Schauspielhaus Zürich
Oktober 2015
journal
Elisabeth Bronfen über moderne Kriege und die Frau im Schlachtfeld
Tatorte eines modernen Purgatoriums – Karin Henkels Projekt in der Halle Stefan Kurt und Bice Curiger auf den Spuren Giacomettis Michael Maertens über sein Idol Hans Kremer
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Schauspielhaus Zürich und Swiss Re – eine inspirierende Partnerschaft. Ideen, Innovation, Inspiration – bewegen uns bei Swiss Re. Die Zusammenarbeit mit Menschen auf der ganzen Welt begeistert uns. Denn gemeinsam entdecken wir immer wieder neue Perspektiven und spannende Horizonte. Darum fördern wir auch kreatives Engagement und kompetente Leidenschaft – und die lebendige Kulturszene in Zürich. Sie regt an, sie berührt, sie lässt uns staunen und nachdenken. Und Gedanken austauschen, denn: Together we’re smarter. swissre.com/sponsoring 2
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Editorial
Kein Held, nirgends von Barbara Frey
Im fünften Teil von Krzysztof Kieślowskis „Zehn-Gebote“Zyklus begegnen wir dem jungen Mörder Jacek. Er bringt einen Taxifahrer um, auf höchst grausame Weise und ohne erkennbares Motiv. Kieślowski porträtiert einen Menschen, der selbst vom Leben abgeschnitten ist; einen Toten, der tötet und zur Strafe noch einmal getötet wird, hingerichtet nach dem geltenden Gesetz. Wir werden Zeuge einer dreifachen Tötung. Jacek wird, bevor er das Leben eines anderen Menschen auslöscht, selbst ausgelöscht – und es scheint niemanden zu interessieren. Es gibt kein von Menschen gemachtes Gesetz, das ein Individuum mitten in der Gesellschaft vor der Isolation und der Gleichgültigkeit anderer Menschen schützt. Auch gibt es kein von Gott verordnetes Gebot gegen soziale Härte und allgemeine Teilnahmslosigkeit; sie scheinen „Naturgesetze“ zu sein, die man klaglos hinnehmen muss. Nach seiner Tat, die gegen das Gebot „Du sollst nicht töten“ begangen wurde, ist Jacek dann dem eigentlichen Gesetz ausgeliefert, jenem des Staates, der sich auf Gott beruft. Seine von den Staatsorganen mitleidlos geplante und durchgeführte Hinrichtung ist eine sanktionierte Tötung.
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Elisabeth Bronfen über moderne Kriege und die Frau im Schlachtfeld
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In Szene – Michael Maertens über sein Idol Hans Kremer
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Tatorte eines modernen Purgatoriums – Karin Henkels Projekt in der Halle
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Kultur im Land der Knechte – Kolumne Stefan Zweifel
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Stefan Kurt und Bice Curiger auf den Spuren Giacomettis
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Friederike Wagner spielt Claire Zachanassian – Hausbesuch im Centre Dürrenmatt
Becketts „Glückliche Tage“ und die bildende Kunst
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Regisseur Zino Wey und Autor Philipp Löhle im Gespräch
„Das doppelte Lottchen“ – Interview mit vier Zwillingspaaren
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Tweet-up im Schauspielhaus – Endproben von „Ein Volksfeind“
Jaceks junger Anwalt, der im Gespräch mit dem Mörder kurz vor dessen Tod schlaglichtartig Teile einer vertrackten und traurigen Biografie kennenlernt, ist verzweifelt über die Ausweglosigkeit der Situation. Er kann nurmehr zusehen, wie das Gesetz, das er jahrelang studiert hat, nun gnadenlos zur Anwendung kommt. Sein Berufseinstand wird zur bitteren Prüfung. Er blickt in einen Abgrund von Zweifeln, Fragen, Wut und Ekel. Können menschliche Leidenschaften durch Gebote, Gesetze und die darin vorgesehenen Strafen eingedämmt werden? Hätte Jaceks Schicksal abgewendet werden können und wenn ja: wann und wodurch? Kieślowskis Blick auf den Mörder, sein Opfer und die Staatsgewalt ist beunruhigend, weil er lediglich konstatiert. Er stellt fest, er erklärt nichts, heroisiert nichts. Das macht eine Distanzierung nahezu unmöglich. Man macht eine Erfahrung, die man nur schwer beschreiben kann. Es geht nicht um Sympathie oder einfache Parteinahme, sondern um die verstörende Wahrnehmung, dass es keine endgültigen Antworten auf die drängendsten Fragen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit geben kann. Nur Ahnungen, Erschütterungen und neue brennende Fragen. Aber in der Unmöglichkeit, gleichgültig zu bleiben, zeigt sich die humanitäre Grundlage für ein anderes Nachdenken über soziale Zusammenhänge. Kieślowskis Welt ist von Menschen bevölkert, nicht von Helden. Existieren können diese Menschen nur zusammen; sie müssen sich die Welt teilen und sei es nur die kleine Welt einer Hochhaussiedlung. Dort streift auch Jacek umher, der tote Mörder, der nur einmal lebendig wird: in dem Moment, da er über sein Leben spricht und sich fragt, ob es wohl anders mit ihm hätte kommen können. Dann ist er wieder tot. Ausgelöscht durch das Gesetz.
Titelbild: „Moderne Kriegsführung“, Illustration Büro Destruct
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Ins Theater mit … – Romano Zerbini bei der Premiere von „Ein Volksfeind“
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Die Autorin Elise Wilk über ihr Erfolgsstück „Die grüne Katze“ – Junges Schauspielhaus
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Civil Twilight – Internationale Gastspielreihe
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Jubiläum der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses
Schicht mit … – Zirkuskind und Requisiteur Rock Battaglia
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In memoriam – Peter Löffler und Peter Arens
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Zum Tod des Bühnenbildners Bert Neumann
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Ruedi Häusermanns Einbildungen, Kulturtipps, Impressum
Szenen aus dem Repertoire
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„MAN BRAUCHT EINEN BOTEN VON DER SCHLACHT“
Tomas van Houtryve fotografiert alltägliche Situationen in Erinnerung an Drohneneinsätze, bei denen Zivilisten ums Leben gekommen sind, wie bei dem Angriff auf eine pakistanische Schule, dem fast 70 Kinder zum Opfer fielen.
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Die Vorstellung, die sich Menschen ohne eigene Kriegserfahrung vom Krieg machen, erwächst heute im Wesentlichen aus der Wirkung von Bildern. „Vor allem in der Form, in der Kameras dieses Leiden festhalten, wird es für einen kurzen Augenblick sichtbar, stösst auf die Anteilnahme vieler Menschen und verschwindet dann wieder aus dem Blick“, schreibt Susan Sontag in ihrem bekannten Buch „Das Leiden anderer betrachten“. Zu einem Gespräch über den Krieg und dessen Bilder trafen wir die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen. Interview von Gwendolyne Melchinger und Karolin Trachte
kritischer beleuchtet, indem er zum Beispiel die grosse Schlachtrede von Heinrich V. als pathetische Kriegspropaganda entlarvt. Entsprechend empfindet der heutige Zuschauer die Rede bei Olivier weiterhin als ergreifend, bei Branagh jedoch als unerträglich. Ein Stück patriotistischer Furor spielt, wenn es um Krieg geht, wahrscheinlich immer eine Rolle und ein Stück Erschütterung auch. Und irgendwo in dieser grossen Spanne würde ich diese Bilder einordnen. Mich interessiert dann weniger, wie sie erzeugt werden, sondern welche Wirkung sie haben. Bei der neuesten Berichterstattung ist das Ziel normalerweise, dass man erschüttert ist. Man soll Verständnis und Empathie für die Opfer der Gewalt haben. Nimmt man hingegen die Bildwelt, die vom Islamischen Staat (IS) verwendet wird, der ja sehr geschickt und gezielt mit Bildern arbeitet, wird das umgedreht. Wir sehen diese brutalen Bilder an und finden: Was für ein Kitsch, was für eine Ästhetisierung von Gewalt. Der IS will damit ja möglichst viele junge Menschen dazu bringen, in Syrien mit ihm zu kämpfen.
Karolin Trachte – Welche Rolle spielen Bilder – reale und fiktive – für unsere Wahrnehmung von Krieg?
Gwendolyne Melchinger – Noch eine andere Ebene wird erreicht, wenn das Töten zu einer öffentlichen Inszenierung wird, wenn die Enthauptung von Menschen ins Netz gestellt wird – für jedermann sichtbar. Was macht das mit uns?
Elisabeth Bronfen – Ich würde bei beiden fragen: Was ist der Sinn dieser Bilder? Er kann propagandistisch, patriotistisch oder eben kritisch sein. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Es ist nie „entweder oder“. Also selbst wenn die Intention patriotistischer Furor ist, kann man das gegen den Strich lesen – auch nachträglich. Heinrich V. ist ein schönes Beispiel. Der Stoff wurde von Laurence Olivier während des Zweiten Weltkrieges verfilmt. Er zeichnet ein heroisches Bild des Krieges, während Kenneth Branagh seinen Film „Henry V“ 1989 im Kontext der Falklandkriege dreht und den Krieg sehr viel
EB Das Problem mit diesen gefilmten Enthauptungen ist ihre doppelte Codierung. Ich denke zum Beispiel an den amerikanischen Journalisten Daniel Pearl vom „Wall Street Journal“, der 2002 entführt und getötet wurde. Das Video seiner Enthauptung wurde einerseits als Druckmittel äusserster Brutalität eingesetzt. Aber für andere war das ein Werbespot: „Schaut mal, die dürfen da Köpfe abschlagen. Wenn wir uns ihnen anschliessen, dürfen wir das auch.“ Diese doppelte Funktion ist Absicht. Und unsere Wahrnehmung ist ebenfalls eine doppelte, denn solche Videos spielen natürlich auch mit der voyeuristischen Lust des Menschen! → 7
TOMAS VAN HOUTRYVE, FOTOGRAF Van Houtryve ist auf der Suche nach Fotos, die – ähnlich wie das berühmte Bild des 9-jährigen Napalm-Opfers während des Vietnamkrieges – die Gräuel des Drohnenkrieges in einem Bild festhalten. Er stellt fest: es gibt sie nicht. Die Drohnenkriege finden statt, aber sie erzeugen keine Bilder. Für seine Serie „Blue Sky Days“ bringt er seine Kamera an einer kleinen Drohne an und lässt sie über Alltagsszenen in Amerika kreisen – Situationen, die andernorts zum Angriff amerikanischer Drohnen geführt hätten. Die Kriterien, nach denen Drohnenabschüsse durch das Pentagon genehmigt werden, sehen neben „personality strikes“ auch „signature strikes“ vor, bei denen auf die Identifikation der Personen verzichtet werden kann, wenn durch das Verhalten der Personen eine Nähe zu terroristischen Gruppierungen erwiesen scheint.
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KT Diese voyeuristische Lust benutzt man im Film aber auch, selbst im Theater, würde ich sagen. Den Vorwurf der Gewaltdarstellung gibt es oft … EB Das Theater war immer – schon seit der Antike – gewaltsam. Auch Renaissancebilder sind ja unglaublich blutig! Wenn man genau hinschaut, sieht man die abgehackten Arme und Köpfe oder wie das Blut spritzt. Gut, auf der Shakespearebühne konnte man das so nicht darstellen. Aber man konnte es verbalisieren. Was unter Umständen mindestens so schrecklich ist. Das Entscheidende ist, dass es sich immer um eine ästhetische Formalisierung handelt. Der theatrale Raum oder eben die Gestaltung der Bilder bringen eine Form von Einschränkung mit sich, die einen Rahmen bildet. Allein schon der Rahmen ist eine Formalisierung. Das beschreibt Susan Sontag für das Thema der Kriegsfotografie: Man erzeugt einen Rahmen, ent-
scheidet wie nah oder fern man ist und wer im Bild ist – und wer nicht. Das sind schon drei Formalisierungen … GM Was den Krieg anbelangt, übt das Theater ja sogar mediale Zurückhaltung. Kriege können dort meist nur indirekt dargestellt werden, über Botenberichte und Erzählungen und so weiter. Der Film hat natürlich ganz andere Möglichkeiten. EB Wobei auch da gilt: das ist ja alles noch immer Kino! Beim Kino bestehen diese Formalisierungen eben aus Schnitten. Nehmen sie die vielen Stunden Filmmaterial, die der amerikanische Filmer John Ford mit seinem Team während der Landung der Alliierten 1944 in Frankreich aufnahm – das ist kein Kino. Es wurden nur kurze Sequenzen daraus in den Wochenschauen verwendet. Eine Schlacht im Kino funktioniert ja nicht dann, wenn sie denkbar realistisch ist, sondern wenn mit Schnittabfolge, also über die
Montage, etwas inszeniert wird – mit Nahund Fernaufnahme, mit Mise en Scène, mit Gruppierung und so weiter. Das heisst, auch das ist hochgradig formalisiert. Ausserdem verweisen Bilder immer einerseits auf sich selbst, andererseits auf schon Dagewesenes. Die Wirkung und Funktion dieser Bilder ist auch deswegen so komplex, weil sie mit der Gestaltung immer auch an Abstraktion gewinnen. Wenn man die Schlachtengemälde von Pablo Uccello als Beispiel nimmt – da geht es ihm in mancher Hinsicht einfach nur um Linien, Kreise und Bewegung oder Stillstand. GM Berühmt für seine Gewaltdarstellungen ist ja auch Quentin Tarantino. Seinen Film „Inglorious Basterds“ finde ich klug, weil er das Ganze formal so auf die Spitze treibt, dass – wie Sie in Ihrem Buch schreiben – im Film die Kriegsbilder auf der Leinwand buchstäblich zerstört werden, indem diese verbrennt. Aber Filme, die von Krieg oder anderen Katastrophen berichten, werden oft kritisiert, wenn sie ästhetisch wirken. Dürfen Bilder von Leid und Gewalt ästhetisch schön sein? EB Das ist ein kritischer Punkt. Ich denke, dadurch, dass das Bilder sind, sind sie unweigerlich schön. Jede Ästhetisierung ist schön; es ist eine Tautologie! Aber im Detail hängt es ab vom Untertitel, von der Geschichte, die erzählt wird, und vom rahmenden Kommentar. Das Moralische, das in der Frage nach dem „Dürfen“ steckt, würde ich erst mal beiseitelassen. Und man muss auch sagen, dass es in Europa zwar eine grosse Bildbesessenheit gibt und einen Fokus auf das Visuelle, aber mit Bildern von Gewalt oder Zerstörung gehen wir hier recht zurückhaltend und nicht romantisierend um. Das ist aber erst ab dem Ersten Weltkrieg und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg so! Wenn man die Literatur anschaut – noch weit ins 19. Jahrhundert hinein gibt es diesen „Militärschick“ – die schicken Männer in ihren Uniformen und die verliebten Mädchen, die JaneAusten-Romane oder der Film „Der Kongress tanzt“ von 1933. In diesen Darstellungen ist der Krieg einfach aufregend. Er ist ein Thrill. Darin steckt auch eine Wahrheit.
„Dürfen Bilder von Leid und Gewalt schön sein? Jede Ästhetisierung ist schön; es ist eine Tautologie!“ Elisabeth Bronfen
Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
ELISABETH BRONFEN
Veteranen erleben ja häufig, dass ihnen nach dem Krieg alles andere langweilig ist. Krieg hat auch etwas Begeisterndes. Ja, die Zerstörung des Anderen hat etwas Begeisterndes. Die Macht, die man über den Anderen hat, die Tatsache, dass für einen selbst alles auf dem Spiel steht. Gerade im Namen der Religion und im Namen der Nation ist man wirklich mit Begeisterung in den Krieg gezogen und hat auch mit Begeisterung grauenhafte Dinge getan, weil die Idee wichtiger war als der Einzelne. Das hat sich entsprechend auf die Bildsprache ausgewirkt.
Elisabeth Bronfen ist Professorin für Anglistik am Englischen Seminar der Universität Zürich. In ihren Publikationen widmet sie sich neben Shakespeare sowie der angloamerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts auch der visuellen Kultur, dem Hollywoodkino und Quality-TV mit Schwerpunkt auf Genderstudies und Psychoanalyse. Ihr Buch „Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung“ ist 2013 im Fischer Verlag erschienen.
KT Unser Stück „Der neue Himmel“ behandelt ein ernstes Thema – die Entwicklung der modernen Kriege hin zu einem Drohnenkrieg – in Form einer Komödie. Darf Krieg unterhalten? EB Ich persönlich habe die längste Zeit Schwierigkeiten mit Kriegskomödien gehabt. Aber bei Quentin Tarantino oder Ernst Lubitsch gelingt dieses Genre natürlich. Das Komödienhafte kann ja auch eine Form von Distanzierung sein, die zu einer Reflexion führt. Man könnte sagen, das Tragische einerseits hat einen Pathos, der einen sich darin vertiefen lässt und zu einer Form von Katharsis führt. Das ist eine Hyper-Identifikation, aus der man dann gereinigt wieder zurücktritt. Die Komödie andererseits doppelt diese Bewegung: Man vertieft sich und gleichzeitig macht man sich darüber lustig und stellt Distanz her. In den neuen amerikanischen Dokumentarfilmen erschüttert es oft, dass die Soldaten die ganze Zeit Witze machen. Also mitten im Einsatz in Afghanistan erzählen sie sich die schlimmsten Witze. Auch hier ist die Komödie eine Distanzierungsmöglichkeit. Nachzulesen bei Freud … → 9
Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
GM Erzählungen vom Krieg sind immer wieder Unterhaltung, auch ohne Komödie zu sein. Die Showtime-Serie „Homeland“ zum Beispiel ist ein packender Thriller, der auch über die Folgen des Krieges erzählt: die Erinnerungen an Gewalt und Folter, denen man nicht entkommt. EB Packend, ja – und das hat natürlich schon etwas mit Ablenkung zu tun. Diesen Aspekt darf man selbst beim Zeitunglesen nicht unterschätzen. Zeitung lesen wir vordergründig, weil wir informiert sein wollen. Aber es ist auch eine Ablenkung vom Alltag. Es gibt natürlich auch andere Formen der Kriegsberichterstattung. Mein Buch „Die Amerikanerin in Hitlers Badewanne“ erzählt von drei amerikanischen Kriegsjournalistinnen – im Zweiten Weltkrieg berichten zum ersten Mal Frauen als akkreditierte Journalistinnen von der Front –, die mit sehr viel Emphase ab 1944 Kriegsberichterstattung machen. Da soll niemand Ablenkung erfahren, sondern diese Berichte sollen informieren und davor bewahren, dass der Krieg zu Hause vergessen wird. Diese Berichte dienen aber auch dazu, den Amerikanern die Kriegsanstrengungen verständlich zu machen. Und diese Ambivalenz hat im Grunde jede Berichterstattung, aber auch „Homeland“. Man kann vieles daran kritisieren – aber es ist nicht proamerikanisch, sondern bleibt ambivalent. Es ist eben wirklich beides, Ablenkung und gleichzeitig didaktisch. GM Als die Jungfrau von Orleans dem englischen Soldaten Montgomery begegnet und ihn töten will, fleht er um sein Leben und appelliert an ihre Weiblichkeit, indem er sie mit seiner in der Heimat zurückgelassenen Braut vergleicht ...
„Der IS ist eigentlich ein westliches Phänomen. Diese Bewegung von westlichen Jugendlichen nach Syrien ist Ausdruck von jugendlichem Unmut, den es immer gegeben hat. Nur sind sie in den 60er Jahren meditieren gegangen.“ Elisabeth Bronfen 10
EB Es gibt natürlich eine feministische Diskussion, die genau das angreift und sagen würde, die Reduktion der Frau oder des Weiblichen auf Liebe, Mitleid, Sympathie ist falsch und eine Emanzipation aller Frauen besteht darin, dass diese ebenso brutal, ebenso unnachsichtig und fanatisch sein können wie die Männer. GM Die Jungfrau von Orleans ist eine Projektionsfläche für die Männer. Sie übt eine grosse Faszination auf sie auf. Drei der Männer verlieben sich sogar in sie. Warum? EB Da kommt noch eine andere Komponente hinzu. Neben der Ästhetisierung von Gewalt ist eine Erotisierung des Krieges ein ganz entscheidender Aspekt. Ich meine, sie geht bis zu den Kriegswaffen wie Kanonen oder Panzern. Zum Beispiel das Bild von Marlene Dietrich, die auf US-Panzern sitzt, auf denen noch „Marlene“ geschrieben steht, das hat etwas; es hat Charme. Und dann gibt es noch die homoerotische Kraft im Krieg, wie man sie schon von Homer kennt. Oder in Shakespeares „Troilus und Cressida“, wo diese erotische Kampfmaschine Agamemnon einerseits den Liebhaber im Zelt hat und andererseits in die trojanische Prinzessin verliebt ist. Das ist „polymorphös“! (lacht) Die Kriegerin oder Soldatin selbst ist ja nicht nur die Milde, die gleichzeitig auch brutal sein kann, sondern sie ist eben auch ein erotisches Objekt. Entweder, weil sie mit einem kämpft oder weil man gegen sie kämpft. KT „Der neue Himmel“ und „Die Jungfrau von Orleans“ drehen sich jeweils um eine zentrale weibliche Figur, die als kriegerisches Wundermittel dargestellt wird. In „Der neue Himmel“ ist die schweigende Hauptfigur des zweiten Teils sogar selbst eine Art tödliche Drohne. Gibt es kulturgeschichtlich eine Tendenz, erfolgreiche Kriegerinnen in die Nähe des Übersinnlichen zu rücken, während erfolgreiche Soldaten schlicht als Helden gefeiert werden? EB Die Frau im Schlachtfeld erfährt eine Zusatzbedeutung, eine Allegorisierung, die der männliche Kriegsheld nicht erfährt. Eine Kriegsheldin gibt es nicht. Aber ich denke, es ist Teil eines grösseren Problems. Das Subjekt ist männlich und die Frau ist alles andere. Der Krieg hat die Vereinfachung Freund – Feind zur Folge und die funktioniert am besten, wenn beide vom gleichen Geschlecht sind, weil dann die Opposition klar erkennbar ist. In dem Moment, wo eine Frau mit in den Krieg zieht, wird eine zweite Front aufgezogen, da Frau und
Fotos: Tomas van Houtryve (4); Isolde Ohlbaum
Mann ja grundsätzlich Feinde sind. Wenn sie sich dann noch an der Kriegsfront begegnen, dann bedeutet das eine doppelte Feindschaft. Selbst dann, wenn sie gemeinsam auf einer Seite stehen. Sie ist „eine von uns“, aber eben doch nicht „so wie wir“. Man muss auch sehen, dass es im amerikanischen Militär zu so irrsinnig vielen Vergewaltigungen kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen heute von ihren eigenen Mitsoldaten vergewaltigt werden, ist wesentlich höher als von einem Feind. Darüber wird in Amerika viel diskutiert. KT Sexuelle Gewalt spielt im Krieg allerdings immer eine Rolle. Man müsste sich dazu auch die Zahl der Vergewaltigungen unter Männern anschauen ... EB
Ja, das wollte ich auch noch ergänzen.
KT Unsere beiden Produktionen sprechen zwei Entwicklungen der modernen Kriegsführung an: einerseits Terroranschläge, die mit extrem wenig Kämpfern und wenig Einsätzen extrem hohe Aufmerksamkeit erzeugen, andererseits die Drohnenkriege, die fast keine Aufmerksamkeit erzeugen, sondern aus Wolken verhangenem Himmel un-
gezählte Todesopfer fordern. So erzeugt der Tod von Vielen – viele Hunderte Zivilisten wurden in den letzten Jahren von amerikanischen Drohnen getötet – fast keine Aufmerksamkeit. Der Tod eines Einzelnen in Gefangenschaft von Terroristen hingegen erzeugt durch die Potenzierung der Gewalt in den Medien hohe Aufmerksamkeit. Inwiefern sind die modernen Kriege immer Kriege um Aufmerksamkeit?
„Die Drohne ist zur wichtigsten Waffe im sogenannten ,AntiTerror-Krieg‘ geworden. Wir leben in einer so mediendurchzogenen Welt und doch hat die amerikanische Öffentlichkeit kein Bild, kein visuelles Narrativ der Drohnenkriege. Es ist ein Geheimkrieg, der es leichter macht, ihn zu vergessen oder über ihn nur im abstrakten Sinne nachzudenken“, sagt Tomas van Houtryve. Hier fotografiert er eine Freiluft-YogaKlasse in einem Park in San Francisco.
EB Aufmerksamkeit wird nur erzeugt, indem es irgendeine Form von Berichterstattung gibt. Ob das jetzt Bilder oder Texte sind, ist wahrscheinlich nicht das Entscheidende. Man braucht einen Berichterstatter, einen Boten von der Schlacht. Dieser Bote muss das, was in der Schlacht passiert, in Kategorien umsetzen, die diejenigen verstehen, die nicht in der Schlacht waren. Es geht um das Übersetzen. Das ist die eine Seite. Und die andere ist, dass in unserer heutigen bildüberfluteten Welt die Berichterstattung immer dramatischer werden muss, damit man sie bemerkt. Wir schauen im Moment praktisch nur nach Afrika und in den Nahen Osten. Heisst das, dass alle in Südamerika oder Fernostasien friedlich geworden sind? Eigentlich nicht. Aber unsere → 11
Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
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DIE JUNGFRAU VON ORLEANS Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ spielt im Hundertjährigen Krieg. Der Krieg ist ein blutiges Geschäft, das auf dem Schlachtfeld ausgetragen wird, der Tod sein ständiger Begleiter. Die Jungfrau kämpft auf der Seite der Franzosen gegen die Engländer und führt sie von Sieg zu Sieg. Anders als die historische Jeanne d’Arc ist sie nicht nur Symbolfigur und Fahnenträgerin, sondern eine Kriegerin, die im Auftrag Gottes eigenhändig tötet.
Regie Stephan Kimmig Mit Klaus Brömmelmeier, Michael Neuenschwander, Wolfgang Pregler, Marie Rosa Tietjen, Edmund Telgenkämper, André Willmund Unterstützt von der Hans Imholz Stiftung
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DER NEUE HIMMEL Die Uraufführung des Autorenduos Nolte Decar erzählt von einer Reihe brutaler Raketeneinschläge auf dem ganzen Globus. Wie sie zusammenhängen, löst sich erst in einem kriminologischen Kammerspiel auf, in dem die Drohne uns im westlichen Wohnzimmer aufsucht.
Regie Sebastian Kreyer Mit Ludwig Boettger, Benedict Fellmer, Julia Kreusch, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Johannes Sima
Aufmerksamkeit wird gerade nicht dorthin gesteuert. Ein weiteres Beispiel für Aufmerksamkeitslenkung: Im Moment sind wir wieder sehr aufgebracht wegen der Polizeigewalt gegen junge schwarze Männer in Amerika. Ist das etwas Neues? Nein, das hat es schon immer gegeben, aber gerade fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit darauf. Weil Aufmerksamkeit mit Information einhergeht. KT
Gilt das auch für die IS-Kämpfer?
EB Ganz besonders. Eigentlich ist diese Bewegung von westlichen Jugendlichen nach Syrien ein Ausdruck von jugendlichem Unmut, den es immer gegeben hat. In den 60er Jahren sind viele westliche unzufriedene Jugendliche nach Indien gegangen, um zu meditieren. Das war weniger zerstörerisch, als das, was sie jetzt machen. Manche haben sich eher selbst umgebracht und jetzt bringen sie eher andere um. Es gelingt, weil die Propaganda des IS die Jugendlichen an der richtigen Stelle anspricht: Sie operiert ganz stark mit Filmen und Bildern, die sie aus dem Videospiel, aus dem Film, aus dem Fernsehen kennen. Diejenigen, die das manipuliert, die darauf ansprechen, sind ja meistens aus dem Westen. Es ist also ein westliches Phänomen! Der Westen produziert sein eigenes Symptom. In 30 Jahren wird man das wie so eine Art Seismograf für unsere Zeit lesen. KT Sie schreiben von der Autorität, die die Fotografie oder die Filmbilder von Kriegsereignissen in Anspruch nehmen, „weil sie tatsächlich geschehen sind“. Im Theater diskutieren wir vor allem in Bezug auf Dokumentartheater, aber auch bei Stücken, die wahre Fälle behandeln, Ähnliches – nicht nur auf Krieg bezogen. Wie entsteht daraus eine Autorität? EB In seinem Buch über das 20. Jahrhundert spricht Alan Badiou von einer „Obsession mit dem Realen“. Man will gegen alle Bilder, gegen alle Vorstellungen das Reale hochhalten. Das Reale ist die letzte Keule, die man als Argument in der Hand hält. Das ist dann selten frei von Pathos. Aber ich würde trotzdem immer darauf bestehen – nur so kann ich Kriegsfilme und Kriegsliteratur als eine politische Plattform verstehen – dass dieses Reale in der Kunst einen Unterschied macht.
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Beispielsweise eben bei Tarantino. Sowohl „Django unchained“ wie auch „Inglorious Basterds“ sind gerade so wirkungsmächtig und für mich ethisch richtig, weil dieser Kampf um die Kriegsbilder und das Eingebundensein in Kriegsbilder ganz reale Konsequenzen hat. Und wir können darin eine für uns klare ethische Position einnehmen. GM Und wie lassen sich ethische Positionen und Drohnenkriege vereinbaren? EB Drohnenkriege sind ein wirklich ganz grosses Problem. Politisch und moralisch. Das kommt noch auf uns zurück. Und zwar in dem Moment, wo die Drohnen auch bei uns sind, uns überwachen und auf uns schiessen. Diese Eskalierung der Drohnen- einsätze muss man der Obama-Regierung wirklich negativ anlasten – das hat völlig Überhand genommen. Und vor allem die Implikation, die dahinter steckt: Man erzeugt diese sauberen Bilder vom Krieg und der Zerstörung, als führe man keinen Krieg. KT Die Grenze zwischen erweiterten Geheimdienstaktionen und gezielten Kriegshandlungen wird verwischt. EB Ja. Es ist wirklich schrecklich. Auch wenn man darüber nachdenkt, wohin sich das entwickelt ... KT Sehen Sie einen wesentlichen Unterschied im Umgang mit Bildern in Amerika und in Europa? EB Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa, was das betrifft, völlig amerikanisiert worden ist – ob einem das Amerikanische nun gefällt oder nicht: Die Menschen denken, reden, bewegen sich wie Amerikaner, weil sie ja praktisch nur noch amerikanisches Kino schauen und amerikanische Werbung oder amerikanische Fernsehserien, sei es „Homeland“ oder „The Wire“. Wenn man doch nach einem Unterschied sucht, denke ich, dass Amerikaner ihrer Populärkultur gegenüber grundsätzlich ironischer eingestellt sind. Es ist schwer für Europäer, das zu verstehen. GM
Was genau meinen Sie mit „ironisch“?
EB Mit ironisch meine ich, dass sie wissen, dass das Bilder sind. Sie lassen ihnen die ganze Überzeugungskraft, aber wissen, sie sind austauschbar. Da bin ich mir nicht so sicher, ob das für die Europäer so stimmt. Es ist eine andere Bildtradition.
Tatorte eines modernen Purgatoriums Ein Essay der Dramaturgin Stefanie Carp
Die Regisseurin Karin Henkel inszeniert den Filmzyklus „Dekalog“ des polnischen Filmemachers Krzysztof Kieślowski. Der Bühnenbildner Stéphane Laimé hat dafür in der Halle des Schiffbaus eine grosse Installation geschaffen, deren Stationen die Zuschauer im Verlauf des Abends durchwandern.
Die zehn „Dekalog“-Erzählungen und Filme von Krzysztof Kieślowski erzählen von zehn persönlichen, zwischenmenschlichen Konflikten, die sich jeweils auf ein Gebot beziehen lassen. Der Bezug bleibt in jedem der Filme dieser Serie offen und vieldeutig und die Konflikte und Entscheidungssituationen, in die die Menschen geraten, erlauben nie eine eindeutige Antwort und nie eine Wertung. Kieślowski hat die Anwendung der Zehn Gebote aus dem religiösen Kontext in einen bestimmten säkularen Alltag übertragen. Er zeigt ethische Dilemmata anhand vom Zufall bestimmter Schicksale. Für uns heute ist es ein entfernter säkularer Alltag: Alle Erzählungen spielen in Warschau im Jahr 1988. Alle Personen bewohnen die gleiche Plattenbausiedlung einer Trabantenstadt. Kieślowski legte Wert darauf, dass auch die Auswahl der Menschen, die jene Konflikte durchleben, rein zufällig ist, so als hielte man eine Kamera auf einen Platz und erzähle die Schicksale derjenigen Menschen, die in diesem Moment im Objektiv sichtbar werden. Der 1941 geborene Kieślowski war Dokumentarist – in der Tradition des besonderen polnischen Dokumentarismus, der Realismus und Poesie verbindet. Er hat sich auch in seinem sogenannten Spätwerk – er starb im Alter von 54 Jahren an einem Herzinfarkt – für die Beschreibung des Lebens, für die minutiöse Aufzeichnung des unspektakulär Realen interessiert. Seine Interpreten unterscheiden in seinem Gesamtschaffen zwischen einer moralischen Revolte des Frühwerks (dem „Kino der moralischen Unruhe“) und einer metaphysischen Revolte in den späteren Filmen „Dekalog“ und „Drei-Farben“-Trilogie. Letztere behandelt die Menschenrechte; die drei Farben Rot, Weiss und Blau stehen für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und
STEFANIE CARP war während der Intendanz von Christoph Marthaler Chefdramaturgin und Co-Direktorin am Schauspielhaus Zürich und wechselte danach für mehrere Jahre als Schauspieldirektorin zu den Wiener Festwochen. Sie entwickelte mit Karin Henkel und John von Düffel die Fassung für die Produktion „Die zehn Gebote“ in der Halle.
werden ähnlich den „Dekalog“- Filmen in alltäglichen Konflikten erzählt. Der Philosoph Slavoj Žižek weist darauf hin, die „Dekalog“-Filme auf der Folie der „Drei Farben“ zu lesen, da die Menschenrechte ohne die Zehn Gebote nicht zu praktizieren wären. Auffällig an den „Dekalog“-Erzählungen ist trotz Realismus die Aussparung des Politischen, obwohl die politische Realität in Polen 1988 viel Anlass dazu gegeben hätte. (Die Filme wurden während des Ausnahmezustandes gedreht, als General Jaruzelski nach einem Staatsstreich die Gewerkschaft „Solidarność“ auflösen wollte.) Sowohl jeder Hinweis auf politische Zeitgeschichte wird ausgespart als auch weitgehend Hinweise auf den politischen und sozialen Alltag. Der Stoff des Erzählten sind die seelischen Konflikte und ihre genaue Beobachtung. Eben das hat sicherlich zu der universellen Wirkung der „Dekalog“-Erzählungen und -Filme beigetragen. Kieślowski selber erklärte, dass er, um Zensur zu vermeiden, aber auch um die Filme für ein internationales Publikum lesbar und verstehbar zu machen, auf den politischen Alltag verzichtet habe, den das Thema – Zehn Gebote im Sinne ethischer Grundregeln des Zusammenlebens – nahelegen würde. In einer extrem umstürzlerischen Periode politischer Polarisierung der polnischen Gesellschaft stellt Kieślowski philosophische Fragen nach dem Sinn der menschlichen Existenz. Er sucht nach den Konflikten, die alle Anhänger jeder politischen, gesellschaftlichen Gruppierung in gleicher Weise betreffen, nach Situationen, in denen die Zufälligkeit ethischer Optionen das Individuum auf sich selbst zurückwerfen. Kieślowski fühlte sich Camus und den Existenzialisten nahe. Der Zufall und die absurden Verkettungen von Zufällen, die ein einzelnes Schicksal determinieren, und die individuelle ethische Wahl sind wiederkehrende Motive in den „Dekalog“-Erzählungen. „Ich glaube, → dass der Zufall ein wichtiges Element im Leben ist. 13
Essay von Stefanie Carp
In „Die zehn Gebote“ durchwandert der Zuschauer vom öffentlichen Innenraum einer Kirche über einen mit Bildschirmen ausgestatteten Voyeur-Raum bis zur Intimität eines Wohnzimmers unterschiedlichste Räume.
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DIE ZEHN GEBOTE
nach dem Filmzyklus „Dekalog“ von Krzysztof Kieślowski und Krzysztof Piesiewicz in einer Bearbeitung von John von Düffel, Stefanie Carp und Karin Henkel Regie Karin Henkel Mit Hilke Altefrohne, Christian Baumbach, Gottfried Breitfuss, Jean Chaize, Carolin Conrad, Fritz Fenne, Nils Kahnwald, Rea Claudia Kost, Dagna Litzenberger Vinet, Lena Schwarz, Vreni Urech, Friederike Wagner, Milian Zerzawy Bis 29. Oktober, Schiffbau/Halle
In jedem Leben; in meinem auch (…) Sicherlich, wenn ein Mensch einen Weg wählt, wählt er in gewisser Weise auch die Zufälle, die ihm auf diesem Weg begegnen können.“ Kieślowski beschreibt das Lebensgefühl in Polen Ende der 80er Jahre: „Die Zeit war ungut (…) Was noch kommen sollte, hing in der Luft. Im Land herrschten Chaos und Unruhe (…) Die Spannung, das Gefühl der Sinnlosigkeit und die Vorahnung noch schlechterer Zeiten waren spürbar und offensichtlich. In der übrigen Welt – damals begann ich zu reisen – beobachtete ich ähnliche Unsicherheiten; nicht in der Politik, sondern im ganz normalen, alltäglichen Leben. Unter dem höflichen Lächeln hatte ich Gleichgültigkeit gespürt. Ich hatte dieses eindringliche Gefühl, dass ich immer häufiger Menschen sah, die nicht wussten, wofür sie lebten.“ Es hätte in Polen nicht an Themen über die tragischen Irrtümer der Machthaber gefehlt. Aber die Politik der 80er Jahre habe ihn nicht interessiert. „Im Alltag war sie langweilig und beliebig; in der geschichtlichen Perspektive – hoffnungslos. Wir entschlossen uns, die Politik aus den Filmen auszuklammern. Hinzu kam, dass niemand auf der Welt imstande gewesen wäre, das Labyrinth unserer Politik zu verstehen (…) Ziemlich bald wurde klar, dass wir über Liebe, über die 14
Leidenschaft erzählen würden, da wir verstanden hatten, dass die Liebe, die Angst vor dem Sterben oder vor dem Schmerz eines Nadelstichs alle Menschen gleich empfinden – unabhängig von politischen Ansichten, Hautfarbe oder Grösse des Besitzes.“ So wurden die „Dekalog“-Filme ein existenzielles Projekt über Liebe, Tod, Schuld in kleinen empirischen Alltagssituationen, die von den Beteiligten gross und tragisch erlebt werden. Was interessiert uns heute an den Zehn Geboten? Sie sind sehr frühe ethische Regeln, die ein zum Monotheismus entschlossener Nomadenstamm sich von seinem Gott geben liess. Sie sind bis heute die Grundregeln des Verhaltens in unserer abendländischen Kultur. Das Christentum fügte ihnen die Forderung nach der Nächstenliebe hinzu, die immer eine Überforderung darstellte. Ein Teil der Gebote, die ersten drei, sind rein religiöse Gebote, die das Verhalten gegenüber Gott betreffen. Die übrigen sieben Gebote betreffen das Verhalten der Menschen untereinander. Sie sind Regeln, die sich eine Zivilisation gibt, um Gewalt zu verhindern. Wir wissen, dass ihr das nicht gelungen ist, zu keiner Zeit, da Gewalt in die abendländische Zivilisation implantiert war. Die Gültigkeit der Zehn Gebote und die Möglichkeit, sie im heutigen Leben anzuwenden, muss bezweifelt werden. Das Gebot, das für uns alle am einfachsten einsehbar ist, scheint das Tötungsverbot zu sein. Es wird aber ununterbrochen im Namen der Zivilisation getötet. Als Kieślowski in Polen die Filme drehte, gab es dort noch die Todesstrafe. Darf der Staat einen einzelnen Menschen töten, weil er das Tötungsverbot missachtet hat? Dies fragt Kieślowski. Wie ist das Gewaltmonopol des Staates mit den Zehn Geboten vereinbar?
Theater Campus
La répétition, c’est quoi?
Fotos: Matyas Bokor (4)
von Daniela Stauffacher
Kieślowski erzählte diese Geschichten in einer Zeit, in der ein historischer Umbruch, das Ende des Sozialismus und die Universalisierung der kapitalistischen Kultur unmittelbar bevorstanden. Einer Zeit also, in der etwas zu Ende ging und man das Neue noch nicht genau kannte, einer Zeit wahrscheinlich, in der viele Menschen ihre Überzeugungen und Orientierungen verloren hatten. In Zeiten kollektiver Erschütterungen, in der eben das, was ein Kollektiv verbunden haben mag, sich desavouiert hat, denkt man über ethische Grundregeln nach. Wir leben heute in den 2010er Jahren in einer fast umgekehrten Zeit: Ethische Verabredungen haben ihren Stellenwert verloren. Im Gegenteil sind sie dem Existenzkampf hinderlich. Jede Art von ethischer Thematik ist in den letzten 20 Jahren unter Ideologieverdacht gefallen. Jetzt stehen aber unsere westlichen Gesellschaften vor sozialen Herausforderungen, die sie ohne ethische Regeln nicht mehr bewältigen können. Wir erleben eine umgekehrte Zeit des Umbruchs, eine umgekehrte Verunsicherung. Wie können Menschen heute überleben, ohne neue Selektionen oder Massenmorde? Brauchen wir wieder so etwas wie Ethik und wer oder was würde ihre Gültigkeit offenbaren? Karin Henkel und der Bühnenbildner Stéphane Laimé behaupten in der Halle eine Stadt der Toten, eine Lebenswelt von Menschen aus einer nicht weit zurückliegenden, aber vergangenen Zeit. An jedem dieser Orte sind die Menschen in ihren Konflikten unerlöst gefangen. Sie müssen immer wieder ihre Entscheidungen und ihr Schicksal durchleben. Die Besucher gehen in die Tatorte des modernen Purgatoriums, in eine Wohnung, in ein Krankenhaus, in ein Gericht oder eine Kirche und treffen dort auf die Menschen, ihre Konflikte und ihre Lebenswelt.
Da ist ein Mensch. Er steht auf der Bühne, steht im Licht. Spricht, spuckt, schwitzt, verhaspelt sich, muss lachen, muss nochmals von vorne anfangen. Ohne sich zu ärgern, ohne aus seiner Rolle zu fallen. Es gelingt ihm. Er ist ein guter Schauspieler und das Ganze eine Probe. Theater Campus schaut zu. Wir sind zwei Dutzend Studierende, die wissen möchten, wie man so tut als ob. So tut, als gelte es ernst, als sei schon morgen, als sei schon Premiere. Wir sind dabei, wenn die Regisseurin noch mit Skript und Ernst in der ersten Reihe sitzt und ihr Assistent hastig in ein schwarzes Buch Notizen kritzelt. Wir sind dabei, wenn Varianten gesucht, Versionen gefunden werden. Dabei, wenn dunkle Stimmen durch unsichtbare Mikrofone Anweisungen erteilen. Dabei, wenn man noch nicht sicher ist, ob man sicher ist. Dabei, wenn es plötzlich doch funktioniert. Wir schauen zu, wenn man eigentlich noch gar nichts sehen dürfte. Es fühlt sich an, wie jemanden durch ein Schlüsselloch zu beobachten. Und auch wie ein Schokoladeneis vor dem Abendbrot. Zuzuschauen, wie einer probt, ist zuzuschauen, wie einer gratwandert, wie sich einer zwischen sich selbst und seiner Rolle bewegt. Wie sich einer selbst reflektiert, während er einen anderen repräsentiert. Formt und feilt bis er zum Volksfeind, zum Nathan, zur Jungfrau wird. Man sitzt da und wird ein bisschen neidisch. Manchmal möchte man auch eine dunkle Stimme im Leben haben, die Anweisungen gibt, eine Souffleuse, die den richtigen Satz flüstert, nur für einen Tag. Eine andere sein, weil man sich mal wieder selbst auf die Nerven geht. Manchmal möchte man sich auch versprechen und nochmals von vorne anfangen dürfen. DANIELA STAUFFACHER ist Studentin an der Uni Zürich und betreut zusammen mit Jill Mühlemann den Theater Campus – die Plattform für Studierende am Schauspielhaus. Alle Spezialangebote und Events sind zu finden unter facebook.com/theatercampus und schauspielhaus.ch/theatercampus
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On the Town mit
Giacometti und Co.
Kuratorin Bice Curiger und Schauspieler Stefan Kurt folgen Augusto Giacomettis Spuren in Zürich. Ein Gespräch über Kunst und Theater. Text und Fotos von Karolin Trachte
Die Zürcherin Bice Curiger war viele Jahre am Kunsthaus und auch international tätig, kuratierte 2011 die Biennale Venedig und leitet seit 2014 die Fondation Vincent van Gogh in Arles. Der Berner und Wahlberliner Stefan Kurt steht demnächst in der Produktion „Meer“ von Jon Fosse zum zweiten Mal in einer Inszenierung von Barbara Frey in Zürich auf der Bühne. Er kommt direkt von der Probe aus dem Schiffbau. Unser Stadtspaziergang beginnt an der Polizeihauptwache am Bahnhofquai. Bice Curiger: „Hallo Stefan!“ – Stefan Kurt: „Hallo Bice, ich freue mich, dass wir uns kennenlernen.“ – „Jetzt brauchen wir erst mal die Ausweise. Hast du deinen dabei?“ – „Sicher!“
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Wir betreten die Eingangshalle, die in der schwach hereinscheinenden Nachmittagssonne in Rottönen regelrecht glüht. Es ist jedoch angenehm kühl. Gleich wird uns Bice Curiger den Grund zeigen, weshalb wir hergekommen sind.
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Ich hoffe, du warst etwas erstaunt, als ich vorschlug, uns in der Polizeihauptwache zu treffen …? Und wie! Das Haus wurde ursprünglich als Waisenhaus geplant und dann als Verwaltungsgebäude genutzt, bevor es zum Sitz der Polizei wurde. Der Eingangsbereich war aber mit den niederen Decken und dem wenigen Licht etwas gruftartig. Deshalb beauftragte die Stadt Zürich 1925 den Maler Augusto Giacometti – er ist ein Onkel des bekannteren Alberto –, diesen Raum auszumalen. Hier seht ihr das Ergebnis! Dieses Glühen ist doch regelrecht surreal. Besonders wenn man weiss, dass hier eine Polizeiwache ist – denn es wirkt so verheissungsvoll und warm. Oder man assoziiert Feuer und Flammen! Beeindruckend, diese Rottöne aber auch die Ornamente … Ja, die Ornamente sind typisch für Augusto Giacometti. Er hat auch viel im Bereich Stoffdesign gearbeitet.
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Augusto Giacometti war für die Schweiz ein Wegbereiter der Moderne. Es wirkt auf mich gleichzeitig ziemlich wild und trotzdem als eine Einheit. Aus den Zahnrädern werden Blumen, aus den Blumen wird der Mensch … Und irgendwie auch typisch schweizerisch, dass so etwas hier in einer Polizeistation zu sehen ist. Zürich war zu Geld gekommen. Man wollte auch endlich ein paar repräsentative Gebäude – denn wir hatten ja nie einen Adel, der barocke Gebäude oder Paläste gebaut hätte. Man wollte Demokratie repräsentieren, ähnlich wie es das Kunsthaus tut. Es wurde 1911 gebaut und eben nicht Kunstmuseum benannt, sondern Kunsthaus. Es sollte sich einreihen mit anderen städtischen Institutionen wie dem Rathaus, dem Schulhaus etc. Es war ja alles zwinglianisch. (schaut sich um) Wobei das hier ja schon fast katholisch ist. (Lachen) Ja, man kommt hier in diese hybride, satte, frivole Atmosphäre – bei der Polizei! Jedenfalls kurz darauf bekam Giacometti auch den Auftrag, im Grossmünster das Chorfenster zu gestalten. Weshalb ich dachte, dass wir dort auch vorbeigehen.
Wir treten wieder heraus und blinzeln in die Sonne. Statt an der Limmat entlangzugehen, nehmen wir lieber die schattige Niederdorfstrasse Richtung Grossmünster.
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Also erzähl mal, du hast mit der Fondation Vincent van Gogh in Arles eine neugegründete Stiftung übernommen? Ja, wir haben 2014 eröffnet und zeigen drei bis vier Ausstellungen jährlich, mindestens eine Schau davon zeigt eine grössere Gruppe von Van-Gogh-Werken. Da es sich um eine private Institution handelt, habe ich kreative Freiheiten. Gerade bei Van Gogh gibt es ja eingebürgerte Konventionen, wie man Kunst „eigentlich“ ausstellt. Indem wir Gegenwartskünstler ins Spiel bringen, ist die heutige Erlebniswelt als Bezugsgrösse im Raum. Im Museum ist die Verbindung in die Gegenwart nicht per se gegeben. Im Theater ist das viel vitaler: Wenn man Shakespeare spielt, ist es immer eine Verbindung zwischen heute und einer anderen Zeit. Das hängt bei der bildenden Kunst schon sehr stark davon ab, wie viel man weiss, wenn man vor den Bildern steht, und wie viel man schon gesehen hat. Das stimmt. Aber es gibt auch die Haltung des „Abfeierns“ von gewissen alten Werken, da werde ich immer skeptisch. Vor allem weil sich dies oft gegen den lebendigen Kern des Werks richtet. Wenn Shakespeare völlig zeitlos wäre, dann bräuchte man ihn ja nicht mal mehr zu inszenieren. Da wäre es genug, ihn zu lesen. Im Theater wird das „Aktualisieren“ aber immer mehr zur Pflicht – und ob das gut ist, ist die Frage. Gerade jetzt. Die Gesellschaft verlangt das mehr und mehr, sonst sei es „nicht zeitgemäss“. Ich finde das falsch. Das stimmt, dann bliebe nur noch Zeitungsrealität... Ich denke, ein Gegenwartsbezug ist im Theater im Grunde immer gegeben – qua lebendigen Schauspielern. Die stehen auf der Bühne und sind meine Zeitgenossen! Das ist schon eine Vergegenwärtigung.
Wir sind am Grossmünster angekommen und stehen vor dem Haupteingang im Schatten des grossen Baus. Nicht nur
die Chorfenster von Alberto Giacometti wird es hier zu sehen geben, sondern natürlich auch die 12 Fenster, die Sigmar Polke für das Grossmünster schuf. Bice Curiger begleitete ihn, gemeinsam mit Jacqueline Burckhardt, als er an dem Wettbewerb teilnahm und auch während der Umsetzung, die etwa drei Jahre dauerte. Wir ziehen die schwere Holztür auf, treten ein und bleiben vor einem der Polke-Fenster stehen. BC
Hier sehen wir den Sündenbock, das letzte der 12 Fenster von Polke, sein letztes Werk überhaupt bevor er 2010 starb. Diese besonderen Steine, die Sie sehen, sind kostbare Turmaline, welche die Sünden repräsentieren, während die anderen Fenster im hinteren Teil des Schiffes mit Achaten ausgestattet sind … Aber vielleicht sollten wir chronologisch vorgehen und mit Giacometti beginnen.
Wir laufen auf das grosse Chorfenster zu. BC SK
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Man sieht, er war ein wunderbarer Kolorist; er war total farbfixiert! Bei dem Licht ist das jetzt besonders toll. Das war das HD-TV seiner Zeit. Diese Farben müssen doch gerade damals faszinierend gewesen sein. Die Darstellung wirkt durch die starken Farben auch ungewöhnlich dreidimensional. Und die Motive, die wir hier sehen, die Weihnachtsdarstellung mit dem Christuskind, greift Sigmar Polke auf, indem er für seine Fenster das Thema der Präfiguration einführt, das sich auf jene Figuren und Ereignisse im Alten Testament bezieht, die auf die Ankunft Christi in Giacomettis Chorfenster hinweisen. Polke war damit im Wettbewerb für die Gestaltung der Fenster der Einzige, der sich direkt an religiöse Themen herangewagt hat. Aber er war natürlich auch als gelernter Glasmaler und vor allem durch seine künstlerische Kraft der Richtige →
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On the Town mit Giacometti und Co.
für diesen anspruchsvollen Auftrag. Ausserdem hat er einen Hang zur Alchemie. Glas ist ein sehr archaisches Material, man bäckt es sozusagen, man heizt es bis zum Glühen auf – häufig haben die Farben, bevor sie in den Ofen kommen, eine völlig andere Farbe. Polke entschied, auch mit Achatsteinen zu arbeiten. Sie stehen für die Erschaffung der Erde und sind nur zum Teil in ihrer natürlichen Farbe belassen. Auch hier hat er wieder Alchemie betrieben. Die Farben entstehen durch Einlegen etwa in Säuren oder Zuckerlösungen. Wir laufen langsam von Fenster zu Fenster; zu jedem Motiv gibt es eine eigene Entstehungsgeschichte, neue Erfindungen und Besonderheiten im Material. BC
Das ist der „Menschensohn“, eines der handwerklich aufwendigsten Motive: Es wurde in klassischer Schwarzlot-Technik gefertigt, das Schwarz wird schichtweise mit Schwanenfedern aufgetragen und dann stellenweise wieder hauchdünn abgeschliffen. Das Motiv ist ein Kippbild, wo man entweder rechts und links ein Gesicht sieht oder eben – als Auslassung dazwischen – den Kelch. Hier ist das Fenster des Propheten Elias: den Hintergrund bilden Glasstücke, die in der Verarbeitung leicht „angeschmolzen“ sind, daraus ergibt sich dann dieser Linseneffekt mit der Lichtbündelung. Bei direktem Sonneneinfall blendet es, dass man die Augen schliessen muss – ein grossartiger Einfall Polkes, bedenkt man, dass der Prophet Elias auf einem Sonnenwagen dargestellt ist. Hier drüben König David, sein
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Wir tauschen die stille, hallende Atmosphäre wieder gegen die Stadtgeräusche auf dem Vorplatz ein. Von aussen blicken wir zurück auf die Collage aus Achatscheiben über dem Eingang – von dieser Seite wirken sie bei Tageslicht unscheinbar – eine Kunst eben, die erst durch den richtigen Lichteinfall zur vollen Wirkung kommt. Wir laufen die Oberdorfstrasse entlang. Jetzt brauchen wir eine Stärkung. Wir biegen Richtung „Terrasse“ ab, setzen uns dort unter die Bäume und bestellen drei Eiskaffees. SK BC
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grünes Gewand steht für das fruchtbare Land Israel, aber auch für den Tarnanzug des mächtigen Feldherrn. Das Grün ist durchzogen von blauen Bächen und roten Blutrinnsalen. Und hier sind wir wieder vor dem Sündenbock. Es gab den uralten Ritus am Tag der Versöhnung – bei den Juden Jom Kippur genannt –, an dem ein Bock mit allen Sünden „bepackt“ in die Wüste geschickt wurde. Wie man hier sieht, kommt das Tier bei Polke aber direkt wieder zurück (Lachen), denn es erscheint halbiert und die Hälften sind gegenläufig dargestellt: der Sünden entledigt man sich nicht so leicht! Wir haben heute einen sehr besonderen Tag erwischt – das Licht ist fantastisch!
Wie hast du das Theater kennengelernt? Während der Ära Löffler konnten wir als Studenten die Hauptproben besuchen. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt. Es gab eine Aufführung mit Bruno Ganz als Torquato Tasso. Ich fand alles so aufregend. An diesem Tag habe ich beschlossen: Ich werde Bühnenbildnerin! Hinter dem Künstlereingang am Zeltweg kam man direkt zum Bühnenatelier und ich habe mich also eines Tages überwunden und habe dort geklopft. Niemand hat geöffnet. Da habe ich es wieder bleiben lassen. (Lachen) Ich weiss auch nicht, wenn ich nicht beim ersten Mal von der Schauspielschule aufgenommen worden wäre, ob ich es dann weiter versucht hätte. Und mittlerweile bist du ein mit vielen Preisen ausgezeichneter Schauspieler ... Das grösste Glück war für mich das Zusammentreffen mit Robert Wilson und dass ich mit ihm mehrfach arbeiten konnte. Er fasziniert mich auch! 1974 hat Wilson in Zürich „A Letter for Queen Victoria“ vorgestellt – von da an war ich so begeistert, dass ich versuchte, möglichst alles zu sehen. In welchen Stücken von Wilson warst du? Zuerst in „The Black Rider“, dann in „Alice in Wonderland“ und in „Time Rocker“ mit Lou Reed. Später haben wir am Berliner Ensemble wieder angefangen, miteinander zu arbeiten. „Leonce und Lena“, „Wintermärchen“ und natürlich die „Dreigroschenoper“, die spielen wir seit sieben Jahren! Die würde ich ja gerne sehen! Das ist schon etwas Besonderes. Jede Generation hat die „Dreigroschenoper“ ja auf ihre Art inszeniert. Aber
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so wie Wilson? Er sagt auf Proben häufig „No talk, no talk!“ Er will das Stück nicht zerreden, alles ist Form. Und das ist dann nicht unbedingt weniger im Sinne Brechts! Das scheint widersprüchlich. Aber so war es ja auch mit seiner Freundschaft zu Heiner Müller. Genau, gegensätzlicher kann man kaum sein. Aber die beiden mochten sich! 1988 traf ich Heiner Müller und Robert Wilson einmal gemeinsam in Paris zu einem Interview für unsere Kunstzeitschrift Parkett. Die beiden redeten und redeten und am Ende habe ich die Rechnung bezahlt und die war wie ein konkretes Gedicht: Whiskey – Wodka – Whiskey – Wodka ... Das Witzige war: der Mann aus dem Osten trank Whiskey und der Mann aus dem Westen trank Wodka. (Lachen) Wilson ist in der Arbeit fast autistisch; er braucht beispielsweise eine ganz klare Struktur, um arbeiten zu können. Prolog, Epilog, Stücklänge, Anzahl Teile, Zwischenspiele – so legt er ein Raster über die Zeit, wie ein Maler über seine Leinwand. Und dann kann er anfangen. Er hat sich getraut, mit Formen und Licht zu arbeiten, wie kein anderer. Wie er die Hierarchie zwischen Elementen aufgelöst hat. Er hat auch ein gigantisches Gedächtnis. Er vergisst nie, Geburtstagswünsche zu schicken ... ... und einmal zu Thanksgiving schrieb er: „Dear Stefan, you’re the best actor in the world“, hat dann „world“ durchgestrichen und ersetzt durch „universe“! (Lachen) Er ist einfach auch menschlich so toll, sein Humor ... Über das Stück kann man noch nicht sprechen, oder? Über „Meer“? Naja, gute Stücke sind immer schwierig.
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(Pause) Wenn man ein gutes Stück liest, fühlt man sich zutiefst menschlich angesprochen, man kann aber nicht sagen, woran es liegt. Du spürst, dass es eine Wahrheit in sich hat. Dann beginnst du, es zu proben und dann weiss man auf der Probe, dass man noch meilenweit entfernt ist von dieser Wahrheit – obwohl es die gleichen Sätze sind. Die Sprache ist ja eine ganz einfache und man muss es auch ganz einfach spielen. Aber das ist ja das Schwierigste! Aber da ist ja Barbara Frey genau die richtige Regisseurin! Barbara hört unglaublich gut zu. Es ist ein bisschen wie bei Wilson: Alle Elemente sind irgendwie mit dem Ganzen verbunden. Bei Barbara spürt man, dass sie von der Musik her kommt ... Speziell dieses Stück lebt von den Pausen, mit denen man auch ganz genau sein muss. Diese Frage stellt sich auf allen Ebenen: Was kann man alles weglassen? Aber man muss viel arbeiten, um viel weglassen zu können.
Wir schlürfen unsere Eiskaffees bis auf den Grund aus. Und machen... eine Pause.
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MEER von Jon Fosse
Regie Barbara Frey Mit Henrike Johanna Jörissen, Claudius Körber, Hans Kremer, Stefan Kurt, Susanne-Marie Wrage, Jirka Zett Premiere 17. Oktober, Pfauen Unterstützt von Credit Suisse
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© 2015 - WHY NOT PRODUCTIONS - PAGE 114 - FRANCE 2 CINEMA - PHOTO : MARCEL HARTMANN
W H Y N OT P R O D U C T I O N S e t PAG E 1 1 4 p r é s e n t e n t
DHEEPAN EIN FILM VON
JACQUES AUDIARD
ANTONYTHASAN JESUTHASAN KALIEASWARI SRINIVASAN VINCENT ROTTIERS CLAUDINE VINASITHAMBY
«Ein schauspielerisch und inszenatorisch brillanter Film.» NZZ
AB 29. OKTOBER IM KINO
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Bild: Agnes Martin „Falling Blue“, 1963, San Francisco Museum of Modern Art
Kunstwerk
Form der Idee – Idee der Form Samuel Beckett setzte sich zeitlebens intensiv
Literatur kämpft gegen die Vorstellung,
mit der Malerei auseinander und sein Biograf
dass zwischen imaginierter Innerlichkeit und
James Knowlson nennt sie gar dessen Rettungs-
vermeintlicher objektiver Aussenwelt eine
anker in schwierigen Zeiten. Wie Agnes Martin
Verbindung besteht. Seine Protagonisten
machte auch Beckett keine Trennung zwischen
konstituieren sich vielmehr im Augenblick,
Form und Idee. Er drückte seine Bewunderung
sie verhandeln das Physische, Konkrete, Hier
für James Joyce und sein eigenes Bestreben
und Jetzt. Daraus resultiert auch der Witz
in folgenden Worten aus: „Er schreibt nicht über
seiner Figuren, beispielsweise Winnies, die
etwas, sondern sein Schreiben selbst ist dieses
in „Glückliche Tage“ langsam in einem Erd-
etwas.“ Beckett bestand auf der Immanenz
haufen versinkt. Ihr Scheitern hat keinen
der Ideen in der sprachlichen Form und den
tieferen Sinn – es geschieht, es ist komisch,
Zuständen der Spieler. Seine Texte sind stark
vergeblich und berührend und gleichzeitig
rhythmisiert, haben eine musikalische Struktur
erscheinen darin kaleidoskopartig die
„Einerseits die Präzision der Geometrie und andererseits die Weite der Farblandschaft – die Bilder von Agnes Martin laden ein, sich darin zu verlieren, ins Träumen zu kommen, ähnlich Becketts Stücken“, so Regisseur Werner Düggelin zur Parallele zwischen den Bildern der abstrakten Expressionistin Agnes Martin und dem Werk des Autors Samuel Beckett.
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GLÜCKLICHE TAGE von Samuel Beckett
und nehmen eine sehr heutige Vorstellung der
Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des
Regie Werner Düggelin Mit Ludwig Boettger, Imogen Kogge
menschlichen Subjektivität vorweg. Becketts
menschlichen Daseins.
Premiere 29. Oktober, Schiffbau/Box
Irina Müller
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Der junge Regisseur Zino Wey inszeniert mit SchauspielstudentInnen der Zürcher Hochschule der Künste das neue Stück „Kollaps“ des Autors Philipp Löhle. In seinem Stück beschreibt Löhle die Welt von fünf sehr unterschiedlichen Figuren und ihren Lebensentwürfen, als plötzlich das Internet ausfällt und die ganze Welt aus den Fugen gerät. Kurz vor dem Probenbeginn haben sich Autor und Regisseur in Berlin getroffen und über Weltuntergänge und das Theater als Ort der Fantasie gesprochen.
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KOLLAPS von Philipp Löhle
Regie Zino Wey Mit Cathrine Dumont, Anne Eigner, Matthias Kurmann, Robert Rožić, Mirza Šakić Premiere 30. Oktober, Pfauen/Kammer Unterstützt von der Ars Rhenia Stiftung und von Bindella/Santa Lucia Teatro
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Zino Wey – Wie kamst du darauf, ein Stück über eine Apokalypse zu schreiben?
Ideenlosigkeit an, die meines Erachtens sehr zeittypisch ist.
Philipp Löhle – Ursprünglich wollte ich ein Stück über das Ende der Ressourcen schreiben. Ich kam über das Buch „Kollaps“ von Jared Diamond darauf. Er beschreibt darin an mehreren Beispielen das Ende von Gesellschaften aufgrund aufgebrauchter Ressourcen. Das fand ich spannend, habe aber beim Schreiben festgestellt, dass mich mehr interessiert, was ein bevorstehendes Weltende in den Menschen auslöst, als die Behauptung, dass uns so etwas bevorsteht. So kam ich dann zum Weltuntergang und der Frage: Was wollte man schon immer mal machen? Das war dann ganz interessant, weil ich auch beim Recherchieren, zum Beispiel in Internetforen, festgestellt habe, dass eigentlich niemand eine Idee hat, was er schon immer mal tun wollte. Da strahlt einen eine Energie- und
ZW Was interessiert dich szenisch an der Situation des Weltuntergangs? PL Die Undarstellbarkeit davon. Jedenfalls im Theater. Das Theater ist ein schwieriger Ort, um computergesteuert Städte zu zerstören. Da hat das Kino dem Theater was voraus und kann vermeintlich reale Bilder liefern. Die muss man als Zuschauer auch nur noch anschauen. Im Theater ist das Tolle, dass man die ganze Zeit an Grenzen der realen Darstellbarkeit stösst und deshalb die Fantasie aller Beteiligten braucht, auch und gerade jene der Zuschauer. Ich habe beim Schreiben versucht, meine Figuren möglichst wenig den Weltuntergang beschreiben zu lassen und an ihnen nur die Auswirkungen zu zeigen. Der Rest passiert zwischen den Szenen und zwischen den Zeilen. Also in den Köpfen.
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ZW Wieso die Entscheidung für einen vermeintlichen Weltuntergang? Nämlich einen, der sich als Gedankenkonstruktion der Menschen herausstellt?
Fotos: zvg
PL Das Tolle an der Gedankenkonstruktion ist, dass sie für den Moment ganz real ist, sich also nicht von einem „echten“ Weltuntergang unterscheidet. Das Zweite ist: Es gibt ein Nachher. Eine Zeit lang wollte ich wirklich die Welt untergehen lassen. Aber ich finde es sehr viel gemeiner, wenn die Leute (im Stück) entdecken, wie ideen- und utopielos sie sind. Es muss doch ein interessanter Moment sein, wenn man zunächst davon ausgeht, konsequenzlos zu handeln, und dann plötzlich feststellt, dass man sich geirrt hat. Man entdeckt dann vielleicht so etwas wie sein wahres Ich. Und muss dann auch noch damit umgehen. Sich rechtfertigen. Furchtbar. ZW Dein Text besteht aus sehr klaren Szenen, in denen sich die Figuren begegnen. Dabei gibst du zwar klare Momente vor, lässt aber dadurch auch für eine Umsetzung viel Freiraum. Eine bewusste Entscheidung?
PL Ich habe erst beim Schreiben herausgefunden, dass der Text eigentlich nicht die Apokalypse darstellen kann, sondern nur das Drumherum oder das Drinsein. Ich habe auch formal sehr viel wilder angefangen, dann aber festgestellt, dass das nicht hilft, und mich für eine strenge, konservative Erzählform mit richtigen Figuren, Situationen, Dialogen und Problemchen entschieden. Ich glaube, dass der Text, mehr als andere, viel Zwischenraum lässt … und die Regie vor schwierige Entscheidungen stellt. Sorry. Jetzt habe ich noch eine Frage: Was muss ein Text haben, damit er dich interessiert? ZW Texte müssen bei mir schon beim ersten Lesen Bilder erzeugen. Sie müssen mir ein Angebot machen, in welcher Stimmung, welcher Temperatur sie verhandelt werden wollen. Mich interessieren Texte, die sich nicht nur in privaten Befindlichkeiten verheddern, sondern Themen ansprechen, die uns als Gesellschaft in einem grösseren Zusammenhang kritisch hinterfragen, und Texte, die auch Lust haben, anzugreifen. Als Regisseur steht für mich nicht die blosse Bebilderung des Textes im Vordergrund, sondern vielmehr der Versuch, eine eigene Formsprache zu finden, die dem Zuschauer einen Zugang zu der Welt ermöglicht, die im Text verhandelt wird. Für mich besitzt jeder Text einen eigenen Kosmos und ich versuche ihn mir auf meine Weise und mit eigenen Bildern auszubauen, so dass der Text zu leben beginnt.
PHILIPP LÖHLE (a), geboren1978 in Ravensburg, studierte Geschichte, Theater- und Medienwisschaft und deutsche Literatur. Mit seinem ersten Theaterstück „Genannt Gospodin“ gewann er den Förderpreis des Bundesverbands der Deutschen Industrie und 2007 den Werkauftrag des Theatertreffen-Stückemarkts. 2008 wurde sein Stück „Lilly Link“ mit dem Jurypreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet. Mehrfach war er für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert und 2012 erhielt er dort für sein Stück „Das Ding“ den Publikumspreis. Neben „Jede Stadt braucht ihren Helden“ gehört „Kollaps“ zu den neuesten Stücken des Autors. Es wurde im April 2014 am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt (Regie Jan Philipp Gloger). ZINO WEY (b), geboren 1988 in Basel, war Regieassistent an den Münchner Kammerspielen unter der Intendanz von Johan Simons, wo er bei mehreren Projekten Regie führte. Seine Inszenierung von „Die graue Stunde“ von Ágota Kristóf hatte im September 2013 Premiere und war über ein Jahr im Werkraum der Münchner Kammerspiele zu sehen. Seit 2014 arbeitet Zino Wey als freier Regisseur u. a. an den Münchner Kammerspielen, am Nationaltheater Mannheim und an der Kaserne Basel.
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In Szene
Foto: Lieblinge
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Hans Kremer. Vorbild. Idol. Und ich hatte nicht viele. Eigentlich nur noch Günter Netzer und Willy Brandt. 80er Jahre. Ich, Schauspielschüler in München. In den Kammerspielen wird „Don Carlos“ gegeben. Das schaue ich mir mal an! Und mein gesamtes Schauspielerleben bekam nun eine Initialzündung! Der Don Carlos war jung, schön, anmutig, intelligent, anarchisch, komisch und sexy. So was hatte ich noch nicht gesehen. So wollte ich auch sein. Wie Hans Kremer. Wenige Jahre später durfte ich in Hamburg sogar an seiner Seite spielen; ich war zu schüchtern,
Willkommen Hans!
von Michael Maertens
ihm meine grosse Verehrung und Liebe zu gestehen. Aber beobachtet habe ich Hans Kremer und ihn versucht zu imitieren, gänzlich unmöglich. Fast dreissig Jahre später sollten wir uns nun in Zürich wieder begegnen. Ich war gespannt. Sollte er, wie so viele Vorbilder, im Alter eine Enttäuschung für mich sein? Im Gegenteil. Er ist ein noch aufregenderer Schauspieler geworden. Nein, Hans, du bist vorbildlich gealtert! Immer noch so schön, immer noch so klug, immer noch so anmutig und immer noch so humorvoll. Ich freue mich schon wahnsinnig auf die nächsten dreissig Jahre mit dir und bin unglaublich gespannt auf die vielen magischen Momente, die du mir und deinem Publikum noch schenken wirst.
Hans Kremer, geboren 1954, kommt nach Stationen in Köln, Hamburg und München in dieser Spielzeit als neues Ensemblemitglied an das Schauspielhaus Zürich. Mit Michael Maertens, der hier über ihn schreibt, war er in Barbara Freys Inszenierung „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ von Witold Gombrowicz zu sehen. Derzeit probt Hans Kremer mit Barbara Frey das neue Stück „Meer“ von Jon Fosse und wird darin ab dem 17. Oktober 2015 im Pfauen zu sehen sein.
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Du bist ein grosser Schauspieler und Zürich darf stolz sein, dass du diese Stadt beehrst. Ich bin stolz, endlich wieder neben meinem grossen Vorbild zu stehen. Willkommen in Zürich!
Hans Kremer
Kultur im Land der Knechte von Stefan Zweifel
Wir sind seit jeher ein Volk von Knechten. Als Kriegsknechte zogen wir nach Marignano, heute versucht uns das Grosskapital in Bauerntracht zu knechten mit der Mär der selbstgewählten Neutralität. Dabei traten wir danach immer wieder als Knechte in den Dienst anderer Herren Länder. Und wenn die wahren Knechte einmal im Kostüm von Willhelm Tell den Aufstand wagten, dann wurde ihr Körper gevierteilt, wie derjenige von Niklaus Leuenberger, als nach der Zerschlagung des Bauernaufstandes 1653 sein Leib über die vier Landstrassen vor Bern verteilt wurde. Oder sie wurden wie beim Landesstreik von den eigenen Söldnern, den Soldaten der Armee, erschossen, später dann von der Polizei bespitzelt. Die List des Knechtes wäre eigentlich raffiniert. Hegel zeigt in seinem Kapitel zu Herr und Knecht, dass der Herr nur in den Genuss der Dinge kommt, die ihm der Knecht herstellt. Bis er vertrottelt und die Knechte sich zu den neuen Herren aufschwingen. Daraus haben die Herren gelernt und versuchen, ihre Knechte zu vertrotteln, indem sie ihnen das kleine Glück des Augenblicks zugestehen: So ziehen sie wie die „letzten Menschen“ von Nietzsche an den Wochenenden und bei der Streetparade durch die Strassen und blinzeln: „Wir haben das Glück erfunden!“ Etwas Gift ab und zu, das macht angenehme Träume. Aber nicht zu viel, das schadet der Gesundheit. Und wer anders denkt, so schreibt Nietzsche, der geht freiwillig ins Irrenhaus. Und vielleicht ist die Schweiz ja nicht so sehr ein Gefängnis, sondern ein Irrenhaus. 26
Wir feiern demnächst nicht nur den 25. Todestag von Friedrich Dürrenmatt, sondern auch den 25. Geburtstag seiner Rede zu Ehren von Václav Havel. Um kurzbeinige Vergleiche nie verlegen wird mal dieser, mal jener Autor als Nachfolger des Doppelgestirns Frisch/Dürrenmatt gefeiert. Und doch: Keiner hat je eine Rede gehalten, die so scharf und unversöhnlich wäre, dass ihm ein anwesender Bundesrat den Handschlag verweigert hätte wie damals Arnold Koller. Dürrenmatt verglich die Schweiz nicht nur mit einem Gefängnis, sondern tröpfelte uns das Gift seiner Gedanken ins Ohr: Wir seien alle Gefangene, die als ihre eigenen Wärter sich selbst bewachen. Wir riegeln das Gefängnis ab, damit keine ungebetenen Gefangenen unseren schizoiden Frieden stören. Ein paar Luxusgefangene sind immer willkommen – und ein kleines Kontingent von Migranten, die unsere Zellen putzen, da wir diese Arbeit nicht selber machen wollen. Im Kerker des Kapitals sei die Überwachung so raffiniert, dass wir selbst in der Freizeit nur noch Konsum produzieren. Keine Sekunde, die sinnlos verschwendet würde. Kunst aber wäre genau dies: sinnlose Verschwendung. Die Poesie der Gegenwart ist der Börsencrash, die Abkoppelung des Frankens vom Euro – die Vernichtung der Zukunft unserer Kinder durch Futures an den Handelsplätzen, die schon lange nicht mehr gedeckt sind und nur noch dazu missbraucht werden, die politische Souveränität der Staaten im Dienst der Zentralbanken auszuhebeln. Während früher die Wirtschaftsseiten der NZZ den Subtext der politischen Artikel enthüllten, sind heute die kodierten Kurse jene radikale Poesie geworden, die man im Feuilleton vermisst – Lautgedichte der Gegenwart. Die Kultur setzt auf die Unvernunft. Sie bekämpft den gesunden Menschenverstand, der alles, was ihn nicht unterhält, als elitär bekämpft und froh ist, wenn ein elitäres Buch durch erfundene Zitate vom Schirm verbannt werden kann. So ist es nur konsequent, wenn die früheren Farbröhren der TV-Geräte im Land der kulturellen Quotenknechte endgültig durch den Flachbildschirm ersetzt werden oder durch die streichelzarte Oberfläche des Smartphones, jener Drohne, mit der wir uns selbst überwachen und die wir durch unsere Abgaben bezahlen. Wir müssen dann nicht einmal mehr Wärter sein, sondern können ganz das kurze Glück der Knechte geniessen. Die Schweiz – ein Irrenhaus.
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ZWEIFELS ZWIEGESPRÄCHE MIT SUSAN NEIMAN
Die amerikanische Philosophin Susan Neiman ist eine der wichtigsten linken Stimmen unserer Zeit. Stefan Zweifel diskutiert mit ihr über das Böse sowie über ihr jüngstes Buch „Why grow up?“, einer philosophischen Ermutigung gegen die Infantilisierungskultur. 22. November, Pfauen/Kammer, 20:00
THEATER DURCH EIN TELESKOP Die Schauspielerin Friederike Wagner gibt im Dezember Dürrenmatts titelgebende „Alte Dame“. Mit ihrem Spielpartner Klaus Brömmelmeier unternimmt sie einen „Hausbesuch“ in Dürrenmatts jahrelanger Wirkungsstätte. von Karolin Trachte Fotos Caroline Minjolle
Ein Hausbesuch im Centre Dürrenmatt Neuchâtel
Es ist ein milder, sonniger Sommertag, das Team „Besuch der alten Dame“ startet am Zürcher Schiffbau seine Exkursion. Zwei Stunden später sind wir in Neuchâtel, wo es uns schon ganz mediterran vorkommt. Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel liegt oberhalb der Stadt am Waldrand, der Blick über den See auf die Berge ist wolkenfrei und überwältigend. Das ehemalige Wohnhaus der Familie Dürrenmatt wurde vom Schweizer Architekten Mario Botta erweitert, so dass hier seit 15 Jahren das Bildwerk Dürrenmatts ausgestellt wird. Wir sind verabredet mit Madeleine Betschart, der Direktorin. Sie begrüsst uns auf der Terrasse: „Willkommen im ‚Vallon de l’Ermitage‘! Schön, dass Sie uns besuchen.“ Wenn man sitzt, ist der schöne Ausblick mit einem Mal hinter dem Steinwall verschwunden und man richtet den Blick zurück auf Dürrenmatts ehemaliges Wohnhaus, in dem heute das „Centre“ seine Räume hat. Klaus Brömmelmeier – Ist das Haus von der Familie Dürrenmatt neu gebaut worden? Madeleine Betschart – Nein, das Haus bestand bereits, es ist aus den 20er Jahren. Das zweite Haus etwas weiter oben haben Lotti und Friedrich Dürrenmatt 1964 bauen lassen und Friedrich Dürrenmatt hat es zunächst als Arbeitsort genutzt, später auch als Wohnort. Nach seinem Tod 1990 hat Charlotte Kerr Dürrenmatt, seine zweite Ehefrau, weiterhin dort gelebt. Es ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, aber Ihnen werde ich es heute gerne zeigen. KB Ich war dort einmal zu Besuch, als Charlotte Kerr noch lebte. Es steht heute leer? MB Ich bin seit November 2014 hier Direktorin und es gehört zu meinen Aufgaben, ein Konzept für die zukünftige Nutzung zu erarbeiten. Es gibt viele Ideen ... Im Jahr 2015 feiern wir auch das „Année Dürrenmatt“. Am 14. Dezember 2015 jährt sich der Todestag von Friedrich Dürrenmatt zum 25. Mal. Ausserdem feiern wir das 15-jährige Bestehen des Centre Dürrenmatt Neuchâtel. KB Wir haben noch ein Jubiläum: am 29. Januar 2016 jährt sich die Uraufführung vom „Besuch der alten Dame“ auf der Pfauenbühne – wo wir im Dezember Premiere haben – zum 60. Mal. Friederike Wagner – Weshalb kam Friedrich Dürrenmatt eigentlich nach Neuchâtel? Er war ja Berner. MB Manchmal hat er darauf trocken geantwortet: Neuchâtel hat einen Bahnhof! Aber im Ernst: Friedrich Dürrenmatt hat ja immer auf Deutsch geschrieben, hat auch die französischen Klassiker auf Deutsch gelesen. Als er zum 60. Geburtstag von der Universität Neuchâtel den Ehrendoktortitel bekommen hat, hielt er die Rede auf Deutsch – nicht auf Französisch. Das kam nicht immer gut an. Warum also Neuchâtel? Wir 28
In seiner Bibliothek ist alles belassen worden, wie Dürrenmatt es hinterliess – darunter auch eine handgemalte, illustrierte Ausgabe vom „Besuch der alten Dame“. Zahlreiche Bände sind von befreundeten Autoren wie Max Frisch handsigniert.
wissen, dass das Haus ihn interessierte, weil er wusste, dass es eine Bibliothek gibt. An anderer Stelle hat er gesagt, er könne nicht dort leben, wo man die Sprache spreche, in der er schreibe. Er sprach auch von seiner „enclave bernoise“. Hier hat er beinahe 40 Jahre gelebt – sein umfassendes literarisches und malerisches Werk geschaffen. In seinem Büro stehen eine Weltkugel und ein Teleskop – er interessierte sich für das, was auf der Welt geschah, er war auch fasziniert vom Universum. Und ich denke, der Ausblick von hier oben ist die dritte Komponente. Dieser Blick und Friedrich Dürrenmatts innere Imagination … Wir wollen unseren Rundgang durch die Ausstellungsräume beginnen. Kaum hat man sich vom Stuhl erhoben, entfaltet sich wieder das atemberaubende Panorama und wir halten kurz inne. Bevor wir in den Bauch des Gebäudes hinuntersteigen, werfen wir noch einen Blick
private Leidenschaft. Er hat nie Bilder verkauft. Er wollte seine Bilder wahrscheinlich nicht der Kritik aussetzen, sinniert Madeleine Betschart. Noch ein Stockwerk tiefer hängen im weiten, geschwungenen Raum Dürrenmatts Ölbilder, Gouachen und Zeichnungen. Mario Botta hat nicht nur auf der Terrasse das Panorama gezielt ausgespart, er tat es auch hier: Vor der einzigen Öffnung mit Blick in die Landschaft steht ein in einen deckenhohen, stählernen Rahmen gefasstes Bild. MB Die Initiative für den Bau des Centre Dürrenmatt ist Charlotte Kerr Dürrenmatt zu verdanken. Sie stellte das alte Wohnhaus mit dem steil abfallenden Garten der Eidgenossenschaft als Geschenk zur Verfügung. Die Auflage war, hier nach Plänen von Mario Botta das Centre Dürrenmatt Neuchâtel zu errichten. Sie war es auch, die die Stadt und den Kanton Neuchâtel dafür begeistern konnte. KB
Das heisst: Charlotte Kerr hat den Ton angegeben?
MB Dank ihr gibt es diesen Ort. Sie hat sich sehr dafür eingesetzt. KB Und sie war streng. Bei meinem letzten Besuch kamen wir als ihre Gäste. Gemeinsam mit dem Perkussionisten Fritz Hauser waren wir eingeladen, sechs Tage hier zu verbringen – damals gab es noch Künstlerwohnungen – und am Ende haben wir ein Konzert gegeben. Aber Charlotte fand es nicht gut. Sie schrieb Fritz einen Brief: „Lieber Fritz, ich bewundere deine Kunst sehr. Aber dieses Konzert, das war nicht Kunst – das war Kommerz. Es war der Versuch, der Kaiser zu sein, aber der Kaiser war nackt ...“ (Pause) Streng aber auch rührend! Friedrich Dürrenmatt lebte beinahe 40 Jahre in Neuchâtel und bei den Dürrenmatts war immer „open house“. Durch seinen Humor hatte er Kontakt zu den verschiedensten Menschen. Er konnte sich mit einem Neuchâteler Weinbauern genauso angeregt unterhalten wie mit einem Mathematikprofessor. Er war auch grosser Xamax-Fan. Allerdings war für ihn Fussball eher wie Theater.
in die „Sixtinische Kapelle“ – die Toilette der Familie Dürrenmatt, die Friedrich Dürrenmatt über alle vier Wände mit bunten Fratzen bemalt hatte. Sowohl deren Anblick als auch die eigensinnige Namensgebung lassen auf Dürrenmatts besonderen Humor schliessen, von dem auch Zeitzeugen oft schwärmen. Von hier gehen wir ein Stockwerk nach unten in den Ausstellungsraum, wo neben Manuskripten und Zitaten auch Biografisches und Karikaturen ausgestellt sind. „Soll ich malen oder schreiben. Es drängt mich zu beidem“, schreibt Dürrenmatt 1941, entschied sich aber dennoch im Alter von 25 Jahren, Schriftsteller zu werden. Auch zeigte er seine Bilder erst spät und sehr eingeschränkt der Öffentlichkeit: Ein erstes Mal hier in Neuchâtel im „Hôtel du Rocher“ seines Freundes Hans Liechti, der auch in den ausgestellten Karikaturen auftaucht („Es werde Liechti“). Ein zweites Mal im „Musée d ’Art et d’Histoire“, Neuchâtel. Die Malerei war seine
MB Man erzählt sich auch, dass Friedrich Dürrenmatt die Spiele von der Terrasse aus geschaut habe – man sieht von dort auf das Stadion. KB Dafür hat er den Sternengucker gehabt! (Lachen) Haben Sie eigentlich Kontakt zur Familie, den Kindern? MB Ja, habe ich. Ich habe erst kürzlich alle drei Kinder und die Schwester, Vroni Dürrenmatt, die über 90-jährig ist, ins Centre Dürrenmatt eingeladen. Wir haben im Garten zusammen gegessen. Für die Kinder war es wie in alten Tagen. Dieser Kontakt zur Familie, überhaupt zu Zeitzeugen, ist Madeleine Betschart wichtig. Sie lädt sie ein, damit sich die Menschen, die Friedrich Dürrenmatt kannten, häufiger treffen und aus der Erinnerung an ihn erzählen. Gerade als wir Madeleine Betschart auf dem Weg zu Dürrenmatts Bibliothek die Treppen nach oben folgen, trifft sie jemanden, der Friedrich Dürrenmatt auch kannte: Anna → 29
von Planta, Dürrenmatts Lektorin beim Diogenes Verlag, Mitherausgeberin diverser Dürrenmatt-Publikationen und -Ausgaben sowie Mitherausgeberin des Bandes „Sein Leben in Bildern“. Was für ein Zufall! Sie ist gar nicht beruflich da, sondern privat für einen Besuch im Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Sie erzählt davon, wie sie nicht nur beim Sichten seines literarischen Nachlasses, sondern eben auch hier im Centre Dürrenmatt Neuchâtel den Kontinent Dürrenmatt immer neu entdecken könne. Weiter auf Dürrenmatts Spuren folgen wir Madeleine Betschart in den obersten Stock. Der knarzende Parkettfussboden der Bibliothek ist der alte, auch die Sessel und selbst die Anordnung der Bücher: alles in diesem Raum ist belassen worden, wie Friedrich Dürrenmatt es hinterlassen hat. Madeleine Betschart nimmt einige Bände aus den Regalen, zeigt uns handgeschriebene Widmungen von Max Frisch – „Von Max für Fritz“! – und anderen Autoren. Ringsherum die gesammelten Werke von Karl May, Kunstbände, deutsche und französische Klassik ... FW Diese grossen Ausgaben von „Die Physiker“ und „Der Besuch der alten Dame“ – was hat es damit auf sich? MB
Ich zeige es Ihnen ...
Ein Hausbesuch im Centre Dürrenmatt Neuchâtel
Madeleine Betschart zieht zwei Bände aus dem Regal und breitet sie vor uns aus. Staunend beugen wir uns darüber. Vor uns liegen von Hans Falk und Hans Erni illustrierte Ausgaben der beiden Stücke. Fast zu jeder Szene ist hier in einer losen Blattordnung ein handgemaltes vollfarbiges Bild zu finden. Über die Strasse machen wir uns auf den Weg zum oberen Wohnhaus. Für Madeleine Betschart sind diese Orte „espaces mémoriels“, die Bibliothek, das Haus oben, Friedrich Dürrenmatts Arbeitsplatz, auch der Garten. Wir begeben uns in das erste Untergeschoss, wo Friedrich Dürrenmatt sein Arbeitszimmer hatte. Biegt man um die Ecke, steht dort dieser riesige massive Schreibtisch aus Holz, Tischbeine wie Baumstämme, an dem Friedrich Dürrenmatt sein Spätwerk schrieb und parallel dazu malte. Wir treten hinaus auf die Terrasse, vorbei an einer grossen Luginbühl-Skulptur – ein Geschenk des Künstlers – zum Pool und hinunter in den paradiesischen, etwas verwunschen wirkenden Garten. Madeleine Betschart und Klaus Brömmelmeier kommen ins Ideenspinnen: Den „Besuch der alten Dame“ einmal in Friedrich Dürrenmatts Garten aufzuführen! Zuletzt gehen wir ins Schlafzimmer, das wiederum eine halbe Bibliothek an Büchern fasst. Da steht dann auch Stephen Kings „Es“ dazwischen. Friedrich Dürrenmatts guter Freund Hugo Loetscher hatte in seinem Text „Lesen statt Klettern“ 2003 von einem Stephen-King-Buch auf dem Nachttisch gesprochen – Charlotte Kerr Dürrenmatt bestritt es. Bevor wir aufbrechen, legen wir noch eine kurze Pause im Garten ein, nehmen auf einer Bank unterm Baum Platz und geniessen, was Friedrich Dürrenmatt hier 40 Jahre lang genossen hat. Friedrich Dürrenmatt, Schweizer Schriftsteller und Maler mit Weltgeltung, seit seinem Stück „Der Besuch der alten Dame“ der meistgespielte Schweizer Dramatiker auf der Welt – hier sitzen wir und geniessen „seinen“ Ausblick.
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DER BESUCH DER ALTEN DAME von Friedrich Dürrenmatt
Regie Viktor Bodó Mit Klaus Brömmelmeier, Benedict Fellmer, Christian Heller, Henrike Johanna Jörissen, Claudius Körber, Julia Kreusch, Matthias Neukirch, Niklas Rosat, Milian Zerzawy u.a. Die Gegenstromanlage ist trockengelegt: am leeren Pool der Dürrenmatts
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Premiere 11. Dezember, Pfauen
Katharina und Josephine, 10 Jahre
„Ich muss nie in den Spiegel sehen!“ Interviews von Irina Müller und Manuela Runge Fotos Caroline Minjolle
Im Zentrum Erich Kästners beliebter Geschichte „Das doppelte Lottchen“, mit der der Autor das Portrait einer modernen Familie schafft, steht das Zwillingspärchen Lotte und Luise. Die beiden ahnen nichts von der Existenz einer Zwillingsschwester und wachsen getrennt voneinander bei ihren geschiedenen Elternteilen auf. Eines Tages treffen sie per Zufall in einem Ferienlager aufeinander. Sie beschliessen in die Rolle der anderen zu schlüpfen und fahren zu ihrem jeweils unbekannten Elternteil nach Hause, wo ihr Verwechslungsspiel für Aufregungen sorgt, bis am Ende die Familie wieder vereint wird.
Wie ist es, ein „Doppelpack“ zu sein? Eine Mutter beschreibt ihre Zwillingskinder wie ein sehr altes Ehepaar: eine unglaubliche Vertrautheit, ein gegenseitiges Kennen und Einvernehmen, wie es eben nur Menschen haben, die schon sehr viel Zeit miteinander verbracht haben. Sie schlafen immer im selben Bett, obwohl sie eigene Zimmer haben, sie suchen sich immer, aber sobald sie sich gefunden haben, necken sie sich auch wieder … Die Zwillingspärchen wurden fotografiert von Caroline Minjolle, selbst Zwilling, die in ihrer Fotoreihe „Eieiigi“ überraschende Portraits von 25 Zwillingspärchen geschaffen hat. →
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Zwillinge – Wie ist es, ein „Doppelpack“ zu sein?
Könnt ihr euch vorstellen, dass die Geschichte von Luise und Lotte wirklich passiert sein könnte? Emma: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Geschichte so passiert ist. Das ist irgendwie unwahrscheinlich. Ausserdem würden echte Eltern ihre Kinder nie so belügen. Ida: Ich mag die Geschichte, weil sie spannend ist. Ich kann mir vorstellen, dass sie wirklich passiert ist, weil es vielleicht wirklich getrennte Zwillinge gibt.
„Wir sind sehr verschieden! Natürlich auch weil Alec ein Junge ist und ich ein Mädchen.“
Was würdet ihr euren Eltern sagen, wenn sie euch wie in der Geschichte getrennt hätten? Alea: Spätestens mit vier Jahren hätten sie uns sagen sollen, dass sie geschieden sind und wir ein Geschwister haben. Emma: Ihr seid gemein und unfair. Ida: Das ist ungerecht, dass ihr uns belügt und wir so unsere Zwillingsschwester nicht kennen, nur weil ihr euch nicht mehr mögt.
immer dieselben Ideen. Einmal mussten wir in der Schule in unterschiedlichen Gruppen ein Plakat vorbereiten und dann merkten wir bei der Präsentation, dass wir unabhängig voneinander dieselben Vorschläge gemacht hatten.
Woran erkennen euch andere als Zwillinge und woran merkt ihr besonders, dass ihr Zwillinge seid? Emma: Ich merke, dass ich ein Zwilling bin, weil ich meine Schwester so sehr mag. Ich muss nie in den Spiegel sehen, weil ich nur meine Schwester ansehen muss. Ida: Andere finden, dass wir ziemlich gleich aussehen. Ich merke eigentlich nicht, dass ich ein Zwilling bin. Josephine: Wir sagen oft dasselbe und wir haben auch
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Schwester nicht bei mir ist. Dann wäre ich unglücklich.“ Ida und Emma, 10 Jahre
Alea und Alec, 9 Jahre
Lotte und Luise haben sehr unterschiedliche Temperamente. Während Luise ein Wildfang ist, ist Lotte ordentlich und eher schüchtern. Wie unterscheidet ihr euch? Alea: Wir sind sehr verschieden, natürlich auch, weil Alec ein Junge ist und ich ein Mädchen. Er spielt Fussball und Gitarre und ich spiele Geige und mache Ballett. Wir könnten auch gut Geschwister sein, die nicht Zwillinge sind. Ida: Ähnlich sind wir uns bloss im Aussehen. Wenn mir jemand etwas vorschlägt, dann will ich das immer sofort machen. Emma interessiert sich nicht so schnell für neue Sachen. Was, denkt ihr, unterscheidet euch von Geschwisterpärchen, die keine Zwillinge sind? Emma: Wir halten mehr zusammen und sind lieber zusammen als andere Geschwister. Ida: Ältere Geschwister ärgern immer die kleinen Geschwister. Wir können uns gegenseitig nerven, wir sind gleich stark. Habt ihr schon mal Rollen getauscht und damit andere reingelegt? Ida: Ich habe so getan, als sei ich meine Schwester und die Lehrer in der Schule haben es geglaubt. Lars: Manchmal, wenn Leute nicht wissen, wer wer ist, dann entschliessen wir uns spontan zu einem Namenstausch. Wenn sie darauf reinfallen, lösen wir den Irrtum auf – das ist lustig. Finn: Die Pausenaufsicht kann uns nicht auseinanderhalten und sagt, einer von uns spiele dauernd Streiche – sie weiss aber nicht wer. Was würdet ihr vermissen, wenn der andere in einer anderen Stadt leben würde? Lars und Finn: Den Bruder! Alea: Den Streit. Wir streiten über viele Sachen, auch solche, über die man eigentlich nicht zu streiten braucht. Emma: Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Schwester nicht bei mir ist. Dann wäre ich unglücklich.
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Finn und Lars, 7 Jahre
Würdet ihr sagen, dass der eine oder andere mehr Mama oder Papa ähnlich ist? Finn und Lars: Wir sind beide Papi ähnlich. Alea: Ich bin wie der Papa und Alec eher wie die Mama. Wenn ihm zum Beispiel eine Tasche nicht aufgeht, dann gibt er sie meiner Mutter. Mein Vater würde eher wie ich die Tasche aufreissen. Alec wirkt gegen aussen geduldiger – und er ist immer eher mit Mama zusammen. Josephine: Ich bin wie der Papa, sehr sozial. Katharina: Ich bin eher wie die Mama; sie ist ehrgeizig wie ich. Habt ihr manchmal ein Konkurrenzgefühl gegenüber Eltern, Lehrern oder Freunden? Emma: Nein, weil ich meine Schwester mag, und ich würde nie auf die Idee kommen, dass sie mir etwas wegnehmen will. Alea: Ich habe schon manchmal das Gefühl, dass ich mich behaupten muss. Josephine: Im Judo will ich immer stärker sein als Katharina.
Was war die längste Zeit, die ihr getrennt voneinander verbracht habt? Ida: Meine Schwester war einmal drei Tage weg. Das war schlimm. Ich habe sie furchtbar vermisst, aber ich war auch etwas neidisch. Josephine: Ich bin einmal allein zum Augenarzt oder auf die Achterbahn gegangen, aber mehr nicht. Wir gehen überall zusammen hin. Was macht ihr gerne allein und was zusammen? Emma: Ich spiele gerne allein und treffe mich gerne mit meinen eigenen Freunden. Zusammen Rollschuh laufen, reiten und schwimmen ist lustiger als allein. Alea: Wenn wir in die Schule gehen, laufen wir zuerst zusammen und sprechen miteinander, das macht Spass. Aber sobald ein Freund von Alec auftaucht, dann geht er zu ihm. Wir spielen hauptsächlich zu Hause zusammen. Katharina: Gerade wenn man einen kleinen Streit hatte, ist es gut, auch mal für sich Zeit zu haben und allein ein Buch zu lesen. Warum mögt ihr es besonders, einen Zwilling zu haben? Ida: Weil der Zwilling immer für einen da ist. Emma: Weil ich mir die Welt nicht ohne vorstellen könnte. Warum nervt es manchmal, einen Zwilling zu haben? Ida: Weil der Zwilling immer da ist. Auch wenn man ihn gerade nicht will. Emma: Dass man meistens alles mit ihm teilen muss: Wenn man etwas für sich kriegt, was der Zwilling auch toll findet, sagen alle, das kannst du ja dann mit deiner Schwester teilen. Ich möchte aber auch eigene Sachen nur für mich.
Was gefällt dir an deiner Schwester / deinem Bruder? Emma: Dass es sie gibt. Und dass sie ihre Stimme verstellen und Tiergeräusche nachmachen kann. Ida: Alles. Katharina: Josephine ist mein Vorbild und das gefällt mir. Alea: Alec bringt mich immer zum Lachen mit Grimassen. Und er hat so eine weiche Stelle am Hinterkopf. Er will nicht, dass ich das mache, aber ich würde ihn am liebsten immer dort anfassen. Wart ihr schon mal zusammen im Ferienlager, wie Luise und Lotte? Katharina: Ja, mit dem Judo Club waren wir im Ferienlager. Da gab es auch ein Schwimmbad und wir haben Flutlichtschwimmen gemacht. Emma: Ja, wir waren schon oft im Ferienlager. Diesen Sommer waren wir zusammen in einem Abenteuerlager und haben Grashüpfer gefangen … Ida: Wir haben Pflanzen gesammelt und Lagerfeuer gemacht. Dort haben sie uns dauernd verwechselt. Es gab einen Jungen, der mir einen Ball weggenommen hat. Der war verwirrt, als wir zu zweit hinter ihm hergejagt sind.
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DAS DOPPELTE LOTTCHEN nach dem Roman von Erich Kästner Regie Christina Rast Mit Jessica Früh, Nils Kahnwald, Johanna Küsters, Dagna Litzenberger Vinet, Lisa-Katrina Mayer, Isabelle Menke, Alexander Maria Schmidt, André Willmund Premiere 15. November, Pfauen
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„EHER EINE MASSENSCHLÄGEREI ALS EIN ZWEIKAMPF …“ Zur Eröffnung der Spielzeit feierte im Pfauen „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen Premiere. In der Hauptprobe dokumentierten Twitterer und Instagrammer ihre Eindrücke. von Andreas Karlaganis / Dietmar Dath
Der Badearzt einer Kurstadt macht die Entdeckung, dass das Grundwasser seiner Gemeinde verseucht ist. Er scheitert jedoch am Widerstand der Wirtschaft und Politik, beim Versuch, diese unangenehme Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Der Netzkritiker, Journalist und Science-Fiction-Autor Dietmar Dath hat Ibsens Drama aus dem Ende des 19. Jahrhunderts in eine nahe gelegene dystopische Welt verlegt. Ein ominöser Energiedeal, den die Gemeinde mit einem Konzern abgeschlossen hat, ist in der Adaption Stein des Anstosses und führt die Hauptfigur Doktor Stockmann vom Kampf für die „gute Sache“ ins Netz der postdemokratischen Wirren. Die Übertragung entstand in Zusammenarbeit mit dem Produktionsteam: Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes erfand eine Arbeits- und Wohnzentrale, in der sich öffentlicher und privater Raum nicht mehr voneinander trennen lassen. In der Mitte 34
thront, geschmückt von einem Fracking-Bohrturm, das Modell der Gemeinde, welches auf dem Höhepunkt des Stücks wie ein Ufo ins All schwebt. In der Vorprobenzeit unterbreitete Dath dem Team seine ersten Überlegungen zu Ibsens Drama, die der Regisseur Stefan Pucher und das Schauspielensemble aufgriffen und im Hinblick auf die Bühnenumsetzung weiterentwickelten. In Daths Lesart ist Stockmann ein Relikt aus dem analogen Zeitalter, in dem sich öffentliche Opposition noch als Zweikampf manifestieren liess.
Aus einer E-Mail des Autors: „Was ist der Konfliktkern, das Bad oder der Deal, den die Stadt mit der Energiefirma abgeschlossen hat, oder die scheindemokratische Stimmungshölle, in der sie sich befinden? Ich glaube nicht, dass man eines dieser Probleme auf eines der anderen oder zwei auf das dritte reduzieren kann. Einen Deal gibt es bei Ibsen nicht und das
Besitzkonzentration übergeht, zwar auch noch, ist aber oft nur noch ein Vorwand für etwas einfach politisch Gewolltes. Längst Enteignete, die sich noch vormachen, sie besässen was und hätten was zu sagen, haben gar keine ökonomischen Interessen mehr, sie sind nur noch potenzielle Gefolgschaft oder potenzielle Gefolgschaftshersteller, Demagogen oder Mob – weil das Spiel, in dem man früher noch gewinnen konnte, längst vorbei ist und ersetzt wurde durch eines, wo alle verlieren. Die Typen in dem Stück mit ihrer Online-Demokratie wollen sozusagen eine Insel schaffen, wo es das Problem der gerechten Mehrheitsentscheidung einfach nicht gibt. Sie schicken metaphorisch die liberaldemokratische Gesellschaft ,zur Kur‘, deshalb habe ich das Bad als gutes Bild wie einen zerbrochenen erratischen Block in die Handlung reinragen lassen – es geht mir darum, dass die Relikte der Ibsenkonstellation gerade noch da sind, aber nicht mehr in ein harmonisches Ganzes (das ja schon bei ihm Risse hat und bröckelt) einfügbar. Das Unübersichtliche ist also bis zu einem
Bad und die Volksstimmung hat er als polare Spannungsverursacher. Ich denke, so klar sind die Konstellationen nicht mehr, weil die Gesellschaft heute mehr extensive und weniger intensive Abhängigkeiten hat (weniger Ehen fürs Leben, mehr Outsourcing nach Indien), weil die grossen Konflikte eher wie ein Mikadospiel aussehen als wie ein Tauziehen, also auch eher wie eine Massenschlägerei als wie ein Zweikampf, selbst wenn der Zweikampf ,einer gegen alle‘ heissen würde. Dass das bei Ibsen schon drinsteckt, ist das Erstaunliche, Prophetische, Weise an dem Stück, obwohl es noch behauptet, man könne etwas ,entlarven‘, also die ,ökonomischen Interessen‘. Das geht in einer Gesellschaft, die vom Konkurrenzkapitalismus zu unvorstellbar abstrakten Weltprozessen mit extremer
gewissen Grad der Witz der Sache: Ungleichzeitigkeit, Widersprüche, Grauzone – Stockmann meint, er kämpfe gegen die Unterdrückung, aber er kämpft gegen etwas viel schwerer zu Bekämpfendes, gegen Verwirrung. Und vergrössert sie zugleich, das ist das Tragische – das tut er zwanghaft, weil er eben glaubt, er kämpfe gegen Unterdrückung, und sei es die durch eine Mehrheit. Wer gegen Verwirrung kämpft und es nicht sieht, ist verwirrt und vermehrt damit Verwirrung.“ 35
Damit aus gebrauchtem wieder klares Wasser wird von Romano Zerbini
In der Rubrik „Ins Theater mit …“ laden wir Zürcher zu einem Premierenbesuch ein und stellen ihnen anschliessend zehn Fragen zu dem Abend. Romano Zerbini hat sich nicht lange mit unseren Fragen aufgehalten – sondern gleich ein ganzes Essay über sein Theatererlebnis geschrieben. Um Ibsen habe ich immer einen Bogen gemacht. Zu widerspenstig der Text, zu eng die Welt, zu moralisch auch und oft zu psychologisierend. Wenn aber Stefan Pucher „Ein Volksfeind“ in einer Bearbeitung von Dietmar Dath auf die Bühne bringt – da siegt die Neugierde! Pucher schätze ich als Meister des Rhythmus, dem ich mich nie entziehen kann. Ich falle hinein und werde fortgetragen und jedes Mal frage ich mich, wie das geht. Daths Analysen sind klar und pointiert, so sehr, dass ich mich schon mal versichern muss, dass ich das FAZ-Feuilleton lese. Mit grosser Vorfreude erwarte ich den Abend. Es beginnt bombastisch, vor allem das Bühnenbild, welches aus der Zukunft kommt. Der megalomane Bildschirm erinnert mich an das Kommandozentrum von Raumschiff Enterprise. Die Bühnendialoge laufen über das Handy, genauer über Videogespräche, projiziert auf den Bildschirm so breit wie die Pfauenbühne.
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Bild und Ton sind etwas zeitversetzt und wirken wie Skype-Gespräche. Ich fühle mich ertappt. Gerne möchte ich behaupten, das Bühnenbild zeige ein Zukunftsszenario. Aber wenn ich meinen eigenen, täglichen Skype-Gebrauch in Betracht ziehe, ist das Setting längst Realität. Zum visuellen Flash des Bühnenbilds passen die adretten Kleider der Figuren. Ob Retro oder Sci-Fi ist nicht so einfach zu unterscheiden. Sie sind eine wahre Augenweide und bannen meinen Blick ebenso wie das Stadtmodell in der Bühnenmitte. Wir fliegen per Live-Schaltung auf Grossbildschirmen über das liebliche Städtchen und geniessen seine Alltagsszenen. Unterdessen entwickelt sich das Stück aber irgendwie zäh. Es sind die klassischen Szenenauftritte! Auftritt, Abtritt, nächste Szene. Ich vermisse meinen Pucher und erschrecke. Der Kontrast zwischen Szenenaufbau und Bühnenbild könnte nicht grösser sein. Fracking gefährdet die Gesundheit der Einwohner und der Kurgäste. Der Kurarzt kann es beweisen! Ein Skandal. In mir ruft es Attac und Occupy Wallstreet! Ich bin
ROMANO ZERBINI ist Gründer und Leiter der Photobastei, die seit ihrer Eröffnung in einem zwischengenutzten Haus am Schanzengraben in Zürich stadtbekannt ist und im August am Sihlquai neueröffnet wurde.
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EIN VOKLKSFEIND
von Henrik Ibsen in einer Bearbeitung von Dietmar Dath Regie Stefan Pucher Mit Tabea Bettin, Sofia Elena Borsani, Robert Hunger-Bühler, Isabelle Menke, Matthias Neukirch, Nicolas Rosat, Markus Scheumann, Siggi Schwientek, Becky Lee Walters Unterstützt von Swiss Re
Ins Theater mit …
empört. Sofort sind meine Sympathien beim Kurarzt. Da spricht einer Klartext – und endlich nicht über Video! Das Stück ist lanciert – ich bin elektrisiert. Doch es ist eine Falle – und was für eine! Pucher und Dath lassen grüssen. Was nun kommt, ist die Weichspülung aller meiner Illusionen, die Welt sei veränderbar! Von der Bühne prasseln Argumente, Theorien, Businesspläne, englische Marketingund PR-Floskeln, Politslang mit grossen Worten von Demokratie und vom Wohle der Gemeinschaft herunter. Ein Redeschwall sondergleichen, eine Lawine – nein, ein Tsunami eher – und es will nicht aufhören. Es wird gefeilscht, geworben, verdreht, wiederholt, relativiert und erklärt und immer wieder erklärt. Es geht um Mehrheiten, um Macht und um vermeintliche Demokratie. Recht wollen sie haben, alle! Und weil keiner eigentlich mit dem anderen spricht und jede lösungsorientierte Strategie dem Geschäftssinn geopfert ist, wird es immer deftiger, aggressiver und lauter, bis das A-Wort fällt.
Fotos: zvg; T+T Fotografie
Der Schlagabtausch hat es in sich. Meine Begleitung lacht an anderen Stellen als ich. Selten lachen wir über dieselben Argumente. Jeder hört das Seine. So geht es auch dem Publikum. Manchmal kommen die Lacher von hier, manchmal von dort. Es ist vergnüglich zu sehen, wer auf welches Argument reagiert. Mein Kopf beginnt zu rauchen. Die Kadenz der Redesalven lässt mir keine Atempause. Ich gebe es auf, eine eigene Position zu beziehen. Die Pro- und Kontraargumente, die Erwägungen, Expertisen und Gegenexpertisen, die Sinnverschiebungen, Verdrehungen und die wechselnden Seilschaften überfordern mich. Die Blendgranaten von hüben und drüben stiften totale Verwirrung. Die anfängliche Empörung und Sympathie für den Kurarzt löst sich auf. Das Eigentliche ist aus dem Auge verloren, die Vernebelung total. Einzig die musikalischen Pausen von Becky Lee Walters als
„Es geht um Mehrheiten, um Macht und um vermeintliche Demokratie. Recht wollen sie haben, alle!“ – Szene aus „Ein Volksfeind“
Mechanical Woman geben etwas Luft. Ihre Musik und Beats erinnern mich an die 80er. Da war die Welt noch einfacher. Es gab die Roten und die Blauen. Und die Blauen standen für die freie Welt, für die Demokratie. Was für ein Kontrast zum Stück, diese Musikzitate! Längst geht es nicht mehr um Fracking, es geht um Mehrheiten. Dazu wird selbst das Publikum eingespannt. Bühne und Publikum verschmelzen, wir spielen plötzlich mit. Was für ein Spektakel! Zuschauer werden nach ihrer „Meinung“ gefragt – ich wüsste nicht, was ich antworten sollte. Langsam möchte ich ihnen am liebsten an die Gurgel: dem Kurarzt, dem Stadtvorsteher, dem Softwareunternehmer und überhaupt allen Schauspielern. Vor allem aber Dath und Pucher, Ibsen sowieso. Nicht mal die Empörung lassen sie mir. Ich soll nur noch ein beeinflussbares Partikel in einer Mehrheitsbeschaffungsmaschine sein, die durch die virtuelle Komponente, durch die Bloggersphäre, Facebook und Social Media nur noch subtiler, effizienter, jedenfalls unübersichtlicher geworden ist? Kein gutes Gefühl, wahrlich, aber leider sehr gut gespielt. Ich weiss nicht, ob ich mich ertappt fühlen will. Ich sehne mir den Schluss herbei und bin gleichzeitig neugierig, wie sie diese Kurve schaffen. Hevorragend, kann ich nur sagen! Meine Begleitung und ich sitzen noch eine Weile im Bühnenraum, eher wortkarg. Ein Versuch der Verständigung endet im Adjektiv „anstrengend“ – was das Stück wohl ist und auch sein muss. Der Drang, am Premierenpublikum vorbei an die frische Luft zu gelangen, ist jedenfalls gross. Dort empfängt uns durchdringend ätzender Lärm von der anderen Strassenseite. Ein Lastwagen der Stadtreinigung reinigt die Kanalisation. „Damit aus gebrauchtem wieder klares Wasser wird“ steht in grossen Lettern geschrieben. Wir lachen – ich bin mir aber nicht mehr sicher, ob ich das noch glauben darf! 37
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CIVIL TWILIGHT E
D B
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C Unterstützt vom Lotteriefonds des Kantons Zürich
A BERNSTEIN von Liao Yimei / Beijing Young Dramatists Association, China, Regie Meng Jinghui 18./19. November, 20:00, Pfauen
„Der grösste Verkaufserfolg in über 33 Jahren Hong Kong Arts Festival.“ Beijing Star Daily „Mit grosser Kunstfertigkeit inszeniert!“
China Daily
B COMMON GROUND Maxim Gorki Theater, Berlin, Regie Yael Ronen 21. November, 20:00, Pfauen
„Roh und direkt, voller Kraft und Energie, und so angenehm undidaktisch. ‚Common Ground‘ ist eine Theatersensation.“ Spiegel online
„Beeindruckend intensiv und dabei völlig unpathetisch.“ 3sat – Kulturzeit
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C ALLES WEITERE KENNEN SIE AUS DEM KINO von Martin Crimp / Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Regie Katie Mitchell 25./26. November, 20:00, Schiffbau/Halle
„Katie Mitchell und Martin Crimp interpretieren Euripides’ Antikendrama ‚Die Phönizierinnen‘ auf brillante Weise neu.“ Süddeutsche Zeitung
„Künstlerisch innovatives, fesselndes Theater.“
Hamburger Abendblatt
C Fotos: Walter Mair (D); Arwed Messmer lux fotografen (E); Stephen Cummiskey (C); Thomas Aurin (B); Bernhard Mueller (F); Janjanski (A)
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A
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INTERNATIONALE GASTSPIELREIHE 18. November bis 17. Dezember
D TESSA BLOMSTEDT GIBT NICHT AUF Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, Regie Christoph Marthaler 4./5. Dezember 20:00 / 6. Dezember 15:00, Schiffbau/Halle
„Marthalers sentimentales Wunschkonzert quillt über vor Charme, Witz, Absurditäten und Garstigkeiten.“ NZZ
„Wieder einmal komisch und berührend zugleich.“
„Das ist nicht nur virtuos gespielt, es zeigt auch den Kern von Theater in all seinem Wahnsinn.“
Süddeutsche Zeitung
F GOLEM
Deutschlandradio
Company „1927“, London 16./17. Dezember, 20:00, Pfauen
E KARAMASOW
„1927 ist eine der aufregendsten jungen Kompanien in Grossbritannien.” Time Out London
von Fjodor Dostojewskij / Theater T1 Berlin, Regie Thorsten Lensing 12. Dezember, 19:00 / 13. Dezember, 17:00, Schiffbau/Box
„Es ist ein immenses Vergnügen diesem Spiel zuzuschauen, in dem es keine Trennung gibt von Scherz und Ernst.“ WDR 3
„Von dieser Inszenierung hat man geträumt – sie ist ein Juwel, eigenartig und wunderbar, zur Perfektion geschliffen.“ Metro
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SCHICHT MIT – ROCK
ROCK ist als Zirkuskind gross geworden und wurde von seinem Mentor H. R. Giger, der 1969 am Schauspielhaus für Peter Stein Kostüm- und Maskenentwürfe gemacht hatte, ermutigt, etwas Kreatives zu erlernen. Nach einer Dekorateurlehre und einem kurzen Intermezzo in der Schreinerei des Schauspielhauses arbeitete er dort schliesslich als Bühnentechniker, bis er zur Requisite kam, wo er nun seit über 20 Jahren Theatergegenstände herstellt.
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Die Allrounder des Theaters von Sandra Suter Foto Caroline Minjolle
9:00 Als ich im Büro der Requisite ankomme, wird gerade an der allmorgendlichen Sitzung mit Requisitenchef René Kümpel der heutige Tagesplan angeschaut und das Budget für die Requisiten des Stücks „Ein Volksfeind“ besprochen. Teil des Bühnenbildes ist ein grosses, detailliertes Landschaftsmodell, das die Requisite in Zusammenarbeit mit der Schreinerei und dem Malsaal herstellt. Ein Problem bei der Budgetplanung: Die kleinen Modellbäume für das Landschaftsmodell sind extrem teuer.
10:10 Danach will Rock mir den Requisitenfundus zeigen. „Nimm die Kiste mit“, ruft René ihm zu. Neugierig frage ich nach dem Inhalt des Kartons. Zum Vorschein kommen allerhand Waffen, Pistolen, Gewehre – zu jedem dieser Stücke gäbe es eine Geschichte zu erzählen. Rock schnappt sich die Kiste und ich folge ihm in den Lift, der uns zum „Waffenlager“ bringt, das etwas Unheimliches hat, obwohl natürlich keine dieser Waffen funktionstüchtig ist. Dann geht’s weiter zum Requisiten- und Geschirrfundus. Unterwegs erklärt mir Rock, was ein Requisiteur alles macht: Er verantwortet die Betreuung der Kleinrequisiten, die hier im Fundus in Rollgestellen geordnet sind: Tintenfässchen, Krücken, Brillen – aber auch wunderliche Dinge wie Föten in Einmachgläsern. Die Aufgabe des Requisiteurs ist sowohl das Auftreiben und Herstellen der Gegenstände als auch das Einrichten auf der Bühne. Jeder Requisiteur lernt ausserdem in einem Pyrokurs, wie man Dinge zum Explodieren bringt. Dazu gehören nicht nur Feuerexplosionen, sondern auch die Präparation von Hemden mit Blutkapseln, die im richtigen Moment platzen müssen. Auch wenn etwas kaputtgehen soll, muss es präpariert werden – so dass es nicht nur einmal kaputt geht, sondern bei jeder Vorstellung.
Der Requisiteur ist vor, während und nach den Vorstellungen im Einsatz. Er muss die Requisiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitlegen und die Spezialeffekte auslösen.
Heute Nachmittag muss Rock die Bäumchen für das Landschaftsmodell von „Ein Volksfeind“ besorgen. Deshalb verabreden wir uns später wieder im Schiffbau. 15:30 Ich treffe Rock zum Kaffee in der Schiffbaukantine und spreche mit ihm über das Leben ausserhalb des Theaters. Wo Rock hinkommt – und nicht schon gekannt wird – fällt er durch sein Erscheinungsbild sofort auf. Ich frage ihn, ob er sich selbst als schrägen Vogel sieht. Er schaut mich mit grossen Augen an: „Nein!!“
Neben dem Theater arbeitet Rock als Velokurier. Ähnlich wie in der Theaterwelt bilden die Velokuriere eine eigene Community. Für Rock ist der Job eine schöne Abwechslung zum Theater. Nach dem einen freut er sich jeweils auf das andere. An den Wochenenden legt Rock jeweils als DJ Balkan-, Gipsy- oder Punkmusik auf – gelegentlich auch an Anlässen des Theaters, wie zum Beispiel beim kommenden Schiffbaufest am 24. Oktober. → 41
Schicht mit …
16:30 Wir machen uns auf den Weg in den Malsaal. Hier steht nun endlich das eindrücklich grosse Landschaftsmodell für das Stück „Ein Volksfeind“. Ich frage mich, weshalb man angesichts des Preises Modelleisenbahn-Bäumchen gewählt hat, statt mit einfacheren Mitteln einen Wald nachzuahmen. Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, erklärt Rock, dass während des Stücks mit einer Live-Kamera wie eine Drohne über die Landschaft gefahren werde, weshalb alles viel realistischer dargestellt werden müsse als normalerweise. Nun beginnt Rock verschiedene Plastikbeutel auszupacken: kleine Brunnen, Strommasten, einen Kinderspielplatz und – „Bäumli“ – eine Packung Tannen und eine Packung „Frühlingsbaumsortiment“. Alles in der ModellbahnStandardgrösse H0.
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17:20
Auf dem Rückweg vom Malsaal in die Requisite erklärt mir Rock, dass seine Arbeit nicht nur kreativ und vielfältig ist: Der mit Abstand grösste Zeitaufwand versteckt sich hinter einer Aufgabe, an die man im ersten Moment gar nicht denkt: die Reinigungsarbeiten. Rock ist oftmals nach den Vorstellungen der letzte, der noch putzt, aufräumt und das Licht löscht. Oft wird ausserdem gar nicht wahrgenommen, was die Requisite alles macht. Eine Bühne voll Abfall wie bei „Kasimir und Karoline“ aus der letzten Saison wird von der Requisite nicht nur eingerichtet; der sogenannte Abfall wird auch eigens angefertigt. Die verschmierten McDonalds-Packungen sind alle von Hand gemacht, wie auch der Senf und das Ketchup. Das schönste Kompliment ist, wenn die Sachen so realistisch aussehen, dass sich die Leute ekeln oder gar Bedenken wegen des möglichen Gestanks haben. Einmal fiel eine von Rock gebastelte Schildkröte, die per Fernsteuerung über die Bühne lief, so realistisch aus, dass am nächsten Tag der Tierschutz vor der Tür stand!
Rock sieht sich hinter der Bühne auch als eine Art „Seelsorger“ – Ansprechpartner für die Schauspieler, die ihn häufig als letzte Person sehen, bevor sie den Schritt auf die Bühne machen. Hier kriegt er schon auch mal ihr Lampenfieber mit. Die Schauspieler schätzen Rock für seine Authentizität: „Ich bin wie ich bin und nehme kein
Blatt vor den Mund.“ Rock mag vor allem die Atmosphäre hinter der klassischen Pfauenbühne, wo der Requisitenraum direkt neben dem Aufgang zur Bühne eingerichtet ist. „Du bist direkt am Theater dran und kannst fühlen, wie es lebt!“ 17:35
Wir sind wieder zurück im Büro der Requisite. „Am besten gefällt mir an der Arbeit das Tüfteln und Erfinden“, meint Rock. Ausserdem findet er die Vielseitigkeit spannend: schreinern, schlossern, schweissen, nähen, tapezieren, modellieren, malen, abgiessen. Von jedem Beruf muss man ein bisschen etwas können. Requisiteure sind die Allrounder des Theaters! Ich möchte von Rock wissen, worin die Kreativität der Arbeit als Requisiteur besteht. Ganz pragmatisch meint er, das käme auf den Bühnenbildner an. Einige haben ganz exakte Vorstellungen, andere lassen ihnen viel Freiheit. Die Requisiteure sind aber keine Künstler im klassischen Sinn. Die Objekte müssen vor allem eins sein: funktional. Die eigentliche kreative Arbeit des Requisiteurs ist nach Rocks Ansicht nicht die kunstvolle Anfertigung von Gegenständen, sondern der Einfallsreichtum und die Kreativität bei der Umsetzung der Anforderungen und der Grundidee des Bühnenbildners. Die Herausforderung besteht darin, etwas, das anfangs unmöglich erscheint, doch hinzukriegen – „Geht nicht gibt’s nicht!“
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SCHIFFBAUFEST Als DJ Rock Gitano verführt Rock Battaglia mit seinem brodelnden Potpourri aus Gypsy, Punk, Disco, Rap, Klezmer, Rumänien Swing, Greek Hotstep und Drum’n’Bass zur langen Partynacht. 24. Oktober, Schiffbau, 15:30 Türöffnung, ab 16:00 inszenierte Führungen, Versteigerung und Konzerte, ab 24:00 Party im Moods. Eintritt frei. www.schauspielhaus.ch/schiffbaufest
Bert Neumann beim Aufbau seines Bühnenbildes zu „Love/No Love“ von René Pollesch im April 2015 in Zürich
„Der erste Autor eines Theaterabends ist der Bühnenbildner.“ Ende Juli ist der Bühnenbildner und Ausstattungsleiter der Berliner Volksbühne Bert Neumann im Alter von 54 Jahren gestorben. Mit seinen Bühnenbildern hat er in Zusammenarbeit mit den Regisseuren Frank Castorf und René Pollesch die Theatersprache einer ganzen Generation geprägt, wenn nicht revolutioniert. Er verbaute regelmässig die „vierte Wand“, hängte ganze Schiffe, Flugzeuge oder Orkas unter die Bühnendecke. In seinem letzten Zürcher Bühnenbild liess er in einer Art Bildrauschen 10’000 schwarze Bälle aus der Decke fallen. Mit seinen konkreten Räumen, die immer auch die Produktionsbedingungen des Theaters kritisch reflektierten, schaffte er Orte, die Schauspieler „temporär bewohnen“ sollten. Im April 2015 – er probte gerade in Zürich René Polleschs „Love/No Love“ – erhielt Bert Neumann den Hein-Heckroth-Bühnenbildpreis. Zu diesem Anlass schrieb René Pollesch die Laudatio, aus der wir in Erinnerung an Bert Neumann einen Ausschnitt abdrucken. → 43
Liebster Bert! Das berühmteste Theaterlogo, das es je gegeben hat, stammt von dir. Dass wir an der Volksbühne mit Video arbeiten, liegt daran, dass du irgendwann anfingst, geschlossene Räume oder sogar ein ganzes Haus auf die Bühne zu stellen, und uns damit einen ganz konkreten Grund geliefert hast, eine Kamera in die Hand zu nehmen: Es war einfach die einzige Lösung, dem Publikum zu zeigen, was in seinem Inneren vorgeht. Diese Idee stammt also auch von dir. Und sie berührt auch das, was man vor allem sein kann in deinen Bühnenbildern: konkret. Wenn es einen Künstler gibt, den ich uneingeschränkt verehre, dann bist du es. Jeder Raum, den du gebaut hast, erzählt diese Autonomie, lieber Bert. Und lässt einen an der eigenen Autonomie bauen. Und es geht dabei nicht um einen unbändigen Gestaltungsdrang, sondern um die Etablierung der eigenen Praxis, um das Umgehen einer herrschenden und hierarchisierenden Praxis. Deshalb und nur deshalb macht man ein Theater, man macht es völlig neu. Nicht aus Originalitätsgründen, sondern um die Parameter so zu verändern, dass man arbeiten kann. Deshalb kann man sagen, dass man es gemacht hat, also im vollsten Sinne: Man hat die Volksbühne gemacht. Nicht weil man einfach da drin rumgewerkelt hat, sondern weil alle dort die Parameter verändert haben. Es war das Material. Das war der Unterschied. Während die Theater in Samt und Seide dahin mufften oder sich Theaterkritiker hässlichen Tapeten hingaben, weil die zu dem trashigen Milieu transzendierten, das die Regie im Sinn hatte, standen in deinen Räumen nie Dinge herum, die man nicht gerne anfasst. Jetzt könnte man sagen, aber das Publikum kriegt doch nichts davon mit, aber wir Materialisten kennen wenigstens eine garantierte Wirkung des Spiels, nämlich die, die es auf die Körper der Spieler hat. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis, liebster Bert. Sehr liebe Grüsse an deine Frau Lenore Blievernicht, an Leo, deinen Sohn. Vielen Dank, liebste Sophie. Die beiden Menschen, von denen ich am Theater am meisten gelernt habe, sind heute hier im Raum. Die Laudatio wurde am 26. April 2015 im Stadttheater Giessen von Sophie Rois gehalten.
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Bert Neumann entwarf für Zürich die Bühnenbilder zu René Polleschs Inszenierungen „Fahrende Frauen“ (2011), „Love/No Love“ (2015) und „Herein! Herein! Ich atme Euch ein!“ (2014) – letzteres ist hier abgebildet.
45 Fotos: Doris Fanconi; Mat thias Horn
Szenen aus dem
Repertoire A
Nur am
17. /18 . Novem ber !
C A
B
DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE von Jean-Paul Sartre / Regie Stefan Pucher Mit Robert Hunger-Bühler, Henrike Johanna Jörissen, Isabelle Menke, Johannes Sima, Milian Zerzawy, Jirka Zett B DIE SCHÖNSTEN STERBESZENEN IN DER GESCHICHTE DER OPER von Alvis Hermanis / Regie, Bühne und Kostüme Alvis Hermanis Mit Hilke Altefrohne, Gottfried Breitfuss, Rita von Horváth, Isabelle Menke, Friederike Wagner, Milian Zerzawy, Jirka Zett C A1 – EIN STÜCK SCHWEIZER STRASSE von Mike Müller, Tobi Müller und Rafael Sanchez / Regie Rafael Sanchez Mit Markus Scheumann, Michael Neuenschwander, Mike Müller D FRATELLI nach Carmelo Samonà / Regie Antonio Viganò Mit Fabian Müller, Silvan Kappeler E DREI SCHWESTERN von Anton Tschechow / Regie Barbara Frey Mit Hilke Altefrohne, Christian Baumbach, Stefan Kurt, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer, Johann Adam Oest, Sylvie Rohrer, Nicolas Rosat, Siggi Schwientek, Friederike Wagner, Milian Zerzawy
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D
E
Junges Schauspielhaus
„Warum ist die Katze grün ... von Elise Wilk
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DIE GRÜNE KATZE
von Elise Wilk, aus dem Rumänischen von Ciprian Marinescu und Frank Weigand
Fotos: T+T Fotografie (5); Matthias Horn; Raphael Hadad
Regie Enrico Beeler Mit Joachim Aeschlimann, Matthias Britschgi, Lotti Happle, Aaron Hitz, Sibylle Mumenthaler, Anna Schinz
… und nicht blau oder lila oder gelb?“ Die Frage, die von einem Mädchen während eines Publikumsgesprächs am Jungen Schauspielhaus Zürich kam, war die schwerste von allen. Eben deshalb, weil ich auch heute nicht darauf antworten kann. Warum schreibt ein Schriftsteller? Woher kommen seine Ideen? Warum habe ich an einem Julinachmittag in einer Pizzeria der rumänischen Stadt Târgu Mureș Dani, Bianca und Boogie erfunden? Warum hatte ich ein paar Stunden zuvor eine Katze auf einem Dach gesehen und mir vorgestellt, sie wäre grün?
Vier Jahre sind seit dem Julinachmittag vergangen. Aus der Idee mit der grünen Katze wurde inzwischen ein mehrmals inszeniertes und in sechs Sprachen übersetztes Theaterstück. Die deutschsprachige Erstaufführung am Jungen Schauspielhaus Zürich in der Regie von Enrico Beeler konnte ich im Juni 2015 miterleben. Als Theaterautorin bei einer Aufführung deines Stückes dabei zu sein, kann entweder eine Qual sein oder ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Ich wünsche jedem Autor das Gefühl, das ich während der Aufführung in Zürich hatte. Die Geschichte wurde von den sechs SchauspielerInnen so dynamisch und spannend erzählt, dass ich den Eindruck hatte, sie noch nie zuvor gehört zu haben. Während der Aufführung gab es Momente, in denen ich vergessen hatte, dass ich mir mein eigenes Stück anschaue. Als ich „Die grüne Katze“ geschrieben habe, wollte ich ein Stück über die Kraft der Fantasie schreiben. Ich wollte eine Liebesgeschichte schreiben. Ich wollte eine Geschichte über junge Leute schreiben, die in einer rumänischen Kleinstadt wohnen. Es könnte aber genauso gut die Geschichte von jungen Leuten sein, die in Zürich wohnen. Oder in jedwelcher anderen Stadt der Welt. Das habe ich in Zürich erfahren. Und dafür bin ich dankbar. Während der Publikumsgespräche und der Diskussionen mit dem Team der „grünen Katze“ in Zürich war ich überrascht, dass die Leute in meinem Text Sachen entdeckt haben, an die ich nicht einmal gedacht habe, während ich das Stück schrieb. Das war auch eine Bereicherung. „Wenn du dir etwas lang genug vorstellst, beginnt es zu existieren“, sagt Dani im Stück. Bei ihm hat es drei Jahre gedauert, bis sie erschienen ist. Bei mir auch. Die grüne Katze habe ich mir zum ersten Mal im Jahr 2011 vorgestellt. Drei Jahre danach, im Dezember 2014, wurde eine grüne Katze in Varna, an der bulgarischen Schwarzmeerküste, weniger als 100 Kilometer von Rumänien entfernt, gesichtet. Die Nachricht ging um die Welt. Die Katze war grün. Nicht blau oder lila oder gelb. Genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. 47
EIN TEIL DER SCHAUSPIELHAUSFAMILIE Nicole Müller ist Präsidentin der Gesellschaft der Freunde des Schauspielhauses (gfs), die in diesem Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum feiert. 1940 wurde die gfs von einer Gruppe engagierter Bürger gegründet. Der Verein half damals mit, das Schauspielhaus während des Zweiten Weltkrieges vor dem Konkurs zu bewahren. Bis heute begleitet die gfs das Theatergeschehen am Schauspielhaus aktiv und engagiert. Was das genau heisst, verrät die Präsidentin Nicole Müller in einem Gespräch.
Wer ist die gfs heute, wer sind ihre Mitglieder? Die gfs ist ein Verein für passionierte Theatergänger, also für Menschen, die regelmässig ins Theater gehen. Wie der Name schon sagt, sind wir Freundinnen und Freunde des Schauspielhauses. Konkret bedeutet dies, dass uns Regisseure als Testpublikum in eine Probe einladen können oder uns auch einmal als Statisten einsetzen bei den Proben. Zudem bieten wir Veranstaltungen wie zum Beispiel Gespräche und Theaterreisen an. Das Besondere an der gfs ist die historische Dimension des Vereins. Die Mitglieder verfolgen das Theater schon lange – sie haben den „Besuch der alten Dame“ vielleicht schon in vier verschiedenen Inszenierungen erlebt, 48
auch ausserhalb der Schweiz. Es gibt Mitglieder, die „Die Physiker“ 1962 noch mit Therese Giehse als Claire Zachanassian gesehen haben. So ein Hintergrundwissen belebt natürlich die Diskussionen. Ich mache häufig die Erfahrung, dass man selbst im Freundeskreis kaum Leute trifft, die das gleiche gesehen oder erlebt haben – das kulturelle Angebot in Zürich ist inzwischen ja sehr gross. Wenn man mit der gfs gemeinsam zu einer Probe geht, ist das natürlich anders. Danach wird bei Suppe und Wein rege und differenziert diskutiert. Ich schätze das sehr. In der öffentlichen Diskussion dominiert die „Daumen-hoch, Daumenrunter“-Kultur. Dem wollen wir bei der gfs etwas entgegensetzen. Was ist für Sie persönlich die Faszination am Theater? Wie ist sie entstanden? Ich selbst bin spät zum Theater gekommen. Ich war schon 30 Jahre alt, als ich begann, ins Theater zu gehen. Schlüsselerlebnisse waren für mich die Inszenierungen von Ariane Mnouchkine in Paris. Ebenfalls wichtig waren für mich Castorf und die Marthaler-Ära.
Mit Barbara Frey haben wir erneut eine interessante Intendantin und Regisseurin am Schauspielhaus. Ihre Inszenierung „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ kürzlich hat mich unglaublich begeistert. Toller Text, phantastisches Bühnenbild und dann diese Figur, die nichts spricht und die gerade deshalb zur Projektionsfläche für die Abgründe der anderen wird. Wen ich noch nicht erwähnt habe: Jelinek ist für mich eine wichtige Referenz. Am Schauspielhaus ist ja noch immer „Rechnitz (Der Würgeengel)“ mit der grandiosen Isabelle Menke zu sehen. Was mich am Theater fasziniert, ist dass man ganz direkt und sinnlich in einer Tradition steht und an andere Epochen anknüpft. Mit jedem Shakespeare schwingen Jahrhunderte von Spielpraxis mit, das beeindruckt mich immer wieder. Theaterstücke sind eigentlich kleine Erregungsfelder für neue Interpretationen von menschlichexemplarischen Stoffen. Die gfs wurde 1940 gegründet, um zu helfen, den damals gefährdeten Weiterbestand des Schauspielhauses zu sichern. Ist diese Geschichte im Verein sehr präsent? Manchen mehr, manchen weniger. Es gibt Mitglieder, deren Familien schon in der dritten Generation dabei sind! Diese wissen natürlich Bescheid. Ich freue mich aber, dass es dem Vorstand gelungen ist, zum 75. Geburtstag eine Publikation vorzubereiten, welche die Geschichte des Vereins zusammenfasst und die bisherigen Preisträger der „Goldenen Maske“ nochmals vorstellt. Seit 1996 vergibt die gfs jedes Jahr zwei Auszeichnungen für herausragendes Theaterschaffen. Und die gfs fördert auch jedes Jahr eine Produktion gezielt mit einem grosszügigen Betrag aus der Vereinskasse … Ja, im letzten Jahr war das die Arbeit „Bartleby, der Schreiber“ in der Regie von Mélanie Huber – die Inszenierung wurde auch zum Schweizer Theatertreffen eingeladen. Dieses Jahr fördern wir die Inszenierung „Andorra“ des ebenfalls jungen Regisseurs
Fotos: z vg; T+T Fotografie
Wenn Testpublikum gebraucht wird, steht die gfs für Probenbesuche zur Verfügung. Hier bei den Endproben von „Frühstück bei Tiffany“ mit Nils Kahnwald.
Bastian Kraft. Im Vergleich jedoch zu Sponsoren, Stiftungen und Förderern ist unser Beitrag eher bescheiden. Im Vordergrund steht vor allem die Freundschaft zum Haus. Wir sind gewissermassen Teil der Schauspielhausfamilie.
GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES SCHAUSPIELHAUSES
gfs
In der Inszenierung „Frühstück bei Tiffany“ letzte Spielzeit wurden in einer Szene Zuschauer auf die Bühne eingeladen. Das wollte der Regisseur vorher testen und hat euch daher auf die Probe eingeladen. Wie erlebt ihr diese Begegnungen?
Das sind Highlights. Die Freundinnen und Freunde lieben ihre Schauspieler und Schauspielerinnen; fast jeder hat „seine“ Spieler, deren Arbeit er besonders intensiv verfolgt. Die Begegnungen mit Regisseuren und Schauspielern nach Vorstellungen oder Proben schätzen die Freunde daher ganz besonders. Freuen Sie sich auf eine Produktion der kommenden Saison besonders? Ja! Ich freue mich sehr auf die Produktion „Meer“ in der Inszenierung von
Barbara Frey. Diesmal arbeitet sie zusammen mit der Bühnenbildnerin Muriel Gerstner, die ich schon aus Kindertagen kenne und für eine der besten Bühnenbildnerinnen Europas halte. Und die beiden dann mit einem neuen Text von Jon Fosse – das wird auf jeden Fall spannend! Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass Barbara Frey und Muriel Gerstner bei der gfs für ein exklusives Gespräch zu Gast waren.
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Als Mitglied der gfs profitiert man von Probenbesuchen, Werkstattbesichtigungen, exklusiven Gesprächen, Festen und Theaterreisen. Auf reguläre Karten der RepertoireVorstellungen erhalten gfs-Mitglieder 20% Rabatt. Kontakt freunde@schauspielhaus.ch Telefon +41 44 258 72 06 Im Jubiläumsjahr der gfs findet die Verleihung der „Goldenen Maske“ am 1. November 2015 um 12:15 Uhr öffentlich im Schiffbau statt.
BEFREUN DET MIT STARS Näher bei den Stoffen, näher bei den Stars: Werden Sie Mitglied bei der Gesellschaft der Freundinnen und Freunde des Schauspielhauses!
Bitte beachten Sie die gfs-Anmeldekarten im Foyer. Informationen T 044 258 72 06
In memoriam
Peter Löffler,
1926 in Zürich geboren, war ab 1950 unter Direktor Oskar Wälterlin als Dramaturg und Regisseur am Schauspielhaus Zürich tätig, zwischen 1962 und 1965 als stellvertretender Direktor und Chefdramaturg. Für die Spielzeit 1969/70 wurde Peter Löffler Direktor. Er engagierte daraufhin u. a. Max Peter Ammann als Oberspielleiter, Peter Stein als Regisseur und Edith Clever, Jutta Lampe, Bruno Ganz und Tilo Prückner als Schauspieler. Viele der Premieren sorgten für Aufregung; Peter Steins deutschsprachige Erstaufführung von Edward Bonds „Early Morning“ geriet schliesslich zum Skandal. Peter Löffler verliess das Haus nach nur einem Jahr als Direktor. Peter Löffler ist am 30. Juli im Alter von 88 Jahren verstorben. Er war ein mutiger und visionärer Künstler, der in seiner kurzen Amtszeit am Schauspielhaus Menschen nach Zürich holte, die in den folgenden Jahrzehnten das deutschsprachige Theater prägen sollten. Er wird uns unvergessen bleiben. Ab dem 17. Oktober werden im Pfauenfoyer in Erinnerung an Peter Löffler eine Auswahl von Aufführungsbildern aus seiner Intendanz zu sehen sein.
Ruedi Häusermanns Einbildungen
Peter Arens, 1928 in Freiburg im Breisgau geboren, hatte als Schauspieler Engagements u.a. in München, Hamburg, Wien, Düsseldorf, Berlin, am Opernhaus Zürich, an den Salzburger Festspielen und den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Im Jahr 1961 kam Peter Arens ans Schauspielhaus Zürich, wo er bis 2007 in über 90 Rollen auf der Bühne zu erleben war. So spielte er u.a. die Titelrolle in Camus’ „Caligula“ (1961, Regie Werner Düggelin), den Brick in Tennessee Williams’ „Die Katze auf dem heissen Blechdach“ (1965, Regie Werner Düggelin) oder den Doc bei der Uraufführung von Dürrenmatts „Die Mitmacher“ (1973, Regie Andrzej Wajda/Friedrich Dürrenmatt). Neben seiner Tätigkeit als Schauspieler war Peter Arens auch als Regisseur am Schauspielhaus Zürich tätig. Am 25. August ist Peter Arens im Kreise seiner Familie verstorben. Mit ihm verliert das Schauspielhaus Zürich einen grossen Schauspieler und wunderbaren Menschen. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Freunden.
≈ Calligramme
Impressum journal
Als Kind wollte ich immer mal nachts im Supermarkt eingesperrt sein, um genug Zeit zu haben, diverseste Dinge zu kosten. Neulich erging es mir so in der Buchhandlung Calligramme, wo es auf etwa 50 m 2 an allen Ecken und Enden von Büchern wimmelt. Die reizende Ladenbesitzerin, eingebettet in Bücherstapel, Zigarettennebel und vor einer mit Zeitungsartikeln beklebten Wand sitzend, war sehr besorgt und scheuchte ihre Mitarbeiter noch kurz vor Ladenschluss umher, um dafür zu sorgen, dass das Schaufenster schön bestückt ist. Leider gab es zu wenig Zeit zum Stöbern – allein schon die grosse Auswahl an diversen Kunst- und Fotografiebänden! Fazit: Man möchte eigentlich die Probe schwänzen und aus dem Laden gar nicht mehr rausgehen. Ab in die Häringstrasse 4 im Niederdorf! Marie-Luce Theis, Bühnenbildassistentin
Oktober / November / Dezember 2015 Redaktionsschluss 15. September 2015 Abonnement Das Journal erscheint 3x jährlich und kann gegen einen Unkostenbeitrag von 12 Franken pro Jahr unter www.schauspielhaus.ch abonniert werden. Herausgegeben von der Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5, 8032 Zürich Intendanz Barbara Frey Redaktion Christine Ginsberg (Bildredaktion), Andreas Karlaganis, Gwendolyne Melchinger, Irina Müller, Sandra Suter, Karolin Trachte (Redaktionsleitung) Korrektorat
≈ Ort der Stille Den Friedhof besuche ich in jeder Stadt, in der ich bin. Er ist Geschichte und damit Teil einer Identität des Landes, der Stadt. Zudem sind Friedhöfe meist Orte der Stille, die Zeit vergeht dort anders. Auf dem Friedhof Sihlfeld (auch der Zürcher Centralfriedhof genannt) sind es Menschen wie Johanna Spyri, Gottfried Keller, Henry Dunant, die begraben wurden. Auf dem Friedhof Fluntern am Waldesrand ruhen Therese Giehse, James Joyce und ihm gegenüber, auf seinen Wunsch, der Schriftsteller Elias Canetti – der den Tod übrigens für ein Skandalon gehalten hat. Oder ich gehe hinauf auf den Zürichberg zu Georg Büchner mit dem schönen Blick über die Stadt und lege eine Johanna Grilj, Referentin der Intendantin Blume aufs Grab.
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Johanna Grilj, Daniela Guse, Annika Herrmann-Seidel, Irina Müller, Sandra Suter Gestaltung Büro Destruct / Caroline Grimm Druck Speck Print AG, Baar Auflage 15’000 Das Journal wird unterstützt von der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung.
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JAHRE
! E X K L U S IV
VERSTEIGERUNG VON THEATEROBJEKTEN
SCHIFFBAU
16:30 SC HIFFBAU - FOYER
TÜRÖFFNUNG AB 15:30
SCHAUSPIEL
HAUS BAND FUNK UND MEHR MOODS, 18:0 0
SCHALLACK O KTO B E R 2 015
GYPSY/ PUNK / DISC O, MOODS, AB 24:00
WILLKOMMEN,
HEREIN !
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P OLK APUNK / GYPSYDISKO MOODS, 22: 30
H RU N G EN ! IN SZ EN IE RT E FÜ FA NTASTISC HE IRRWEGE DUR C H DIE VER BORGENEN EINGE WEIDE DES SC HIFFBAUS. FÜR ERWAC HSENE , K INDER UND FAMILIEN. AB 16:00
Par tner des Schauspielhauses Zürich
Par tnerin des Moods
JA Z Z / MUNDAR T / SWING MOODS, 20 : 30