Schauspielhaus Zürich - Journal #3

Page 1

Seite 4 Der Autor Jonas Lüscher im Gespräch über das Schreiben in Zeiten der Krise

Seite 15 This Brunner über den Charme der Bourgeoisie

Seite 31 Hausbesuch beim Circus Knie

Journal Oktober/November/Dezember 2014

Schauspielhaus Zürich


Ihre

Leidenschaft

Unsere

Unterstützung

Inspiration für alle

Schauspielhaus Zürich und Swiss Re – eine inspirierende Partnerschaft. Ideen, Innovation, Inspiration – bewegen uns bei Swiss Re. Die Zusammenarbeit mit Menschen auf der ganzen Welt begeistert uns. Denn gemeinsam entdecken wir immer wieder neue Perspektiven und spannende Horizonte. Darum fördern wir auch kreatives Engagement und kompetente Leidenschaft – und die lebendige Kulturszene in Zürich. Sie regt an, sie berührt, sie lässt uns staunen und nachdenken. Und Gedanken austauschen, denn: Together we’re smarter. swissre.com/sponsoring


Literatur und Unreife

Ba rb vo ar n a Fr ey

sich bei der Krise für ihr Vorhandensein und den Ansporn, den sie verursacht. Es ist ein moralisches Paradox, dass Literatur rücksichtslos, amoralisch, zweifelbehaftet und selbstzweckhaft sein muss, um überhaupt auf Fragen der Moral eingehen zu können. Antworten sind von ihr nicht zu erwarten. Zum Glück. Wir würden sie nicht hören wollen. Wir haben schon zu viele Antworten bekommen, die uns nicht getröstet haben. In den Zeiten von Totalüberwachung, Generalverdacht und Ausgrenzungswahn brauchen wir die Literatur und ihre bohrenden Fragen. Wir brauchen ihre Lebendigkeit, Unbedingtheit, auch ihre Schönheit. Ruhe lässt sie uns keine, aber ihr Krisenbewusstsein hat etwas Tröstliches.

Editorial

„Das Schreiben in Zeiten der Krise“ ist die Überschrift eines Gesprächs mit dem Schweizer Schriftsteller Jonas Lüscher (Seite 4). Man kann sich einen interessanten Dialog mit einem Schriftsteller ausserhalb einer Krise nicht vorstellen. Läse man etwa gerne über „Das Schreiben in Zeiten der Entspannung“ oder „im Zustand des vollkommenen Glücks“? Natürlich nicht. Man kann behaupten, dass jeder ernstzunehmende Schriftsteller eine Form der äusseren Krise braucht, um überhaupt in Gang zu kommen; sie treibt ihn an, er beäugt sie von allen Seiten, saugt sie vampiristisch aus. Zusätzlich ist die Krise ja auch Teil des Schreibprozesses. Der Schriftsteller ist sich selbst auch Co-Autor, Zensor, Kritiker, Liebhaber, Feind, Spielverderber und Sklaventreiber. Wenn er dann veröffentlicht, kommt die nächste Krise. Lüscher spricht von der „hermeneutischen Folter“, der er sich unterziehen muss, wenn die Literaturkritik mit ihrem Deutungsfuror anfängt, ihn zu inspizieren, zu analysieren, akademisch zu fixieren, moralisch zu prüfen und zu hinterfragen. Aus der Überwindung der Krise, in die seine Rezeption den Schriftsteller bringt, entsteht dann sein neues Werk – und so weiter. Die Leserschaft jenseits von Wissenschaft und Kritikerzunft, die „freie“ Leserschaft, profitiert von dem ganzen krisenhaften Perpetuum Mobile; ihre sozusagen natürliche Amoralität ist ihre uneingeschränkte, selbstbezogene Leselust (falls sich die nicht einstellt, legt man das Buch ja sowieso weg). Aber die natürliche Amoralität gehört auch zum literarischen Werk selbst, damit nicht, wie Lüscher formuliert, „unten die Moral und am besten gleich eine Handlungsanweisung heraustropfen“. Das auf eine Weise rücksichtslose Einsaugen und Verdauen von Krisen aller Art ist also eine natürliche Grundbedingung des literarischen Schöpfungsprozesses ebenso wie des Lesevorgangs. Darin steckt auch etwas Unreifes, Säuglingshaftes, Undankbares. Kein Säugling bedankt sich bei der Mutter für die ihm verabreichte lebensnotwendige Nahrung, er nimmt sie sich einfach, und kein Schriftsteller oder Leser bedankt

4 Jonas Lüscher über das Schreiben in Zeiten der Krise

20 Die Brüder Löwenherz – Wie Nangijala entsteht

10 Verbrechen und Strafen on the Town

24 Internationale Gastspielreihe von 19. November bis 10. Dezember

14 This Brunner im Gespräch über den Charme der Bourgeoisie

28 Kornél Mundruczó im Gespräch zu „Hotel Lucky Hole“

16 In Szene – Lisa-Katrina Mayer

30 Hausbesuch beim Circus Knie

44 Kulturtipps

18 Ein Sommernachtstraum

36 Aktuell im Repertoire

46 Häusermanns Einbildungen

40 Zweifels Selbstgespräche / Dogtooth / Theater Campus 42 Ins Theater mit Christian Brändle

Inhalt

3

38 Schicht mit der Leiterin des Jungen Schauspielhauses Petra Fischer


Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

Das Schreiben in Zeiten der Krise

Der Schweizer Autor Jonas Lüscher gehört nicht nur zu den Shootingstars in der deutschsprachigen Literaturszene. Er setzt sich auch dezidiert mit der Situation in seiner Heimat auseinander. Dennoch bestreitet er, „Thesenliteratur“ zu schreiben. Wie aber können Literatur und Theater ihre Relevanz ausdrücken und einen Beitrag zu aktuellen Diskussionen leisten? Wir trafen Jonas Lüscher, um uns über unsere beiden Eröffnungsinszenierungen „Drei Schwestern“ und „Bartleby, der Schreiber“ zu unterhalten. Der Autor der Erfolgsnovelle „Frühling der Barbaren“ wird dem Schauspielhaus für einige Zeit verbunden bleiben. Bald wird er sein erstes Theaterstück in Angriff zu nehmen, welches am Schauspielhaus zur Uraufführung kommen wird. Aktuell promoviert er an der ETH Zürich über die Bedeutung von Narration für die Beschreibung von sozialer Komplexität. 4


Karolin Trachte – Du beschäftigst dich in deinem Dissertationsprojekt mit dem Ausdruck der „dichten Beschreibung“, zu der laut deiner Aussage jede Form der Narration beiträgt. Was bedeutet der Begriff genau? Jonas Lüscher – Erzählungen, so die Grundthese, handeln von Einzelfällen, im Gegensatz zur behauptenden oder erklärenden Rede, die eher das Allgemeine im Blick hat. Indem wir all die Einzelfälle, von denen in den unterschiedlichsten Narrationen erzählt wird, zu einer Art narrativem Netz verknüpfen, gelangen wir zu dem, was ich als „dichte Beschreibung“ bezeichne. Der Begriff stammt ursprünglich von Gilbert Ryle und wurde dann durch Clifford Geertz populär. Ich verwende ihn allerdings anders.

Karolin Trachte – Über dein Debüt, die Novelle „Frühling der Barbaren“, schrieben einige Kritiker, es sei ein Buch über die Finanzkrise. Jonas Lüscher – Ja, es wurde mir auch vorgeworfen, ich würde Thesenliteratur schreiben. Da fühl ich mich missverstanden. (Lacht.) Die Novelle handelt natürlich auch von der Finanzkrise, aber schwierig wird es, wenn behauptet wird, dass sei nun sozusagen „das Buch“ zur Finanzkrise. Es erkläre die Finanzkrise. Ich finde es problematisch, wenn Bücher zu paradigmatisch gelesen werden, eben nicht mehr als Erzählungen eines bestimmten Einzelfalles, sondern als etwas ganz Beispielhaftes. Manchmal tut man den Büchern damit fast Gewalt an; man wringt sie aus, bis unten die Moral und am besten gleich eine Handlungsanweisung heraustropfen. Dieser „hermeneutischen Folter“ habe ich mich mit dem ersten und letzten Satz der Novelle „du stellst die falschen Fragen“ zu entziehen versucht. Andreas Karlaganis – Tschechow hätte dem zugestimmt. Zwar spürt man in seinen Stücken eine Stimmung, die sich angesichts bevorstehender Ereignisse als prophetisch erwiesen hat. Aber es geht im Zentrum nie um eine Zeitenwende oder Gegenwartsdiagnose, sondern um den Menschen. Jonas Lüscher – Ich schätze es, wenn Literatur diffus bleibt. Auch bei den „Drei Schwestern“ spürt man ja,

5

Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

Karolin Trachte – Lässt sich der Begriff auf unsere beiden Stücke der Eröffnung beziehen? Jonas Lüscher – Natürlich können auch Theaterstücke Teil eines solchen narrativen Netzes sein und damit zu einer dichten Beschreibung beitragen. Wie genau, müsste man für beide Texte unterschiedlich beantworten. Die „Drei Schwestern“ zeigen sehr schön die Stärke des Theaters, eine Situation in der Form einer Versuchsanordnung zu präsentieren; die Bühne gleichsam als Labor. Das scheint mir zugleich eine Stärke zu sein, die sich aber auch in Schwäche verkehren kann, wenn der Autor zu beispielhaft, zu paradigmatisch wird. Wenn er zu sehr sagt: Seht her, ich präsentiere euch hier „A“, der ein solches Musterbeispiel ist, dass seine Geschichte von allgemeiner Gültigkeit ist. Damit droht der Autor zu sehr ins Behaupten und Erklären zu verfallen, statt sich mit dem Beschreiben zu bescheiden. In diese Gefahr läuft Tschechow aber nie, dazu sind seine Figuren viel zu fein gearbeitet, viel zu sehr Subjekte mit einer je eigenen Geschichte. Im Fall von „Bartleby“ zeigt sich, wie im Prozess des Inbezugsetzens von Einzelfällen nicht nur die Nähe oder die Ähnlichkeiten eine Rolle spielen, sondern wie wichtig eben auch gerade die Differenz ist, um ein narratives Netz zu knüpfen. „Bartleby“ ist einmalig und er ist vor allem deswegen so faszinierend, weil er so anders ist, sein Handeln so durch und durch den Erwartungen entgegenläuft.


Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

dass da am Horizont ein Umbruch aufscheint. Erst wir Nachgeborenen wissen heute aber, dass kurz darauf der Erste Weltkrieg und die Revolution stattfanden und die Russische Gesellschaft auf den Kopf gestellt wurde. Dass auch das Innenleben dieser drei Frauen vage bleibt, das ist die Stärke dieses Stücks. Es wäre ein völlig anderes Stück, wenn sie klar formulieren könnten, was sie fühlen. So hingegen sind da diffuse Ausbrüche von Heiterkeit, Trauer, Sehnsucht nach Moskau und so weiter. Und wir müssen eben auch nicht versuchen Literatur zu schreiben, die möglichst klar ist. Dafür haben wir ganz andere Erkenntnismethoden.

Philosophen, die an der Philosophie verzweifelt sind, die behauptende Rede aufgegeben und sich dem literarischen Schreiben zugewandt haben, allerdings damit ebenfalls unglücklich waren, eben weil die uns zur Verfügung stehende Sprache den Einzelfällen nicht gerecht wird, und sich schliesslich das Leben nahmen, also verstummt sind. Zum Beispiel David Foster Wallace oder Dieter Leisegang ... Bei Bartleby allerdings habe ich Zweifel, ob er verstummt. Alleine schon weil er gar nicht stumm ist! Erst am Ende der Erzählung ist die Rede vom „stummen Gefangenen“, bis dahin äussert er sich ja meist. Der Satz „Ich möchte lieber nicht“ ist bewusst formuliert und wohl überlegt. Die Wiederholung dieses Satzes ist keine allgemeine Verweigerung oder der Gestus eines trotzigen Kindes: Willst du einen Apfel? Nein. Willst du einen Keks? Nein. etc. Bartleby ist weder sprachlos noch ist seine Haltung die des reinen Protestes. Er will nur das allgemeine Spiel nicht mitspielen, sondern nach seinen eigenen Regeln oder sogar sein eigenes Spiel spielen. Erst in dem Moment, wo das nicht mehr möglich scheint und seine Freiheit mit Gewalt eingeschränkt wird, wird es zum stummen Protest, in dem er das Spielen grundsätzlich verweigert. Bei dem amerikanischen Philosophen Stanley Cavell gibt es die Problematik der eigenen Stimme. Und ich denke Bartleby hat seine eigene Stimme gefunden. Die ist nur so eigen …

Andreas Karlaganis – Der Ton in deiner Novelle „Frühling der Barbaren“ wurde neulich als „verstörend leichtfüssig“ beschrieben. Das könnte man über Tschechow auch gut sagen. Ist dieser Humor, der das Moralinsaure vermeidet oder mildert, vielleicht ein besonders guter Zugang zu besonders schweren Themen? Jonas Lüscher – Er bietet eine ironische Distanz zum eigenen Schreiben und zu den eigenen Figuren und Ironie ist immer ein Hinweis darauf, dass der Autor sich der grundsätzlichen Kontingenz und Unzulänglichkeit seines Vokabulars und seiner Sprache bewusst ist; auch das vielleicht eine Flucht vor der hermeneutischen Folter. Das vielleicht grundlegendste Problem dahinter ist, dass wir mit der Sprache nicht in der Lage sind, Einzelfälle als Einzelfälle zu erfassen. Weil die Sprache immer schon mit allgemeinen Begriffen arbeitet, man klassifiziert, subsumiert und urteilt mit jedem Wort. Als Ausweg rettet man sich ins Erzählerische, in eine erzählerische Reichhaltigkeit, die das inadäquate der verwendeten Allgemeinbegriffe verschleiern soll.

Andreas Karlaganis – … dass er sich damit in den eigenen Niedergang treibt. Jonas Lüscher – Oder in die Erlösung. Ich denke, dass dieser Tod ein Entkommen ist. Aber er hat eine eigene Stimme gefunden, nur kann er damit nicht mehr kommunizieren, es versteht ihn niemand. Die drei Schwestern hingegen, wie du sagst, scheinen viel weniger bei sich zu sein. Sie sind auf der Suche danach. Bei Olga beispielsweise hat man den Eindruck, dass sie die Dinge aus einem diffusen Pflichtgefühl heraus tut. Am Ende wird sie Direktorin, obschon sie gar nie Direktorin werden wollte und leidet fortan

Andreas Karlaganis – Könnte das der Grund sein, warum Bartleby verstummt, die Tschechow-Figuren hingegen nicht aufhören können zu reden? Jonas Lüscher – Ich habe lange darüber nachgedacht, ob Bartleby verstummt, denn das ist eine biographische Bewegung, die mich interessiert. Es gibt eine Reihe von

Friederike Wagner und Sylvie Rohrer in „Drei Schwestern“ (Regie Barbara Frey)

6


unter diesem Beruf, auch wenn dieses Leiden etwas Kokettes hat …

7

Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

dazu bei, dass Probleme schöngeredet werden, während die Welt aus den Fugen gerät? Jonas Lüscher – Du sprichst hier wohl auch die Isolation Andreas Karlaganis – Man muss sich fragen, wie der der Schweiz an. Ja, wir sind hier vom Elend abgeschottet, Schluss zu interpretieren ist: Handelt es sich um eine aber jeder, der es möchte, kann das Wissen darum durchaus zulassen, es ist eine Entscheidung. Adolf Muschg Resignation oder gibt man sich mit der Realität ab? hat mal davon gesprochen, dass unser Solidaritätsgefühl Das bedeutet eben zu arbeiten und vielleicht nicht den der geschichtlichen Entwicklung hinterherhinkt: Unser Partner zu haben, für den man schwärmt. Es geht auch Mitgefühl ist sozusagen noch auf das dörfliche oder um den Abstand zu den Gefühlen. Der Arzt sagt zum familiäre Nahfeld eingestellt und hinkt der Globalisierung, Schluss: „Wir sind gar nicht da, nichts auf der Welt in die wir in jeder Hinsicht verstrickt sind, hinterher. ist da, wir existieren gar nicht. Wir bilden uns nur ein Solange wir bereit sind die zu existieren. Und somit ist Annehmlichkeiten der alles egal.“ Was für ein absurder Satz! Zugleich kommt Globalisierung zu geniessen, ein junger Mann zu Tode. ist es aber auch unsere Pflicht Jonas Lüscher – Die Gespräche Ich denke das Nicht-Handeln unser Mitgefühl entsprechend neu zu fokussieren. Im Fall handeln von einer ständigen ist ein Phänomen, das sich durch der drei Schwestern erfüllt Angst vor der eigenen alle Schichten zieht. Heute ist die zunehmende Isolierung Bedeutungslosigkeit: Wenn tatsächlich eine Art wir gestorben sind, wird es leicht geworden sich dafür zu dramaturgische Dampfkochtopfsich niemand an uns erinnern, entschuldigen. Funktion, obschon der Raum keiner wird mehr wissen, wer wir waren … Und sie versuchen um die Schwestern ja etwas zu tun, Irina zunehmend leerer wird, wird beispielsweise arbeitet und er paradoxerweise auch immer teilt auch mit Tusenbach enger, weil ihre Welt immer die Haltung, dass dies künftig mehr zusammenschrumpft, der Normalfall sein wird. und damit erhöht sich Allerdings hat sie selbst auch kein Verhältnis zur Arbeit. der Druck, der dann im Duell zwischen Tusenbach und Soljony so schrecklich sinnlos verpufft. Andreas Karlaganis – Keine der Figuren hat ein Verhältnis zum Begriff Arbeit. Es würde mich interessieren, ob sich Karolin Trachte – Bei „Bartleby“ ist der Notar und das auf dein Buch übertragen liesse. Es gibt dort den namenlose Ich-Erzähler auch mit schönreden Satz „Und es gelang ihnen das Spiel, das sie spielten, als und bagatellisieren beschäftigt. Bartleby lässt sein ernst zu verkaufen.“ Einige Figuren, die du beschreibst, Selbstverständnis und die Büroroutine aus den Fugen haben keine wirkliche Identifikation mit dem, was sie in geraten, das will er verhindern. Ist Bartleby selbst ihrer Arbeit tun. eigentlich auch in der Krise? Jonas Lüscher – Ja, ich denke im zweiten Kapitel wird Jonas Lüscher – Ganz zum Ende des Buches heisst es ja, das deutlich. Dort beschreibe ich, dass diese Jungbanker dass Bartleby früher im so genannten „dead letter office“ selbst beinahe nackt noch wie in Uniform wirken. In gearbeitet habe. der Recherche zu diesen Figuren habe ich gemerkt, Karolin Trachte – Das ist jene Abteilung bei der Post, dass sie in erstaunlich vielen Hinsichten den Klischees wo sämtliche Briefe gesammelt und entsorgt werden, die entsprechen. Das hängt damit zusammen, dass das weder dem Empfänger noch dem Absender zugestellt meist sehr junge Leute sind, die gerade von der Uni werden konnten. kommen. Von dort geraten sie in ein sehr kompetitives Jonas Lüscher – Die Frage ist, wie man diesen Hinweis Arbeitsumfeld, das unglaublich viel abverlangt. Wie versteht. Vielleicht ist er dort in der Krise geraten, kommt sollen sie sich als ganz junge Leute in diesem Umfeld also nicht erst im Verlauf der Erzählung in die Krise, eine eigene Persönlichkeit zulegen? Da ist kein Platz und sondern ist es längst. keine Zeit, also nehm’ ich doch das Mäntelchen, das an der Garderobe hängt – wie jeder andere und schau, dass ich nicht untergehe. Karolin Trachte – Man kann das auch lesen als Hinweis darauf, dass es in dieser Welt keine sinnvolle oder Andreas Karlaganis – Ist das ein Grund, weshalb in der schöpferische Beschäftigung gibt. Entweder man ist Mitte der Novelle das Finanzsystem kollabiert, England Kopist, erzeugt Kopien von schon Bestehendem, oder den Konkurs anmeldet und das Chaos ausbricht? man verwaltet nicht zugestellte Briefe – verlorene oder Jonas Lüscher – Nein, ich denke nicht. Wenn man über misslungene menschliche Kommunikation. die Banker erzählt, dass sie den Anschluss an die Jonas Lüscher – Ich bin ja kein Fan von diesem Ende … Realität verloren hätten, ist das, finde ich, eine Ausrede. wenn ich ganz ehrlich bin. Es hat etwas von einer Ich habe das in Abu Dhabi erlebt, eine Welt in der die dramaturgischen Pointe, er wirft dem Leser einen Dienstleistungsgesellschaft auf die Spitze getrieben wird, Knochen hin – da ist aber wirklich gar kein Fleisch dran. einfach alles wird einem abgenommen. Aber du hast Trotzdem wird man als Leser aufgefordert darauf immer die Möglichkeit diese Leute anzusprechen. Sie rumzukauen. Aber nein, da lehne ich mich jetzt sehr weit sind zwar angewiesen, nicht von sich aus zu erzählen, aus dem Fenster, Melvilles Bartleby zu kritisieren: aber wenn du sie fragst, erzählen sie gerne von ihrem Diese Erzählung ist schon ziemlich perfekt! Leben! Man muss sich nur für sie interessieren … Andreas Karlaganis – Ich würde gerne noch einmal auf Andreas Karlaganis – Bei Tschechow sind die Figuren ein Problem der drei Schwestern zu sprechen kommen, immer irgendwo isoliert, sei es das Elternhaus, das Haus das Nicht-Handeln: Warum handeln sie nicht? Sind vielleicht geistige Menschen besonders anfällig dafür in der Provinz – in „Frühling der Barbaren“ ist es die nicht zu handeln? Olga, Mascha und Irina sind Wüstenoase, in der sich eine versnobbte Upperclass zur Luxushochzeit einfindet. Trägt diese räumliche Isolation wohlerzogene Generalstöchter. Der Protagonist in


Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

„Frühling der Barbaren“, Preising, ist ein schöngeistiger Und Bartleby beschliesst aus eigener Kraft zu sterben. Charakter, der kaum in die Wirtschaftswelt, der Willentlich zu verhungern, eine stärkere Handlung kann er aufgrund seines Vermögens vorsteht, zu passen ich mir kaum vorstellen, auch wenn diese Handlung scheint … Die Mitarbeiter seiner Firma schicken ihn gerade darin besteht nichts zu tun. ins Luxusresort, damit sie in Ruhe ihre Gewinne Karolin Trachte – Er handelt stark und entschiedener als multiplizieren können und die Wirtschaft in den Kollaps die meisten Menschen das könnten und doch tut treiben können ... Bartleby diese Dinge nicht für ein erklärtes Ziel. Weshalb Jonas Lüscher – … das war meine Absicht, eine Novelle seine Verweigerung eben, wie du sagst Jonas, auch zu schreiben, in welcher der Protagonist gewisse nicht als Protest gelesen werden kann. Genau das macht dramatische Vorgänge erlebt, aber kein einziges Mal diese Geschichte absurd. Aber auch der Anwalt weiss selbst zum Handelnden wird. Er entscheidet nicht eigentlich nicht, was er will – welche Bücher er liest, nicht ausser vielleicht, dass sich ob er den Hemdknopf auf oder möglichst nichts ändert. zu hat, nicht ob er die Reise Man spürt eine Resignation. antritt oder nicht, nicht ob er Die Gespräche handeln von einer Leiden diese Figuren unter gegen die Kinderarbeit dem Verlust von Visionen und vorgeht oder nicht. Das ist die ständigen Angst vor der eigenen Vorhaben? Versuchsanordnung. Bedeutungslosigkeit: Wenn wir Jonas Lüscher – Das finde Andreas Karlaganis – Und interessant. Die drei gestorben sind, wird sich niemand ich warum trifft er keine Schwestern formulieren an uns erinnern, keiner wird mehr natürlich Moskau als Ziel, Entscheidung? Handelt eine sagen aber nie genauer, wofür gewisse Schicht nicht, weil wissen, wer wir waren ... Moskau steht. Sie sagen sie von Nichts bedroht wird, nicht, wen sie dort treffen in ihrer Existenz? würden, welches Museum sie Jonas Lüscher – Nein, ich besuchen würden oder denke das Nicht-Handeln ist ähnliches. Vielleicht fühlen ein Phänomen, das sich wir uns deswegen in Bartleby durch alle Schichten zieht. oder in Drei Schwestern in diesem Nicht-Handeln erkannt Heute ist es leicht geworden sich dafür zu entschuldigen: und gemeint. Es ist doch sowieso alles so furchtbar kompliziert und komplex und die Welt dreht sich so schnell. Das wird uns Andreas Karlaganis – Kann man uns Schweizern den allenthalben erzählt und darauf kann man sich bequem Vorwurf des Nicht-Handels machen? zurückziehen. In Amerika gibt es den gegenteiligen Impetus ja noch: Jonas Lüscher – Ja, das denke ich schon. Wir sehen uns „Mit dem, was ich mache, will ich die Welt verbessern“, viel zu sehr als Opfer der Umstände. Und wir betrachten das kann man dort sagen. Im Silicon Valley sowieso. Das alles als ein Problem. Unser Wohlstand, unsere nimmt zwar teils groteske Formen an, aber ich will mich gesellschaftliche und politische Handlungsfähigkeit würde es uns eigentlich ermöglichen, viele Dinge, die Asylfrage, darüber nicht lustig machen. In Europa hingegen macht unsere Beziehung zu unseren Nachbarn und der EU, das sich ein literarischer Autor lächerlich, wenn er sagt, dass Wohlstandsgefälle und so weiter, als Aufgaben anzusehen er mit seinen Büchern die Welt besser machen will. Das und nicht als Probleme. Als Aufgaben, die es zu lösen gilt auch für Theaterschaffende, ja sogar für Politiker. Wir scheinen in unserer Hoffnung, dass es uns gelingen gilt. Problemen kann man ausweichen, man kann sich kann, die Dinge aus eigener Kraft zum Besseren zu wegducken, sich davon distanzieren. Aufgaben kann man wenden, ein paarmal zu oft enttäuscht worden zu sein. höchstens an andere abschieben. Wenn diese Anderen Weder die „Drei Schwestern“ noch „Bartleby“ sind aber sie aber schlecht erledigen, dann sind wir für die Beispiele für das Nicht-Handeln. Die drei Schwestern Konsequenzen unseres Abschiebens verantwortlich. Sich scheinen mir eher Opfer der Umstände. Es läuft denkbar von Problemen umzingelt sehen kann, wer tatsächlich schlecht für sie. Erst stirbt die Mutter, dann der Vater, in prekärer Lage ist. Wir sind eine der wohlhabendsten das Geld ist knapp, der Bruder – ihre einzige Hoffnung – Nationen der Welt, haben mehr oder weniger versagt und heiratet auch noch eine despotische und Vollbeschäftigung, ein stabiles politisches System, dumme Frau, die sie tyrannisiert. Sie verfolgen die vielleicht sollten wir die Dinge eher als Aufgaben wichtigen Ziele vielleicht nicht mit genügend Kraft und sie betrachten statt als Probleme; weil wir es vermögen, sind in gewissem Sinne fatalistisch, wehren sich zu im doppelten Sinn. wenig, sind aber nicht tatenlos. Alleine Irina wird in den drei Jahren in denen das Stück spielt, von einer Karolin Trachte – Das Schweizer Selbstbild, wie du es Langschläferin und Nichtstuerin zur Angestellten im gerade beschrieben hast, ist nicht das vorherrschende. Telegraphenamt, wechselt, weil sie es dort nicht erträgt, in Kann Theater, kann die Politik, können Autoren mit die Verwaltung, realisiert, dass sie auch dort am falschen Geschichten und Mythen dazu beitragen, dass eine Platz ist, macht eine Ausbildung zur Lehrerin und ist Nation eine andere Geschichte von sich erzählt? Können bereit, aus pragmatischen Überlegungen einen Mann zu Narrationen ähnlich wie die Banker, die durch heiraten, den sie nicht liebt. Man kann ihnen schlecht den Algorithmen Beschreibungen liefern, die dann aber zu Vorwurf machen, sie würden nicht handeln. Ihr Problem Realitäten werden, durch das Erzählen einer bestimmten ist vielmehr, dass sie nicht wissen, was sie wirklich Geschichte, eine Art „self-fullfilling prophecy“ für eine wollen, welches Leben das richtige wäre. Moskau? Wohl Gesellschaft erzeugen? Jonas Lüscher – Es gab diese „andere“ Erzählung natürlich kaum, sonst würden sie ihre Energie darauf verwenden schon einmal. Für eine kurze Zeit im 20. Jahrhundert diese Rückkehr möglich zu machen. Unausgesprochen waren wir überzeugt, die liberale Demokratie mit wissen sie natürlich sehr wohl, dass es ihnen in Moskau einem starken Sozialstaat sei der grösste zivilisatorische auch nicht anders gehen würde als in der Provinz. Das Problem ist nicht, dass sie nicht ihren Ort gefunden Fortschritt. Diese Erzählung erhielt ihre Gültigkeit, weil haben, sie haben ihre eigene Stimme nicht gefunden. wir begriffen haben, dass Glück und Pech sehr

8


Ensemble in „Bartleby, der Schreiber“ (Regie Mélanie Huber)

seltsamer psychologischer Effekt. Die Idee eines Lebens, in dem man keine Sorge und keine Angst vor der Zukunft haben muss, ist vielleicht gar nicht so attraktiv. Zum einen gibt es uns Künstler, die wir uns vor der Langeweile fürchten, aber das ist unser Privatproblem. Zum anderen scheint es auch attraktiv zu sein, gewisse Ängste zu kultivieren. So wie diese Frau, die vor kurzem auf der Webseite vom Tagesanzeiger ein Bild von geretteten afrikanischen schiffbrüchigen jungen Männern, die auf dem Deck eines italienischen Bootes sitzen, kommentiert hat, sie sehe sich diese jungen Männer an und dann sehe sie dieses pure Testosteron und dann bekomme sie Angst … Das ist ja ein gefundenes Fressen für jeden Hobbyfreudianer.

Karolin Trachte – Eine wunderbare Erzählung. Was ist damit passiert? Jonas Lüscher – Ende der 60er-Jahre kam dieser Sozialstaat ins Schlingern und statt dass wir die dringend nötigen Strukturreformen in Angriff genommen haben, haben wir uns von Thatcher und Reagan eine ganz neue Erzählung auftischen lassen. In dieser hat die Idee, dass das Bemühen, dem Schicksal gemeinsam ein Schnippchen zu schlagen ein Fortschritt ist, keinen Platz mehr.

Andreas Karlaganis – Eine Art Flirt mit den Ängsten. Jonas Lüscher – Ja, und der schweisst dann auch zusammen. Deswegen müssen wir fragen: Ist das Leben ohne Angst überhaupt attraktiv? Aber ich fürchte, davor brauchen wir uns nicht zu fürchten, denn es wird uns immer genug bleiben, vor dem wir uns wirklich fürchten sollten. Drei Schwestern von Anton Tschechow Regie Barbara Frey, Bühne Bettina Meyer, Kostüme Bettina Munzer Mit Hilke Altefrohne, Christian Baumbach, Stefan Kurt, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer, Johann Adam Oest, Sylvie Rohrer, Nicolas Rosat, Siggi Schwientek, Friederike Wagner, Milian Zerzawy Seit 11. September im Pfauen Unterstützt von Swiss Re

Karolin Trachte – Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der die Menschen eine gewisse Affinität haben für die Form der Geschichte. Wenn das stimmt, dann könnte auch die Geschichte, wie du sie gerade erzählt hast, wieder eine Chance bekommen. Andreas Karlaganis – Die Frage ist, wie und von wem kann sie erzählt werden? Jonas Lüscher – In einem funktionierenden Sozialstaat müsste ja niemand mehr vor der Zukunft und auch niemand mehr vor dem Anderen Angst haben. Und dann würde es für einige Parteien schwierig, weil sie hauptsächlich über das Bewirtschaften von Ängsten funktionieren. Das ist der eine Mechanismus. Damit der funktioniert, muss es aber auch Leute geben, die gerne ihre Ängste bewirtschaften lassen. Das ist ein

Bartleby, der Schreiber nach Herman Melville Regie Mélanie Huber, Bühne Nadia Schrader, Kostüme Ramona Müller, Musik Pascal Destraz Mit Ludwig Boettger, Fritz Fenne, Steffen Link, Ingo Ospelt sowie den Musikern Pascal Destraz und Fortunat Häfliger Seit 12. September im Schiffbau/Box Unterstützt von der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses und der Ars Rhenia Stiftung

9

Drei Schwestern / Bartleby, der Schreiber

unterschiedlich verteilt sind. Dass Arbeitslosigkeit selten etwas mit Faulheit zu tun hat, dass Krankheit nichts mit einem unchristlichen Lebenswandel zu tun hat, dass gesellschaftlicher Erfolg und Wohlstand selten eine Frage des Willens, sondern meistens eine Frage der Geburt und diese wiederum eine Zufälligkeit ist. Und vor allem haben wir begriffen, dass wir gemeinsam gegen diese ungerechte Verteilung von Glück und Pech etwas tun können. Ich nenne das die Erkenntnis, dass wir als Gemeinschaft in der Lage sind, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Mit einem egalitären staatlichen Schulsystem, solidarischen Sozialwerken, Krankenkassen und Arbeitslosenversicherung.


M ül le r

vo n

Iri na

Verbrechen und Strafen on the Town

On the Town

Der Regisseur Sebastian Baumgarten und der Dramaturg Ludwig Haugk treffen Prof. Dr. iur. Martin Killias

Für Sebastian Baumgartens Inszenierung des Romans „Schuld und Sühne“ von Dostojewskij hat die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes eine Art fragmentierte Stadt in der Schiffbauhalle entstehen lassen – deshalb sind wir nicht wie normalerweise „on the town“ in Zürich unterwegs, sondern treffen den Rechtswissenschaftler, Soziologen und Kriminologen Martin Killias zu einem Gespräch in der Halle des Schiffbaus. „Als Zuschauer soll man das Gefühl haben, dass man Teil dieser Lebenswelt der Hauptfigur Raskolnikow wird“, so der Regisseur Sebastian Baumgarten zum Konzept, und der Dramaturg Ludwig Haugk ergänzt, dass es dem Regieteam nicht nur um eine stringente Beschreibung des Falles geht, sondern um eine lebendige Abbildung von Raskolnikows Lebensraum und um die Frage, inwieweit das Verbrechen abhängig ist von dieser Umwelt. Für das Publikum wird in der Halle eine Welt geschaffen, die auch mit dem Sinnlichen spielt. Zwischen und unter den Tribünen sind unterschiedliche Orte – Kanzlei, Wohnung oder Kneipe – angedeutet, sodass die Schauspieler neben, unter und ums Publikum agieren.

Eine Köchin bereitet während der Aufführung russische Speisen zu, deren Geruch sich während der Vorstellung langsam ausbreitet und die die Besucher in der Pause konsumieren können. Als wir die Schiffbauhalle betreten, lassen sich täuschend echte Puppen erkennen, die das Bühnenbild bevölkern. Neben einer solchen Figur sitzend, fragt man sich sofort: Wie nehme ich Teil an dem, was hier passiert, im Gegensatz zur unbelebten Materie neben mir? Im Halbdunkel unterscheiden sich die Puppen fast nicht von den Bühnenarbeitern und sorgen für Momente der Verunsicherung. Aber eine Figur bewegt sich wirklich – es ist Barbara Ehnes, die uns mit einem „Guten Abend!“ begrüsst. Martin Killias, der mit der Übersetzung des Romans in der Fassung von Swetlana Geier unter dem Arm eintritt, ist zum ersten Mal im Schiffbau und beeindruckt, was hier alles möglich ist.

10


Ludwig Haugk – Das Tolle an der Halle ist, dass man völlig frei entscheiden kann, wie die Zuschauer sitzen, und das haben wir genutzt, um ganz verschiedene Spielorte zu kreieren. Darin gibt es viele Motive, die auch die letzten 150 Jahre nach Dostojewskij berücksichtigen. Das sieht man hier. Er zeigt auf drei Köpfe, die über uns schweben – Statuenrelikte in sowjetisch modernistischem Stil.

SB

LH Wir wollten eine Welt kreieren, die gleichzeitig etwas Desolates hat und eine Ordnung suggeriert. Es gibt Zitate von Orten, die es einmal gab, auch militärische Zitate, die im Roman eine Rolle spielen. Gleichzeitig wird das Verborgene, der Untergrund mit berücksichtigt. Da sieht man so eine Art Kirchensituation.

MK SB MK

Er weist auf die Kirchenbänke und Kerzenhalter mit elektrischen Lampen unter der Tribüne. LH Wir arbeiten sehr viel mit Video. Situationen, die im Verborgenen spielen, werden auf die Bühne übertragen, sodass ein multimedialer Abend entsteht. Da die Beleuchtungs- und Videoinstallation in vollem Gange ist, machen wir uns auf die Suche nach einem ruhigeren Umfeld und begeben uns in die Kantine.

SB MK

LH

MK

11

On the Town

LH Haben Sie sich schon einmal mit dem Thema Schuld und Sühne beschäftigt? Martin Killias – Muss ich Schuldgefühle haben, wenn ich mich nicht mehr daran erinnere? In einer ganz frühen Arbeit, 1976, habe ich darüber geschrieben, es ging um eine Art psychologische Notwendigkeit der Strafe, aber eher aus gesellschaftlicher Sicht. Es gibt eine sozialpsychologische Notwendigkeit: Leute wollen, dass Menschen, die es sich herausnehmen, Unerlaubtes zu tun, eine Strafe bekommen. Und sie investieren dafür! In Experimentsituationen wurde gezeigt, dass Menschen dafür Ressourcen einsetzen, obschon sie keinen direkten Nutzen davon haben. LH Woran liegt das? MK Das ist schwer zu sagen. Eine Welt, in der man für Profit alles machen dürfte, wäre ja keine gerechte Welt, und es käme sofort die Frage auf, ob man sich selbst auch alles erlauben würde! Sebastian Baumgarten – Aber ist es denn so, dass mit steigendem Profitinteresse die Notwendigkeit der Absicherung der Ordnung im weitesten Sinne einhergeht? Kann man das aus historischer Sicht beschreiben? MK Das ist wahrscheinlich eine Art menschliche Grundkonstante. Ich denke, dass es das Bedürfnis, dass man aus verbotenen Handlungen keinen Vorteil ziehen darf, wahrscheinlich in jeder Gesellschaft gibt. Für westliche Menschen ist dieses Bedürfnis historisch gut dokumentiert. Aber dass Strafen verhängt werden, die niemandem einen Profit bringen, dafür gibt es ja gerade im Theater so viele Beispiele! LH Es gibt demnach zwei Motivationen für Strafe: Einerseits die Genugtuung für die Gesellschaft, den archaischen Racheimpuls, die Opferung des Verbrechers, und andererseits die tatsächliche Bestrafung des Täters, die auf die Psychologie des Täters zielt, ihn erziehen soll. Welche ist die Entscheidende? MK Eines ist sicher: Ein Täter, der Reue zeigt, bestätigt die Norm, und das Bedürfnis, ihn zu bestrafen, wird

dadurch gemildert. Das kommt auch bei Raskolnikow am Schluss zum Tragen, indem er nur acht Jahre bekommt. Die Richter sind beeindruckt, weil der Mann viel dafür tut, um das Normgefüge zu bestätigen. Aber bei einem Täter, der sich im Recht fühlt, ist klar: Stellvertretend für die Gesellschaft würden die Richter viel härter zurückschlagen. Das ist interessant, denn im Roman ist es eigentlich so, dass Raskolnikow selbst gar nicht unbedingt zu der Einsicht kommt. Zum Geständnis kommt es eigentlich nur dadurch, dass der Staatsanwalt dazu rät. Das finde ich speziell an diesem Fall. Das machen viele Untersuchungsrichter, Staatsanwälte und Polizisten ... Mit welchem Interesse? Dass der Täter dann doch gesteht? Alle hoffen auf ein Geständnis. Richter sind erleichtert, wenn jemand gesteht, aber sie würden das so nicht sagen. Einerseits versucht man im Sinne des Angeklagten eine Strafmilderung zu erwirken (häufig geht es um den bedingten Strafvollzug), andererseits macht ein geständiger Angeklagter das Verfahren viel einfacher. Bestreitende Angeklagte machen wahnsinnig viel Arbeit, geständige Angeklagte sind das Beste, was Sie haben können! Wir Westeuropäer leben in einer Geständniskultur. Jedes zweite Wort ist „sorry“, und das ist aus einer Bürokratielogik heraus phantastisch! Es besteht die Gefahr, dass es infolge falscher Geständnisse zu Fehlurteilen kommt. Das ist vor allem in den USA ein Problem. Dort verläuft ein Strafprozess ähnlich wie bei uns ein Zivilprozess: Wenn einer gesteht – und früher wurden Geständnisse oft mit brutaler Folter erzwungen – dann ist die Sache gewissermassen erledigt. Das hat in den 60er-Jahren dazu geführt, dass der Earl-Warren-Court die „Miranda Warnings“ eingeführt hat. Das kennen Sie aus jedem Film: Ein Polizist trägt dem Verhafteten seine Rechte vor. Rückschauend hätte man besser jedes Verfahren auf Video aufgezeichnet. Folter, missbräuchliche Fangfragen und ähnliche Manipulationen wären alle dokumentiert und damit wohl wirksam verhindert. Wie sehen sie das aktuell, z.B. beim Fall Pistorius in Südafrika? Dieser entspricht ja eher unserem Fall Raskolnikow. Wie ist Ihre Einschätzung? Also ich habe den Fall Pistorius nicht im Detail verfolgt. Das ist einer, der das angelsächsische System auskostet und es aus seiner Sicht korrekt durchspielt. Eigentlich ein untypischer Fall. So etwas führt meistens nicht zu einem Fehlurteil. Fehlurteile gibt es meistens bei den Massenfällen, in denen der Angeklagte zu einem Geständnis gedrängt oder sogar dirty tricks eingesetzt werden. Das sind dann oft die Fälle, in denen man später herausfindet: Um Gottes Willen, die DNA stimmt nicht! Im Roman ist die religiöse Dimension unglaublich wichtig. Wir leben heute, zumindest hier in Zürich, in einer säkularisierten Welt. Der eine oder andere geht in eine Kirche, eine Moschee oder in eine Synagoge, aber es gibt keine generelle religiöse Weltordnung mehr, die für alle gleichermassen gilt. Inwiefern spielt das Gewissen im Strafprozess eigentlich noch eine Rolle? Keine so grosse wie in „Derrick“ oder anderen Krimis! Der bohrende Blick von Horst Tappert in „Derrick“ appelliert ja an diese Schuldgefühle und verleitet die Menschen zu einer Gestik und Körpersprache, die sie verdächtig machen. Der Inspektor sagt dann: „Der hat mir von Anfang an nicht gefallen!“ Aber in der Realität ist es meist


ganz anders, da ist es eher die Technik, die eine wirklich grosse Rolle spielt. Das finde ich auch gut so. SB Was heisst an dieser Stelle Technik? MK DNA, Blutspuren, Fingerabdrücke, Stimmerkennung, Mikrospuren, Handydaten, all das. Das liefert bessere Beweise als irgendwelche Wahrnehmungen. Zeugen sind für Prozesse immer noch von zentraler Bedeutung, aber hier fängt die Schwierigkeit mit der Wahrnehmung an: Es wird immer gesagt, Zeugen vergessen. Das stimmt nicht ganz. Sie vergessen Einzelheiten, die für sie keine Rolle gespielt haben. Zum Beispiel sitzt dort hinten ein Mann mit einem Laptop, daran würden wir uns aber vielleicht drei Monate später, wenn wir eine Aussage machen müssten, nicht mehr erinnern.

MK Das ist genau der Punkt! Jetzt bleibt noch die Frage: Was ist Huhn, was ist Ei? Kommt die Rechtfertigung vorher oder nachher? Die Forschung dazu lässt sich so zusammenfassen: Es ist beides gleichzeitig. LH Wenn wir sagen, was strafwürdig ist und was nicht, sind das Normen, die sich eine Gesellschaft selbst gesetzt hat. Früher, bei Dostojewskij zumindest, waren diese noch stark von einem religiösen Kontext inspiriert. Woher bezieht das heutige Recht diese moralischen Kategorien, um zu bestrafen? MK Oder bestimmte Dinge zu bestrafen, das ist eigentlich der Punkt. Wir erleben das ja ständig. Normen werden ständig verschoben, neue werden angenommen. Beispielsweise beim Thema Pornographie wurden die Tatbestände in den letzten Jahren stark ausgeweitet: Pornos mit Minderjährigen herzustellen war klarerweise immer strafbar. Dann wurde es auch strafbar, solche zu verbreiten, dann das Weiterverbreiten, schliesslich schon der blosse Besitz, und dann – das wird bald kommen – bereits das Anschauen. Mit welcher Begründung tut man das? Man sagt, wenn man die Nachfrage kriminalisiere, werde der Markt automatisch zusammenbrechen. SB Ich dachte, es wäre umgekehrt: Dass es immer irgendwo stattfindet und strengere Normen letztlich nur eine Inflation bewirken? MK Das sind Dinge, die man empirisch überprüfen muss. Ich verstehe mich als empirischer Forscher, und da ist man ein permanenter Zweifler. Was logisch ist, muss empirisch noch lange nicht stimmen. MK Übrigens war bei Raskolnikows Tat meine erste Frage: Er will die Pfandleiherin ausrauben, aber wieso muss er sie eigentlich auch ermorden? SB Ja, das ist eine gute Frage. MK Ich meine, er hätte auch einbrechen können, sie maskiert und damit unerkannt ausrauben. Die Alte und dann auch noch ihre Schwester umzubringen, war eigentlich nicht absolut notwendig. SB Ja, das ist ein toller Trick von Dostojewksij. Bei der Pfandleiherin hat er die moralische Rechtfertigung, die sie vorhin genannt hatten, aber bei der Schwester bekommt er echte Probleme, weil sie zu gut ist für seine moralische Begründung. Er verzweifelt am zweiten Mord.

On the Town

Dass es sich bei dem Mann mit dem Laptop um den Komponisten unserer Produktion, Andrew Pekler, handelt und wir uns sehr wohl an ihn erinnern würden, kann Herr Killias natürlich nicht wissen. MK Gesichter sind etwas anderes: Der Wiedererkennungseffekt in einem anderen Kontext, noch dazu mit anderer Kleidung, ist nicht gross. Ein prominenter Schweizer Fernsehnachrichtensprecher hat mir einmal gesagt: Es ist erstaunlich, wie oft ich auf der Strasse nicht erkannt und angesprochen werde … Zeugen erinnern sich, aber nicht exakt und sehr selektiv. Aufgrund dessen gibt es auch viele Fehlurteile. Deshalb meine ich, dass ein Verfahren, das nicht nur auf der menschlichen Wahrnehmung, sondern vor allem auf den Spuren beruht, schon ein Fortschritt ist. SB Der Staatsanwalt Porfirij wird im Roman als eine dämonische Grösse dargestellt, die ihre Täter sozusagen schon kennt. Er glaubt, durch seine jahrelange Erfahrung allein an der Körpersprache, an der Art, wie man sich gibt, zu erkennen, wer schuldig ist und wer nicht. Könnten sie so etwas bestätigen? Kann man an der Körpersprache schon erkennen, wer lügt? MK Das würde ich nie sagen! Das ist Selbstüberschätzung. Ich meine, jeder der verdächtigt wird, verhält sich ungewöhnlich! Natürlich gibt es Menschen, die cool bleiben, vielleicht gerade jene mit einer Menge professioneller Erfahrung. Aber die meisten werden nervös, wenn sie unter Stress gesetzt sind. Daraus Schlüsse ziehen zu wollen, finde ich gefährlich. Um noch einmal auf das Gewissen zurückzukommen: Normverletzungen lösen bei Menschen grundsätzlich ein Bewusstsein dafür aus, dass sie etwas Unerlaubtes gemacht haben. Raskolnikow sagt, man dürfe die reiche Pfandleiherin umbringen, wenn man selbst arm sei und sie sowieso alle Leute plündere. Das ist eine moralische Rechtfertigung, die man sich zurechtlegt, aber trotzdem ist das immer mit sehr viel Stress verbunden, ausser es wird Routine. Ich nenne jetzt ein Beispiel, das sehr vielen Menschen geläufiger sein dürfte als Mord: Fremdgehen. Das erste Mal hat man Schuldgefühle und fragt sich, merkt der andere etwas, es könnte noch etwas Schminke am Hemd sein, man ist nervös ... aber mit der Zeit regt man sich nicht mehr auf. Nach einem ähnlichen Muster funktionieren auch schreckliche Vergehen wie das Töten. Man kann alles lernen. Was habituiert ist, macht kein schlechtes Gewissen mehr. Aber das erste Mal ist schrecklich. LH Das heisst, das Gewissen funktioniert nur, solange ich die Normverletzung überhaupt als solche wahrnehme?

Lautsprecherdurchsage: „Die Beleuchtungsprobe ist beendet und ich bitte die Requisite zum Einrichten. Technik und Requisite bitte.“ Herr Killias nutzt die Unterbrechung, um noch einen Tee zu bestellen. LH Arbeitet die Polizei an einer Welt ohne Verbrechen? MK Sicher nicht, und das sollte man auch nicht anstreben. LH Warum nicht? MK Das wäre eine totalitäre Welt. Das Wesen von Normen ist, dass sie auch verletzt werden. LH Das heisst, bis zu einem gewissen Grad braucht es sogar Normverletzungen? MK Ja, das kann man so sagen. Ganz würde ich es nicht unterschreiben wollen, denn beispielsweise mit nuklearen Substanzen darf man keinen Unfug treiben. Das ist eine Norm, die auf keinen Fall übertreten werden darf – undenkbar, was passieren würde, wenn hie und da einer eine kleine, private Atombombe baut. Es gibt schon Normen, die absolut eingehalten werden. In der gesellschaftlichen Entwicklung gibt es laufend neue Gelegenheiten zum Delinquieren, wie die Erfindung des Messers, der Schusswaffen usw. Oder bei der Pornographie:

12


LH Das sind alles Faktoren, die das Verbrechen nicht kleiner machen, aber die Frage nach der Schuld stark verändern. MK „Schuld“ ist eine „Residualkategorie“, also das, was übrig- bzw. am Täter hängenbleibt, wenn alle äusseren Ursachen berücksichtigt worden sind. Wann immer etwas passiert, wird zuerst berücksichtigt, was (ohne Verschulden) das Unglück verursacht hat – und was dann noch bleibt, ist eben die „Schuld“. Leidet jemand an einer psychischen Krankheit, ist das eine erste Ursache, die den Täter entsprechend entlastet. Daher auch der Satz: „Tout comprendre c’est tout pardonner ...“ LH Ist es eine moralische Herausforderung, Richter zu sein? MK Ich würde es so sagen – das orthodoxe Zitat von Ihnen vorhin gefällt mir wahnsinnig gut – wie andere Richter wollte ich mit meinen Urteilen nicht eine gerechte Welt schaffen, aber ich wollte dazu beitragen, dass sie ein bisschen weniger ungerecht wird. Diese Vorstellung hat mich immer sehr stark bewegt und ich glaube, die meisten anderen Richter auch. Lautsprecherdurchsage: „Guten Abend, die Abendprobe für Schuld und Sühne beginnt in der Halle, alle auf die Bühne bitte.“ Sebastian Baumgarten muss schnell aufbrechen. LH Und was Sie gesagt haben, darf alles gegen Sie verwendet werden? MK Na klar, das bin ich gewöhnt! Wir begleiten Herrn Killias nach draussen, wo er noch einmal betont, wie sehr sich das Quartier verändert hätte.

Schuld und Sühne nach dem Roman von Fjodor M. Dostojewskij Regie Sebastian Baumgarten, Bühne Barbara Ehnes, Kostüme Marysol del Castillo, Musik Andrew Pekler, Video Chris Kondek, Geräuschemacher Gil Schneider Mit Lisa Bitter, Julian Boine, Lukas Holzhausen, Henrike Johanna Jörissen, Nils Kahnwald, Anne Ratte-Polle, Markus Scheumann, Norbert Stöss, André Willmund, Susanne-Marie Wrage Seit 20. September im Schiffbau/Halle

13

On the Town

Videogeräte und das Internet machten bestimmte Dinge erst möglich. Früher hatte man „Sexheftli“, die man in der Schmuddelecke und bei der Kioskfrau erwerben konnte. Diese fragte vielleicht noch: „Soll ich´s einpacken?“ SB Man kann also sagen, dass der Markt sozusagen die Inhalte des Verbrechens schafft. Sobald genügend Leute bereit sind, für etwas zu bezahlen, ist die Gelegenheit da. MK Genau. Ich bin der Meinung, dass sich Gelegenheiten dauernd ändern. Sie sind ja hier im Kreis 5 gut platziert, um das zu sehen: Das Nachtleben von heute wäre früher undenkbar gewesen. SB Fängt das Problem nicht da an, wo diese Märkte permanent geschaffen werden? Dagegen könnte man doch etwas tun? MK Natürlich, das tut man ja auch. Wenn Drogenkonsum hart sanktioniert würde – ich lasse offen, ob man das machen könnte oder sollte – ich sage nur, wenn die Sanktionen auf der Konsumentenseite härter wären, würde der Markt natürlich darunter leiden. Repressionen sollten sich nicht nur gegen die Anbieter richten. LH In einem offiziellen Rechtsgutachten der orthodoxen Kirche von 2001 über die Soziallehre der russischen Orthodoxie gibt es den schönen Satz: „Die weltliche Rechtsprechung ist nicht dazu da, das Reich Gottes auf Erden zu schaffen, sondern die Hölle auf Erden zu verhindern.“ MK Das ist ein schöner Satz! Der gefällt mir. LH Gibt es bei Richtern, Polizisten, Beamten auch eine Faszination für Verbrecher? MK Das wäre fast ein Ausschlussgrund, damit wäre man ja befangen ... Aber natürlich, diese Faszination gibt es … Ich erinnere mich an Mordfälle, die ich als ehrenamtlicher Bundesrichter bearbeitet habe. Ich würde unterscheiden zwischen den Interessanten und den Langweiligen. Die Faszination liegt nicht darin, dass ich die Menschen sympathisch finde, sondern eher darin, dass in der Tat selbst eine menschliche Dramatik und Tragik liegt, die aussergewöhnlich ist. SB Das ist doch bei Raskolnikow der Fall, oder? MK Ja. Das ist sicher einer von den interessanten Fällen, obwohl er nicht immer tut, was logisch ist. SB Interessanterweise wird das im Roman offengehalten. Es gibt den Beweggrund der Geldnot, der immer im Vordergrund steht, aber es gibt auch noch Krankheit, Fieber, eine unfassbare Hitze über der Stadt. Es gibt einige, nicht unwesentliche, wenn auch nicht bestimmende Faktoren. Wie oft in solchen Romanen, wird natürlich die Spannung dadurch erhöht, dass man vieles offen hält. Man darf die Unerträglichkeit des Molochs St. Petersburg nicht vergessen: ein versumpfter Ort, der kurz nach seinem Aufbau eigentlich schon wieder marode war.


Die Dramaturgin Katja Hagedorn befragte per E-Mail den Filmkurator, Produzenten und Filmfan This Brunner zum Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, der Sebastian Nübling in seiner nächsten Produktion am Schauspielhaus als Grundlage dient. Katja Hagedorn – Auf unsere Bitte, einige Fragen zu „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ von Luis Buñuel zu beantworten, haben Sie erfreut erklärt, dieser Film gehöre zu Ihren Lieblingsfilmen. Was schätzen Sie besonders daran?

Still aus dem Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (Fotosammlung des Österreichischen Filmmuseums)

Der diskrete Charme der Bourgeoisie

Bei Buñuel ist die Bourgeoisie selbst für Sex zu faul

darauffolgende Innen-Szene erst so herrlich absurd! Wie überhaupt alle Sex-Szenen in diesem Film nur lächerlich und völlig unerotisch wirken. Bei Buñuel ist die Bourgeoisie selbst für Sex zu faul. Sie kennt ihn höchstens noch aus „Madame Figaro“ oder „Lui“ und ahmt ihn dann irgendwie wurstelnd nach.

This Brunner – Ich habe mich schon 1972 kaputt gelacht über diese zynische Komödie, und wenn ich den Film heute sehe, geht es mir nicht anders! Weshalb? Da gibt es viele Gründe: Es ist die erste wirkliche Komödie von Luis Buñuel. Dieser zweite französische Film von ihm kam völlig überraschend, obwohl er schon in Mexico zwei leichte Farcen in Schwarzweiss mit einem Nichts an Budget gedreht hatte. Es ist ein sehr unbeschwerter Film, dem es aber keinesfalls an Tiefe mangelt. Das ist ja die Kunst der grossen Komödien – von Molière bis François Ozon. Aber ich habe mich auch über die kleinsten Details wahnsinnig amüsiert und mich zum Beispiel über jeden einzelnen Strohhalm im Haar von Stéphane Audran und Jean-Pierre Cassel nach ihrem „romp“ in den Büschen gefreut! Sie machen die

Katja Hagedorn – Sie sagen, der „Charme der Bourgeoisie“ sei Buñuels erste wirkliche Komödie gewesen. Welcher Art waren seine Filme zuvor? This Brunner – Die Filme vor dem „Charme der Bourgeoisie“ waren – vereinfacht gesagt – viel düsterer, ernster, anklagender, immer auf der Seite der Armen, immer gegen die Kirche, den Staat, die pervertierte Gesellschaft. Sehr oft – vor allem in seiner mexikanischen Periode in den 50er-Jahren – in Form von starken, an Kitsch grenzenden Melodramen. Im „Charme der Bourgeoisie“ ging es Buñuel und seinem treuen Drehbuchautor Jean-Claude Carrière aber mehr darum, feinere Töne anzuschlagen und die Bourgeoisie

14


durch ihre eigenen Regeln zu demontieren. Und das hätte ihm nicht besser gelingen können. Man kannte diese Note zwar bereits von Erich von Stroheim oder später vor allem von Jean Renoir („Une partie de campagne“) und dem Zyniker aller Zyniker, Claude Chabrol – aber keiner seiner Vorläufer hat die Bourgeoisie so gnadenlos durchleuchtet wie Buñuel und gleichzeitig noch Giftpfeile in den äussersten Verästelungen ihrer Gedärme platziert.

gemeinsam eine einsame Landstrasse entlang. Wie verstehen Sie diese Szene?

Katja Hagedorn – Luis Buñuel gehört zu den einflussreichsten Regisseuren des 20. Jahrhunderts. Welche Inhalte oder filmischen Mittel verbinden Sie besonders mit ihm? This Brunner – Zweifellos seine atheistische, gesellschaftskritische Haltung. Was das Formale anbelangt, ist Buñuels Kino relativ konventionell – mit Ausnahme seines Frühwerks („Un chien andalou“ oder „L’age d’or“), das extrem surrealistisch war. Es ging ihm später weniger darum, das Kino formal zu erneuern. Ihm war wichtiger, die Stützen der Gesellschaft zu demontieren. Seine grosse Stärke liegt eindeutig in der Radikalität der Drehbücher. Beim „Charme der Bourgeoisie“ zum Beispiel in der dramaturgischen Struktur: Mehrere befreundete Paare aus der französischen Oberschicht versuchen immer wieder, gemeinsam zu Abend zu essen, werden dabei aber jedes Mal durch absurde Vorkommnisse unterbrochen. Das ist eine grossartige Erfindung und gleichzeitig das Erbe des Surrealismus, dem er in den 20er-Jahren sehr nahe stand.

Katja Hagedorn – Wenn man sich „Der diskrete Charme der Bourgeosie“ anschaut, hat man nicht das Gefühl, einen Blick in eine längst vergangene Welt zu werfen – der Film wirkt im Gegenteil überraschend zeitlos. Woran liegt das? This Brunner – Das liegt bestimmt an den aberwitzigen Dialogen und Situationen und der eher abstrakten Erzählform. Und an Sätzen, die jede Generation immer wieder aufs Neue zu sagen pflegt, als hätte sie den Satz selbst erfunden, wie zum Beispiel: „Die Schere zwischen arm und reich wird immer grösser!“ Das lese und höre ich seit meiner Kindheit im Wochentakt. Aber wenn er aus dem Mund der hohen Bourgeoisie kommt, wird dem Satz die Radikalität genommen und er verkommt zu Banalem. Das macht ihn ja eigentlich erst recht erschreckend!

Katja Hagedorn – Der Film war ein grosser Erfolg, unter anderem auch in den Kreisen, die Buñuel kritisierte. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Katja Hagedorn – Was denken Sie: Lässt sich Luis Buñuel diskreter Charme der Bourgeoisie aus dem Jahre 1972 mit dem diskreten Charme der Zürcher Bourgeoisie 2014 vergleichen?

This Brunner – Mit „Belle de jour“ hatte Buñuel seinen ersten grossen Publikumserfolg, der nicht – wie zum Beispiel „Viridiana“ – auf „shock value“ basierte. Stars wie Catherine Deneuve, Michel Piccoli und das einfach zu vermarktende Genre „Nuttenfilm“ mussten einfach zum Erfolg führen. Das Terrain für den „Charme der Bourgeoisie“ war also bestens geebnet, vor allem Dank der geheimnisvollen Delphine Seyrig („L’année dernière à Marienbad“), Bulle Ogier und der perfekten Stéphane Audran (Ehefrau und Muse von Claude Chabrol) – da konnte eigentlich gar nichts schieflaufen. Der Film war monatelang in den Charts und bekam – mit Ausnahme der katholischen Presse – Hymnen. 1973 erhielt er einen Oscar, und auch in Europa war der Film ein gigantischer Erfolg. Ich nehme mal an, Buñuels grösster.

This Brunner – Ach klar! Ich höre laufend Sätze in bester Gesellschaft, auch im Foyer des Schauspielhauses, die mich an Buñuel erinnern und bei denen ich – bei aller Liebe zu den Leuten – innerlich lachen muss. Und anderen ist es mit mir bestimmt genauso, bei unüberlegten Aussagen, die ich schon gemacht habe. Nobody is perfect! Die Bourgeoisie zuletzt! Der diskrete Charme der Bourgeoisie nach dem Film von Luis Buñuel Regie Sebastian Nübling, Bühne Muriel Gerstner, Musik Lars Wittershagen Mit Hilke Altefrohne, Christian Baumbach, Lukas Holzhausen, Dagna Litzenberger Vinet, Michael Neuenschwander, Anne Ratte-Polle, Jörg Schröder, Johannes Sima u. a. Ab 18. Dezember im Pfauen Unterstützt von der G+B Schwyzer Stiftung

Katja Hagedorn – Es gibt eine Szene in „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang zum Rest des Films zu haben scheint, die Buñuel aber mehrfach verwendet: Die sechs Männer und Frauen, die im Zentrum des Films stehen, laufen

15

Der diskrete Charme der Bourgeoisie

This Brunner – Ich sehe sie als ein Bild für die Strasse des Lebens. In der letzten Einstellung sieht man neben der Strasse auch einen Fluss: „La vie est un long fleuve tranquille …“ Die Strasse als gegebener Weg (bei Buñuel ohne Strassenkreuzungen!) könnte auch Heideggers „L’homme est jeté dans la vie“ repräsentieren – man hat gar keine andere Wahl, als diesen Weg mit seinen Mitmenschen abzuschreiten, ob er einem nun gefällt oder nicht. Vor allem die Bourgeoisie fühlt sich auf der Strasse als Herde am Wohlsten, aber selbst da marschiert bei Buñuel jeder für sich alleine. Es wird nicht miteinander geredet. Es gibt keine Kommunikation. Für Poeten wie Jean Genet und Jean Cocteau wäre dies wohl kaum der Weg der Wahl, dann lieber im hohen Gras und durch die Büsche einen Ausweg suchen, selbst wenn der in ein Gefängnis oder in eine Opiumhöhle führt ...


16

In Szene


Liebe Katrina, ich wurde gebeten, etwas über dich zu schreiben. Nichts lieber als das – aber womit soll ich beginnen? Mir fallen so viele schöne Momente mit dir ein. Ich könnte erzählen, wie herrlich es war, mit den Kolleginnen der Produktion „Über Tiere“ in deinem winzigen Studentenzimmer an einem Tisch zu sitzen, der sich vor Leckereien nur so bog, lauter köstliche Kreationen deiner Kochkunst – und im Kühlschrank wartete das verführerischste Dessert auf uns. Wir vier Ladies aus dem Ensemble waren für das Stück von Elfriede Jelinek zusammengespannt worden und glücklich und stolz, gleich von Beginn an einen lustvollen Umgang mit dem Text und miteinander gefunden zu haben, mit unseren verschiedenen Spielweisen und Temperamenten. Dabei hatten wir fast alle noch nie miteinander auf der Bühne gestanden und du warst gerade erst ins Ensemble gekommen.

Wenige Monate zuvor hatte ich dich in der „Radiofamilie“ gesehen, nachdem man dich mitten in der Probenzeit gefragt hatte, ob du für eine erkrankte Kollegin einspringen könntest. Noch an der Hochschule wusstest du lediglich, dass du in der folgenden Spielzeit Mitglied des Schauspielstudios sein würdest – du warst in diese Radiofamilie hineingestolpert wie deine Figur, das jüngste Kind des Hauses, in eine Wiener Kleinfamilie. Ich sah einen kleinen Jungen mit vorpubertär sperrigem Körper und war fasziniert von deinen unbekümmerten Wechseln zwischen polyphonem Gesang und den unbeholfenen Bewegungen dieses leicht verpeilten Knirpses. Es machte Spass, dir zuzusehen, wie du dich mutig in dieses Abenteuer stürztest, als hättest du schon immer dazu gehört. Dann deine Irrfahrt mit Odysseus, wo du erst als junger Seemann verzweifelt mit den

Lisa-Katrina Mayer

In Szene

17 Lisa-Katrina Mayer, 1988 in Stuttgart geboren, ist seit Beginn der Spielzeit 2014/15 festes Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich und in dieser Spielzeit u.a. in „Der schwarze Hecht“ zu sehen.

Is ab el vo le n M en ke

Mächten des Meeres zu kämpfen hattest und wenige Szenen später sexy und mondän im Glitzerkleid aus dem Bühnenhimmel heraus sangst – eine traumhaft unnahbare Diva, verführerisch und schillernd … So, nun höre ich auf. Eigentlich hoffe ich, dass du diesen Text nicht liest, es wäre dir wohl peinlich, aber wahrscheinlich hast du gar keine Zeit dazu – du steckst schon wieder in Proben und ich stelle mir vor, wie du gerade wieder eine vollkommen überraschende Figur erfindest. Ich freue mich darauf.


Ein Sommernachtstraum

Ein Sommernachtstraum

„Seid ihr sicher, Dass wir wach sind? Denn es kommt mir vor, Wir schlafen noch, wir träumen.“

18


Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare Regie Daniela Löffner, Bühne und Kostüme Matthias Werner, Musik Cornelius Borgolte Mit Anna Blomeier, Klaus Brömmelmeier, Lambert Hamel, Claudius Körber, Isabelle Menke, Katharina Schmidt, Johannes Sima, Jirka Zett Ab 18. Oktober im Pfauen Unterstützt von der Stiftung Corymbo

Ein Sommernachtstraum

Rune Guneriussen, „Capacity to breed and recover“

19


Die BrĂźder LĂśwenherz

Wie Nangijala entsteht

20


A nd re as vo Ka n rla ga ni s

Andreas Karlaganis – Was ist die Grundidee, um die Welt von Nangijala zu kreieren? Mervyn Millar – Wir möchten, dass das Land Nangijala ein Ort der Imagination ist. Die Landschaft, die Tiere und die Ungeheuer in unserem Nanjijala sind nicht realistisch gezeichnet. Wir sehen die Welt durch die Augen des kleinen Jungen Krümel Löwenherz. Ich wollte, dass die Tiere in der Grundästhetik dem Bühnendesign von Damian Hitz folgen. Ihre Form wird skulpturenhaft sein, mit viel Raum zwischen den einzelnen Elementen, und in der Bewegung soll das Bild des Tiers erscheinen. Schreiner Claude Kaiser, Puppendesigner Mervyn Millar, Theaterplastikerin Christine Rippmann und Regisseur Ingo Berk in den Werkstätten des Schauspielhauses

AK – Welches sind die grössten Herausforderungen? MM – Ich werde in dieser Produktion mit Schauspielern und Statisten arbeiten, die sich zum ersten Mal mit dem

21

Die Brüder Löwenherz

Im November erobern die Brüder Löwenherz die Pfauenbühne. Damit aus dem weltberühmten Kinderbuch von Astrid Lindgren ein Theaterstück für die ganze Familie wird, laufen die Vorbereitungen hinter der Bühne auf Hochtouren. Der Regisseur Ingo Berk feilt mit seinem Dramaturgen am letzten Schliff der Bühnenfassung. Während die Schauspieler schon die ersten Szenen auswendig lernen, wird auch in den Werkstätten emsig gearbeitet. Es gilt, die vielen Schauplätze von Nangijala zu bauen, unter anderem eine mehrere Meter hohe Felswand, ein prächtiger Kirschblütenbaum und ein gewaltiges Stadttor. Dutzende Kostüme werden in der Schneiderei angefertigt. Die grösste Herausforderung für alle Beteiligten ist es aber, die vielen Tiere, die in Nangijala leben, auf die Bühne zu bringen. Der Puppendesigner Mervyn Millar hat die Aufgabe, Pferde, Füchse, Tauben, Wölfe und sogar einen Drachen zum Leben zu erwecken. Millar hat schon einige Erfahrung mit Tier-Puppen sammeln können. Jahrelang war er Mitglied der weltberühmten Handspring Puppet Company aus Kapstadt, die sich dieser unmöglichen Herausforderung seit Jahrzehnten stellt und schon Schimpansen und Giraffen für die Bühne kreiert hat. Ihr grösster Erfolg gelang ihnen bisher mit der Entwicklung eines lebensgrossen Pferdes im Londoner Bühnenhit „War Horse“, an dem Mervyn Millar mitgearbeitet hat. Eben baute er für die Rocklegende Paul McCartney einen meterhohen Roboter, der von drei Puppenspielern geführt wird. Die Anforderungen für unsere Weihnachtsproduktion „Die Brüder Löwenherz“ stellen selbst ihn vor gewaltige Aufgaben: Den Höhepunkt in der bewegenden Abenteuergeschichte zweier Brüder im Kampf gegen das Böse bildet deren Schlacht gegen den Drachen Katla. Geplant ist, dass in diesem grossen Finale insgesamt fünf Schauspieler eine neun Meter lange Puppe gemeinsam „manipulieren“, wie man in der Fachsprache der Puppenspieler sagt. Ausserdem sollen die Pferde Grim und Fjalar, welche die Brüder Krümel und Jonathan Löwenherz auf Schritt und Tritt begleiten, genauso wahrhaftig wirken wie die Schauspieler, die ihre Rollen spielen. Während eines Werkstättenbesuchs beantwortete Mervyn Millar einige Fragen.


Die BrĂźder LĂśwenherz

In der Bewegung soll das Bild des Tiers erscheinen: Christine Rippmann und Claude Kaiser

22


Wenn das Publikum sieht, was die Puppe denkt und fühlt, ist unsere Arbeit gelungen.

Puppenspiel beschäftigen. Es ist immer toll, mit einem neuen Ensemble arbeiten zu dürfen. Zwar ist das Führen von Puppen ein Gebiet, mit dem man sich ein Leben lang beschäftigen kann. Dennoch arbeite ich lieber mit Schauspielern und Laien als mit ausgebildeten Puppenspielern. Was wir tun müssen, ist Puppen zu entwickeln, die sich glaubhaft bewegen und die einfach erlernt werden können. Die Welt, die Krümel und Jonathan Löwenherz umgibt, wird vom gesamten Cast mittels Puppen erzählt. Das heisst, dass jeder die Sorgfalt und Präzision, die das Puppenspiel einfordert, entdecken wird. AK – Worauf achtest du in deiner Arbeit am meisten? MM – Ich liebe es, Puppen zu entwickeln und an deren Mechanismus und Gestalt zu feilen – aber am wichtigsten ist die Arbeit mit den Schauspielern, die die Vorstellung dann spielen werden. Die Charaktere entstehen auf der Bühne, in der Vorstellungskraft zwischen den Spielern und dem Publikum. Die Puppen sind das Mittel dazu. Puppen sind eine tote Materie, die durch das Spiel lebendig werden muss. Die Puppe muss atmen, sich bewegen und Gedanken haben, wie ein Lebewesen. Das ist der Teil, der die Arbeit an Puppen so faszinierend für mich macht. Wenn das Publikum sieht, was die Puppe denkt und fühlt, ist unsere Arbeit gelungen. Mir ist es wichtig, dass die Puppen Teil der Geschichte sind und keine Dekoration oder Beigabe, wie das im Theater oft der Fall ist. Um das zu erreichen, wird den Puppenspielern viel Geduld und Disziplin abverlangt. Sie können wiederum ihre Erfahrungen im Verkörpern von Rollen einbringen. Schauspieler sind Spezialisten darin, das Innenleben von jemand (oder etwas) anderem zu erkunden. Davon werden wir profitieren.

AK – Was wird deine Aufgabe während der Proben sein? MM – Am wichtigsten ist es, dass die Schauspieler Vertrauen in ihre Arbeit als Puppenspieler gewinnen. Ich werde Ihnen die Grundkenntnisse vermitteln. Es ist wichtig, dass alles im Stück aufeinander reagieren kann. Ich möchte, dass der Regisseur Ingo Berk die Tiere genauso inszeniert wie die Personen. Die Sequenzen, die von den Puppen dominiert werden, planen wir gemeinsam. Sobald die Szene in ihren Grundstrukturen steht, gebe ich den Puppenspielern Freiräume bei der Weiterentwicklung. Ich werde sie dabei beobachten und ihnen technische Ratschläge geben. Aber ich möchte, dass die Schauspieler den Charakter selbst kreieren. Wenn eine Puppe von mehreren Spielern geführt wird, kann diese Arbeit sehr ungewohnt und herausfordernd sein. Sie müssen gemeinsam, zu zweit oder zu dritt jeweils einen Vorgang oder Gedanken spielen.

AK – Worauf achtest du während der Workshops, die du vor Probenbeginn mit dem Team veranstaltest? MM – Ich möchte herausfinden, wie sie als Puppenspieler Leben ins Objekt bringen. So etwas kann nicht vorgetäuscht werden. Aus diesem Grund wird erst mit einfachsten Objekten gespielt, wie zum Beispiel mit Holzstöckchen oder etwas Packpapier. Die besten Puppenspieler haben ein instinktives Verständnis dafür, wie mit präzisem Experimentieren an einer Bewegung ein Charakter entstehen kann. Dabei sind Details, Timing und Stille gleichermassen wichtig.

AK – Welche ist deine liebste Puppe? MM – Ich freue mich sehr auf den Drachen Katla. Es ist toll, an etwas zu arbeiten, das die Leute erschrecken soll. Auch interessiert es mich, herauszufinden, wie wir die Pferde Grim und Fjalar zum Leben erwecken können.

AK – Wie funktioniert die Entwicklung der Puppen in der Zusammenarbeit mit den Werkstätten? MM – Wir orientieren uns stark an der Vorlage. Astrid Lindgrens Buch ist grossartig in der Art, wie die Autorin die Tiere in die Geschichte mit einbezieht. Von den Tauben, Kaninchen und Pferden bis hin zum Drachen Katla. Der Bösewicht Tengil wird ebenfalls eine Puppe sein. Als ich die ersten Skizzen zeichnete, wusste ich schon, dass ich ziemlich einfache Mechanismen haben wollte. Ich wollte nicht, dass die Tiere realistisch ausgeführt sind. Der Bühnenbildner Damian Hitz kam

Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren Familienstück ab 6 Jahren Regie Ingo Berk, Bühne Damian Hitz, Kostüme Eva Krämer, Musik Patrik Zeller, Puppenbau und Einstudierung Mervyn Millar (Significant Object) Mit Nicolas Batthyany, Ludwig Boettger, Julian Boine, Steffen Link, Ursula Reiter, Nicolas Rosat, Jonas Rüegg, Siggi Schwientek, Milian Zerzawy Ab 8. November im Pfauen

23

Die Brüder Löwenherz

mit der Idee von verlebtem Holz als Grundmaterial. Ausserdem hat der Regisseur Ingo Berk viel Feedback gegeben und war auch dabei, als wir den Mechanismus der Puppen in den Werkstätten des Schiffbaus weiterentwickelt haben. Ich brachte Skizzen und kleine Modelle mit und gemeinsam mit der Theaterplastikerin, dem Malermeister, dem Schlosser und der Mitarbeiterin aus der Konstruktion wurden diese besprochen. Alle Mitarbeiter sind auf ihrem Gebiet Fachmänner- und frauen und jede/r von ihnen hat eine Vorliebe für Materialien und Techniken, worauf ich gerne eingehen möchte. Sie bringen ihre Erfahrungen ein und somit wird das Design weiterentwickelt. Danach beginnen sie, die Puppen zu bauen und wenn ich vorbeikomme, probieren wir sie aus und ergänzen einzelne Aspekte. Während der Entstehung geschieht viel am Puppendesign. Oft nehmen wir wichtige Änderungen vor, nachdem die Puppen im ersten Entwurf gebaut sind. Denn erst, wenn man die Puppe in der Hand hält, merkt man, wie die Gelenke verbessert oder das Gewicht modifiziert werden können. Die Zusammenarbeit mit den Werkstätten geht während der Proben weiter und dauert bis zur Premiere an.


Internationale Gastspielreihe

Gastpielpremieren

19. November bis 10. Dezember Szenen einer Ehe von Ingmar Bergman

Der belgische Regisseur Ivo van Hove hat den dreistündigen Kinofilm für die Bühne adaptiert, seziert das krisengeschüttelte Eheleben auf drei Bühnen gleichzeitig, das Publikum wandert von Episode zu Episode und erlebt ein aufwühlendes Liebesdrama aus unmittelbarer Nähe. „Liebe, Ehe, Raserei. Ingmar Bergmans Film „Szenen einer Ehe“ als intimes Stationen-Drama. Fulminant.“ (Die Presse) Regie Ivo van Hove Toneelgroep Amsterdam 20./21./22. November im Schiffbau/Halle

24


Gift

von Lot Vekemanns Nominiert für den Friedrich-Luft-Preis für die beste Schauspielaufführung des Jahres 2014 in Berlin Ein Paar verliert ihr Kind bei einem Unfall, dann sich selbst und schliesslich einander. Neun Jahre später treffen sie sich wieder. Eine vorsichtige Annäherung beginnt ... Die niederländische Autorin hat für ihr eindringliches Beziehungsstück den Taalunie Toneelschrijfprijs erhalten, einen Preis, der in den Niederlanden jährlich für das beste aufgeführte Stück der vorhergehenden Spielzeit vergeben wird. „Ulrich Matthes und Dagmar Manzel zeigen in „Gift“, wofür man sie landauf, landab bestaunt.“ (Nachtkritik) Regie Christian Schwochow Deutsches Theater Berlin 19./20. November im Pfauen

Gastpielpremieren

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen von Sibylle Berg

Mit grossem Unterhaltungswert tritt Sibylle Berg in ihrem neuen Stück zur Ehrenrettung der Jugend an und porträtiert eine Generation, die in der Falle sitzt. Sebastian Nübling hat den Monolog auf vier Schauspielerinnen aufgeteilt. Zu sehen ist ein höllisch energisches, witzig-unverschämtes Quartett ... Bestes deutschsprachiges Stück des Jahres 2014 (Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“) Regie Sebastian Nübling Maxim Gorki Theater, Berlin 26. November im Pfauen

25


Jeder stirbt für sich allein nach Hans Fallada

Gastpielpremieren

Für seinen letzten Roman hat Hans Fallada einen authentischen Fall rekonstruiert. Es ist die Geschichte des Ehepaars Quangel, das nach dem Tod ihres Sohnes, den sie im Krieg verloren haben, beschliesst, einen persönlichen Widerstand gegen das Nazi-Regime aufzubauen. Luk Perceval bringt den berührenden Roman über Angst und Liebe mit grossartigen Schauspielern auf die Bühne. Beste Inszenierung des Jahres 2013 (Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“)

Arguendo

von Elevator Repair Service

Regie Luk Perceval Thalia Theater, Hamburg 29./30. November im Pfauen

Die gefeierte Theatergruppe „Elevator Repair Service“ untersucht in ihrer neuen Arbeit mit spielerischer Leichtigkeit und prägnantem Witz einen Fall von Gogo-Tänzern in South Bend, Indiana 1991, die für ihr Recht kämpften, ganz nackt tanzen zu dürfen. Nachdem das Gericht in Indiana damit nicht einverstanden war, kam der Fall an den Obersten Gerichtshof ... „A Sexy Supreme Court Case“ (Village Voice) Regie John Collins Elevator Repair Service, New York 8./9./10. Dezember im Schiffbau/Box

Mars Attacks! nach Tim Burton

Eine Alienbegegnung nennen das Behindertentheater HORA und das Puppentheater Das Helmi ihre Auseinandersetzung mit Tim Burtons ironisch-surrealer Filmvision über das Ende der Welt. Und sie gelangen zu einem gänzlich neuen und überraschenden Zugriff. „Die glückliche Vermählung zweier eigenwilliger Theatergruppen, ein rauschendes Fest der fein choreographierten Anarchie.“ (Tages-Anzeiger) Theater HORA, Zürich und Das Helmi, Berlin 30. November/1. Dezember im Schiffbau/Box

26


When I Die von Tom Luz

Der Schweizer Autor und Regisseur präsentiert einen Musiktheaterabend für vier musizierende Geister und einen Schauspieler und sucht in poetischen, traumverlorenen Bildern nach der fliessenden Grenze zwischen Leben und Tod. „Ein wundersamer Abend über die Inspiration.“ (SRF)

Dementia

La Réunification des deux Corées

von Kornél Mundruczó Gastspiel in Zusammenarbeit von Schauspielhaus Zürich und Gessnerallee

von Joël Pommerat

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó beschäftigt sich im zweiten Teil seiner Trilogie zum Thema Selbstmord mit den Abgründen unserer Gesellschaft, die sich nicht mehr brauchbaren beziehungsweise marktfähigen Menschen entledigt, und die in einem psychiatrischen Krankenhaus in Budapest ihre Patienten auf die Strasse schickt, als das Krankenhaus von einem Investor aufgekauft wird. „Eine böse, grelle Farce, eine wohltuende Unverschämtheit, eine Parabel in fabelhaftem Setting.“ (Süddeutsche Zeitung) Regie Kornél Mundruczó Proton Theatre, Budapest 5./6./7. Dezember in der Gessnerallee Vorverkauf ausschliesslich über die Gessnerallee

Angesichts der scheinbar simplen Frage „Was ist Liebe?“ in unserer scheinbar aufgeklärten Zeit entwickelt Joël Pommerat, einer der wichtigsten französischen Theatermacher, in 20 Szenen ein Meisterwerk über Liebe, Tod und alle Zustände dazwischen auf der Basis persönlicher Erfahrungen mit den Werken seiner Lieblingsautoren Tschechow, Bergman und vor allem Schnitzler. „Pommerat verzaubert sein Publikum“ (Le Figaro) Regie Joël Pommerat Compagnie Louis Brouillard, Paris 27./28./29. November im Schiffbau/Halle

27

Gastpielpremieren

Regie Thom Luz Compagnie Thom Luz, Zürich 3./4. Dezember im Schiffbau/Box


Hotel Lucky Hole

„Eine Phantasiewelt, …

Kornél Mundruczó bei Dreharbeiten zu seinem Film „White God“

Der ungarische Theater- und Filmregisseur Kornél Mundruczó inszeniert in dieser Spielzeit erstmals am Schauspielhaus Zürich. Er bringt mit „Hotel Lucky Hole“ ein eigenes Stück zur Uraufführung, das er mit der Autorin Kata Wéber entwickelt und das auf einem tatsächlichen Suizidfall basiert. Zwei Prostituierte geraten unter Mordverdacht, nachdem ein Banker kurz nach seiner Entlassung in ihrer Gegenwart einen als Mord inszenierten Selbstmord begeht. Die beiden müssen sich deswegen vor Gericht verantworten. Wir haben Kornél Mundruczó während der Sommerferien per E-Mail zu den laufenden Vorbereitungen befragt. 28

Ka ro v lin on Tr ac ht e

… die der Realität zunächst sehr ähnlich ist.“


Mich interessiert die Beziehung von Selbstmord zu dem, was wir persönliche Freiheit nennen.

Karolin Trachte – Die Produktion in Zürich ist der letzte Teil deiner Trilogie, die sich mit dem Thema Selbstmord beschäftigt. Was fasziniert dich an diesem Thema, dass du es schon zum dritten Mal bearbeitest?

Libretto „Der Zigeunerbaron“ war. Das Skript wird trotz eurer Vorarbeit erst in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern fertiggestellt. Wie funktioniert eine solche Stückentwicklung?

Kornel Mundruczó – Das Thema des Suizids ist ein zentrales Problem der europäischen Kultur. Es stellt einerseits gesellschaftspolitische Fragen an uns, aber es gibt auch einen romantisierenden Blick darauf. Mich interessiert die Beziehung von Selbstmord zu dem, was wir persönliche Freiheit nennen. Der Selbstmord ist manchmal der einzige Ausweg aus einer bestimmten Situation und deswegen ein Akt der Freiheit und ein Recht, das man niemandem nehmen kann. Gleichzeitig hat ein Selbstmord immer diesen paradoxen Charakter: als Entscheidung g e g e n das Leben steht er wider den menschlichen Überlebensinstinkt.

KM – Wir beginnen mit einem schon recht detaillierten Stückentwurf von Kata Wéber und mir. Dieser enthält die Storyline, die Charaktere und auch schon Dialoge. Während der Proben vertiefen sich die Schauspieler in die Figuren und formen sie zu glaubhaften Persönlichkeiten. Dabei entwickeln sie das Skript weiter – auch durch Improvisation.

KT – Die beiden Hauptfiguren in deinem Stück sind zwei, beide Prostituierte, irgendwo in der Schweiz. Sie leben unter schweren Bedingungen, sind Opfer von Gewalt oder gar Menschenhandel. In welchem Genre spielt diese Geschichte, wie lässt sie sich erzählen?

KM – Es ist eine Phantasiewelt, die wir schaffen wollen. Sie sieht der Realität zunächst sehr ähnlich. Aber wenn man sich hineinbegibt, merkt man schnell, dass sie zwar aus realistischen Elementen besteht, aber ihr eine viel grössere Bedeutung zukommt als die einer blossen Kulisse, vor der die Geschichte erzählt wird! Die Bühne und das Bild, das wir damit erzeugen, sind häufig sogar eindrücklicher als die Dialoge. Der visuelle Eindruck ist ein wesentliches künstlerisches Mittel meiner Inszenierungen, er bricht häufig mit einem vermeintlich vorgefertigten Text.

KM – Wir wollen einen authentischen Eindruck von der Atmosphäre und der Lebenswelt der beiden vermitteln. Von dort aus können wir in das Innere der Figuren vordringen: Wir zeigen ihre Gedanken, ihre Instinkte, ihre Phantasien und ihre Wahrnehmung – hoffentlich in einer Lebendigkeit, bei der sich die darstellerischen Erwartungen des Publikums mit einer Banalität von etwa „Pulp Fiction“ auf halber Strecke treffen. Wir wollen kein zweidimensionales Sozialdrama produzieren! Und wir müssen mutig genug sein, auch den hässlichsten Motiven und Antrieben einer Figur auf den Grund zu gehen.

KT – Die letzten anderthalb Jahre warst du mit deinem Film „White God“ beschäftigt. Er wurde erst kürzlich beim Cannes-Filmfestival mit dem Jury-Preis „Un certain regard“ ausgezeichnet. Glückwunsch! Fällt es dir leicht, dich von der Filmarbeit wieder auf die Arbeit am Theater umzustellen?

KT – Auch für die ersten beiden Teile der Trilogie dienten Operetten von Johann Strauss als Vorlagen: „Wiener Blut“ für die Produktion „Dementia“ in Budapest, „Die Fledermaus“ für „Nietoperz“ in Warschau. Welche Rolle spielt nun der „Zigeunerbaron“ im Kontext der Zürcher Produktion?

KM – Nein, Theater und Film sind sehr verschieden, sind im Grunde inkompatibel. Wenn man versucht, Theater auf einem Film einzufangen oder andersherum wird das Ergebnis bloss absurd. Theater und Film nutzen unterschiedliche Mechanismen, um Effekte zu erzeugen. Nach der Arbeit an „White God“ wieder ans Theater zu wechseln, das ist eine grosse Herausforderung für mich – auf die ich mich sehr freue! Insbesondere auch auf Zürich und das tolle Ensemble …

KM – Die Operetten sind Inspiration und dienen manchmal auch als Anregung für die Struktur der Handlung. Der Grund, warum wir den „Zigeunerbaron“ gewählt haben, ist unsere Beobachtung, dass es in der Schweizer Gesellschaft eine grosse Kluft zwischen den oberen und den ärmeren Gesellschaftsschichten gibt. Unter der überschwänglichen Heiterkeit dieser Operette liegt etwas Trauriges, was von der Einsamkeit der Unterdrückten und Ausgebeuteten, von der absurden Doppelmoral unserer heutigen Gesellschaft erzählt … Konkret ist der Zuhälter Sáffi vom „Zigeunerbaron“ inspiriert – er ist eine unserer wichtigsten Figuren im Stück.

Hotel Lucky Hole von Kornél Mundruczó und Kata Wéber Regie Kornél Mundruczó, Bühne und Kostüme Márton Ágh, Musik János Szemenyei Mit Fritz Fenne, Henrike Johanna Jörissen, Nils Kahnwald, Annamária Lang, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Ingo Ospelt, André Willmund, Janos Szenenyei (Live-Musiker) Ab 16. November im Schiffbau/Box

KT – ... Sáffi, so heisst auch die Novelle des ungarischen Autors Mór Jókai, die Vorlage für das

29

Hotel Lucky Hole

KT – Deine Stücke sind für viele Zuschauer sehr berührend oder gar aufwühlend, was mit der musikalischen Arbeitsweise und der realistischen Darstellung zusammenhängt. Mit deinem Bühnenbildner Martón Ágh hast du auch dieses Mal ein hoch realistisches und düsteres Bühnenbild geschaffen. Welche Bedeutung hat das Bühnenbild für deine Arbeit?


Nach sechzig Jahren ist der „Schwarze Hecht“ wieder im Pfauen zu sehen – in der Regie von Herbert Fritsch feiert das Musikstück des Schweizer Komponisten Paul Burkhard im September Premiere. Nach „Die Physiker“ widmet sich Herbert Fritsch erneut einem Schweizer Stoff. Zirkusdirektor Obolski, abtrünniger Verwandter, erscheint mit seiner schönen Zirkusprinzessin Iduna auf der Geburtstagsfeier seines Bruders. Die Schilderungen vom Zirkusleben stiften Neid und Faszination unter den Verwandten und die Geburtstagsfeier droht aus dem Ruder zu laufen. Mit dem Schauspieler Gottfried Breitfuss sowie den SängerInnen Ruth Rosenfeld und Hubert Wild lassen wir uns vom Zirkusfieber Zirkusitis anstecken und machen uns auf zu einem Besuch vor und hinter die Kulissen des Circus Knie. „Zirkus! Zirkus! Jedermann, ob gross, ob klein, muss hier eingetreten sein! Keiner lass sich das entgehn! Zauberei, eins-zwei-drei-noch sind gute Plätze frei!“ (alle Zitate aus „Der schwarze Hecht“) 30

Gottfried Breitfuss, Ruth Rosenfeld und Hubert Wild fühlten sich beim Circus Knie zu Hause ...

Iri na vo M n ül le r

Hausbesuch

Vorsicht ansteckend: Zirkusitis!


Hausbesuch

Strahlender Sonnenschein, als unser Produktionsteam das Gelände der Allmend in Bern betritt, wo zurzeit der Zirkus Knie seine Zelte aufgeschlagen hat. Wir wollen den Kindheitstraum vom Zirkus in uns wiederbeleben und in einem Gespräch mit Franco Knie jun. herausfinden, wie es ist, ihn verwirklicht zu haben. Franco Knie jun. gehört zur siebten Generation der Familie Knie und mit seinem Sohn steht bereits die achte Generation im Zirkuszelt.

Circus eingeladen. Sie führt uns direkt ins Hauptzelt, wo in einer Stunde die Vorführung beginnen wird. Es riecht nach Stroh, Popcorn und Tieren. Staub flirrt in der Luft, was selbst dem noch nicht ausgeleuchteten Zirkuszelt eine mystische Atmosphäre gibt. Ungefähr zehn Manegenarbeiter sind dabei, die Teppiche der Manege zu fegen. Ihre synchronen Bewegungen erzeugen ein rhythmisches, meditatives Geräusch, das nur unterbrochen wird von lauten Soundchecks. Man spürt bereits die Konzentration und Anspannung im Zirkuszelt.

Wir sind mit Barbara Lüthi vom Medienbüro zu einer Führung hinter die Kulissen des Schweizer National-

31


Hausbesuch

sehnsüchtig am Bahnhof erwartetet und unter Brimborium zum Zirkuszelt begleitet, während heute die Tiere bequem über die Strasse transportiert werden und erst einmal unbemerkt in der Stadt ankommen. Auf der Allmend ist das Gelände für den Zirkus optimal: Auf den Wiesen hinter dem Zelt sind alle Wohnwagen zu einem grosszügigen Dorf formiert, inklusive Fussballfeld, wo gerade ein Match ausgetragen wird. Zirkusmitarbeiter gegen Zirkusmitarbeiter. Ausser dem Wagen von Franco Knie jun., der golden schimmert und mit einem Zebramuster überzogen ist, sind alle Wohnwagen schlicht gehalten und sehen noch genauso aus wie in unseren Kindheitserinnerungen. Auch der Kantinenwagen ist ein einfacher Wellblechwagen mit festgeschraubten Bänken und Tischen, auf denen aber kleine Blumensträusschen stehen. Hier essen alle Mitarbeiter inklusive Artisten jeden Tag zusammen. Massage- oder Yogawagen sind nicht in Sicht. Der Trend zum Wellness scheint hier noch nicht Einzug gehalten zu haben. Ruth Rosenfeld würde als erstes eine richtige Badewanne vermissen.

Vorbei am Chef de Piste, der, ähnlich dem Inspizienten im Theater, den reibungslosen Ablauf des Abends überwacht, werden wir hinter dem Artisteneingang auf einen Platz geführt, wo die Stallungen der Tiere stehen. Allein 34 Pferde, ausschliesslich Hengste, gilt es hier zu begutachten, daneben drei Elefanten, des weiteren Hunde, Zieglein, ein ganzer Kleintierzoo. Unsere drei Schauspieler gehen ohne Hemmungen auf die Tiere zu. Hubert Wild, der den Zirkusdirektor in Fritschs Inszenierung spielt, streckt einem der Dickhäuter mit Begeisterung seine Hand entgegen, während Ruth Rosenfeld, die im „Schwarzen Hecht“ die Zirkusprinzessin Iduna verkörpert, sich bereits in die Ponys verliebt hat. Als sie sich mit einem fotografieren lässt, zieht sie dieses beinahe mit in Richtung Manege. „Ich sag zu ihm: „mein siisses Pony“, und dann der Jonny fiihlen auch wie wir.“ Kam früher der Zirkus in die Stadt, war der Einzug der Elefanten die Grossattraktion: Die grauen Riesen wurden

32


„Zirkus! Strahlentanz! Eleganz! Märchenhafter Lichterglanz!“

Hausbesuch

„Stell mich mit Respekt vor, als Zirkusdirektor.“

quer im Manegeneingang, Artisten springen über ihn, als hätten sie jede Bodenhaftung überwunden, und eine Artistin lässt Hoola Hoop Reifen über ihren Körper tanzen. Es folgen Pferdedressuren: Pferde, die über Neonlichter tänzeln, das Pferd Scout, das sich mit seinem Dompteur aufs Bett legt, sich eine Decke bis über die Ohren zieht und nicht mehr springen will, und schliesslich die mit drei Jahren Jüngste Dompteurin, Chanel Marie Knie, die unter Glitzerregen auf einem Schimmel in die Manege geritten kommt. Hubert Wild staunt über die Pferde, die sich nach ihrer Farbe anordnen, als ob sie diese kennen würden. Der Zirkuszauber wirkt. Wir sind gerührt, wie die Kleine ihr Pony genauso auf den Hinterbeinen tänzeln lässt wie ihr Opa den grossen Hengst. Wir staunen und sind sprachlos, wenn die Fratelli Erani einander herumwirbeln als würden sie von fremder Hand gesteuert und halten den Atem an, als der riesige Elefant seinen Körper auf den von Franco Knie jun. legt.

Die Vorstellung beginnt. Nun heisst es: „Manege frei!“ und die Bälle fliegen durchs Zirkuszelt, ein Elefant steht

Nicht nur Ruth Rosenfeld ist begeistert von der Poesie und dem Charme des Clowns David Larible. Der Gaststar

Starkstromleitungen bilden ein spinnwebenartiges Netz an der Erdoberfläche, das den Energieaufwand, den es braucht, um die Siedlung von ungefähr 200 Mitarbeitern zu versorgen, offenlegt. Waschmittelgeruch liegt in der Luft. Wir blicken in einen Wohnwagen, der ausschliesslich mit sechs Waschmaschinen und ebenso vielen Trocknern gefüllt ist. Hier wird man durch das konstante Summen der Generatoren und Geräte daran erinnert, dass jeder Umzug mit dem Wiederaufbau der Grundversorgung anfängt. Am ersten Abend in ihrem Zirkuswagen habe die Heizung nicht funktioniert und sofort sei einer der Mitarbeiter gekommen und habe ihr geholfen, erzählt Barbara Lüthi. Die Hierarchien sind flach, wo man auf gegenseitige Hilfe angewiesen ist. Gottfried Breitfuss, vor einem der Zirkuswagen pausierend, macht den Eindruck, als gehöre er auch schon zur Zirkusfamilie.

33


Hausbesuch

„Der Dompteur, wie ist das spannend, mit dem Blick die Tiere bannend, lächelt er.“

„Vorhang auf!“ aus der Perspektive der Artisten

des Programms bringt auf den Punkt, wie das Spektakuläre immer im Umgang mit unseren Erwartungen als Zuschauer funktioniert: Sei es, indem er als Clown unsere Voraussicht der Konsequenzen seines Handelns untergräbt oder dass die Artisten physisch das übertreffen, was wir als das Menschenmögliche annehmen.

Die eben noch vollbrachte Anstrengung der Vorführung sehe man ihm überhaupt nicht an, äussert Ruth Rosenfeld. Franco meint, bei der Arbeit mit den Tieren dürfe man aber auch keinerlei Anspannung zeigen, da sie jede Veränderung sofort merken und unruhig werden. Hubert Wilds Frage, ob er denn gar nie Angst vor der Unberechenbarkeit der Tiere habe, beantwortet er mit einem klaren Nein, denn er hätte beispielsweise den Elefanten, der sich auf ihn legt, genau dafür ausgesucht. Wie bei den Menschen gäbe es eben auch unter den Tieren verschiedene Talente. Während es für uns, am Theater Beschäftigte, schwer vorstellbar ist, dass die Arbeit mit Tieren einfacher ist als mit Menschen, meint Franco, dass er die Arbeit mit ihnen so schätze, weil sie immer direkt seien und sich nie verstellen.

„Ganz hochinteressant ist mein Elefant. Der raucht ne Zigarre und spielt hübsch Gitarre. Kennt sogar die Uhr. Gipfel der Dressur!“ In der Pause empfängt uns Mary-José Knie mit einem Glas Champagner im Wohnwagen, in dem auch schon Michael Jackson nach einer Italienreise zu Gast war. Franco Knie jun. setzt sich zu einem Gespräch zu uns. Er sei zwar Jackson Fan, aber dass gleich zwei seiner Songs im Programm vorkommen, sei purer Zufall. Den „Schwarzen Hecht“ kennt Franco nicht, sehr wohl aber den grössten Hit daraus: „Oh mein Papa“, der in 42 Sprachen übersetzt wurde.

Dass Franco, der einige Jahre sein grosses Hobby, die Informatik, zum Beruf machte, nebst der Faszination für Tiere auch eine für Technik mitbringt, spüren wir, als er über die Veränderungen des Zirkus in den letzten Jahrzehnten spricht. Beim Circus Knie liegen diese vor

34


allem im technischen Bereich: Der Ton beispielsweise könne heute perfekt auf die Akustik vor Ort abgestimmt werden, was, sei der Zirkus beispielsweise von Hochhäusern umgeben, nicht immer ganz einfach zu bewerkstelligen sei, so Franco.

Luft still stehen, leerer Raum wird sichtbar und spürbar. Und wir hätten es durchaus für möglich gehalten, wenn sie von da aus durchs Zirkusdach himmelwärts abgehoben hätten, anstatt wieder auf dem Boden zu landen, so hypnotisiert sind wir zu dem Zeitpunkt.

Was genau ihn dazu bewogen hat, nach seiner Auszeit wieder zum Zirkus zu kommen, verrät er uns nicht. Aber es sei eine gute Erfahrung gewesen Abstand vom Zirkusleben zu bekommen. Dass man niemanden zwingen kann, beim Zirkus zu bleiben, weiss die Familie Knie seit Generationen. Es gibt die Regel, dass die Kinder mit 18 Jahren frei entscheiden dürfen, ob sie bleiben oder nicht. Für die Kinder ist das, was für die Erwachsenen harte Arbeit und Disziplin bedeutet, noch pures Vergnügen. Franco erinnert sich genau, wie er – wie auch heute die Kinder – während den Vorstellungen hinter dem Artisteneingang spielte, kurz in die Manege kam und danach sofort weiterspielte.

Das Zirkusspektakel, das uns im „Schwarzen Hecht“ erwartet, entwickeln die Schauspieler zur Zeit. Sie erarbeiten ihre eigenen Nummern und da fliege dann auch vieles in die Luft, aber vieles lande auch wieder unsanft auf dem Boden, so Ruth Rosenfeld und Hubert Wild. Nach so viel Perfektion und Disziplin bin ich persönlich erleichtert, wenn auch mal wieder etwas schiefgehen darf. Wir erwischen aber, nicht dank artistischem Können, sondern aufgrund unserer Smartphone App, pünktlich den Zug zurück.

„Ich habe einen Platz mir erstritten am Licht. Hunger und Kälte und Durst, sie bezwangen mich nicht.“

Der schwarze Hecht nach einer Komödie von Emil Sautter von Jürg Amstein Musik von Paul Burkhard Regie und Bühne Herbert Fritsch Kostüme Victoria Behr Musikalische Leitung Michael Wilhelmi Mit Gottfried Breitfuss, Jean-Pierre Cornu, Benedict Fellmer, Jessica Früh, Rahel Hubacher, Robert Hunger-Bühler, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Ruth Rosenfeld, Hans Schenker, Lena Schwarz, Carol Schuler, Hubert Wild und den Musikern Nehrun Aliev/Heidy Huwiler (Klarinette), Jan Czajkowski/Michael Wilhelmi (Piano), Magdalena Irmann/Mario Strebel (Akkordeon), Claudia Kühne/Joachim Müller-Crépon (Violoncello) Ab 25. September im Pfauen Unterstützt von der Hans Imholz Stiftung

Auch im zweiten Teil jagt ein Höhepunkt den nächsten. Die schnelle Abfolge wirkt wie ein Sog, der uns vergessen lässt, dass es noch anderes gibt, als einen Akrobaten wie Encho Keryazov, der sich, in scheinbar jedem physikalischen Gesetz widersprechenden Positionen, kopfüber nur auf dünnen Stützen hält. Ruth Rosenfeld springt aus dem Sessel und ruft „Genug, es reicht!“ als er noch eine Stufe höher will. Er stürzt fast, das ganze Zelt hält den Atem an, und als er sich wieder fängt, ist natürlich der Applaus umso tosender. Hubert Wild begeistert das Artistenduo Vanegas, das hoch im Zirkushimmel Saltos vollführt und auf einer sich bewegenden Konstruktion, genannt Todesrad, landet. Für einen Moment sieht es aus, als würden sie in der

35

Hausbesuch

„Es ist ein Gefühl so eigen, bei der Menge bangem Schweigen auf das Hochtrapez zu steigen im grossen Zirkuszelt!“

In der Familie Knie gibt es zwei Linien im Stammbaum. Während seine Familie die technische Leitung des Zirkus und die Elefanten unter sich hat, hat Fredy Knie jun. die Pferde und die künstlerische Leitung übernommen. Lertzterer ist auch verantwortlich für die fliessenden Übergänge im Programm, die Hubert Wild lobt. Dass es keine einfache Aneinanderreihung von Ankündigungen und Nummern mehr gibt, ist eine Neuerung, die vor ein paar Jahren das erste Mal ausprobiert wurde, beim Publikum grossen Anklang fand und seither feststeht. Die Konsequenz sei eine unglaubliche Choreografie von Abläufen im engen dunklen Artisteneingang, die vor Saisonbeginn mit den Gastartisten zusammen in wenigen Tagen eingeübt werde, so Franco. Dann werde von morgens bis spät in die Nacht geprobt. Steht das Programm, sind die Proben aber längst nicht beendet. Jeder Tag beginnt um acht Uhr mit vier Stunden Tierproben. Freie Tage gibt es nicht. Trotzdem hat sich bisher kein Artist mit Burnout aus dem saisonalen Programm verabschiedet.


Repertoire

Im Repertoire

Thomas Loibl und Michael Maertens in „Der Diener zweier Herren“, Regie Barbara Frey Am 13. Oktober zum letzten Mal in Zürich!

36


Repertoire

37


Schicht mit Petra Fischer

Ber端hrungspunkte zwischen den Generationen schaffen

Petra Fischer, die ihre Liebe zum Theater bereits als Kind entdeckt hat, kam 2009 mit Barbara Frey als Dramaturgin und Leiterin des Jungen Schauspielhauses ans Schauspielhaus Z端rich. Eva-Maria Krainz hat sie einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet. 38


9.55 Uhr Vor dem Schulhaus treffen wir auf das restliche Team der Klassenzimmerproduktion und machen uns auf den Weg in eines der Klassenzimmer. Da jede Vorstellung in einer anderen Schule gespielt wird, gilt es herauszufinden, welche Ausstattung in wirklich j e d e m Klassenraum vorhanden ist: Ein Waschbecken, das Fabian Müller in sein Spiel einbauen kann, gibt es zum Beispiel immer, jedoch nur manchmal auch einen Spiegel. 10.05 Uhr Petras Rechercheergebnisse zum Thema „Identität“, die als Vertiefung und Infragestellung des bisher Entwickelten gedacht sind, müssen vorerst im Rucksack bleiben, denn für den Schauspieler steht die Orientierung am ungewohnten Spielort an erster Stelle. Wie sieht zum Beispiel die Aussicht aus den meisten Klassenräumen aus? Hier gibt es ein Klettergerüst und einen Baum vor dem Fenster, doch die Dramaturgie des Stücks muss auch bei jeder anderen Aussicht funktionieren, selbst wenn gegenüber nur eine Hauswand zu sehen sein sollte ... Petra lässt sich voll und ganz auf die Probe ein, beschreibt, was sie sieht, welche Fragen dabei

entstehen. Gemeinsam mit dem Team wird die Geschichte weiterentwickelt und im Spiel erprobt. 12.30 Uhr Die kurze Probenpause nutzt Petra für Telefonate: U.a. müssen die Probenzeiträume der nächsten Tage mit dem Hauswart abgesprochen und Probenbesuche mit Schulklassen vereinbart werden. 14.00 Uhr Wegen eines Sitzungstermins müssen wir die Probe früher verlassen und machen uns auf den Weg in den Pfauen. 14.30 Uhr Petra trifft Michèle Dubois und Beate Krützer von AkzentaNova, um die Inhalte für den nächsten „Kulturführerschein“ festzulegen: Dabei handelt es sich um ein Projekt, das älteren Menschen die Möglichkeit bietet, das Junge Schauspielhaus mit Blicken hinter die Kulissen, Begleitung von Inszenierungen und im Austausch mit anderen zu erkunden. Auch Diskussionen mit jüngeren Zuschauern sollen dabei nicht zu kurz kommen. Auf diese Weise Berührungspunkte zwischen den Generationen zu finden, ist Petra Fischer ein grosses Anliegen. 17.20 Uhr Der andauernde Regen verzögert den Beginn der Abschlusspräsentation des „Mehr als Ferien“-Kurses beim Zürcher Theaterspektakel. Zum Glück hat Petra den Weg zwischen Schulhaus, Pfauen und Landiwiese genutzt, um für die Kinder das Z’vieri-Obst zur Stärkung zu kaufen. Die zu überbrückende Zeit verbringt sie mit den Familien der Teilnehmenden, um Feedbacks zum Ferienkurs zu bekommen und den geplanten Familientheaterbesuch zu organisieren. Petra lässt mich einen Blick in ihren übervollen Terminkalender werfen. Das sei gegenüber Aussenstehenden eigentlich immer ganz hilfreich, wenn man ihre Tätigkeit als Dramaturgin und Leiterin des Jungen Schauspielhauses erklären müsse,

39

meint sie lachend. Für Kernaufgaben einer Dramaturgin wie das Lesen neuer Stücke, den Austausch mit Regisseuren und Probenbesuche bleibt oft weniger Zeit, als ihr lieb ist. Dieses Hin- und Herspringen zwischen den unterschiedlichsten Aufgaben macht aber auch den Reiz ihrer Arbeit aus. Ganz besonders wichtig ist ihr auch, junge Theaterschaffende beim Berufseinstieg zu unterstützen. So hat der Grossteil der Schauspieler und Theaterpädagogen, die regelmässig am Jungen Schauspielhaus arbeiten, in Zürich studiert und am Jungen Schauspielhaus die ersten Schritte in den Berufsalltag getan. Aber gerade auch Interessierten, für die der Weg ins Theater schwieriger ist, soll es möglich sein, ihre Arbeit kennenzulernen: So würde sie, wenn sie sich zwischen zwei Kandidaten für eine Hospitanz oder ein Praktikum entscheiden müsse, stets demjenigen aus einem theaterferneren Umfeld den Vorzug geben – um jungen Menschen, deren Eltern vielleicht kein Verständnis dafür haben, etwas Rückendeckung zu geben und ihnen beim Finden ihres Berufsweges behilflich zu sein … 18.30 Uhr Als wir uns verabschieden, ist Petras Arbeitstag noch lange nicht zu Ende. Spät nachts wird sie u.a. noch die Wiederaufnahmeproben zu „Rosas Schuh“ sowie den Entwurf einer Kooperationsvereinbarung mit einem italienischen Theater vorbereiten ...

„Memory“ – ein Spiel um Wirklichkeit, Identität und Erinnerungen, Theater im Klassenzimmer von Jörg Menke-Peitzmeyer Regie Enrico Beeler, Ausstattung Cornelia Koch, Dramaturgie Petra Fischer Mit Fabian Müller Seit 24. September in verschiedenen Schulen in Zürich Am 26. Oktober wird Petra Fischer von der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses mit der „Goldenen Maske“ geehrt.

Schicht mit Petra Fischer

9.30 Uhr Petra Fischer und ich treffen uns wie vereinbart bei der Tramhaltestelle Triemli – zu diesem Zeitpunkt hat Petra bereits zwei Stunden Büroarbeit hinter sich – und wir gehen im strömenden Regen gemeinsam zum Schuldhaus Döltschi, wo derzeit die Proben für das Klassenzimmerstück stattfinden, das Regisseur Enrico Beeler und Autor Jörg MenkePeitzmeyer zusammen mit dem Schauspieler Fabian Müller erarbeiten. Für Petra heisst es jetzt umschalten. Am Morgen war sie noch in ihrem Büro im Schiffbau mit Korrekturen für den nächsten Leporello beschäftigt und hat als Mitglied der Strategiegruppe ASSITEJ Schweiz am Entwurf einer Stellungnahme zur Kulturbotschaft des Bundes gearbeitet.


Zweifels Selbstgespräche

l ife ne e m Zw lu n Ko efa St

„Die unbedingte Ordnung der schrankenlosen Macht in der Gestalt der alles durchgreifenden Einrichtung aller Möglichkeiten der Ermächtigung der Macht ist in sich schon endgültige Verstörung in das Heillose.“ Martin Heidegger, Schwarze Hefte

n vo

Kusch, kusch Kritiker, kusch! Auf der Irrfährte

Das angebliche Allwissen des besserwisserischen Kritikers führt zu Listen und Ranglisten. Zu einer vertikal strukturierten Lesewelt. Doch vielleicht sollte man den Lesern lieber einen Weg weisen, wie sie die einzelnen Texte so entziffern wie einst die Zeichen auf einem Weg, damals bei den Jägern und Sammlern. Diese Jagd bereitet nur Lust, wenn die Fährte immer neu verläuft: Das Fazit der Wissenschaftler ist, dass man beim Lesen nicht nur im Bekannten herumdümpeln und mit dem sogenannten „Grisham-Effekt“ bei der Spannungs-Stange gehalten werden will, sondern dass uns ein Text durch Regelverletzungen und unvorhersehbare Wendungen, Neologismen, kühne Metaphernsprünge aus dem Beliebigen herausreisst und uns dabei mit uns selbst konfrontiert. Dann erst werden weitere Schaltkreise im Hirn aktiv und Dopamin stürzt uns in tiefe Räusche. Wir suchen im Gedicht unser unbekanntes Ich. Man stammelt dann als Fan, wie uns Thomas Hirschhorn empfiehlt, kettet wie er Bücher als Sehnsuchtspfeile in Installationen, da uns ihr Sinn immer entgleitet, bläst sie auf, übermenschlich gross wie Nietzsche und Sade, Bataille und Walser – Mahnmale auch, die den Tod ihres Autors überlebten durch ihre listige Flucht in die Ohnmacht – ins „musée précaire“ von Hirschhorn. Als Kritiker freue ich mich dann, dass sich der Text (der Patient) allem entzieht: allen Begriffen der Literaturwissenschaft, allen Begriffen der Psychiatrie und Psychoanalyse. Ich sitze vor dem Text und möchte ihn nicht in den Griff kriegen, sondern mich von ihm auf die schiefe Bahn des Wahns werfen lassen, um in der paranoiden Promenade von Rousseau bis Rimbaud, von Artaud bis zu Bolaño endlich alles hinter mir zu lassen: die Vernunft, die Grammatik, die Praxis mit ihren vier Wänden der Normalität. Und vor allem auch: die Gummizelle der Macht.

Viele meinen, man könne sich mit der Macht gegen den Tod panzern. Doch das allgefrässige Wesen der Macht übermächtigt die Träger der Macht, frisst sich in ihr Hirn und Herz, bis sie an den Fäden ihrer Machtzwänge zappeln, Gliederpuppen, die zusammenklappen, sobald das Scheinwerferlicht abgelöscht wird. Viele lieben die Macht. Auch die Macht zu richten. Die Macht, ein „Buch zu machen“ oder zu vernichten. Man spielt sich dann selbst auf zu einer Puppe mit posaunenden Backen. Auch in mich hat sich diese Macht gefressen – und mich gegen jene Ohnmacht gepanzert, denen sich die Autoren aussetzen, wenn die Sprache zu ihnen spricht und sie ins Unbekannte lockt. Literatur nämlich ist eine Schule der Ohnmacht. Auch ich habe oft einen schneidenden Ton angenommen, wobei die zusammengebissenen Zähne des Sarkasmus letztlich immer auch in meine eigene Zunge schneiden, mich selbst beschneiden. Lesen als Strafkolonie Da sitze ich also, als Literaturkritiker, den Stift in der Hand, um den Kopf die Rauchschwaden der frei schwebenden Aufmerksamkeit, und notiere, was mir am Text, am „Fall“, der vor mir liegt, auffällt. Ich sitze da wie der Psychoanalytiker, aufrecht, in der Position der Macht, nach oben ausgerichtet, wo einst die Sonne, das Gute und die Vernunft prangten. Vor mir liegt, vertikal hingestreckt und ausgeliefert, der Patient. Der Text. Der Autor kuschelt sich wie der Neurotiker auf der Couch und kuscht. Husch, husch ins Körbchen, sagt der Analytiker zu den Neurosen, und der Neurotiker nickt und nickt. Husch, husch ins Wörtchen, sagt der Kritiker, und der Autor kuscht. Dabei aber, und das ist die alte Falle der Dialektik, kuscht der Kritiker selbst. Er kuscht vor sich selbst, vor jenem Selbst, dessen Rolle er brav ausführt, ohne zu ahnen, dass das Lesen letztlich eine Suche nach einem anderen Ich ist. Nach einem Ich, das sich allen Zuschreibungen entzieht. Denn jedes grosse Werk weist über sich hinaus, um uns, die Leser, in einer Ekstase aus uns selbst herauszureissen. So erhoffe ich mir beim Lesen, dass der Text mich selber aus der vertikalen Position des gesicherten Wissens hinausbringt, in die Tangente zur Paranoia bringt, wo aller Sinn so schief zur Welt steht, dass er mich in den Exzess und in die „innere Erfahrung“ der Ekstase treibt, ins Nirgendwo, ins Nietzschewo, ins Nichtverstehen – in den Schock der Schönheit.

Stefan Zweifel lädt regelmässig an verschiedenen Orten am Schauspielhaus Zürich Künstler, Autoren oder Philosophen zu „Zweifels Zwiegesprächen“

40


Kurzporträt zu Lily Sykes

Le savoir, c’est quoi?

von Irina Müller

Einer hat mal gesagt, es gebe Bretter, die die Welt bedeuten. Nun, in der studentischen Welt existiert Holz einzig in Papierform. Damit kann man aber auch hübsche Sachen machen. Listen, zum Beispiel. Hier eine der gesammelten Erkenntnisse über die Welt, vom Kindergarten bis zum Bachelor, chronologisch geordnet:

club diskret wir sind wieder da ab 16. Oktober 41

1. Oft kriegt man nicht, was man will, auch wenn man richtig feste weint. 2. Das Chicken-Nugget war mal ein Huhn. 3. Irgendwann sterben alle Menschen. 4. Das Christkind kann Auto fahren. 5. Nichts kann man nicht denken. 6. Auch nicht, wenn man die Augen zudrückt und die Luft anhält. 7. Gelb und Blau gibt Grün. 8. Anna hat gelben Schnodder und blaue Flecken und wird rot, wenn man’s ihr sagt. 9. Der Osterhase hat das gleiche Auto wie das Christkind. 10. Papa will ich doch nicht heiraten. 11. Lieber Jonas. 12. Nein, Tim. 13. Logisch glaub ich nicht ans Christkind. 14. Unter Hausarrest vergehen Stunden nur halb so schnell. 15. Zigarettenrauch bleibt erstaunlich lange an den Fingern haften. 16. Unter Hausarrest und Telefonverbot vergehen Stunden Unendlich hoch eine Million mal so langsam. 17. Mathematik interessiert mich nicht, dafür Theater. 18. Eltern haben schon vor einem existiert. 19. Es gibt Menschen, die sind dümmer als man selbst. 20. Viele werden damit reich. 21. Irgendwann sterbe ich. 22. Statistisch kann man alles fassen. 23. Ausser das wirklich Interessante. 24. Zum Beispiel, dass Amphitryon nicht Amphitryon ist. 25. Dass Amphitryon aber Wachtmeister Studer ist. 26. Dass Amphitryon Berndeutsch spricht. 27. Dass Amphitryon Michael Neuenschwander heisst.

Theater Campus

Dogtooth Vol. 1–4

Für unser Gespräch rufe ich Lily Sykes bei ihrer Familie zu Hause in London an. Familie – ein grosses Thema für die 1984 in London geborene Regisseurin, die, wie sie sagt, in einer riesigen Patchworkfamilie aufgewachsen ist. Das Zuhause als Schnittstelle zwischen Staat und Familie, als Ort, an dem man die ersten politischen Ideen mitbekommt, spielt auch in ihren Theaterarbeiten eine wichtige Rolle. Was sie interessiert, ist die Paradoxie von Liebe und Macht, die anhand der familiären Beziehungen sichtbar wird. Häufig werden dabei Liebe und Macht vertauscht. Dieses Jahr beschäftigte sie sich in der Inszenierung von Joël Pommerats „Dieses Kind“ am Deutschen Theater in Berlin bereits mit der Thematik, die auch für ihre erste Inszenierung am Schauspielhaus Zürich eine zentrale Rolle spielen wird. Hier inszeniert Lily Sykes in dieser Spielzeit eine Adaption des Films „Dogtooth“ als Serie in vier Teilen. Der 2011 für einen Oskar nominierte und in Cannes preisgekrönte Film des griechischen Regisseurs Giorgos Lanthimos handelt von einem Elternpaar, das seine Kinder komplett von der Aussenwelt abschottet. „Dogtooth“ thematisiert autoritäre Strukturen genauso wie die Relativität von Wahrnehmung. Als jemand, der zwischen zwei Städten und Kulturen – London und Berlin – lebt, hat Lily Sykes ein Gespür für die Veränderbarkeit von Regeln. Es bestehe eine Tendenz zum Schwarz-Weiss-Denken und ein Bedürfnis, Lösungen zu präsentieren. Da sei es in der Kunst notwendig, eine Haltung in den Raum zu stellen, die es aushalte in Paradoxien zu bleiben, betont Lily Sykes. Für eine Assistentenstelle kam sie 2009 ans Schauspielhaus Frankfurt. Die Zeit, in der sie dort Teil des Neubeginns unter der Leitung von Oliver Reese war, bezeichnet sie als einen grossen Glücksfall. Formate waren noch nicht festgelegt und so konnte sie aktiv mitgestalten: Bereits im ersten Jahr erhielt sie die Möglichkeit „Steilwand“ von Simon Stephens zu inszenieren. Eine Arbeit, in der vieles gelang, gerade weil der Arbeitsprozess von Paradoxien geprägt war, erzählt Lily Sykes: Viel Enthusiasmus, Aufwand und Kreativität trafen auf knappe Zeitressourcen und enge Bedingungen. Die daraus resultierende Energie des Widerstands kreierte etwas, das sie seither immer wieder herzustellen sucht: eine Reibungsfläche zwischen einem Übermass an Phantasie, Aufwand und reinem Spiel einerseits und realen Bedingungen andererseits.

von Daniela Stauffacher


Ins Theater mit ...

Ins Theater mit Christian Brändle

Christian Brändle ist Direktor des Museum für Gestaltung. Aktuell baut er zusammen mit seinem Team im Toni-Areal in Zürich West das neue Schaudepot, das die 500 000 Objekte der Sammlungen des Hauses vereint und Ausstellungen zu Design und Visueller Kommunikation zeigt. Am 11. September besuchte er auf unsere Einladung hin die Premiere von „Drei Schwestern“ im Pfauen. 42


Von woher kamen Sie zu der Vorstellung ins Schauspielhaus? Wie war die Anfahrt und wie der erste Eindruck, den das Haus auf Sie gemacht hat? Von unserer grossen Baustelle, dem neuen Schaudepot des Museum für Gestaltung im Toni-Areal bin ich kurz nach Hause zum Umkleiden und dann mit dem Velo in rasendem Tempo hoch zum Pfauen und hinein ins Theater. Zusammen mit meiner Frau, die ich vor dem Schauspielhaus am Premierentag zum ersten Mal sah. Wir mischten uns unter ein tolles, auch junges Publikum, das beachtlich viel rauchte.

Kannten Sie das Stück vorher? Einzig den Titel: Wir waren drei Brüder zuhause ... Entsprechend hab ich mich vor der Premiere noch kurz schlau gemacht. In welcher Stimmung waren Sie in dem Moment, als im Zuschauerraum das Licht ausging? Endlich da. Gutes Theater ist wie die Krönung zwischen einem Buch und dem Kino. Am Beginn ist da immer die Vorfreude. Haben Sie während der Vorstellung gelacht, und wenn ja, worüber? Immer wieder, obwohl es da ausserhalb von Moskau ja eher zum Heulen ist. Vor allem aus meiner Kindheit sind mir solche Situationen noch sehr präsent: Nieselregen, nichts zu tun, auch mal Familienkoller. Langeweile. Enge in der Weite. Immer noch Regen. Lasst mich raus hier. Ob ich aus Schadenfreude gelacht habe? Hat Sie etwas an der Vorstellung berührt? Die einzelnen Schicksale in dieser Einöde. Jeder lebt in seiner eigenen

In welchem Moment haben Sie zum ersten Mal auf die Uhr geschaut? Erst in der Pause. Dennoch: Ich war noch nie in einem Theaterstück, bei dem ich zum Ende sagte: „Das war jetzt aber zu kurz“. Entsprach die Aufführung Ihren Erwartungen? Wenn ja, wie sahen diese Erwartungen aus? Wenn nein, warum nicht? Im Wissen um die eher flächige dramaturgische Anlage waren meine Erwartungen nicht allzu hoch. Das hat sich sehr gelohnt, denn ich habe mich bestens amüsiert und dazu noch eine kleine Reise zurück in meine Jugend gemacht. Ich wohne zwar nicht in Moskau, aber langweilig ist mir heute nie mehr. Hatten Sie während des Zusehens den Gedanken, dass es besser gewesen wäre, wenn Sie sich vor Ihrem Besuch noch einmal genauer über den Text und den Autor informiert hätten? Nein. Genaueres Informieren sollte auch nicht nötig sein, wie ich finde. Dieses Stück hat zudem den Vorteil, dass man problemlos auch mal etwas auf „stand by“ schalten kann, oder sich, statt auf die Dialoge, auf das Licht, die Bühne oder die Schauspieler ohne aktuellen Text zu fokussieren. Dieses „Dazwischen“ finde ich ohnehin etwas vom Besten im Theater. Das Auge und der Kopf schaffen, parallel zur Inszenierung, ihre eigene Geschichte. Finden Sie, dass die Aufführung etwas mit Ihnen zu tun hat? Wenn ja, was? Oh ja, mehr als mir lieb ist! Hätten Sie Lust, das Bühnenbild zu betreten? Welchen Platz würden Sie sich darin suchen? Wohl draussen auf der Terrasse. Da könnte ich immerhin fliehen.

43

Wie zufrieden waren Sie mit dem Publikum? Haben Sie sich geärgert oder gefreut? Worüber? Das Publikum war gut – weil engagiert mit dabei. Aber das ausgezeichnete Ensemble hat es einem auch leicht gemacht. Haben Sie sich nach der Vorstellung über das Stück unterhalten? Oder haben Sie auf dem Heimweg noch über etwas nachgedacht, das mit der Aufführung zu tun hatte? Wir fuhren nachher schnell wieder nach Hause. Babysitter ablösen. Welche Frage würden Sie dem Regieteam dieser Aufführung gerne stellen? Wie es gelingt, diesen einzelnen Menschen im Stück, die letzten Endes alle am selben zu nagen haben, Identität einzuhauchen. Wie diese Figuren entworfen und über die Dauer des Stücks entwickelt werden. Welches Stück würden Sie gerne als nächstes sehen? Ich mag ganz besonders Grenzgänge, die das Schauspielhaus ja auch wiederholt zeigt: Zwischen Theater, Musik, Tanz, Performance.

Jetzt im Pfauen: Drei Schwestern von Anton Tschechow Regie Barbara Frey, Bühne Bettina Meyer, Kostüme Bettina Munzer Mit Hilke Altefrohne, Christian Baumbach, Dagna Litzenberger Vinet, Stefan Kurt, Markus Meyer, Johann Adam Oest, Sylvie Rohrer, Nicolas Rosat, Siggi Schwientek, Friederike Wagner, Milian Zerzawy Unterstützt von Swiss Re

Ins Theater mit ...

Was hatten Sie an? Sind Sie aufgefallen? Einen Anzug, den ich eben aus Schweden mitgebracht habe, offenes Hemd. Auffallen mag ich hier nicht unbedingt. Die Show gehört in diesem Bereich vielmehr den Damen. Ich liebe es, wenn sie sich elegant oder extravagant kleiden.

kleinen Welt und versucht einen persönlichen Umgang mit der Situation zu finden. Da wurde ich zeitweise selbst zum Tusenbach und hatte die Phantasie, Irina in ein wilderes Leben zu entführen.


Besser leben mit …

Besser Leben mit ... Kulturtipps aus dem Schauspielhaus

Im Rhythmus der Natur

Gegenwart in Zürich

Per Velo, zu Fuss, joggend oder auch hoch zu Ross ist man innerhalb kurzer Zeit in einem der schönsten Naherholungsgebiete von Zürich, dem Wildnispark Sihlwald. Im prächtigen Buchenwald, findet man eine einzigartige Kombination von Wald, Wildnis und Tieren, um der Hektik der Stadt kurz zu entfliehen. Naturerlebnisse beim Wandern, Pilzsuche im Herbst, Tierbeobachtungen und vielen Feuerstellen bieten auch Kindern unvergessliche Stunden. Man kann auch bequem mit der Dampfbahn etwas Nostalgie geniessen oder jetzt, Anfang September, dem aussergewöhnlichen Ambiente im Freiluftkino fröhnen.

Um die schönste Seite Zürichs kennenzulernen, läuft man am besten vom Opernhaus dem See entlang bis zum Chinesischen Garten, wo man das von Le Corbusier entworfene Museum Heidi-Weber besuchen sollte. Kunstinteressierte können auch im ehemaligen Löwenbräuareal die Kunsthalle Zürich besuchen, wo eine Einzelausstellung der Künstlerin Jana Euler gezeigt wird. Nebenan werden ab 30. August im Migros Museum für Gegenwartskunst Arbeiten von Dorothy Iannone ausgestellt. Wer genug zeitgenössische Kunst gesehen hat, kann bis Ende Oktober (mit Voranmeldung) aber auch auf einem Segelboot mit Schauspielhaus-Logo und eigenem Kapitän den Zürichsee entdecken!

Fabian Kubelik, Ton/Video

Aleksandar Sascha Dinevski, Inspizient & Kapitän Am 26. Oktober wird Sascha Dinevski von der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses mit der „Goldenen Maske“ geehrt.

Es wird wieder Herbst, früher oder später … Doch anstatt dem Sommer hinterher zu trauern – der sich dieses Jahr ohnehin rar gemacht hat – freue ich mich auf die schönen Dinge, die die kühlere Jahreszeit mit sich bringt. Zeit, wieder einmal ins Kino zu gehen. Pünktlich zum Saisonbeginn gibt es im Kreis 3 einen Neuankömmling. Das Houdini hat in der Kalkbreite seine Tore geöffnet. In 5 Sälen mit 30 bis 50 Sitzplätzen kann man eine grosse Bandbreite an Filmen in intimer Atmosphäre geniessen. Aus guter Erfahrung haben die Betreiber des RiffRaff auch dem Houdini eine Bar verpasst, sodass man sich nach einem packenden Film bei einem Glas Wein wieder „entfesseln“ kann. Carsten Grigo, Technischer Assistent

Jam-Session im Schiffbau Neben den spannenden Aufführungen des Zürcher Schauspielhauses gibt es im Schiffbau in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Spielstätten „Halle“ und „Box“, regelmässig musikalische Perlen zu entdecken. Mit dem Moods befindet sich dort einer der feinsten Jazzclubs Europas. Neben Weltstars wie John Scofield (im Oktober!) oder Popa Chubby (im November!) gibt es im Programm auch immer wieder interessante Newcomer aus der Schweiz oder internationale Geheimtipps wie The Bad Plus, die nach ihrem grandiosen Auftritt im vergangenen Jahr im November wieder für einen Gig ins Moods kommen werden. Walther Schorn, Disponent

44


k

.ch ini

Z체 r

ho ino ud

ic

h

r. t s er

3 7 1

g l i c vo h

i t te rn

a

Prill Vieceli Cremers

t채

ag bis n t t i ac M hM n

ch

B

t

n

e d a


Gipfelkunst am Strassenrand

Häusermanns Einbildungen

Meine schönsten Erinnerungen an die Sommerferien 2014

Schauspielhaus Zürich Journal Oktober – Dezember 2014 Abonnement Das Journal erscheint 3 x jährlich und kann gegen einen Unkostenbeitrag von 12 Franken pro Jahr unter www.schauspielhaus.ch abonniert werden.

Herausgegeben von der Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5, 8032 Zürich Intendanz Barbara Frey Redaktion Andreas Karlaganis, Eva-Maria Krainz, Gwendolyne Melchinger (Redaktionsleitung), Irina Müller, Andrea Schwieter, Karolin Trachte

Fotos Matthias Horn S. 1/6/36, T+T Fotografie S. 4/9/16/42, Sammlung Österreichisches Filmmuseum S. 14, Rune Guneriussen (Armin Berger Gallery Zürich) S. 18, Raphael Hadad S. 20-22, 30–35/38/48, Sándor Fegyverneky S. 28

46

Gestaltung velvet.ch Druck Speck Print AG, Baar Auflage 15 000 Redaktionsschluss 18. September 2014


leS aMiS Du

Mehr Kultur f端r Z端rich. Die credit Suisse ist langj辰hriger Partner des Schauspielhauses Z端rich. credit-suisse.com/sponsoring


www.schauspielhaus.ch / Telefon +41 (0)44 258 77 77


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.