucht, an die Schnittstellen zu gelangen, an denen sich Brittens Persönlichkeit geformt hat. Das geschah

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früh, nämlich an der Gresham School, an der Britten ausgebildet wurde. Die einfachen Spielszenen, die uns die Emotion liefern sollen, werden von Interviews mit Brittens Agentin, dem Komponisten Joseph Horowitz und vielen anderen Menschen ergänzt, die Kontext und Zusammenhang liefern und die Zeitlinien, die in der filmischen Fiktion begonnen werden, in die Realität verlängern. John Hurt gibt einen wunderbaren Erzähler. Zusätzlich werden einige von Brittens Werken hier von hervorragenden Musikern interpretiert. Rund und erbaulich. ps

INVISIBLE MEN IL/NL 2012, Regie: Yariv Mozer, GM Films

Der Dokumentarfilm „begleitet drei schwule Palästinenser bzw. israelische Araber, die weder in Palästina noch in Israel bleiben können und in Europa Asyl beantragen. Hier ist klar: Ein schwules Leben in Palästina, ein palästinensisches schwules Leben in Israel ist nicht möglich. Louie will eigentlich nicht fort, er kann sich ein Leben woanders nicht vorstellen. Obwohl er Narben im Gesicht hat, weil sein Vater ihn mit einem Messer angriff, als er sich outete. Und obwohl er einen Davidstern als Tarnung um den Hals tragen muss. Der Film begleitet Louie zu Hilfsorganisationen, die ihm ein Schreiben ausstellen, falls die Polizei ihn wieder aufgreift, mit der Information, dass er mit dem Tode bedroht wird, mit Nummern von Anwälten. Doch mehr können sie nicht tun: Es gibt kein Asyl in Israel für schwule Palästinenser. Ähnlich geht es auch Abdu und Faris. Sie sind auf der Flucht, weil ihre Eltern sie herausgeworfen haben und sie in Israel nicht willkommen sind. The Invisible Men zeigt das Schicksal der drei Männer eindrücklich. Als sich am Ende Louie, Abdel und Faris in einem Bergdorf in Europa treffen, atmet man auf.“ (Malte Göbel in SISSY 17)

11 FREUNDINNEN DE 2012, Regie: Sung-Hyung Cho, NFP

Ein Dokumentarfilm über die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft während der WM 2011: „11 Freundinnen erzählt im Kern von der Spannung, die es bedeutet, Spitzensport zu betreiben in einem Feld, in das gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse auf vielfältige Weise intervenieren. Fußball interessiert den Film zunächst ungefähr so sehr, wie sich Full Metal Village für Heavy Metal interessiert: Es ist der Hintergrund, vor dem Leute noch ein zweites, anderes Spiel spielen, das übers erste hinausreicht. Dass dieses Ausprobieren und Sich-Positionieren, das zu dem Spiel gehört, lustvoll vonstattengehen kann, davon erzählt der Film, wenn Dzsenifer Marozsán zu Protokoll gibt, dass sie gern mal die Feldherren-Freistoß-Pose ihres großen Idols Cristiano Ronaldo nachahmt, oder Uschi Holl dreckige Witze macht, bis dem Tonmann der Puschel ins Bild baumelt. Und dass mit PublicViewing-Fansprüchen wie ‚Elfmeterschießen ist einfacher als Einparken‘ gerechnet werden muss, das lässt er auch nicht aus.“ (Sebastian Markt in SISSY 18)

IF... UK 1968, Regie: Lindsay Anderson, Paramount

„Immer wieder wird man auf den Irrealis dieser Schulgeschichte gestoßen, nie darf man sich in dieser Proto-Harry-Potter-Welt sicher sein, die, mit all den blöden Idealen und standesgemäßen Perversionen, am Ende filmgemäß in die Luft gesprengt wird. Spätestens, wenn nach der Zellteilung alle Schüler plötzlich in Militäruniform in der Schulkirche sit-

zen, vom Pädokaplan gesegnet werden, schließlich im Gänsemarsch durch die englischen Wiesen streifen, wenn die reizlose Lehrergattin nackt durch das verlassene Schulgebäude streift, wenn sich die Krankenschwester zu Blockflötenklängen in den Schlaf streichelt und der mit Platzpatronen exekutierte Priester vom Rektor als mahnendes Beispiel aus einer Schrankschublade gezogen wird, hat sich If … mit seinem Irrwerden an den Zuständen in diesem 1969er-England aus der analytischen Beobachtung mit heiserem Kichern verabschiedet.“ (p  Seite 34)


nachruf

PRO-FUN MEDIA

ALL IS FULL OF LOVE VON SA SCH A W E ST PH A L

Am 7. Oktober 2013 verstarb mit 68 Jahren der Opern-, Theater- und Filmregisseur Patrice Chéreau, dem wir einige der radikalsten, freiesten und tatsächlich visuellsten Filme des europäischen Kinos verdanken. Ein Nachruf.

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s Eine Geschichte von einem Vater und einem Sohn. Erzählt im Halbdunkel einer nächtlichen Küche. Beinahe eine Beichte. Daniel ringt sich die Worte regelrecht ab. Nach und nach brechen sie aus ihm hervor, entwickeln eine eigene Dynamik. Den Mann auf der anderen Seite des Tisches, den „Verrückten“, den Stalker, der ihn einfach nicht in Ruhe lassen wollte, scheint er in dem Moment zu vergessen, auch wenn er auf seine Zwischenfragen prompt antwortet. Eine Geschichte von Daniel und seinem schon längst verstorbenen Vater, eine Erinnerung, die ihn nicht mehr loslässt. Daniel holt weit aus, spricht von der Entscheidung seines Vaters, nach dem Tod der Mutter alles zu verkaufen und in ein Altenheim zu ziehen, vom gleichförmigen, ruhigen Leben dort und von seinen gelegentlichen Besuchen, vom Schweigen des Vaters und seinen krampfhaften Versuchen, doch noch eine Verbindung herzustellen. Doch dann, eines Tages, ist es aus dem Vater herausgeplatzt, seine Geschichte, seine Beichte. Jeden Tag war er morgens und abends jeweils eine Stunde in einer Kirche und hat gebetet. Nur das hat ihn so lange am Leben, an dem ihm nichts lag, gehalten. Für Daniel, der nie etwas davon wusste, der nie mitbekommen hatte, wie sein Vater in die Kirche ging, gleicht dieses Geständnis einem Verrat, an sich und an der Mutter, die alles Religiöse immer abgelehnt hat. Der Augenblick der Nähe und des Vertrauen ist der Augenblick, in dem alles zerbricht. Danach hat Daniel seinen Vater nie wieder besucht. Für diese Erzählung kommt Persécution, Patrice Chéreaus letzter Kinofilm, der hierzulande leider nur im Fernsehen zu sehen war, kurzzeitig zur Ruhe. Daniels stete Rastlosigkeit, dieses ständige Drängen nach vorne, dem er auch seinen deutschen Titel Ruhelos verdankt, weicht einem Moment des Innehaltens, des Sich-selbst-bewusst-Werdens, in dem sich der Blick nach Innen kehrt. Daniels Körper bleibt währenddessen ein Schattenriss und wirkt doch unendlich schwer. Als laste das ganze Gewicht der Welt auf ihm. Von Anfang an, schon in La chair de l’orchidée, seinem ersten, 1975 entstandenen Film, hat Patrice Chéreau den Körpern seiner Darstellerinnen und Darsteller eine außergewöhnliche Präsenz verliehen. In seinem Kino besitzen diese Projektionen aus Licht, die eigentlich schwerelos über die Leinwand flackern, ein Gewicht, als wären sie physisch anwesend. So legen sich Daniels Wut und Trauer, seine Verzweiflung und seine Müdigkeit, seine Ratlosigkeit und sein Trotz, auf den Betrachter. Man sollte sich Atlas in diesem Augenblick als


nachruf

gewöhnlichen Menschen vorstellen. Jeder ist Atlas, jeder trägt die Welt auf seinen Schultern. Vom Gewicht der Welt zeugen letztlich alle Arbeiten Patrice Chéreaus, seine Filme genauso wie seine Opern- und Theaterinszenierungen. So war es in den frühen 70er Jahren, als der 1944 in Lézigné geborene Sohn eines Künstlerehepaars als Wunderkind der französischen Theaterszene gefeiert wurde, und so ist es noch in Persécution, der auch den Titel Amour tragen könnte. Liebe ist Obsession, oft in Form von Selbstbesessenheit, ist Stalking, ist Verfolgung. Der Liebende verfolgt den Geliebten, der Geliebte lässt sich willentlich verfolgen. Der von Jean-Hugues Anglade gespielte „Verrückte“, der nach einer zufälligen Begegnung in einer Metro-Station nicht mehr von Daniel lassen kann, der ihn beobachtet und belagert, ihm aber auch näher als jeder andere kommt, ist längst nicht der einzige Stalker in Persécution. Auf eine wütende, (selbst)zerstörerische Art verfolgt Daniel (Romain Duris) seine langjährige Freundin Sonia (Charlotte Gainsbourgh). Lieben heißt in der Welt Patrice Chéreaus immer Fordern, und das um jeden Preis. In dem Dreieck, das Sonia, Daniel und „le fou“ formen, spiegeln sich noch einmal so ziemlich alle Liebeskonstellationen und Abhängigkeitsbeziehungen, die Chéreau zuvor in seinen Filmen besungen hat. Das dunkle Duett des jungen Schwulen Henri (Jean-Hugues Anglade) und des rüden Hustlers Jean (Vittorio Mezzogiorno) in dem epochalen Der verführte Mann (1983), der in seiner Körperlichkeit und seiner Direktheit das moderne queer cinema, wenn nicht erschaffen, so doch zumindest entscheidend geprägt hat. Später dann in Sein Bruder (2002) ein anderes Duett: Der Blues zweier Brüder (Bruno Todeschini und Éric Caravaca), die erst wieder zueinander finden, als der Ältere, an einer seltenen Blutkrankheit leidend, schon vom Tod gezeichnet ist. Die Verletzungen der Vergangenheit, der Verrat des einen am anderen, die Missverständnisse und alles, was nie ausgesprochen wurde, schwingen mit in diesem Porträt einer Liebe, die letzten Endes dann doch keinerlei Bedingungen kennt. Und dann natürlich Die Bartholomäusnacht (1994), das Shakespearesche Historiendrama, nicht als filmischer talking blues im Geiste Bertolt Brechts, sondern als ultimativer torch song. Eine Königstochter, die in der Nacht ihrer arrangierten politischen Hochzeit durch die Straßen von Paris streift: Cruising and falling in love. All die Morde und die Intrigen, die Lügen und die Täuschungen, und mittendrin diese so zarte wie obsessive Liebesgeschichte, entsprungen aus anonymem Sex in einer dunklen Seitengasse.

war die Kölner Pressevorführung von Wer mich liebt, nimmt den Zug im alten Residenz, irgendwann im Sommer 1998. Nie zuvor und nie danach hatte die extrem gebogene Leinwand dieses für seine Tiefe sehr schmalen 70mm-Kinos eine derartige Wirkung. In den ersten Reihen war es, als würde man von Eric Gautiers Bildern umschlossen. Die Trennung zwischen Saal und Leinwand verschwand. Die Hektik und das Gewirr der ersten vierzig Minuten, dieser unglaublichen Zugfahrt von Paris nach Limoges, waren spürbar. Ich hatte damals tatsächlich das Gefühl, mit François (Pascal Greggory), Louis (Bruno Todeschini) und Bruno (Sylvain Jacques), mit Claire (Valéria Bruni-Tedeschi) und Jean-Marie (Charles Berling) im Zug auf dem Weg zu der Beerdigung des Malers und Tyrannen Jean-Baptiste zu sein. Das Tempo der Schnitte, der Wechsel der Perspektiven, die ständige Bewegung und die Enge des Zuges kreieren zunächst einen Eindruck von Haltlosigkeit und Verwirrung. Doch der verfliegt schon bald. Immer deutlicher schälen sich aus dieser Ansammlung von Freunden und Liebhabern des Toten, von Familienmitgliedern und Studenten, Individuen und Geschichten heraus. Jeder Blick und jede Geste, jede noch so kleine Bemerkung und jedes noch so aufgeladene Gespräch eröffneten ganze Welten. Alles fügt sich zusammen zu einem Panaroma des Lebens, dessen Verzweigungen und Verästelungen in dieser Gemeinschaft, die Familie und Wahlfamilie zugleich ist. Wer mich liebt, nimmt den Zug. Das letzte Auf-Wiedersehen als Ausdruck einer Liebe, die – wie François einmal bemerkt – eben darin besteht, die Fehler und die Schwächen des anderen zu ertragen und zu akzeptieren. Und genau darin liegt die tiefe, die alles verändernde Wahrheit der Filme Patrice Chéreaus. Er beschönigt nichts. Er überspielt keine der zahlreichen Übertretungen und Makel seiner Figuren, aber er spricht auch kein Urteil über sie. Nicht einmal in der Bartholomäusnacht. Während der Beerdigung erklingt auf dem unvergleichlichen Soundtrack von Wer mich liebt, nimmt den Zug Björks „All is Full of Love“. Am 7. Oktober ist Patrice Chéreau in Paris im Alter von 68 Jahren viel zu früh einem Krebsleiden erlegen. Auch weiterhin ist alles voller Liebe. Nur fällt es jetzt wieder etwas schwerer, das nicht zu vergessen. s

Erkenntnis und Veränderung, das sind die Versprechen der Kunst. Doch wie oft gehen sie wirklich in Erfüllung? Ich glaube eher selten. Ein Kino, geboren aus dem Geist der Musik, ganz und gar dionysisch wie das Leben selbst. In ihrer physischen Unmittelbarkeit und ihrer mitreißenden Ruhelosigkeit haben Patrice Chéreaus Filme etwas Rauschhaftes. Aber es ist ein Rausch, der einen nicht betäubt, sondern die Welt klarer sehen und das Leben intensiver spüren lässt. Jede Begegnung mit einem Kunstwerk, einem Gemälde oder einem Roman, einer Theaterinszenierung oder einem Film, ist geprägt von einer elementaren Sehnsucht. Erkenntnis und Veränderung, das sind die Versprechen der Kunst. Doch wie oft gehen sie wirklich in Erfüllung? Ich glaube eher selten. Anstöße und Einblicke habe ich natürlich schon häufiger erhalten. Manchmal wirken sie etwas länger nach, manchmal sind sie ebenso flüchtig wie die Bilder im Kino und das Spiel auf der Bühne. Doch die Begegnungen, die wirklich etwas verändert haben, nach denen nichts mehr so war wie zuvor, sind rar und kostbar. Eine davon

Persécution von Patrice Chéreau FR/DE 2009, 99 Minuten, französische OF

La chair de l’orchidée von Patrice Chéreau FR/IT/DE 1975, 115 Minuten, französische OF

Der verführte Mann von Patrice Chéreau FR 1983, 109 Minuten, französische OF

Auf DVD als Import

Auf DVD als Import

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Sein Bruder von Patrice Chéreau FR 1994, 162 Minuten, deutsche SF und französische OF

Die Bartholomäusnacht von Patrice Chéreau FR 1994, 162 Minuten, deutsche SF und französische OmU

Wer mich liebt, nimmt den Zug von Patrice Chéreau FR 1998, 120 Minuten, deutsche SF und französische OmU

Auf DVD bei Euro Video, 3 www.eurovideo.de

Auf DVD bei Alive, 3 www.alive-ag.de

Auf DVD bei Pro-Fun Media, 3 www.pro-fun.de

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Dominikanerplatz 4

KINOS Nicht-heterosexuelle Filme können Sie unter anderem in den folgenden Kinos sehen. Die Auswahl wird laufend ergänzt. Bitte helfen Sie uns dabei!

3 AACHEN: APOLLO Pontstr. 141, 0241/9008484 3 AALEN: KINO AM KOCHER Schleifbrückenstr. 15, 07361/5559994 3 ASCHAFFENBURG: CASINO FILMTHEATER Ohmbachsgasse 1, 06021/4510772 3 BAD FÜSSING: FILMGALERIE Sonnenstr. 4, 08531/980555 3 BAMBERG: LICHTSPIEL Untere Königstr. 34, 0951/26785 3 BERLIN: ACUD Veteranenstr. 21, 030/44359498 · ARSENAL Potsdamer Str. 2, 030/26955100 · KINO INTERNATIONAL Karl-MarxAllee 33, 030/24756011 · XENON KINO Kolonnenstr. 5–6, 030/78001530 · CINEMAXX POTSDAMER PLATZ Potsdamer Str. 5, 01805/24636299 · EISZEIT Zeughofstr. 20, 030/6116016 · FSK AM ORANIENPLATZ Segitzdamm 2, 030/6142464 · TILSITER LICHTSPIELE Richard-Sorge-Str. 25a, 030/4268129 · ZUKUNFT Laskerstr. 5, 0176/57861079 3 BOCHUM: ENDSTATION KINO IM BHF. LANGENDREER Wallbaumweg 108, 0234/6871620 3 BONN: KINO IN DER BROTFABRIK Kreuzstr. 16, 0228/478489 3 BRAUNSCHWEIG: C1 CINEMA Lange Str. 60 3 BREMEN: CITY 46 Birkenstr. 1, 0421/44963582 3 DORTMUND: SCHAUBURG Brückstr. 66, 0231/9565606 · SWEETSIXTEEN Immermannstr. 29, 0231/9106623 3 DRESDEN: KID – KINO IM DACH Schandauer Str. 64, 0351/3107373 · THALIA Görlitzer Str. 6, 0351/6524703 3 ERLANGEN: MANHATTAN Güterhallenstr. 4, 09131/22223 3 ESSLINGEN: KOMMUNALES KINO Maille 4–9, 0711/31059510 3 FRANKFURT/MAIN: LESBISCH-SCHWULES KULTURHAUS Klingerstr. 6, 069/293045 · MAL SEH’N Adlerflychtstr. 6, 069/5970845 · ORFEOS ERBEN Hamburger Allee 45, 069/70769100 3 FREIBURG: KOMMUNALES KINO Urachstr. 40, 0761/709033 · KANDELHOF Kandelstr. 27, 0761/283707 3 GÖTTINGEN: KINO LUMIÈRE Geismar Landstr. 19, 0551/484523 3 HALLE: ZAZIE Kleine Ulrichstr. 22, 0345/7792805 · PUSCHKINO Kardinal-Albrecht-Str. 6, 0345/2040568 3 HAMBURG: METROPOLIS KINO Kleine Theaterstr. 10, 040/342353 · B-MOVIE Brigittenstr. 5, 040/4305867 · 3001 Schanzenstr. 75–77, 040/437679 3 HANAU: KINOPOLIS Am Steinheimer Tor 17, 06181/42825188 3 HANNOVER: KINO IM KÜNSTLERHAUS Sophienstr. 2, 0511/16845522 · KINO IM SPRENGEL K.-M.-Kilian-Weg 2, 0511/703814 · APOLLO Limmerstr. 50, 0511/452438 3 KARLSRUHE: STUDIO 3 Kaiserpassage 6, 0721/9374714 · SCHAUBURG Marienstr. 16, 0721/3500018 3 KIEL: DIE PUMPE – KOMMUNALES KINO Haßstr. 22, 0431/2007650 · TRAUM KINO Grasweg 48, 0431/544450 3 KÖLN: FILMPALETTE Lübecker Str. 15, 0221/122112 3 KONSTANZ: ZEBRA KINO Joseph-Belli-Weg 5, 07531/60162 3 LEIPZIG: PASSAGE KINO Hainstr. 19 a, 0341/2173865 · KINOBAR PRAGER FRÜHLING Bernhard-Göring-Str. 152, 0341/3065333 · CINEDING Karl-Heine-Str. 83, 0341/23959474 3 MAGDEBURG: STUDIOKINO Moritzplatz 1, 0391/2564925  MANNHEIM: CINEMA QUADRAT Collinistr. 5, 0621/1223454 · CINEMAXX N7 17, 01805/625466 3 MARBURG: CINEPLEX Biegenstr. 1a, 06421/17300 3 MÜNCHEN: NEUES ARENA FILMTHEATER Hans-Sachs-Str. 7, 089/2603265 · CITY KINO Sonnenstr. 12, 089/591983 · CINEMAXX Isartorplatz 8, 01805/24636299 3 MÜNSTER: CINEMA FILMTHEATER Warendorfer Str. 45–47, 0251/30300 3 NÜRNBERG: KOMMKINO/FILMHAUSKINO Königstr. 93, 0911/2448889 · CASABLANCA Brosamer Str. 12, 0911/454824 3 OFFENBURG: FORUM Hauptstr. 111, 0781/4350 3 OLDENBURG: CINE K Bahnhofstr. 11, 0441/2489646 3 POTSDAM: THALIA ARTHOUSE Rudolf-Breitscheid-Str. 50, 0331/7437020 3 REGENSBURG: WINTERGARTEN Andreasstr. 28, 0941/2980963 3 SAARBRÜCKEN: KINO ACHTEINHALB Nauwieser Str. 19, 0681/3908880 · KINO IM FILMHAUS Mainzer Str. 8, 0681/372570 3 SCHWEINFURT: KUK – KINO UND KNEIPE Ignaz-Schön-Str. 32, 09721/82358 3 STUTTGART: CINEMAXX AN DER LIEDERHALLE RobertBosch-Platz 1, 01805/24636299 3 TRIER: BROADWAY FILMTHEATER Paulinstr. 18, 0651/96657200 3 WEIMAR: LICHTHAUS Am Kirschberg 4, 03643/777177 3 WEITERSTADT: KOMMUNALES KINO Carl-Ulrich-Str. 9–11 / Bürgerzentrum, 06150/12185

46     SISSY 20

IMPRESSUM Herausgeber  Björn Koll Verlag

Salzgeber & Co. Medien GmbH Mehringdamm 33 · 10961 Berlin Telefon 030 / 285 290 90 · Telefax 030 / 285 290 99

Redaktion

Jan Künemund, presse@salzgeber.de

Gestaltung

Johann Peter Werth, werth@salzgeber.de

Autoren

Toby Ashraf, Biru David Binder, Jessica Ellen, Fritz Göttler, Patrick Gurris, Maike Hank, Egbert Hörmann, Ulrich Kriest, Jan Künemund, Sebastian Markt, Carsten Moll, Paul Schulz, Maike Schultz, Barbara Schweizerhof, Christian Weber, Jochen Werner, Sascha Westphal, Tania Witte

Danke an

Petra Clever, Stéphane Riethauser, Claudia Cristine Schmidt

Anzeigen

Jan Nurja, nurja@salzgeber.de Es gilt die Anzeigenpreisliste 01/2013 (www.sissymag.de/media).

SISSY erscheint alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/ Januar/Februar – März/April/Mai – Juni/Juli/August – September/ Oktober/November. Auflage: 20.000 Exemplare (Druckauflage).

Druck

Möller Druck, Berlin

Rechte

Vervielfältigung, Speicherung, Weiterverarbeitung oder Nutzung sowohl der Texte als auch der Bilder zu kommerziellen Zwecken bedürfen einer schriftlichen Genehmigung des Herausgebers.

Bezugsquellen  3 Wenn Sie die SISSY auslegen möchten oder einen Ort kennen, an dem SISSY noch fehlt, freuen wir uns über Ihre Nachricht. Eine kurze E-Mail genügt! Haftung

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Bildnachweise  Die Bildrechte liegen bei den jeweiligen Anbietern. Abo

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ISSN 1868-4009

Auch das noch …

CL AUDIA CHRISTINE SCHMIDT

3 BERLIN: B_BOOKS Lübbenerstr. 14, 030/6117844 · BRUNO’S Bülowstr. 106, 030/61500385 · SATURN POTSDAMER PLATZ Alte Potsdamer Straße 7 · BRUNO’S Schönhauser Allee 131, 030/61500387 · DUSSMANN Friedrichstr. 90 · FILMGALERIE 451 Torstr. 231, 030/23457911 · GALERIE JANSSEN Pariser Str. 45, 030/8811590 · KADEWE Tauentzienstr. 21–24 · MEDIA MARKT ALEXA Grunerstr. 20 · MEDIA MARKT NEUKÖLLN Karl-Marx-Str. 66 · NEGATIVELAND Dunckerstr. 9 · PRINZ EISENHERZ BUCHLADEN Lietzenburger Str. 9a, 030/3139936 · SATURN ALEXANDERPLATZ Alexanderplatz 7 · SATURN EUROPACENTER Tauentzienstr. 9 · VIDEO WORLD Kottbusser Damm 73 · VIDEODROM Fürbringer Str. 17 3 BOCHUM: SATURN Kortumstr. 72 3 DARMSTADT: SATURN Ludwigplatz 6 3 DÜSSELDORF: BOOKXXX Bismarckstr. 86, 0211/356750 · MEDIA MARKT Friedrichstr. 129–133 · SATURN Königsallee 56 · SATURN Am Wehrhahn 1 3 FRANKFURT/MAIN: OSCAR WILDE BUCHHANDLUNG Alte Gasse 51, 069/281260 · SATURN Zeil 121 3 HAMBURG: BUCHLADEN MÄNNERSCHWARM Lange Reihe 102, 040/436093 · BRUNO’S Lange Reihe/Danziger Str. 70, 040/98238081 · MEDIA MARKT Paul-NevermannPlatz 15 3 KÖLN: BRUNO’S Kettengasse 20, 0221/2725637 · MEDIA MARKT Hohe Str. 121 · SATURN Hansaring 97 · SATURN Hohe Str. 41–53 3 LEIPZIG: LEHMANNS BUCHHANDLUNG Grimmaische Str. 10 · MÜLLER Petersstr. 28 · SATURN HAUPTBAHNHOF Willy-Brandt-Platz 1 3 MANNHEIM: DER ANDERE BUCHLADEN M2 1, 0621/21755 3 MÜNCHEN: BRUNO’S Thalkirchner Str. 4, 089/97603858 · LILLEMOR’S FRAUENBUCHLADEN Barerstr. 70, 089/2721205 · SATURN Schwanthalerstr. 115 · SATURN Neuhauser Str. 39 3 NÜRNBERG: MÜLLER Königstr. 26 3 STUTTGART: BUCHLADEN ERLKÖNIG Nesenbachstr. 52, 0711/639139 3 TRIER: MEDIA MARKT Ostallee 3–5 3 TÜBINGEN: FRAUENBUCHLADEN THALESTRIS Bursagasse 2, 07071/26590 3 WIEN: BUCHHANDLUNG LÖWENHERZ Berggasse 8, + 43/1/13172982 3 WÜRZBURG: MÜLLER

Gaby Tupper (mit Hut) holt sich Michael Douglas (mit Matt Damon) in Berlin auf die Bühne.


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