Seite 4 Das Beste ist der Schweiz immer hinter ihrem eigenen Rücken gelungen. Adolf Muschg zur Lage der Nation.
Seite 14 Anstalten machen – auf den Spuren von Friedrich Glausers „Matto“ im Psychiatriezentrum Münsingen.
Seite 18 Zwei Diener eines Herren: Carolin Conrad und Michael Maertens über Goldonis Stück und seine Figuren.
Journal
April/Mai/Juni 2014
Schauspielhaus Zürich
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Schauspielhaus Zürich und Swiss Re – eine inspirierende Partnerschaft. Ideen, Innovation, Inspiration – bewegen uns bei Swiss Re. Die Zusammenarbeit mit Menschen auf der ganzen Welt begeistert uns. Denn gemeinsam entdecken wir immer wieder neue Perspektiven und spannende Horizonte. Darum fördern wir auch kreatives Engagement und kompetente Leidenschaft – und die lebendige Kulturszene in Zürich. Sie regt an, sie berührt, sie lässt uns staunen und nachdenken. Und Gedanken austauschen, denn: Together we’re smarter. swissre.com/sponsoring
Ba rb vo ar n a Fr ey
Endlich Gefühle! Nebst der Tatsache, dass man in der Schweiz noch nicht richtig begriffen hat, dass das Abstimmungsresultat zur Masseneinwanderungsinitiative einen gesamteuropäischen Hallraum geschaffen hat wie wenige Abstimmungen zuvor und somit auch der autistischen Selbstbetrachtung der Schweiz ein klares Ende gesetzt wurde, ist die ganze Entwicklung hin zu dem folgenschweren Volksentscheid auch schlicht eine Geschichte der unterschiedlichen Bühnenpräsenzen, Performances, man könnte sagen Schauspieltechniken, der zuständigen politischen Akteure.
bevorstehenden Untergang OHNE die ausländische Allmacht, vor deren Einfall das Volkstheater ja gerade gewarnt hatte, nur: Der frostige internationalisierte Technokratenjargon des Neoliberalismus konnte nicht verbergen, dass Zugewanderte wie Einheimische vor allem willkommene Nutztiere für ein über allem stehendes „Wachstum“ sein sollten, und so entstand doppelte Verwirrung ...
Durchgesetzt haben sich im Wesentlichen zwei Formen der Schauspielerei: das bunte Volkstheater der Rechtspopulisten und die mahnenden Grabesmienen der Wirtschaftsvertreter. Trotz der Dauerbehauptung, Schweizerinnen und Schweizer seien in politischen Fragen generell „pragmatisch“, also eher vernunftbetont als emotional, blieb das grosse Gefühlstheater siegreich. Das passt schlecht zur hiesigen Selbstwahrnehmung. Aber aus der schon bekannten einfachen Erzählung des kleinen schlauen Alpenlandes, das alles selber kann, niemanden braucht und vom Getöse der weiten Welt unberührt bleibt, wurde die grosse Oper des von einer nur ungenau definierten ausländischen Allmacht bedrohten Helvetiens, das kurz vor dem Untergang steht. Zu den Waffen, Brüder! Und – äh – Schwestern natürlich auch, obwohl diese in der ganzen Angelegenheit naturgemäss keine allzu grosse Rolle spielen. (Volksheld Blocher im „Spiegel“: „Kleine Länder straft man ab wie kleine Buben!“ Um die Mädchen geht es also sowieso nicht.) Der bewusst infantil gefärbte Theaterdonner von rechts wurde von der anderen Seite zunehmend konsterniert wahrgenommen; man versuchte krampfhaft, das Niveau hochzuhalten – es half nichts, den Beschwörern der eidgenössischen Apokalypse waren die Pferde durchgegangen. Man konnte also nur noch eine Art Gegen-Apokalypse erfinden: den
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Adolf Muschg über die Schweiz nach der Einwanderungsinitiative
12 Transit Zürich – 6 Regisseure, 6 Autoren, 6 Blicke auf die Stadt
18 Carolin Conrad und Michael Maertens im Gespräch über Goldonis Figuren
Man bräuchte zuerst eine unsentimentale Demontage der permanenten schlechten Schauspielerei auf der politischen Bühne, zumal sie Authentizität suggeriert. Ein guter Theaterschauspieler weiss, dass ihm nur eine gesunde Portion Selbstironie helfen kann, die Anforderungen einer komplexen Rolle zu meistern. Nur wenn er sich weit genug wegbewegen kann von sich selbst, erkennt er sich als den anderen. Das kann durchaus beunruhigend sein, aber es macht wach und schützt vor jeglichem Identitätskitsch und der ewigen pathetischen Beschwörung des „Echten“ und „Wahren“. Zeit also für ein helvetisches Theater, das im besten Sinne neben sich steht, damit es wacher auf sich selbst schauen kann. Mit Autismus hat das nichts mehr zu tun, sondern mit der Wahrnehmung, dass auch andere auf der Bühne stehen und mitspielen.
22 Ungefähre Landschaften – ein Ausflug mit Peter Stamm
36 Schicht mit dem Disponenten Walther Schorn
24 Szenen aus dem Repertoire
38 Zweifels Selbstgespräche
26 Ins Theater mit Guy Krneta
40 Situation Rooms – Erweiterte Realitäten
28 In Szene – Christian Baumbach 30 On the Town – Robert Hunger-Bühler und Roger Berbig 34 Helden unserer Zeit – ein junges Team auf Lermontows Spuren
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42 Sie lauschten, wenn er spielte ... – Janosch im Jungen Schauspielhaus 44 Theaterquiz & Kulturtipps 46 Häusermanns Einbildungen
Inhalt
14 Hausbesuch in Mattos Anstalt – Das Psychiatriezentrum Münsingen
Editorial
Nun, wachsen wollen wir ja sowieso, nicht zuletzt, weil wir so klein sind. Aber wohin wollen wir denn eigentlich wachsen? Ins Unendliche? In eine mitleidlose Gesellschaft? Oder in eine womöglich sehr beschwerliche Phase einer neuen Selbstbefragung, für die sowohl xenophobe Heimattümelei als auch ökonomistische Dauerargumentation nicht mehr taugen?
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Ju lia
Adolf Muschg Ăźber die Schweiz nach der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative, den Segen eines gespaltenen Landes und die Kunst, die Dinge nicht zu genau zu betrachten. Warum man den politischen Diskurs nicht mit Pappkameraden und Schiessbudenfiguren bestreiten sollte:
D Re ie ic Fra he g rt en un s d tel M lte ax n Fr is ch
Standpunkt
„Das Volk hat gesprochen, aber was hat es gesagt?“
Haben Sie schon Auswanderung erwogen?* Einen Augenblick vielleicht, um ’68, als ich in Amerika war: Damals hat es mich ernsthaft politisiert. Es war die Zeit der Vietnam-Proteste, der Bürgerrechtsbewegung und Woodstocks. Ich traute mir sogar zu, Englisch zu schreiben, aber das ging vorüber. Ich bleibe Europäer, unheilbar. Glauben Sie, dass sie bald ein Visum beantragen müssen, um nach Berlin zu reisen? So einfältig sind die Deutschen nicht. Würden sie es, so bräuchte ich keines mehr zu beantragen. Soll man überhaupt noch über die Masseneinwanderungsinitiative sprechen? Beziehungsweise, was kann man denn jetzt, ein paar Wochen danach, zu dem Ergebnis überhaupt noch sagen, ohne einer „Simulation von Aktualität“ anheimzufallen? Im österreichischen „Standard“ habe ich gelesen: „Das Volk hat gesprochen, aber was hat es eigentlich gesagt?“ Eine Abstimmung mit hauchdünner Mehrheit ist ein Orakel, das man deuten muss. Meine Deutung: Nicht nur das Stimmvolk war gespalten, sondern die meisten, die abstimmten, waren es auch – ich zum Beispiel. Nein gesagt habe ich zur Abschottung; nicht zum Vorbehalt gegen eine Globalisierung, die eine Völkerwanderung von Armutsflüchtlingen erzeugt. Das heisst: Die Menschheit steht vor einem Problem, zu dem sie nicht Ja oder Nein sagen kann. Sie muss sich ihm stellen. Im nationalen Rahmen geht das nicht mehr. Da die entsprechende Fiktion noch unrealistischer ist als – leider – eine entsprechende Handlungsfähigkeit der „internationalen Gemeinschaft“, habe ich eben ein taktisches „Nein“ eingelegt – da Stimmenthaltung (bei falsch gestellten Fragen eigentlich das allein Vertretbare) wohl nur den Rechtspopulisten gedient hätte. Gewonnen haben sie auch so, und die Schweiz hat verloren.
Roger De Weck sprach im Rückgriff auf den Historiker Jean-François Bergier von zwei alpinen Traditionen: den Alpen als Ort des Rückzugs, des Réduits – und von den Alpenpässen als Orten des Transits, des Handels und Wandels, der Offenheit. Die Schweizer Geschichte sei nichts anderes als der Widerstreit beider Traditionen. Sie schrieben, in ganz anderem Zusammenhang: „Gedächtnis ist kein Luxus“. Ist es auch jetzt zwingend, den Blick zurück zu werfen? Oder müssen wir uns doch an die Geographie wenden? Die Schweiz hat eher geographische Konstanten als eine gemeinsame Geschichte, und diese hat sich daraus gewissermassen bodennah ergeben. Die Legenden, die dem Boden dann aufgesetzt wurden, sind eine Zutat, allerdings eine hartnäckige. Sich an die Geschichte des eigenen Landes ehrlich erinnern heisst für mich: überall auf Vieldeutigkeit stossen und gelten lassen, dass es mindestens ebenso viel Glück wie Tüchtigkeit gebraucht hat, daraus einen Staat zu machen. Damit „Staat zu machen“ ist dann geschenkt. Wer ein Land nur trotz, nicht wegen seiner Brüche und Widersprüche lieben kann, liebt es nicht wirklich, er macht nur einen Fetisch daraus. Der Gotthard ist ein Pass und ein Berg, das ist doch fabelhaft. Er kann ebenso zur Befestigung der sogenannten Identität dienen wie zu ihrer Öffnung.
Was gilt es jetzt zu tun? Volksabstimmungen sind Lernprozesse – das habe ich beim Frauenstimmrecht erlebt. Man muss das Orakel respektieren und kann nur hoffen, dass die Verhältnisse (und die EU) der Schweiz Zeit lassen, die gespaltenen Stimmen neu zu sortieren. Bei gegebener Gelegenheit wird sich Volkes Stimme selbst revidieren. Sein Trotz von gestern pflegt es nicht lange zu kümmern – wenn es der Blocher-Patei nicht gelingt, ihn als identitätsbildendes Merkmal festzuhämmern. Das verhütet man am besten durch Gelassenheit.
Weder Einwanderung noch die Debatte darüber, wie viel Einwanderung die Schweiz „verträgt“, sind neu ... Seit Schwarzenbach hat sich nicht nur die Zuwanderung verändert, sondern auch ihre Wahrnehmung. Damals fürchtete man sich vor den Süditalienern, am meisten da, wo man am wenigsten mit ihnen in Berührung kam: Das bleibt bei allen xenophoben Reaktionen gleich. Man schwärzt das Gesicht des anderen ungestört mit seinem eigenen Schatten ein. Was aber nicht zu leugnen ist: In der Kritik am Ausländer versteckt sich diejenige an der
In Reaktion auf das Abstimmungsergebnis beklagten Sie einen „tiefen Mangel an politischer, kosmopolitischer
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Standpunkt
Substanz“. Sind die Schweizer einfach so oder wie ist sie abhanden gekommen? Das Beste ist der Schweiz immer hinter ihrem eigenen Rücken gelungen. Wenn es sich bewährt, das heisst: Gewinn bringt und Renommee, schreibt sie es sich dann gerne auf den eigenen Leib. Das galt zum Beispiel für das Rote Kreuz – sogar für die „bewaffnete Neutralität“, die einmal ein Diktat des Wiener Kongresses war; genauer: des von seinem Schweizer Lehrer César Laharpe gut beratenen Zaren Alexander I. Zu den kosmopolitischen Kraftquellen des Landes gehört seine Asyltradition. Ohne Mitwirkung von Ausländern hätte es weder eine Zürcher noch eine Berner Universität gegeben, kein Polytechnikum, nicht einmal eine Bundesverfassung oder einen Schweizer Nationalmythos, sei es der von Schiller oder von Zschokke. Auch nicht Nestlé oder Brown Boveri, von Kunstfreunden wie Bührle oder Blocher zu schweigen. Darum war das Signal vom 9. Februar ziemlich selbstvergessen. Nach Schweizer Art lässt es sich nur pragmatisch richtigstellen – ich hoffe, darauf sei auch diesmal Verlass.
Hat Heimat für Sie eine Flagge?* Vielleicht müsste ein Einhorn darauf sein, das ich bei Rilke entlehne: „O dieses ist das Tier, das es nicht giebt.“ Er schreibt es nach alter Orthographie, damit man gleich sehen kann: Es reimt sich auf „liebt.“
Standpunkt
eigenen Wirtschaft, die ihr Interesse zu lange mit dem Gemeinwohl verwechselt hat. Als Klassenkampf wagt sich dieses Unbehagen nicht mehr hervor; es zeigt sich als Ressentiment der Benachteiligten gegen die noch Ärmeren, die unsicher machen, den Arbeitsplatz, die Stellung in der Gesellschaft. Die Reaktion darauf ist nicht mehr sozial, sondern national.
sagen: Wehe einer Kultur, die dieser Spaltung nicht Rechnung tragen kann. Dann wird sie tyrannisch – oder zur Heuchelei. An der deutschen Geschichte lässt sich sogar studieren, dass sich das Beste eines Volkes in sein Schlimmstes verkehren kann. So hat Thomas Mann den Amerikanern 1945 die Deutschen erklärt, und der realistische Pessimismus fügt bei: Diese Verkehrung ist bei jedem Volk möglich, auch beim eigenen, und sogar von heute auf morgen. Darum schützt sich ein Volk, das die Gastlichkeit kultiviert, immer auch vor sich selbst. Was Deutschschweizer und Welsche betrifft, kann man es für ein Glück halten, dass das Verhältnis nicht durch allzuviel Liebe getrübt wird, nicht einmal von ernsthafter Kenntnisnahme. Wie viele Deutschschweizer schalten das französischsprachige Fernsehen ein, wie viele verstehen es noch? Die Schweiz vor 1798 ist einmal nur deutschsprachig gewesen (Freiburg i. Ü. eingeschlossen), dafür haben die Oberschichten mancherorts nur französisch gesprochen. Das war die kulturelle Herkunft einer Gewohnheit, welche Helvetik, Restauration und 1848 überlebt hat. Englisch darf darum nicht zur einzigen Fremdsprache der Schweiz werden. Wenn sie sich überhaupt als „Nation“ definieren darf, so wegen des obligatorischen Anteils, den die Vielsprachigkeit daran hat und das die kulturellen Grenzen übergreifende gemeinsame Interesse. Vielleicht muss man sich sogar hüten, es zu definieren. Zum Glück ist in diesem Punkt auf den schweizerischen Pragmatismus Verlass. Wir sind gross in der Kunst, die Dinge nicht zu genau zu betrachten.
Haben wir es hier mit der Geschichte ein und desgleichen Ressentiments zu tun? Oder was hat sich verändert? Inzwischen hat sich auch das nationale Ressentiment globalisiert: Wir begegnen ihm in allen vergleichbaren Staaten Europas. Typisch für die schweizerische Spielart ist nur, dass sie sich in den anderen nicht wiedererkennen will. Sie nimmt ja für sich in Anspruch, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Aber genau das tun Le Pen, Strache, Wilders und Konsorten auch. Die Basis des Unbehagens ist leider nur zu real, sonst könnten sie es nicht so erfolgreich bewirtschaften. Wie es aussieht, wenn es anfängt, auf Feinde zu schiessen, hat Anders Breivik vorgeführt. Ich frage mich auch, bei der Allgegenwart einer ökonomischen Ratio (deren Hegemonie Sie ja auch scharf kritisieren) – wie konnte das eigentlich passieren, dass die Schweizer gegen ihre wirtschaftlichen Interessen stimmen? Und was lässt sich daraus ableiten? Hier steckt des Pudels Kern. Die Betriebswirtschaft ist zu einer Art Leitwissenschaft der Zivilisation geworden, wie einst die Scholastik; ihr Absolutismus durchdringt alle Bereiche: Ich rechne, also bin ich. Das Merkmal einer Leistung ist das Quantum, mit dem der Rechner operieren kann; andersherum: Was sich nicht rechnet, existiert nicht. Dass dieses Kalkül mit dem realen Leben der Person nichts zu tun hat, ist eine unaufhörliche Quelle ihres Unbehagens. Wir leben nach keinem Computermodell, wir sterben nach keiner Statistik – aber nicht nur Lebensversicherungsanstalten, auch Regierungen, Universitäten, das Gesundheitswesen verhalten sich so, als täten wir es doch. Dazu kann man, frei nach Lichtenberg, nur sagen: Wer nur das Rechnen versteht, versteht auch das nicht recht. Da wird es fast zum Hoffnungsschimmer, wenn die Schweizer gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Genauer: einen Unterschied wagen zwischen den Interessen der Wirtschaft und ihren eigenen. In diesem Punkt kann man sogar der Abstimmung vom 9. Februar etwas abgewinnen.
Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders?* Vielleicht eben dies, dass sie den Intellektuellen nichts schenkt, auch keine sonderliche Beachtung. Damit dies nicht zu masochistisch klingt: Ich rede von der Schweiz, nicht von „Heimat“. Diese suche und finde ich bei Menschen und in der Kunst, nicht in einem Territorium. In einem Kommentar in der „Welt“ meinten Sie, das Abstimmungsergebnis sei auch eine Reaktion auf die „Kulturelle Enteignung“ – was genau meinen Sie damit? Ich meine das Gefühl, dass der Wert, den man mit sich selbst verbindet, von anderen nicht gesehen, geschweige denn gewürdigt wird. Dass man sich im eigenen Land (aber wie viel gehört einem davon wirklich?) enterbt, enteignet vorkommt – und sich, als Wettbewerbsverlierer, daran auch noch selbst die Schuld geben soll. Steckt hinter der Masseneinwanderungsinitiative eine Ideologisierung des Provinziellen? Es sind ja gar nicht so sehr die urbanen, vom „Dichtestress“ geplagten Bewohner der Ballungsgebiete, die da ihr „Eigenes“ verteidigen wollen? Je weniger einer ist und hat, desto mehr braucht er einen, auf den er immer noch hinuntersehen kann. Das ist der Kern des xenophoben Ressentiments, seine Kehrseite ist die Selbstgratulation, und sie klingt umso schriller, je weniger Grund man dazu hat. Für diese
Die Schweiz zeigt sich ja an der Urne stark gespalten – in die weltoffene, urbane und französische Schweiz und eine ländliche Deutschschweiz. Muss man das Land grundsätzlich als gespalten betrachten? Oder wie kann man das Verhältnis Deutschschweiz – Romandie verstehen? Der Mensch ist – das unterscheidet ihn vom Tier – selten oder nie ein ungespaltenes Wesen. Fast möchte man
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Standpunkt
Verfassung ist das Wort lassen, sondern auch von ihrer „provinziell“ zu idyllisch: föderalistischen Kompetenz, Das bleibt bei allen xenophoben Man braucht Feinde und sorgt ihrer Minderheitenpolitik, ihrer dafür, dass man sie kriegt. Praxis der Subsidiarität – Reaktionen gleich. Man schwärzt Dass „Dichtestress“ kein alles europäische Mangelware, das Gesicht des anderen ungestört von deren Export sie selbst messbarer Befund ist, erkennt man daran, dass Kulturen – am meisten profitieren könnte. mit seinem eigenen Schatten ein. wie die japanische – die ihn viel eher haben müssten, Sie schrieben einmal, der damit zivil zurechtkommen. Geist Europas zeige sich im Dennoch ist „Übervölkerung“ Umgang mit Differenzen. Die kein Phantom. europäischen Nachbarn geben Das Bevölkerungswachstum zu, dass sie bei sich ähnliche der Armen und das Abstimmungsergebnisse Wirtschaftswachstum der befürchten würden, hätten Reichen vertragen sich gleich sie ebenfalls eine direkte zweimal nicht mit den Ressourcen des Planeten, die Demokratie. Muss uns das Sorge machen? begrenzt sind – an Raum, Nahrung, Wasser und Luft. Wenn wir das reichste Land Europas bleiben wollen, täten wir gut daran, uns die Sorgen der anderen zu Wie sähe denn eine Schweiz aus, die sich erfolgreich machen – oder zu erkennen und anzuerkennen, dass es nach aussen hin immunisiert? auch unsere Sorgen sind. Was die direkte Demokratie Eine Provinz der Säulenheiligen? Selbst wenn sie sich die betrifft: Alleinseligmachend ist sie auch in der Schweiz Wüste dazu selbst besorgt hätten – sogar Heuschrecken nicht gewesen und wurde ja auch erst 1874 eingeführt, und wilden Honig müssten sie importieren. gegen den Widerstand erprobter Demokraten wie Gottfried Keller. Im Kleinstaat ist sie inzwischen das Warum gibt es keine heimatlose Rechte?* Mittel der Wahl geworden, und etwas mehr davon könnte Es gibt nur eine heimatlose Rechte. Die militante auch Europa vertragen. Nur: Nicht jede Materie eignet Behauptung von Heimat ist das untrüglichste Zeichen, sich für Ja/Nein-Entscheidungen. Sie haben ja etwas wie sehr diese fehlt. Staatsstreichartiges und zwingen die Amtsträger zur vorsorglichen Leisetreterei, pardon: Konkordanz. Auch Sie haben die Schweizer als „ungeschickte Europäer“ vor dem 9. Februar wagte der Bundesrat dem Volk bezeichnet und gelten als einer der prominentesten nicht allzu deutlich zu sagen, was auf dem Spiel stand, Verfechter des europäischen Gedankens in der Schweiz. aus Angst, das wäre Wasser auf die Mühle der trotzigen Das Schweizer Ja zur Masseneinwanderungsinitiative ist Patrioten. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. vielleicht die zweitgrösste Schlappe nach der Ablehnung In der Regel hält der Geist der Konkordanz den Schaden des EWR – wie kann sie aussehen, die Zukunft der im Rahmen, aber es ist wie in einer Schulklasse: Ein Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa? einziger Rüpel kann den Stil verderben, und die typisch Ungeschickte Europäer – damit meine ich: nicht sein schweizerische Erwartung, es werde auch anderswo alles wollen, was man ist. So hat Kierkegaard den Ausdruck nicht so heiss gegessen wie gekocht, könnte grausam der Verzweiflung umschrieben; das scheinbare täuschen. Die übrige Welt lässt sich unser Brauchtum Gegenstück lautet: sein wollen, was man nicht ist. nicht diktieren und auch ihre Lesart von Demokratie nicht Tellensohn, Hirtenknabe, eidgenössische Unschuld ... disqualifizieren. Parlamentarische Demokratie ist nicht Es ist natürlich zweimal derselbe Befund und per se unreif, weil sie sich getraut, ihre politischen witzigerweise sind die meisten dieser Selbstbilder Entscheidungen an Vertreter zu delegieren und ihnen alle europäische Inszenierungen, welche die Schweizer vier Jahre zu zeigen, ob sie damit leben will oder nicht. dankbar übernommen haben. Also angeeignete Fremdarbeit, wie die erhabene Schönheit der Alpen, Hätte man im Abstimmungskampf, müsste man auf welche englische Reisende im 18. Jahrhundert allgemein stärker auf ein positives Europabild setzen, kommen mussten; den Einheimischen selbst waren sie als auf der Ebene der Rechten zu argumentieren? zuvor nur als Hindernisse einer feindlichen Natur Seit der EWR-Abstimmung 1992 ist es in der Tat so, aufgefallen, und die luzernische Obrigkeit hatte sogar dass die SVP die Agenda setzt und die anderen die Besteigung des verfluchten Pilatus verboten. Parteien vor sich hertreibt – während sie zugleich davon Aber kulturell und sogar strukturell bleibt die Schweiz profitiert, dass sie diese für ihre Entscheidungen – oder ein Kernland Europas, ob sie will oder nicht. Die Kantone Versäumnisse – ungestraft zur Verantwortung ziehen haben sich ähnlich zusammengerauft wie die EU, und sich als „wahre“ Repräsentation des Volkes aufführen auch wenn der Sonderbundskrieg glücklicherweise kein kann. Die grösste Partei des Landes spielt zugleich Weltkrieg war. Ich wünschte, die Schweizer würden die beleidigte Minderheit. Mit diesem Doppelspiel hat sie dem vereinigten Europa nicht nur etwas von ihrem Glück der „politischen Klasse“ den europäischen Mut und die
Standpunkt grenzüberschreitende Phantasie fast ganz ausgetrieben. Für die SVP ist das ein Win-win-game, in dem die EU die Rolle des Bösewichts spielen muss: Wer sich etwas anderes vorstellen kann, gilt als Überläufer und hat schon verloren.
nicht. Sonst wird der Planet unbewohnbar, auch für seine vermeintlichen Profiteure. Da Homo, genannt sapiens, in seiner emotionalen Ausstattung auf kurze Frist programmiert ist, und weil auch der ökonomische Wettbewerb nur mit dieser rechnen gelernt hat, ist allerdings schwer zu erkennen, wo der ökologisch zwingende Gemeinsinn herkommen soll. Sind für seine Herstellung unzweifelhafte Katastrophen nötig, wie für den Zusammenschluss Europas, und müssen sie apokalyptische Dimensionen erreichen? Ich fürchte, dagegenhalten könnte nur eine radikale Umkehr der
Sie warnen vor der ökonomischen Raison, die als „hegemoniale Potenz“ schreckliche Vereinfachungen hervorruft. Welche Raison könnte Alternative sein – und universell genug? Ohne Ökonomie geht nichts; mit Ökonomie allein auch
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Sich an die Geschichte des eigenen Landes ehrlich erinnern heisst für mich: überall auf Vieldeutigkeit stossen ...
Welche Fragen sollten wir jetzt stellen? Und sind Künstler, Autoren, Intellektuelle besonders gefragt? „Gefragt“ vielleicht – wenn auch auf dem Markt nicht sonderlich nachgefragt. Künstler und Intellektuelle sind von Haus aus dieselben Miststücke wie ihre Artgenossen und aus demselben Lehm Adams gebacken – nur: Ihr Beruf verpflichtet sie dazu, es zu wissen und mit diesem Material zu arbeiten. Und ihre Neugier geht weit genug, es auch wissen zu wollen. Das Fragwürdige des Menschen bearbeiten, führt zuverlässig dazu, in der Frage – am meisten in der störenden und verstörenden – die Würde zu erkennen. Und für die Erfahrung bereit sein – vielleicht hie und da auch andern die Augen zu öffnen – dass es auf alle zentralen Fragen des Menschen, keine Antworten gibt als noch grössere Fragen. Die Religion verspricht Antworten; Kunst und Geist stehen dafür, dass die Frage offen bleibt. Und sie lassen es sich auch nicht nehmen, der Antworten zu spotten. Diese Art von Pietät macht sie nicht populär. Ich überspitze ein bisschen: Wenn ausländische (meist linke) Medien, die fremdenfeindliche, sich abschottende Schweiz zeigen wollen, laden sie Roger Köppel ein (oder, wenn der verhindert ist, eben Christoph Mörgeli), möchten sie „die Stimme der Schweizer Vernunft“ in ihrem Programm, werden meist Sie befragt. Haben Sie diese Rolle manchmal über? Die Medien leben nun einmal von bestimmten Rollenerwartungen – man muss sie ja nicht auch noch erfüllen. Man kann sie unterlaufen. Wann beginnt eine Figur auf der Bühne interessant zu werden? Wenn sie sich von einer unerwarteten Seite zeigt. Wenn Richard III. oder Lady Macbeth Sätze sagen, die haften und einem nahe gehen – weil sie nicht zur Rolle des Bösen passen. Daraus hat Goethe sogar die treibende Kraft seines Hauptwerks gemacht: eine Tragödie des
Lebensgewohnheiten – und den neuen Fundamentalismus, der dazu gehören würde, fürchte ich fast noch mehr. Vielleicht bleibt nur Goethes beinharter Trost: „Wer nicht verzweifeln kann, der muss nicht leben.“ Es steht leider nirgends geschrieben, dass der Herr der Schöpfung dauerhaft für sein eigenes Überleben programmiert ist. „Ich sehe nicht schwarz“, sagte Karl Kraus, „ich sehe nur.“ Haben Sie eine zweite Heimat?* Ja, eine sehr wenig gemütliche: die Kunst. Denn man kann zu ihr nur immer unterwegs sein, ankommen nie.
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Standpunkt
Was können wir vom Nomaden lernen? (Oder sind wir es längst alle selbst?) Ja, die Frage lautet schon eher: Wie und was lernen wir aus dem, was wir schon tun? Wenn uns die Beweglichkeit passt, und da, wo wir sie uns wünschen, nennen wir sie „Mobilität“; wo sie unfreiwillig ist und uns nicht passt, heisst sie „Flucht“, und immer öfter lässt sich beides nicht mehr unterscheiden. Aus der Geschichte von Kain und Abel möchte man schliessen, dass der nomadische Hirt friedfertiger sei, weil er dem Konflikt ausweichen kann, während der sesshafte Ackerbauer zur Waffe greifen muss, um Grund und Boden zu verteidigen. Die moderne Gesellschaft hat Züge von beidem und kreiert ihre symbolischen Leitbilder bald nach dem einen, bald nach dem andern Modell. Das gewissermassen verträglichste, das ich mir vorstellen kann, hat einen evangelischen Touch: „Haben, als hätte man nicht.“ Das halte ich für eine Vorstellung von Lebenskunst, mit der man nicht nur gut leben, sondern auch gut sterben könnte.
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Zum Glück ist auf den schweizerischen Pragmatismus Verlass. Wir sind gross in der Kunst, die Dinge nicht zu genau zu betrachten. Chalet, ca. 1940 Infanteriebunker, Gampelen BE
Mephisto, neben dem Faust, der ewige Streber, immer schlechter aussieht. Am Ende ist er nur noch durch die Ironie des Theater-Himmels zu retten. Nein, als „Stimme der Vernunft“ sehe ich mich nicht gern – oder nur so lange, als sie auch im Dienste der Phantasie steht, also der „Unvernunft“ ihre Stimme leiht.
nächsten Mal. Da die Schweiz nur in einfältigen Köpfen eine Insel ist, hat sie mit ihrem Nein zu Tatsachen, über die sie nicht verfügt, diesmal mehr Schaden angerichtet als bei früheren Volksabstimmungen. Der Eigenschaden ist noch unabsehbar und hängt – eine paradoxe Folge der SVP-Strategie – noch mehr als sonst vom Wohlwollen „fremder Richter“ ab. Man darf gespannt sein, wie bald und auf welchem Umweg es Volkes Stimme fertig bringt, sich selbst aus einem unbedachten Wort zu entlassen. Ich bin zuversichtlich, dass die List der Vernunft hierzulande auch nach dem Votum der Unvernunft wirksam bleibt. Wie viel Heimat brauchen Sie?* Immer noch so viel, dass ich inmitten fremdbestimmter Grössen – sie beginnen nicht bei der globalen Markwirtschaft und hören bei meinem eigenen Körper nicht auf – immer noch zu Hause fühle, das heisst frei genug für die Frage: Was brauche ich wirklich, und: Was brauche ich wirklich nicht?
Sie schrieben auch von der europäischen Schadenfreude über „das Land reicher Hirten, die sich mit der Armbrust ins eigene Bein geschossen haben“. Steckt in dem Abstimmungsergebnis auch eine Chance? Ist da eine Lektion zu lernen? Schadenfreude ist immer kurzsichtig; der Schaden, den mein Zeitgenosse heute erleidet, ist morgen schon mein eigener. Die Schweiz ist ein Stück Europa, ob sie es wünscht oder nicht, und das Beste am Schaden bleibt, dass er vielleicht klüger macht – bis zum
*Manche der Fragen wurden aus „HEIMAT – ein Fragebogen“ von Max Frisch entlehnt. Der Fragebogen wurde 1971 von Max Frisch während eines USA-Aufenthaltes entworfen. Er ist in Gänze nachzulesen in: Max Frisch, Tagebücher 1966 –71, Frankfurt a.M.
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Standpunkt
Sie haben einmal geschrieben: „Wer die Realität nicht in der Möglichkeitsform lesen kann, wird sie auch nicht gestalten können.“ Was könnte, sollte, müsste denn die Kunst jetzt tun, um angesichts dieses Ergebnisses wieder „den Möglichkeitssinn“ zu aktivieren? Die Antwort darauf entnimmt man am besten der Alltagserfahrung. Sehen wir uns doch ein Wort wie „Identität“ näher an. Im politischen Diskurs spielt es die Rolle einer Fahne (für die eigene Seite) und eines Totschlägers (gegen die andere Seite). Und dabei ist die Vorstellung einer soliden Identität doch reiner Humbug, höflicher gesagt: eine Fiktion. Sobald wir uns unter Menschen begeben, entwickeln wir eine mehrfache Identität: mit unserem Partner sind wir andere als mit unserem Chef oder der Dame an der Ladenkasse, wenn wir Kinder haben, verhalten wir uns mit jedem anders und erscheinen ihnen auch als andere(r); wir tragen nicht nur verschiedene Hüte, wir spielen auch andere Rollen, wir sind andere – und das ist nicht nur unvermeidlich, es ist ein Glück, und oft auch eine Kunst. Darin liegt die Chance unserer eigenen Entwicklung. Ohne praktizierten Möglichkeitssinn würden wir die Realität gar nicht bestehen. Sie ist selbst immer eine andere – und in Grenzen veränderbar. Und da sollen wir ausgerechnet den politischen Diskurs, wo es immer auch ums Ganze geht, mit Pappkameraden und Schiessbudenfiguren bestreiten? Leider gewöhnt uns die digitale Revolution an die Vorstellung, komplexen Verhältnissen sei durch Reduktion auf 0 oder 1 beizukommen. Funktionierten auch unser Gehirn – oder unsere Gefühle – so, wären wir längst ausgestorben, vielmehr: Es hätte nie eine Evolution gegeben. Denn diese stützt sich auf Mutationen – also darauf, dass die Kopie einer genetischen Information nicht identisch ist mit dem Original. Die Kunst tut nichts anderes, als den lebensrettenden Prozess der Abweichung weiterzuspielen. Für die Verwalter der Identität bleibt er ein Fehler, die hoffnungslos Korrekten behandeln ihn als Sünde oder Verrat.
Transit ←→ Zürich
Transit
Transit – Der Begriff bezeichnet Verkehrs-, Migrations- und andere Bewegungen, die einen Raum durchqueren (auf der Erde) oder das „Zusammentreffen zweier astronomischer Objekte“ (im All). Er umfasst Migrationsgeschichten ebenso wie einen zeitgenössischen Daseinsmodus, der sich zwischen immer neuen Orten und Lebensentwürfen bewegt. Ausgehend vom Stichwort Transit unternehmen sechs junge europäische Regisseure und sechs in der Schweiz verwurzelte Autoren Streifzüge durch die Zürcher Stadt- und Migrationsgeschichte. Sechs kurze neue Texte entstehen und werden in Werkstattinszenierungen unter freiem Himmel präsentiert. Das Transitorische ist Prinzip: vorübergehende Begegnungen, viel Improvisation, Übersetzungsvorgänge und damit auch die Chance, die verschwommenen Grenzen zwischen Eigenem und Fremden weiter zu befragen. Ein assoziativer Zwischenstand:
Nicolas Charaux – Ivna Žic Da steht ein Busbahnhof mitten in der Stadt, etwas schräg neben dem Hauptbahnhof, etwas links von der Limmat, aber knapp zu weit, als dass man die Limmat noch so richtig sehen würde. Und da sind die Buschauffeure und sie sehen noch immer genau gleich aus, seit 27 Jahren und wahrscheinlich auch schon länger, sie sind höchstens etwas älter geworden, und ihre Fingerspitzen sind gelber von den vielen Zigaretten und ihre Gesichter noch bleicher, seit 27 Jahren schlafen sie tagsüber und fahren nachts diese Busse quer durch Europa, Richtung Süden, Richtung Osten, und dann wieder zurück, hellblaue Hemden, adrette Hosen, glänzende Schuhe, bleiche Gesichter, und das sind die alten Busse, früher Gastarbeiterbusse, mit denen man keine Arbeitszeit verloren hat, heute Ferienbusse, heute Familienbusse, heute eine vielleicht billigere Variante zum Zug oder Flug, vielleicht, und seit immer und immer noch der selbe Ablauf: Abfahrt abends nach der Arbeit, Ankunft frühmorgens, eigene Zeitregeln auf grauem Asphalt, tausend Kilometer durch die Nacht, Tankstellen, Toilettenschlangen, Italien, schlechte Filme auf kleinen Bildschirmen im Bus, der Geruch von Abgas, und am nächsten Morgen die Ankunft dort, von wo man vor langer Zeit einmal weggegangen ist.
Sebastian Kreyer – Katja Brunner REQUIEM 13 „VOM KÖPFEN DER TAUBEN VOM JAGEN DER RATTEN VON DENEN, DIE DIE RATTEN MIT DEN TAUBEN VERWECHSELTEN UND EIGENTLICH IGEL WAREN FEIGHEIT, DEIN KREUZ IST WEISS. VON DENEN, DIE NIE VON ETWAS WUSSTEN, DENN ES WAREN DIE SKIER STETS FRISCH GEWACHST, ES WAREN DIE BUTTERBROTE IMMER ZU SCHMIEREN BEREIT.“ Eine arglose Beisetzung Regie Sebastian Kreyer (D), Text Katja Brunner
Die Menschen passen nicht in die Landschaft Regie Nicolas Charaux (F), Text Ivna Žic
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Anestis Azas – Daniela Janjic
Kamila Polívková – Darja Stocker
Wenn Du willst, dass ich deinen Widerstand anerkenne dann leiste ihn auf einem Niveau, das mir hier oben entspricht.
Eine Autorin aus Zürich und eine Regisseurin aus Prag treffen sich, in Zürich, Berlin, Prag – in einem Raum, den das Schauspielhaus Zürich geöffnet hat und fragen sich: Worüber wollen wir auf der Bühne denn sprechen? Welche Fragen sind die dringlichsten – bei ihr, bei mir, hier und dort – wobei auch das hier sich vertauscht, verschiebt, fortbewegt. Was haben wir uns zu sagen? Wo gibt es Verbindungen? Was bringt unser jeweiliges Weltbild durcheinander? Wir fragen uns: Aus welcher Situation heraus beschliessen wir, einen Ort zu verlassen, wie nehmen wir die Situation an einem uns erst einmal fremden Ort wahr? Wozu bewegen wir uns auf unbekannten Boden? Diese Fragen führen uns grundsätzlich zu: Welches Leben wollen wir leben? Welche Erfahrungen, Begegnungen zu welcher Zeit an welchem Ort halten wir für wertvoll? In welchen Situationen fühle ich mich wertvoll – und wann zweifle ich daran? Wann reicht es, wann muss ich hier weg? Komme ich wieder? Gibt es noch auswandern oder gibt’s nur noch Transit? Und ist das eine ein Privileg – oder das andere?
Oder: Wenn du willst, dass ich dich höre, gehöre keiner kleinen Gruppe an, deren Probleme keinen interessieren. Ich befinde mich also in einer halb leeren Wohnung umgeben von lauter halb gewollten Dingen. Die Selbstgerechten Regie Anestis Azas (GR), Text Daniela Janjic
Precious Regie Kamila Polívková (CZ), Text Darja Stocker
Transit
Jordi Faura – Lukas Linder Ich will Tee trinken. Aber nicht diesen verdammten Lindenblütentee. Fahr zur Hölle, Zürich, mitsamt deinem schwärenden Lindenblütentee, mit deinem Münzentee und vor allem siedendes Öl über deinen Hagenbuttentee! Oh russischer Tee. Oh russische Kehle, die damit gurgelt. Oh russisches Herz, das in russischem Tee badet. Oh Lenin. Ich habe seine Augen gesehen. Ich habe in seine Augen gesehen. Sie schwammen an der Oberfläche seines dialektischen Denkens. Obenauf. Wie ein Fels in der Brandung. Sogar wie zwei Felsen in der Brandung!
Bram Jansen – Daniel Mezger Man muss sich das mal vorstellen: Da wächst man in ärmsten Bedingungen auf, um wegzukommen heiratet man früh, wird vom Mann geschlagen und in das hineingezerrt, was man so Showbusiness nennt. Unter fremdem Namen reist man um die halbe Welt, um endlich dem Mann und den Schlägen zu entkommen und kommt endlich an in Zürich. Und darf hier nicht mal arbeiten. Das hier ist Transit Zürich, verwechsle das bloss nicht mit einem Zuhause. Wie jeder Transitraum regt auch dieser dazu an, sich neu zu erfinden. Welche Geschichte will ich haben. Wer will ich sein. Aber in Zürich, da ist man besser wer. Wer wie Tina. Zum Beispiel.
Toter Mann (Gapon) Regie Jordi Faura (ES), Text Lukas Linder
Transit Zürich Eine internationale Theater-Plattform Schiffbau/Atrium, Premieren am 22. und 27. Mai Unterstützt von der Adolf und Mary Mil-Stiftung
Tina und Ich Regie Bram Jansen (NL), Text Daniel Mezger
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Im Mai hat Sebastian Nüblings Bühnenadaption von Friedrich Glausers Roman „Matto regiert“ im Pfauen Premiere. Wachtmeister Studer ermittelt in der „Anstalt Randlingen“. Ganz unmissverständlich schrieb Glauser aber einen Roman über die Klinik Münsingen, den Ort, an dem er selbst Jahre seines Lebens interniert war. Mit der Bühnenbildnerin Muriel Gerstner gehen wir auf Spurensuche: ein Hausbesuch im Psychiatriezentrum Münsingen. 14
A nd re as vo Ka n rla ga ni s
Die Ritze im System
„Das Innenleben entwickelt sich bei Glauser über die Räume. Wie wenn das Unbewusste als räumliche Konzeption die Geschichte vorantreiben würde.“ (Muriel Gerstner)
Damals und heute Im Mitteltrakt sind wir zum Gespräch verabredet. Marion Ebinger, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, führt uns hinauf in den dritten Stock. Nur wenige Meter von hier dürfte sich im Roman Laduners Wohnung befinden. Dr. Martin Borner erwartet uns schon. Er arbeitet als Psychologe in der Klinik und ist der Glauser-Experte vor Ort. Kurz darauf der Auftritt des Direktors Dr. Rolf Ineichen: Er ist, wenn man so will, Laduners Nachfolger. Der Klinikdirektor – man kennt ihn aus Geschichtsbüchern und Kriminalfilmen als gottgleiche Gestalt, auch, wenn man an die Schweizer Persönlichkeiten in dieser Profession denkt: Auguste Forel, der die Zürcher Klinik Burghölzli gross machte (und eine Zeit lang die Tausendernote schmückte), Eugen Bleuler, der Namensgeber der Schizophrenie, und Max Müller, der die Klinik Münsingen nach dem Rücktritt seines Vorgängers Ulrich-Leiche-im-Keller-Brauchli leitete. Die Schweizer Psychiatriegeschichte liest sich wie die Königsdramen bei Shakespeare: Freundschaft und Verrat (Jung vs. Freud), Aufstieg und Niedergang (Brauchli vs. Müller). Heute, enttäuscht uns Ineichen,
Hausbesuch
Steigt man am Berner Hauptbahnhof in die S-Bahn Richtung Thun und schaut rechts zum Fenster hinaus, sieht man sie schon, die Landstrasse nach Münsingen, die Wachtmeister Studer nimmt, um zur Anstalt zu fahren. An der Station Münsingen erkennt man auch Studers Ziel: Majestätisch ragt sie in den verregneten Himmel, die psychiatrische Klinik. „Münsingen links“ nennt man sie im Ort. Glauser selbst hat den Weg dorthin fünf Mal zurückgelegt. Im Hof der Klinik verliert sich der Blick rasch im Detail. Bis aufs Kleinste kann man den Weg von Studers Ermittlungen räumlich verfolgen: Geradeaus die Küche, die jetzt eine öffentliche Kantine ist, hinten rechts die U1, wo sich im Roman die unruhigen Patienten aufhalten, oben im Mittelgebäude das Dachgewölbe, aus dem der arme Pfleger Gilgen springt und sogar das Casino hat man direkt vor Augen. Hier wird die „Sichlete“ gefeiert, während der Mörder den alten Direktor in den Heizungskeller stösst. Die Treppe dorthin findet man links in der Ecke zwischen Mitteltrakt und Seitengebäude. Bei seinem Erscheinen sorgte der Roman „Matto regiert“ für einen Eklat. Einen Klinik-Direktor ermorden – wenn auch nur in einem Buch – das war Mitte der 30er-Jahre eine Unvorstellbarkeit. Im Zentrum des Krimis steht die Begegnung zwischen Studer, dem ewig scheiternden Wachtmeister, und Doktor Laduner, der Studer in die Anstalt ruft, um den Mord an seinem Vorgänger aufzuklären. Obschon Glauser im Vorwort betont, dass alles frei erfunden sei („Man wird wohl noch Geschichten erzählen dürfen“), ist klar, dass er einen Schlüsselroman vorlegte. Mit der ambivalenten Figur des Laduner setzte er seinem „Todfreund“, dem Psychiater Max Müller, ein literarisches Denkmal. Müller betreute Glauser über Jahre als Patient.
Hausbesuch
sind die Verhältnisse anders gelagert. Was auch daran liegt, dass der Mikrokosmos dieser Anlage nicht mehr im selben Masse existiert. Früher lebten alle beieinander. Man übernachtete gemeinsam auf dem Gelände, was heute nur noch selten vorkommt, und war in erster Linie fleissig: Auf vier Ärzte kamen 1000 Patienten, auf sechs Tage Arbeit ein freier Tag, an dem die Angestellten ihre Familien sehen durften. Seit Aufkommen der modernen Behandlungsmethoden, die seit den späten 50er-Jahren auf Psychopharmaka basieren, findet Psychiatrie nur noch zu einem kleinen Teil in der Klinik statt, sondern vor allem in den Praxen. Dennoch: Die Zahl der Hospitalisationen ging nicht zurück. Aber die Aufenthalte wurden kürzer. Die Klinik unterhält heute 400 Betten, 50 Ärzte und 20 Psychologen.
Die Schweizer Psychiatriegeschichte liest sich wie die Königsdramen bei Shakespeare: Freundschaft und Verrat (Jung vs. Freud), Aufstieg und Niedergang (Brauchli vs. Müller).
Geschichte“. Der zerbrechliche Schriftsteller mit schwierigem Leben baut sich als Konstrukt einen Vaterersatz, den Wachtmeister Studer, und lockt ihn hinter die dicken Mauern der Psychiatrie. Studer verirrt sich. Hinter den Mauern wird die rationale Schlusslogik des Detektivs ausser Kraft gesetzt.
Glauser wusste, dass das „Normale“ vom „Verrückten“ nicht zu trennen war. Damit stand er in einer langen Schweizer Tradition der Unangepassten, die man gerne pathologisierte und zu Kranken machte. Die Diagnose, die Glauser in die Anstalt zwang: Dementia praecox. Später stufte man ihn als schizophren ein. In Wahrheit war er morphiumsüchtig. Laut Borner eine klassische Fehldiagnose, aber es gab Gründe, warum man diese gestellt habe. Sein Vater wollte ihn vor juristischer Strafverfolgung bewahren, der er sich als Folge seiner Sucht hätte stellen müssen. Was gelang. Dennoch, seine Freiheiten wurden massiv eingeschränkt. Man stellte ihn unter amtliche Vormundschaft und erklärte ihn für eheunfähig. Es waren Mauern der Angst und Glauser fand ihre Ritzen. Er führte den Schweizern die Relativitäten vor Augen: „Wir sind allesamt Mörder, Diebe und Ehebrecher“ erfährt Studer von Dr. Laduner. Ein schmaler Grat also, von Hüben nach Drüben. Muriel Gerstner sucht in der Bühnenumsetzung diesen schmalen Grat. Sie setzt als Zeichen einen Rahmen in die bürgerliche Institution am Pfauen, der Ritzen hat und eine unsaubere Schnittfläche zwischen Theaterraum und Portal aufweist. Und die arbiträren Grenzen ausstellt. Grenzen, die in Münsingen überschritten wurden.
Mauern, die trennen Der Geist der Vergangenheit ist noch deutlich zu spüren. Das liegt wohl auch an der hufeisenförmigen Architektur, typisch für die Entstehung um 1890. Man findet ähnliche Konzepte aus dieser Zeit für Schulen und Kasernen. Es sind Modellstädte, zentralistisch geführt, die durch ihre Monumentalität deutliche Grenzen ziehen: Hier die Normalen, dort die Verrückten. Lange war die Klinik umzäunt. So hielt man sich in Münsingen die Irren vom Leibe. Nur deren Schreie hörte man bis ins Dorf. Beim sonntäglichen Spaziergang zur Klinik machte man Halt in den unruhigen Abteilungen und „hielt Interaktionen“. Für Kinder war es eine Attraktion, einen Patienten zu sehen. Selbst als die Gitter fielen und man den Park als Naherholungsgebiet öffnete, mit Kinderspielplatz mitsamt Dampfbahn, gab es viele, die es nie geschafft haben, einen Schritt über die Schwelle zu setzen. Es blieb eine starre Grenze. Das bezeichnet ein generelles Problem, mit dem auch die heutige Psychiatrie zu kämpfen hat. Randgruppen werden aus der Gesellschaft ausgegrenzt, um die „Bevölkerung zu stabilisieren“. Die Zeit damals war geprägt von mächtigen Vaterfiguren. Glauser rechnet im Roman mit vielen Vätern aus seinem Umfeld ab, auch mit seinem leiblichen. Der Psychologe Borner bezeichnet es als „ödipale
Ambivalenz und Verführung Zwischen Glauser und seinem Psychiater Müller herrschte eine gegenseitige Geschichte der Verführung. Müller entdeckte als einer der wenigen Glausers Talent und liess sich gleichzeitig von ihm einnehmen. Eine Gegenübertragung, wie man in der Psychoanalyse sagt, die nicht hätte stattfinden dürfen. Glauser durfte Müller in seiner Wohnung besuchen, hatte ein nahes Verhältnis zu seiner Frau. Heute hätte man Glauser, so
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Zustandsbildern, die er als Kriegstraumatisierte im Kampf in der Wirtschaft bezeichnet. Sie sind Aufsteiger aus der Zeit der Grosskonjunktur, die dem Druck der Überlastung heute nicht gewachsen sind und weisen Symptombilder auf, die den neurologischen Krankheitsbildern, wie sie in Kriegen auftauchen, gleichen. Das Burnout könne parallelisiert gedacht werden mit Zuständen im Krieg, vergleichbar mit dem „Soldier-Heart“ im Koreakrieg oder dem „Golfkriegssyndrom“ im Irakkrieg. „Diese Leute werden wirklich verbrannt“, sagt Ineichen, kurz bevor wir uns auf den Rundgang durch die Räume der Klinik machen. Der Satz hallt nach. „Das Innenleben entwickelt sich bei Glauser über die Räume. Wie wenn das Unbewusste als räumliche Konzeption die Geschichte vorantreiben würde“, meint Muriel Gerstner. Es ist der Blick ins Detail, der einem das ehrfürchtige Monument, diese Modellstadt, lebendig scheinen lässt. Gemeinsam mit Marion Ebinger passieren wir die Originalschauplätze, die sich in der Realität verändert haben: Im Heizungskeller steht nun ein Schreibtisch. Der Estrich ist eine Rumpelkammer. Am äusseren Rand der Komplexes entdecken wir in Säulen geritzte Miniaturen. Über Jahrzehnte haben sich hier Patienten verewigt. Vielleicht sind auch welche von Glauser dabei. Ritzereien, welche die verschollenen Geschichten in den Mauern dieser Modellstadt erahnen lassen. Was sie bedeuten, bleibt unserer Phantasie überlassen. Unsere Führung endet vor einer verschlossenen Tür. Der Schlüssel zum Archiv, das uns Marion Ebinger noch zeigen wollte, passt nicht. Dort lagern die Gegenstände, an denen die Patienten der letzten hundert Jahre gearbeitet haben. Es bleibt ein verschlossener Ort, von wo aus die Geschichten strahlen.
Kriegsgeschädigte
Matto regiert nach dem Roman von Friedrich Glauser Regie Sebastian Nübling, Bühne Muriel Gerstner, Kostüme Ursula Leuenberger, Musik Lars Wittershagen Mit Jan Bluthardt, Klaus Brömmelmeier, Jean-Pierre Cornu, Lukas Holzhausen, Claudius Körber, Lisa-Katrina Mayer, Michael Neuenschwander, Tim Porath, Susanne-Marie Wrage, Jirka Zett Ab 15. Mai im Pfauen Unterstützt vom Förderer-Circle des Schauspielhauses Zürich
Ist die Schweiz denn nun die Anstalt, als die sie ständig bezeichnet wird und als welche wir sie gerne im Theater darstellen? Die Antwort kann medizinisch kaum beantwortet werden. Was Ineichen beobachtet, sind wechselnde Krankheitsbilder. Hat das heutige „Burnout“ mit unserer Zeitgeschichte zu tun? Rolf Ineichen meint ja. Er erlebe jüngere Patienten mit demenzartigen
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Hausbesuch
Ineichen, einen Psychiater gewünscht, der gut abgrenzen kann, und eine „Wahnsinnsausdauer“ hat. Glauser genoss Zutrauen und durfte vertrauliche Aufgaben übernehmen, wie das Abschreiben von Krankenakten. Mit Kohlenpapier erstellte er heimlich Kopien. Das Material veröffentlichte er später in seinem Matto-Roman. Einer der vielen Gründe, weshalb das Verhältnis zu Müller irgendwann zerbrach. Und weshalb auch das Bild Laduners im Roman ambivalent bleibt. Müller wurde berühmt mit seiner Insulintherapie, in der man Patienten in ein künstliches Koma versetzte. Glauser nahm dieses Kapitel der Schweizer Psychiatrie in seinen Roman auf und kratzt damit am Zenit seines Übervaters. Lakonisch lässt er Laduner sagen: „Hier morde ich meine Patienten.“ Liest man als Laie darüber, irritieren diese Berichte. „Man fand damals heraus, dass Leute, die geschockt waren, von einem auf den anderen Moment in besserem Zustand waren“, beschreibt Ineichen Müllers Therapie. Mit einer Todesrate von 5% bei diesen Versuchen lebte man, weil man davon ausgehen konnte, dass die Suizidrate bei den Erkrankten wesentlich höher gewesen wäre. Es gab beides: Hirnschock und elektrische Krampfbehandlung, von denen heute das EKT (Elektrokrampftherapie) überlebt hat. Eine in der Schweiz relativ selten angewendete, aber laut Ineichen hochwirksame Therapieform für schwerst depressive Menschen. Ineichen geht nicht davon aus, dass Müller aus karrieristischen Gründen an Menschen experimentierte: „Man wusste nicht, was man machen sollte, um die Menschen positiv zu beeinflussen.“ Es war die Zeit vor den Neuropleptika ...
Der Diener zweier Herren
„Ich will nicht mehr Diener sein!“
Michael Maertens und Carolin Conrad während der Proben zu „Der Diener zweier Herren“ (Regie Barbara Frey) im Gespräch mit Thomas Jonigk 18
I H llus ei tr di a M tio um ne en n th al er vo n
Die 1746 in Mailand uraufgeführte Komödie „Der Diener zweier Herren“ ist von den circa zweihundert Stücken des Autors Carlo Goldoni das bis heute berühmteste und am meisten gespielte. Im April hat es in der Regie von Barbara Frey Premiere im Pfauen. In ihm stehen Michael Maertens und Carolin Conrad nach zahlreichen Produktionen am Schauspielhaus Zürich zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne.
Sprechen und ihr Handeln definiert sind als über Gefühle. Mir kommen sie sehr pragmatisch und unsentimental vor.
Thomas Jonigk – Goldonis Theaterstücke entstammen der Commedia dell’arte und haben diese gleichzeitig weit hinter sich gelassen, zum Beispiel durch Weglassen der obligaten Masken und durch das Einbringen alltäglichen Lebens, wie es sich auf den Strassen und Plätzen Venedigs ereignet hat. Das war um die Mitte des 18. Jahrhunderts herum eine Theaterrevolution: Eine populäre, auf Improvisation und Stehgreifkomik basierende und dabei gleichzeitig sehr standardisierte Spielweise wurde durch etwas abgelöst, das man als realistisches, aus dem Leben gegriffenes Theater wahrnahm. Die Proben zu „Der Diener zweier Herren“ laufen nun seit circa einem Monat: Empfindet ihr dieses historische Erbe als belastend oder gelingt es euch, darin etwas für unsere Gegenwart Relevantes zu entdecken?
Michael Maertens – Es klingt vielleicht komisch, aber mir wird immer klarer, dass meine Figur sehr viel mit Pinocchio zu tun hat, eine Holzpuppe bzw. ein kleiner Junge, der mit grosser Naivität von einer Katastrophe in die nächste tapst und sich nur mit Lügen wieder daraus befreien kann – nach dieser Logik müsste Truffaldinos Nase am Ende des Stücks einige Meter lang sein. Er wirkt auf mich wie ein Kind, das versucht, sich in der Welt der Erwachsenen, die er nicht wirklich begriffen hat, zurechtzufinden. Dadurch fällt er ihr zwar zum Opfer, er ist aber gleichzeitig auch extrem egomanisch. Eben wie ein Kind. Ausserdem hat Truffaldino einen extrem ausgeprägten Überlebensinstinkt, der ihn nie abstürzen lässt und immer wieder zum Handeln antreibt. Und dass kann dann gleichermassen brillant wie fatal sein.
Michael Maertens – Einerseits weiss ich als Darsteller natürlich darum, dass die Dienerfigur Truffaldino eine Spielart des Arlecchino ist, einer der berühmtesten Figuren der Commedia dell’arte. Aus ihr hat sich dann später der Pierrot entwickelt – wie wir ihn heute noch am besten aus „Kinder des Olymp“ von Marcel Carné in der Darstellung von Jean-Louis Barrault kennen. Andererseits steht einem dieses Wissen beim Proben in keiner Weise im Weg. Ich empfinde keine Art von historischem Korsett. Ich glaube zu verstehen, nach welchen Gesetzmässigkeiten die Figuren im Kosmos von Goldoni funktionieren.
Thomas Jonigk – Das Instinkthafte lässt einen auch an ein Tier denken.
Carolin Conrad – Ich finde auch, dass man die Figuren sehr gut an sich heranziehen und ohne augenfällige Aktualisierungen ins Hier und Jetzt transportieren kann: Die Psychologie meiner Figur Beatrice Rasponi, die sich als Mann verkleidet, um zu ihrem Recht zu kommen, ist ohne weiteres nachvollziehbar und glaubhaft, und die Dramen und Emotionen, die sie und die anderen Figuren durchleiden, sind absolut zeitlos.
Carolin Conrad – Wir waren ja mit der gesamten Produktion im Zoo und haben dort die unterschiedlichen Affenarten studiert. Und irgendwie schien uns eine grosse Ähnlichkeit zwischen den Orang-Utans und Goldonis Figuren, wie wir sie denken, zu bestehen. Wie wir dann erfahren haben, ist diese Affenart offenbar extrem einzelgängerisch, um nicht zu sagen: egoistisch, und verfügt über eine sehr geringe soziale Kompatibilität.
Michael Maertens – Ich muss immer wieder an grosse Komiker des 20. Jahrhunderts denken: Buster Keaton, Jerry Lewis, Louis de Funes oder Jim Carrey – sie alle zeichnen sich durch dieses emotionale Chaos aus Stress, Überforderung, Kindhaftigkeit und Melancholie aus. Und oft auch durch das in ihren Rollen angelegte zwanghafte Bedürfnis, es allen recht zu machen. Damit verweisen sie alle auf direktem Weg zurück auf Truffaldino.
Michael Maertens – Und die Begegnungen zwischen Männchen sind fast immer feindselig. Carolin Conrad – Aber die Tiere zeichnen sich insgesamt durch eine ausgesprochen hohe Kreativität aus. Immerhin.
Thomas Jonigk – Dennoch scheint mir, dass die Figuren etwas Holzschnitthaftes haben und viel mehr über ihr
Thomas Jonigk – Truffaldino setzt seine Kreativität dazu ein, um an etwas Essbares zu gelangen: Er hat Hunger.
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Der Diener zweier Herren
Carolin Conrad – Aber gerade deshalb funktioniert es für mich. Ich muss mich eben nicht emotional mit Zuständen auseinandersetzen, die ich aus der historischen Distanz heraus vielleicht nicht mehr nachvollziehen kann, sondern habe ganz konkretes, dynamisches und unromantisches Material, das meine Phantasie als Spielerin in der Arbeit beflügelt. Natürlich stehen wir jetzt noch mitten im Probenprozess und suchen gemeinsam mit Barbara Frey nach den geeigneten Theatermitteln und Spielweisen, um das zu erzählen, was uns an dem Stück interessiert. Klar ist aber schon mal, dass man sich nicht küchenpsychologisch mit schlaffem Körper durch den Abend bewegen kann – das Stück scheint in unserer Konstellation und in dem Raum von Bettina Meyer nach klaren, formalen, teilweise geradezu choreographischen Setzungen zu verlangen. Vielleicht bricht sich das Erbe der Commedia dell’arte auf diesem Weg doch Bahn.
„Hier ist meine Hand. Da ist mein Herz drin.“
Diener zweier Herren
Deshalb gingen bzw. gehen viele Lesarten des Stücks in Richtung von Kapitalismuskritik und Ausbeutung der armen und arbeitenden Klassen.
abzulegen, die ihr dabei geholfen hat, sich als ihr Bruder auszugeben und darüber an das Geld zu gelangen, das ihr als seine Erbin zusteht. Eine aussergewöhnliche Frau, oder nicht?
Michael Maertens – Hunger als Motiv und als Realität zieht sich als roter Faden durch das gesamte Stück. Den sozialbzw. gesellschaftskritischen Aspekt überzubetonen, halte ich aber für wenig sinnvoll. Gleichwohl ist er aus dem Stück nicht wegzudenken – er ist wie eine Unterströmung ständig spürbar. Ich verstehe den Hunger in „Der Diener zweier Herren“ als Motor, der Truffaldino das gesamte Stück über antreibt – und es dadurch ermöglicht.
Carolin Conrad – Als ich das Stück zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich in Bezug auf Beatrice die Assoziation von Wut. Wut auf das, was einem passiert. Auf das, was man zu sein hat. Was einem verunmöglicht wird. Vielleicht ist das für die Bühne gar nicht so interessant, aber mir ist das sehr nah: Ich wollte als Kind selbst gerne ein Junge sein, vielleicht weil ich so sein wollte wie meine Brüder. Ich persönlich fühlte mich zwar nicht benachteiligt, aber ich habe junge Männer um ihren Umgang miteinander beneidet, um eine bestimmte Form des Miteinanderseins. Im Privaten wie auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene schienen sie so viel selbstverständlicher in ihrem Sein und ihrem Auftreten. Vielleicht weil sie es – wie auch heute noch – so viel leichter haben. Und deshalb verstehe ich Beatrices Aktivität, ihr direktes, offensives Eingreifen in das Geschehen sehr gut. Ihr zupackendes Verhalten ist absolut unklassisch. Und extrem kraftvoll.
Thomas Jonigk – Goldoni hat stark mit Dialekten gearbeitet, um ein für seine Begriffe realistisches und regional fixierbares Figurenarsenal auf die Bühne zu stellen. Truffaldino stammt nun aus Bergamo, ist fremd in Venedig und somit Ausländer. Michael Maertens – „Der Diener zweier Herren“ ist ein extrem italienisches Stück, und das italienische und das deutsche Sprachtemperament haben sehr wenig gemein. Insofern finde ich gut, dass Truffaldino in der für Zürich gewählten Übersetzung nicht einfach irgendeinen deutschen Dialekt spricht, sondern sich in erster Linie durch seine vergeblichen Versuche auszeichnet, seiner Herrschaft in puncto gehobener Sprache und gutem Ton ebenbürtig zu sein. Und weil ihm dieser Ausdruck eigentlich nicht entspricht, sondern erlernt ist, resultieren daraus natürlich jede Menge Fehler und Neologismen, die Komik erzeugen und die Figur des Truffaldino in ihrem gesellschaftlichen, äusserst zynischen und selbstherrlichen Umfeld definieren.
Michael Maertens – Eigentlich eine Figur, die ihrer Zeit weit voraus ist. Carolin Conrad – Und wie bei allen Hosenrollen – Viola in „Was ihr wollt“ oder Rosalinde in „Wie es euch gefällt“ – gibt auch Goldoni Beatrice Gelegenheit, die eigene geschlechtliche Identität zu hinterfragen bzw. von aussen zu betrachten und damit im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinauszuwachsen.
Thomas Jonigk – Beatrice Rasponi hat sich schon als junges Mädchen gerne als Mann angezogen. Sie scheint ein liebevolles Verhältnis zu ihrem Bruder gehabt zu haben. Dennoch geht ihr sein Tod nicht sehr nahe. Sie will sogar Florindo Aretusi – den Mörder ihres Bruders – heiraten, scheint aber wenig romantische Gefühle zu entwickeln, als sie ihm endlich in Venedig wiederbegegnet. Sie ist auch nicht bereit, ihre Männerkleidung wieder
Michael Maertens – Und innerhalb dieser Verwirrung der Geschlechter entsteht sowohl Freiheit als auch Erotik. Und Geschlecht kann von Beatrice nicht nur als etwas biologisches, sondern im Sinne der gegenwärtigen Genderdiskussion als etwas sozial
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Geschaffenes begriffen werden.
ist. Und das nicht, weil Florindo als Person besonders schlimm oder als Ehemann besonders unpassend wäre, sondern weil Beatrice einfach kein Interesse mehr an dieser Art von Leben hat.
Thomas Jonigk – Man hat den Eindruck, Beatrice fühlt sich als Mann wohler denn als Frau. Oder ist das eine Art von zeitgeistigem, verkitschtem Wunschdenken?
Thomas Jonigk – Und Truffaldino? Wie ernst ist seine Liebesgeschichte mit der Zofe Smeraldina zu nehmen? Michael Maertens – Ich wünsche mir für Truffaldino und Smeraldina schon ein Happy-End. Natürlich steckt dahinter auch eine Konvention, nach der man in der eigenen gesellschaftlichen Klasse zu bleiben hat, aus der es keinen Ausweg gibt. Damals war das sicher eine harte Realität – und insofern ist es natürlich tröstlich, dass er überhaupt jemanden findet. Ich glaube nicht einmal, dass Truffaldino wirklich weiss, was Liebe oder Geschlechtsverkehr ist. Aber er fühlt sich – wie ein Kind – zu Smeraldina hingezogen, die ihm ähnlich ist und ihm ein Gefühl von Vertrautheit vermittelt. Ich glaube, dass die beiden acht Kinder – vier kleine Truffaldinos und vier kleine Smeraldinas – in die Welt setzen werden. Ausserdem wird er weiterhin in eine Katastrophe nach der anderen geraten und nichts dazulernen, aber ich stelle mir die Ehe und den Haushalt der beiden sehr temperamentvoll und glücklich vor. Wie gesagt: ein Happy-End.
Michael Maertens – Und wie stellt man Männer dar? Sind das alles nur Idioten? Vor ein, zwei Jahrzehnten hätte man sicher Männer denunziert und Frauen als die potentiell besseren Menschen dargestellt. Auch die Beurteilung von Geschlechterrollen unterliegt offenbar ideologischen Trends bzw. immer wieder veränderten subjektiven Perspektiven. Vielleicht haben wir es heute weniger nötig, Urteile zu fällen. Thomas Jonigk – Wie geht das Stück für Beatrice weiter? Wird sie die Männerkleider ablegen und Florindo heiraten? Carolin Conrad – Ich finde – und das geht mir bei einem Stück wie „Was ihr wollt“ genauso – man kann heute nicht ernsthaft erzählen, dass sich am Ende alle heiraten. Ich möchte wirklich davon ausgehen, dass mit mir und der von mir gespielten Figur im Verlauf eines Stücks etwas geschehen ist – und dann muss sich für alles Folgende zwangsläufig etwas verändern. Es interessiert mich gar nicht zu denken, dass Beatrice Florindo heiratet – selbst wenn das historisch wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. Mir würde es gefallen, wenn wir es schaffen zu erzählen, dass dieser Schluss am Ende nicht mehr möglich erscheint bzw. einfach kein Thema
Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni Regie Barbara Frey, Bühne Bettina Meyer, Kostüme Esther Geremus Mit Christian Baumbach, Gottfried Breitfuss, Carolin Conrad, Lambert Hamel, Robert Hunger-Bühler, Thomas Loibl, Michael Maertens, Johannes Sima, Marie Rosa Tietjen, Friederike Wagner Ab 3. April im Pfauen Unterstützt von Credit Suisse
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Diener zweier Herren
Carolin Conrad – Wenn sie Gefallen an der Männerrolle gefunden hat, dann sicher auch deshalb, weil es ihr gesellschaftlich mehr Macht und Autonomie verleiht. Zudem hat sie eine Aussenperspektive auf sich selbst und auf den Mann, den sie eigentlich heiraten wollte. Und ist sich plötzlich nicht mehr so sicher. Dieses totale emotionale Chaos zum Ende des Stücks gefällt mir wirklich gut. Und all die offenen Fragen: Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Ein Mann? Und was bedeutet der Blick, den wir auf Männer haben?
G w en do ly vo ne n M el ch in ge r
Agnes
Ungefähre Landschaften
Ein Ausflug mit Peter Stamm, dem Autor von „Agnes“, ins Zürcher Umland Wir treffen uns im Zug nach Weinfelden. Ich erinnere mich an eine frühere Bemerkung Peter Stamms, er fahre oft im Zug, um zu schreiben – und immer seien es bestimmte Zugstrecken. Welche? Winterthur-Biel, hin und retour, da hat es nicht so viele Leute. In Biel kann ich dann eine halbe Stunde an den See hinuntergehen. Eine andere Strecke ist Winterthur, St. Gallen, Rorschach, das Rheintal rauf bis Sargans und dann den Seen entlang zurück bis Winterthur. Das sind dann ca. vier Stunden.
eigentlich in die Schweiz zurückgekommen? Ich habe zwar die Städte sehr geschätzt, aber mir hat meistens die Natur gefehlt. Und zwar die sehr zugängliche Natur der Schweiz. Dass du in Zürich einfach in den See reinspringen kannst. Du musst da nicht irgendwo hinfahren. Oder hier in Winterthur, der Wald gleich vor der Tür. So etwas habe ich immer vermisst. In Paris ist das natürlich weit weg, in New York eigentlich auch. Da musst du immer erst einmal eine Stunde fahren bevor du aus der Stadt raus bist. Ich möchte auf den Begriff „Ungefähre Landschaft“ kommen. Du hast einen deiner Romane so benannt und auch in deinem Roman „Agnes“ taucht er wieder auf. Es ist ein bisschen wie die Landschaft, in der ich aufgewachsen bin. Du hast sie gerade gesehen. Sie ist nicht so prägnant: nicht Hochgebirge, nicht Flachland, sondern etwas dazwischen. Zwischen allem. Es ist nicht wirklich ländlich, nicht wirklich städtisch. Es ist zwar in der Nähe des Bodensees, aber nicht wirklich am
Wieso gerade diese Strecken? Zum einen ist es die Länge und es sind Landschaften, die ich mag und die Seen. Schöne Strecken, finde ich. Das Unterwegssein, das Vorbeiziehen, die Eindrücke von draussen helfen beim Schreiben. Du hast ja auch einige Zeit im Ausland gelebt. In Frankreich, England, Deutschland, USA. Wieso bist du
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Bodensee. Es ist eine komische Mischung. Gerade der Thurgau ist so. Vielleicht hängt es auch mit einer bestimmten Weltsicht zusammen. Es gibt Menschen, die sich hinstellen, die Welt erschaffen und sagen, so ist es. Ich bin eher jemand, der ein Grundgefühl des Nichtverstehens hat, des Nicht-wirklich-Wissens. Für mich ist eigentlich alles immer ein bisschen „ungefähr“.
Magst du Zürich? Ich finde, es ist eine schöne Stadt, aber sie ist zu sehr damit beschäftigt, schön zu sein. Ich kann nur so in Zürich leben, dass es mir egal ist, was die Leute über mich denken, weil ich nie die richtigen Turnschuhe trage.
Agnes nach dem Roman von Peter Stamm Regie Daniela Löffner, Bühne Claudia Kalinski, Kostüme Sabine Thoss Mit Ludwig Boettger, Fritz Fenne, Henrike Johanna Jörissen, Dagna Litzenberger Vinet, Isabelle Menke, Milian Zerzawy Ab 12. April im Schiffbau/Box Unterstützt von der Ars Rhenia Stiftung
Wir sind in Zürich angekommen. Im Seefeld zeigt er mir das Haus, in dem er mit seiner Familie gelebt und gearbeitet hat. Einmal hat er einen Artikel über alle Endstationen der Zürcher Trams geschrieben – sogenannte Mikrobeobachtungen, angereichert mit Erinnerungen, die er mit der einen oder anderen Endstation verbunden hatte.
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Agnes
Wir sitzen im Gasthaus „Weisses Kreuz“, und ich frage ihn nach seiner Beziehung zur Schweiz, besonders Warum? jetzt nach der Abstimmung und ob es ihm unangenehm Weil ich es einfach nicht verstehe. Ich hoffe natürlich, sei, sich im Ausland als Schweizer zu bewegen. dass ich im Grunde genommen der Wahrheit näher Nein. Seit 15 Jahren reise ich mit meinen Büchern um komme, als die, die immer die Welt und habe es langsam schon alles wissen. Und satt, mich dauernd für die die sagen können: Das ist die Schweiz entschuldigen zu beste Pizzeria der Stadt. müssen. Man muss überall Kurz vor Redaktionsschluss Ich würde mich nie trauen zu sagen, die Schweiz sei nicht sagen, das ist die beste schlimm, die Schweizer erreicht uns die freudige Nachricht, so Pizzeria von Winterthur. Aber sind keine Rassisten. Langsam dass Peter Stamm mit dem es gibt schon Autoren, habe ich die Schnauze voll. die sich hinstellen und sagen, Sollen die Leute glauben, was Friedrich-Hölderlin-Preis 2014 so ist es. Darum könnte sie wollen. Diese Idee vom ausgezeichnet wurde. ich auch nie autobiographisch Sonderfall Schweiz langweilt schreiben – ich weiss ja mich. Und zwar im Guten Wir gratulieren! gar nicht, wie es gewesen ist. wie im Bösen. Es gibt Leute, Ich war zwar dabei, aber die sagen, die Schweiz sei das das so darzustellen, als ob beste Land der Welt – das es irgendeiner Wahrheit finde ich idiotisch. Es gibt entspricht, nur weil ich sie aber auch die, die sagen, mir einbilde, das ist nicht die Schweizer sind die mein Stil. allerschlimmsten. Das ist auch idiotisch. Wir sind einfach Ich sitze mit Peter Stamm ein kleines, unbedeutendes in seinem Büro, das sich Land mit ein paar Eigenheiten. im Keller seines Hauses in Die Österreicher tun nie so, Winterthur befindet und als wären sie etwas ganz früher eine Garage war. besonderes, weil sie es sind, Zehn Jahre lebt er schon hier. weil sie es vermutlich einfach Woher beziehst du deine in sich haben. Doch die Geschichten? Schweizer haben ein Das ist nie das Problem. Es ist Identitätsproblem. Sie müssen im Grunde genommen so, ständig über sich reden. wie bei Marcel Gähler, dem Wer sind wir? Wir sind aber Maler, von dem ich dir vorher nichts Besonderes. Im Grunde die Bleistiftzeichnung gezeigt genommen, ist es hier ganz habe: Der fotografiert hier im Wald, seine Familie, genau so wie in Baden-Württemberg und im Tessin seine Kinder beim Spielen, sein Haus, irgendeine Ecke ist es wie in Norditalien und in der französischen Schweiz im Haus. Letztlich kommt es überhaupt nicht darauf ist es auch nicht anders als in Savoyen. Wir sind nicht an. Er braucht einfach irgendetwas, was er abzeichnen so besonders, aber damit können die Schweizer sehr kann. Aber er geht jetzt nicht los und sucht sich schwer leben. das exotischste Sujet. In der Malerei ist es klar. Kein Worauf sind die Österreicher stolz? Auf Mozart, auf den ernsthafter Maler malt das Matterhorn. Cézanne hat den Kaiser vielleicht. Aber die Schweizer sind stolz auf Berg vor seinem Atelier gemalt, wäre da ein anderer Heidi – das es nie gegeben hat – und auf Wilhelm Tell – Berg gestanden, hätte er einen anderen Berg gemalt. Es eine Legendenfigur, von einem Deutschen literarisch geht nicht so sehr ums Sujet, sondern darum, wie man verarbeitet. Dabei hätten wir viele Persönlichkeiten, auf es darstellt. Zum Beispiel: Was passiert, wenn ich meine die wir stolz sein könnten. Aber wer ist schon stolz Kinder nicht von der Krippe abhole? Und schon ist es auf Pestalozzi, auf Godard, Gottfried Keller, auf all die eine Geschichte ... Nobelpreisträger, die wir haben. Unser Bild ist ein weitgehend Fiktives. Unser ganzes Selbstbild ist eine Und dann gibt es aber auch eine Entscheidung zu sagen, grosse Fiktion. das nehme ich und jetzt mache ich daraus eine Geschichte? Klar. Man muss aus dem Chaos oder dem Netz von Geschichten die herausholen, die für einen Relevanz hat.
Repertoire
Szene aus dem Repertoire
„Ein Segen, weil Walsers wunderbare Sätze in dieser feinen Inszenierung glänzen wie Gräser im Morgentau. (…) Auch szenisch verzaubert der Abend immer wieder. Lange, weisse Holzstäbe wachsen allmählich zu einem Wald, in dem die Musiker mit Flüstertüten auf dem Kopf wie fremde Tiere herumgeistern.“ (Aargauer Zeitung): „Robert Walser“, Komposition und Regie Ruedi Häusermann
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Ins Theater mit ...
Ins Theater mit Guy Krneta
Guy Krneta lebt als freier Schriftsteller in Basel. Seine Theaterstücke und Prosatexte, die er in Mundart verfasst, wurden mehrfach ausgezeichnet, und waren u.a. am Theater Neumarkt, am Theater Basel und bei den von ihm mitbegründeten „Matterhorn Productions“ zu sehen. Als Mitglied der Spoken Word-Formation „Bern ist überall“ gilt Krneta als Wegbereiter einer zeitgenössischen literarischen Mundart. Zudem engagiert er sich bei „Kunst & Politik“ sowie der Protestbewegung „Rettet Basel“. 26
Stark berührt hat mich der Moment, wo Herwig Ursin als Robert Walser von der Bühne stieg, um dem WalserExperten – gespielt von Klaus Brömmelmeier – den Platz zu überlassen. Das war ein eindrückliches Bild für die Verdrängung des Dichters durch seine Interpreten. Berührend fand ich auch den Schluss, diesen vorzüglich gelesenen Schnee-Text, in dem Robert Walser sein eigenes Ende quasi vorweggenommen hatte.
Was hatten Sie an? Sind Sie aufgefallen? Ich war nicht schlecht angezogen. Meine Hosen hatten keine Löcher, auch die Socken nicht, und ich trug ein schwarzes Hemd. Nachteilig war vielleicht, dass ich bereits den ganzen Tag in diesen Kleidern verbracht hatte. Doch stiess sich niemand an meiner Kleidung, selbst bei der anschliessenden Premierenfeier nicht.
Entsprach die Aufführung Ihren Erwartungen? Wenn ja, wie sahen diese Erwartungen aus? Wenn nein, warum nicht? Nein, sie entsprach meinen Erwartungen nicht. Und ja, sie entsprach meinen Erwartungen. Ich hatte einen Ruedi Häusermann-Abend erwartet, einen wahrscheinlich, den ich schon einmal gesehen habe. Und habe dann einen Ruedi HäusermannAbend gesehen, den ich noch gar nicht kannte. Wirklich beeindruckend fand ich, wie viel Raum und Gegenwärtigkeit die Sprache in dieser Inszenierung erhält.
Kannten Sie das Stück vorher? Ja, einige der Robert Walser-Texte kannte ich recht gut: Den Text beispielsweise über den Vormittag im „Bureau“, die Geschichte vom neuen Roman, die ich auch schon selber in einen Spoken-Word-Text umgegossen habe, oder die Betrachtung des Schneiens. Erstaunlich war jedoch, wie gerne ich den Texten in dieser Aufführung zuhörte, wie mir vieles neu und überraschend erschien. In welcher Stimmung waren Sie in dem Moment, als im Zuschauerraum das Licht ausging? In – wie sagt man? – gespannter Erwartung. Haben Sie während der Vorstellung gelacht, und wenn ja, worüber? Ich habe viel gelacht über die walserschen Sätze und die Situationen, in denen sie gesprochen wurden. Hat Sie etwas an der Vorstellung berührt? Wenn ja, was?
In welchem Moment haben Sie zum ersten Mal auf die Uhr geschaut? Wie spät war es da? Ich hatte keine Uhr dabei und empfand kein Bedürfnis, auf eine Uhr zu schauen.
Hatten Sie während des Zusehens den Gedanken, dass es besser gewesen wäre, wenn Sie sich vor Ihrem Besuch noch einmal genauer über den Text und den Autor informiert hätten? In dieser Aufführung ist es, scheint mir, besser, sich nicht als Zitatenjäger zu versuchen und jeden Satz einem bestimmten Walser-Text zuordnen zu wollen. Denn hier ist ein Stück zu sehen, das ebenso viel von und über Ruedi Häusermann erzählt wie von und über Robert Walser. Der Abend müsste eigentlich „Ruedi Walser“ heissen oder „Robert Häusermann“. Finden Sie, dass die Aufführung etwas mit Ihnen zu tun hat? Wenn ja, was? Ja, Häusermann hat zum Beispiel deutlich gemacht, dass Walser auch ein früher Spoken Word-Poet war.
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Hätten Sie Lust, das Bühnenbild zu betreten? Welchen Platz würden Sie sich darin suchen? Nein, ich laufe nicht so gern in fremden Bühnenbildern herum. Wie zufrieden waren Sie mit dem Publikum? Haben Sie sich geärgert oder gefreut? Worüber? Ich war sehr zufrieden mit dem Publikum, habe viele Hände geschüttelt und Wangen geküsst (keine Lippen). Haben Sie sich nach der Vorstellung über das Stück unterhalten? Und wenn ja, mit wem und worüber? Oder haben Sie auf dem Heimweg noch über etwas nachgedacht, das mit der Aufführung zu tun hatte? Mit allen, mit denen ich noch gesprochen habe, habe ich mich über die Aufführung unterhalten. Mit vielen war ich einer Meinung und wir haben uns in unseren lobenden Erwähnungen übertroffen. Welche Frage würden Sie dem Regieteam dieser Aufführung gerne stellen? Würde ein ähnliches Konzept auch mit Texten der beiden neuen Max-FrischTagebücher funktionieren? Aber es wäre eine dumme Frage. Welches Stück würden Sie gerne als nächstes sehen? Eines von mir. Und gerne eines, das ich noch nicht geschrieben habe.
„Robert Walser – eine musiktheatralische Durchwanderung“ Komposition und Regie Ruedi Häusermann, Bühne Bettina Meyer, Kostüme Barbara Maier Mit Klaus Brömmelmeier, Michael Neuenschwander, Herwig Ursin, Sara Hubrich (Violine), Josa Gerhard (Viola), Benedikt Bindewald (Viola), Christoph Hampe (Cello) Seit 15. März im Pfauen
Ins Theater mit ...
Von woher kamen Sie zu der Vorstellung ins Schauspielhaus? Wie war die Anfahrt und wie der erste Eindruck, den das Haus auf Sie gemacht hat? Ich kam von einer Tagung der Bildungsdirektion, die ich zusammen mit dem Autor Gerhard Meister und dem Musiker Christian Brantschen begleitet hatte. Die Tagung war mit einem halbstündigen Auftritt von uns eröffnet worden, bei dem wir unter anderem auch unsere Erfahrungen beim Schreiben mit Jugendlichen thematisiert hatten. Danach hatten wir mit Texten der rund 400 Teilnehmenden einen zweiten Auftritt vorbereitet.
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In Szene
Was ist Christian Baumbach aber für ein Mensch? Bisher hat mich das niemand gefragt. Sollte ich die Frage aus der Sicht des Arbeitskollegen beantworten, würde ich sagen, er ist eindeutig einer von den Guten. Christian kann nur Schauspieler sein. Das soll nicht heissen, dass ich glaube, dass er nichts anderes
„Amphitryon und sein Doppelgänger“ im Pfauen. 20 Minuten vor Vorstellungsende. Ein Schauspieler betritt zum ersten Mal an diesem Abend die Bühne. Er hält einen Teller mit Wurst und Sauerkraut in der Hand und strahlt über alle vier Backen. Der Schauspieler ist Christian Baumbach, und wie bei jeder Vorstellung, an der er beteiligt ist, wirft er sich auch bei diesem relativ kurzen Auftritt voll ins Zeug.
Was ist Christian Baumbach also für ein Mensch? Sollte ich die Frage aus der Sicht des Kumpels beantworten, würde ich sagen, er ist auf jeden Fall einer von den Guten. Er ist ein guter Zuhörer, nicht festgefahren in seinen Meinungen, ist tolerant und strotzt vor Lebensfreude, die ansteckend ist. Wie auf der Bühne ist er auch im Privatleben immer mit ganzem Herzen bei der Sache. Beispielsweise ist Christian der erste, der es geschafft hat, beim Tennisspielen meine Wohnzimmerlampe zu zerstören.
könnte, aber Christian will halt immer spielen. Er ist kraftvoll, ohne zu erdrücken. Er ist ehrgeizig, ohne zu stressen. Er ist immer ein bisschen unsicher, was ihn vor Allüren schützt. Das macht die Arbeit mit ihm so angenehm.
Christian Baumbach
In Szene
29 Christian Baumbach, 1984 in Eisenach geboren, ist seit 2011/12 festes Ensemblemitglied. In dieser Spielzeit ist er zu sehen in „Der Prozess“, „Amphitryon und sein Doppelgänger“, „Die Odyssee für Kinder“, „Der Bürger als Edelmann“, „Der Diener zweier Herren“.
Fr v itz o Fe n nn e
Bisher hat mich niemand gefragt, was Christian Baumbach für ein Mensch ist. Aber wenn mich jemand fragt, hoffe ich, dass ich sagen darf, er ist wie ich, nur anders.
Und als werdender Vater, der ich bin, wünsche ich mir, dass er viel Zeit mit meinem Kind verbringen wird. Es darf dann vom Besten lernen.
On the town
Players on the town
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Ka ro lin
Tr ac ht e
Der ehemalige Nationaltorhüter, heute Sportchirurg und Klinikunternehmer, kommt mit der Vespa. Roger Berbig stand heute schon im OP-Saal, kommt aber entspannt und voller Neugierde auf das Kennenlernen mit dem Schauspieler Robert Hunger-Bühler an. Der kommt von der Probe mit Barbara Frey. Er ist bald in „Der Diener zweier Herren“ in der Rolle des Pantalone zu sehen. Als er Roger Berbig eröffnet, dass der Abend mit einem Spaziergang zum Areal des ehemaligen HardturmStadions beginnen soll, kontert Berbig: „Wie wäre es im Gegenzug mit einer Führung durch den Schiffbau?“ „Aber gerne!“ Hunger-Bühler führt durch das 2001 eröffnete Bühnen- und Probenzentrum, die Werkstätten – Schreinerei, Montagehalle, den Malsaal – schliesslich in die grosse Halle: Wir stehen im Halbdunkel, keiner will Licht machen. Durch die grossen Fenster scheint das Kunstlicht der Strassenlaternen in grellem Orange.
Roger Berbig und Robert Hunger-Bühler treffen sich in Züri West
HB Warst du schon einmal hier? B Ja. Ist aber ein bisschen her.
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HB Hier passen Bühnenbilder rein – da können die manchmal im sogenannten Ausland nur staunen. B Wenn man hier arbeiten kann, was für ein Luxus! HB Musstest du heute arbeiten? B Ich durfte. Ich mach das gerne. So hab ich das beim Fussball auch immer empfunden ... HB Mein Idol war René-Pierre Quentin. Linksaussen. Erinnerst du dich? Von Sion? B Klar. HB Der war unglaublich schnell und dribbelstark. B Mein grosses Idol als Goalie war Charly Elsener. Als kleiner Junge stand ich einmal am Waldhaus Dolder und hatte mir eine Unterschrift geholt von ihm. Und dann ist er grade eingestiegen ins Auto, da hab ich gesagt: „Schönen Gruss vom Babić.“ Den kannte er natürlich und da ist der grosse Charly Elsener vor allen anderen nochmal ausgestiegen und hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: „Sagst ihm auch einen schönen Gruss!“ Ich bin fast in Ohnmacht gefallen.
wirklich alles falsch gemacht hat: trainingstechnisch, ernährungstechnisch ... alles. Eine gute Truppe zusammenstellen, Teamführung, Taktik etc. – das hat er natürlich schon gekonnt. Aber wir hatten immer drei bis vier Stunden vor jedem Match Kaffee und Kuchen – „was Lockeres vor dem Match“. HB Jetzt kommen wir langsam in die Nähe des alten „Hardturm“. Was bedeutete dir das Stadion? B Ich weine nicht, dass es jetzt weg ist. Aber ich habe hier meine ganze sportliche Karriere erlebt. Vom Sandkasten bis zu dem Tag an dem ich aufgehört habe. Und es ist schon ein Armutszeugnis, dass wir kein neues hinbekommen. Da fehlt der Enthusiasmus. Hier drüben (zeigt auf ein Haus), da haben wir einmal die Scheiben eingeschossen vom Trainigsplatz aus – mit einem hohen Schuss über den Zaun ... Aber erzähl doch, wie lange ging denn „Wien“? HB Die Schauspielschule geht normalerweise drei Jahre. Du kannst ein viertes anhängen. Insgesamt war ich zehn Jahre in Wien, dann bin ich „transferiert“ worden nach Bonn. Und seit 2003 bin ich wieder hier in Zürich. Und in dieser Zeit hat sich Zürich unglaublich verändert. B (blickt über das Hardturmgelände) So, das wäre es jetzt praktisch schon gewesen.
Wir haben den Schiffbau verlassen und spazieren die Förrlibuckstrasse entlang durchs Industriequartier. B HB B HB
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Man sieht nichts, es ist zu dunkel. Die beiden stehen trotzdem eine Weile an einem Bauzaun und schauen stumm auf das leere Gelände. HB Sag mal, wie warst du denn bei hohen Bällen? B Das ist das einzige, was ich wirklich gut konnte – seinerzeit. Auf der Linie. HB Ich frag dich mal was Dummes, weil ich das noch nie einen guten Goalie fragen konnte. Hast du Angst beim Elfmeter? B Nein, überhaupt nicht! Da liegt der Titel vom Handke natürlich völlig daneben (lacht). Der Goalie hat nichts zu verlieren. Selbst wenn du den Ball zwischen den Beinen durchlässt, macht dir kein Mensch einen Vorwurf. Der Schütze hingegen kann nur verlieren. Wir machen uns entlang der Hardturmstrasse auf den Rückweg, um rechtzeitig ins Restaurant zu kommen. B
Du bist ja Mitglied im Schauspielhausensemble. Aber du bist nicht ausschliesslich in Zürich, oder? Du hast auch Gastspiele und drehst Filme? HB Ja! Ich bin frei auch andere Projekte anzunehmen, z.B. Film. Als junger Schauspieler musste ich häufig fünf oder sechs Produktionen pro Spielzeit spielen, da kommt man dann kaum aus dem Theater raus. B Auf der Bühne hat das ja immer eine Leichtigkeit ... HB Dazu hat der Spieler Matthias Sammer kürzlich etwas Weises über den Erfolg des FC Bayern München sagen wollen: „Wird denn woanders auch akribisch trainiert, als gäbe es kein morgen?“ (lacht) Da hat der Klopp gleich gekontert: „Ah, interessant, andere Clubs trainieren regelmässig?“ (lacht). Für die Bühne übt man auch nicht nur ein-, zweimal. B Das ist einem als Zuschauer allerdings klar. Und natürlich trainiert man im Theater ja nicht nur, man erfindet ja auch. Wobei, das klingt jetzt völlig vermessen. (Pause) Aber im Fussball ist das eigentlich auch so. HB Nein, das ist nicht vermessen. Genau so ist es. B Da gibt es auch gewisse Grundregeln, wie im Theater auch, nehme ich an. Nach denen improvisiert man, man hat eine gute Idee, etc. In Wirklichkeit kann man das natürlich überhaupt nicht vergleichen, das weiss ich schon.
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Ich will euch nicht demoralisieren, aber von hier brauchen wir schon noch 20 Minuten – ein Weg. Nein, hier ist das Toni-Areal. Jetzt brauchen wir noch zehn Minuten. Ich überlass die Regie euch! Aber erzähl nochmal: Du hast in Aarau Fussball gespielt ... Ja, einmal Aarau-Auswahl und einmal Juniorenauswahl. Dann bin ich direkt zum Militärdienst und nach Wien auf die Schauspielschule. Das hat dich dann gepackt. Nein, vorher schon. Das war immer halb und halb: die Mutter hat mich immer zum Lesen angeregt und der Vater stand immer am linken Spielfeldrand in meiner Nähe. Den typischen linken Flügel gibt es ja quasi nicht mehr. Das waren immer Linksfüsser – und die waren unberechenbar. Vollkommen unberechenbar ... ... ein Albtraum für jeden Torhüter. Wie die Torhüter eigentlich auch. Gegenseitige Albträume. Da fällt mir ein, dass heute der Prozess gegen Uli Hoeness begonnen hat. Da müssen wir nachher unbedingt nachlesen, was geschehen ist. Ja unbedingt! Und die Schauspielerei? Das war im Grunde nur mit einem Elternteil abgesprochen ... ... (lacht) ich nehme an mit dem Vater. Der hat gesagt: „Kannst du schon probieren. Aber die haben nicht auf dich gewartet in Wien.“ Die Ausbildung, die ist wirklich streng, ein wahnsinniger Schulbetrieb. Da kommt man nicht zum Fussballspielen. Aber ich habe später immer wieder in Theatermannschaften gespielt. (lacht) Die Hobbymannschaften sind ohnehin das Gefährlichste! Aber der Profifussball bringt ja auch Verletzungen mit sich. Gut, davon lebe ich unter anderem. Gesundheitsfördernd ist der Sport natürlich nicht. Gibt es jemanden, an den du dich besonders erinnerst? Ich hatte in Helmuth Johannsen einen Trainer, dem ich meine ganze Karriere zu verdanken habe. Der hat immer an mich geglaubt. Ich wollte schon längst aufhören, da hat er gesagt: „Du bist meine Nr. 1.“ Ich hab ihm alles zu verdanken, obwohl er
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HB Doch! Genau gleich ist das! Ausserdem: Abgesehen vom Monolog bist du beim Theater genauso auf das Team angewiesen wie im Fussball. Wenn jemand Faxen macht oder aussteigt oder wenn man eine Idee hat, einen Pass zu schlagen und der Kollege läuft nicht weiter, dann ist es wie wenn jemand den Einsatz verpasst. B Was für Analogien! Weisst du, viele Kulturschaffende haben ja eine grosse Affinität zum Fussball. Gustav Knuth war der grösste GC-Fan! Oder Musiker, Elton John zum Beispiel. Einmal war bei einem Spiel Elton John im gleichen Hotel. Damals war er schon ein Weltstar. Und da hat er bei uns angeklopft und gefragt, ob er für uns was spielen dürfe! Wir waren so gerührt. HB Das Gerücht, dass Fussballer dumm sind, hält sich auch nicht. Es gibt einen Spieler, der spricht über Fussball wie ein Philosoph: Xavi Hernández von Barcelona. „Wenn beim Vorstoss die Kette zerfällt, gehen wir wieder ganz in die Tiefe, ziehen uns zurück und bauen unser Netz neu auf ...“ (lacht.) So redet der. Wobei eine blosse, ich nenne es mal KopfIntelligenz nützt dir beim Schauspielen ja nichts. Du brauchst auch eine Spiel-Intelligenz. Hast du eigentlich noch Kontakt mit den Spieler-Kollegen von damals? B Ja, Claudio Sulser zum Beispiel ist mein engster Freund. Der ist heute Anwalt bei der FIFA. Er war erst Präsident der Ethik-Kommission, heute der Disziplinarkommission. Ein Herzensguter. HB Es gab noch mehr Akademiker im damaligen Team, oder? B Ja, der Zanetti war auch Jurist. Das ist ja fast schon ein normaler Schnitt durch die Gesellschaft: vom Studenten über den Handwerker – alles dabei. Weil praktisch jeder in der Jugend Zugang zum Fussball hat. Und für mich war es ein grosser Glücksfall, Profifussball spielen zu können und trotzdem das Studium zu machen. Ich wäre allein mit Fussball oder allein mit Medizin nicht glücklich geworden. HB Hast du eigentlich verletzungsbedingt aufgehört? B Nein, wegen der Medizin, da muss man sich irgendwann entscheiden. Und ich habe zum Schluss gelitten unter dem Fussball. Ich war so nervös vor jedem Spiel. Da ist man Captain und fast der älteste im Team – der Druck war sehr hoch. Jetzt will ich mal noch was fragen: Wir läuft das bei euch mit dem Transfer? HB Im Theater läuft das in der Regel als „Direkttransfer“. Ausser man hat einen Gastvertrag, der läuft über die Agentur. Genauso wie beim Film, da läuft alles über die Agenturen. RB Oder auch beim Tatort? So wie 1979? HB Wie kommst du auf 1979? RB Na, zwischen zwei Patienten hab ich dich natürlich heute noch gegoogelt. Ist ja logisch! Also schon der dritte Tatort ...
Ich zücke das Handy und google „Uli Hoeness Prozess“. Die Neuigkeiten: Hoeness hat nicht 3,5 Mio., sondern 18 Mio. Steuern hinterzogen. Aber das Gespräch ist schon woanders. Roger Berbig erzählt davon, wie er „Leonce und Lena“ von Robert Wilson am Berliner Ensemble sah. Robert Hunger-Bühler lobt das Stück, das er selbst schon gespielt hat, als hochphilosophisch. Berbig verrät aber schliesslich seine eigentliche Passion: Opern. Bellini, Donizetti ... HB B HB B HB B HB B
„Maria Stuarda“ ... Eine der schönsten Opern, die es gibt. Da gibt es ein Duett ... Ja, das der beiden Königinnen! Wunderbar, finde ich. Da bin ich total verkitscht. Das ist mir egal! Ich finde es einfach so gut. Das zieht mich rein und die Italiener konnten das einfach so gut! Vor einer Weile hatte ich ein Wochenende frei und ich bin noch nie in der Mailänder Scala gewesen. Da habe ich nachgesehen und es lief zufällig „Lucia di Lammermoor“ – das ist im Grunde meine Lieblingsoper. Da bin ich einfach in den Zug gestiegen und nach Mailand gefahren! Eine Nacht, am nächsten Morgen zurück! Was für ein Erlebnis!
Wir widmen uns der Speisekarte, für die sich die beiden ähnlich begeistern wie für die unzähligen Analogien von Fussball und Theater. Die „Bistecca Fiorentina“ gibt es erst ab zwei Personen. Kein Problem, die beiden sind sich einig. Robert Hunger-Bühler lässt sich Zeit bei der Auswahl des Rotweins. HB Dein Vater ist ja Schweizer Meister und Cupsieger geworden. B Ja, 1954, ein Jahr nachdem ich geboren wurde. Das war im Fussball noch eine andere Zeit. HB Wie oft hat man damals trainiert? B Dreimal in der Woche, nachmittags oder abends nach der Arbeit. Im gleichen Jahr, 1954, – das hat er mir mal erzählt – haben die Spieler im ganzen Jahr inklusive Spesen CHF 500 verdient. HB Und das ist noch nicht so lange her. Darf ich dich noch was Dummes fragen? Als du bei der Nationalhymne da standst, mit der Captain-Binde – warst du da gerührt? B Total! Ich hätte heulen können. Für den Moment, wenn dein erstes Länderspiel angepfiffen wird, lohnt sich das ganze Leiden! Da denkst du nicht an Geld oder Ruhm. Das ist so ein Triumph! HB Und kannst du dich noch erinnern, wo für dich die beste Stimmung war in einem Stadion? B Einmal haben wir in Tiflis gespielt im UEFA-Cup – da waren 100 000 Zuschauer. Für einen Schweizer ist das relativ viel ... (lacht) Nach 15 Minuten haben sie das entscheidende 1:0 geschossen. Dieser Lärm, das kannst du dir nicht vorstellen! HB Zum Glück habt ihr nicht gewonnen! B Allerdings, wir hatten wirklich Angst. HB Findest du das neue Stadion auch so katastrophal? B Ja, völlig. Keine Ambience. HB Es zieht überall rein. B In allen Stadien mit Leichtathletikbahnen kommt leider keine gute Stimmung auf. Das ist ja beim Theater von Haus zu Haus wahrscheinlich verschieden, oder? HB Ja, sicher. Aber ein Theater, das den Spieler so wenig an den Zuschauer anbindet wie im Letzigrund, kenn ich keines. B Dort hat man im Grunde gar keinen Heimvorteil. Damit kann man ja niemanden beeindrucken.
Wir kommen im „Rosso“ an. Ein typisches Züri-WestLokal, das in der Halle eines ehemaligen Handwerksbetriebs eingezogen ist. Seit Jahren steht das Gebäude vor dem Abriss, aber noch gibt es das „Rosso“ und seine leckeren Holzofenpizzen. Es ist laut und voll. B So ein lässiges Lokal. HB Hier ist Zürich ein bisschen wie Berlin. B Berlin ist eine wunderbare Stadt. Dort hab ich früher auch gespielt, vor dem Mauerfall, und dann bin ich einige Tage nach dem Mauerfall dort gewesen. HB (unterbricht) Wir müssen natürlich schon noch nachsehen, wie es im Prozess von Uli Hoeness weiterging!
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On the town
HB Was du heute machst, empfindest du das als da täglich für Möglichkeiten hat. Handwerk? B Und bei der Weltmeisterschaft? Kommen da die B Das ist ein Mix. Wichtig ist der Patient, der Leute trotzdem ins Theater? menschliche Kontakt. Die Menschen sind alle so HB Oh, schwierige Zeit! Aber wir stellen uns dem, verschieden, ihre Knie sind dagegen im Grunde mein Projekt findet zum Beispiel genau während alle gleich. Aber das kann man nicht lernen, das ist der Weltmeisterschaft statt. Ich lese integral immer anders. „Also sprach Zarathustra“ von Nietzsche – an zehn HB Hast du als Goalie etwas gelernt, was man als Abenden an zehn verschiedenen Orten in Zürich. Chirurg brauchen kann? B Das komplette Buch? B Wenn man beim Fussball mit weichen Knien vor HB Ja, genau, ungestrichen! Das Buch ist einfach so toll! 100 000 spielt, dann entwickelt man eine gewisse B Sag mir mal etwas daraus ... Stresstoleranz und die ist HB Zum Beispiel ein Satz: schon hilfreich im „Werde, der du bist.“ Chirurgenberuf! Bei zehn B Klasse! Eingriffen pro Woche ... Der Goalie hat nichts zu verlieren. Es ist spät geworden, HB Und wie wurdest du schliesslich auch die meisten Gäste sind längst Selbst wenn du den Ball zwischen gegangen. Unternehmer? den Beinen durchlässt, macht dir B Wieder ein Zufall. Ich war Leitender Arzt im HB Hast du bestimmte kein Mensch einen Vorwurf. Der Triemlispital, eigentlich Ticks – hast du deinen Schütze hingegen kann nur ein Job fürs Leben. Kaugummi an den 1999 hat ein Kollege die Pfosten geklebt? So verlieren. Idee für die Sportklinik etwas? an mich herangetragen. B Ich hab immer als erstes Mittlerweile haben wir die Latte berührt. vier Kliniken in der ganzen Und dann hatte ich Stadt. Ich bin im Herzen Stadien, in denen ich kein Unternehmer. Meine speziell begrüsst wurde. Arbeit sehe ich in der Begegnung mit dem Patienten. In Genf – dem einzigen Stadion, wo ich mein Leben Aber jetzt musst du mir noch sagen, was dein lang kein Spiel gewonnen habe, gab es eine „Tiflis“ gewesen ist! vertraute Stimme, ein Zuschauer, der immer dort HB Das ist einfach! Ich habe Faust 1 und 2 gemacht war und einige Meter direkt hinter dem Tor sass. mit Peter Stein. 18 Stunden. Als ich das erste Mal Der rief immer „Berbig, Trou du cul! Berbig, Trou du in diese Arena lief und wusste, wir spielen jetzt cul!“ Dann wusste ich: Alles ist in Ordnung! Gibt es 18 Stunden – dieses Gesamtkunstwerk, das war bei dir so etwas auch? natürlich schon ein riesiger Druck. Ich war mit dem HB Nein, vom Publikum bekomme ich während der ganzen Projekt, Proben und Vorstellungen auch fast Vorstellung nur die Stimmung mit, aber keine zweieinhalb Jahre beschäftigt. Wir haben allein konkreten Zurufe. Einmal habe ich eine Vorstellung acht Monate geprobt. Ich kann nur wieder Matthias unterbrochen, weil es im Zuschauerraum nur Sammer zitieren: „Wir müssen einfach trainieren.“ so leuchtete vor lauter Handys. Die vielen Schüler (Lachen.) liessen sich von meiner Unterbrechung kaum B Was hast du gespielt? erschüttern, bis ich zwei von ihnen mit auf die HB Mephisto. Also wieder Linksaussen (lacht). Bühne holte und den Monolog auf einmal vor einem B Wie ist ein Applaus nach 18 Stunden? gespannten Saal sprechen konnte! HB Der Applaus war umwerfend, minutenlang Standing Ovations. Das Publikum war genauso ausdauernd Robert Hunger-Bühler erzählt von einer Vorstellung beim wie wir! Das war toll! Theatertreffen, bei der er mit weichen Knien spielte, B Das ist toll. In Zürich ist das Publikum oft nicht sehr weil sein Kollege und Idol Bruno Ganz sich angemeldet begeisterungsfähig. Beim Fussball, aber auch bei hatte. Wir bestellen noch einen Wein, Roger Berbig Opernpremieren, da springt der Funke nicht über, berichtet von seinem Erlebnis und Ekel beim Stiefkampf weil alle so abgeklärt sind. Die besten Vorstellungen und kann sich noch ein letztes Mal wundern, wieviel sind die Volksvorstellungen ... Fussball-Detailwissen Robert Hunger-Bühler noch HB ... oder bei uns die Theatermontage. Da gibt es parat hat. Als letzte Gäste verlassen wir schliesslich eine ganz andere Zwiesprache zwischen Spielern das Rosso. Nach dem Prozess von Uli Hoeness hat und Publikum. an diesem Abend niemand mehr gefragt. B Als Muhammad Ali in der Blüte seiner Zeit im Hallenstadion geboxt hat, waren da 3.000 Menschen. Im 12 000-Plätze-Hallenstadion! Unglaublich! Liegt es an den Preisen? HB In der Kultur sagt man das ja immer, dass sich ein Durchschnittsverdiener die Oper oder das Schauspielhaus gar nicht leisten kann – und es ist natürlich auch teuer. B Andererseits, was man im Ausgang so ausgibt ... HB Was kostet ein Stadionbesuch? Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra B Haupttribüne, guter Platz: 80 CHF. Dafür kann man Eine integrale Rezitation des Werkes an zehn Tagen an zehn Orten Zürichs auch ins Schauspielhaus. Eigentlich stimmt die (im Rahmen der Festspiele Zürich) Relation nicht. Von und mit Robert Hunger-Bühler und Gästen HB Aber der Hauptgrund ist das unglaubliche Angebot! Auftakt am 15. Juni im Pfauen Wenn man mal den Züritipp aufschlägt – was man
Ein Held unserer Zeit
Entweder Sie erschiessen sich ...
Die junge Regisseurin Kateryna Sokolova inszeniert den Roman „Ein Held unserer Zeit“ des russischen Autors Michail Lermontow (1814 –1841). Die Dramaturgin Karolin Trachte hat mit ihr und den Ensemblemitgliedern Johannes Sima und Dagna Litzenberger Vinet gesprochen. Karolin Trachte – „Ein Held unserer Zeit“ handelt vom charismatischen, aber kühlen jungen Offizier Petschorin. In der Erzählung verführt er die Fürstentochter Mary, was zu einem tödlichen Duell mit dem Konkurrenten Gruschnitzkij führt. Später verlässt er sie aus blossem Überdruss. Warum dieser Stoff?
Johannes Sima – Ich sehe ihn als grosse Projektionsfläche. Es ist sein Umfeld, das ihn zu dem macht, was er ist. Frauen verlieben sich, Männer wollen sein Freund sein – die Menschen bieten sich ihm regelrecht an, was es ihm leicht macht, sie zu manipulieren. Und er ist sehr reflektiert: Er notiert alles, was er tut, in sein Tagebuch.
Kateryna Sokolova – Mich interessiert, wie man sich beim Lesen regelrecht in Petschorin verliebt. Im Grunde genommen ist er ein unerträglicher Mensch, trotzdem bleibt er bis zum Schluss anziehend. Ein Rätsel von Mensch.
Sokolova – Ja, das ist fast ein Selbstexperiment, vielleicht eine Art Vorläufer von Tolstois masochistischer Dialektik an der eigenen Seele. Er analysiert sich, fragt sich
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zugänglich: keine gekünstelten, verschachtelten Sätze, sondern Alltagssprache in Dialogen, die man auch heute auf einer Bühne sprechen kann.
warum er so handelt, hasst sich dafür, tut es aber trotzdem. Er leidet am Leben, aber eben sehr bewusst. Sima – Manchmal ist er dabei auch zynisch, so pragmatisch, dass es wieder humorvoll wird – wenn Petschorin sagt: „Entweder Sie erschiessen sich oder wir gehen alle schlafen.“ Wahrscheinlich kann er nicht anders. Er hat alles probiert: freundlich, durchtrieben, demütig sein ... All das hatte jedoch nur Enttäuschung zur Folge, daraus resultiert vielleicht seine kühle Sicht auf die Welt.
Trachte – Ist Petschorin eine heutige Figur, seht ihr in eurer Generation Ähnlichkeiten zu ihm? Litzenberger – Ich finde schon, dass unsere Generation auf der Suche nach etwas ist, was ihr ein Ziel geben könnte. Das Ziellose im Handeln Petschorins identifiziere ich stark mit heute, ja – aber nicht die Intelligenz .... (lacht) Nein wirklich, sind wir nicht unpoetisch und stumpf im Gegensatz zu den russischen Dichtern dieser Zeit und ihren reflektierten Figuren? Dostojewskis Figuren „wehren“ sich später wenigstens gegen ihr Schicksal – sie schreien, lachen, weinen, zerrennen ihr Leben. Aber auch, wo sie sich dem „ennui“ überlassen, da hat das eine Dauer. Heute ist selbst das Langweilen blitzschnell, man langweilt sich unter permanenter Reizüberflutung und falscher Aktivität.
Dagna Litzenberger – Ich denke, er entscheidet sich aus Trotz für diese Rolle. Er sagt: Eigentlich müsste ich immer mit unglücklichen Menschen zusammen sein. Denn wenn ich mit einem glücklichen Menschen zusammen bin, dann bin ich selbst schon aus purem Trotz unglücklich. Das ist wie ein wiederkehrender Hilferuf einer Generation – damals wie heute. Diese Figuren leben ziel- und grundlos, glauben an nichts – vielleicht ist Trotz die Reaktion darauf.
Sokolova – Figuren wie Byrons Don Juan sind adlige, hochgebildete Menschen, die andere politische Ansichten haben als die, welche das Herrschaftssystem vorgibt. Opposition ist kaum möglich, sie können sich nicht entfalten. Ihre Generation ist verstummt, das ist eine Sackgasse. Petschorin beginnt aus schierer Langeweile, Intrigen zu spinnen.
Trachte – Oder Ironie und Zynismus? In Bezug auf Puschkin und Lermontow spricht man auch vom „überflüssigen Menschen“. Gemeint ist ein eloquenter, reflektierter Dandy, der angesichts der eigenen Unfähigkeit, Veränderung herbeizuführen, fatalistisch und ironisch wird …
Trachte – Lermontow selbst kam im Alter von 26 Jahren bei einem Duell um. Es war dem, das er im „Held unserer Zeit“ beschreibt, sehr ähnlich und auch fast am gleichen Ort … Sokolova – Das ist spannend, weil für ihn die Frage nach dem Schicksal so zentral ist. Ich könnte mir vorstellen, dass er das Duell angezettelt hat, um sein Schicksal herauszufordern. Es ist ein Fatalismus, den er auch Petschorin zuschreibt: „Als ich in dieses Leben eintrat, hatte ich es schon im Geiste durchlebt, und ich empfand … einen Widerwillen, wie jemand, der eine schlechte Nachahmung eines ihm schon längst bekannten Romans liest.“
Litzenberger – Ich glaube sogar, dass er gerne Teil dieser Gesellschaft wäre. Und dass er weiss, dass er glücklicher wäre, wenn ihn nicht die ständige Reflektion peinigen würde. Trachte – Wir bekommen im Roman beinahe alle Geschehnisse durch die Augen der Hauptfigur mittels deren Tagebuchnotizen beschrieben. Was bedeutet das für die Bühnenfassung?
Litzenberger – Ich glaube, darin steckt eine Sehnsucht, die ich mit den russischen Autoren teile: die romantische Hoffnung, ein Leben wie im Roman zu führen. Und wenn das schon im Leben nicht klappt – das tut es nicht, damals wie heute – dann wünscht sich Lermontow, dass wenigstens der Tod ein bisschen wie im Roman sei ...
Sokolova – Ich frage mich manchmal, wie es wäre, wenn wir auch Marys Tagebuch lesen könnten oder Gruschnitzkijs. Was denken die anderen Figuren über Petschorin? Lermontow nutzt aber auch drei verschiedene Erzählperspektiven: Neben dem Tagebuch gibt es zwei weitere Ich-Erzähler. Das eröffnet Spielmöglichkeiten. Zudem ist die Sprache sehr
Ein Held unserer Zeit nach dem Roman von Michail Lermontow Regie Kateryna Sokolova, Bühne Michela Flück, Kostüme Noelle Brühwiler Mit Gottfried Breitfuss, Dagna Litzenberger Vinet, Johannes Sima, Milian Zerzawy Ab 28. Mai, Pfauen/Kammer
… oder wir gehen alle schlafen 35
Ein Held unserer Zeit
Sokolova – Gemeint sind Menschen, die mit ihren Prinzipien der Gesellschaft entgegenstehen, den Finger in die Wunde legen. Sie schwimmen gegen den Strom und gehen daher schneller unter. Sie mögen überflüssig erscheinen, aber nur in einer Gesellschaft, die keine Veränderung will. Petschorin fühlt sich fremd und missverstanden. Solche Helden kämpfen nicht für edle Ziele oder zum Wohle der Allgemeinheit, sie präsentieren keinen alternativen Gesellschaftsentwurf. Obgleich er sich dieser Gesellschaft nicht zugehörig fühlt, kann er mit ihren Konventionen mühelos umgehen. Noch mehr: Er kann sie ungestraft unterlaufen und zu seinem Vorteil missbrauchen.
Schicht mit Walther Schorn
Ein riesiges Schachbrett
Die Spielzeit 2013/14 ist f端r Walther Schorn bereits die vierte am Schauspielhaus Z端rich, in der er als Disponent die verschiedensten Interessen des Theaterbetriebs immer wieder aufs Neue auf einen gemeinsamen Nenner bringen muss. Eva-Maria Krainz hat ihn einen Tag lang bei seiner Arbeit begleitet. 36
09.00 Uhr Walthers Arbeitstag beginnt mit einem Endprobengespräch: Im Sitzungszimmer des Schiffbaus geht er mit Vertretern der Abteilungen durch den Endprobenplan der Produktion „Robert Walser“, um diesen für alle Beteiligten so optimal wie möglich zu gestalten.
10.56 Uhr Um erfolgreiche Premieren zu ermöglichen, braucht es die bestmöglichen Probenbedingungen für Schauspieler und Regie. Gleichzeitig gilt es aber auch, die Kapazitäten der Technik – Dienstpläne, Werkstatt-, Auf- und Abbauzeiten – und die wirtschaftlichen Interessen der kaufmännischen Leitung zu berücksichtigen. Alle Wünsche zu erfüllen ist dabei so gut wie unmöglich – Walther muss erkennen, wo im konkreten Fall die Prioritäten liegen und diese durchsetzen. Dass man sich damit nicht immer beliebt macht, ist klar: „Man kann nur versuchen, am Ende der Spielzeit allen ungefähr gleich viel auf die Füsse getreten zu sein.“ 11.14 Uhr Im Büro angekommen, läutet auch schon das Telefon. Der Disponent eines anderen Theaters ruft an, um über Termine von Gastschauspielern zu verhandeln. Auch das gehört dazu: „Deals“ mit anderen Theatern. Da das Schauspielhaus über ein verhältnismässig kleines Ensemble verfügt, ist es immer wieder auf Gastschauspieler angewiesen.
14.30 Uhr Walther zeigt mir die verschiedenen bunten Excel-Tabellen, mit denen er arbeitet: Er beginnt mit einer groben Jahresplanung, in die er Termine für Bauproben und Premieren sowie Probenzeiträume und die Aufteilung der Probebühnen einträgt. Danach geht es weiter mit der Planung der Abos, in die Detailplanung der jeweiligen Produktionen und die Erstellung der Monatsspielpläne. 15.05 Uhr Es klopft – der Schauspieler Lambert Hamel steckt seinen Kopf herein und möchte Walther kurz sprechen. Um planen zu können, möchte er wissen, wann er im Mai Vorstellungen mit Goldonis „Der Diener zweier Herren“ haben wird. Die beiden gehen durch den Monatsplan und Walther findet eine Möglichkeit, einen für den Schauspieler ungünstigen Vorstellungstermin auf eine andere Position zu schieben. 15.32 Uhr Wieder läutet das Telefon. Diesmal sind es die Kollegen vom Berliner Theatertreffen, zu dem das Schauspielhaus in diesem Jahr mit zwei Inszenierungen eingeladen ist. Eine solche Einladung ist eine hohe Auszeichnung und Grund zur Freude, auch wenn sich aufgrund von Besetzungsüberschneidungen dadurch Verschiebungen, u.a. auch von – eigentlich unverrückbaren – Aboterminen, ergeben, die Walther im Monatsplan vornehmen muss. 16.40 Uhr Dazu kommt diesen Mai noch eine weitere Herausforderung: „Transit
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Zürich“, ein Projekt mit sechs Werkstattinszenierungen junger europäischer Regisseure im Atrium des Schiffbaus. Endproben für eine einzige Produktion zu planen, ist schon kompliziert genug – ein Projekt mit sechs verschiedenen Inszenierungen bedeutet richtige „Tüftelarbeit“ für den Disponenten, die nur dank zweier zusätzlicher Probebühnen und sorgfältiger Planung der Besetzung überhaupt möglich ist: So dürfen etwa Schauspieler, die in „Der Diener zweier Herren“ oder „Matto regiert“ besetzt sind, nicht an „Zürich Transit“ beteiligt sein – sonst wäre es unmöglich, den regulären Spielbetrieb im Pfauen parallel aufrechtzuerhalten. 18.00 Uhr Auf dem Weg ins Sitzungszimmer, wo Walther die Inspizienten trifft, um mit ihnen über die Aufteilung der nächsten Sonderveranstaltungen zu sprechen, möchte ich noch wissen, wie man eigentlich Disponent wird: „Learning by doing“, lautet die Antwort. Wobei ein gewisses analytisch-mathematisches Verständnis nicht schadet, ebenso wenig wie Walthers Begeisterung fürs Schachspielen: Als Kind war er Salzburger Landesmeister und hat alle Erwachsenen in seinem Umfeld besiegt. Jetzt vergleicht er das Theater gerne mit einem riesengrossen Schachbrett, auf dem es jeden Zug sorgfältig zu bedenken gilt, weil er viele andere nach sich zieht …
Schicht mit Walther Schorn
10.15 Uhr Auf dem Weg in den Pfauen, wo sich Walthers Büro befindet, überlegen wir, wie sich seine Arbeit am besten beschreiben liesse – eine Frage, die ihm auch im Freundeskreis immer wieder gestellt wird. Er würde sich am ehesten als eine Art Mediator bezeichnen, der versucht, die verschiedenen Interessen so unter einen Hut zu bekommen, dass am Ende ein funktionierender Spielplan steht: „Positiv ausgedrückt, versuche ich in jeder Spielzeit so viele Menschen wie möglich glücklich zu machen“, sagt er lachend.
Besonders bei solchen mit „StarStatus“ braucht man ein feines Gespür, um in Verhandlungen mit anderen Theatern gut abzuschneiden: So sehr man auf den eigenen Vorteil bedacht ist, darf man es sich doch nicht mit den anderen verderben. Eine Gratwanderung, die vor allem deshalb immer wieder gelingt, weil beide Seiten wissen, dass sie nächsten Monat wieder aufeinander angewiesen sein werden …
Zweifels Selbstgespräche
l ife ne e m Zw lu n Ko efa St
Die Einübung ins Selbstgespräch wird zur politisch verordneten Not, seit die Kontingentierung freier Geister aus dem Ausland wieder unsere Fantasien beflügelt, uns entschweben lässt in Grössenvorstellungen, wo wir, wo ich unbedrängt von Konkurrenten, plötzlich zum Professor berufen in der Aula Maxima über den wilden Geist aus der Zeit von Dada schwärme, wohlwissend verschweigend, dass die Polizei Emmy Hennings und Hugo Ball verfolgte, ihnen mit Kerker drohte, die Schriften von Tzara, heimlich, im Hotelzimmer unten an der Limmat untersuchte, da sie in ihm einen Bolschewiken vermuteten, aber, da sie nichts von den dadaistischen Gedichten verstanden, die Überwachung einstellten, eine Überwachung, die bei uns, im Staat der freien Geister, die ihre Freiheit so gern für sich haben, immer wieder mit dem Instrument der Kontingentierung verschärft wurde, um zum Beispiel mich, ja mich, zum Professor zu berufen, um andere Ichs wie Mich, damals, im zweiten Weltkrieg zu fördern, als der Schweizer Schriftstellerverband die viel berühmteren und begabteren Kollegen aus dem Ausland zwang, heimlich und unter Pseudonym zu publizieren, weil man ihnen, politisch ohnehin meist missliebig, ein Schreibund Berufsverbot auferlegte, und damit einen hehren Kompromiss heuchelnd, da in Kriegszeiten das Ausschaffen heikel war, heikler als die Kontingentierung später, in Zeiten des Kalten Krieges, als hier, am Schauspielhaus, 1967 Peter Steins legendäre Zeit begann, aber sofort unter bolschewistisch-stalinistischen Verdacht gesetzt auch hier die missliebigen Deutschen überwacht wurden, von Staatsspitzeln, Klaus Völker etwa und die anderen linken Dramaturgen und Denker, bei Sitzungen im Pfauen-Kaffee bespitzelt, alles in Fichen kritzelnd, wobei man das Kontingentieren als politisches Instrument der Kulturpolitik entdeckte, ihnen androhte, keine Aufenthaltsbewilligungen auszustellen, da der freie und liberale Geist von Leuten wie Ernst Bieri von der NZZ, damals Verwaltungsrat am Schauspielhaus, weht, wo er, er allein, wehen will, epochenübergreifend, da Bieri schon kurz nach dem Krieg das missliebige kritische Denken von Max Frisch zunächst, wie Julian
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Einübung ins Selbstgespräch
Schütt in seiner Frisch-Biographie aufzeigte, als faschistisch, dann, als diese Verleumdung nicht griff, als kryptokommunistisch denunzierte, ehe man zu einem griffigeren Instrument gegen Inländer, die man nicht als Kontigent abschieben kann, griff und ihn einfach verschwieg, gern gewählte Taktik bis heute, Frisch zwischen die Zeilen verbannte, bis Frisch das Stipendium von Rockefeller aus dem Würgegriff seiner Gegner befreite und er, endlich, mit Stiller ins Weite der Welt fand, wo man ihn nicht mehr einfach verschweigen konnte, höchstens mit herablassender Ironie behandeln, da man ja selber die heilige Dreifaltigkeit von Bührle, Bank und Feuilleton verkörpert und verteidigt, was Frisch im zweiten Tagebuch analysierte, ehe er auf die Halbinsel New York flüchtete wie einst Rousseau auf die Petersinsel im Bielersee, mitten im Herz der Heimat, die nicht ein Hort der Freiheit war, nein, denn damals, als man in Paris Rousseaus Bücher verbot, wurden sie auch in seiner Heimatstadt Genf verbrannt, und im Jura warfen ihm die Bauern die Fenster ein, so dass er auf die Halbinsel im Bielersee flüchtete, sein winziger Fleck, wo er sich nicht überwacht und verfolgt fühlte – aber die Insel gehörte nicht den Schweizern, sondern Preussen, und so kann man, eigentlich, wenn man sich nicht konkurrenzlos ins Hohe fantasieren will, nur wünschen, dass solche Inseln und Halbinseln für freie Denker, Libertins des Geistes, kosmopolitische Weltwanderer wie Rousseau eingerichtet werden, die Ufenau etwa, unter Berliner Protektorat gestellt, mit Schiffen, auf denen die deutschen Denker dann doch in die Säle der Aula übersetzen können, uns aus dem Zwang, in heiliger Einsamkeit Selbstgespräche zu führen und Missliebiges zu verschweigen oder zu kontingentieren, befreien, uns endlich vom Wahn heilend, dass niemand so gross ist wie – ich.
Zweifels Zwiegespräche Trans 1913 Zu Gast Felix P. Ingold 6. April im Pfauen/Kammer, 19 Uhr
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Hopp Schwiiz! Hopp Spieler!
Le public, c’est qui?
Das grosse Para-WM-Fussball-Spektakel „Goal Mania“
von Daniela Stauffacher
Eigentlich tut man das ja nicht. Und schon gar nicht von oben herab. Auf den billigen Plätzen gebührt sich Ruhe – auch gedankliche. Aber dann schimmern dort unten die Glatzen so freundlich und es glänzt der Schmuck so festlich, und schon ist das neugierige Auge von der Bühne in die Reihen gehuscht: Guten Abend, verehrtes Publikum!
„Wenn man sieht, mit wie viel Akkuratesse, Fleiss und Aufwand ein Theaterstück auf die Bühne gebracht wird, dann tut es einem wirklich leid, wenn im Zuschauersaal 300 oder 400 sind, und nicht etwa 80 000.“ (Fussballtrainer Hans Meyer) Goal Mania 28. Juni im Schiffbau/Halle, 19.30 Uhr Unterstützt von der Stiftung „Perspektiven“ von Swiss Life und SportXX
Theater Campus – Das Angebot für Studierende Mehr dazu: www.facebook.com/theatercampus
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Theater Campus
Goal Mania
Theater und Fussball mögen einiges gemeinsam haben – die Einheit von Ort, Zeit und Geschehen, Zuschauer, die manchmal auch Fans sind, die ein oder andere schauspielerische Einlage und den Antagonismus zweier Parteien oder Personen. Jeder Dialog ist Zweikampf, steht bei Brecht zu lesen. Doch das Duell Theater vs. Fussball war, nach Punkten zumindest, schon immer klar entschieden. Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie! Nichts lieben wir als Zuschauer mehr als den Kampf ungleicher Gegner. Jago gegen Othello, Rocky vs. Apollo Creed, die Schweizer Nati gegen Brasilien. Unterschiedlicher können auch die beiden Teams nicht sein, die beim Para-WMFussball-Spektakel Goal Mania im Schiffbau aufeinandertreffen werden. Während die WM in Brasilien Millionen an den Bildschirm fesselt, treten in Zürich die geistig behinderten Darsteller des Theater HORA gegen ihre KollegInnen aus dem Zürcher Schauspielhaus an. Der Rahmen ist inszeniert, das Spiel selbst bitterer Ernst. Werden die Behinderten aus dem Stadion geschossen oder erleben wir das Wunder von Zürich? Und wer gewinnt die Herzen der Theaterzuschauer? Sichern Sie sich ein Ticket, und peitschen Sie Ihre Mannschaft zum Triumph! Finden Sie sich zurecht in der Verwirrung des Diskriminierungs-Diskurses und des Fussballer-Lateins! Geraten Sie in die Abseits-Fallen der Inklusion und geniessen Sie die einmalige Atmosphäre zwischen Theater und Sportevent und die grosse Frage nach der Political Correctness. Für Wurst, Bier und Unterhaltung ist gesorgt. Mögen die Spiele beginnen.
Da sitzt man nun in seinem Rang und zweifelt plötzlich am Namen: Das Publikum, wer soll das sein? Es schweift der Blick, und schnell ist eine Antwort gefunden: Das Publikum ist der junge Mann in Reihe zehn, Beine gekreuzt (ein Intellektueller?), dem die Berliner Inszenierung doch immer um einiges vielschichtiger scheint, wobei er sich in Zeiten ubiquitärer Plattitüden auch davon nicht mehr allzu viel versprechen mag. Klingt nach Publikum. Gerade möchte man sich wohlig in den roten Plüsch zurücklehnen, da beugt sich eine ältere Dame zum Jüngling hinüber und fragt verwundert, wo denn nur der Wallenstein bleibe. „Gantenbein“, knurrt verächtlich die Nachbarin rechts, hüllt sich aber schleunigst in Schweigen, als sie den wütenden Blick des Parteigängers aus Reihe neun auf sich zieht. Er ist schon den ganzen Abend gereizt ob des vielen Hochdeutschs und fest entschlossen, am nächsten Parteitag die Verdrängung der Mundart aus dem Theater zu thematisieren. Publikum, bist du das? Oder ist es doch der Herr von der Zeitung, der zwar nie lacht, dafür aber erstaunlich vielfältige Variationen des Hustens beherrscht? Eher der Jurist, dessen gemässigtes Klatschen verrät, dass er nebst Abonnement auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn besitzt? Und so ergeht es einem in den Höhen der Loge wie in den Höhen des Elfenbeinturms: Antworten haben wir selten parat; dafür stellen wir zu gern Fragen. Darum hier noch eine: Wer glaubt denn überhaupt, dass es bei einem solchen Schauspiel noch Zuschauer gibt?
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Situation Rooms
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„Situation Rooms“ des Theaterlabels Rimini Protokoll ist ein „Simultaneous Videowalk“. Die theatrale Installation zwischen Dokumentation und Computerspiel wurde als eine der zehn bemerkenswertesten Produktionen der Saison zum Berliner Theatertreffen 2014 eingeladen und ist jetzt auch in Zürich zu sehen.
Für „Situation Rooms“ versammelt Rimini Protokoll 20 Menschen aus mehreren Kontinenten, deren Biographien von Waffen mitgeschrieben wurden, und baut die globalisierte Welt der Pistolen und Panzerfäuste, der Sturmgewehre und Drohnen, der Regierenden und Flüchtenden nach. Mithilfe von iPads wird diese Welt zu einem Parcours unerwarteter Nachbarschaften und Kreuzungen. Das Publikum verfängt sich nach und nach im räumlichen und inhaltlichen Labyrinth dieses Filmsets; jeder Einzelne wird Teil des Re-Enactments eines komplex ausgetüftelten multiperspektivischen „Shootings“. „Situation Rooms“ ist ein multiples Simultan-Kino. Augmented Reality, die so dreidimensional ist, wie es nur Theater sein kann!
Ein Zuschauer setzt sich an den Schreibtisch einer Führungskraft aus dem Rüstungsgeschäft. Eine andere Zuschauerin folgt dem Film eines pakistanischen Anwaltes von Opfern amerikanischer Drohnenanschläge in ein enges Kabuff mit Überwachungsmonitoren. Auf ihrem Weg dorthin sieht sie einen dritten Zuschauer, der seinem Film in den Schiessstand eines Berliner Schützenvereins folgt, an dem er dem deutschen Meister im ParcoursSchiessen zuhört. Um die Ecke steht ein anderer Zuschauer in der Rolle eines Arztes, der in Sierra Leone Amputationen durchführt, um wenig später selbst im Schiessstand zu stehen – und dabei für andere zum Gegenstand der Beobachtung zu werden.
Von 19. bis 29. Juni mehrfach täglich im Schiffbau/Box „Situation Rooms“ von Rimini Protokoll Regie Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel
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club diskret Im April
Zuschauer im Behandlungszimmer in Sierra Leone iPad und Kopfhörer eröffnen eine subjektive Perspektive Mit den einzelnen Erzählungen setzen sich die Bilder in Bewegung Jeder Einzelne wird Teil des Re-Enactments Selbst der Inhalt des Kochtopfs enthüllt sich über das iPad Der titelgebende „Situation Room“ im Weissen Haus … … direkt neben einem Hinterhof in Afghanistan
3. April Game Design Vol. 1 Die Formation UrbanOut installiert ein interaktives Fiction-Spiel – ein Ausflug in die Welt kommerzialisierter Träume.
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10. April Blackbox Science Vol. 2 „mensch.maschine“ Eine Gruppe von Neurowissenschaftlern läuft zu Höchstleistungen auf – nur der Espresso will in der Simulation nie so gut schmecken wie im echten Leben.
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17. April Blackbox Science Vol. 3 Komplexe Dinge wie die Finanzkrise erklärt man am besten durch Geschichten – sagt der Autor Jonas Lüscher. 24. April Blackbox Science Vol. 4 Gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Prof. Dr. Peter Brugger steckt die Gruppe „Anda“ das Feld zwischen Wahn und Wissenschaft neu ab. Am 24. April verabschiedet sich das Team mit einem fulminanten Abschiedsfest in eine lange Sommerpause – im Herbst geht es weiter! „Blackbox Science“ wird unterstützt von der Gebert Rüf-Stiftung
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Situation Rooms
Vorher — Nachher
Pe tr vo a Fi n sc he r
Junges Schauspielhaus
„Sie lauschten, wenn er spielte …“
In „Der Josa mit der Zauberfiedel“ erzählt Janosch eine Geschichte über die Kraft der Musik. Der Regisseur Enrico Beeler hat für die Inszenierung drei Musiker zusammengebracht, die ausserhalb des Jungen Schauspielhauses in verschiedenen Konstellationen arbeiten. Ein Anlass, mit Nehrun Aliev, Christian Hieronymi und Simon Ho ins Gespräch zu kommen – über ihre eigenen Erfahrungen mit Musik. 42
Wie war eure erste Begegnung mit Musik?
Wie geht ihr um mit dem Wechsel zwischen dem Üben für das Beherrschen der Instrumente und der Leichtigkeit, die eine Aufführung braucht?
Nehrun Aliev – Ich habe die Musik sozusagen von meinem Vater geerbt. Ob ich wollte oder nicht, ich hatte gar keine andere Wahl: Mein Onkel hat Gitarre gespielt, mein Vater Klarinette und Saxophon. Sie haben ständig gemeinsam musiziert. Jedes Wochenende waren wir auf ein Fest eingeladen, wo es nonstop Musik gab. Ich selbst habe mit vier Jahren angefangen mit Trommeln, mit sechs, sieben bekam ich Lust auf Keyboard. Als ich sah, dass das Klavier grösser ist, wollte ich Klavier spielen. Da hat mein Vater gesagt: „Dann gehst du in die Klavierstunde.“ Mit zehn habe ich begonnen, Klarinette zu spielen, später Akkordeon, vor drei Jahren Schlagzeug. Es hat nie aufgehört und geht immer noch weiter.
Nehrun Aliev – Wir haben zu Hause viel Besuch gehabt, ich musste allen vorspielen und ich habe es gern gemacht. Ich war auch nicht nervös. Dass ich zuhause war, hat mir Sicherheit gegeben. Bei manchen Gästen habe ich mich getraut, das zu spielen, was ich gerade übte. Dann haben sie gesagt „Das ist Üben? Du spielst doch.“ Das ist nicht das Gleiche. Da musst du loslassen können, damit du es wirklich auch selbst geniessen kannst. Eine Verbindung zum Publikum habe ich bei klassischer Musik oft vermisst – auch wenn ich auswendig spiele, bin ich bei mir, beim Pianisten oder beim Trio. Bei der Volksmusik dagegen sehe ich jede Reaktion, ob jemand schläft oder voll wach ist, mir auf die Finger schaut, diskutiert. In Konzerten spielen wir drei bis vier Stücke, merken dann, wie das Publikum reagiert und können bis zum ersten Set-Ende ein paar Stücke verschieben. In der Pause erstellen wir das zweite Set und spielen es dann. Das ist Spielen mit dem Publikum. Das kannst du bei einem klassischen Konzert nicht machen. Ich bin froh, dass ich beides erlebe.
Christian Hieronymi – Ich bin in einer NichtMusikerfamilie aufgewachsen. Rundherum war Musik, aber es war nicht klar, dass ich Musiker werden würde. Noch bevor ich in den Kindergarten kam, war ich einmal krank zuhause und mir war langweilig. Da sagte ich meiner Mutter, sie solle mir einmal ihre Flöte geben. Sie hat mir ein bisschen gezeigt, wie man da drücken muss, um zu spielen. Da war mir nicht mehr langweilig im Bett. Später habe ich mit Cello begonnen und mich mit allen möglichen Instrumenten beschäftigt. Simon Ho – Ich bin mit Zigarrenrauch und Bach-Kantaten aufgewachsen. Das war immer so. Glücklicherweise gab es ein Klavier bei uns zuhause. Es wird erzählt, dass ich schon als ganz Kleiner am Klavier sass und „Schneckenlieder“ gespielt habe. Das waren die langsamen Improvisationen. Für mich war eigentlich immer klar, dass Tasteninstrumente „mein Ding“ sind. Vom Klavier ging es dann über das Cembalo und das Fender Rhodes zum Flügel. Ich habe aber immer schon meine eigene Musik gespielt – daher bin ich eigentlich mehr Komponist als Musiker.
Nehrun Aliev – Wenn man selbst überzeugt ist von dem, was man macht, dann geht das Publikum auch mit. Christian Hieronymi – Ich glaube, als Musiker darf man nicht einfach nur das spielen wollen, was das Publikum hören will. Das bringt gar nichts. Um vom Üben wegzukommen, hin zum Musizieren, muss es auch etwas sein, was du wirklich spielen willst. Um das Aufführen lebendig zu kriegen, ist natürlich auch das Publikum wichtig. Dieser Moment, diese spezielle Atmosphäre, das Knistern, die Spannung, die löst einen dann von dem, was man zuhause gemacht hat. Dann ist man einfach da und und es geht los.
Worin unterscheidet sich für euch die Sprache der Musik von der Sprache der Worte oder des Körpers? Simon Ho – Bewegung und Worte sind kombinierbar mit Musik. Ich finde es immer ein bisschen klischeehaft, zu sagen, die Musik könne Dinge ausdrücken, die ein Text nicht ausdrücken kann. Musik geht anders „rein“. Man kann sich nicht wirklich davor schützen – das arme Publikum! Aber ein Gedicht kann dich ebenso treffen. Man nimmt es einfach anders auf. Das Ohr ist ein wahnsinnig sensibles Organ. Christian Hieronymi – Man kann die Ohren nicht schliessen. Die Augen kann man schliessen, man kann sich weigern, dem Text zu folgen. Aber Musik nimmt man einfach auf, ob man will oder nicht. Die ist unmittelbar und geht einfach „rein“. Simon Ho – Und es macht Spass, wenn du weisst, was musikalisch passiert. Wenn die Noten vor geschlossenen Augen vorbeiziehen, das ist schon schön. Nicht, dass man so Musik hören muss, aber da kommt einfach eine Ebene dazu und die finde ich total spannend. Die Frage, wie Musik gemacht wird …
Der Josa mit der Zauberfiedel nach dem Original von Janosch Regie Enrico Beeler, Bühne Marc Totzke, Kostüme Cornelia Koch, Musik Simon Ho, Puppen/Objekte Jarek Awgulewicz, Cornelia Koch, Marc Totzke Mit Nehrun Ariev, Christian Hieronymi, Aaron Hitz, Simon Ho Ab 3. Mai im Schiffbau/Matchbox
Christian Hieronymi – Musikbildung hilft viel dabei, noch mehr darin zu entdecken. Als ausgebildeter Musiker kann man sich aber nicht mehr einfach so leicht mitreissen lassen. Es ist schwierig, das kritische Hören auszuschalten.
Die drei Musiker sind zu Gast beim „Musikalischen Schreibtisch“ am 18. Mai um 11 Uhr im Schiffbau/Matchbox. Sie geben Einblick in ihre Arbeitsweise und laden das Publikum ein, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
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Junges Schauspielhaus
Simon Ho – Für gewisse Stile bist du einfach immer am Üben, Üben und Üben, vorwärts und rückwärts. Aber die Technik allein macht noch nicht die Musik. Technik kann man lernen. Aber der Geist in der Musik, sie so zu interpretieren, dass es dein Eigenes wird, das ist die Kunst. Das Üben ist eine Fleiss- und Disziplinsache. Ich habe nicht so viel geübt, ehrlich gesagt. Ich denke, man muss einfach den Ton finden für die Musik. Virtuosität finde ich toll. Mit ganz, ganz wenig Tönen und einer sehr einfachen Technik kann man aber ebenso unglaublich viel musikalisch ausdrücken.
Raten Sie mal ...
Besser Leben mit ... Kulturtipps aus dem Schauspielhaus
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„Bruder Sonne, Schwester Mond“
Der von Roland Hotz und Kollegen gefertigte Trachit mit dem Titel „Bruder Sonne, Schwester Mond“ steht am nordöstlichen Eingang des Irchelparks. Ich schätze den Park sehr, seine Planer hatten vor 20 Jahren schon die Vision von einem „unfertig gebauten Naturraum“. Bei schönem Wetter treffen sich heute dort Menschen verschiedenster Herkunft und Kultur zum Verweilen, Joggen, Spielen, Feiern und Grillieren. Zu letzterem wird durch die Grün-Stadt-Zürich mit der Ausstattung und Reinigung der Grillierstellen aktiv angestiftet. Durch das Teilen der Grillglut schafft man einen Blick über seinen Tellerand hinaus … Toleranz wird hier gross geschrieben.
Es war einmal ein Häuflein Ballons, Schnur, ein wenig Stoff, eine Vielzahl Styroporkügelchen und die eine oder andere besonders schön glänzende Paillette. Die Gegenstände fanden ihren Weg in eine ganz besondere Abteilung des Schauspielhauses. Das war ihr grosses Glück. Sie trafen dort auf Phantasie und vollendetes Handwerk, man munkelt, eine Prise Magie sei auch im Spiel gewesen. So wurden sie zum Unikat, sie wurden zum Seeungeheuer Charybdis …
Besser leben mit …
Theaterquiz
Paul Lehner, Produktionsleiter/stv. Technischer Direktor
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Im stillen Winkel
Symptome geistiger Erschöpfung? Vielleicht schon eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Reprisen und Festivals, Zyklen und Kassenhits? Nicht abwegig in einer Stadt wie Zürich, die tausenderlei Kunstaromen und Unterhaltungsgewürze rund um die Uhr bereitstellt. Meine Pille: die entspannte innere Entdeckungstour ausserhalb der Öffnungszeiten. Auf den Spuren des bisher Erlebten – sporadisch wenigstens, einen Rückzugsort vorausgesetzt: Wälder des Züri- oder Uetlibergs, Rietpark, Friedhof Sihlfeld etwa. Diese abgestimmte Schutzvorkehrung regelmässig, auf jeden Fall individuell getroffen, hiesse darüber reflektieren, welches Kunsterlebnis welche Spuren hinterlassen hat. János Stefan Buchwardt, Souffleur
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Sie wissen, welches Spezialisten-Team des Schauspielhauses hier am Werk war? Dann gehört das Kostüm der Charybdis, in dem Lisa-Katrina Mayer in den vergangenen Monaten im Stück „Die Odyssee für Kinder“ für Furore gesorgt hat, vielleicht bald Ihnen.
Bogen F.
Aussen: ein feuchtnebeliger Abend im November. Innen: eine Discokugel und ein bärtiger Australier mit Gitarre – Scott Matthew zu Gast in Zürich. Der Bogen F, ein kleiner Konzertsaal, der dem hippen Innenleben des Viadukts dort ein Ende setzt, wo die Geleise in die (Aussen-)Welt führen und die Bässe der umliegenden Clubs sich mit dem Grummeln der Züge und S-Bahnen mischen. An dem durch seine ausgezeichnete Akustik bestechenden Ort wird unterschiedlichen Genres abseits des Mainstreams ein Podium geboten: von Indie-Formationen aus Island (Hjtalín) über die deutschsprachige Singer-Songwriter-Szene (Blockflöte des Todes) bis zu Vertretern elektronischer Musik (Sofa Surfers) und darüber hinaus – musikalische Begegnungen der besonderen und – wie ich finde – gemütlicheren Art, die mir diesen Ort rasch zu einem neuen kulturellen Lieblingsort werden liessen.
Schicken Sie die richtige Antwort bis am 15. Juni 2014 an marketing@schauspielhaus.ch und gewinnen Sie mit etwas Glück dieses Unikat ... – wir drücken Ihnen die Daumen!
Barbara Falter, Regieassistentin
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Ruf Lanz
Die erste Vegi-Metzg der Schweiz: Besuchen Sie uns im neuen Hiltl Laden gleich neben dem Haus Hiltl.
Hiltl Laden, St. Annagasse18, 8001 Zürich. Feinkost, Vegi-Metzg, Take Away, Café-Bar.
Häusermanns Einbildungen
Aus der Serie „Ruedi, der Tierfreund“. In jeder Ausgabe des Schauspielhaus Journal gewährt uns Ruedi Häusermann Einblicke in sein Fotoarchiv.
Schauspielhaus Zürich Journal April – Juni 2014 Abonnement Das Journal erscheint 3 x jährlich und kann gegen einen Unkostenbeitrag von 12 Franken pro Jahr unter www.schauspielhaus.ch abonniert werden.
Herausgegeben von der Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5, 8032 Zürich Intendanz Barbara Frey Redaktion Andreas Karlaganis, Eva-Maria Krainz, Gwendolyne Melchinger, Julia Reichert (Redaktionsleitung), Andrea Schwieter, Karolin Trachte
Fotos/Illustrationen T+T Fotografie S. 1/24/26/41/44, Raphael Hadad S. 4/10/34/36/41, Christian Schwager © 2014, ProLitteris, Zürich S. 10, Archiv Psychiatriezentrum Münsingen S. 14, Muriel Gerstner S. 16/17, Gwendolyne Melchinger S. 22/23, Florian Kalotay S. 28,
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Karolin Trachte S. 30, Theater Hora S. 39, Jörg Baumann S. 40, Janosch film & medien AG S. 42, Backcover www S. 48 Gestaltung velvet.ch / Nina Oppliger Druck Speck Print AG, Baar Auflage 15 000 Redaktionsschluss 24. März 2014
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Mehr Kultur f端r Z端rich. Die credit Suisse ist langj辰hriger Partner des Schauspielhauses Z端rich. credit-suisse.com/sponsoring
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