Schauspielhaus Zürich Magazin Nr.2

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MAGAZIN #2

Um ihrem Prinzen nahe zu sein, lässt sich die kleine Meerjungfrau von der Meerhexe die Zunge abschneiden. Ohne Stimme, dafür in Menschengestalt, findet sie zwar den Geliebten –doch zum gemeinsamen Happily Ever After kommt es nicht.

Geschichten, die zu lange weggeschwiegen wurden, einen Resonanzraum bieten: Das ist ein Gedanke, der viele unserer Inszenierungen antreibt. Frauen, denen Gewalt angetan wird, lernen die Sprachlosigkeit oft auf besonders brutale Weise kennen. Wer glaubt ihnen, wenn es ausser dem Täter keine Zeug*innen gibt? In unserem Fokus « Gegen Gewalt an Frauen » (ab Seite 6 ) widmen wir uns der Wut, den Verletzungen und den Ursachen, und auf der Suche nach Einsichten legen wir den Finger dahin, wo es weh tut. Falls Sie in der dunklen Winterzeit keine Musse für düstere Geschichten haben, eine Entwarnung: Sich aus dem Korsett der Ohnmacht zu befreien, kann auch Spass und Nervenkitzel bereiten. Die ROTE ZORA etwa kämpft mit frechen Streichen gegen das Bürgertum, bei DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE geht im Pfauen eine Bombe hoch und unsere KLEINE MEERJUNGFRAU mag Single bleiben, alleine ist sie aber ganz sicher nicht. Dafür sorgen nicht nur unser wunderbares Ensemble, sondern auch berühmte Schweizer Drag-Performance-Stars in einer furios-musikalischen Nixen-Show.

Bis bald im Schauspielhaus!

Ulrich Khuon (Intendant 2024 / 25) und das gesamte Team

P. S. FRAU YAMAMOTO IST NOCH DA – auch am 31.12. Kommen Sie zur SilvesterVorstellung und stossen Sie im Foyer mit uns an.

HERAUSGEBER SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH AG, Zeltweg 5, 8032 Zürich; INTENDANZ ULRICH KHUON; GESCHÄFTSLEITUNG JANNIKE BARTKOWIAK, PETER HÜTTENMOSER, URICH KHUON, DIRK WAUSCHKUHN; REDAKTION / TEXTE LUISA MÄNNEL, ZORA SCHAAD (zos), VICTOR SCHLOTHAUER; WEITERE TEXTE MANDY ABOU SHOAK, ALICIA AUMÜLLER, CAREN JE , MURIEL GERSTNER, GABRIELA GRABER, KLAMYDIA VON KARMA, MARIA MILISAVLJEVIĆ, IVY MONTEIRO, MAIKE MÜLLER, PAPRIKA; BILDER RAPHAEL HUENERFAUTH, BINTA KOPP, MALTE JÄGER, MONSEFWINTELER, ARIANE POCHON, RAFFINERIE, BASIL STÜCHELI, HENRI T, STEVE WALLS; ILLUSTRATION RAFFINERIE; GESTALTUNG & KONZEPT RAFFINERIE; SCHRIFT S. 6 «HALIBUT» MATTEO MAGGI, COLLLETTIVO; DRUCK MULTICOLOR PRINT AG, Auflage 60 000 Ex., PerlenValue: FSC C020637; OFFIZIELLE AUSSTATTER*INNEN U.A. MAC COSMETICS, OPTIKER ZWICKER, PKZ MEN & WOMEN, SÜDHANG WEINE, TARZAN SWISS STREETFASHION; REDAKTIONSSCHLUSS 1. NOVEMBER 2024 (Änderungen vorbehalten); ERSCHEINUNGSTERMIN 30. NOVEMBER 2024. COVER «Du sprichst gegen dein Herz» (Jean-Paul Sartre, DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE)

AUF DER BÜHNE

LOUISE

EIN STÜCK VON MARTIN ZIMMERMANN REGIE, KONZEPT, CHOREOGRAFIE MARTIN ZIMMERMANN

KREIERT MIT UND INTERPRETIERT VON BÉRENGÈRE BODIN, MARIANNA DE SANCTIS, ROSALBA TORRES GUERRERO, METHINEE WONGTRAKOON KREATION MUSIK TOBIAS PREISIG

Mit LOUISE bespielt der vielfach preisgekrönte Schweizer Choreograf Martin Zimmermann bis zum 15. Dezember die grosse Halle im Schiffbau. Vier beeindruckende Bewegungskünstlerinnen werden zu LOUISE und erzählen die Geschichte von Widerstand und dem Drang nach Bewegungsfreiheit.

MARTIN ZIMMERMANN ist ein Schweizer Choreograf, Theaterregisseur, Bühnenbildner und Performer. Seit mehr als 25 Jahren erfindet, choreografiert und inszeniert er visuelles und

physisches Theater ohne Worte, dessen Mischung aus zeitgenössischem Zirkus, Tanz, Theater und spektakulären Bühneninstallationen ein grosses Publikum begeistert.

Stücheli / Bilder
S. 5: Ariane
Pochon
(Carol
Schuler),
Malte
Jäger
(Wolfram
Koch)

TATORT THEATER

Seit Kindergartenalter steht Carol Schuler auf der Bühne, für ihre Rolle im Film LIEBER BRAD erhielt sie mit 14 Jahren als bis dato jüngste Gewinnerin den Schweizer Filmpreis. Neben zahlreichen Engagements in renommierten Theatern in der Schweiz und in Deutschland ist die Winterthurerin auch in verschiedenen Kino- und TV-Produktionen zu sehen. Als rebellische Kommissarin Tessa Ott ermittelt sie im Zürcher Tatort, während Wolfram Koch im September als Hauptkommissar Brix im Frankfurter Tatort seinen letzten Fall gelöst hat. Auch Wolfram Koch stand schon als Teenager vor der Kamera und arbeitete

Film oder Theater?

WOLFRAM Da geh ich mal Carol fragen.

CAROL Theater ist meine grosse Liebe, aber Film ist gut im Bett.

Kommissar*in oder Mörder*in –wen spielst du lieber?

WOLFRAM Am besten beides in einer Rolle.

CAROL Eine mordende Kommissarin, die sich selbst verhört. Das würd ich gern spielen.

Idealist*in oder Realist*in?

WOLFRAM Ich bevorzuge den Unsinn.

CAROL Hauptsächlich Fabulistin, mit unrealistischen Idealen.

Aufstand oder Diplomatie?

WOLFRAM (H)Andstand.

CAROL Aufstand. Mir fehlte schon immer jegliches diplomatisches Talent.

nach seiner Schauspielausbildung an den unterschiedlichsten Bühnen. 2011 erhielt er dafür an der Berliner Volksbühne und am Deutschen Theater Berlin gemeinsam mit drei weiteren Schauspieler*innen den Theaterpreis Berlin. In DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE treffen Carol Schuler und Wolfram Koch nun am Schauspielhaus Zürich in einem mörderischen und hochpolitischen Plot aufeinander – ein Recontre, das nach einigen Wirrungen nur eine der beiden Bühnenfiguren überleben wird. Wir haben beide gefragt, welcher Typ sie sind. ZOS

Schmutzige Hände oder saubere Weste?

WOLFRAM Ist saubere Weste auch von Sartre?

CAROL Meine Hände sind tatsächlich sauberer als meine Weste.

Raclette oder Fondue?

WOLFRAM Definitiv beides.

CAROL In geschmolzenem Schweizer Käse könnte ich in jeglicher Form baden, aber Raclette gewinnt knapp.

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE

an Frauen Gewalt an an Frauen Gewalt an an Frauen Gewalt an

Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner, Ex-Partner oder einem Bekannten getötet. Im Zentrum der Gewalt steht das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern.

VON MANDY ABOU SHOAK UND ZORA SCHAAD

«Er bringt mich um, nächstes Mal bringt er mich um!» Die Frau am Telefon weint. Diese Frau, die bei uns in der NGO Brava anruft und Hilfe sucht, könnte jede sein. Sie könnte Lehrerin oder Verkaufsberaterin in einem Schuhgeschäft sein. Sie könnte Kinder haben oder nicht, eine Migrationsgeschichte haben oder nicht. Sie könnte auf wenigen Quadratmetern leben oder in einem Haus mit viel Umschwung. Was die Frauen, die Gewalt erleben eint, ist, dass die Gewalt in den allermeisten Fällen durch ihre Partner, Ex-Partner oder einen Bekannten ausgeübt wird. Ihre Geschichten, so individuell sie sind, so ähnlich sind sie auch. Meist beginnt die Gewalt subtil: Zunächst wird die Wahrnehmung der Frau in Frage gestellt («Das habe ich so nie gesagt. Das bildest du dir ein. Immer übertreibst du!») und damit am Selbstwert gerüttelt. Es folgen Erniedrigungen («Wie kann man als Mutter sowas vergessen? Kannst du überhaupt irgendwas?») und Beschimpfungen («Wie unfähig du bist!»). Setzen sich die Frauen dagegen zur Wehr, folgt auf die psychische Gewalt oft physische Gewalt. Ein Schubsen, ein Tritt, Schläge. Nach dem Gewaltausbruch entschuldigen sich die Täter häufig, zeigen in einer Honeymoon-Phase Reue und Zuneigung – bis der Zyklus wieder von neuem beginnt.

Die Fakten sind klar: Wir haben ein Problem mit Gewalt. Und die Gewalt ist männlich. 90 Prozent der Tatpersonen in Paarbeziehungen sind Männer. Allein im Kanton Zürich rückt die Kantonspolizei jeden Tag zwanzigmal aus aufgrund häuslicher Gewalt. Die schlimmste Form sind Femizide, also Tötungsdelikte an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von ihrem Partner, Ex-Partner oder einem Bekannten getötet. Der gefährlichste Ort für Frauen ist nicht der verlassene Park oder die dunkle Strasse. Es sind die eigenen vier Wände.

Femizide bilden die Spitze des Eisbergs. Darunter liegen stereotype Rollenvorstellungen, frauenfeindliche Witze, Erniedrigungen, psychische, physische und sexualisierte Gewalt. Im Kern geht es immer um Geschlechterungleichheiten. Wenn wir glauben, dass Frauen weniger Wert haben, dann dürfen sie von Männern abgewertet, angefasst, missbraucht und schliesslich auch umgebracht werden.

Zurück zu der Frau am Telefon, deren Schicksal stellvertretend für viele steht. Oft erzählen uns Betroffene ein paar Wochen nach einer Eskalation und ersten Schutzmassnahmen wie einem Aufenthalt im Frauenhaus, dass sich alles wieder beruhigt habe, der Mann zur Vernunft gekommen sei. Es fallen Sätze wie: «Er war so lieb zu mir, wie früher. Er hat mir Blumen gebracht und mein Lieblingsessen gekocht. Jetzt wird alles gut.»

Sechs Anläufe benötigt eine Frau im Durchschnitt, bis sie sich aus einer gewaltvollen Beziehung lösen kann. Die Isolation und die häufig bestehenden finanziellen, psychischen und anderen Abhängigkeiten von Mann und Familie machen es vielen Frauen schwer, aus der Gewaltsituation auszubrechen und sich Hilfe zu

holen. So sprechen die wenigsten Überlebenden von häuslicher Gewalt über den Übergriff – weder mit Fachpersonen noch mit ihrem nahen Umfeld. Zahlen aus dem Swiss Crime Survey von 2022 zeigen, dass nur 14 Prozent der Vergewaltigungsopfer eine Beratungsstelle kontaktieren und nur 8 Prozent der Menschen nach einem Übergriff Anzeige erstatten. Scham, Schuldgefühle oder die Angst, dass einem nicht geglaubt wird, hemmen viele. Nicht zuletzt, weil ihnen oft die Mitschuld an einem Übergriff gegeben wird. Das führt in der Konsequenz dazu, dass die Tat verharmlost, die Verantwortung des Täters geschmälert wird und das Machtungleichgewicht bestehen bleibt.

Damit sich unser Blick auf die Gewalt und ihre Verankerung in unserer Gesellschaft ändert, braucht es Prävention- und Sensibilisierungsarbeit in allen Lebensbereichen. So zum Beispiel in den Schulen, in der Politik und im Gesundheits- und Justizwesen. Einen wichtigen Beitrag leisten Kampagnen wie die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» und die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema, wie sie etwa diesen Winter im Rahmen mehrerer Inszenierungen am Schauspielhaus Zürich stattfindet.

MANDY ABOU SHOAK

Mandy Abou Shoak ist Sozialarbeiterin, Expertin für Gewaltprävention, Verantwortliche für Bildung bei Brava, Co-Präsidentin FIZ, Geschäftsleitung SP Frauen Schweiz und Kantonsrätin in Zürich.

HIER FINDEN SIE HILFE BEI HÄUSLICHER GEWALT Opferberatung Schweiz www.onlineopferberatung.ch Frauenhäuser Schweiz www.frauenhaeuser.ch/de/frauenhaeuser

16 TAGE GEGEN GEWALT AN FRAUEN

Die internationale Präventionskampagne gegen geschlechtsspezifische Gewalt findet jedes Jahr vom 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, statt. www.16tage.ch

DAS SCHWEIGEN BRECHEN –AUF DER BÜHNE

Eine Sprache zu finden für Erfahrungen sexualisierter Gewalt, das Aufzeigen von Zusammenhängen, die diese Gewalt hervorbringen, Schaffung von Aufmerksamkeit und Empathie – damit beschäftigen sich diesen Herbst und Winter mehrere Inszenierungen am Schauspielhaus, von der antiken Tragödie bis zur Uraufführung eines Auftragswerks. Drei Frauen aus den jeweiligen Produktionsteams berichten.

ALICIA AUMÜLLER, SCHAUSPIELERIN DES SOLOABENDS

PRIMA FACIE

«EINE GESCHICHTE ZU ERZÄHLEN

HEISST VIELLEICHT NICHT, DEN

SCHMERZ WEGNEHMEN ZU KÖNNEN,ABER ES KANN UNS EINE GEMEINSAME SPRACHE GEBEN, WO SONST NUR SPRACHLOSIGKEIT WÄRE.»

Bei dem Thema Vergewaltigung wollen viele Menschen lieber gleich weghören. Man denkt an dunkle Gassen und schwer traumatisierte Opfer. Schaut man sich die Zahlen an, dann geschieht sexualisierte Gewalt aber ständig und kann allen passieren. Und der Tatort ist meistens ein Bett von einer Person, die man kennt. Manchmal sogar das Eigene. Das herausfordernde und herausragende an dem Stück PRIMA FACIE ist für mich, dass es diesem grossen, verstörenden und leider immer noch tabuisierten Thema der sexualisierten Gewalt eine Bühne und dabei den Betroffenen eine Stimme gibt. Und ich denke, in dem Moment, in dem wir an öffentlichen Orten anfangen, gemeinsam darüber zu sprechen, uns gegenseitig zuzuhören, miteinander zu diskutieren, uns zu informieren und zu bilden, versuchen, Worte zu finden für den Schmerz und das Grauen – in dem Moment sind wir auch nach und nach in der Lage, das Schweigen und die Scham, die sexualisierte Gewalt seit Generationen mit sich gebracht hat, im privaten Umfeld zu durchbrechen. Und zu sprechen. Endlich zu sprechen. Uns darüber zu erzählen. Unserer Freundin, unserem Partner, dem Sohn, unserer Tochter, den Müttern und Grossmüttern.

Als Schauspielerin darf ich mich mit der Sprache befassen, mit dem Vorgang des Sprechens. Eine Geschichte zu erzählen heisst vielleicht nicht, den Schmerz wegnehmen zu können, aber es kann uns eine gemeinsame Sprache geben, wo sonst nur Sprachlosigkeit wäre.

MURIEL GERSTNER, BÜHNENBILDNERIN

DIE FRAUEN VON TRACHIS

DIE FRAUEN VON TRACHIS beginnen mit dem, was man als Klage der Hauptfigur Deinaneira bezeichen könnte, aber auch als luzide Analyse eines sprechenden weiblichen Ichs zu seiner Situation innerhalb einer gewaltdominierten patriarchalen Gesellschaft, in der sie als Objekt mit Verfallsdatum gehandelt wird. Deianeira ist nicht mehr jung, auch ist sie keine Revolutionärin wie Antigone, sondern eine Beobachterin der Umstände und ihrer selbst. Sie beschreibt, wie ihr Vater sie als Kampfpreis einsetzt in einem sogenannten Brautagon (Kampf um eine weibliche Trophäe), wie Herakles sie gewinnt, in der Folge seine Frau und die gelegentlich gezeugten Kinder zurücklässt und zwar nicht in einem vertrauten Umfeld, sondern im Exil, in das er mit seinem Hausstand wegen einem von ihm verübten Mord fliehen musste.

«SOPHOKLES’ TRAGÖDIE SETZT MIT DEM KRITISCHEN BLICK

SEINER

WEIBLICHEN HAUPTFIGUR AUF GEWALTTÄTIG KONNOTIERTES HELDENTUM DIE PHANTOME IN BEWEGUNG, DIE UNS IMMER NOCH UMTREIBEN.»

Dort lebt Deianeira in ständiger Sorge um den Verbleib des Herakles bei einem «xeno par’ andri», was zwar durchaus mit «Gastfreund» übersetzt werden kann, aber in erster Linie und wörtlich übersetzt «bei einem fremden Mann» bedeutet. Ihr Blick auf die ihr von Herakles als Kriegsbeute geschickten, völlig traumatisierten Frauen ist von Entsetzen geprägt, nicht von der Freude, von der sie selbst sagt, sie müsste sie doch eigentlich empfinden, da Herakles lebe und bald heimkomme. Ganz besonders erregt die junge Frau Iole ihr Mitleid, die ausserstande ist, zu sprechen. In ihr sieht Deianeira ihre eigene Geschichte wiederholt, an ihr macht sie die strukturelle wiederkehrende Gewalt innerhalb der Gesellschaft fest, in der sie beide leben. Bemerkenswerterweise richtet keine ihrer Äusserungen und späteren Handlungen sich gegen die junge Frau, die sich als Objekt des herakleischen Begehrens herausstellen wird, sondern stets gegen die Verhältnisse, in denen beide gefangen sind. Sophokles’ Tragödie setzt mit dem kritischen Blick seiner weiblichen Hauptfigur auf gewalttätig konnotiertes Heldentum die Phantome in Bewegung, die uns immer noch umtreiben.

MARIA MILISAVLJEVIĆ, AUTORIN DER URAUFFÜHRUNG

STAUBFRAU

«ICH WEISS NICHT, WAS GEWALT IST, DENN ALL DIES SCHEINT NORMAL. IST DAS NORMAL. IST DAS SYSTEM.»

Ich wusste nicht, was Gewalt ist. Nein, ich muss präziser sein (denn in diesem Kontext kann Präzision Leben retten oder verspielen): Ich wusste nicht, welche Formen Gewalt annehmen kann. Welche Gesichter, lächelnd oder Mitgefühl erhaschend. Welche Worte sie findet, weich, leise, umfangend oder schlichtweg logisch scheinend. Welche Haltung sie einnimmt, charismatisch, stark, schwach. Einfach nur Liebe suchend …? Nein, Präzision! Liebe verlangend, einfordernd gegen Strafe. Welche Strafe? Vielleicht nur ein Lachen. Präzision: ein Lachen, das sich lustig macht, entwertet. Ein Schweigen, das sagt, meiner Worte bist du nicht würdig. Unterdrückung. Das Wort, das nicht gesagt werden darf. «Wer wird denn hier unterdrückt? Du sicher nicht.» Gaslighting, durch das die Welt neu erklärt, neu kreiert wird. Bis alles Alte schwindet. Ein Wille muss nicht gebrochen werden. Es reicht, wenn er, Strafe für Strafe, Manipulation für Manipulation, gebeugt wird: Ich weiss nicht, was Gewalt ist, denn all dies scheint normal. Ist das Normal. Ist das System.

Gewalt in Beziehungen ist komplex. Gewalt in Beziehungen kann verbaler, psychischer und körperlicher Natur sein. Menschen, denen Gewalt in Beziehungen widerfährt, wissen dies (vielleicht) nicht (mehr). Deswegen braucht es ein Aussen, das zuhört und glaubt, das hinsieht und versteht, das da ist und hilft.

PRIMA FACIE

VON SUZIE MILLER

AUS DEM ENGLISCHEN VON ANNE RABE

REGIE BARBARA WEBER

MIT ALICIA AUMÜLLER

PREMIERE 16. NOVEMBER 2024, PFAUEN

DIE FRAUEN

VON TRACHIS

VON SOPHOKLES IN EINER NEUEN ÜBERSETZUNG

VON KURT STEINMANN

REGIE JOSSI WIELER

MIT KATJA BÜRKLE, JUDITH HOFMANN, TABITA JOHANNES, JUNE ELLYS MACH, MATTHIAS NEUKIRCH, CARLA RICHARDSEN, SEBASTIAN RUDOLPH, PATRYCIA ZIÓŁKOWSKA PREMIERE 14. DEZEMBER 2024, SCHIFFBAU-BOX

STAUBFRAU

VON MARIA MILISAVLJEVIĆ

REGIE ANNA STIEPANI

MIT LOLA DOCKHORN, ANITA ISELIN SOUBEYRAND, NANCY MENSAH-OFFEI

AUFTRAGSWERK FÜR DAS SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH URAUFFÜHRUNG 11. JANUAR 2025, SCHIFFBAU-MATCHBOX

TheRoomNextDoor ab12.12.imKinoRiffraff

Werden auch Sie Mitglied der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses! Als Freundin und Freund des Schauspielhauses sind Sie näher am Geschehen dran –auf und hinter der Bühne. Erleben Sie gemeinsam Vorstellungs- und Probebesuche, Gespräche zu Inszenierungen und Theaterreisen.

Kontakt und Anmeldung unter freunde@schauspielhaus.ch

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DREI THEATERABENDE IM PFAUEN! AB CHF 58.–, MIT LEGI AB CHF 29.–

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SENDEN SIE UNS IHRE ANTWORT BIS 31.12.2024 AN KOMMUNIKATION@SCHAUSPIELHAUS.CH UNTER ALLEN RICHTIGEN EINSENDUNGEN VERLOSEN WIR 2 × 2 FREIKARTEN FÜR EIN STÜCK FREIER WAHL.

AUSGENOMMEN SIND PREMIEREN, FREMD- UND SONDERVERANSTALTUNGEN VIEL GLÜCK!

FÜNF SCHWÄMME UNTERNEHMEN EINEN REALITY CHECK

« Ich hatte zwar nicht wirklich eine Vorstellung, was das Theaterjahr ist », sagt Myron. « Aber trotzdem wurden meine Erwartungen übertroffen. » Wie Myron ging es auch den anderen vier jungen Erwachsenen, die während eines Jahrespraktikums im Team der künstlerischen Vermittlung am Schauspielhaus quer durch den Pfauen und den Schiffbau schnuppern können. Ob Regie oder Requisite, Dramaturgie oder Disposition, Maske oder Malsaal: In fast alle Bereiche dürfen Myron Kontar (19), Alek Affentranger ( 22), Ilia La Belle ( 20), Neftalem Tewelde Tekeste (19) und Vivienne Vogt ( 21) Einblick nehmen oder bei einzelnen Inszenierungen selbst anpacken. Daneben veranstalten sie als Gruppe einmal pro Monat die Offene Bühne und erarbeiten zum Ende des Theaterjahr ein gemeinsames Stück oder eine eigene künstlerische Arbeit. Sich als Gruppe zu finden und zusammen diese Abende zu organisieren, sei nicht immer ganz einfach, sind sich die fünf einig. Dennoch überwiegt die Begeisterung.

« Schon als Kind habe ich Theater gespielt, seit vielen Jahren bin ich Teil der freien Tanzcompagnie Cie. WILD LIFE », sagt Vivienne. Sie möchte ihre Leidenschaft zum Beruf machen und an einer Schauspielschule vorsprechen. « Das Theaterjahr ist für mich auch eine Art Reality Check. »

Etwas offener formulieren es Myron und Ilia. Auch sie standen schon als Kinder oder Jugendliche auf der Bühne, beide zieht es in einen kreativen Beruf – doch im Theaterjahr wollen sie sich erstmal verhalten wie ein Schwamm: Aufsaugen, ausprobieren, offen sein. « Für die Zeit nach der Matur habe ich mir versprochen, meine Interessen in den Vordergrund zu stellen: Ich möchte nähen und Theater machen, singen und mein Arabisch aufbessern », so Myron. Ilia unterbricht für das Praktikumsjahr ihr Studium in Fine Arts. « Anders als an der Hochschule bin ich hier weniger im Umsetzen, sondern kann eine beobachtende Rolle einnehmen. Ich erweitere mein künstlerisches, literarisches und theoretisches Repertoire jeden Tag. Es ist wie eine Palette, die immer mehr Farbkleckse erhält. »

Während Ilia sich besonders von der Dramaturgie angesprochen fühlt, unternimmt Myron erste Schritte als Hospitanz der Regie.

Alek ist Hochbauzeichner mit Berufsmatur und Velokurier. Auch er hat schon in Jugendclubs gespielt, interessiert sich aber vor allem für das Gestalterische. Bei DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE kann er am Bühnenbild mitarbeiten und erleben, wie Möbel, Bauten, Requisiten und Licht der Inszenierung ein Gesicht verleihen. « Wie dazu verschiedene Abteilungen und Berufe zusammenarbeiten, fasziniert mich. Diese Präzision, selbst in den Details! »

Neftalem, genannt Nef, weiss als grosser Filmfan schon lange, dass Schauspieler sein Traumberuf ist.

Dank seinen Lehrpersonen aus dem zehnten Schuljahr sei er auf das Theaterjahr aufmerksam geworden, sie hätten ihn auch bei der Bewerbung unterstützt. Bei der Produktion #Byebitch kann er einen Blick hinter die Kulissen werfen und mitarbeiten. « Ich bin richtig angefressen vom Theater, bin hier Teil von etwas Grossem – das ist so cool! » ZOS

OFFENE BÜHNE

Ob du ein Lied singen, slammen oder tanzen möchtest: Jeden zweiten Samstag im Monat veranstaltet das Theaterjahr eine OFFENE BÜHNE für alle interessierten Menschen.

Mehr Infos zum Theaterjahr auf Insta

DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE

Die rote Zora und ihre Bande sind arm, aber mutig! Sie wissen, wie sie sich gegen fiese Erwachsene wehren können. Unser Familienstück zur Winterzeit inspiriert schon die jüngsten Theaterfans.

Wie sieht deine Bande aus?

Was gibt dir Mut?

Was hast du schon mal gestohlen?

DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE VON JOHN VON DÜFFEL NACH DEM ROMAN VON KURT HELD REGIE SELEN KARA Kinderstück empfohlen ab 7 Jahren PREMIERE 9. NOVEMBER 2024 PFAUEN

DIE ROTE ZORA

Das Meer ist silbern, der Himmel blau, wir sind in Senj, einer kroatischen Küstenstadt. Dort leben die rote Zora und ihre Bande in einer alten Burgruine. Gemeinsam schlagen sie sich mit lustigen Streichen und kleinen Diebstählen bei reichen Leuten durch und müssen immer wieder vor der Polizei flüchten. Als eines Tages der junge Branko wegen Diebstahls festgenommen wird, befreit ihn die rote Zora und nimmt ihn in ihre Bande auf. Nun können sie sich gemeinsam mit Pavle und Duro zu viert gegen die Erwachsenen wehren.

MAXIM (11 )
MAXIM (11 )
MATTIA ( 7 )

SCHIFFBAU-BOX 19.30 | ½ Preis BE DIE FRAUEN VON TRACHIS VON SOPHOKLES IN EINER NEUEN ÜBERSETZUNG VON KURT STEINMANN REGIE JOSSI WIELER

Theatermontag Alle Tickets 50 %

DI 17 SCHIFFBAU-HALLE 19.30 | Preis CHF 20.–KLASSENSTUNDE REDEN ÜBER SOZIALE UNTERSCHIEDE #2: FUSSBALL Zu Gast: Kaspar Meng, Andreas Mösli, Aline Trede Moderation: Tobi Müller

SCHIFFBAU-MATCHBOX | Preis MD DOKTOR SPIELREIN

VR-INSZENIERUNG VON RAUM+ZEIT Einlass alle 12 Minuten für je eine Person zwischen 17.36 und 22.58 Uhr, Dauer 80 Minuten.

SCHIFFBAU-BOX 19.30 | Preis BE | DIE FRAUEN VON TRACHIS VON SOPHOKLES IN EINER NEUEN ÜBERSETZUNG VON

PFAUEN 18.00 –19.00 | CHF 10.–ÖFFENTLICHE FÜHRUNG DURCH DEN PFAUEN PFAUEN 20.00 | Preis L | Dienstags-Abo

DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE VON JEAN-PAUL SARTRE REGIE JAN BOSSE

PFAUEN 20.00 –21.45 Preis CHF 40.–/ 20.–WIR HABEN ES NICHT GUT GEMACHT DER BRIEFWECHSEL VON INGEBORG BACHMANN UND MAX FRISCH LESUNG MIT CAROLINE PETERS UND ROLAND KOCH GASTSPIEL BURGTHEATER WIEN

–21.15 Preis CHF 20 –68.–( erm 10 –34.–) LOUISE EIN STÜCK VON MARTIN ZIMMERMANN

SCHIFFBAU-BOX 19.30 | Preis BE | DIE FRAUEN VON TRACHIS VON SOPHOKLES IN EINER NEUEN ÜBERSETZUNG VON KURT STEINMANN REGIE JOSSI WIELER PFAUEN 20.00 | Preis L

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ZUM LETZTEN MAL

SCHIFFBAU-MATCHBOX Preis MD DOKTOR SPIELREIN

VR-INSZENIERUNG VON RAUM+ZEIT Einlass alle 12 Minuten für je eine Person zwischen 17.36 und 22.58 Uhr, Dauer 80 Minuten.

IHRE BANDE Kinderstück empfohlen ab 7 Jahren DO 26

FR 27

BOSSE

HÄNDE VON JEAN-PAUL SARTRE REGIE JAN BOSSE SA 28

PFAUEN 11.00 –12.30 | Preis F DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE

SCHIFFBAU-HALLE 20.00 –21.15 Preis CHF 10 –34.– LOUISE EIN STÜCK VON MARTIN ZIMMERMANN

Kinderstück empfohlen ab 7 Jahren

PFAUEN 20.00 | Preis L

DIE SCHMUTZIGEN

SCHIFFBAU-MATCHBOX ½ Preis MD DOKTOR SPIELREIN VR-INSZENIERUNG VON RAUM+ZEIT Einlass alle 12 Minuten für je eine Person zwischen 17.36 und 22.58 Uhr, Dauer 80 Minuten.

SCHIFFBAU-BOX 18.00 | Preis BE | DIE FRAUEN VON TRACHIS VON SOPHOKLES IN EINER NEUEN ÜBERSETZUNG VON KURT STEINMANN REGIE JOSSI WIELER PFAUEN 19.00 –21.40 | ½ PREIS L | FRAU YAMAMOTO IST

Kinderstück empfohlen ab 7 Jahren SO 29

PFAUEN 11.00 –12.30 und 16.00 –17.30 Preis F DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE

SCHIFFBAU-HALLE 20.00 –21.15 Preis CHF 20 –68.–(erm. 10 –34.–) LOUISE EIN STÜCK VON MARTIN ZIMMERMANN PFAUEN 16.00 –17.30 Preis F DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE Kinderstück empfohlen ab 7 Jahren

Nachgespräch mit Franziska von Arb (Traumatherapeutin, Schauspielerin und Autorin) DI 10

HEARTSHIP IST EINE LEBENSEINSTELLUNG

Caren Jeß, Uraufführungsautorin von HEARTSHIP, einem Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich, im Gespräch mit der Dramaturgin Maike Müller.

MM Vor einigen Monaten durfte ich bei der Lektüre deines Stücks Sara und Ann kennenlernen, die Protagonistinnen deines Stücks HEARTSHIP. Die Begegnung ist für mich besonders, da ich mich ihnen verbunden fühle – sie könnten meine Freundinnen sein, meine Kolleginnen, meine Nachbarinnen. Dein Text beginnt mit ihrem Aufeinandertreffen und verfolgt die Entwicklung ihrer Beziehung über den Zeitraum eines Jahres. Dabei durchdringt er ihre Ängste, Wünsche, Nöte und Sehnsüchte. Für mich ist HEARTSHIP ein Panorama des sogenannt weiblichen Lebens im kapitalistischen Patriarchat.

CJ Ann und Sara sind auch für mich wie Freundinnen. Ich habe sie während des Schreibprozesses so gut kennengelernt, dass ich mir einbilde, sie würden wirklich existieren. Beide tragen Wut in sich, sprechen über psychische Erkrankungen und erlittene Gewalt, lassen sich von der Ernsthaftigkeit ihrer Themen aber nicht den Spass rauben – und den teilen sie glücklicherweise mit uns. Die beiden Frauen merken bald, dass ihre Verbindung keine gewöhnliche Freundschaft ist. Sie ist mehr. In Ermangelung eines Wortes für ihre Beziehung erfindet Ann einfach selbst eins: HEARTSHIP. Definitorisch festlegen möchten die beiden Frauen diesen Begriff

Ein Begriff, den jede*r mit eigenen Assoziationen und Gefühlen füllen kann .

aber nicht. Er sei wie eine absolute Metapher, stellt Sara fest. Ein Begriff, den jede*r mit eigenen Assoziationen und Gefühlen füllen kann. Oder wie meine Verlegerin sagte: « HEARTSHIP ist eine Lebenseinstellung! »

MM Ann ist Medizinerin, hat einen 19-jährigen Sohn und schon einiges hinter sich. Sara arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit eines Schauspielhauses und veranstaltet ihre eigene feministische Stand-UpShow. Warum hast du dich dazu entschieden, deine beiden Figuren in so unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären anzusiedeln?

CJ

Das war keine bewusste Entscheidung. So ist es oft beim Schreiben. Meist ist der Anfang meiner Arbeit diffus, da ist ein Thema, eine Atmosphäre, ein inspirierendes Erlebnis – etwas, das ich nicht vorhergesehen habe, vitalisiert mein Denken. Bei HEARTSHIP war es so, dass ich etwas über Zwänge machen wollte. Ausserdem wollte ich meiner Beschäftigung mit sexualisierter Gewalt weiter Ausdruck verleihen. Ich hatte in verschiedene Richtungen losgeschrieben – und immer wieder abgebrochen. Das war nichts. Aber dann trat plötzlich Sara aus dem Backstage ins Rampenlicht und hielt ihre flammende Rede über den feierlichen Abgang aller Frauen ( bzw. Flintas*) von diesem Planeten, um die Männer in ihrem beknackten Patriarchat verschimmeln zu lassen. Na ja, und Ann kam da dann noch dazu, sass im Schatten auf einem Barhocker und rezipierte mit kühler Intelligenz, was ihr dargeboten wurde. Sie findet Sara sofort spannend. Auch wenn diese ihr zunächst etwas zu feministisch erscheint. Ann gendert nicht, ist auch sonst nicht besonders diskursfit. Aber genau das ist es doch: Die Wut der Frauen kennt keine Gruppenzugehörigkeit.

MM Du sprichst in HEARTSHIP viele Themen an – sexuelle und sexualisierte Gewalt, psychische Erkrankungen, gesellschaftlichen Druck. Diese Themen sind das Feld, durch das Ann und Sara ihr Leben navigieren ( müssen ). Dafür finden sie ineinander – trotz ihrer Unterschiede – eine Partnerin.

«Eure Gewalt ist nicht der Eisblock, an dem unser Heartship havariert!»

Sie helfen einander, sich von ihren Erfahrungen nicht dominieren zu lassen und mit Humor auf die Herausforderungen des Patriarchats zu blicken. Oder, um es mit Saras Worten zu sagen: « Ich lass mir doch vom Niedergang der Gesellschaft nicht die Petersilie verhageln! Ich will dieses Leben! In geil! »

«Ich lass mir doch vom Niedergang der Gesellschaft nicht die Petersilie verhageln! Ich will dieses Leben! In geil!»

CAREN JE

Caren Jeß studierte Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur in Freiburg und Berlin. 2018 gewann sie die Residency des Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik mit ihrem Stück BOOKPINK, mit dem sie 2020 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert und zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gekürt wurde.

Im Jahr davor erhielt sie ausserdem den Else-Lasker-Schüler-Stückepreis für ihr Stück DER POPPER und den Preis der taz-Publikumsjury des 26. open mike. 2023 gewann sie für das Stück DIE KATZE ELEONORE den Mülheimer Dramatikpreis sowie den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage. Sie lebt in Dresden.

CJ Gewalterfahrungen schlagen sich häufig in Verhaltensveränderungen nieder, nicht selten lösen sie auch psychische Störungen aus. Ann leidet an Dermatillomanie, einer Zwangsstörung, bei der Betroffene die eigene Haut schädigen. Die Entwicklung dieser Krankheit gründet in einer Vergewaltigungserfahrung, die Ann als Jugendliche gemacht hat. Sara widerum leidet unter PMDS, kurz für prämenstruelle dysphorische Störung, für die affektive und körperliche Symptome kennzeichnend sind. Beides sind Störungen, die noch nicht lange in der Internationalen Krankheitsklassifikation ICD gelistet sind. Dadurch bedingt waren sie lange gewissermassen unsichtbar und werden oft bagatellisiert, was bei Betroffenen wiederum zu Frustration führt. Der Druck, der in HEARTSHIP vielfach eine Rolle spielt, umschliesst Themen von Gewalt, Zwang und Mangel gleichsam wie eine feste Hülle und verlangt sprichwörtlich nach einem Ventil. So wird eine Gewalt- bzw. Leidspirale gezeichnet, die allerdings, und das ist das Tolle, von Saras und Anns Verbündung durchbrochen wird: « Eure Gewalt ist nicht der Eisblock, an dem unser Heartship havariert!», ruft Ann aus, und so nehmen sie und Sara Kurs auf eine gerechtere Gesellschaft.

HEARTSHIP VON CAREN JE AUFTRAGSWERK FÜR DAS SCHAUSPIELHAUS ZÜRICH REGIE EBRU TARTICI BORCHERS MIT ALICIA AUMÜLLER, KATRIN WICHMANN URAUFFÜHRUNG 24. JANUAR 2025, SCHIFFBAU-MATCHBOX

SPRECHEN SIE THEATER?

Wenn in der Theaterkantine plötzlich die Durchsage der Inspizienz aus dem Lautsprecher dröhnt und Technik und Besetzung für die AmA zur Bühne bittet, greifen sich Theaterneulinge schon mal an den Kopf. Unser Glossar hilft weiter.

AmA Steht für «Alles mit Allem» und bezeichnet die erste Probe auf der Bühne, in der alle Kostüme, Requisiten, die Maske und technische Effekte das erste Mal zum Einsatz kommen. Oft ist die AmA auch die erste Probe, in der die Schauspieler* innen das Stück in einem Durchlauf spielen.

EISERNER VORHANG

Der eiserne Vorhang oder schlicht: «der Eiserne», ist eine massive, feuerfeste Trennwand, die im Brandfall zwischen Bühne und Zuschauer*innen herabgelassen wird. Der Eiserne verhindert so die Ausbreitung von Feuer und Rauch.

Ein*e Inspizientin*in steht hinter der Bühne und koordiniert live per Durchsagen den künstlerischen und technischen Ablauf einer Aufführung. Inspizient*innen geben vor und während den Vorstellungen Anweisungen, wer wann auf und hinter der Bühne zum Einsatz kommt. GP

Die GP oder Generalprobe ist die letzte Probe vor der Premiere. Ein spannender Moment und die letzte Gelegenheit, Korrekturen umzusetzen und der Inszenierung den letzten Feinschliff zu geben.

INSPIZIENZ

SCHNÜRBODEN

Ein Schnürboden ist eine Arbeitsplattform oberhalb der Bühne, von der aus die Bühnenbeleuchtung, Kulissen und andere Bühnenelemente mithilfe von Seilen («Schnüren») heruntergelassen oder hochgezogen werden.

VIERTE WAND

Die offene Seite des Bühnenraums zum Publikum bezeichnet man als (unsichtbare) vierte Wand. Wenn Schauspieler*innen mit dem Publikum interagieren und es direkt ansprechen, spricht man von einem «Durchbrechen der vierten Wand».

BLICK IN DIE WERKSTÄTTEN

Von beeindruckenden Bühnenbildern über gruselige Masken bis zu pompösen Kostümen: In der Entstehung jeder Inszenierung arbeiten zahlreiche Kreative wochenlang in unseren Werkstätten im Schiffbau.

TEXT GABRIELA GRABER, BILDER MONSEFWINTELER

01 SCHLOSSEREI

Zwischen Hämmern und Schleifen dröhnt Rockmusik, es riecht nach heissem Metall. Wir befinden uns in der Schlosserei. Vier theaterbegeisterte Metallbauer*innen verarbeiten hier Stahl zu stabilen Bühnenkonstruktionen. Ihre Werke bleiben oft unsichtbar, da sie mit Holz und anderen Materialien verkleidet werden.

02 MASKE

In der Maske reihen sich Gipsabdrücke an Monsterköpfe, daneben eine schier endlose Auswahl an Schminke und Perücken. Elf Mitarbeitende bereiten die Schauspieler*innen auf ihre Auftritte vor, frisieren und schminken. Zudem knüpfen sie massgeschneiderte Perücken – ein Prozess, der oft über 60 Stunden dauert.

03 MONTAGEHALLE

In der Montagehalle wird das Bühnenbild erstmals zum Leben erweckt: Hier kommen alle Einzelteile aus verschiedenen Werkstätten zusammen und werden zu fertigen Bühnenbildteilen montiert. Die Montagehalle kann als Herzstück unserer SchauspielhausWerkstätten bezeichnet werden.

04 SCHNEIDEREIEN

Ratter, ratter: In unseren zwei Schneidereien entstehen prachtvolle Kostüme für die Bühne. Acht Schneider*innen fertigen diese hier an, während zwei Gewandmeisterinnen die Ideen der Kostümbildner*innen umsetzen und mit den Schauspieler*innen die Anproben durchführen. Die Stoffe für die Kostüme beziehen sie häufig aus unserem umfangreichen Stoff-Fundus mit Textilien aus aller Welt.

05 MALSAAL

Sanfte Musik erfüllt den lichtdurchfluteten Malsaal, mehrere Personen streichen mit grossen Pinseln über Holzplatten. Sieben Theatermaler* innen schaffen hier beeindruckende Werke und verleihen Konstruktionen, Möbeln und Wänden den malerischen Feinschliff.

06 REQUISITE

In der Requisite werden die unterschiedlichsten Objekte erschaffen: täuschend echte Kuchen, fliegende Knochen, singende Bücher, aber auch Schleim, Tausende Liter Kunstblut, Pyrotechnik und Nebel. Dabei kommen Materialien wie Silikon, Metall, Holz und verschiedenartige Substanzen zum Einsatz. Dazu ist manchmal echtes Tüfteln notwendig – nicht selten verwandelt sich diese Abteilung in ein kleines Labor.

07 SCHREINEREI

In der Schreinerei lagern Holzplatten in verschiedenen Grössen, daneben Werkzeuge und Maschinen. Im Geruch von Sägespänen arbeiten Theaterschreiner*innen und gestalten aus den Plänen der Konstruktionsabteilung Wände, Räume und bewegliche Elemente.

08 KOSTÜMFUNDUS

Im Meer aus Kleiderbügeln, Jacken, Röcken, Anzügen, Hüten und unzähligen weiteren Kostümen die Übersicht zu behalten, ist alles andere als einfach. Was benötigt eine Wäsche oder Reparatur? Zwei Verwalterinnen kümmern sich um den Kostümfundus und die Anliegen von Kostümbildner*innen, Schauspieler*innen, Schneiderei und Wäscherei.

09 TAPEZIEREREI

Schicke Lederbänke im Stil des Café de Flore in Paris? Wolkige Vorhänge oder aussergewöhnliche Bodenbeläge?

Mit viel Liebe zum Detail wird in unserer Tapeziererei zugeschnitten, gepolstert und vernäht. Drei Tapezierer*innen verarbeiten hier Stoffe, Folien, Schaumstoff und Leder, um gemeinsam mit den Bühnenbildner*innen ein stimmiges Bühnenbild zu gestalten.

Einblicke in unsere Werkstätten erhalten Sie bei unseren öffentlichen Führungen durch den Schiffbau, die wir einmal im Monat anbieten.

Auf der Suche nach Glück und Liebe entsteigt die kleine Meerjungfrau auf Menschenbeinen dem Ozean. Mit viel Glitzer und Make-up zeigen Regisseur Bastian Kraft, unser Ensemble und Stars aus der Drag-Szene die Verwandlung von Körpergrenzen und Geschlechterrollen in einer fulminanten Show de Nixe.

IVY MONTEIRO

« Drag bedeutet totale Freiheit für Teile von dir, von denen du nicht einmal wusstest, dass sie befreit werden müssen. Es ist ein Mittel zur Befreiung für alle, die sich trauen, tiefer in ihrem Innern zu graben und unerwartete Magie ans Tageslicht zu befördern. Drag ist aber auch nur ein Werkzeug, und man braucht Zeit, um den Umgang damit zu perfektionieren und neue Horizonte zu erreichen. Drag hat die Kraft, das politische, soziale und gemeinschaftliche Tun zu prägen, um Systeme der Unterdrückung zu brechen. »

Die afro-brasilianische Künstlerin und Aktivistin Ivy Monteiro lebt in Zürich und gilt als Mitgründerin der Schweizer Ballroom- und Voguing-Szene. Im Oktober erhielt sie den Schweizer Preis Darstellende Künste 2024.

PAPRIKA

« Drag ist die glitzerndste Form des Selbstausdrucks. Für mich ist Paprika mehr als nur eine Rolle; sie ist die Verkörperung meiner Kreativität, meiner Visionen, meiner fluiden Feminitität und vielleicht sogar die authentischste Version meiner selbst. »

Michel von Känel ist queerfeministischer Aktivist und Lehrperson an der Oberstufe. Daneben tritt er als Dragqueen Paprika vor Publikum auf.

KLAMYDIA VON KARMA

«Drag ist die Alchemie der Identität; ein Raum, in dem das rohe, ungeschliffene Selbst in etwas jenseits von Gesellschaft und Realität umgestaltet wird. Es ist nicht nur eine Performance; es ist der Akt, die Erwartungen der Welt zu biegen, bis sie brechen, und eine neue Dimension zu schaffen, in der sich die Grenzen von Geschlecht, Form und Ausdruck auflösen.»

Anis Meschichi forscht an der ETH Zürich, hat frankotunesische Wurzeln und ist Teil der hiesigen queeren Community. Als Klamydia von Karma gewann sie 2023 den Heaven Drag Race.

REZEPT

Poached pears in red wine –gespritzter Roter

180 g Rohrohrzucker

1 Messerspitze Vanille

2 Nelken

1 Scheibe frischer Ingwer

1 Prise Muskat

2 Zimtstangen

2 Streifen Orangenschale (nur das Orangefarbene!)

+ Saft einer halben Orange

750 ml kräftiger Rotwein

200 ml Wasser

Alle Zutaten in einen Topf geben und kurz vors Kochen bringen.

4 Birnen, geschält, halbiert, entkernt dem Topf hinzufügen und 20 Minuten erhitzen. Nach 10 Minuten die Birnen drehen. Nie zum Kochen bringen, sonst ist der Drink am Ende alkoholfrei. ;) Birnen im Wein von der Flamme nehmen und zugedeckt abkühlen lassen. Sie schmecken sehr gut mit einer Kugel Vanilleeis.

Für den Drink: Ein Glas mit Eiswürfeln füllen

(drei müssen oben rausgucken)

1 halbes Glas Birnen-Glühwein

1 halbes Glas Urban Lemonade Birne-Honigbeere

GESCHMACKSACHE

PHILIPP STEVENS ist in der Spielzeit 24 / 25 Regieassistent am Schauspielhaus Zürich. Seine Fähigkeit, Drinks zu mixen, hat er bei einem Aufenthalt in London perfektioniert, wo er die European Bartender School absolvierte. Für einen winterlichen Drink für diese Magazinausgabe hat er sich von einem Dessert in einem Pariser Restaurant inspirieren lassen, für das man Birnen in gewürztem Rotwein kocht. Für den Drink wird der Rotwein anschliessend eingekocht, abgekühlt, und trifft auf Eis und Urban Lemonade mit Birnengeschmack. Ein elegant-dezenter basic Drink, der in der kalten Jahreszeit kalt serviert wird. Cin Cin!

Eure Bank für mehr

Standing Ovations.

Kostenloses SitzplatzUpgrade

Mit über 400 Engagements machen wir mehr für alle. Zum Beispiel beim Schauspielhaus Zürich.

zkb.ch/schauspielhaus

LENA SCHWARZ, LUKAS VÖGLER, NANCY MENSAH-OFFEI, STEVEN SOWAH, MATTHIAS NEUKIRCH, THOMAS WODIANKA
MEIN GESICHT AM 1. JANUAR

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