Schauspielhaus Zürich - Journal #14

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Schauspielhaus Zürich

Gespenster der Gegenwart – Georg Seeßlen über Trump und seine Doppelgänger

Dear Mr Shakespeare – Nora Gomringer beim Dinner mit Lady Macbeth, Isabella & Co.

Mrz / Apr / Mai / Jun 2018

Georg Kreisler und die Schweiz – Der Puppenspieler Nikolaus Habjan im Gespräch 1


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Luca Schenardi

Inhaltsverzeichnis 05 Editorial 06 Untod/Gespalten – Georg Seeßlen über die Gespenster des Kapitalismus 14 Schweizer Theatertreffen – Die Schweiz zu Gast in Zürich 16 Ärger im Paradies – Ein Max Frisch Trip durch Zürich 18 On the town – Mit Peter Märkli und Anna Viebrock durch Zürich 22 Brücken in die Gegenwart – Ein Besuch in der Zürcher Pension Comi der 1930er Jahre 24 Dear Mr Shakespeare – Ein Brief von Nora Gomringer an den Barden von Avon 26 Schreiben für ein junges Publikum 28 In Szene – Der Schauspieler Fritz Fenne 30 Der Puppenspieler Nikolaus Habjan im Gespräch über seine Arbeit am Schauspielhaus 33 Über die Dialektik von Herr und Migrant – Kolumne von Stefan Zweifel 35 Mehr als Zuschauen – Theater Campus Festival 36 Rampensau mit Lampenfieber – Der interkulturelle Spielclub Bert*a 38 Ins Theater mit Kafi Freitag 40 Organisiere deinen eigenen Kleidertausch! 42 Schicht mit Michel Jenny 46 Demokratischer Frühling 1968–2018 48 Sonic Fiction / ZKO im Pfauen 49 Close Ups: „Ein Gespenst geht um“ und „Missionen der Schönheit“ 50 Zürcher Gespräche / Gastspiel „Ein europäisches Abendmahl“ 51 Szenen aus dem Repertoire 54 Was bewegt Zürich? / Kulturtipps aus dem Schauspielhaus / Impressum

In diesem Heft illustriert der Schweizer Künstler und Illustrator Luca Schenardi den hier abgedruckten Originalbeitrag von Georg Seeßlen zur Produktion „Am Königsweg“. Figuren und Elemente seiner Collagen sind vom „mächtigsten Mann der Welt“ inspiriert. Schenardi illustrierte unter anderem für NEON, Das Magazin, Die Zeit, die NZZ oder die WOZ. Zuletzt erschienen: „Meyer spricht von Gratiskaffee“, Edition Patrick Frey, 2017. Seine charakteristischen Illustrationen mit der Technik des Nitroprint schöpfen aus einem medial anspielungsreichen Bilderkosmos. lucaschenardi.ch

Mehr als Zuschauen

„Mehr als Zuschauen“ begleitet den Spielplan des Schauspielhauses mit zahlreichen Mitmachformaten für jede Altersgruppe. Die Angebote finden Sie hier im Journal gekennzeichnet mit diesem Hinweis bei den jeweiligen Artikeln und auf den Seiten 35–37. Ausführliche Informationen unter schauspielhaus.ch/mehralszuschauen

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Editorial

Waffen! Mehr Waffen! Noch mehr Waffen! von Barbara Frey

„Ich bin eine Mutter. Wie Millionen anderer Frauen besitze ich genau deshalb Waffen“, sagt Dana Loesch, Sprecherin der amerikanischen Waffenlobby NRA (National Rifle Association), in einem Werbespot für ihre Organisation. Die schwarze Motorradlederjacke, die sie trägt, soll wohl ihre Robustheit und Verwegenheit symbolisieren; das Kreuz an ihrem goldenen Halskettchen bezeugt ihr strammes Christentum. Loesch ist das weibliche Hochglanzprodukt einer amerikanischen rechtskonservativen Bewegung, die gerne so tut, als sei sie einfach ein grosser Verein von Waffenbesitzern, die die Jagd lieben. Aber wenn es sein muss, „verteidigt“ man auch mal gerne die Familie und die Freiheit gegen die böse Welt oder gegen geistesgestörte Killer. Loesch, die 2014 ihr Buch „Hands off my gun“ veröffentlichte, auf dessen Cover sie im hautengen roten Dress, schwarzen High Heels und mit einem Maschinengewehr in den Händen posiert, setzt als Aushängeschild einer grossen und prominent besetzten Gruppe von US-Waffennarren einen wichtigen Gegenakzent zum üblichen Bild der um sich schiessenden ältlichen Männerbünde. Ihr Fanatismus soll eher kühl wirken, ihre Frechheiten wohl kalkuliert – abgesehen von gelegentlichen Drohungen und Hassattacken gegen Zeitungen wie die „New York Times“. Sie kombiniert den erotischen Reiz von Schnellfeuerwaffen mit ihrem Erscheinungsbild als junge, kämpferische und selbstbewusste Frau und Mutter. „Meine Waffe ist mein feministischer Ausgleicher“, verkündet sie als Verteidigungsmodell gegen die Möglichkeit, dass „a big giant man“ sie attackiere. Nach dem jüngsten Schulmassaker in Parkland/Florida, bei dem siebzehn Menschen von einem 19-jährigen Jungen erschossen und viele weitere verletzt wurden, verteidigte Loesch die NRA und schob die Schuld für die Katastrophe auf die Behörden, die nicht in der Lage

seien, Geistesgestörten den Kauf von Waffen zu untersagen. Zudem liebten die „alten Medien“ Massenschiessereien, weil weinende Mütter höhere Einschaltquoten garantierten. Überboten wurde dieser Zynismus nur noch vom amerikanischen Präsidenten selbst, der die Idee einer Dauerbewaffnung von Lehrern erörterte, als Verteidigung gegen „Verrückte“, die ja immer auch „Feiglinge“ seien. Es dürfe letztlich keinerlei waffenfreie Zonen mehr geben. „Let’s go in and let’s attack!“, plapperte er in die gemischte Runde aus Vertretern seiner Regierung und Angehörigen der Opfer von Parkland, die er als hohle Geste ins Weisse Haus geladen hatte. Einen vorläufigen Höhepunkt in der grausamen Polit-Posse um das Massaker von Florida setzte dann NRA-Chef Wayne LaPierre. Er posaunte einen Satz in die Welt hinaus, der beim Ansehen eines B-Movies fröhliches Gelächter im Kinosaal provozieren würde: „Um einen bösen Typen mit einer Waffen zu stoppen, braucht es einen guten Typen mit einer Waffe.“ LaPierres Anhänger quittierten diesen Satz tatsächlich mit Gejohle. Aber sie sassen nicht im Kino, sondern in der alljährlich stattfindenden Konferenz der Konservativen. Dana Loesch als „Flintenweib“ zu bezeichnen, wie es schon öfter vorkam, ist genauso hilflos, wie zu erwarten, die NRA sei ernsthaft schockiert über die Toten von Parkland. Schliesslich geht es ums Geschäft. Die Waffenkäufe sollen nicht gedrosselt, sondern angekurbelt werden. Dafür braucht man neue Marketing-Tools – und neue Botschaften für kauffreudige junge Mütter: Eure Kinder berechtigen euch zum Waffenbesitz! Das ist der neue Feminismus! Waffen! Mehr Waffen! Noch mehr Waffen!

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von Georg Seeßlen

Untod/Gespalten

Am 8. März 2018 feiert „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek in der Regie von Stefan Pucher Premiere. Ausgehend von der Persona Donald Trumps richtet Jelinek ihren Blick auf die gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen und lässt zugleich Motive aus der Mythologie und der abendländischen Kulturgeschichte hervorschimmern: Eine düster-mäandernde Zeitdiagnose über weltenlenkende Könige und deren Macht kommentierende Dichter. Wir haben den Autor und Kulturjournalisten Georg Seeßlen gebeten, Jelineks Stück zu lesen. Seine Antwort ist ein wortgewaltiger Essay über die Gespenster der Macht. Kleine Skizze für eine zeitgemässe Hauntologie, nebst Seitenblicken auf den Mann, der zur mächtigsten Person der Welt wurde, obwohl das niemand glauben kann, nicht einmal er selbst PROLOG Es war einmal ein Mann, der wurde was man die mächtigste Person der Welt nannte. Niemand hatte geglaubt, dass er das werden würde, nicht einmal er selbst. So entstand eine Herrschaft im Unglauben an sich, eine Herrschaft in einer alternativen Wirklichkeit, eine Gespensterherrschaft (wennzwar mit sehr realen Auswirkungen). Mit diesem Mann, der nicht einer war, kamen weitere Gespenster und griffen nach der Macht; es war viel leichter als gedacht (so sah es auch der Teufel, als er Seelen sammeln ging). Das Gespenstische nämlich war schon längst in der Welt, es hatte nur, wie es Götter- und Dämonenart ist, auf die Menschenwesen gewartet, in denen es zum Bild, zur Erzählung, zum Begriff werden konnte. Wenn dir die Wirklichkeit zu viel geworden ist, dann schaffe sie ab, raunten sie. Erschaffe die Welt neu nach deinen Begierden, nach deinen Ängsten, nach deinem Vermögen. In der Herrschaft der Gespenster formuliert sich eine denkwürdige Dialektik. Den einen war da, empörend und entsetzlich genug, ein obszöner, gewalttätiger, wahnhafter Herrscher an der falschen Stelle der Macht aufgetaucht, sie zu entweihen. Den anderen aber schien dieser neue Herrscher (ein Kaiser, der auf Bekleidungen pfiff) Sinnbild dafür, wie obszön, gewalttätig und wahnhaft die Macht ist. Denn Gespenster, nicht wahr, sind als „Monstrum“ auf der Welt, um auf eine ganz besondere Art die Wahrheit zu sagen. Und dieser Mann war nichts anderes als die Wahrheit über unsere Welt. Aber während es die Wahrheit über unsere Welt ist, sagt dieses Gespenst auch, dass wir an deren Wirk-

lichkeit nicht länger glauben sollen. Das Gespenst ist die Wahrheit, die sich um die Wirklichkeit nicht schert. Aber hier geschah noch etwas anderes, etwas Unerhörtes. Man sah nicht, wie gewohnt, den Verhältnissen beim Gespenstischwerden zu, man sah dem Gespenstischen beim Verhältnissewerden zu. Verhältnisse, in denen die Macht von Panik vor sich selbst ergriffen ist. So hören wir ihn schreien, den Engel der Geschichte. 1. KAPITEL: DAS DREIECK DES LEBENS I Die erste Unterscheidung, vielleicht: Das Lebende und das Tote. Wer Mensch sein will, muss das Lebende vom Toten unterscheiden. Aber diese Unterscheidung ist unvollkommen. Man kann nicht ohne sie leben. Aber mit ihr auch nicht. Daher kam es zu den Spaltungen, die in „Kultur“ immer nur teilweise aufgefangen werden können; so etwas nennt man Geschichte. Und zu drei Projekten, die einander immer und immer wieder in die Quere kommen. Die BESTÄTIGUNG. Das Lebende muss bezeichnet und inauguriert werden; es muss benannt, getauft, gesegnet, „identifiziert“ werden. Das Tote muss bezeichnet und beschlossen werden. Was das Tote vom Lebenden trennt (und was es verbindet), nennt man das Ritual. Die ÜBERHÖHUNG. Der Eklat kommt mit der Erkenntnis, dass nichts, was einmal gelebt hat, vollkommen tot sein kann. Noch schlimmer ist die Umkehrung: Nichts, was sterben muss, kann wirklich vollkommen leben. Deshalb muss es ein Vorher und ein Nachher geben, in dem die erste Unterscheidung nicht gilt. Die AUFLÖSUNG. Die Trennung zwischen dem Lebenden und dem Toten muss flexibel und dynamisch sein, um einer Gesellschaft beim Komplexwerden nicht allzu sehr zu schaden. Das Gespenstische, du verstehst, muss nicht nur durch Kultur kontrolliert,

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sondern auch einer speziellen Ökonomie unterworfen werden. Noch entscheidender aber ist, dass sich die Gespenster als Funktion der Macht ausweisen. Jede Macht umfasst auch die Macht über die Gespenster; und jeder Mächtige bringt seine Gespenster mit. II Eine Kulturleistung, zweifellos: Nichts Lebendes soll gegessen werden, nur das, was getötet und zubereitet wurde, gebraten, zerstampft, gekocht, gewürzt … kurzum: in seiner Totheit bestätigt. Das gilt es zu ehren. (Die Bösen „fressen“.) So lässt sich das kulinarische Dreieck, welches die strukturalistische Ethnologie aufgestellt hat

DAS ROHE DAS VERDORBENE

DAS GEKOCHTE

noch einmal anders definieren: DAS LEBENDE DAS GESPENSTISCHE

DAS TOTE

Mochte im Übrigen hie und da „Frau“ als „Mensch, der kocht“ übersetzt werden, so waren es dann doch, kaum war die Macht geboren, die Köche, die den kulinarischen Diskurs bestimmten, als Sprache der Perversionen. So standen gegen die Herrinnen über das Gekochte die Herren über das Verdorbene. Oder anders gesagt: An die Stelle der Verwandlung vom Rohen ins Gekochte trat die Verwandlung des Toten ins Gespenstische. Und die bösen Köche traten an die Seite der bösen Herrscher und trachteten danach, mit ihnen zu verschmelzen. Sie kochen aus, was der Macht unterworfen ist, die bösen Köche, und machen aus einer Frau, nur zum Beispiel, das Gespenst des männlichen Begehrens. (Auch dafür haben wir das perfekte Gespensterbild: der Kaiser ohne Kleider liess seiner neuen Kaiserin als erstes chirurgisch die Brüste vergrössern, um sich ihr Bild als geeignete Gespensterfrau zu erschaffen.) III Die erste Unterscheidung erzeugt automatisch das Dritte: Was sich nicht rückstandslos vom Lebenden zum Toten oder vom Toten zum Lebenden bewegen lässt, wird zum Gespenstischen, das heisst zu etwas, das nicht wirklich tot und nicht wirklich lebendig, aber auch nicht wirklich jenseitig und nicht wirklich diesseitig ist. Das Gespenstische ist der unsichtbare (der geheime) Kern der Diskurse. Denn gespenstisch

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ist auch, was wir nicht wirklich wissen und nicht wirklich nicht wissen. Als gespenstisch also bezeichnen wir alles, was jenseits der Fakten keinen Ort gefunden hat (wir beschreiben Gespenster gern als „ruhelos“) und was Bild wird, aber nicht Materie („ungreifbar“ und „unbegreifbar“). Gespenstisch ist das Lebende, das nicht richtig sterben kann, und das Tote, das nicht richtig leben kann. Daher kann alles, was einmal gelebt hat, und alles, was man für tot erklären konnte, gespenstisch werden. So können neben Personen auch Zeichen, Moden, Organisationen, Ideen, Fantasien, Riten, Spiele, Erzählungen, Ordnungen, Sprachen, Erkenntnisse, Erinnerungen und so weiter gespenstisch werden. Bilder, Lieder und Erzählungen sowieso. Und Worte. 2. KAPITEL: TAXONOMIE DES UNTOTEN I Angst macht, was nicht tot und nicht lebendig ist. So wie es der Wahn der Aufklärung ist, die Welt in das Gefängnis der Fakten einzuschliessen, so ist es der Wahn der Romantik, die Gespenster in Mythen (und Kunst) einschliessen zu können. So verpassten wir (man nennt es Kultur, schon wieder) das Wichtigste gleich zweimal: Die Wirklichkeit der Gespenster und das Gespenstische der Wirklichkeit. (So wird es, nebenbei bemerkt, Zeit für eine materialistische Hauntologie.) In der dreifachen Ordnung – der ersten Unterscheidung, der Überhöhung und der (kontrollierten) Auflösung – von „lebendig“ und „tot“ kann enorm viel schiefgehen. Die verbreitetste Art der GespensterGenesis: Nicht richtig gestorben sein. Entweder: falsch beerdigt, verbrannt, eingeschlossen oder aber mit einer nicht abgetragenen Schuld gestorben zu sein, einer falschen Anschuldigung, einem nicht eingelösten Versprechen, einer unerfüllten Mission. Natürlich gehts da vom Familienroman in die Weltgeschichte. Die Gespenster vereinigen sich gern: das Familiengespenst und das Historiengespenst zum Beispiel; gemeinsam wird man sie erst recht nicht los. Oder: nicht losgelassen worden sein. Nicht richtig sterben können, weil die Zurückgelassenen ohne es nicht leben können. Die erste Voraussetzung also für die Existenz der Gespenster ist das Wesen, das ein Bewusstsein hat. Oder umgekehrt: Ein Wesen, das einerseits Bewusstsein hat und andererseits sterblich ist, gebiert Gespenster. Unser melodramatisches Modell besagt, dass das Gespenst nicht sterben kann, es aber mit allem, was ihm vom Menschlichen geblieben ist, will. Das ist das gute Gespenst, das seltene, das früher oder später erlöst wird. Aber das böse, das häufigere Gespenst, will nicht sterben. Es weiss gar nicht, was



das ist (wie der Zombie) oder sucht sich beständig neue Wirtskörper. Selbst die blödeste oder böseste Idee wird auf diese Weise unsterblich; erstaunlich wirkt auf die intellektuellen Ghostbusters allemal, wo es überall Plätze zum Überleben findet. Ebenso wahrscheinlich wie das Nicht-richtig-gestorben-Sein, ist das Nicht-richtig-geboren-Werden. Es führt zu der klaren Erkenntnis, dass ich alles Mögliche, nur keinesfalls ich bin. Die falsche Geburt erzeugt daher die Verdopplung, falsche Eltern (immer wieder: die teuflischen Impostoren), aber auch ein falsches Ich. Das Spiegelbild, das sich selbständig macht. Der Doppelgänger. (Rationalisiert: der verlorene Zwilling.) Der Doppelgänger ist ein notwendiges Zwischenprodukt des Bewusstseins; wie gut, wenn man, was man von sich selber wissen kann, auf mehrere Schultern verteilen kann. Aber diese Doppelgänger-Gespenster haben die verhängnisvolle Eigenschaft, in unserem Namen zu sprechen (welch Turbulenz im Bürgerhaus, das auf Verwechslung nur warten kann, über die wir dann alle herzlich lachen, die Überlebenden jedenfalls), schlimmer noch: sie streben nach der Wiedervereinigung. Der andere, der mich mir zeigte, will plötzlich ich sein, der mich ihm zeigt. Wer sich ein Bild von sich selbst macht, hat seinen Doppelgänger schon erzeugt, und wer sich in dieses Bild auch noch verliebt … Narziss war wesentlich komplizierter als unser nackter Kaiser, der die Welt mit sich selbst verwechselt. Das Gespenst ist ein Ergebnis der Schuld, gewiss, aber es ist selbst vollkommen unschuldig. (So wundert es uns denn auch nicht, dass im postdemokratischen Diskurs beinahe alle Schuld am Erstarken des Neofaschismus tragen, nur nicht die Neofaschistischen; schliesslich sind sie das Gespenst, ein Zeigendes, das sich vom Gezeigten entfernt.) Das Gespenst ist ein (missglückter) Versuch der Entschuldung. Das Gespenst ist ein (missglückter) Versuch, Schulden einzutreiben. Der Doppelgänger ist ein (missglückter) Versuch der Biografie; er ist ein (missglückter) Versuch der Geschichte. Weil wir ans Historische nicht mehr glauben, glauben wir an die Doppelgänger. Hitler, nur zum Beispiel, ist nicht Geschichte, nur Gespenst, nur Doppelgänger. Gespenst von was? Doppelgänger von wem? II Wir haben sieben Grundformen des Gespenstischen: Die Krise bei der Transformation (Geburtstrauma, Pubertätsschrecken, Hochzeitsfantasie, Ortswechsel). Der Horror beginnt in dem Augenblick, an dem man „Veränderungen an seinem Körper“ bemerkt. Das Gespenst ist ein Symptom von Veränderungen, die nicht in der Linie von Fortschritt und Regression begründet sind. Natürlich sind sie Begleiter und Abfall des Fortschritts.

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Die Bruchstelle im Familienroman (das düstere Erbe, die geheimnisvolle Herkunft, der „Fleck“ in den Stammbäumen, die Leichen im Keller). Das Auseinandergehen von Selbstbild und Erwartung: Beginnt nicht der Schrecken des Gespenstischen damit, dass andere eine „Meinung“ von dir haben, dass sie sich anmassen, sich „ein Bild zu machen“? Der dramatische Rückfall/Vorgriff (das Halbwesen zwischen Tier und Mensch, die Maschinenfrau, das Gespenst der Modernisierungsopfer, des Transhumanismus, des Kommunismus, der Ehe) Der Un-Ort (Friedhof, Gruft, Keller, Dachboden – das Haus als Kopf, der Wald, der See – die Landschaft als Körper, die Fremde) Die Un-Zeit (der Einbruch der ewigen Wiederkehr in die lineare/historische Welterzählung, der tödliche Stillstand, die übermenschliche Beschleunigung, die Schleife, das Wesen aus der Urzeit, die Serie als Ästhetik der Gewalt) Der entgrenzte Mythos. Die Rückprojektion der Fiktionen. Der Stendhal-Effekt. Das verwunschene Buch. Die dunkle Seite der Religion. Das Gespenst entkommt dem Narrativ. Der Aufstand des Unterdrückten. Das Tier, das Kind, das Queere, das Maschinelle, das Versklavte, das Nackte und so weiter STRANGE INTERLUDE Das Gespenst bezeichnet nichts als die Unbewohnbarkeit des von ihm beanspruchten Raumes und den Verlust der von ihm in Anspruch genommenen Zeit. Das geht gar nicht! Ein Gespenst muss doch etwas bedeuten (es sei denn, wir lebten in einer Welt der Gespenster). Selbst ein Weltuntergang mit diesem Herrscher wäre nur fad und bedeutungslos. So konnten wir nur noch mutmassen, es mit dem Gespenst der Bedeutungslosigkeit zu tun zu haben. Also mit einem Meta-Gespenst. Den Gespenstern (jedenfalls in einem sehr einfachen Modell) muss Wirkliches gespenstisch erscheinen. Oje! Heisst das etwa, dass wir, mit unserem nackten, dummen und bösen Herrscher als Gespenster entlarvt sind? Als Wesen, die das Verschwinden von ihrer Welt, von sich selbst noch gar nicht bemerkt haben. Zeigt dieser mächtigste Mann der Welt, der an sich nicht glauben kann, dass Demokratie nur als ihr Doppelgänger fortexistiert? Ein leeres Gespenst indes enthält auch wieder alles. 3. KAPITEL: DEMOKRATIE UND KAPITALISMUS oder DIE WIEDERKEHR DER ERSTEN UNTERSCHEIDUNG I Eine lange Geschichte: Demokratie und Kapitalismus und die Entfaltung einer besonderen Dialektik. Denn einerseits darf man annehmen: Es gibt keine kapitalis-


tische Demokratie, sowenig es einen demokratischen Kapitalismus gibt. Man muss also das Leben sozusagen zwischen Demokratie und Kapitalismus aufteilen, was, nebenbei gesagt, sofort neue Gespenster hervorruft, wie alles, was zur Spaltung genötigt wird. Aber andererseits entwickelten sich Demokratie und Kapitalismus wenigstens hierzulande immer auch miteinander, was zu unglücklichen Verschmelzungen führte. Trenne die beiden und fertig ist die Apokalypse jetzt.

für jene, die es angesehen haben. Und jede Gesellschaft, jede Ordnung, jede Kultur, jede Regierung endet, wenn sie ihre Gespenster nicht mehr bändigen können. Dieser Mann, der die mächtigste Person der Welt werden konnte, ohne dass irgendein Mensch auf dieser Welt es wirklich glauben kann, ist der Doppelgänger der Postdemokratie. Der Untod des Kapitals hat auf die Regierungen übergegriffen. Sie sind unfähig, mit den Gespenstern in ihren Mauern umzugehen.

Die Demokratie ist die Kunst des Lebendigmachens, natürlich sprechen wir hier von einer Idee, die lang schon verfehlt (aber eben nicht wirklich tot!) ist (die albernste Pointe unserer Geschichte: Demokratie ist das Gespenst, das in Europa umgeht, trostlos und ungetröstet); Kapitalismus aber ist die Verwandlung des Lebens in das Tote und zurück.

II Die Politisierung des Gespenstischen / die Vergespensterung des Politischen spiegelt die Ökonomisierung des Gespenstischen / die Vergespensterung der Ökonomie. Wenn das Gespenst erscheint, wo das Vertrauen in den Dreiklang von Anschauung, Erzählung und Kommunikation verloren geht, so erscheint es nun auch am Rand der unlesbar gewordenen Erzählung des Kapitals, von der Joseph Vogl spricht: Wenn es in der Tat kein „plausibles finanzökonomisches Narrativ“ gibt, sind wir auf Imaginationen zurückgeworfen. Das bedeutet übrigens etwas Seltsames: Die Gespenster erscheinen nicht mehr allein zyklisch, auf Erbe, Verschuldung, Wachstum und Krise bezogen, sondern gleichsam wolkenhaft. Und während die Gespenster aus den Trümmern der grossen Erzählungen und der Religionen entstehen, so entstehen sie auch aus den Trümmern der säkularisierten Ökonomie, die – als Wissenschaft wie als Praxis – auf die Behauptung teleologischer Vernunft, auf „Ganzheit“ und auf die „Vorsehung“ einer „unsichtbaren Hand“ verzichtet. Der Kapitalismus unserer Tage rechtfertigt sich durch nichts anderes als durch sich selbst; er verspricht nichts, er erklärt nichts, er hat seine eigene Apokalypse gefressen, die man allabendlich bewundern kann. Nur Gespenster können den Weltuntergang als Dauerzustand wirklich geniessen. Nur sie brauchen keine Zukunft.

Das Wesen des Kapitalismus ist es, dass er das, was uns persönlich lange verboten ist, nämlich a) einander aufzufressen und b) das Lebende zu verschlingen (der Ekel! das Grauen!), auf eine kollektive Weise wieder erlaubt, ja sogar gebietet: Der Kapitalismus verschlingt die Welt lebend (und kackt sie giftig wieder aus). Er frisst seine Ressourcen, sagt man höflicher, und braucht deswegen immer wieder etwas Neues.

DEMOKRATIE PARANOIA

KAPITALISMUS

Die tote Arbeit in der Ware will als Gespenst wieder hinaus; umgekehrt ist die tote Ware nur im Verwertungskreislauf lukrativ, sie muss sterben und wiedergeboren werden. Daher konnte unser Herrscher, der nicht einer ist, nur als Doppelgänger des Kapitals dorthin gelangen, so wie er zugleich als medialer Doppelgänger dorthin gelangen konnte, wo er als Einziger und Einziges nicht hingehört. Das Auseinanderbrechen von Kapitalismus und Demokratie erzeugt nun eben diese Gespenster, die zugleich (das ist neu!) Doppelgänger sind. Das spürbare, sichtbare, lesbare Auseinanderbrechen von Demokratie und Kapitalismus eröffnet den bösen Köchen, den Horrorclowns der Postdemokratie, den vulgären Banditen des Neoliberalismus den Weg. Sie sagen mithin eine Wahrheit über unsere Welt, ohne etwas anderes zu bedeuten als ihre pure Möglichkeit. Dass sie möglich sind, die Gespenster der Gier, der Dummheit, des Hasses und der Obszönität, bedeutet den Schiedsspruch über ihre Gesellschaften. Diese Gespenster der Spaltung von Demokratie und Kapitalismus wird man nicht mehr los. Wisst ihr es nicht? Die Erscheinung des Gespenstes bedeutet den Tod

Wenn Menschen schon mit Schulden auf die Welt kommen, mit einer Erbsünde meinetwegen, aber auch mit den verpflichtenden Ahnen, dann ist das Leben mit den Gespenstern natürlich, nun ja, beinahe jedenfalls. Aber noch einmal geschieht etwas Merkwürdiges. Aus der Angst vor ihnen wird die Sehnsucht, selbst zum Gespenst zu werden. Zum Doppelgänger seiner selbst. Das Bild der Schuld wird zur Praxis der Entschuldung. So wie Gesellschaft nur durch Zombies überlebt, so überlebt der Mensch im Neoliberalismus nur als Gespenst. Er lagert sich selbst aus. Nichts bleibt in ihm, alles wird Erscheinung. In die Sprache der Psychoanalyse übersetzt, wären Gespenster das „Verdrängte“. Das Verdrängte wäre nun also der untote Teil des Bewusstseins, der da ist und nicht da ist, während zugleich der Kapitalismus seinen Abfall (Trash) als recyceltes Archiv vermarktet.

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III Die Drohung der Aufklärung, nach ihrem Tod sozusagen, die Verhältnisse ins Gefängnis der Fakten zu sperren, scheint in der digitalen Öffentlichkeit insofern erfüllt, als alles in die Form der Information gebracht ist. Der Mensch lebt nur noch soweit er seinen Datenschatten akzeptiert, der schon von vornherein als Gespenst konzipiert ist: Das Netz vergisst nichts, sagt man. Als Information erfüllt alles den Tatbestand des Untodes, es lebt nicht und es ist nicht tot. Die Information ist die Erfüllung des Freud’schen „Todestriebes“; als Ding wurde man zu seiner Zeit unsterblich, nun also in der Form der Zeichenketten, der Bildermultiplikation, der Klicks und Likes. Bilder haben ihre Erklärung nicht mehr in sich, sondern in ihrem Schatten, der aus den sonderbarsten Hybriden von Texten, Zahlen und Metabildern besteht. Nichts ist „vollständig“, alles muss ergänzt werden, der Mensch ist das Fragment, das dem Kapital in Beute und Gespenst zerfällt und sich in ein SUBJEKT verwandelt. Es gibt keine Wirklichkeit, wenn es keine Instanzen mehr gibt, sie zu konstruieren und sie zu verteilen. Nach dem Willen des neoliberalen Denkens soll der Markt besorgen, was vordem Kultur und Gesellschaft besorgten, nämlich eine Arbeit an den Fragmenten, die immerhin die Illusion eines „ganzen Bildes“ vermittelt. Das Selbstbildnis in der elektronischen „Echokammer“ ist von einem Fremdbild nicht mehr zu unterscheiden. Echokammer, ein überaus populäres Gespensterwort. Als Echokammer, in der Tat, wird die Welt für uns gespenstische Doppelgänger wieder bewohnbar. EPILOG Der seltsame Mann, der zur mächtigsten Person der Welt werden konnte, nicht obwohl, sondern gerade weil ihn nichts dazu befähigte ausser seiner Position in der „Echokammer“, ist auch der Doppelgänger unserer Erkenntnis. Wir haben ihn kommen sehen, wir haben ihn erahnt, gefürchtet, gealpträumt, modelliert. Nicht er, sagt man, ist das Gespenst, sondern unsere Vorstellung von der Welt ist es. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Nun aber haben wir es nicht mit einem Schlaf, sondern mit einer Ohnmacht der Vernunft zu tun. Was sie gebiert, ist einfach zum Lachen. Gespenster lachen gern. Und laut. Und böse. Sodass umgekehrt jedem Lachen des Menschen ein Gespenstisches innewohnt. Der Wahn, hiess es, sei zur Wirklichkeit geworden oder umgekehrt, aber das ist ja egal. Der Mann, der zur mächtigsten Person der Welt geworden war, stand so sehr im Zeichen eines räuberischen Vaters und einer bigotten Mutter, hatte die Welt so sehr als

„totes Ding“ erfahren, das man sich einverleiben muss, dass er gar nicht wissen konnte, dass es ausserhalb von Macht und Geld „wirkliches“ Leben gibt. Die Abschaffung der Wirklichkeit, die ihm zum Programm werden musste, offenbart sich noch am ehesten in seinen Versuchen, in der Form des Tweets gegenwärtig zu sein. Das Inakzeptable, das Unvorstellbare, das längst Überwundengeglaubte, das von der Geschichte Erledigte, das diskursiv Widerlegte, das logische und moralische Mindestmassstäbe Verletzende, all das ist „wieder da“. Mitsamt den Worten, den Bildern, den Erzählungen und den Taten. Die Rechte ist für die demokratische Zivilgesellschaft auch deshalb so gespenstisch, weil man nicht mit ihr reden kann. Es geht nicht darum, ob man es will oder ob man es soll, ob man es darf oder vielleicht irgendwie auch müsste, es geht einfach nicht. Es ergibt keinen Sinn. Es gibt weder etwas, das man erreichen könnte, noch etwas, das es zu erfahren gäbe. Es gibt nur diesen sonderbaren Impuls: das Gespensthafte zu durchdringen, zu hoffen, dass hinter den Erscheinungen etwas „Wirkliches“ ist, etwas, das man erklären, begreifen, besprechen, retten oder wenigstens träumen kann. Im Gespenst den Menschen erkennen, der einmal war und der so geworden sein muss. Wie aber, wenn in der Tat nichts dahinter steckte, das Gespenst wirklich Gespenst wäre? Nicht mehr und nicht weniger? Dann schlägt die Stunde der Kunst. Der Autor, Kulturjournalist, Film- und Kulturwissenschaftler Georg Seeßlen wurde 1948 in München geboren und studierte Malerei an der Kunsthochschule München. Neben seinen diversen Publikationen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen und politischen Prozessen – 2017 erschien von ihm das Buch „Trump! Populismus als Politik“ – setzt sich Seeßlen immer wieder mit popkulturellen Phänomenen und den diese vermittelnden (neuen) Medien auseinander.

Am Königsweg von Elfriede Jelinek / Regie Stefan Pucher Schweizer Erstaufführung Mit Réka Csiszér, Sandra Gerling, Henrike Johanna Jörissen, Julia Kreusch, Miriam Maertens, Isabelle Menke, Elisa Plüss, Becky Lee Walters Premiere 8. März, Pfauen 12./16./18./28. März / 13./19./23./26. April

Backstage-Pass für politisch aktive Menschen, 12. März, 18:00 Theater Campus: Workshop – Vorstellung – Kantine 16. März, ab 17:00 Theater im Gespräch zu „Am Königsweg“ & „Zur schönen Aussicht“ 27. März, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Einführung Spezial mit Kulturwissenschaftlerin Prof. Elisabeth Bronfen 19. April, 19:00, Pfauen/Foyer

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Schweizer Theatertreffen Das diesjährige Schweizer Theatertreffen findet in Zürich am Schauspielhaus, am Bernhard Theater sowie am Theater Neumarkt statt. Es bringt nicht nur unterschiedliche künstlerische Handschriften an einem Ort zusammen, sondern bildet auch die Vielfalt von Theater in der Schweiz mit den verschiedenen Sprach- und Kulturregionen ab. Nach Ausgaben in Winterthur (2014 und 2015), Genf (2016) und im Tessin (2017) öffnet dieses Jahr Zürich seine Tore für ein Zusammenkommen von Theaterschaffenden und dem Publikum. Bühne frei für die Schweiz!

Grimmige Märchen, 25. Mai, Pfauen Regie Herbert Fritsch / Schauspielhaus Zürich Die Grimm’sche Matrix wird auf den Kopf gestellt, eine neue Geschichte entspinnt sich, die uns noch radikaler und verwunschener berühren will.

White Out – Begegnungen am Ende der Welt, 26. Mai, Pfauen Regie Alexander Giesche / Luzerner Theater Mit seinem „Visual Poem“ schafft der Videokünstler und Regisseur Alexander Giesche theatrale Bilderbögen. Ein Gebilde im Grenzbereich von Videoinstallation, Theater und Performance.

Les Luttes Intestines, 27. Mai, Pfauen Regie Adrien Barazzone / Cie L’homme de dos Der Genfer Regisseur Adrien Barrazone erkundet die Welt unseres Darms und geht dabei vor dem Hintergrund eines von Krisen belasteten Europas unseren Ängsten, Werten und Leidenschaften nach.

Beute Frauen Krieg, 27. Mai, Schiffbau/Halle Regie Karin Henkel / Schauspielhaus Zürich Karin Henkel überträgt den antiken Stoff des trojanischen Kriegs in einen zeitlos kreisenden Zyklus um Beute, Frauen und Krieg.

5 Gründe warum Delfine böse Tiere sind, 23. Mai, Bernhard Theater Regie Dirk Vittinghof / KNPV Eine schwarze Actionkomödie, von der Berner Theatergruppe KNPV temporeich und humorvoll in Szene gesetzt.

Transumanze, 25. Mai, Bernhard Theater Regie Cristina Castrillo / Teatro delle Radici Die Tessinerin Cristina Castrillo bringt mit persönlichen Erzählungen, Objekten und Bildern die grossen politischen Gesellschaftsthemen Exodus, Migration, Diaspora und Exil auf die Bühne.

Quitter la terre, 26. Mai, Bernhard Theater Regie Joël Maillard / Cie SNAUT Oszillierend zwischen nüchterner Konferenz und Science-FictionDrama stellt sich die Produktion den heute brennenden ökonomischen, demografischen und ökologischen Herausforderungen. Das Rahmenprogramm findet im Theater Neumarkt statt. Weitere Infos unter schweizertheatertreffen.ch

Von oben nach unten: Grimmige Märchen (T+T Fotografie), Les Luttes Intestines (Gregory Brunisholz), Quitter la terre (Alexandre Morel, Jeanne Quattropani), White Out – Begegnungen am Ende der Welt (Ingo Höhn)

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design : pablo lavalley – oficio.ch

Verleihung der Schweizer Theaterpreise 2018


ÄRGER IM PARADIES Ein Max Frisch Trip durch Zürich, Zeit und Zorn Regie Stephan Müller Mit Christian Baumbach, Mike Müller, Michael Neuenschwander, Edmund Telgenkämper, Wanda Winzenried, Susanne-Marie Wrage Premiere 6. April, verschiedene Spielorte, Treffpunkt ETH Hauptgebäude (Eingang Polyterrasse) 8./13./14./22. April / 4./5. Mai Unterstützt von der Stiftung Corymbo

Inszenierungseinblick 22. März, 19:00–20:30 Treffpunkt Schiffbau/Foyer

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Ein Max Frisch Trip durch Zürich

„Ärger im Paradies“ führt an Orte in Zürich, die mit Max Frisch in enger Verbindung stehen, und widmet sich seinem schriftstellerischen Werk, den Reden, Interviews, Briefen, Tagebüchern, Notaten und seiner Prosa. Wir lesen und erfahren die Welt durch Frischs Brille. Ist die „negative Utopie“, wie sie Frisch über die Schweiz formuliert hatte, nunmehr eingetroffen, ausgeblieben oder übertroffen worden? Wird das Land noch immer von der Angst regiert? Brauchen wir eine Veränderung und eine Wandlung unseres Denkens?


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von Karolin Trachte

On the town

„A house never forgets“ Die Bühnenbildnerin Anna Viebrock arbeitet erstmals mit dem Regisseur und Autor René Pollesch zusammen. Für die Uraufführung „Hello, Mister MacGuffin!“ in der Box hat sie das Bühnenbild entworfen. Für sie ist der Schiffbau bekanntes Terrain – kurz nach dessen Eröffnung wurde sie mit Christoph Marthaler für vier Jahre Teil der Leitung des Schauspielhauses. Eine lange Freundschaft verbindet sie aus dieser Zeit mit dem Architekten Peter Märkli, den wir in seinem Atelier besuchen. Wir schlendern mit ihm durchs Quartier, um und in den Schiffbau.

„Everything one invents is true“ heisst der Titel eines Buches über den Schweizer Architekten Peter Märkli. In seinem Atelier – einen Steinwurf vom Schiffbau entfernt – treffen wir uns nach der Probe. Es fällt uns gleich auf, dass es in seinem Atelier weit und breit keinen Computer gibt, überall liegt stattdessen Handgezeichnetes, hier werden Farben angerührt, Skizzen angefertigt. Anna Viebrock ist am Morgen aus Wien angereist, wo ihre Studierenden an der „Akademie der bildenden Künste“ ihre Diplomarbeiten präsentiert haben. Auch Märkli hatte bis 2015 eine Professur inne. Wenn er erzählt, wird deutlich, dass seine Studierenden an der ETH immer auch wichtige Gesprächspartner für ihn waren. Wir beginnen über Stadtplanung zu sprechen, darüber, wie Freiräume und Plätze in der Stadt entstehen und erhalten bleiben. Märkli findet, dass das eigentliche Material des Architekten die „Leere“ sei – ein Begriff, der auch immer wieder auftaucht, wenn Kollegen und künstlerische Partner über die Bühnenbilder von Anna Viebrock sprechen. Wir reden über die Entwicklung des hiesigen Quartiers und kommen auf städtische Plätze zu sprechen. Heute einen öffentlichen Platz zu entwerfen, findet Märkli fast unmöglich. Erstens entstehe er im Grunde durch die Gebäude, die ihn umgeben – und die gibt es normalerweise schon. Zweitens würden Plätze nur zu öffentlichen Orten und zum Herzen der städtischen oder dörflichen 18

Strukturen, wenn sie eine Funktion hätten, früher seien das beispielsweise Märkte oder Prozessionen gewesen. Eine Ausbuchtung am Rande einer Strasse zu gestalten, eine kleine Öffnung des Raums, könne er sich gerade noch vorstellen. Einen Platz – eigentlich nicht. Diesen Gedanken noch im Kopf, brechen wir auf zu einem Spaziergang, laufen unter der Hardbrücke entlang hinüber zum neuen Schiffbauplatz. Hier wurde seit der Zeit, als Anna Viebrock nach Zürich gekommen ist, komplett umgebaut. Dort, von wo wir jetzt zum Eingang des Schiffbaus blicken, stand früher eine alte Probebühne. Ob das schöner war? „Architektur ist nicht Ästhetik“, antwortet Märkli, „sondern immer eine Frage des Zusammenlebens von Menschen. Es gibt keine architektonische Privatsprache, im Gegenteil: jedes Gebäude sollte zu mindestens 50% nach aussen wirken – auf die Menschen, die daran vorbeigehen.“ Vom Flair des alten Industriequartiers ist um die Ecke vom Bühneneingang noch ein Turm geblieben, an dem wir kurz emporschauen. Anna Viebrocks Bühnenbilder sind beseelt von Erinnerungen an echte Orte, von ermüdendem Material oder Zurückgelassenem – sie vermag die Aura solcher Orte ins Theater zu bringen. Dieser alte Turm, findet sie, kann als einzelnes Überbleibsel zwischen den Neubauten leider höchstens dekorativ wirken. Wir schlendern am Schiffbau entlang auf den Turbinenplatz. „Zürich ist übergestaltet“, findet sich Märkli hier bestätigt. Die Kombination


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aus genug Geld und zu wenig Platz führe dazu, dass jeder eigentlich freie Raum planerisch überlagert werde. Über einen Seiteneingang betreten wir den Schiffbau, wo wir als erstes in die Montagehalle gelangen und direkt über Anna Viebrocks Arbeit „stolpern“ – der Plafond zum „Hello, Mister MacGuffin!“-Bühnenbild wird hier zusammengesteckt und mit Traversen versehen. Bevor wir uns ihrem Entwurf widmen, werfen wir einen Blick in die Halle, die ausnahmsweise fast leer ist und daher in ihrer ganzen Tiefe wirkt. „Wow, toller Raum“, sagt Peter Märkli immer wieder. „Kann man auch mal eine Tribüne quer stellen? Theater wie bei Rudi Carell – ‚Am laufenden Band‘?“ – „Ja, kann man“, freut sich Anna Viebrock.

„Everything one invents is true“ Unter anderem ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass die Halle heute vom Theater und nicht als Verkaufsfläche oder Messehalle genutzt wird. Sie war es auch, die damals das Gebäude mit skurrilen Hinweisen, kleinen Verzierungen, Zitaten von Adolf Wölfli und anderen gespickt hat. Etwa „Achtung Kopf“ steht da an einem übermannshohen Portal, oder „A house never forgets the sound of its original occupants“ über den erhaltenen Spinden der Arbeiter des alten „Schiffbaus“. „In welche Richtung würdest du die Tribüne stellen, Peter? So, dass man in Richtung Fenster schaut oder mit Blick zur Wand, mit den alten Leitungen, Schränkchen, den Hochspannungsschaltern ...?“ – „Nach innen“, findet Peter Märkli. „Das Theater ist nicht für den Blick nach aussen.“ Er durchquert den Raum und ruft am anderen Ende: „Wenn man von hier schaut, wirkt der Raum fast wie ein Platz. Ein städtischer Platz.“ Gleich nebenan, auf der Probebühne, ist das aktuelle Bühnenbild von Anna Viebrock mit Latten und Stoffwänden für die Proben nachgebaut. Der Dramaturg Malte Ubenauf beschrieb Viebrocks Bühnenbilder als „überreale, fast monumentale Rauminstallationen, hybride Architekturkonstruktionen“. Immer wieder werden ihre Bühnenentwürfe als „hermetische Innenräume“ beschrieben. Der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann sieht sie auch als Räume des Durchgangs. So auch hier: Anna Viebrock hat eine Art Fassade mit einer grossen Schaufenstervitrine entworfen, davor könnte ein Trottoir, eine Strasse verlaufen oder ein öffentlicher Platz liegen. Der Raum wird 20

buchstäblich zum Durchgangsort, weil die Zuschauer über die Bühne zu ihren Plätzen gelangen. Dabei können sie unterschiedliche Gänge wählen, es gibt verschiedene Türen, Fenster und Spiegelungen. Der Raum erscheine ihr jetzt gerade „sehr gross“, sagt Anna Viebrock leicht zweifelnd zu Märkli. „Stellst du noch ein paar Zypressen rein?“, scherzt Märkli. „Bei grossen Architekturen, die wir nicht mehr besetzen können, stellen wir grosse Pflanzen rein“, sagt er, wohl wissend, dass der viele Platz eine der Qualitäten dieses Raums ist. Der Bühnenboden zitiert den Boden im Zürcher Hauptbahnhof, auch das erkennt der Architekt sofort. „Und hier probt ihr jetzt jeden Tag?“ – „Ja und führen Gespräche, sehen Filme, lesen theoretische Texte. Der Text entsteht ja erst während der Proben. René schreibt jeden Tag“, erklärt Anna Viebrock. Eine dicke Kopie der Textsammlung „Abécédaire“ von Gilles Deleuze liegt noch herum. – „Hat er auch über Proust geschrieben?“ – „Nun, es ist alphabetisch, du kannst unter „P“ nachsehen ...“ – Dort findet sich nur „Professor“. Beide lachen. Beim Rausgehen bleibt Märklis Blick an dem ausgedruckten Magritte-Bild im Flur hängen. Es hängt hier nicht zufällig, sondern ist eine von diesen unaufdringlichen und doch geschickt gelegten Spuren von Anna Viebrock – diesmal temporär. Das Bild mit dem Titel „Reproduktion verboten“ zeigt den Hinterkopf eines Mannes, der in den Spiegel blickt – im Spiegel aber paradoxerweise wieder nur seinen eigenen Hinterkopf zu sehen bekommt. Beim Ein- und Austreten bleibt der Blick daran hängen, auch Peter Märklis Blick. Wie an den vielen anderen Spuren von Anna Viebrock ...

Hello, Mister MacGuffin! von René Pollesch / Regie René Pollesch Uraufführung Mit Hilke Altefrohne, Inga Busch, Sophie Rois, Marie Rosa Tietjen, Jirka Zett 11./12./14./16. März / 22./23./25./26. April 2./3. Mai, Schiffbau/Box

Theaterlabor Vorstellungsbesuch 16. März, 19:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theater im Gespräch zu „Hello, Mister MacGuffin!“ & „Mass für Mass“, 3. Mai, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theaterlabor Tanz, Licht und Text 17. März, 13:00–17:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theater Campus Festival: Workshop „Reden – Schreiben – Proben“ 20. April, 17:00–18:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Festivalprogramm unter schauspielhaus.ch/theatercampus


SEIT 1967 19.1.2018 – 21.5.2018 21

www.landesmuseum.ch


Brücken in die Gegenwart Die Zürcher Pension Comi in den 1930er Jahren, ein Transitraum zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Aus ganz Europa sitzen Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus in Zürich fest und warten. Sie sitzen auf gepackten Koffern zwischen einem für sie untergegangenen Europa und einer ungewissen Zukunft. Ausgehend von historischen Dokumenten und dem Roman „Die Brille des Nissim Nachtgeist“ von Lotte Schwarz hat der Zürcher Autor Gerhard Meister ein Stück über die Gäste der Pension geschrieben, „Das grosse Herz des Wolodja Friedmann“, das am 29. März im Schauspielhaus uraufgeführt wird. Vor dem Probenstart haben die junge Regisseurin Sonja Streifinger und der Dramaturg Benjamin Große die Historikerin Christiane Uhlig befragt und sich an der Ekkehardstrasse auf die Suche nach einer verlorenen Zeit begeben. Fotos: Archiv für Zeitgeschichte: BA BASJ-Archiv

Im Stück „Das grosse Herz des Wolodja Friedmann“ von Gerhard Meister wird die Pension Comi in den 1930er Jahren als ein Refugium für die aus Europa in die Schweiz geflohenen Menschen beschrieben. Bei heutigen Flüchtlingsunterkünften fällt einem eher das Stichwort Internierung statt Refugium ein. War die Pension Comi in ihrer Zeit ein Einzelfall in Zürich? Internierung war auch in der Schweiz während der Kriegsjahre die gängige Praxis. Rund sechzigtausend Zivilflüchtlinge wurden entweder in Auffanglagern, Arbeitslagern oder Heimen interniert. Die Familien wurden auseinandergerissen, Frauen von Männern, Kinder von ihren Eltern getrennt. Dies und die seltenen Besuchsmöglichkeiten bedeuteten eine enorme psychische Belastung. Hinzu kamen Bewegungsverbote ausserhalb der Lager. In den Jahren zwischen 1933 und 1940 waren die Emigranten privat untergebracht, auch in Pensionen, was für die Flüchtlingshilfswerke ein grosses logistisches Problem darstellte. Aber über das Leben in diesen Unterkünften gibt es kaum Material. Dass die Pension Comi ein Refugium war, ist den Friedmanns zu verdanken und es ist nicht belegt, wie viele „Friedmanns“ es gegeben hat. Gerade deshalb ist der Roman von Lotte Schwarz so wichtig. Inzwischen hat sich die Internierung zur gängigen Praxis entwickelt, denn es ist gerade nicht das Ziel der aktuellen Politik, dass sich 22

Geflüchtete im Exil aufgehoben und heimisch fühlen können, wie dies in der Pension Comi möglich war. Lotte Schwarz war das Stubenmädchen der Pension Comi, in der das Stück spielt. Sie haben eine Biografie über Lotte Schwarz verfasst, in der viel über die Pension wie auch über den Lebensalltag in Zürich in den Jahren 1933 bis 1945 zu erfahren ist, und sind Herausgeberin ihres bisher unveröffentlichten Romans, der bald erscheinen wird. Was erfahren wir durch den Roman über die Pension Comi und Zürich in der Zeit? Was ich besonders eindrücklich fand, war dieser Gegensatz zwischen der Innenwelt der Pension Comi und der Aussenwelt der Stadt und wie schwierig es für die Bewohner der Pension war, sich in dieser Aussenwelt zu bewegen und den Erwartungen der Schweizer an die Geflüchteten gerecht zu werden. Ein Beispiel: Die Frauen in der Pension freuten sich auf den Samstagabend, wenn ihre Mitbewohnerin Vicky Schönheitspflegedienste anbot. Gleichzeitig forderten die Hilfswerke in Rundschreiben von den Geflüchteten, sich nicht zu schminken und nicht auffällig zu kleiden, damit die Zürcher nicht auf den Gedanken kämen, den Geflüchteten ginge es hier zu gut. Die Menschen in der Nachbarschaft, in der Stadt, wussten ja meist nichts von der


Das grosse Herz des Wolodja Friedmann von Gerhard Meister / Regie Sonja Streifinger Uraufführung

seelischen Last und materiellen Not. Zürich war eine Stadt, die trotz Aktivdienst und Grenzbewachung eine Lebensnormalität vermittelte, an der die „Comianer“ wegen des Arbeitsverbots und fehlender finanzieller Mittel aber nur als Zuschauer teilnehmen durften. Die Stadt bedeutete deshalb sowohl den bedrohlichen Gang auf Ämter, wo über ihr weiteres Schicksal entschieden wurde, als auch die Möglichkeit, sich in Bibliotheken und Cafés zu treffen und, falls finanziell möglich, ins Schauspielhaus zu gehen. Die Pension als Rückzugsort war von zentraler Bedeutung für das seelische Gleichgewicht ihrer Bewohner, hier hatten sie die Möglichkeit, sich auszutauschen und die politischen Entwicklungen zu diskutieren. Dabei zeigte sich, dass die Emigranten in ihrer Beurteilung der eigenen Lage so unterschiedlich wie in ihren politischen Auffassungen waren und auch, dass nicht jeder Geflüchtete unfehlbar ist. In Gerhard Meisters Stück wird immer wieder der Gewissenskonflikt des Ehepaars Friedmann gezeigt. Die Hauptfigur Paula fragt ihren Mann Wolodja, wie viele Menschen sie noch aufnehmen können, ohne die schon in der überfüllten Pension lebenden Gäste oder sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Wie problematisch und gefährlich war es wirklich, den Geflüchteten in der Schweiz zu helfen? Im Unterschied zum Stück von Gerhard Meister findet sich im Roman von Lotte Schwarz dieser Gewissenskonflikt des Ehepaars Friedmann nicht. Sie haben ohne Bedenken Geflüchtete aufgenommen, auch Illegale, trotz Überwachung und Hausdurchsuchung. Ein Mann wie Wolodja Friedmann, der im zaristischen Russland während 12 Jahren als Kurier ständig illegal die Grenze überquert hat, handelte aus Mitgefühl und nicht aus Angst. Und tatsächlich ist ja ihm und seiner Frau in der Schweiz nichts passiert. Dennoch finde ich es richtig, diesen „Gewissenskonflikt“ zu thematisieren. Ich erachte das „Aufnahmeproblem“ als Gegenstand dieses Konfliktes als eines vor allem von der Regierung in Bern, den Schweizer Behörden und den Medien propagiertes. Der berühmte Satz „Das Boot ist voll“ steht für die praktizierte Politik von Aufnahmestopp und Rückweisung. Und heute hören wir von den gleichen Akteu-

Mit Ludwig Boettger, Gottfried Breitfuss, Fritz Fenne, Sarah Gailer, Claudius Körber, Friederike Wagner Premiere 29. März, Pfauen/Kammer

Theater im Gespräch zu „Das grosse Herz des Wolodja Friedmann“ & „Liebe Grüsse … oder Wohin das Leben fällt“ 11. April, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theaterlabor Vorstellungsbesuch 13. April, 19:00, Treffpunkt Pfauen/Foyer Theaterlabor Text, Bild und Technik 14. April, 13:00–17:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theater Campus Festival: Workshop „Theaterbasics ausprobieren“ 19. April, 17:00–19:00, Treffpunkt Pfauen/Foyer Festivalprogramm unter schauspielhaus.ch/theatercampus

ren die gleichen Argumentationsmuster, um die Festung Europa und die damit verbundene Inkaufnahme von Tausenden toten Geflüchteten zu legitimieren. Menschen, die damals Geflüchtete illegal über die Grenze gebracht haben, sind mehr als sechzig Jahre später von der Schweizer Regierung rehabilitiert worden. Dieses wichtige Zeichen steht allerdings im Gegensatz zur Tatsache, dass gegen aktuelle Flüchtlingshelfer Strafverfahren eingeleitet wurden – die Geschichte wiederholt sich. Was erwarten Sie von der Umsetzung des Stücks auf der Bühne? Das Stück wie der Roman spielen ja in den 30er und 40er Jahren in Zürich. Die Texte wirken gleichwohl sehr aktuell, gerade weil mit dem Flüchtlingsthema in vielen europäischen Ländern und auch in der Schweiz wieder Politik gemacht wird. Ich bin gespannt, wie das Stück diese Aktualität aufgreift und wie die Handlungsmöglichkeiten ausgelotet werden, die es für den Einzelnen trotz einer restriktiven Haltung von Politik und Behörden gab und weiterhin gibt. Christiane Uhlig, Historikerin, hat mehrere Frauenbiografien geschrieben, u. a. „ ‚Jetzt kommen andere Zeiten‘ – Lotte Schwarz (1910–1971), Dienstmädchen Emigrantin Schriftstellerin“. Im Frühjahr wird sie den Roman von Lotte Schwarz, „Die Brille des Nissim Nachtgeist“, im Limmat Verlag Zürich herausbringen. 23


Die Autorin Nora Gomringer schreibt einen Brief an William Shakespeare und trinkt einen Espresso mit Isabella aus seiner Komödie „Mass für Mass“, die im April am Schauspielhaus Premiere feiert.

Dear Mr Shakespeare, oder sollte ich lieber sagen: Sehr geehrter Earl of Oxford, oder sollte ich sagen: Verehrter Schreiber der Dramen und Komödien, der Historien und Sonette, oder sollte ich sagen: Herr Kopfverdreher, hören Sie, oder: Hey, you, yes, you! You deutscher Writer! Es ist oft so wunderlich in Ihrer Welt, die eine Königin kennt, deren Gesicht so weiss, weiss vom Bleiweiss war. Wie muss sie Ihnen zugetan gewesen sein, dass Sie schreiben durften, wie Sie’s taten. Wie theatralisch aber auch die Dame selber. Ein Schlachtschiff ihr Kleid, das aufgetürmte, starre Haar. Behold the Virgin Queen! Und wenn wir an sie denken, denken wir seltsam verknüpft, als seien Sie der König dieser Zeit gewesen. Keine Verstellung im Herrschen möglich, nicht wie die märchenhaften Herrscher, die sich unter ihr Volk mischen. In Ihrem Europa war man gut gekleidet, die Beinkleider machten den Mann, doch waren alle pestgebeutelt. Die Ratten führten ihre Flöhe durch die Häfen und Handel verteilte alle mit Gleichheit über die Welt. Die Krankheiten sind besonders demokratisch an der Basis. Ja, Herr Shakespeare, ich schreibe auch. Wollen Sie mal etwas davon lesen? Ach, sicher haben Sie doch Zeit. Ich sende Ihnen etwas Kurzes und freue mich, wenn Sie reagieren. – Ist es nicht schrecklich? So schreiben die Schreiber mir. Keine Angst, ich lasse Sie freilich in Ruhe! In meinem Land und in meiner Zeit tauchen Sie ständig auf, werden sogar collagiert, als Mensch gar neuerfunden. Mancher zweifelt, dass Sie lebten oder wohl nur eine Person waren. Es ist müssig. Sie waren oder sind. Es ist so 24

auch viel einfacher, Ihnen zu schreiben: Ein Mann, ein Wort und diese Welt eine Bühne und wir nur Schauspieler darauf. Sie sollten hören, wie oft bei uns von der „Weltbühne“ gesprochen wird! Derzeit bewegt sich ein Mann mit orangefarbenem Teint und proverbially kleinen Händen über diese Bühne. Im Ganzen sehr ungeschickt erwischt er doch hin und wieder den Lichtkegel des Verfolgers und steht dann viel zu gut ausgeleuchtet in sichtbarer Klarheit, was ihm nicht gut tut, denn er ist verrückt. Man liest, Sie hätten wesentlich zur Erweiterung des englischen Vokabulars beigetragen, die englische Sprache gar zu einer der wortreichsten der Welt gemacht. Man möchte das kaum glauben, hört man uns heute zu. Auf der ganzen Welt wird Ihr Englisch zur lingua franca genutzt und man stolpert sich durch ersten Austausch stets mit einem sehr fernen Glanz der Pracht Ihrer Sprache. Aber es gilt, kein Snob zu sein! Die Sprache als Kommunikationsgrundlage hat der Sprache als Kunst den Rang abgelaufen, seit die Menschen zur See fuhren, pilgerten und ach, vielleicht seit wir nicht mehr grunzen so grundsätzlich. In Ihrer Zeit populäre, wenn nicht brandneue Wörter waren ja atmosphere, adapt, appropriate, benefit, catastrophe, create, crisis, critic, exist, exotic, shock und system. Was uns das im Grundgeflüster – in Ihrem Theater war’s viel mehr ein „Rundgeflüster“ – verrät über die Zeiten, ist unheimlich, denn diese Wörter sind unsere Wörter. Nein, wirklich! Derzeit wird so oft wie nie über Krise und Umwelt und Katastrophen gesprochen! Wenn Sie uns hören könnten. Sie wären erstaunt, was diesen Wörtern seit Ihrer Zeit an Konnotation beigegeben wurde. Manchmal überlege ich, gäbe ich ein Bankett, wen Ihrer Figuren ich wo platzierte. Prospero wäre wohl nicht aus


der Bibliothek zu kriegen, aber Benedikt und Beatrice, Hero und Claudio könnte man gut und gesellig einander gegenübersetzen. Angelo und Mariana, deren Ehre nach den Jahren – belastet seit dem Anfang – etwas angespannt geblieben ist, wohl auch. Dann der andere Claudio mit Juliet, die sich mittlerweile das Sorgerecht für die Kinder teilen, aber nicht mehr zusammenleben. Irgendwie war die Kunst stärker und Juliet hörte den Ruf der Leinwand und der Pinsel und ach, den Rest kennt man ja. Für Romeo und seine Julia blieben immer zwei Stühle unbesetzt. Man erinnert sich gerne an diese zwei Hochambitionierten. Es gäbe Suppe und Innereien und Braten und unbedingt Sushi, denn schliesslich müsste der Exotik Genüge getan werden. Julius Cesar, leider immer einer, der die Polster durchblutet und Banquo, einer, der nicht still sitzen kann, ständig umhergehen muss, wie gerne sähe ich sie am Tische. Lady Macbeth hat immer Reinigungstücher dabei – entfernen Blut und Allergene! – und drei Hexen stehen in der Küche. Es wäre ein so lebhaftes Essen. Sie dürften beobachten. Ich richtete Ihnen einen Tisch etwas abseits ein. Gerne mit Goethe, Schiller, Lessing und Getrude Stein, die Sie sicher sehr verwundern würde. Eine Frau, die Frauen liebte und Ihnen in puncto Rosen einiges zu sagen hätte. Für Sie kochte ich eine gute Bouillabaisse; die führt Mägen und Menschen zusammen. Ich setzte mich zum Espresso zu Isabella und liesse sie mir zuflüstern, was es hiess, ein Spielstein zu sein mit ihrer Vagina. Und ich hätte ihr das ein oder andere zu erzählen, denn heute und bei mir im Vorgarten wie im Haus, im Draussen, wie im Drinnen, geht es genauso noch immer zu. Oh, der Brief ist lang geworden. Ich entschuldige mich. So machen es die Schreiber ... Sie locken in die Texte hinein. Und dort: Buchklappe zu! Gefangen. Oh, wie gerne kochte ich für Sie! Kommen Sie doch einmal vorbei, wenn ich ein grosses Essen gebe. Wir hätten viel zu sichten, viel zu sehen.

Nora Gomringer ist Autorin, Lyrikerin und Leiterin des Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Nach ihrem Studium der Anglistik, Germanistik und Kunstgeschichte war sie als Poetry Slammerin in der Spoken-Word-Szene aktiv. Ihre Texte handeln unter anderem vom Alltäglichen und Unheimlichen, dazu lässt sie sich von Autoren wie William Shakespeare inspirieren. Gomringer widmet sich immer mehr auch dem Schreiben von Essays und Erzählungen. 2015 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. Foto: Judith Kinitz

Mass für Mass von William Shakespeare / Regie Jan Bosse Mit Benito Bause, Klaus Brömmelmeier, Hans Kremer, Lisa-Katrina Mayer, Robert Rožić, Lena Schwarz, Daniel Sträßer, Milian Zerzawy Premiere 12. April, Pfauen 16./20./22./24./27. April

Verein gesucht! Termine nach Absprache Inszenierungseinblick 3. April, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theater Campus Festival: Workshop „Shakespeare spielen“ 20. April, 15:00–17:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Festivalprogramm unter schauspielhaus.ch/theatercampus

Ihre Nora Gomringer

Backstage-Pass für Menschen, die beruflich mit Religion(en) zu tun haben, 27. April, 18:00

Es ist Februar 2018 und es ist sehr kalt in unseren Strassen.

Theater im Gespräch zu „Mass für Mass“ & „Hello, Mister MacGuffin!“, 3. Mai, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer

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Schreiben für ein junges Publikum Die norwegische Autorin Liv Heløe, deren Stück „MEET ME“ im Mai am Jungen Schauspielhaus gezeigt wird, stellt einige Erfahrungen beim Schreiben für ein junges Publikum vor.

Das Stück „MEET ME“ erlebte seine Schweizer Erstaufführung im vergangenen November und ist im Mai wieder in der Matchbox zu sehen.

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Den niederländischen Autor und Regisseur Theo Fransz kann man in der Reihe „Schreibtisch“ am 10. April kennenlernen. Sein Stück „Liebe Grüsse … oder Wohin das Leben fällt“ hat am 14. März Premiere.

Der belgische Autor und Regisseur Jan Sobrie schreibt das Stück „Nachspielzeit“ (Arbeitstitel) im Auftrag des Jungen Schauspielhauses und bringt es selbst zur Uraufführung am 13. Juni. Mit ihm kann man beim „Schreibtisch“ im Mai ins Gespräch kommen.


Mein erstes Stück für Jugendliche war ein Auftragswerk. Ich nahm die Aufgabe in Angriff und suchte in mir selbst, in meiner eigenen Jugend nach Material: Was habe ich als schwierig empfunden? Was war lustig? Wo war ich verletzlich? Einige Jahre später wurde ich wieder gebeten, für Jugendliche zu schreiben – für „Platform 11+“, ein grosses, internationales Jugendtheaterprojekt. Im Laufe des Projekts sollten wir auf dessen Homepage über die Recherche berichten. – Recherche? Ich erinnerte mich, wie es war, jung zu sein, ich erinnerte mich an meine Klasse – die Schule, sie stand unverändert an Ort und Stelle. Was sollte ich herausfinden? In Wahrheit weigerte ich mich (ohne es mir selbst einzugestehen); ich empfand einen tiefen Widerwillen beim Gedanken, in das wirkliche Leben hinauszugehen und mit den unzugänglichen, unsicheren, lauten, weltgewandten jugendlichen Schülern konfrontiert zu werden. Aber gut: die Recherche war Teil des Projekts und ich verbrachte also zwei Tage an einer Schule der Sekundarstufe I. Ich erinnere mich nicht genau daran, was ich herauszufinden versuchte – vielleicht etwas über die Art der Kommunikation, den Slang und so weiter. Was ich tatsächlich herausfand, war etwas ganz anderes. Ich sass ganz hinten an einem Pult. Die Klasse hatte einen Vertretungslehrer und die Schüler sollten in Eigenregie den Stoff erarbeiten. Einige sahen in ihre Bücher, andere auf ihre Handys, einige redeten. Ich wartete darauf, dass der Tag zu Ende ging. Der Junge vor mir drehte sich um, legte einen Zettel auf mein Pult. Überraschend – ich hatte ihm kaum Beachtung geschenkt. Auf dem Zettel stand: „Du glaubst, dass nichts passiert. Du glaubst, dass alles okay ist. Aber hier passiert jede Menge. Jede Menge Mobbing und jede Menge Scheiss.“ Der Zettel fasste all das zusammen, dem ich mich verweigerte. Er öffnete die Tür zum Leben der Sekundarschüler: Mitschüler, die du dir nicht ausgesucht hast, die du vielleicht nicht magst, die dich nicht mögen, die deine Tage unerträglich machen. Lehrer, die dich nicht verstehen, die dich missverstehen. Fächer, für die du dich nicht interessierst. Routinen und Arbeitsformen, die du nicht beherrschst und die dir nicht behagen. All das in einem Lebensabschnitt, in dem du zu verstehen beginnst, was freie Entscheidungen sind, und dabei feststellst, dass du selbst nicht mal darüber entscheidest, welche Kleidung du trägst. Niemand ist so unfrei wie Sekundarschüler und niemand sehnt sich mehr nach Freiheit. Diese (keineswegs Aufsehen erregende) Einsicht veränderte meinen Zugang. Ich verstand, dass ich mich für sie interessieren musste – statt mich mit Kommunikation und Slang aufzuhalten. Statt nach etwas zu suchen, das für mich wahr ist (weil ich es erlebt habe), musste ich mich nach ihnen ausstrecken, ich musste mich ihnen offen zuwenden. (Es ist fast peinlich, das gedruckt zu

lesen, weil es so offensichtlich ist, dass es so sein muss.) Was ich über die Recherche auf der Homepage der Plattform geschrieben habe, weiss ich nicht mehr. Vielleicht etwas über die Stunde in der Schulküche, die mehr an Krieg als an Kochen erinnerte. Aber was ich gelernt hatte, war, dass ich es wagen musste, Jugendlichen zu begegnen, um für sie schreiben zu können. Liv Heløe (Aus dem Norwegischen von Nelly Winterhalder)

Liebe Grüsse … oder Wohin das Leben fällt von Theo Fransz / Regie Theo Fransz Uraufführung Mit Grégoire Gros, Lina Hoppe, Daniel Kuschewski Premiere 14. März, Schiffbau/Matchbox 15./16./17./18. März / 3./4./5./7./9./11./12./17./18./23. April Eine Produktion des Jungen Schauspielhauses

Theater im Gespräch zu „Liebe Grüsse … oder Wohin das Leben fällt“ & „Das grosse Herz des Wolodja Friedmann“, 11. April, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Early Birds „Was uns glücklich macht V“ 15. Juni, 9:00–11:00, Tanzhaus Zürich Frühlingsferienkurs, „Kultur-Zeitsprünge“, für 7 bis 9 Jahre, 23.–27. April, Museum Haus Konstruktiv / KKAZ

MEET ME von Liv Heløe / Regie Enrico Beeler Schweizer Erstaufführung Mit Robert Baranowski, Dominik Blumer, Tabea Buser, Josef Mohamed 15./16./17. Mai, Schiffbau/Matchbox Eine Produktion des Jungen Schauspielhauses

„Meet & Speak“, 4. April, 19:00–21:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer „Meet & Walk“, 16. Mai, 20:30–22:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer

Nachspielzeit (Arbeitstitel) von Jan Sobrie / Regie Jan Sobrie Uraufführung Mit Nicolas Batthyany, Larissa Keat u. a. Premiere 13. Juni, Schiffbau Eine Produktion des Jungen Schauspielhauses

Theater im Gespräch zu „Nachspielzeit“ (Arbeitstitel) & „Ausschliesslich Inländer“, 26. Juni, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Inszenierungseinblick 12. April / 4. Mai / 28. Mai, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Early Birds „Fiktion und Realität II“, 4. Mai / „Zeitgenosse: Ich sage wir IV“, 29. Juni, jeweils 9:00–11:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Alle drei AutorInnen werden im deutschsprachigen Raum vom Theaterstückverlag München verlegt.

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wo er das hernimmt? hmmm. es heisst, er wurde oft im zoo gesichtet. man sagt, er hielte dort vertraute zwiesprache mit alpaka und gorilla.

„... geniess’ ich jetzt den höchsten augenblick“ stille. dann – tosender applaus. keinen hält es auf den sitzen.

fahnen. sprechchöre. fangesänge: „... schauspiel züri allez, schauspiel züri allez, ohoho!“

fritz betritt sehr konzentriert eine bühne. das publikum hält spürbar den atem an. – schnitt –

fritz mag fussball. und mit teamgeist macht er auch theater. er ist die offensivkraft, die den ball noch von der eigenen torlinie kratzt, wenn er dir im mittelfeld verloren ging. der kopf, der auch die verzogenste flanke zum treffer verwandelt. einer, der selbst in der verlängerung die ganz, ganz weiten wege geht. der nüchtern den ersten elfer in den winkel lupft, wenn alle schon die hysterie ergriffen hat.

hier und da etwas blut am ohr oder unter dem auge. halbzeitpause.

stimme: „jetzt kriegen wir sie, wir haben noch 45 minuten, macht unmögliches wahr. spielt mit herz und verstand, dann haben wir sie. geht raus und zeigt es ihnen.“ – schnitt –

ein werbespot fürs schauspielhaus würde bei fritz etwa so aussehen.

Foto: Lieblinge

Pfauen als Hundemensch „Lumpikow“ in „Hundeherz“ zu sehen.

Tiger Brown in „Die Dreigroschenoper“. Zurzeit ist Fritz Fenne im

Bühne. Zuletzt als unzertrennliche Freunde Mackie Messer und

Fritz Fenne und Jirka Zett standen schon oft gemeinsam auf der

„ein hoch auf fritz.“

oh, seine seel’ ist weit und unergründlich wie das meer, das ruhelos an seiner heimat ufer nagt. was bleibt zu sagen. ganz im ernst.

vielleicht liegt hier ja ein geheimnis seiner ruhe, seiner kraft verborgen.

Fritz Fenne

neonlicht, weisse kacheln, holzbänke – eine umkleidekabine. verschwitzte gesichter im kreis.

von Jirka Zett

In Szene


Übrig bleiben die Stimme und die Puppe ... Im Juni 2018 wird der Georg-Kreisler-Abend des Regisseurs Nikolaus Habjan „Ausschliesslich Inländer“ am Schauspielhaus Zürich zur Premiere kommen. Im Volkstheater Wien, wo derzeit mehrere Produktionen von ihm zu sehen sind, traf die Dramaturgin Gwendolyne Melchinger den Puppenspieler und Regisseur zum Gespräch über Grenzgänge zwischen Österreich und der Schweiz sowie den richtigen Rhythmus beim Puppenspielen. Fotos: Barbara Pálffy Gwendolyne Melchinger: Was hast du für eine Beziehung zu dem Komponisten, Liedermacher und Schriftsteller Georg Kreisler? Nikolaus Habjan: Ich habe ihn mit 6 Jahren zum ersten Mal gehört. Meine Eltern hatten Georg-Kreisler-Platten auf Musikkassetten. Auf langen Autofahrten in den Urlaub haben wir ihn zum Beispiel oft gehört. Das war super. Ich wusste schon ganz genau, in welcher Reihenfolge jedes Lied kommt … 30

GM: Ihr seid beide Österreicher. Kreisler stand seinem eigenen Land kritisch gegenüber, war ein scharfer Beobachter, was gesellschaftliche Veränderungen und politische Verhältnisse in Österreich anbelangt. Wie geht es dir mit dem derzeitigen politischen Klima in Österreich? NH: Das ist schon sehr bedrohlich und erschreckend, gerade die letzten Vorkommnisse mit der FPÖ in Niederösterreich, mit dem Nazi-Liederbuch der Burschenschaft Germania. Dass die Wahl in Niederösterreich


dazu geführt hat, dass die FPÖ, die dort schon mit dem Slogan zu diesem Liederbuch geworben hatte, jetzt erst recht ordentlich dazugewonnen hat – das ist grässlich. Wenn man sich vorstellt, dass man mit so etwas Stimmen gewinnen kann. Entsetzlich.

im Monat nach Wien gefahren ist, um sich Konzerte anzuhören. Die versuchte er dann in seinem Café nachzuspielen. Ich finde, das ist eine sehr schöne Geschichte – vielleicht gibt es auch bei uns so ein Café im Grenzbereich.

GM: Du bist schon oft in der Schweiz aufgetreten und viele deiner Produktionen hatten auch Gastspiele in der Schweiz. Wie hast du denn die Schweiz erlebt? NH: Ich mag die Schweiz irrsinnig gerne. Ich hab das erste Mal 2010 im Theater Ticino gespielt und das habe ich geliebt. Mein erster Auftritt war mit „Schlag sie tot“ – auch ein Programm, in dem Kreisler-Lieder vorkamen. Ich war wahnsinnig nervös, wusste überhaupt nicht, wie das Schweizer Publikum auf Wien und den Wiener Humor reagiert. Dass man mich mit so offenen Armen empfangen würde, hätte ich mir nicht gedacht. Seitdem ist es mir bei jedem Besuch in der Schweiz so ergangen. Ich finde, dass die Schweizer dadurch, dass sie eine andere Geschichte haben als wir, einigen Dingen gegenüber ganz anders eingestellt sind. Und sie haben offensichtlich eine riesige Schwäche für den österreichischen und vor allem den wienerischen Humor.

GM: Du hast schon viele Musiktheaterproduktionen mit Puppen, Schauspielern und Sängern auf die Bühne gebracht. Etwas provokativ gefragt: Sind Sänger vielleicht Maschinen und haben Puppen eine Seele? NH: Nein, das glaube ich nicht. Ich würde nie einen Menschen als Maschine bezeichnen, weil das passiert in unserem System leider ohnehin sehr oft, egal wo. Wenn man Menschen als Material oder Maschinen bezeichnet, führt das zu lebensbedrohlicher Abnutzung. Eine Maschine könnte nie Ausdruck in etwas bringen und die Seele berühren, wie ein Sänger es kann. Bei einer Puppe kommt es darauf an, ob ihr die Spielerin oder der Spieler eine Seele gibt. Ich würde sagen: Ja, ich glaube, man muss einen Teil seiner eigenen Seele in die Puppe legen, dann bekommt die Puppe auch eine. Für mich persönlich haben sie alle eine Seele, aber ich kenne sie von Anfang an. Genauso wie man die Augen, die Nase, den Kopf baut, baut man den Charakter mit.

GM: Dein Kreisler-Projekt, das du gemeinsam mit dem Musiker Andreas Schett und seiner Band Franui eigens für das Schauspielhaus entwickelst, beschäftigt sich mit Kreislers Jahren in der Schweiz. Ihr werdet auch mit noch unveröffentlichten Texten und Liedmaterial arbeiten. Was hat es mit dem Titel „Ausschliesslich Inländer“ auf sich? NH: Das ist ein Zitat aus einem Kreisler-Lied, das für mich den stärksten Schweizbezug hat. Es heisst „Der Ausländer“ und es geht um einen entrüsteten, besorgten Schweizer Bürger, der einem vermeintlichen Ausländer auf der Spur ist. Und da gibt es diesen Satz: „Manchmal in der Nacht wach ich auf, weil ich geträumt habe oder weil ich mir vorstelle, in anderen Ländern gibt es überhaupt nur Ausländer und die Schweiz ist das einzige Land mit ausschliesslich Inländern.“ GM: An was für einem Ort, an welchem Schauplatz spielt das Stück? NH: Ich hatte mit Andreas Schett zusammen die Idee, dass es eine Grenzgeschichte sein soll. Wir haben uns gedacht, es wäre spannend, verschiedenste Situationen an einer Grenze zu erkunden oder herauszufinden, was dort so alles passieren könnte. Mein Bühnenbildner Jakob Brossmann kam dann auf die Idee einer riesigen Lagerhalle, in der Grenzstationshäuschen, die gerade nicht benötigt werden, gelagert werden – für den Fall, dass man sie wieder braucht. GM: Das heisst, die Figuren aus diesem „KreislerKosmos“ treffen sich alle an diesen Grenzen? Und dort entspinnen sich Geschichten? NH: Genau. Ich denke, es wird auf jeden Fall eine Geburt an der Grenze geben und die Frage: Wo gehört das Kind jetzt hin? – Es wird Begegnungen geben, Grenzbeamte werden vorkommen. Andreas Schett hat eine wunderschöne Geschichte erzählt: An der Grenze zu Südtirol gab es ein Café und einen alten Stammgast, der einmal

GM: Hast du dir den Charakter einer Puppe vorher ausgedacht oder entsteht er beim Bauen? NH: Sowohl als auch. Es gibt Projekte, bei denen man schon eine genaue Vorstellung hat. Wie bei „Das Missverständnis“. Dort hatte ich ganz konkrete Rollen und musste mir Gedanken darüber machen, wer wer ist – danach habe ich versucht, diese Figuren auf die Welt zu bringen. Bei unserem neuen Projekt wird es insofern besonders spannend, weil ich Puppen mitbringen werde, die noch nichts haben, die noch vollkommen leer sind – der Plan ist, die Gesichter im Laufe des Arbeitsprozesses entstehen zu lassen. Ich möchte sie in Zürich zusammen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern entwickeln und schauen, was passiert. GM: Gibt es dann für jeden Schauspieler beziehungsweise jede Schauspielerin eine eigene Puppe? NH: Das weiss ich noch nicht. Aber vielleicht ist es auch gut, die Puppen danach wieder wandern zu lassen. Ich möchte auf gar keinen Fall im Vorhinein festlegen, dass ein Schauspieler nur eine, „seine“ Puppe benutzt. Vielleicht ist es spannend, einen Charakter jemand anderem zu überantworten. Wir werden sehen – es kann alles passieren. GM: Du vermittelst Schauspielern das Handwerk des Puppenspiels. Du selbst beherrschst diese Kunst auf wunderbare Weise. Man hat den Eindruck, du hättest nie etwas anderes getan. Was braucht es im Umgang und Spiel mit den Puppen? NH: Rhythmus. Das ist das allerwichtigste. Ausserdem Musikalität, ein Gespür für Bewegung. Man muss sich selbst ganz genau erforschen. Aus welchen Abläufen bestehen Bewegungen und gewisse Aktionen? Was bedeutet es, sich zu erschrecken, was bedeutet es, zu niesen, was bedeutet es, ängstlich oder zornig zu sein 31


und wie manifestiert sich das? Das muss man aufs Genaueste reproduzieren können. Ganz analytisch. Dafür braucht man sehr grosses Vertrauen in das Mittel. Für Schauspieler, die ganz darauf trainiert sind, Fokus zu akquirieren und mit ihrem eigenen Körper und ihrer Stimme etwas umzusetzen, ist das gar nicht so einfach. Der eigene Körper fällt plötzlich weg und übrig bleiben nur die Stimme und die Puppe, die alles ausdrücken sollen. Dafür braucht man starkes Selbstvertrauen. Wenn man das nicht hat, wird die Puppe nie gut sein. GM: Wie übst du das mit den Schauspielern? NH: Bei meinen Projekten hat es sich am besten bewährt, die Schauspieler ins kalte Wasser zu werfen und von Anfang an mit der Puppe und dem Text konkret zu arbeiten. Die Basics werden vorbereitet, damit so viel Zeit wie möglich zum Entwickeln bleibt. Man muss herausfinden, wie weit eine Puppe nach links und rechts, oben und unten schauen kann, wie schräg der Hals werden kann, wie die Bewegungsabläufe funktionieren. Man versucht, zackige und unbeholfene Bewegungen zu eliminieren, flüssig zu bleiben, auch wenn es hektisch wird. Die Bewegungen müssen immer geschmeidig und realistisch aussehen. Dafür ist das Timing ganz entscheidend. Puppen haben ein anderes Timing als Menschen, sind in vielerlei Hinsicht langsamer, aber auch viel gründlicher. GM: Gibt es auch einen Unterschied zwischen der sprechenden und der singenden Puppe? NH: Puppen können noch besser singen, als sie sprechen können. Mit einer Puppe singen ist bestimmt nicht schwerer als sprechen. GM: Warum? NH: Musik hilft bei der Arbeit mit Puppen sehr, weil sie einen Rhythmus vorgibt. Dadurch bildet sich sofort ein Bewegungskorsett, das einen stützt – wenn man spricht, muss man sich den Rhythmus alleine erarbeiten. Deshalb ist es mit Musik und Reimen viel einfacher – wenn man den Dreh einmal raus hat. 32

Nikolaus Habjan wurde 1987 in Graz geboren. Er studierte Musiktheaterregie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Mit 15 Jahren sammelte er erste Erfahrungen mit dem Puppentheater und perfektionierte seine Puppenspieltechnik durch Neville Tranter. Ab 2008 war er als Regieassistent und Abendspielleiter am Schubert Theater Wien engagiert, wo er seine erste Puppentheater-Produktion „Schlag sie tot“ produzierte. Arbeiten führten ihn vor allem an das Schauspielhaus Graz, das Volkstheater in Wien, das Burgtheater sowie das Akademietheater Wien. Habjan erhielt unter anderem den Nestroy-Preis in der Kategorie Beste Off-Produktion für „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“, den Nestroy-Publikumspreis sowie den Outstanding-Artist-Award des Bundeskanzleramtes Österreich. 2017 war „Das Missverständnis“ von Albert Camus in Habjans Regie im Pfauen als Gastspiel zu sehen.

Ausschliesslich Inländer Ein Georg-Kreisler-Abend von Nikolaus Habjan / Regie Nikolaus Habjan Uraufführung Mit Benito Bause, Nikolaus Habjan, Claudius Körber, Miriam Maertens, Michael Neuenschwander, Elisa Plüss Premiere 2. Juni, Schiffbau/Box Kooperation mit den Festspielen Zürich

Inszenierungseinblick 22. Mai, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theater im Gespräch zu „Ausschliesslich Inländer“ & „Nachspielzeit“ (Arbeitstitel), 26. Juni, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer


Die Dialektik von Herr und Migrant Gedanken nach einem Gespräch mit Robert Menasse von Stefan Zweifel Robert Menasse hat die Rückentwicklung des menschlichen Bewusstseins seit Hegel in die „sinnliche Gewissheit“ im gleichnamigen Roman beschrieben. Nach einem Gespräch mit ihm in der Reihe „Zürcher Gespräche“, lockte es mich, dieses Denkexperiment auf seinen preisgekrönten Bestseller „Die Hauptstadt“ anzuwenden: Im Zuge der Zeit wiederholt sich die Geschichte bekanntlich als Posse: So führen sich europaweit die kleinen Herren als Knechte der EU auf, um sich die wahren Knechte vom Leib zu halten: Die Migranten. Denn aus der Erfahrung der Geschichte wissen sie, dass die Wahrheit des Selbstbewusstseins auf der Seite des Knechts liegt. Dieser Dialektik versuchen sie zu entkommen, indem sie den Kontakt zwischen dem nationalen Herrn und dem migrantischen Knecht durch Grenzen und Zäune unterbinden. Doch wo die Gefahr wächst, wächst auch das Rettende. Falls sich die EU-Beamten zu Knechten der Migranten machen, um ein höheres – ein transnationales – Bewusstsein zu bilden. Nach dem Ende der Geschichte In blindem Unverständnis für die Dynamik von Hegels Dialektik verkündete Francis Fukuyama 1989 nach dem Mauerfall das „Ende der Geschichte“. Nach dem Wegfall des real existierenden Sozialismus schickte sich die Hegemonie des Neoliberalismus an, in ewiger Wiederkunft über eine homogene Welt zu kreisen, in der nur noch technologische Revolutionen möglich schienen. Doch die List der dialektischen Vernunft setzte an die Stelle des untergegangenen Antagonisten des Kommunismus den Terror des Islamismus. Die Bilder der Anschläge bilden seit 9/11 den spektakulären Schein, in dessen Namen nun querweltein nationale Grenzen geschlossen werden. Damit wiederholt sich die Geschichte des menschlichen Bewusstseins, nicht als Posse, sondern – als Tragödie. In der sinnlichen Gewissheit kam das Ich laut Hegel zu sich, indem es „dieser Baum“ sagte, sich umwandte und nun „dieses Haus“ erblickte. Zwischen diesen beiden „dieser“ vermittelt das Ich. Zurück bleiben ein leeres abstraktes „dieses“ und ein Ich. Das Ich schreibt in der Nacht „Jetzt“ auf einen Zettel und liest am Tag danach ein ganz anderes „Jetzt“. In der Begierde, die Leere seines Ichs zu füllen, geht es zunächst auf die Gegenstände zu, um sie sich anzuverwandeln und zu verschlingen. Doch erst indem es auf die Begierde eines anderen Ichs trifft, entfaltet sich das noch animalische Bewusstsein zum Selbstbewusstsein.

Jenes Ich, das im Kampf gegen das andere den Tod wagt, wird zum Herrn. Jenes, das ausweicht, zum Knecht. Der Herr schaltet den Knecht zwischen sich und die Welt der Dinge, die ihm der Knecht zubereiten und seinem reinen Genuss zuführen muss. In dieser knechtischen Arbeit bildet sich der Knecht und entwickelt ein höheres Bewusstsein. Die historische Wahrheit liegt, so Hegel, auf der Seite des Knechts. Und davon leitete Marx die Diktatur des Proletariats ab. Das transnationale Bewusstsein Doch der heutige Herr hat aus der Dialektik der Geschichte gelernt. Er weicht dem Tod aus, dem sich nur noch der Knecht ausgesetzt sieht, und lässt sich auf keine Dialektik mehr ein. Er schliesst den Raum zwischen dem Ich des nationalen Herrn und dem Ich des transnationalen Migranten durch Grenzen und Zäune. Schliesslich braucht er zum reinen Genuss des Konsums keinen Knecht mehr, der ihm die Dinge zum Genuss zurüstet. Und er hütet sich, dem Migranten eine Arbeit zu geben, die bildet, denn dadurch könnte sich Hegels These vom Triumph des Knechtes doch noch bewahrheiten. Die kleinen nationalen Herren verkleiden sich im Gewand des Populismus als Knechte, die von den Herren der EU gegängelt werden. Sie tun so, als seien sie das Opfer. Die EU müsste nun ein neues Bewusstsein ausbilden. Seine Beamten müssten sich zu den Knechten der Migranten machen und ihrem Wohl zudienen. In dieser Arbeit könnte sich ein neues Bewusstsein herausbilden: Das transnationale Bewusstsein. Europa ist laut Nietzsche die einzig mögliche Heimat für Artisten und Philosophen. „Europa will eins werden“, doch die nationalstaatliche „Demokratisierung Europas ist zugleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen“, solange der „wüthende Sturm und Drang des National-Gefühls“ herrscht; der „werdende Europäer“ aber ist „die langsame Heraufkunft einer wesentlich übernationalen und nomadischen Art Mensch“, der überall zu Hause ist, nämlich bei sich.

Stefan Zweifel ist als Gastgeber der „Zürcher Gespräche“ neben Lukas Bärfuss und Miriam Meckel weiterhin regelmässig mit unterschiedlichen Gästen am Schauspielhaus im Dialog zu erleben. Sein erster Gast war der österreichische Schriftsteller und leidenschaftliche Europa-Fan Robert Menasse. Am 16. Januar sprach er mit dem Regisseur Peter Stein, der mit seinen Inszenierungen 1969/70 in Zürich und später in Berlin Theatergeschichte geschrieben hat. Am 4. April spricht Corine Mauch bei den Zürcher Gesprächen mit Lukas Bärfuss. Siri Hustvedt ist am 3. Juni zu Gast bei Miriam Meckel.

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Timothée Chalamet James Ivory «Mystery Of Love»

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JETZT IM KINO

UND

AB 24. APRIL IM KINO

UND


Mehr als Zuschauen Eine Auswahl von Angeboten zum Mitmachen, die den Spielplan begleiten. Weitere stehen unter den beschriebenen Inszenierungen und sind gekennzeichnet durch . Gesamtübersicht unter schauspielhaus.ch/mehralszuschauen Kontakt und Anmeldung: mehralszuschauen@schauspielhaus.ch

Für Kinder und Familien

Mehr als Ferien: Kinderkulturakademie

Für Erwachsene

„Kunst, Realität und Fiktion – virtuelle und reale Welten“

doghearts, Spielclub Generationen 13+ und 60+ zu „Hundeherz“

für Kinder von 10 bis 13 Jahren, 30. April – 5. Mai (ohne 1. Mai),

27. April, 19:00 / 28. April, 15:00 und 19:00, Freibad Letzigraben, Zürich,

Anmeldung unter kkaz.ch

Abschlusspräsentation, Eintritt frei

In Zusammenarbeit mit Museum Haus Konstruktiv und Museum Rietberg

Unterstützt von der Stiftung Symphasis

Für Jugendliche und junge Erwachsene

Theater & Schule

Theaterlabor

Informationen in der Broschüre „Theater & Schule“ und unter junges.schauspielhaus.ch/tusch, Kontakt Antonia Andreae, Tel. +41 44 258 75 18, antonia.andreae@schauspielhaus.ch

Fotografie, Spiel und Bühnenraum, 9. Juni, 13:00–17:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer

Mehr als Zuschauen wird unterstützt von der Max Kohler Stiftung, der Ernst Göhner Stiftung, der Avina Stiftung, der Stiftung Symphasis sowie von den Paten des Jungen Schauspielhauses.

STUDIERENDENTAGE AM SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH

Programm, Infos und Anmeldung unter schauspielhaus.ch/theatercampus

☞ Gültig vom 19. bis 28. April ✌

* Im Vorverkauf an der Theaterkasse nach Verfügbarkeit; ausgenommen sind Theatermontag, Gastspiele, Extras und Konzerte.

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Sammeln

 

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https://schauspielhaus.ch/mehralszuschauen W How to start a conv …

YouTheater ZH

Smartphone Beamer 2.0

Winterreise

, Schaus …

Tutorial: Rampensau mit Lampenfieber

40:50:01/81:20:02

BERT*A – Kommunikation zum Anfassen Am 04.10.2017 gestartet Bert*a ist der interkulturelle Spielclub des Schauspielhauses. Wöchentlich treffen sich die Mitglieder – die Bert*as – zum Proben, bringen Ideen und Geschichten ein, recherchieren und transformieren alles, was sie zu Kommunikation interessiert, schauen Theater und erarbeiten aus dem gefundenen Material einen eigenen Theaterabend. Mehr als Zuschauen Teilnehmende 11+3

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… Komm!

6 Kommentare Tragische Heldin vor 2 Stunden Gsed mer eu au mal? Bert*a vor 1 Stunde Juni 18 im Schauspielhuus – Chunnsch? Publikumsliebling vor 1 Tag Kann ich ein*e Bert*a werden? Bert*a vor 8 Stunden im Oktober wieder – sorry …

8 Muttersprachen


Bert*a

G

Wiki: Kommunika ...

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Jodeln für Anfänger – Horst ...

Brecht-Zürich ...

Stimme-Körper-Raum?

Nächster Star: „Dä letscht drufgänger“ oder „O ultimo valente“ Arthur Henrique Sobrino 24 Jahre UNGLAUBLICH: alte frau will züge reinigen! #weird #mustsee Joel Dimitri Franz 27 Jahre Khalil Hamidi 24 Jahre Miis erschte video uf mim brüeder sim kanal! Liam Wietlisbach 19 Jahre Lubna Abou Kheir 26 Jahre

Foto: Philip Frowein

Mohammad Dalaee 40 Jahre kona ya watoto Peruth Ssuubi 25 Jahre ÇA ROULE POUR FRAU GRÜT! Marie Ludmann 27 Jahre​

Rasha Aktaa 33 Jahre Robertor Aagebot – Mit dem het niemert grechnet Philipp Good 21 Jahre Egy magyar lány jelentkezése a svájci hadseregbe Rèka Kòkai 25 Jahre


Ins Theater mit

Kafi Freitag Foto: Andrea Monica Hug

Wir haben die Bloggerin Kafi Freitag zur Premiere von „Zur schönen Aussicht“ eingeladen. Sie gibt Workshops und Coachings für Frauen und Firmen und moderiert dieses Jahr die Talk-Reihe im Zürcher Modehaus modissa.

Von woher kamen Sie zu der Vorstellung ins Schauspielhaus? Wie war der Eindruck, den der Schiffbau auf Sie gemacht hat? Vom Kreis 4 direkt in den Kreis 5, zu Fuss durch den Regen. Mir gefällt dieser Teil der Stadt, endlich bitz urban! Und der Schiffbau ist sowieso eine grossartige Location. Ich bin gern im Foyer, dieser grosszügige Raum ist für mich sehr einladend. Die Gedanken und Sehnsüchte haben hier genügend Platz nach oben. Was hatten Sie an? Sind Sie aufgefallen? Ich trug Jeans und Sommersprossen in Metallfarben. Mein knapp 14 Jahre alter Sohn wollte mich zwar so nicht gehen lassen, er sagte, er müsse sich zürichweit schämen, wenn ich damit das Haus verlasse, ich habe mich dann aber durchgesetzt. Aufgefallen? Ja eh, aber dazu braucht es in Zürichs „Grau in Grau“ nicht allzu viel, gell. 38

Hatten Sie während des Zusehens den Gedanken, dass es besser gewesen wäre, wenn Sie sich vor Ihrem Besuch noch einmal genauer über den Text und den Autor informiert hätten? Hahaha! Ja, das denke ich mir immer. Wüki immer. Aber ich schaffe es nie. Wüki nie. Und darum ärgere ich mich nicht mehr so sehr. Bei diesem Stück wusste ich, wer es geschrieben hat und in welcher Zeit. Das war hilfreich für den Kontext. Aber ich finde, ein Stück muss auch ohne diese Infos in sich stimmig sein, sonst hat es versagt. In welcher Stimmung waren Sie in dem Moment, als im Zuschauerraum das Licht ausging? Dieser Moment hat immer etwas Magisches. Man ist ja irgendwie ausgeliefert, es kann alles passieren. Ich mag diesen Zustand sehr. Neugierde ist ein grosses Geschenk, ich brauche sie zum Leben. Sie hält mich jung.

Haben Sie während der Vorstellung gelacht und wenn ja, worüber? Nicht oft, leider. Ich bin jemand, der sehr ungeniert lacht, und der Herr neben mir ist auch bei meinen wenigen Lachern elegant zusammengezuckt. Das Stück hat ein paar sehr tiefgründig böse Stellen, über die man sehr wohl lachen könnte. An denen habe ich gelacht, aber oft allein. Es scheint, als sei lachen der politischen Korrektheit angegliedert, wie eine Stabstelle der Finanzabteilung. Hat Sie etwas an der Vorstellung berührt? Berührt hat mich die Tatsache, dass Menschen so viel wert sind, wie die Steuerbescheinigung anzeigt. Unsere Welt steuert ja klar in diese Richtung, das ist nichts Neues. Wenn man es so knallhart präsentiert bekommt, tut es aber trotzdem weh. Dass wir Frauen dann zuweilen dennoch der Liebe wegen kleben bleiben, macht es auch nicht besser.


In welchem Moment haben Sie zum ersten Mal auf die Uhr geschaut? Ich habe vor der Vorstellung 5 mg Ritalin eingenommen, sonst hätte ich alle 8 Minuten auf die Uhr geschaut. Das ist mein normaler Zyklus, wenn ich mit meinem ADHS eine Vorstellung anschaue. So war es nach 55 Minuten. Das Stück hat Längen, was ich als stilistisches Mittel eigentlich spannend finde. Aber sie müssen bewusst gesetzt sein und das waren sie mir hier zu wenig. Finden Sie, dass die Aufführung etwas mit Ihnen zu tun hat? Vieles, was ich beruflich tue, dreht sich um Frauen. Ich gebe unter dem Label „Tribute.ch“ Seminare speziell für Frauen und ich darf in diesem Jahr 5 Abende in der modissa moderieren, die unter dem Titel „Macherinnen“ stehen. Mich interessieren weibliche Themen sehr. Ich merke, dass wir uns oft selber im Weg stehen und das war hier im Stück auch Thema. Dieses „ums Verrecken geliebt werden Wollen“, kann sehr ungesunde Dimensionen annehmen. Und Frauen gehen dafür oft noch ein Stück weiter, als es ein Mann es tun würde. Hätten Sie Lust, das Bühnenbild zu betreten? Würden Sie sich einen bestimmten Platz darin wählen? Das Bühnenbild hat mich total in den Bann gezogen. Ich mag Grandhotels sehr gern und liebe es, wenn ein Hotel eine schöne Lobbybar hat. Man kann sich mitten in Zürich in eine solche setzen und sich vorstellen, man wäre auf einer Weltreise. Ganz allein! Insofern hätte ich mich gern ins Bühnenbild gesetzt, klar. Auch wenn das Hotel bereits ramponiert ist, die guten Zeiten hat man ja hinter den abgetragenen Stellen noch deutlich erkannt. Wie ein abgehalfterter Hollywoodstar, der sich in grosser Verzweiflung Botox spritzen lässt und damit keinen Tag jünger aussieht. Herrlich! Mein Platz wäre oben rechts am Ende der Treppe gewesen. Das Sofa hätte mich zwar mehr gelockt, aber der Fernseher hätte mich abgelenkt ...

Wie zufrieden waren Sie mit dem Publikum? Haben Sie sich geärgert oder gefreut? Die Frage ist schon lustig! „zufrieden mit dem Publikum ...“ – Ja muss ich das denn sein? Muss ich mit einem Kind zufrieden sein? Ich fände beides anmassend. Aber für mich ist es in der Schweiz immer bitz streng. Ich klatsche zu laut, ich lache zu laut und wenn mir was gefallen hat, würde ich am Ende gern aufjucken. Haben Sie sich nach der Vorstellung über das Stück unterhalten? Oder haben Sie auf dem Heimweg noch über etwas nachgedacht, das mit der Aufführung zu tun hatte? Dieses „hochgestochen über ein Stück Parlieren“ nach der Vorstellung ist mir zutiefst zuwider. Das erinnert mich an den Fetisch von Weinkennern, die sich daran aufgeilen, wer das ausgefeiltere Vokabular hat, um einen Wein zu beschreiben. Mich interessiert nur eines: hat mich ein Stück berührt oder nicht. Was ich aber immer habe, wenn ich im Theater war: eine grosse Hochachtung gegenüber den Schauspielern. Ich bewundere sehr, wie man sich monatelang in ein Stück verbeissen und sich dann Abend für Abend auf eine Bühne und dem Publikum stellen kann. Dazu gehört auch ein Stück Masochismus. Grossartig.

Welches Stück würden Sie gerne das nächste Mal am Schauspielhaus sehen? Ich mag ja Trash-TV sehr. All die grauenhaften Formate, aber am liebsten natürlich den „Bachelor“. Es geht dabei um die gleichen Mechanismen wie im Stück: man bietet sein Fleisch dar in der Hoffnung, geliebt zu werden. Wenn man diesen trashigen Stoff, hinter dem sich so viele menschliche Sehnsüchte verbergen, sorgfältig aufbereitet auf die Bühne bringen würde – ich würde in der ersten Reihe sitzen und aufjucken!

Zur schönen Aussicht Eine Komödie von Ödön von Horváth Regie Barbara Frey Mit Carolin Conrad, Hans Kremer, Michael Maertens, Nicolas Rosat, Markus Scheumann, Edmund Telgenkämper, Friederike Wagner 19./23./28. April, Schiffbau/Halle Unterstützt von Swiss Re

Theater im Gespräch zu „Zur schönen Aussicht“ & „Am Königsweg“ 27. März, 19:00–20:30 Treffpunkt Schiffbau/Foyer

Edmund Telgenkämper, Hans Kremer, Michael Maertens, Nicolas Rosat, Markus Scheumann, Carolin Conrad (liegend). Foto: Matthias Horn

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Foto: Jonas Jäggy / Stiftung Mercator Schweiz

Kleidertausch – Do it yourself!

„Sweatshop – Deadly Fashion“ (Regie Sebastian Nübling, Text Güzin Kar) basiert auf der gleichnamigen Web-Dokumentarserie und zeigt uns die Welt vor und hinter dem schillernden Catwalk. Wir folgen drei jugendlichen ModebloggerInnen auf einem Trip ins Herz der Finsternis der globalisierten Modeindustrie. Die Produktion entsteht in Zusammenarbeit mit dem Jungen Theater Basel. Vor der Premiere findet im Pfauen eine Kleidertauschbörse statt mit dem Verein Walk-in Closet. Nora Keller verrät uns, wie man selbst einen Kleidertausch organisiert. Eine Kleidertauschbörse im kleinen Rahmen zu organisieren, ist ganz einfach. Alles, was du dazu brauchst, ist folgendes: - Ein paar Kleidungsstücke, die zwar schön sind, die du aber nicht mehr trägst, weil sie dir verleidet sind oder nicht mehr passen - Ein paar gute Freundinnen oder Freunde, die ebenfalls Kleider mitbringen - Eine passende Umgebung mit genügend Platz, z. B. dein Wohnzimmer oder die Küche - Gemütliche Musik - Ein paar feine Getränke und Snacks - Evtl. einen Kleiderständer mit Bügeln, an welchem du die mitgebrachten Kleider schön präsentieren kannst Am besten verschickst du im Voraus eine kleine Einladung mit den Regeln, die du selbst bestimmen kannst (z. B. max. 5 Kleidungsstücke, nur Schuhe oder keine Unterwäsche). Sonntage eignen sich für gemütliches Kleidertauschen am besten. 40

Walk-in Closet Schweiz Kontakt: info@walkincloset.ch Infos: walkincloset.ch


Tipps von „Walk-in Closet“Vereinsmitgliedern Fabienne Plattner

(Koordinationsstelle ab 2018) „Zum Online-Einkauf nutze ich oft den Shop für grüne und faire Mode: avocadostore.de – Für Secondhand-Mode besuche ich den Flohmarkt in der Markthalle Basel (jeweils 2x im Monat am Samstag) und am Petersplatz (immer samstags). Ein super Tipp ist ebenfalls der Fair Fashion Shop Changemaker an der Marktgasse 6 in Basel.“

Nora Keller

(Vorstandsmitglied und freiwillige Organisatorin in Baden) „Auf getchanged.net findest du eine Sammlung von Fairfashion-Brands und Secondhandshops. Mein Lieblings-Fairfashion-Onlineshop ist rrrevolve.ch – dort gibt es viele schöne Kleider, aber auch andere nachhaltig produzierte Sachen für den Alltag. Falls du mal ein Kleidungsstück für einen speziellen Abend suchst, lohnt sich ein Besuch bei Kleihd – der ersten Modeleihboutique in Zürich.“

Anja Maier

(freiwillige Organisatorin in Wohlen und Webmasterin) „Mein Tipp ist, nicht alles gleich fortzuwerfen, sondern die Kleider auch anders zu brauchen, z. B. für die Fasnacht aufbewahren. Kleider können auch ganz einfach aufgepimpt oder umgenäht werden. So kürze ich einer Kollegin den Rock und brauche den Rest als Hosenträger.“

Caroline Rey

(freiwillige Organisatorin in Luzern) „Ich recycle alte Hoodies zu wiederverwendbaren Waschlappen und Abschminkpads. Umgenäht mit einem schönen Faden sind die Stücke tolle Eyecatcher im Badezimmer und ein tolles (selbstgemachtes, zero-waste) Mitbringsel.“

Sweatshop – Deadly Fashion von Güzin Kar / Regie Sebastian Nübling Uraufführung Mit Lee-Ann Aerni, Julia Kreusch, Ann Mayer, Matthias Neukirch, Robin Nidecker, Markus Scheumann, Lukas Sträuble Premiere 5. Mai, Pfauen Koproduktion mit dem jungen theater basel und der Kaserne Basel

Verein gesucht! Termine ab April nach Absprache

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Theater Campus Festival: - Probenbesuch für Studierende 19. April, 11:00–12:30, Treffpunkt Pfauen/Foyer - Workshop „Upcycling-Crashkurs – Nachhaltig nähen“ 21. April, 14:30–17:00, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Festivalprogramm unter schauspielhaus.ch/theatercampus Inszenierungseinblick 19. April, 19:00–20:30, Treffpunkt Schiffbau/Foyer Theaterlabor Vorstellungsbesuch, 14. Mai, 19:30, Treffpunkt Pfauen/Foyer Early Birds „Mode I & Verantwortung“, 18. Mai, 9:00–11:00, Treffpunkt Pfauen/Foyer Backstage-Pass für Menschen, die sich für nachhaltigen Konsum engagieren, Termin im Monatsspielplan Mai Backstage-Pass für politisch aktive Jugendliche, Schul- und KlassensprecherInnen, Termin im Monatsspielplan Juni

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Schicht mit

Michel Jenny

von Sandra Suter Fotos: Philip Frowein

Michel Jenny gehÜrt dem Berufsstand der Innendekorateure an. Warum dieses alte Handwerk immer seltener wird und weshalb Michel noch viele andere Sachen macht, ausser Sessel zu polstern, erfahre ich bei meinem Besuch in den Schiffbau-Werkstätten am Schauspielhaus.

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8:00

Wir treffen uns in der Werkstatt. Ein grosser länglicher Raum, an den Wänden Bilder, Zeichnungen, Stofffetzen, Requisiten – in der Mitte eine Exekutionsliege, die im Stück „Am Königsweg“ zur Verwendung kommt. Ganz hinten steht ein Sofa aus der Inszenierung „Antigone“, nun Teil einer gemütlichen Sitzecke. Auf der anderen Seite liegen verschiedene Bühnenbildelemente bereit, um von Michel und seinem Team bearbeitet zu werden. Eine schmale Treppe führt in den unteren Raum, wo Mitarbeiterin Bettina einen gerade gelieferten Stoff für die Produktion „Am Königsweg“ zum Trocknen aufhängt. Die Auszubildende Franziska und die Mitarbeiter Mario und Chrigel sind auch eingetroffen. Es wird Kaffee gemacht und besprochen, was diese Woche zu tun ist. Seit 10 Jahren leitet Michel die Abteilung und schwärmt von seinem Team: Alle seien enorm flexibel und jederzeit in der Lage, gegenseitig die Arbeiten zu übernehmen. Obwohl es Vorlieben gäbe, könne jeder alles. Dabei hat jeder seinen eigenen Stil: „Alle polstern, aber alle anders“, sagt Michel, „am Schluss sieht es gleich aus.“

8:35

Michel sieht sich den von Bettina vorbereiteten Stoff genauer an. Um die Feuerfestigkeit zu testen, werden alle Materialien immer von der Tapeziererei angezündet. In diesem Fall musste Michel den Stoff an die Färberei zurückschicken, um ihn mit feuerfester Farbe „ausrüsten“ zu lassen. Da die untersten Stoffbahnen noch nass waren, muss der Stoff jetzt erst trocknen, bevor er weiterverarbeitet werden kann.

9:20

Nach der Kaffeepause kommt die Bühnenbildassistentin Sandra Antille von „Weltzustand Davos (Staat 4)“ zur Tür herein. Die Assistenten sind eine wichtige Schnittstelle zwischen der Produktion und der Tapeziererei. Michel fragt, wie es bei den Proben lief und ob sich schon Erkenntnisse für das Bühnenbild abzeichnen. Möglichst viel über die Produktion zu wissen, stellt eine emotionale Nähe zum Projekt her und hilft dem Team, bei sehr kurzfristigen Aufträgen entspannt zu bleiben. Für Michel ist Transparenz einer der Grundsätze in der Arbeit – zwischen den Abteilungen, aber auch zwischen ihm und seinem Team. Sandra vermeldet ein Problem beim Leinwandstoff für „Weltzustand Davos“. Michel will sich das anschauen.

9:37

In der Box steht ein kleines Stadion mit einer 360-Grad-Leinwand um die Zuschauerränge herum. Es handelt sich um das Bühnenbild für das Stück „Weltzustand Davos“, das in drei Tagen Premiere hat. Mit der Herstellung dieser Leinwand war die Tapeziererei betraut. Dort, wo die beiden Stoffbahnen überlappen, entsteht durch die doppelte Schicht Stoff eine Irritation in der Videoprojektion. Michel meint, man könne den doppelten Stoff nach hinten wegleiten oder abschneiden, anstatt ihn überlappen zu lassen. Die Arbeit der Tapezierer ist sehr vielseitig – ihre Kernaufgabe ist das Polstern, doch sie sind auch für Bodenbeläge, Vorhänge oder sonstige Stoffbezüge zuständig. Michel erklärt mir, dass die offizielle Ausbildung jene des Innendekorateurs sei. Polstern ist ein sehr traditioneller Beruf – ein altes Handwerk, das im Gegensatz zum modernen Polstern steht, bei dem mehrheitlich mit Schaumstoff gearbeitet wird. Weil der Beruf immer seltener wird, gibt es nicht viele Lehrplätze. Auch für Michel war es nicht so einfach, gute Leute zu finden. Somit tun er und sein Team mit dem Ausbilden einer eigenen Arbeitskraft nicht nur etwas für das Haus, sondern auch etwas für ihren Berufsstand.

10:42

Nun beginnt Michel mit den Zuschnittplänen der Stoffe für Möbel und Seitenwände der Produktion „Am Königsweg“. Die Premiere ist in einem Monat. Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hatte die Idee, jedes einzelne Bühnenelement zu polstern, so dass eine comicartige Optik entsteht. Wie auch der Malsaal, die Schlosserei und die Schreinerei sind die Tapezierer in die Anfertigung der meisten Bauteile involviert – meist als Letzte in der Abfolge. „Wir sind die Pingeligsten“, meint Michel, „weil wir ‚oberflächenlastig‘ sind und die Materialien so lange anpassen müssen, bis der Künstler zufrieden ist.“

13:10

Nach dem Mittagessen wird bei der Werkstattbesprechung die Arbeit zwischen den Abteilungen koordiniert und die Herstellung der verschiedenen Bühnenbilder geplant. In der Produktionsübersicht lässt sich nachlesen, dass diese Woche die Möbelteile und Seitenwände für „Am Königsweg“ in der Tapeziererei sind. Bei den Schreinern ist die klapp-

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bare Frontwand für dieselbe Produktion dran, nächste Woche werden diese in die Montagehalle weitergegeben und danach sind sie in der Tapeziererwerkstatt zur Verkleidung; schliesslich kommen sie in den Malsaal. Der Plan wird permanent besprochen und von den Werkstätten sehr präzise eingehalten. Eine Verspätung in einer Abteilung hätte für den gesamten Ablauf verheerende Folgen. Paul Lehner, Produktions- und Werkstättenleiter, eröffnet und führt die wöchentliche Sitzung der Abteilungsleiter und KonstrukteurInnen. Thomas Unseld, der Leiter des Malsaals, erinnert die Gruppe daran, dass die Tapezierung der hinteren Zimmerwände nicht bis zur Technischen Einrichtung von „Zur schönen Aussicht“ fertig sein wird. Die Technische Einrichtung ist der letzte grosse Fixpunkt im Arbeitsablauf einer Produktion. Danach beginnen die Endproben eines Stücks im Originalbühnenbild. Auch ganz unkünstlerische Dinge wie die Umplatzierung von Fluchtwegleuchten werden hier besprochen. Nun erklärt der Konstrukteur den Anwesenden Details zu den „Richtermöbeln“. Es handelt sich wiederum um Teile des Bühnenbilds von „Am Königsweg“: Ein grosser und ein kleiner Tisch, ein Richtertisch sowie eine Rückwand mit LED-Beleuchtung. Die Teile müssen zusammengebaut, dann wieder auseinandergenommen, von den Malern bemalt, von den Tapezierern bezogen und schliesslich wieder zusammengesetzt werden.

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14:50

Nach der Sitzung möchte Moritz Müller, der Bühnenbildner der Produktion „Mass für Mass“, die Bemusterung des silbernen Vorhangs für das Bühnenbild besprechen. Es geht darum, sich für eine der zehn von Michel vorgeschlagenen Mustervarianten zu entscheiden. Damit das Material den gewünschten Glanz aufweist, wäre eine Folie besser geeignet als ein Stoff. Die Konsequenz ist aber, dass diese nicht so schön fällt, wie ein Textil.

15:05

Was steht heute noch an? Michel schreibt in sein Notizbuch: „MacGuffin – Vorhang, Bodentuch und Plafond für die Vitrine.“ Er nimmt den technischen Plan und überprüft die Fläche des Plafonds. Dieser soll mit Stoff umspannt werden, ohne durchzuhängen. Ich frage ihn, ob man das an der Decke in der Vitrine überhaupt sieht – Er meint aber kategorisch, diese Frage stelle er sich nicht, denn das sei für ihn Berufsethos. „Es ist in den meisten Fällen nicht aufwändiger, etwas perfekt zu lösen, als es ‚hinzuschludern‘“, sagt er mit Überzeugung.

16:25

Bevor Michel Feierabend hat, möchte ich noch etwas über ihn selbst erfahren. Er erzählt, dass er vor seiner Anstellung am Schauspielhaus als Innendekorateur gearbeitet hat, dort aber nicht sehr glücklich mit dem Ideenreichtum der Kunden war. „Die Arbeit hier ist viel kreativer – die Bühnenbildner haben die verrückteren Ideen“, strahlt er. „Immer kommt wieder etwas Neues, etwas Anderes.“ Ich möchte wissen, welche Art Theater ihm gefällt. „Ich schaue mir praktisch alles an, was hier gespielt wird. Für mich dürfte es manchmal etwas provokanter sein. Ich mag die Kontroverse. Ich mag es, wenn mich ein Stück eine Woche später noch beschäftigt.“


Abraham Cruzvillegas Kunsthaus Zürich

16.2.–25.3.18 Autorreconstrucción: Social Tissue → cruzvillegas.kunsthaus.ch

Abraham Cruzvillegas, Autoconcanción VI, 2016, Private Collection, Los Angeles

16.2.–25.3.18 Autorreconstrucción: Social Tissue → cruzvillegas.kunsthaus.ch

Kunsthaus Zürich Abraham Cruzvillegas

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RCHIV Foto: KEYSTONE / PHOTOPRESS-A

Demokratischer Frühling

1968 – 2018 Zürich, im April 1968: Demonstranten verbrennen am Limmatufer eine Vietcong-Puppe mit Napalm und marschieren danach zum europäischen Sitz der Dow Chemical Company, dem Hauptproduzenten von Napalm, wo sie die symbolische Leiche niederlegen. Einige Monate später erreichte die lokale 68er-Bewegung in den Strassenschlachten um das Globusprovisorium auf der Bahnhofbrücke ihren Höhepunkt. Der Rest ist Schweizer Demokratiegeschichte. Fünfzig Jahre später stösst sich die Generation ’18 die Köpfe an der Demokratie ein. Das Gespenst der Postdemokratie beherrscht Zürich und die Welt: Der Einfluss der Wirtschaft auf politische Prozesse, die Wandlung des Citoyens zum Homo digita-

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von Andreas Karlaganis

lis, der globale Handel, welcher die Grenzen von Staaten im Alltag zunehmend auflöst, Staatsgewalten und öffentliche Dienste, die in Frage gestellt werden, politische Sachverhalte, welche die Kompetenzen von Parlamentariern und Stimmbürgern überfordern … Führt all dies dazu, dass die Gestaltung der Welt heute Eliten, Lobbyisten und anderen Global Players überlassen wird, wie es Colin Crouch schon 2004 in seinem Essay über die „Postdemokratie“ polemisch postulierte? Anlass genug für eine theatrale Bestandesaufnahme im Jubiläumsjahr der 68er. Die Aufführungen und Lesungen, Diskussionen und Konzerte, die Sie im Frühling ’18 im Schauspielhaus sehen werden, sind im weitesten Sinne


Diagnosen der Demokratie in Zeiten der Konfusion. Sie spüren die Utopien, Phantasmen und Alpträume unserer Zivilisation auf, befragen die gesellschaftliche Gegenwart mit Dramen und Mythen aus der Vergangenheit, erzählen Geschichten in politischen Kontexten, reflektieren Kräfte gemeinschaftlichen Zusammenlebens mit den Mitteln der Bühne und mischen sich ein in die Debatten um anstehende politische Entscheidungen. Elfriede Jelinek fragt in ihrem neusten Theaterstück „Am Königsweg“, wie jemand wie Donald Trump an die Macht kommen konnte, und findet Antworten in der neoliberalen Zeitenwende und im Versiegen der Worte von Dichtern und Denkern. Zeit seines Lebens beschäftigte sich Max Frisch mit Zukunftsvisionen der Agora – als Dichter, Architekt und kritischer Bürger der Stadt. Auf einer Tour an Schauplätze seines Schaffens widmen wir uns seinem Werk jenseits der grossen Romane und Dramen. Zwei politische Komödien der Weltliteratur machen die zerstörerischen Kräfte erlebbar, die das dünne Eis der Zivilisation zum Einsturz bringen können: Horváths „Zur schönen Aussicht“ entstand während der fragilen demokratischen Ära der Weimarer Republik und handelt in Barbara Freys Inszenierung vom radikalen Verlust von Mitgefühl und politischer Vision. In William Shakespeares „Mass für Mass“ (in der Inszenierung von Jan Bosse) beherrschen Lust und Begierde die Machtstrukturen der Politik. Christoph Marthaler erlöst die helvetischen Wirtschaftssünder der Gegenwart mit Richard Wagner und Udo Jürgens, während René Pollesch mit Unterstützung von Sophie Rois und Anna Viebrock in „Hello, Mister MacGuffin!“ Gegenwartsdiagnose als swingenden Theaterdiskurs betreibt. Vom Fremdsein jüdischer Exilanten im vermeintlichen Schutz der Schweizer Demokratie während des Zweiten Weltkriegs erzählt „Das grosse Herz des Wolodja Friedmann“. Das dokumentarische Theaterprojekt „Sweatshop – Deadly Fashion“ durchleuchtet die innovativste Branche der Weltwirtschaft – die Modeindustrie – und fragt nach den Zusammenhängen von Sexyness, Gier und Produktionsketten eines Systems, das uns innert weniger Jahre zu Abhängigen gemacht hat. In ihrer Re-Lektüre des Kommunistischen Manifests entdeckt die Schauspielerin Susanne-Marie Wrage die Dystopie einer Welt, in der auch die privatesten Verhältnisse ökonomisiert werden. Ferdinand von Schirach beschäftigt sich auf seiner Lesereise mit Sokrates, dem Gründervater der attischen Demokratie, und liest ausserdem aus seinem neuen Erzählband „Strafe“. In den Zürcher Gesprächen steht die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch dem Schweizer Dichter Lukas Bärfuss Rede und Antwort. „Sonic Fiction“ heisst die politisch versierte Musikreihe, die wir gemeinsam mit den Musikfestivals Norient (Bern) und Rewire (Den Haag) organisieren und die musikalische Reflexionen über die gegenwärtige Welt als Popmusik auf die Pfauenbühne bringt. Willkommen im demokratischen Frühling! schauspielhaus.ch/demokratischer-fruehling

Am Königsweg Ödipus, Trump, Heidegger & Jelinek ÄRGER IM PARADIES Liebe, Tod und Demokratie Hello, Mister MacGuffin! Identitätsdiskurse von René Pollesch & Anna Viebrock Sweatshop – Deadly Fashion Ein Beitrag zur Konzernverantwortungsinitiative von Güzin Kar & Sebastian Nübling, mit dem jungen theater basel Mass für Mass Begierde, Macht und Politik: Herrschaftsdekonstruktionen von William Shakespeare Mir nämeds uf öis Bad States im All – ein Ablasshandel von Christoph Marthaler Zur schönen Aussicht Horváths Komödie über zerfallende Männer im zerfallenden Europa Das grosse Herz des Wolodja Friedmann Die Pension Comi – ein Stück vergessene Exilgeschichte „Liebe Grüsse ... oder Wohin das Leben fällt“ Leben zwischen Schicksal und Selbstbestimmung MEET ME Jugendliche Geflüchtete stellen sich den Herausforderungen des Alltags Ferdinand von Schirach liest ... … Aus seinem Erzählband „Strafe“ und spricht über Sokrates Ein Gespenst geht um Eine Re-Lektüre des Kommunistischen Manifests von Susanne-Marie Wrage und Thomas Jonigk Zürcher Gespräche Lukas Bärfuss trifft die Stadtpräsidentin Corine Mauch Sonic Fiction Contemporary Sounds präsentiert von Norient und Rewire Theater Campus Festival Festivalprogramm unter schauspielhaus.ch/theatercampus

Mit freundlicher Unterstützung von modissa In Kooperation mit Republik.ch

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Norient x Rewire present

Sonic Fiction Concerts and Audiovisual Performances that Shape the Future

Aktueller Pop überschreitet Grenzen, ist audiovisuell, wuchtig, verspielt und performativ. Zeitgenössische Musikerinnen und Musiker verhandeln politische Themen, zeigen sich provokativ und virtuos. Das Musik-RechercheNetzwerk Norient (Bern) und das Rewire-Festival (Den Haag) bringen die aktuell spannendsten Acts auf die Theaterbühne. 21. April, Pfauen

Ben Frost / Jenny Hval 12. Mai, Pfauen

Elysia Crampton / tba 9. Juni, Pfauen

tba

Programm und Infos unter schauspielhaus.ch/sonicfiction

ZKO im Pfauen

Globi und wie das Glück in die Schokolade kommt Globi liebt Schokolade über alles. Neugierig wie er ist, möchte er wissen, woher die Schokolade kommt. Wächst die wirklich auf Bäumen im Schlaraffenland? Globi macht sich auf die Suche nach dem Geheimnis der Schokolade und die Reise führt ihn bis nach Südamerika. Mit Jolanda Steiner (Erzählerin) und dem Zürcher Kammerorchester 8. April, 11:00, Pfauen

Der Rubinstein der Blockflöte und die Liebe zum Detail Werke von Brescianello und Bach mit Maurice Steger Maurice Steger ist einer der gefragtesten Flötenvirtuosen unserer Zeit, manche nennen ihn sogar den „Rubinstein der Blockflöte“. Im Pfauen wird er eine spannende Entdeckungstour durch das Werk Bachs und dessen Zeitgenossen Brescianello anführen. Filigrane Scherenschnitte von Hans-Jürgen Glatz fügen dem Konzert eine weitere Dimension hinzu. Mit Maurice Steger (Blockflöte und Leitung), Laura Schmid (Flöte), Hans-Jürgen Glatz (Scherenschnitte) und dem Zürcher Kammerorchester 28. April, 19:30, Pfauen 48


Close up

Ensemblemitglieder zeigen eigene Arbeiten Ein Gespenst geht um Mit Susanne-Marie Wrage

© Süddeutsche Zeitung Illustration: Stefan Dimitrov

Das „Kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels ist eine der einflussreichsten politischen Schriften – „ein Meisterwerk der Weltliteratur“ (Umberto Eco). Die beiden Autoren beschreiben darin präzise die heutigen Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeiterlöhne, die wachsende Ungleichheit und die Konzentration des Kapitals bei den Superreichen. Die Schauspielerin Susanne-Marie Wrage entwickelt daraus mit dem Dramaturgen und Autor Thomas Jonigk einen Theaterabend. Marx’ und Engels’ „Manifest der Kommunistischen Partei“ verhandelt die Dialektik von Innovationen und Verwerfungen des Kapitalismus als vergangene und künftige Dramen der conditio humana. Ihre aufklärerische Analyse kapitalistischer Verhältnisse ist bis heute erschreckend zutreffend. Bis heute Vision und Tragödie geblieben sind dagegen die Idee und der Versuch, diese Verhältnisse aufzuheben. Dass das, was man heute Globalisierung nennt, ein weltumspannendes kapitalistisches System digital gespeister Technologien werden würde – eine digitale Revolution –, hätte man vor 100 oder auch vor 30 Jahren noch nicht verstehen können. Erst heute ist die Weltgesellschaft da angekommen, wo der Philosoph und Ökonom Karl Marx gedanklich schon 1848 zu Zeiten der Industriellen Revolution war.

Missionen der Schönheit Holofernesmomente Mit Lisa-Katrina Mayer Die Theaterarbeit der drei Künstlerinnen Salome Schneebeli (Choreografin), Heta Multanen (Videokünstlerin) und Lisa-Katrina Mayer (Schauspielerin) im Rahmen der Festspiele Zürich behandelt den Topos der Schönheit anhand der Mythenvariation der Zürcher Autorin Sybille Berg über die biblische Figur Judit. Die acht Protagonistinnen in Sibylle Bergs „Missionen der Schönheit“ sind zwischen 12 und 75 Jahre alt, leben in Brüssel, Berlin, Kinshasa, Kiew, São Paulo, Neapel, Johannesburg und Betulia und arbeiten sich an der Frage ab, welchen Stellenwert die eigene Schönheit oder deren vermeintliches Fehlen für jedes individuelle Leben einnimmt. Der Körper dient als Machtmittel und Projektionsfläche und liefert sich der meist männlichen Beurteilungsmatrix gänzlich aus, bewusst wie unbewusst. Es geht um die Sehnsucht nach Selbstoptimierung, nach Selbstverletzung und Selbstauslöschung und nach Halt und Anerkennung eines Aussen, das der Frau über Jahrhunderte lang eingeredet hat, dass Männer Macht haben und Frauen ihre Schönheit. Die drei Künstlerinnen nähern sich Sibylle Bergs Text auf sinnliche und interdisziplinäre Weise und spielen im Verlauf des Abends mit verschiedenen Mitteln wie zeitgenössischem Tanz, Videoprojektionen, Livemusik und Sprechtheater.

Ein Gespenst geht um Das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels Ein Projekt von Susanne-Marie Wrage und Thomas Jonigk Premiere 26. April / 2. Mai, Pfauen/Kammer

Missionen der Schönheit Holofernesmomente von Sibylle Berg Schweizer Erstaufführung Mit Lisa-Katrina Mayer Choreografie Salome Schneebeli Video Heta Multanen Premiere im Juni, Pfauen/Kammer Im Rahmen der Festspiele Zürich

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Zürcher Gespräche Dialoge über Gesellschaft, Philosophie und Politik In der Reihe „Zürcher Gespräche“ laden unsere drei Gastgeber Lukas Bärfuss, Stefan Zweifel und Miriam Meckel Gäste zum Gespräch. Zu Beginn der Spielzeit war der ehemalige Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand bei Lukas Bärfuss auf dem Podium. Es folgten der Autor und Europa-Enthusiast Robert Menasse im Gespräch mit Stefan Zweifel. Ebenfalls bei Stefan Zweifel zu Gast war zuletzt die Theaterlegende Peter Stein. Der deutsche Regisseur und Theater-

erneuerer setzte ab den 1960er Jahren Akzente im deutschsprachigen Theater. Das Gespräch verfolgte die Entwicklung von Steins Theaterarbeit in Zürich weiter über die Zeit an der Berliner Schaubühne, einem wichtigen Experiment der Theatergeschichte, bis hin zu seinen jüngsten Produktionen. In der zweiten Spielzeithälfte übernehmen die Frauen das Podium. Die Stadtpräsidentin Corine Mauch ist zu Gast bei Lukas Bärfuss. Miriam Meckel empfängt als ihren ersten Gast die amerikanische Autorin Siri Hustvedt.

Die nächsten Gäste 4. April, Pfauen

3. Juni, Pfauen

Corine Mauch

Die Stadtpräsidentin Corine Mauch trifft Lukas Bärfuss zum Gespräch über urbane Kulturpolitik zwischen globaler Information und lokaler Identität.

Siri Hustvedt

Die amerikanische Autorin diskutiert mit Miriam Meckel ihren neuen Essay „A Woman looking at Men looking at Women“.

Foto: Georg Soulek/Burgtheater

Gastspiel des Burgtheaters Wien

Ein europäisches Abendmahl von Jenny Erpenbeck, Nino Haratischwili, Elfriede Jelinek, Terézia Mora, Sofi Oksanen Produktion des Burgtheaters Wien Regie Barbara Frey Mit Dörte Lyssewski, Sylvie Rohrer, Frida-Lovisa Hamann, Maria Happel, Catrin Striebeck, Katharina Lorenz Das Burgtheater Wien bringt mit „Ein europäisches Abendmahl“ einen Abend über den Zustand des gegenwärtigen Europas nach Zürich. Barbara Frey, Regisseurin und Intendantin des Schauspielhauses Zürich, setzt fünf Geschichten europäischer Frauen

von fünf prominenten Autorinnen in Szene. Nino Haratischwilis Figur Marusja ist Putzfrau mit einem Migrationshintergrund. Aus ihrem Hass gegen Flüchtlinge macht sie keinen Hehl. Mary fliegt nach Kiew, um dort Darja, die ihr ihre Eizellen verkaufen soll, zu treffen. Elfriede Jelinek schafft assoziative Wortspiele und bringt ihre Textflächen zum Schweben. Alle Frauen hadern mit ihrem Schicksal, kämpfen um ihren Selbsterhalt oder gegen die Vereinsamung und die Angst. Präzise, minimalistisch und bildgewaltig setzt Barbara Frey diese Geschichten mit viel Gespür für den Raum und die Sprache in Szene. In ihrer Inszenierung entstehen verschiedene Momentaufnahmen Europas aus einer weiblichen Perspektive.


Szenen aus dem

Repertoire A

C

B

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D

F

E

A

E

H

Hundeherz

Mir nämeds uf öis

Grimmige Märchen

von Michail Bulgakow Regie Alvis Hermanis

von Christoph Marthaler und Ensemble Regie Christoph Marthaler

von Herbert Fritsch Regie Herbert Fritsch

B

F

I

Homo faber

Der zerbrochne Krug

Die 120 Tage von Sodom

nach dem Roman von Max Frisch Regie Bastian Kraft

Ein Lustspiel von Heinrich von Kleist Regie Barbara Frey

C

G

von Milo Rau, nach Motiven von Pier Paolo Pasolini und Donatien Alphonse François de Sade Regie Milo Rau

Buddenbrooks

BEUTE FRAUEN KRIEG

J

nach dem Roman von Thomas Mann Regie Bastian Kraft

nach „Die Troerinnen“ und „Iphigenie in Aulis“ von Euripides Regie Karin Henkel

Die Dreigroschenoper

D Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt Regie Herbert Fritsch

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von Bertolt Brecht, Musik Kurt Weill Regie Tina Lanik


G

H

I

en elad er g n i n E Berli zum eaterTh en! treff

Fotos: Tanja Dorendorf, Toni Suter / T+T Fotografie und Matthias Horn

J

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Was bewegt Zürich? Das Schauspielhaus fragt nach …

… bei Shirana Shahbazi: Du bist eine international renommierte Künstlerin und lebst und arbeitest in Zürich wie auch im Ausland – was bedeutet dir diese Stadt? Was mir Zürich bedeutet, frage ich mich auch immer wieder. In keiner anderen Stadt habe ich so lange gelebt wie hier. Und doch wehrt sie sich dagegen, Heimat zu werden, was auch immer das sein soll. Dabei ist es schön, zu sehen, wer alles hier lebt. Wir sind gekommen, um zu bleiben, nicht um wieder zu gehen. Wenn man mich fragt: „Woher kommst du?“, sage ich: „Na, eigentlich aus Zürich.“ Aber die Frage bleibt und somit auch das Gefühl, nicht ganz hier verwurzelt zu sein. Was Zürich von anderen Grossstädten unterscheidet, ist, dass sie eine Kleinstadt ist. Die Wege sind kurz. Der See und die Flüsse sind da. Das Atelier nicht weit. Alles Lebensqualität. Und was Zürich auch von so manch anderer Grossstadt unterscheidet, ist, dass es eine sehr lebendige alternative Szene hat, solange man diese noch zulässt. Eine schön schizophrene Stadt. Das ist eigentlich ziemlich gut. Seltsam nur, dass es mich immer wieder überrascht, meine Kinder Züridütsch sprechen zu hören.

Kulturtipps aus dem Schauspielhaus Zürich Jetzt noch, bevor im Sommer die Flussbäder wieder überrannt werden, ist die beste Zeit, die ruhige Stadtgegend entlang der Limmat zu geniessen. Denn die Lokale am Wasser richten bereits nach und nach ihre Schönwetterplätze ein und bereiten sich auf die turbulente Sommersaison vor. Meine Lieblingsroute führt vom Platzspitz über die Brücke am Kulturhaus Dynamo vorbei und dann immer weiter geradeaus bis zur Werdinsel hinaus, zu Fuss oder – noch schöner – mit dem Velo. Unterwegs trifft man unter anderem auf einen kleinen Eisenbahnwagen, entdeckt die sich ständig wandelnde Street Art zwischen Drahtschmidlisteg und Unterem Letten, schmökert im Sphères in den Kunstbüchern, lässt sich berauschen vom tosenden Wasser beim Höngger Wehr und verweilt zum Schluss noch im Restaurant Werdinsel, welches bereits ab März geöffnet hat. Barbara Pulli, Mitarbeiterin Technische Direktion

seit 1997 mit ihrer Familie in Zürich und ist international

Am Ende einer von Bäumen gesäumten Zufahrt erhebt es sich aus den Grabfeldern wie ein mysteriöses Reich der Toten: das Krematorium Sihlfeld D. 1915 wurde es von der Stadt Zürich feierlich eröffnet, seit 1992 sind seine Verbrennungsöfen aber nicht mehr in Betrieb. Heute finden in dem gewaltigen Gebäude lediglich noch Abdankungen statt, seltener auch kulturelle Anlässe. In der übrigen Zeit bleiben die Türen des Krematoriums Sihlfeld D verschlossen. Einige wenige Male im Jahr öffnet es jedoch seine Pforten. Der Historiker Stephan Steger führt dann durch diesen architektonisch wundervollen und bizarren Ort und erzählt von der damaligen Einführung der Einäscherung als zweiter Form der Bestattung. Nächste Führung 15. Mai 2018, CHF 15, Anmeldung stadt-zuerich.ch/friedhofforum

erfolgreiche Fotografin und Konzeptkünstlerin.

Michel Jenny, Leiter Tapeziererei

Foto: Gian Marco Castelberg

Shirana Shahbazi ist 1974 in Teheran geboren, lebt

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Impressum journal März / April / Mai / Juni 2018 Redaktionsschluss 27. Februar 2018 Abonnement Das Journal erscheint 3x jährlich und kann gegen einen Unkostenbeitrag von 12 Franken pro Jahr unter schauspielhaus.ch abonniert werden. Herausgegeben von der Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5, 8032 Zürich Intendanz Barbara Frey Redaktion Christine Ginsberg (Bildredaktion), Benjamin Große (Redaktionsleitung), Anne Britting, Petra Fischer, Christine Ginsberg, Amely Joana Haag, Andreas Karlaganis, Gwendolyne Melchinger, Sandra Suter, Karolin Trachte Korrektorat Johanna Grilj, Daniela Guse, Annika Herrmann-Seidel, Simone Schaller, Sandra Suter Gestaltung Selina Lang, Studio Geissbühler Druck Multicolor Print AG Auflage 15’000


Ihre

Leidenschaft

Unser

Engagement

Inspiration für alle

Schauspielhaus Zürich und Swiss Re – eine inspirierende Partnerschaft. Spannende Perspektiven, neue Horizonte, innovative Ideen – bewegen uns bei Swiss Re. Die Zusammenarbeit mit Menschen auf der ganzen Welt begeistert uns. Auch in Kunst und Kultur. Unser Engagement öffnet Augen, bewegt Herzen, berührt Seelen. Und sucht den Dialog. So entsteht Neues, so gestalten wir Zukunft. Gemeinsam, denn: Together we’re smarter. swissre.com/sponsoring

Skulptur: © 2015 Danh Vo. Alle Rechte vorbehalten.

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Demokratischer Frühling Schauspielhaus Zürich 56


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