Schauspielhaus Zürich - Journal #7

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journal

Schauspielhaus Zürich

Januar 2016

Lessings Ringparabel in Zürich: ein Gespräch mit Imam Halilovic, Rabbiner Ebel und Pfarrer Sigrist

Kunst und Politik aus der Sicht von Monique Schwitter und Katja Brunner Gegen die eigene Bedeutungslosigkeit – Sibylle Berg über ambitionierte Männer in den besten Jahren

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Editorial

Liaison dangereuse von Barbara Frey

Wenn man davon ausgeht, dass allen Künsten das gemeinsame Begehren innewohnt, einer irgendwo verborgenen Wahrheit auf die Spur zu kommen, sie zu offenbaren und zu kommunizieren, ist es leicht verständlich, warum Politiker sich bisweilen gerne in der Nähe von Künstlern aufhalten oder aber sich gerade von ihnen distanzieren, um auf ihre eigene unbedingte Wahrheitssuche zu verweisen und im Kontext dessen die Künste und ihre Protagonisten schon mal als selbstbezogen, elitär und deshalb zur Wahrheitsfindung nicht tauglich zu bezeichnen. Es gibt ein Ungleichgewicht der gesellschaftlichen Forderung gegenüber der Kunst und der Politik, wenn es um den Austausch beider Sphären geht: Eher werden Künstler heutzutage unter dem Eindruck der verhängnisvollen Lage, in der sich die Welt befindet, gezwungen, „politisch“ zu sein, ihr Schaffen und ihre Werke „politisch“ zu denken und zu präsentieren, um sich moralisch legitimieren zu können – wobei nie ganz klar ist, was unter „politisch“ im künstlerischen Schaffenszusammenhang genau zu verstehen ist –, als dass man Politiker etwa unter Druck setzen würde, künstlerisch tätig zu sein. Politiker können aber in der öffentlichen Sphäre vom gesellschaftlichen Nimbus der Kunst profitieren: Sie können sich medienwirksam als Kunstliebhaber, Kunstexperten oder, im Falle der bildenden Kunst, als Kunstkäufer profilieren, wobei sich letztere in den Sphären des Marktes bewegen, der sich sozusagen selbst legitimiert und eigene Gesetze von „Qualität“ schafft, ohne notwendige Nähe zu den Künstlern selbst. Die politische Schweiz hat ein zwiespältiges Verhältnis zu den Künsten und ihren Exponenten. Es wird immer wieder gerne betont, dass man hierzulande Hierarchien ablehnt und sich stattdessen „pragmatisch“ auf Augenhöhe begegnet, um dem immerwährenden Bestreben nach Konsens Ausdruck zu verleihen; das verlangt unsere „Konkordanzdemokratie“, die bekanntlich unser Handeln wesentlich bestimmt und unseren vielgerühmten „Bürgersinn“ prägt. Dieser Umstand erschwert oder verunmöglicht gar, auf die Künste bezogen, eine Kultur der Verehrung und Huldigung, denn sie wäre ja sehr wohl hierarchisch geprägt: man müsste die singuläre Bedeutung einzelner Kunstschaffender und ihrer Werke eingestehen. Das funktioniert

bei den Toten besser als bei den Lebenden. Wer tot ist, kann schadlos bewundert und damit in einer jenseitigen Hierarchie nach oben, sozusagen in einen nicht mehr bestreitbaren Kanon befördert werden. Schwieriger ist es bei den Lebenden, denn sie stiften unter Umständen gern Unruhe und erweisen sich als unbequem, wenn sie sich explizit zur Politik äussern. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie das nüchterndistanziert oder mit polemischem Gestus tun, und es spielt auch keine Rolle, in welcher Kunstdisziplin sie tätig sind. Im Falle des – sehr erfolgreichen – Schweizer Schriftstellers Lukas Bärfuss, dem man seine Polemik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Lage der Nation äusserst übel genommen hat, war es interessant, zu beobachten, dass man ihn – in der Schweiz – reflexartig auch plötzlich als schlechten Schreiber erkannt haben wollte und damit als unbrauchbaren Künstler, der es im Übrigen niemals zur Meisterschaft eines Max Frisch bringen werde. Er musste also doppelt bestraft werden: man bescheinigte ihm mangelnde politische Analysefähigkeit und schlechte Schriftstellerei. Das ging sehr schnell; davor wurden seine politischen Kommentare ebenso gelobt wie seine vielfältigen literarischen Tätigkeiten als Dramatiker, Essayist und Romanschriftsteller. Das Ganze war nicht frei von Komik, zeigte aber eine paradoxe Situation: Man ist irgendwie stolz auf einen auch im Ausland erfolgreichen Repräsentanten des schweizerischen Kulturschaffens, aber man möchte die Kontrolle über ihn behalten, medial und politisch. Es wäre sehr einfach gewesen, mit Leichtigkeit, Eleganz, Humor – oder einem souveränen gedanklichen Gegenentwurf – zu reagieren, aber offenbar hat Bärfussens Attacke Angst ausgelöst, was sich hinter dem herablassenden Gestus mancher Entgegnungen nur mühsam verbergen liess. Die Angstreaktion allerdings spricht für kein allzu grosses politisches Selbstbewusstsein hierzulande. Und sie ist eine Bestätigung dafür, dass es weiterhin selbstverständlich sein muss, dass sich die Kunst in die Politik einmischt, damit sich diese nicht verbarrikadiert. Sonst wäre sie genau das, was so mancher Politiker eben der Kunst vorwirft: sie wäre elitär und selbstbezogen und damit weltabgewandt. Titelbild: „Himmel & Hölle“, Illustration Büro Destruct

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Auszüge aus dem Foto04 band „Weststrasse“ von Corina Flühmann

Halilovic, Rabbiner �0 Imam Ebel und Pfarrer Sigrist im Gespräch

die eigene Bedeu�6 Gegen tungslosigkeit – ein Beitrag von Sibylle Berg

offene Raum – �9 Der Gabriella Bußacker und

Jan Bosse zur Inszenierung von „Hexenjagd“

im Pfauen – 2� Prologe Geschichten von Flüchtlingen

Lukas Bärfuss 22 trifft Gret Haller und Jakob Tanner

Nachtstück – Ein Projekt von Barbara Frey und Fritz Hauser

Wolfram Lotz und 24 Autor Regisseur Bram Jansen im Gespräch

Szene – Gottfried Breit26 In fuss über die Schauspielerin Hilke Altefrohne

Kolumne von 28 Stefan Zweifel memoriam 29 In Werner Morlang Zeichnungen von 30 Giuseppe Reichmuth zu „piano forte“

und Politik 34 Kunst aus der Sicht von

Monique Schwitter und Katja Brunner

mit Dramaturgin 38 Schicht Gwendolyne Melchinger aus dem 4� Szenen Repertoire Theater mit 43 Ins Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger

ermöglichen 44 PatInnen ausländischen Jugend-

lichen Theaterbesuche

45 Theatercampus leben mit … , 46 Besser Impressum

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Soziodemografie. Porträtiert sind Männer, Frauen, Kinder, Junge, Alte – Schweizer und Personen ausländischer Herkunft – in ihrem jeweiligen Wohn- und Arbeitsumfeld im Quartier. Ergänzt wird die Arbeit durch Essays von Melinda Nadj Abonji und Charles Lewinsky. Beide Schriftsteller sind durch ihre Biografie mit der Weststrasse verbunden. Der Architekt und Journalist Caspar Schärer beleuchtet die städtebaulichen Hintergründe.

WESTSTRASSE Corina Flühmann Edition Patrick Frey, 2015, Broschiert, 236 Seiten, 219 Farbabbildungen, 191× 253 mm, CHF 68 ISBN 978-3-905929-72-0

Fotos: Corina Flühmann (6); Heftrückseite (1)

Mit dem Bau der Umfahrungsautobahn im Westen Zürichs konnten ganze Strassenzüge vom Transitverkehr befreit werden. Die Weststrasse wandelte sich im Nu vom einstigen „Auspuff der Nation“ zur Quartierstrasse und Begegnungszone, wo heute geradelt und spaziert wird. Acht Jahre lang dokumentierte die Zürcher Fotografin CORINA FLÜHMANN die rasante Gentrifizierung der Gegend mit ihrer Kamera. Entstanden ist ein wunderbares Künstlerbuch – eine präzise Schilderung Zürcher


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„WIR LERNEN WIEDER DAS MITEINANDER“ Imam Sakib Halilovic, Rabbiner Marcel Ebel und Pfarrer Christoph Sigrist zu Lessings Ringparabel und dem religiösen Miteinander in Zürich. Interview von Gwendolyne Melchinger und Andreas Karlaganis

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Welche ist die „wahre Religion“? Lessing fand vor dem Hintergrund der deutschen Aufklärung mit dem Märchen der Ringparabel eine Antwort. Darin wird der Streit von drei Brüdern um den einzig echten dreier gleich aussehender Ringe geschlichtet, indem das praktische Handeln zum Massstab für Echtheit erhoben wird. Wir trafen Imam Sakib Halilovic, Rabbiner Marcel Ebel und Pfarrer Christoph Sigrist zum Gespräch über ihre Sicht auf Lessings Ringparabel und die Beziehung zwischen Islam, Christentum und Judentum in Zürich.


In „Nathan der Weise“ geht es um die Frage nach Toleranz. Voltaire schreibt: „Was ist Toleranz? Sie ist Menschlichkeit überhaupt. Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern. Darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns unsere wechselseitigen Dummheiten verzeihen.“ Spätestens seit der Aufklärung steht Toleranz auf der Werteskala ganz oben und seit der Uraufführung von „Nathan der Weise“ 1779 gibt es sie als exemplarische Verkörperung auf der Bühne in Form der Figur Nathan. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach Toleranz leben?

„Die Frage lautet nicht mehr: Welche ist die richtige Religion? Sondern es gibt drei Religionen und jede hat ihre Richtigkeit.“ MARCEL EBEL

GWENDOLYNE MELCHINGER

Etwas anderes steht auch nicht in unseren Büchern. Dass wir von einer Erde stammen und einen gemeinsamen Vater und eine Mutter haben, kann man auch aus Voltaires Zitat herauslesen. Und wenn man in jedem Menschen Gottes Werk sieht, dann ist Toleranz schon vorhanden. Mehr bräuchte man dazu im Grunde nicht zu sagen.

SAKIB HALILOVIC

die Toleranz lebbar. Solange potenziell die Möglichkeit besteht, dass eine Religion die richtige ist, ist Toleranz sehr schwierig nachzuvollziehen. Wenn man hingegen sagt: alle drei Religionen sind richtig, jede auf ihre Art, dann wird man sich seiner eigenen Grenzen bewusst und auch der Grenzen des anderen – und kann so nebeneinander leben. Wenn man von den fundamentalen Kräften absieht, könnte man somit sagen, dass „Nathan der Weise“ im Hinblick auf die Toleranz von der Aufklärung her heute eingelöst ist. Es geht nicht mehr um drei verschiedene Religionen und die Frage, welche von ihnen die richtige ist, sondern die Frage heute lautet: Welche ist für mich richtig? Richtigkeit an und für sich haben alle Religionen. Das Thema heute ist die Identitätsfindung von mir im multikulturellen Umfeld von Zürich. Und das ist ein Aneignungsprozess. Die Prägungen, die es bei Recha von verschiedenen Seiten her gibt, sind natürlich bei uns auch da.

CHRISTOPH SIGRIST

Ich habe Mühe mit dem Wort Toleranz. Es kommt vom Lateinischen „tolerare“, also von „dulden“. Das heisst: zu einer Fliege kann ich sehr tolerant sein, solange sie in einer Zimmerecke herumfliegt, aber wenn sie mich dauernd nervös macht, dann werde ich irgendwann mal einen Fliegenklopfer nehmen. In diesem Zusammenhang gefällt mir das Wort „akzeptieren“ viel besser. Den Menschen, also mein Gegenüber, muss ich so akzeptieren, wie er ist. Das liegt eine Stufe höher als tolerieren.

MARCEL EBEL

Toleranz in Zürich leben heisst – wenn ich Sakibs Worte der Gottebenbildlichkeit zuspitze –: den Respekt nicht verlieren vor Andersdenkenden und Andersglaubenden. Und Respekt kommt von „respicere“, zurückschauen, also den Respekt gewinnen, wenn man einander ins Gesicht schaut und nicht den Rücken kehrt. Der andere wird so in seiner differenzierten Andersheit erkannt. So wird die Differenzerfahrung in den Toleranzbegriff integriert. Der Toleranzbegriff wird leer, wie auch der Begriff der Nachhaltigkeit oder der Demokratie oder der des Volkswillens, wenn er instrumentalisiert wird für die eigenen Zwecke. Und der Toleranzbegriff wird immer dann instrumentalisiert, wenn man meint: Ja, ich bin schon tolerant ihm gegenüber, aber bitte bleib so, wie ich es will. Und so bin ich überzeugt, dass „Nathan der Weise“ heute ein wichtiges Stück für uns geworden ist.

CHRISTOPH SIGRIST

Recha, die Ziehtochter von Nathan, vereint drei Religionen in sich. Ihr Vater war ein Muslim, der zum Christentum konvertiert ist, die Mutter eine Christin und Nathan wiederum hat sie im jüdischen Glauben aufgezogen. Was bedeutet es, wenn Menschen unterschiedliche Religionen in sich tragen?

GWENDOLYNE MELCHINGER

Ich denke, man muss „Nathan der Weise“ auch in den historischen Kontext setzen. Das Stück war zu seiner Zeit revolutionär. Gemischte Religionen, das war etwas, das man nicht gekannt hat. Heute sind wir doch immerhin schon einige Schritte weiter. Man merkt es zwar nicht immer, aber es ist doch hoffentlich so. Die Frage lautet eigentlich nicht mehr: Welche ist die richtige Religion? Sondern es sind drei Religionen und jede hat ihre Richtigkeit. Da wird

MARCEL EBEL

Es leben in der Tat viele Leute in vielen verschiedenen religiösen Formen. Aber reden wir auf der akademischen Ebene oder reden wir vom Alltag? Auf dem Balkan haben die Religionen 500 Jahre gemeinsam gelebt. Jedoch hat man nebeneinander gelebt. Die Frage hier und jetzt ist eine andere: wir sind einander in den Städten viel näher. Wir teilen heute Arbeitsplätze, Schulen, Verkehr, alles Mögliche. Wie erleben das die Menschen?

SAKIB HALILOVIC

Wenn man nach der Ursache des nicht mehr Nebeneinanders, sondern Miteinanders fragt, dann ist das letztendlich die Säkularisierung. Durch die Säkularisierung der Gesellschaft ist der Unterschied zwischen den Religionen heute eigentlich fast hinfällig. Wenn ich an nichts glaube und mein Gegenüber an nichts glaubt, dann haben wir schon wieder etwas gemeinsam und zwar das, was uns eigentlich verloren gegangen ist irgendwo auf dem Weg der Aufklärung.

MARCEL EBEL

Da vertrittst du, glaube ich, einen anderen Säkularisierungsbegriff als ich. Der Säkularisierungsbegriff ist die Frucht von „Nathan der Weise“. Und von daher glaube ich eben nicht, dass ein säkularer Mensch nichts glaubt, sonst würde er nicht in die Kirchen, Moscheen oder Synagogen gehen, wenn er als Tourist irgendwo ist. Ich würde eher sagen, die Autonomie hat alle drei Religionen in einen neuen Raum hineingezogen. Und in diesem neuen Raum lernen wir erst jetzt – erst jetzt! – die Ringparabel richtig zu erkennen, weil wir in der Tat gezwungen sind, das Nebeneinander zu leben und einzuüben in einem Modell des Miteinanders. Zum Beispiel bei Katastrophen. Paris hat uns gezwungen, miteinander in einem christlichen Gottes- →

CHRISTOPH SIGRIST

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dienst überhaupt zusammen zu sein. Das wäre vor zwanzig, dreissig Jahren gar nicht denkbar gewesen.

SAKIB HALILOVIC

Ist das nicht etwas Abstraktes? Hängt das nicht auch davon ab, dass der Christoph Sigrist mich angerufen hat und nicht irgendein anderer Pfarrer?

CHRISTOPH SIGRIST

Jetzt sind wir bei einem ganz wichtigen Teil, den „Nathan der Weise“ einlöst: Wir sind doch Schwestern und Brüder geworden durch Freundschaft, durch den Weg, den wir miteinander gegangen sind.

SAKIB HALILOVIC

MARCEL EBEL

CHRISTOPH SIGRIST

Wahrscheinlich hätte sie das, aber durch das Minarettverbot kann sie nicht so wirken. (Gelächter) Okay, da hast du recht: Das Minarettverbot ist ein Schlag ins Gesicht von „Nathan der Weise“. Eindeutig. Das finde ich auch. Diese Vorgänge haben mich geprägt. Deswegen ist es in meinen Augen ein frommer Wunsch. Was du sagst, funktioniert nicht überall. Wenn ich das noch anfügen darf: In Sizilien wurden über Jahrhunderte Moscheen und griechische Tempel in Kirchen, dann in Moscheen und wieder in Kirchen umgebaut und umgewandelt. Das heisst, wir hatten auch schon vor der Aufklärung Zeiten, wo der Toleranzgedanke, schon viel stärker prägend war als in der heutigen Zeit.

CHRISTOPH SIGRIST

Die Antwort, die Nathan gibt, ist hoffentlich eine sehr heutige. Dass nämlich diejenige die wahre Religion ist, die sich im menschlichen Handeln beweist. Damit zeigt Nathan ganz deutlich, dass jede der Religionen die wahre sein kann und dass gutes menschliches Handeln im besten Falle weitere gute Taten mit sich bringt. Ist das nun eine logische Konsequenz oder eher ein frommer Wunsch? Nathan ist auch ein Stratege. Er findet eine Geschichte, mit der er antworten kann, und es gelingt ihm auch, sich damit aus der Affäre zu ziehen.

GWENDOLYNE MELCHINGER

Es ist eine typisch „säkularisierte“ Frau, die das so fragt. Und zwar aus der Kunstszene des Schauspielhauses. Nein, Spass beiseite, da rede ich für uns alle drei, denn es ist unser gemeinsames jüdisches Erbe; das ist überhaupt kein frommer Wunsch, sondern Religion pur. Das kennen wir vom Bundesgesetz her, das wissen wir vom Matthäusevangelium, Kapitel 25, und der zentrale Satz dort steht so auch im Koran: „Ich war fremd und ihr habt mich besucht.“ Wir haben alle religiöses Empfinden inhärent. Das heisst: Gutes tun. Das ist die Würde des Selbstverständlichen, die in der Schöpfung von Gott angelegt ist und dem Menschen praktisch in die DNA hineingeschrieben wird. Und es kann nur ein Säkularisierter so fragen, weil er schon distanziert ist von der Wurzel der Religion. (zu seinen Kollegen) Habe ich recht oder ist das falsch?

CHRISTOPH SIGRIST

Jein. Ich würde Frau Melchinger auch ein bisschen zustimmen. Es ist in gewissem Sinne ein frommer Wunsch. Religion steckt per se auch in der Arbeit.

SAKIB HALILOVIC

Aber meinst du nicht, dass das Minarett wie die Synagoge und auch der Kirchturm praktisch für alle in der Gesellschaft Symbole dafür sind, dass wenigstens an diesen Orten der „fromme Wunsch“ notwendigerweise umgesetzt wird? Meinst du nicht, dass das eine solche Wirkung hat, die Moschee zum Beispiel?

CHRISTOPH SIGRIST

CHRISTOPH SIGRIST ist Pfarrer am Grossmünster

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Wir können diese Frage in Zürich sehr wohl schöngeistig diskutieren. Aber wenn man sich anderswo umschaut, sieht man schon, dass die Dominanz der einen oder anderen Kirche und Religion eine ganz andere Bedeutung hat. Das muss man schon auch sehen. Wir leben geschützt unter einer schönen Käseglocke und wir leben gut hier. Aber es ist nicht das, was draussen, im Rest der Welt existiert.

MARCEL EBEL

Ich glaube, dass Zürich mit seinen 400 000 Einwohnern in den letzten zwanzig Jahren in einen neuen Toleranzraum gerutscht ist, weil die reformierte Kirche Minderheit geworden ist und die katholische auch. Das heisst, ich bin in dasselbe Boot gestiegen wie ihr auch. Und das ist für mich als reformierter Zürcher ein ganz schwieriger Prozess. Als ich in den 60er Jahren aufgewachsen bin, gabs nur die Reformierten und die Juden in Zürich Enge. Und sonst gabs nichts.

CHRISTOPH SIGRIST

MARCEL EBEL

Ja, natürlich.

Wir sind ein Konglomerat von religiösen Minderheiten geworden. Die systemtheoretische Ausdifferenzierung von Niklas Luhmann hat sich durchgesetzt. Wir sind wieder Schwestern und Brüder geworden, weil wir alle im selben Boot sitzen – auch ich als Reformierter. Das ist für mich ein schwieriger Aneignungsprozess.

CHRISTOPH SIGRIST

Das Wort Prozess ist in dem Zusammenhang sehr wichtig. Wenn man Ideale erreichen möchte, dann sollte man sich in einen Prozess begeben, um einen stän-

SAKIB HALILOVIC

MARCEL YAIR EBEL, geboren in Zürich, ist

SAKIB HALILOVIC, eingebürgerter Bosnier, ist

und Privatdozent für Diakonie-

Rabbiner der Israelitischen

Imam des islamisch-bosnischen

wissenschaft an der Theolo-

Cultusgemeinde Zürich (ICZ).

Zentrums in Schlieren, Zürich.

gischen Fakultät der Universität

Er machte die Ausbildung

Er studierte Theologie an der

Bern. Ausserdem ist er Parla-

zum Rabbiner in den

Fakultät für Islamische Wissen-

mentspräsident des Zürcher

USA mit Zusatzausbildung

schaften in Sarajevo und an der

Spendenparlaments, Präsident

zum Gemeinderabbiner.

ZHAW Winterthur. An vielen Orten

des Zürcher Forums der

Seit 1992 ist er für die

engagiert sich Halilovic im inter-

Religionen und Mitglied in

ICZ in verschiedenen

religiösen Gespräch und er ist Mit-

verschiedenen diakonischen

Funktionen tätig, seit 2006

glied der Arbeitsgruppe für eine

Stiftungen.

als Gemeinderabbiner.

Islamausbildung in der Schweiz.


„Das Minarettverbot ist ein Schlag ins Gesicht von Nathan.“ CHRISTOPH SIGRIST

digen Boden zu finden und gleichzeitig den anderen zu respektieren. Für mich ist jeder Gläubige in einem Prozess hin zum Ideal. Ich würde gerne auf Christoph Sigrists Bild des „neuen Raums“ zu sprechen kommen, den es gemeinsam auch zu bespielen gilt. Wie würden Sie die Spannungen, die da herrschen, beschreiben? Nichtsdestotrotz sind es ja drei unterschiedliche Religionen.

ANDREAS KARLAGANIS

Die Spannungen sind da, weil man in Zürich nicht immer erkennt, dass es sich bei der anderen Religion auch um einen Ring handelt. Stattdessen meint man, es sei ein Viereck. Die Erkenntnis, dass alle Religionen mit dem Symbol Gott Ringe sind, ist anscheinend schwierig. Nach wie vor treffe ich auf Menschen, die sagen, wenn ein Muslim im Grossmünster zu Allah betet und nicht zu Gott, ist das ein anderer Gott. Etwas Zweites, was es für mich schwierig macht, die Geschichte des Toleranzgedankens weiterzugeben, ist das Erbe. Hinter der Ringparabel steht ja eigentlich die Weitergabe des Erbes. Und da erlebe ich bei uns in den letzten dreissig Jahren einen absoluten Abbruch. Es ist nicht mehr lesbar, dass es ein Ring ist; man erkennt ihn nicht mehr und man hat das Gefühl, man hat ihn verloren. Wenn ich dieses Gefühl habe, dann bin ich auf Glatteis und dann greife ich reflexartig nach dem, was ich nicht mehr so durchdenken kann, wie es Nathan tut. Das sind für mich die rechts- oder linksradikalen oder die ideologisierenden und polarisierenden Tendenzen.

CHRISTOPH SIGRIST

Ich will ganz kurz auf die Frage antworten: Spannungen sind immer spannend.

Vielleicht sind es sogar fünf oder sechs richtige Ringe in der heutigen Zeit. Eine Frucht der Ringparabel ist zum Beispiel, dass in der Schule seit einigen Jahren im Kanton Zürich – sehr pionierhaft – obligatorisch alle Kinder in die Ringe eingeführt werden müssen. Es ist eine Folge des „neuen Raums“, dass der Schüler Religion lernt wie Mathematik, als einen Teil des gesellschaftlichen Lebens. Und wir Kirchen sind dann aufgefordert, sie in die entsprechende Religion einzuüben.

CHRISTOPH SIGRIST

Eine befreundete Kindergärtnerin sagte mir, sie habe es von Jahr zu Jahr schwerer, auf Weihnachten einzugehen, weil jedes Jahr mehr Kinder gar nicht christlich seien. Was soll sie ihnen für Werte mitgeben, ausser dass es die Zeit des Schenkens ist? Es kommen Kinder, die sagen: „Ich möchte ein Christ werden, die bekommen so viele Geschenke.“ Die Durchmischung von verschiedenen Religionen in der Gesellschaft spielt sich nicht nur jetzt am Tisch ab, sondern eben auch in den Schulklassen und so weiter.

MARCEL EBEL

SAKIB HALILOVIC

CHRISTOPH SIGRIST

Sie gehören zur Familie, meinst du?

Das heisst, die Religion sollte sich nicht zurückziehen, sondern sich aktiv in ein Gespräch begeben.

ANDREAS KARLAGANIS

Vom Gedanken vieler Wissenschaftler und Kulturschaffender, dass es um eine Wiederkehr des Religiösen geht, gilt es sich zu verabschieden. Es geht auch nicht darum, dass Säkularismus heisst, Religion sei weg. Das ist nicht der Fall, sondern ihr auf der Schauspielbühne seid noch religiöser als vor zwanzig Jahren. Dass ihr „Die zehn Gebote“ in der Schiffbauhalle aufführt, wäre vor zwanzig Jahren nicht möglich gewesen.

CHRISTOPH SIGRIST

Sie sind personell und es gibt sehr viele verschiedene. Menschen mit all ihren religiösen Dramen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen, das ist immer spannend.

SAKIB HALILOVIC

Es hat natürlich mit den drei Brüdern zu tun, das ist schon so.

CHRISTOPH SIGRIST

Wobei uns die Brüder in „Nathan der Weise“ auf dem Silbertablett serviert werden. Wir erkennen sie im Alltag unter Umständen nicht, weil jeder für sich alleine in seinem kleinen Gärtchen lebt. Ich denke, miteinander leben hat sehr viel damit zu tun, mehr übereinander zu wissen. Nur wenn ich rausgehe aus meinen vier Wänden und auch zeige: das ist mein Weg, Gott näherzukommen, so mache ich es und der andere sieht es – er muss es nicht für sich akzeptieren, er braucht nur zu sehen, dass es auch andere Wege gibt – dann lässt sich Toleranz leben. Was auch wichtig ist: Zürich hat sich durch den Verlust der Mehrheit der Religion in der Bevölkerung sozusagen zwangsläufig „toleralisiert“. Und daher denke ich, ist es vielleicht auch ein ganz anderer Zugang zu der Frage, welcher Ring jetzt der richtige Ring ist. Vielleicht braucht es eben mehr als einen richtigen Ring. Vielleicht braucht es drei richtige Ringe und jeder muss den Beweis erbringen, dass er auf gleicher Ebene ist.

MARCEL EBEL

MARCEL EBEL

Auch „Genesis“ vor drei Jahren.

Wir sind anscheinend heute zur Einsicht gekommen, Religion per se – und dazu hat der Zusammenbruch des Sozialismus beigetragen – gehört zum gesellschaftlichen Umfeld und zum gesellschaftlichen Leben, zum Menschen, so wie andere Dinge auch. Also müssen wir einander kennenlernen. Beim Nathan sind es drei Brüder, die da kommen. Wir lernen jetzt wieder das Miteinander, indem wir Begegnungen organisieren, einander besuchen, miteinander kochen und so weiter. Alltagserfahrungen werden integriert ins religiöse Leben. Das finde ich schon spannend.

CHRISTOPH SIGRIST

Noch einmal zu Nathans Ring-Dilemma. Theologisch ist die Frage einfach zu beantworten. Jeder von uns hat einen eigenen Ring, eine eigene Verbindung zu Gott, der Gericht halten wird. Welcher ist der richtige Ring? Wir werden nie die Antwort finden. Wir über- →

SAKIB HALILOVIC

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„Der Gedanke, man habe das allein Seligmachende und die reine Wahrheit gefunden, bringt den Fanatismus.“ MARCEL EBEL lassen sie Gott, weil wir daran glauben, dass wir zu ihm zurückkehren. Auf der menschlichen Ebene hingegen ist es für mich wichtig, dass jeder von uns eine Chance bekommt, den eigenen Ring zu bewahren, und dass man den Ringen der anderen nicht schadet. Nathan wird oft mit Hiob verglichen. Nathans Familie wurde von Christen ermordet und nach langem Weg verzeiht er. Das Christenmädchen Recha hilft ihm, seinen Schmerz zu überwinden. Wie gehen Sie mit dem Thema Verzeihen um, das auch bei Hiob wichtig ist? Das gehört ja im weitesten Sinne zur Toleranz dazu.

GWENDOLYNE MELCHINGER

Wir verlassen uns auf das Verzeihen von Gott, zumindest nach der Regel des Islam. Das Paradies kann man nicht nur mit guten Taten erreichen. Am Schluss braucht man Gottes Erbarmen und seine Verzeihung. Und wenn man gerade von Gott Verzeihung erwartet, dann ist es logisch, dass jeder, der nach all diesen Prinzipien lebt, in der Lage ist, auch dem anderen zu verzeihen. Entschuldigen und verzeihen.

SAKIB HALILOVIC

Entschuldigung ist Grundbestand unserer Religionen und jüdisches Erbe. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – Jesus hat das als Jude übernommen. Hier kommt uns das Schauspiel von Nathan zugute, weil es ein Drama in fünf Akten ist. Es ist immer ein Drama, wenn verziehen wird; das sind dramatische Prozesse. Und es braucht Zeit. Es sind fünf Schritte abzuschreiten, bis dann wirklich Verzeihung und Versöhnung erreicht sind. Das geht mir auf, wenn ich gemeinsam mit den Bundesräten im Gedenken an die Reichskristallnacht in der Synagoge bin. Da lerne ich von der jüdischen Seele her, dass es unendlich viel Zeit braucht, um im Zusammenhang mit religiös konnotierten Verletzungen und Katastrophen überhaupt das Wort Verzeihung begrifflich, sprachlich, inszenierend so zu spielen, dass es auch verstanden wird und nicht nochmals eine Verletzung verursacht. Wir können aus der Geschichte lernen, dass Urbegriffe religiösen Empfindens, Versöhnung und Vergebung, Verzeihung von Gott für uns Menschen, enorm viel Zeit brauchen, über Generationen hinweg.

CHRISTOPH SIGRIST

Kain brauchte ein Zeichen, obwohl ihm Gott verziehen hat. Das heisst, es ist irgendwo ein Mittelweg zwischen Verzeihen und Vergeben. Man muss beide Begriffe ebenbürtig denken. Man kann nicht sagen, es gibt nur ein Verzeihen. Es gibt auch ein Vergeben. Und das Zeichen bleibt. Die Erinnerung bleibt und muss weiter bestehen.

MARCEL EBEL

CHRISTOPH SIGRIST

Das Zeichen ist wie eine Narbe.

Da bist du fast reformiert. Du weisst ja, die Bedeutung des Zeichens in Verbindung mit dem reformierten Abendmahlverständnis. (Gelächter)

CHRISTOPH SIGRIST

Beobachten Sie nach den Anschlägen in Paris Veränderungen im religiösen Klima der Stadt? Brodelt hier etwas?

ANDREAS KARLAGANIS

Mich befremdet der aktuelle Diskurs. Neulich wurden einige Mitarbeiter physisch angegriffen. Eine Frau im Zug auf dem Weg nach Hause wegen ihres Kopftuchs. Das ist schon eine Veränderung. Zwar hat Marcel richtig gesagt, dass die Schweiz ein Stück des Paradieses auf der Erde ist. Aber auf der anderen Seite spüre ich nach mehr als 23 Jahren in Zürich starke Veränderungen. Nach dem 11. September gab es verschiedene Volksinitiativen. Das Minarettverbot, das Verschleierungsverbot. Das spüren wir sehr stark.

SAKIB HALILOVIC

Ich erlaube mir jetzt eine sehr gewagte Behauptung, aber ihr seid heute sozusagen die Juden von vor fünfzig Jahren, die offen angegriffen wurden. Ich bin in Zürich im Kreis 4 aufgewachsen, ich habe als Kind einen offenen Antisemitismus physisch erlebt. Ich denke, dass das aktuelle Klima nicht einmal so sehr mit dem Islam an sich zu tun hat, sondern es muss jemand dran glauben, an dem man seine Unsicherheit ausleben kann, indem man sagt: Das sind die Schlechten.

MARCEL EBEL

Wir haben in Bosnien den Genozid erlebt. Das Klima und der Diskurs danach war fast eins zu eins wie heute.

SAKIB HALILOVIC

Klar ist eine Radikalisierung im Gange im Bereich von Fundamentalisten. Wir als Vertreter der Religionen stehen in der Tat in der Verantwortung, zusammenzustehen, um dagegen anzugehen. Die Angst vor dem Fremden, die Angst vor dem Anderen ist per se praktisch die Grosswetterlage unserer Zeit geworden. Und jeder terroristische Anschlag nährt diese Angst. Nicht nur jene, dass ich meinen Ring verliere, sondern dass ich überhaupt nichts mehr habe. Und dann kommt als Zielscheibe die betroffene religiöse Gruppe aufs Parkett und wird medial ausgeschlachtet. Seit 2001 ist es der Islam.

CHRISTOPH SIGRIST

Ich wundere mich immer wieder, dass ich eigentlich noch nie einen Aufruf gehört habe für all die Christen in Mossul und im sonstigen Syrien. Dass von christlicher Seite, auch von Parteien, die mit dem C im Namen hausieren, nichts kommt. Es wird irgendwie immer unter den Tisch gekehrt. Ich lese nichts in den Zeitungen darüber und es ist ja dort ein grässliches Unrecht geschehen. Da müssten die Menschen doch eigentlich aufschreien.

MARCEL EBEL

Machen wir auch. Doch deine Reaktion ist verständlich. Was wird christlich-religiös öffentlich überhaupt noch wahrgenommen? In den letzten Jahren ist das

CHRISTOPH SIGRIST

Ich verstehe es symbolisch. Es ist ein Zeichen, an das man erinnert wird.

MARCEL EBEL

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der Papst mit seinen Reisen. Aber dass wir das, was du sagst, schon seit Jahrzehnten innerhalb unserer kirchlichen Kommunikation, aktuell mit dem HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz) auch umsetzen, wird öffentlich nicht wahrgenommen. Auf der anderen Seite haben wir Staaten, die nur christliche Flüchtlinge aufnehmen wie Polen, Tschechien oder Ungarn oder …

SAKIB HALILOVIC

CHRISTOPH SIGRIST

Da wird schon ausdifferenziert, meinst du?

Ja. Und das ist meine Besorgnis. Und gerade die Partei, die pauschal attackiert, gewinnt bei jeder Wahl.

SAKIB HALILOVIC

Herr Ebel, Eva Illouz schreibt in ihrem Essayband „Israel“: „Das Recht der Juden auf ein Territorium und auf nationale Souveränität darf nie in Frage gestellt werden.“ Wie muss man damit umgehen, Teil einer Geschichte des Verfolgtseins zu sein?

GWENDOLYNE MELCHINGER

Man kennt es nicht anders, man wächst mit diesem Gedanken auf. Mal ist es besser und mal schlechter. Es kann in Spanien 700 Jahre lang wunderbar sein – eine goldene Blüte der Religion, der Philosophie und der Kunst – und dann kommt ein Cut und fertig. So ist es immer wieder passiert. Wir haben heute in der Gemeinde Leute aus aller Herren Länder und viele, die in zweiter Generation hier leben. Wir haben gestern noch darüber geredet, dass wir anfangen müssen, einen Gottesdienst einzuführen für Juden, die ursprünglich aus Nordafrika stammen, weil sie einen anderen Ritus haben als wir. Letzten Endes ist die Tatsache, dass sie hier sind, ein Resultat von Verfolgung. Damit leben wir einfach.

MARCEL EBEL

Wir nehmen an, dass Aufklärung etwas zivilisatorisch sehr Wichtiges ist. Aber gerade nach der Aufklärung hat man die schlimmsten Verfolgungen in der Geschichte der Menschheit erlebt: Kommunismus, Faschismus, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Holocaust. Gehen wir zurück zum Dilemma von Nathan: Die Religion kann nicht das Problem sein. Wenn man die Antwort auf Verfolgung bei der Religion sucht, dann ist man am falschen Ort. Wir fühlen uns da stark instrumentalisiert. In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes.

SAKIB HALILOVIC

Ich habe einen Grundsatz und das ist meine innere Überzeugung: Ich spreche von der Kanzel nicht über Politik. Ich habe ein Problem damit, dass sich die Religionen instrumentalisieren liessen und auch heute noch lassen. Diejenigen, die die Religion als Instrument benutzen, haben keinen religiösen Hintergedanken, sondern da geht es um Macht, um Politik, um Wähler und so weiter.

Überspitzt gesagt, befinden wir uns dort, wo die Angst uns zusammenführt.

MARCEL EBEL

„Hexenjagd“ von A. Miller ist ein Stück, das vom Ausbruch der Hysterie in einer streng puritanischen Gemeinde in Neuengland im 17. Jahrhundert erzählt. Wann schlägt Ihrer Meinung nach religiöser Eifer in Fanatismus um?

ANDREAS KARLAGANIS

MARCEL EBEL

Das ist eine Gratwanderung.

SAKIB HALILOVIC Wahrscheinlich

ist die Antwort überhaupt nicht einfach. Vor allem junge Menschen müssen mit einer grossen Unsicherheit leben. Die Presse liefert viele Informationen. Vielleicht haben wir heute zu viele Informationen. Und plötzlich ist man ein Narr. Man fragt sich: „Was ist? Was passiert? Was ist richtiger? Was ist wahr? Wer spricht überhaupt die Wahrheit?“ Ich glaube, ich erlebe dann die Kippe von missionarischem Eifer zu Fanatismus, wenn mir der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Es ist eine Reaktion auf die Urangst des Selbstverlustes. Es gibt zwei Grundregeln in unseren Religionen. Die eine ist: Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen. Das Prinzip des Loslassens ist gegenüber dem Fanatismus ein Instrument. Und die andere ist: Handle so, wie du möchtest, dass andere auch dich behandeln. Die goldene Regel.

CHRISTOPH SIGRIST

Radikalisierung passiert nicht bei uns. Jemand anders macht sie, nicht wir, nicht die Religion selbst.

SAKIB HALILOVIC

CHRISTOPH SIGRIST

Du meinst ein politisches Gremium?

ANDREAS KARLAGANIS

… im Namen der Religion.

Ja. Aber ich denke, wir müssen jetzt genau an diesem Punkt zur Ringparabel zurückkommen. Wenn jemand glaubt, dass nur das Seine das einzig Richtige und allein Seligmachende ist, dann gibt es keinen Platz mehr für die anderen. Wir haben im Gespräch die katholische Kirche ausgeklammert. Da ist auch noch viel Arbeit zu tun und von anderen christlichen Religionen wollen wir gar nicht sprechen. Die griechisch-orthodoxe Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche, die sind mindestens 50 Jahre zurück. Der Gedanke, man habe das allein Seligmachende und die reine Wahrheit gefunden, bringt den Fanatismus und bringt das Unglück.

MARCEL EBEL

MARCEL EBEL

Wie sonst schafft es die Religion, in die Gesellschaft hineinzuwirken?

ANDREAS KARLAGANIS

Wenn Krieg ist, ist der Einfluss der Religionsgemeinschaften sehr schwach, sonst hätten wir wahrscheinlich ein besseres Klima. Unsere Stimme ist offensichtlich zu schwach.

SAKIB HALILOVIC

NATHAN DER WEISE von Gotthold Ephraim Lessing Jerusalem im 12. Jahrhundert: Der Jude Nathan nimmt das Christenmädchen Recha auf und zieht es in seiner Religion gross. Der christliche Tempelherr rettet Recha vor dem Feuertod. Er wiederum verdankt sein Leben dem Sultan Saladin, der ihn, berührt von dessen Ähnlichkeit mit Saladins Bruder, als Gefangenen begnadigt. Als Recha und der Tempelherr als Geschwister und beide schliesslich als Kinder von Saladins Bruder

Assad erkannt werden, erweist sich die Geschichte als dramatische Illustration zu Nathans Erzählung der Ringparabel. Regie Daniela Löffner Mit Christian Baumbach, Ludwig Boettger, Gottfried Breitfuss, Klaus Brömmelmeier, Benedict Fellmer, Robert Hunger-Bühler, Julia Kreusch, Elisa Plüss, Johannes Sima Premiere 5. März, Pfauen Unterstützt von der René und Susanne Braginsky Stiftung

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GEGEN DIE EIGENE BEDEUTUNGSLOSIGKEIT Ab dem 6. Februar ist die schweizerische Erstaufführung von Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“ im Pfauen zu erleben. Regie führt Sebastian Nübling, den inzwischen eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Autorin verbindet. „Viel gut essen“ handelt von Männern in den besten Jahren, die vom guten Job bis zur Familiengründung alles richtig gemacht haben in ihrem Leben und doch irgendwann erkennen müssen, dass sie zu erschreckend normalen Verlierern geworden sind, obwohl ihnen qua Geburt das Gewinnen doch fest versprochen war. Für das Journal geht die Autorin nun der Frage nach männlichem Erfolg, Machtdenken und dem Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit nach. 16

Foto: Katharina Lütscher

von Sibylle Berg


Terror in Europa, entführte Mädchen in Nigeria, vergewaltigte Frauen in Indien, Iran, Syrien, Gotteskrieger und in Europa der Erfolg der Nationalisten, der Fundamentalisten, der Rechtskonservativen. Alte Werte und neu erwachter, lang überwunden geglaubter Hass gegen Juden, Muslime, Homosexuelle, Feministinnen. Eine scheinbar täglich unangenehmer werdende Stimmung, die man unter der Überschrift: „Männer vor oder nach dem Erreichen von dem, was sie unter Macht verstehen, sind oft Fleisch gewordener Irrsinn“ zusammenfassen kann. Die Ursachen, wage ich eine kühne Theorie, sind immer dieselben. Männer, deren Macht aus Lebenszeitgründen am Schwinden ist, mobilisieren Männer, die sich machtlos fühlen. Mitunter gelingt es auch einem machtlosen und frustrierten Mann, sich in die Rolle eines geistigen Führers hochzureden. Das Zentrum des scheinbar rationalen Denkens, der glasklaren Wahrheiten dieser Männer ist das Gefühl, sich in der Welt verankern zu wollen. Nicht zu verschwinden, nicht zu sterben. Nicht unterzugehen. Es ist leicht, Menschen zu manipulieren. Es ist leicht, Gründe für die gefühlte Ungerechtigkeit zu finden, die jeder kennt: Wir alle werden sterben und wir werden nie erreichen, was uns versprochen wurde. Für diese Enttäuschung gilt es, Verursacher zu finden, denn wer gesteht sich schon ein, am eigenen Versagen schuld zu sein. Versagt haben meint meist: ich bin nicht Bill Gates geworden, ich bin kein Top-Manager mit zweistelligem Millioneneinkommen. Jeder glaubt doch heute, in der medialen Welt, die uns eine scheinbare Erreichbarkeit von Aussergewöhnlichem aufzeigt, unterschätzt zu sein. Nicht reich genug, nicht schön genug. Welche kolossale Gemeinheit. Die wütenden Männer, die Führer, die Schreier zielen mit ihren Parolen genau in die Traurigkeit der Menschen. Sie versprechen ein besseres Leben, wenn – nehmen wir als Beispiel unser Land – die Ausländer weg wären. Die Schweiz eine Insel, in der Frauen die Kinder betreuen, Fremde da wohnen, wo sie herkommen (falls sie nicht hochdotierte Manager sind). Viele der Ideen, die ein Einfrieren der Welt, wie wir sie kennen, zum Inhalt haben, sind meist die Phantasmen von Männern, deren Macht am Schwinden → 17


„Jeder glaubt doch heute, in der medialen Welt, die uns eine scheinbare Erreichbarkeit von Aussergewöhnlichem aufzeigt, unterschätzt zu sein.“

VIEL GUT ESSEN von Sibylle Berg Regie Sebastian Nübling Mit Hilke Altefrohne, Henrike Johanna Jörissen, Lena Schwarz Premiere 6. Februar, Pfauen SIBYLLE BERG wurde in Weimar geboren und lebt heute als Autorin, Dramatikerin und Publizistin in Zürich. Seit ihrem Romandebüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ 1997 hat sie zahlreiche Romane und Theaterstücke veröffentlicht, die zusammen mittlerweile in 26 Sprachen übersetzt wurden. Für ihr Werk wurde sie 2008 mit dem Wolfgang-Koeppen-Literaturpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr vielbeachteter Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“. Sibylle Bergs Theaterstück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draussen“ (die Uraufführung durch Sebastian Nübling war als Gastspiel im Pfauen zu sehen) wurde 2014 zum Stück des Jahres gewählt.

ist. Und auch sie kann man verstehen. Es ist elend, das befristete Leben. Schon nach Fünfzig schwindet die Kraft, wird das Haar schütter, die Haut grau und es kommt die Gewissheit – hier werde ich bald nicht mehr sein. Auf diesen Wegen werden andere gehen, meine Lieblingsbäume werden nicht um mich trauern. Die einen verabschieden sich an diesem Punkt im Leben in die Depression oder die Weisheit, die anderen werden sauer. Anhalten wollen sie die Zeit, sie nach ihrem Bild formen, dem einzig richtigen, denn die Flexibilität des Denkens nimmt ebenso ab, wie die restliche Muskelmasse. Die Kränkung, dass das Gewohnte sich ohne die eigene Anwesenheit verändern könnte, ist eine kolossale. Sie kann zu Wahnvorstellungen führen. Prof. Dr. Faust (passender Name) dazu: „Das charakteristische Merkmal einer wahnhaften Störung ist – wie der Name schon sagt – ein Wahn, zum Beispiel durch höheres Lebensalter (Alterswahn). Beim Grössenwahn besteht das zentrale Wahnthema in der Überzeugung, ein zwar grosses, aber bisher leider übersehenes Talent zu haben, ein verkanntes Genie zu sein oder über Einsichten zu verfügen beziehungsweise bedeutsame Entdeckungen gemacht zu haben, die unbedingt von der Welt, zumindest aber von der näheren Umgebung zur Kenntnis genommen werden sollten.“ Bei den meisten führt das Altern nicht in den Wahnsinn, sondern nur in eine leise Resignation. Mitte vierzig entdeckt der Mensch seine Endlichkeit. Für viele erfolgreiche Männer eine verstörende Periode ihres Lebens, denn damit hatten sie nicht gerechnet. Das Gefühl der fundamentalen Beleidigung, die sie erfahren, ist dasselbe wie das, was junge Mitläufer, Neonazis, Gotteskrieger, Fundamentalisten zu Gewalttaten treibt – sie wollen sich rächen. Wollen sichtbar bleiben, der Welt das Unrecht heimzahlen. Egal ob die Männer in der Krise eine Terrororganisation gründen oder eine rechtskonservative Partei – sie

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haben recht. Sie wissen besser, was gut für alle anderen ist. Viele der neuerwachten Despoten entdecken die Liebe zu ihrem Land. Das heisst zu dem Land ihrer verklärten Kindheit. Dann assoziiert der flackernde Geist mit der Vergangenheit Unbeschwertheit. Klare Rollenbilder. Gut und Böse. Leere Strassen, reine Flüsse, wenige Ausländer, die brav ihrer schlecht bezahlten Lohnarbeit nachgingen, und die Berge, die noch von unschmelzbaren Gletschern behangen waren. Statt nun mit dem eventuell vorhandenen Vermögen dem Land wirklich zu dienen, Fluglinien zu retten oder Land aufzukaufen, um es unverbaubar im natürlichen Zustand zu belassen, wird zur Schlacht gerufen. Auch das zeichnet den Wahnkranken aus. Die Aggression, die sich eigentlich gegen sich selber wenden müsste, wird gegen den Feind von aussen umgedeutet, den Angehörigen einer Minorität, den Ausserirdischen, die Verschwörung der Regierung… Der alternde Führer wird von der Welt verschwinden, aber er will auf diesem letzten Weg noch viele mit in den Abgrund reissen, wenn es ihm schon nicht gelingt, die Welt nach seinem Willen zu formen. Eine eigentlich rührende Fehlleistung des Gehirns wird zu einer Geissel der Bevölkerung, die, da wir nicht in einer Diktatur leben, bei jeder Parole, bei jedem Satz, der zu laut und zu schrill klingt und der Feindbilder benennt, fragen sollte: Wer ist es, der mir den Ursprung meines Unwohlseins so klar benennen kann? Was will er für sich und sind die Lösungen wirklich so einfach, wie sie klingen? Wird die Welt eine bessere, unser Leben ein angenehmeres, wenn ich den polemischen Aussagen folge, und sind die Lösungen wirklich so einfach, in einer Welt, die gerade in den Abgrund des Turbokapitalismus trudelt? Jeder einfachen Idee muss heute in dieser komplexen Welt misstraut werden. Jeder Satz, den man mit „mein gesunder Menschenverstand“ beginnt, muss nicht richtig sein, denn wir sind nicht mehr gesund. Wir sind angstkrank und ständig unter Druck. Ich habe heute keine Lösung für die Probleme der Welt. Aber glauben Sie mir, die hat keiner. Misstrauen Sie einfachen Parolen. Sie kommen nur von Leuten, die ihre Sterblichkeit noch nicht begriffen haben.


Bild: Daniel Richter, „Those who are here again“, 2002 © 2016, ProLitteris, Zurich

Der offene Raum

Daniel Richter, ein prägender Künstler seiner Generation, schafft Werke mit vieldeutigen, rätselhaften Szenerien. Sein Werk inspirierte das Regieteam von „Hexenjagd“.

Für Jan Bosses Inszenierung von Arthur Millers Stück „Hexenjagd“ in der Halle des Schiffbaus schafft der Bühnenbildner Stéphane Laimé ein Dorf inmitten einer Lichtung eines Waldes. Die Zuschauer sind eingeladen, am Rande des Dorfplatzes ihre Sitze einzunehmen, wo sie der zunehmenden Zersetzung der Gemeinde durch den Verdacht auf Hexerei beiwohnen. Die Dramaturgin Gabriella Bußacker und ihre Assistentin Irina Müller im Gespräch mit Jan Bosse über Teilhabe im Theater und den Themenkreis von „Hexenjagd“.

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HEXENJAGD von Arthur Miller Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ basiert auf wahren Begebenheiten. Salem, Massachusetts, 1692: Der Gemeindepfarrer Samuel Parris überrascht eine Gruppe junger Mädchen beim Tanzen im Wald. Man befürchtet, Hexerei sei im Spiel, weshalb der Exorzist Pastor Hale ins Dorf gerufen wird. Daraufhin entwickelt sich eine unkontrollierbare Eigendynamik zwischen Hysterie, Angst und Denunziation. Regie Jan Bosse Mit Ludwig Boettger, Sofia Elena Borsani, Gottfried Breitfuss, Carolin Conrad, Jean­-Pierre Cornu, Nils Kahnwald, Hans Kremer, Dagna Litzenberger Vinet, Lisa-Katrina Mayer, Isabelle Menke, Miriam Morgenstern, Markus Scheumann, Tatjana Sebben, Nikola Weisse, Jirka Zett und einem Mädchenchor (Spielclub) Premiere 9. Januar, Schiffbau/Halle

Irina Müller – Bei den Produktionen in der Halle hat der Regisseur die Freiheit, den ganzen Raum zu gestalten, inklusive der Zuschauersituation. Zuletzt hast du in der Schiffbauhalle 2007 „Hamlet“ inszeniert, eine sehr erfolgreiche Produktion, die auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ihr habt eine starke Setzung gemacht: Das Publikum nahm an einer höfischen Gesellschaft teil. Jeder hatte seinen Platz und war eingebunden in die Situation am Hof … Jan Bosse – Ja, man sass am Tisch mit den Mächtigen; man war Teil des Hofstaats. Die Schauspieler sassen auch alle unter den Zuschauern, inklusive Statisten, die Zuschauer simuliert haben, die zum Beispiel als Theatertruppe auf die Bühne geholt wurden, was zwar inszeniert war, aber wie Mitmachtheater mit echten Zuschauern wirkte. Die Basis war die Idee des Volkstheaters sowie die Idee, das Publikum zu einem Teil der Inszenierung zu machen, was bei Shakespeare naheliegt: In der historischen Aufführungspraxis des englischen „Globe Theatre“ ist die integrale Platzierung des Publikums schon in der Architektur des Theatergebäudes angelegt. Unser jetziger Ansatz für „Hexenjagd“ produziert eine ähnliche Situation; es geht um Teilhabe, darum, dass das Stück naherückt – ein Volkstheaterbegriff als etwas modern Gemeintes, nicht das Klischee des Begriffs. Was beinhaltet dieses eigentlich? Gabriella Bußacker – … derb, vor allem das Derbe …

JAN BOSSE UND GABRIELLA BUSSACKER verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Unter der Intendanz von Tom Stromberg 2000–2005 arbeiteten sie am Deutschen Schauspielhaus Hamburg miteinander, wo Jan Bosse als Hausregisseur und Gabriella Bußacker als Dramaturgin tätig war. Es folgten viele weitere Inszenierungen für das Burgtheater in Wien, das Thalia Theater in Hamburg und das Schauspiel Stuttgart. Zu ihren gemeinsamen Produktionen fürs Schauspielhaus Zürich gehören „Hamlet“ 2007 und „Der zerbrochne Krug“ 2010.

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JB Volkskomödie meine ich natürlich nicht, sondern ein Theater, welches das Stück so nah wie möglich ans Publikum heranrückt und dieses Teil der Erzählung, der Geschichte werden lässt. Das geht nur, wenn das Publikum eine Rolle innehat, die man definiert. Das war bei „Der zerbrochne Krug“ im Pfauen das Gerichtspublikum, bei „Hamlet“ war das die Hofgesellschaft am Tisch mit den Mächtigen und hier ist es die Dorfgemeinschaft.

„Das allererste Stichwort war ‚Massenhysterie im Schiffbau‘. Da dachte ich, ja, das möchte ich erleben.“ Jan Bosse

GB Die Wahl des Raumes und die damit verbundenen Möglichkeiten haben durchaus Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein Stück. Den „zerbrochnen Krug“ hätten wir ungern in der Halle inszeniert, dafür brauchten wir die Guckkastenbühne. Für „Hexenjagd“ wiederum ist der Schiffbau ideal, da brauchen wir die Raumbühne. JB Das allererste Stichwort war „Massenhysterie im Schiffbau“. Da dachte ich, ja, das möchte ich erleben. Reale Massenhysterie geht natürlich im Theater nicht – denn wenn eine solche wirklich ausbräche, hätte man ein Problem. Jetzt nähern wir uns den Themen von „Hexenjagd“, nämlich wie sich eine Gesellschaft hysterisiert, wie eine Gemeinschaft zerfällt durch einen Virus, der auf seltsame Weise eine Kettenreaktion auslöst. Eigentlich müssten alle vernünftig genug sein, diesen Wahn stoppen zu können, der sich da ausbreitet, sich Bahn bricht. Ich denke immer mehr, dass medizinische Begriffe dafür passender sind als psychologische. GB Lass uns nochmal auf das Raumkonzept zurückkommen: Wenn ich Zuschauer wäre und das Wort „Beteiligung“ höre, denke ich sofort: „Hilfe, jetzt muss ich da mitmachen!“ Für das Publikum ist es vielleicht nicht so naheliegend, zu verstehen, was für uns daran wichtig ist, also was es bedeutet, wenn der Zuschauer mit im Raum sitzt: Es ist im wahrsten Sinne die Setzung für die Inszenierung. Es gibt nicht diese Trennung zwischen Zuschauern und Schauspielern. Es ist ein offener Raum, der spürbar Öffentlichkeit schafft. Die Schauspieler können mir extrem nahekommen, ich könnte sie berühren, ansprechen. JB Die Schauspieler werden auch hinter mir sein, über mir, neben mir. Das hat mit Mitmachtheater gar nicht viel zu tun; man schrammt an der Grenze dazu entlang. Es ist ein grosser Unterschied, ob ich in einem Ses-


sel sitze, auf meinem mehr oder weniger teuren Platz – es wird dunkel und ich schaue auf einen Rahmen, in dem Kunst stattfindet, und ich schlafe ein oder finde es toll – oder ob ich Teil des Bildes, aber vor allem auch inhaltlich Teil der Story bin. Und das finde ich aufregend, denn ich glaube, man erfährt das Geschehen auch am eigenen Leib – ohne es wirklich erleiden zu müssen. Es wird deutlicher, dass man gemeint ist, dass es tatsächlich um mich geht. Bei „Hexenjagd“ könnte man tatsächlich auch seine Stimme erheben – GB ... Ich könnte rufen: „Stopp, aufhören! Was macht ihr denn da?“… JB – Wieweit bin ich bereit, mitzumachen, gesellschaftliche Entwicklungen zu dulden, die ich falsch finde? – also all die Fragen, die wir uns aktuell zunehmend stellen. Und auch wenn das jetzt moralisch klingt: inwieweit bin ich bereit, meine Werte zur Disposition zu stellen oder wieweit würde ich gehen, wieweit geht meine Zivilcourage, wie würde ich mich eigentlich in vergleichbaren Situationen entscheiden, was würde ich tun? GB Ja, es geht nicht um irgendeine theoretische Debatte unter Philosophen und Soziologen, sondern wir alle stellen uns momentan genau die Fragen, die sich das Theater immer stellt: wie leben wir? Und wie wollen wir leben? – Noch einmal zurück zum Stück: Das, was man dort erlebt, ist eine sehr überschaubare Gemeinschaft, die mit den Zuschauern zusammen um ein paar Hundert mehr anwächst, ungefähr die Einwohnerzahl eines Dorfes. JB Ja, keine Masse, sondern eine Gemeinde. Das ist das Tolle an dem Stück, dass es „pars pro toto“ steht, dass es immer um etwas Grösseres geht. Das ist ein „huis clos“, eine geschlossene Gesellschaft, eine eingezäunte Gesellschaft, eine Lichtung im Wald, aber der Wald als letzte Bedrohung ist nochmal mit einem Zaun abgesichert. Das ist eines der Hauptthemen im Stück: wie man die Grenzen von Freiheit und Sicherheit immer wieder neu definieren muss. Wie viel Ordnung und Sicherheit brauchen wir? Und was riskieren wir, zu verlieren?

Osman ist mein Nachbar „Osman ist als Fünfzehnjähriger aus Afrin, einer kurdischsyrischen Stadt in der Nähe der türkischen Grenze, geflohen und über die Türkei nach Griechenland gekommen, wo er einige Monate in einer Autowerkstatt arbeitete. Er wollte in die Schweiz, in ein ‚kleines Land, das funktioniert‘, hat er mir erzählt. Als er genug Geld beisammen hatte, kaufte er sich ein Flugticket nach Basel, wusste aber nicht, dass der Flughafen Basel auf französischem Gebiet liegt. Einige Stunden ist er dort herumspaziert, in der Hoffnung, einen Anhaltspunkt zu finden. In einer Hotellobby traf er drei algerische Geschäftsmänner, die er auf Arabisch fragen konnte, wie er nach Zürich komme. Sie haben ihn aufgeklärt, dass er nicht in der Schweiz sei, sondern in Frankreich – ein Schock für Osman. Ein Taxi brachte ihn zum Basler Bahnhof; durch einen glücklichen Zufall erwischte er einen Schnellzug nach Zürich – hätte er einen Interregio genommen, wäre er vielleicht in Liestal aufgegriffen worden. Er kam an einem kalten Sonntag im Frühling gegen 22 Uhr am Hauptbahnhof Zürich an. Auch hier verbrachte er Stunden auf der Suche nach Verständigungsmöglichkeiten. Es wurde immer menschenleerer; gegen Mitternacht hörte er vier Männer miteinander kurdisch sprechen. Ihnen hat sich Osman offenbart. Drei von ihnen wollten nichts mit ihm zu tun haben, aber der vierte hat ihm angeboten, bei ihm zu übernachten. Es wäre auch zu kalt gewesen, die Nacht draussen zu verbringen. Am nächsten Tag brachte er Osman nach Kreuzlingen zur Erstaufnahmestelle. Dort hat Osman den Antrag auf Asyl ausgefüllt; seither hat er den Status F. Er kam erst nach Zollikon in eine Zivilschutzanlage und später in das Asylzentrum nach Weinigen. Dort bezog er ein Zimmer, das er heute noch bewohnt. Er wohnt dort mit einem Mitbewohner und bezahlt 480 Franken im Monat. Ich habe Osman kennengelernt, als ich diesen Sommer nach Zürich gezogen bin. Er betreibt die Autowerkstatt unter meiner Wohnung. Als ich mit meinen Möbeln und Kisten schwitzend ankam, bot er mir ein kühles Getränk an – und wir kamen ins Gespräch. Osman ist seit viereinhalb Jahren hier, nächstes Jahr werden es fünf – dann kann er Status B beantragen. Er ist hoffnungsfroh, dass er dauerhaft in der Schweiz bleiben kann.“

Vor jeder Pfauen-Vorstellung erzählen Mitglieder des Schauspielhauses Zürich in kurzen Prologen die Erlebnisse von Menschen, die nach Zürich geflüchtet sind. Diese Geschichte wurde von Michael Neuenschwander am 14. Dezember im Pfauen vorgetragen.

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Foto: Roland Aeschimann

Lukas Bärfuss trifft Gret Haller 26. Januar / Jakob Tanner 7. Februar Das Schauspielhaus ist nicht ausschliesslich ein Ort für Theateraufführungen. Der Pfauen war in seiner Geschichte immer wieder eine Bühne für gesellschaftliche Reflexionen, erhitzte Debatten und denkwürdige Reden. Wo sonst, wenn nicht im Theater, soll gesellschaftlicher Diskurs stattfinden – wenn man Theater als Ort begreift, der über persönliche Begegnung und gemeinsame Reflexion erst existiert? Von Januar bis März 2016 trifft der Schweizer Autor Lukas Bärfuss Persönlichkeiten zum Gespräch, um in Auseinandersetzung mit der Schweiz aktuelle und die Zukunft betreffende Fragestellungen zu erörtern.

Gret Haller

Nationalratspräsidentin, Diplomatin, Ombudsfrau für Menschenrechte der OSZE in Sarajevo – und aktuell Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik. Gret Haller kennt die Politik von innen, hier und in Europa. Ein Gespräch über Nationalismus, die Schweiz und Europa. 26. Januar, 20:00, Pfauen

Jakob Tanner

Der Historiker Jakob Tanner hat eine opulente „Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert“ vorgelegt. Ein Gespräch über die Bilder, die wir uns von uns selber machen, über die Kraft der Erzählungen, über die Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts und über ein kleines Land mit einer grossen Geschichte mitten in Europa. 7. Februar, 20:00, Pfauen 22

Projekt ohne Worte Perkussion Fritz Hauser, Regie Barbara Frey Uraufführung Mit Hans Kremer, Chantal Le Moign, Dagna Litzenberger Vinet, Michael Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Markus Scheumann, Friederike Wagner, Milian Zerzawy Unterstützt von der International Music & Art Foundation

Premiere 4. März, Schiffbau/Box


Seit bald dreissig Jahren arbeiten die Regisseurin Barbara Frey und der Perkussionist Fritz Hauser in den unterschiedlichsten Projekten zusammen. Zwei davon waren auch am Schauspielhaus Zürich zu sehen: „Trommel mit Mann“, das 2001 in Basel uraufgeführt wurde und seitdem um die Welt tourt, und „A Dream Within a Dream“, ein Edgar-Allan-PoeAbend mit Robert Hunger-Bühler. In „Nachtstück“, das in der Box des Schauspielhauses am 4. März Premiere haben wird, erkunden die beiden nun zusammen mit vier Schauspielerinnen und vier Schauspielern die Nacht. Gedanklicher Ausgangspunkt der wortlosen Szenen, für welche die Bühnenbild-

nerin Bettina Meyer einen schwarzen doppelstöckigen Kubus in die Box des Schiffbaus stellt, ist ein Gemälde des amerikanischen Malers Edward Hopper. Sein „Hotel Room“ zeigt eine einsame Frau, die zur Nachtzeit auf einem Bett sitzt und über einem in ihren Händen gefalteten Papier zu brüten scheint. Ob es sich dabei um einen Brief oder einen Fahrplan handelt, ist ebenso unklar wie die gesamte Situation, in der die Frau sich befindet. Woher kommt sie und wohin ist sie unterwegs? Wird sie schlaflos auf dem noch unberührten Bett in Gedanken versunken sitzen bleiben oder findet sie noch Ruhe? Man weiss nichts über sie und glaubt doch, ihr irgendwie nahe zu sein.

Fritz Hausers akustische Räume entstehen aus einer Vielzahl von Perkussionsinstrumenten, vom Gong bis zum Röhrenglockenspiel, vom Tomtom bis zur grossen Trommel, und die Schauspieler streifen in flüchtigen Bewegungen durch eine nächtliche Szenerie – anonym und doch vertraut wie die Namenlose auf Hoppers Gemälde. Ohne narrative Logik, eher in den Zwischenreichen des Traums, entsteht eine Bild- und Klangwelt, die das Dunkel erkundet und den nächtlichen Figuren nachspürt, die sich in ihm aufhalten.

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In der Kammer starten demnächst die Proben mit dem jungen niederländischen Regisseur Bram Jansen, der „Einige Nachrichten an das All“ des preisgekrönten Autors Wolfram Lotz inszeniert. Autor und Regisseur trafen sich vor dem Produktionsstart, um sich über den Sinn der Existenz, die Grenzen der Sprache, Nihilismus und Hoffnung auszutauschen – all die ganz grossen Themen, die im Stück auf poetische, komische und kluge Weise zusammengeflochten werden.

Wolfram Lotz – Ich schreibe an einem Drehbuch. Tatsächlich arbeite ich sehr, sehr langsam, weil ich nach jedem Stück das Gefühl habe, nicht mehr zu wissen, wie es geht. Natürlich wiederholt man sich auf gewisse Weise trotzdem, aber ich habe das Gefühl, dass ich jedes Stück neu erfinden muss. Und die Form des Theaterstücks steht für mich auf der Schwelle zum Unmöglichen; es ist schwierig, noch ein Theaterstück zu schreiben – irgendwie geht es dann doch, aber ja, ich arbeite relativ lang, auf jeden Fall über ein Jahr an einem Stück. BJ Denkst du dabei an andere Stücke? Sammelst du Ideen? Oder wie denkst du dir Dinge aus? 24

WL Es gibt eine Idee und dann überprüfe ich innerlich, wieweit sie so reicht. Beispielsweise wenn sie nur thematisch ist, ist sie für mich noch nicht stücktauglich, weil ich immer auch über das Leben insgesamt mitschreiben will, nicht nur über ein Thema. Und dann ist für mich entscheidend, dass man anfängt zu schreiben und schaut, ob die Sprache dazukommt und sich eine Lust einstellt, oder ob man nur in einem Abarbeitungsmodus bleibt. Ich habe das gesamte letzte Jahr an einem Stück gearbeitet, das am Ende nicht wirklich ins Rollen kam – dann habe ich es weggeschmissen. BJ „Einige Nachrichten an das All“ erscheint einerseits assoziativ gebaut und scheint andererseits eine perfekte Struktur zu haben, in die jeder kleinste Teil passt… WL Das Stück ist eigentlich viel konventioneller, als es vorgibt zu sein. Es gibt das Paar, das ein Kind bekommen will. Es gibt

EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL von Wolfram Lotz Zwei Theaterfiguren fragen nach dem Grund ihres Daseins. Ein Kind, beschliessen sie, könnte ihnen einen Sinn geben. Bald müssen sie feststellen, dass das Theaterstück kein Kind für sie vorsieht, dass vielmehr der Leiter des Fortgangs, LDF, die Hauptrolle einnimmt und Vertretern aus Historie und Medien anbietet, Botschaften über seine Apparatur ins All zu senden. Die Suche nach dem Sinn des Lebens wird zum humorvollen Spiel mit den Strukturen des Theaters und seinen Mitteln. Regie Bram Jansen Mit Sofia Elena Borsani, Fritz Fenne, Claudius Körber, Miriam Maertens, Matthias Neukirch, Nicolas Rosat, André Willmund Premiere 27. Februar, Pfauen/Kammer Unterstützt von Bindella/Santa Lucia Teatro

Fotos: zvg, Carsten Tabel

Bram Jansen – Schreibst du zurzeit an einem neuen Stück? Mich interessiert, wie du arbeitest. Du schreibst ja eher wenig; ich glaube ich habe dein ganzes Repertoire gelesen …


eine Einheit des Ortes und eine Einheit der Zeit. Aber dann folgen eben diese Auftritte, die nicht kausal aus der Handlung heraus, sondern slapstickartig dazukommen. Diese sind viel schwieriger zu schreiben und zu finden als eine kausale Handlung, weil sie sich eher motivisch, assoziativ, literarisch anschliessen. BJ Ein einzigartiger Aspekt von „Einige Nachrichten an das All“, der das Stück sehr authentisch und anders macht als alle anderen Texte, sind die Fussnoten und dass diese Teil des Textes sind. Ich mag sie sehr und auch, dass es dadurch im Stück zwei dramaturgische Linien gibt. Was hast du gedacht, als du die Fussnoten geschrieben hast? WL Zu Beginn hatte ich die Idee, ein Stück zu schreiben, das wie eine Explosion funktioniert; also dass es etwas gibt, was am Auseinanderfliegen ist, aber gleichzeitig spürbar von einem Punkt ausgeht. Die dramatische Struktur hat eine sehr strenge Form, die immer mit einem Konflikt und einer Zuspitzung arbeitet, und dem wollte ich etwas Episches, eine Weite entgegensetzen. Daher die Idee, diesen Fussnotenapparat als epischen Text hinzuzufügen, der mit dem Dramatischen in ein Spannungsverhältnis tritt. BJ Eine Frage, die ich habe, ist: Kann das All Nachrichten zurücksenden? Anders gefragt: Können wir die Realität überwinden? WL Es gibt etwas Nihilistisches in diesem Stück und die Frage ist, ob man dem etwas Hoffnungsvolles entgegenstellt. Ich glaube, das könnte etwas sein, was ihr ausschliesslich auf der Bühne verhandelt. Im Text darf diese Frage nicht beantwortet werden, sondern die Frage muss in die Realität hinausgehen und die Realität muss darauf antworten. Es geht in „Einige Nachrichten an das All“ auch darum, dass man darüber nachdenkt, ob der natürliche Tod aufgehoben werden kann oder ob die beiden männlichen Wesen ein Kind bekommen können. Es wird gesagt,

a b

BRAM JANSEN (a), geboren 1988, studierte Regie an der Theaterakademie Maastricht. 2012 schloss er die Ausbildung mit dem Stück „Kijken Naar Julie“ nach August Strindberg ab und wurde mit der Inszenierung zu den Nachwuchsfestivals Premières in Karlsruhe und Fast Forward in Braunschweig eingeladen. Seine erste Regiearbeit in Deutschland war Arthur Schnitzlers „Anatol“ am Theater Oberhausen, wo er auch Kleists „Käthchen von Heilbronn“ inszenierte. Am Schauspielhaus Zürich inszenierte er 2014 bei „Transit Zürich“ Daniel Mezgers „Ich und Tina“. WOLFRAM LOTZ (b), geboren 1981 in Hamburg, aufgewachsen im Schwarzwald, lebt heute in Leipzig. Er schreibt Prosa, Lyrik, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. Für seine Arbeiten erhielt er u. a. den Kleist-Förderpreis, den Förderpreis für komische Literatur und den NestroyPreis. 2011 wurde er in der jährlichen Kritikerumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ für das Stück „Einige Nachrichten an das All“ zum „Nachwuchsdramatiker des Jahres“ gewählt. 2015 wurde er zum „Dramatiker des Jahres“ gewählt, die Uraufführungsinszenierung des Stücks „Die lächerliche Finsternis“ des Wiener Burgtheaters wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Zuletzt erschien sein Buch „Monologe“.

es ist nicht möglich, aber in diesem fiktionalen Raum wäre es natürlich sehr wohl möglich. Genauso wie das Universum antworten und Nachrichten zurücksenden könnte, könnte das Stück den beiden das Kind einfach geben. Ich glaube, auch unsere Welt könnte einem männlichen Paar möglicherweise ein Kind geben, aber auch sie gibt es ihm nicht. So spiegelt der Text auch wieder unsere Welt. BJ Und es ist etwas Paradoxes: Einerseits ist alles möglich auf der Bühne und das hat eine Kraft, aber diese kann andererseits auch geschwächt werden, dadurch dass eben alles möglich ist … Meine Frage, ob das Universum antwortet, ist auch eine Frage nach Hoffnung. WL Hoffnung ist eben da, aber sie kann nicht aufgezeigt werden. Der Akt, den ich versuche im Schreiben zu vollziehen – das ist auch ein Aspekt dessen, was ich das „unmögliche Theater“ nenne – ist: Erst indem man etwas Unmögliches fordert, die Zwänge der Realität spürbar macht, wird klar, dass es Grenzen gibt. Die Frage der Aufhebung des natürlichen Todes ist für mich eine zentrale Erzählung, eine ontologische Konstante. Man geht davon aus, dass man eines Tages sterben wird, aber heutzutage leben wir in einer Zeit, in der das nicht mehr eindeutig ist, in der man plötzlich darüber sprechen kann. Es geht eben darum, diese Grenzen begreifbar zu machen, und dadurch, dass man sie begreifbar macht, kann man sie befragen. Damit ist noch nicht gesagt, dass man sie überwinden kann, aber wenn man sie befragen kann, wird eine Überwindung erst möglich. Und das ist für mich der hoffnungsvolle Aspekt, der aber nicht als Antwort in die Kunst eingeht. Das heisst, im Kunstwerk ist die Hoffnung vielleicht nicht auf diese Art enthalten, aber es meint die Realität auf eine hoffnungsvolle, auf eine optimistische Art und Weise. Wobei ich finde, dass Poesie und Schönheit immer auch an sich sehr hoffnungsvoll sind. 25


26 In Szene

Foto: Lieblinge


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kommt mir eine Erinnerung wie ein Filmausschnitt in Zeitlupe in den Sinn: In „Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper“, dem Stück von Alvis Hermanis, in dem wir zusammen spielen, beobachtet Hilke als Figur gleich zu Beginn die Szene der sich anbahnenden Liebesbeziehung zwischen Tosca (Friederike Wagner) und Mario Caravadossi (Jirka Zett). Mit selbstbewusstem Wissen, selber Tosca zu sein, öffnet sich der gespielte alte Körper von Hilke, das Gesicht mit all den 32 Muskeln gerät in erotisch aufgeladene Anspannung, verjüngt sich magisch und ein „Ich möchte aber heute Tosca sein!“ fällt als Forderung aus ihrem Mund. Die Aussage „Sie waren doch gestern schon Tosca“ folgt mit nachdrücklicher

Denke ich an Hilke,

von Gottfried Breitfuss

Endgültigkeit. Dieser Satz trifft auf den Körper auf, versteift ihn, lässt ihn versteinern, selbst der Gehstock reagiert gleichsam bleiern auf diese ungeheuerliche Absage. Der Gesichtsausdruck indes verwandelt sich ein- und ausdrücklich von Ungehaltenheit zu Wut, zu Trauer, die linke Oberlippe schiebt sich nach oben als Bild tiefster Verachtung. Dies alles innerhalb weniger Sekunden. Das zu sehen – weil selber in diesem Moment mit dem Rücken zum Publikum –, diese Transformation miterleben zu dürfen, ist jedes Mal ein Hochgenuss und ich frage mich: „Wie machen Sie das, Frau Altefrohne?“ Es gibt wohl so etwas wie Gefühlsabfolgegenauigkeit und den jeweils dafür adäquaten künstlerischen Ausdruck. Hilke zuzuschauen heisst, Prozesse verfolgen und erkennen zu dürfen. Sie spielt nicht verschwurbelt irgendetwas irgendwie, um mich erraten zu lassen, was da wohl los ist in

Hilke Altefrohne, 1972 in Osnabrück geboren, ist seit der Spielzeit 2013/14 Ensemblemitglied des Schauspielhauses Zürich. Nach Stationen am Staatstheater Kassel und am Schauspiel Frankfurt, wo sie 2004 für ihre dortige Arbeit von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt wurde, war sie am Maxim Gorki Theater Berlin engagiert. Ab dem 6. Februar ist sie in „Viel gut essen“ von Sibylle Berg im Pfauen zu sehen.

diesem Menschen. Sie öffnet ihr Visier und lässt mich teilhaben, im besten Sinne mitfühlen. Sie bekennt Farbe, uneitel und lebendig, sie traut sich was! Was will ich mehr im Theater? Da ist eine am Spielwerken, die die zwölf Monate kennt. Eine gestandene „Menschin“, die elegisch, fragil sein kann, wenn es notwendig ist. Chapeau und weiter so, auf ein Neues, liebe Hilke!

Hilke Altefrohne


DAS DU-HEFT GRATIS AUF WWW.BLOCHER.CH von Stefan Zweifel

Letzten Sommer stand ich mit Robert Menasse beim Dreh für die Sendung „Reporter“, welche vor den Nationalratswahlen kurzfristig aus dem Programm von SRF gekippt wurde, im Zürcher Kunsthaus vor Ferdinand Hodlers Wandgemälde „Einmütigkeit“. Man sieht eine Schar von Männern, die sich im Kreis um einen Anführer versammeln und alle einstimmig die Hand zum Himmel heben. Wir fragten uns: Wann schlägt Demokratie in Diktatur um? Ich zitierte ein Lieblingswort von Christoph Blocher: „Der Starke ist am mächtigsten allein“ aus Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. Da falsche Zitate bekanntlich heikel sind, prüfte ich es nach. Und entdeckte, dass es auch an anderer Stelle aufgeführt wird: Als Motto zum 8. Kapitel von Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Der Gebrauch und oft auch Missbrauch von Zitaten und der Wandel ihres Inhaltes je nach Kontext, also je nachdem, ob man Schillers „Tell“, Hitlers Kampfschrift oder eine Wahlkampfrede von Christoph Blocher liest, wäre nicht nur eine längst fällige Aufgabe für Philologen, sondern auch für politische Intellektuelle. Stattdessen scheuchte ein zynischer Auftritt von Blocher im Herzen des Bildungsbürgertums nur Lukas Bärfuss auf: Das „Du“-Heft gab Blocher just vor den Nationalratswahlen und dem Rechtsrutsch eine Plattform, sich den MitteWählern als Kunstmäzen zu präsentieren. Der Journalist Oliver Prange schreibt im Editorial „Der Berg steht und bleibt, auch er ist nicht verdammt“ – der Wortlaut stammt aus dem Interview mit Blocher. Der Chefredakteur Oliver Prange beschwört, dass Blocher Kunst nicht als Kapital betrachtet, er „dachte nie an eine Sammlung, nur an Bilder“. Der Satz stammt auch aus Blochers Mund. Der 28

Herausgeber Oliver Prange schwärmt von der Arbeitskraft Blochers, wenn er „oft nachts aufsteht“. Auch dieser Satz stammt aus dem Interview. Und prompt schaltete Blocher das ganze „Du“-Heft für uns alle gratis auf seine Website. So macht sich das Editorial von A bis Z zum Sprachrohr eines Politikers, der genau jenen Geist verkörpert, gegen den im Zweiten Weltkrieg das „Du“ mit Hilfe von Migranten und Flüchtlingen gegründet wurde. Unter Blochers Interview prangte ein Inserat der Autofirma Emil Frey, mit deren Finanzmacht der SVP-Politiker Walter Frey während der Zürcher Jugendunruhen den Tages-Anzeiger in die Knie zwang und ein Schreibverbot für Niklaus Meienberg durchsetzte. Eine Epoche geht zu Ende. Die Kultur steht zum Ausverkauf. Bei einem Gespräch mit Christoph Blocher im BeyelerMuseum über Ferdinand Hodler lobte ich den anarchistischen Geist von Willhelm Tell, der sich gegen die Mächtigen auflehnte und 1653 das Vorbild der aufständischen Bauern war, die als Tell und Stauffacher verkleidet in die Schlacht zogen, bevor ihr Anführer an einer Strassenkreuzung vor Bern gevierteilt wurde. Tell, der linke Rebell? Es gibt Hinweise, dass Goethe, der den Schweizer Sagenstoff entdeckte und dann Schiller „auslieh“, diesen Tell als Säumer gezeigt hätte, als Grenzgänger und Schmuggler also – und damit Urvater der Schweizer Traditionen, Schweizer Söldner als Wirtschaftsflüchtlinge in ausländischen Dienst abzuschieben und Geld und Kapital über die Grenzen zu schmuggeln. Dürrenmatt unterstellte Tell, er habe den Hut nur deshalb nicht gezückt, weil er sich dumm stellte und so tat, als sähe er die Fahnenstange gar nicht. Er verglich damit die Haltung der Schweiz im ersten Weltkrieg, als zwar nur wenige Hitler grüssten, aber viele mit ihm Geschäfte machten und sich quasi aus Profitgier dumm stellten. Die schwache Schweiz stellte sich damals ins Abseits, ganz nach dem Motto: Der Schwache profitiert am mächtigsten allein. Noch heute ein wirtschaftspolitisches Argument der Euro-Gegner. Der italienische Philosoph Antonio Gramsci forderte von den Intellektuellen, dass sie das Feld des Politischen besetzten. Dieses Feld scheint aber direkt und indirekt durch jene besetzt, die das Ressentiment gegen Intellektuelle schüren. Schon Platon wollte die Dichter aus seinem idealen Staat verbannen. Heute wird das Feld der Intellektuellen von Populisten besetzt. Von der Weltwoche über die BAZ bis hin zum Editorial im „Du“. Eigentlich ein Ernstfall.

NÄCHSTE AUSGABE VON ZWEIFELS ZWIEGESPRÄCHE MIT GÜNTER NETZER UND WERNER DÜGGELIN Stefan Zweifel trifft in seiner Reihe „Zweifels Zwiegespräche“ den Regisseur Werner Düggelin und den Fussballweltmeister Günter Netzer zum Gespräch über Theater und Fussball. 24. Januar, Pfauen, 20:00


Abschied von Werner Morlang Am 18. November ist der Literaturwissenschaftler Werner Morlang in Zürich gestorben. Er war dem Schauspielhaus eng verbunden, unter anderem durch seine legendären Lesezyklen. Am 12. Dezember fand im Pfauen eine Gedenkfeier zu Ehren Morlangs statt.

Auszüge aus der Rede des Schriftstellers Christian Haller Es gab kein Treffen, keine noch so kurze Begegnung, bei der die unnachahmliche Geste Werner Morlangs nicht zu sehen war; sie liess sich nach den Lesungen im Keller des Schauspielhauses beobachten, wenn er den Applaus entgegennahm, ich sah sie bei unserer ersten Begegnung am Central an der Tramhaltestelle. Während ich redete, stand Werner mir gegenüber, imposant in der Erscheinung, sein bärtiges Haupt geneigt, der Blick aufmerksam mit einer Prise Skepsis in den Augenwinkeln. Ein kurzes „Ja“ leitete seine Antwort ein und da war die typische Geste, die seine Worte begleitete: Beide Arme schossen gleichzeitig nach vorn, wippten zwei drei Mal, während sich der Kopf seitlich neigte und die Finger der nach oben gewendeten Hände sich spreizten. In der Stimme war ein leichter Überdruck, als hätte es ihn eine Anstrengung gekostet, mit dem Sprechen zu beginnen, und ich vermutete, gehütet und geheim sei eine Schüchternheit in der wuchtigen Figur verborgen, die nicht nur in der Stimme, sondern auch in dieser Geste zum Ausdruck kam, die besagte: Ja, so ist es und deshalb halte man sich an das Lohnende – womit er immer bestimmte Bücher und Autoren meinte. (…) Werner war ein Grandseigneur des Wortes, der sich stets in der besten Gesellschaft von Büchern aufhielt,

Werner Morlang (19. Mai 1949 bis 18. November 2015) beim Kaffee in der Kronenhalle, fotografiert 2007 von Werner Gadliger

mit Faulkner, Walser oder Schmidt verkehrte, seine unnachahmliche Geste machte, wenn er sich gerade mit David Goodis über einen Krimiplot unterhielt. Sein geistiger Umgang drückte sich in seiner Haltung, seinem Schreiben aus: Er verwarf das Gefällige, misstraute den Moden und all dem, was gerade „en vogue“ war: Er schaue dann in das Buch hinein,

sagte er jeweils von einem der eben hochgelobten Werke, wenn es im Antiquariat sei, also schon bald. In seiner Gegenwart war das Jammern über fehlende Beachtung, das uns Autoren – wie andere Leute der Schnupfen – von Zeit zu Zeit befällt, gänzlich unangebracht. Wer auf sich hielt, hielt es mit Walser: Unser Ort ist das „so schön beiseit“. 29


piano forte Über das Abschweifen der Gedanken beim Hören der Musik Der Komponist und Regisseur Ruedi Häusermann unternimmt gemeinsam mit vier Pianisten, vier Schauspielern und einem Chor eine musiktheatralische Reise durch die Geschichten und Bilder, die ein musikalisches Werk in sich trägt. Was wie ein Konzert für vier Klaviere beginnt, verwandelt sich mehr und mehr in eine flüchtige, traumähnliche Welt, in der Bilder und Geschichten auftauchen, sich überlagern und wieder verschwinden. Die klanglichen und visuellen Welten, die entstehen, wenn die Gedanken der Zuhörer beim Hören der Musik abzuschweifen beginnen, werden zu einem Erlebnis der besonderen Art, das dort sein Ende findet, wo es auch begonnen hat: in einem Konzertsaal… Die Bilder auf den folgenden Seiten stammen von Giuseppe Reichmuth. Er ist bildender Künstler und lebt in Zürich. Für „piano forte“ ist er gemeinsam mit Regula Zuber und Ruedi Häusermann für das Bühnenbild verantwortlich. Seine Zeichnungen entstanden während der Entwurfsphase des Bühnenbilds.

PIANO FORTE Über das Abschweifen der Gedanken beim Hören der Musik von Ruedi Häusermann Uraufführung Komposition und Regie Ruedi Häusermann Mit Christian Baumbach, Fritz Fenne, Rahel Hubacher, Johannes Sima, dem Kukuruz Quartett (Philip Bartels, Duri Collenberg, Simone Keller, Lukas Rickli) und einem Chor Premiere 13. Januar, Schiffbau/Box Unterstützt von der Stiftung Corymbo

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Dušan David Pařízeks Adaption von Klaus Manns „Mephisto – Roman einer Karriere“ hatte am 15. Januar im Pfauen Premiere. Mitläufertum, die Verbindung von Kunst und Politik sind die zentralen Themen. Wir haben die Autorinnen Monique Schwitter und Katja Brunner um ihre Sicht der Dinge gebeten.

„Wer in politics bis gestern noch apathisch war, den hat das Resultat unserer Reichstagswahlen aufgerüttelt.“ Das schrieb Klaus Mann im Herbst 1930 als Reaktion auf die Wahlen, bei denen die NSDAP einen ungeheuren Zuwachs erlebte und plötzlich zweitstärkste Fraktion im Parlament war. von Monique Schwitter

MEPHISTO nach dem Roman von Klaus Mann Klaus Mann erzählt von den Verquickungen von Kunst, Macht und Politik exemplarisch an der Geschichte des Mitläufers Hendrik Höfgen, der sich unter dem nationalsozialistischen Regime vom Provinzstar zum gefeierten Staatsschauspieler und Intendanten des Preussischen Staatstheaters hocharbeitet. Am Höhepunkt seiner Karriere muss er erkennen, dass er zu einem „Affen der Macht“ und „einem Clown zur Zerstreuung der Mörder“ geworden ist. Regie Dušan David Pařízek Mit Miriam Maertens, Michael Neuenschwander, Elisa Plüss, Siggi Schwientek, André Willmund Premiere 15. Januar, Pfauen Unterstützt vom Förderer-Circle des Schauspielhauses

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So einfach, so klar? Für Klaus Mann schon. Für viele andere Deutsche, wie wir wissen und wie die Welt leidvoll erfahren musste, nicht. Keine drei Jahre später hatte der Nationalsozialismus alle seine politischen Gegner ausgeschaltet, die SPD verboten, den Reichstag aufgelöst. Durch das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ war die NSDAP fortan die einzige legale Partei. War Klaus Mann besonders hellsichtig oder einfach nur vernünftig? War er, der in diesen Jahren zum erbitterten Feind der Nationalsozialisten wurde, nun herausragend mutig oder ist er schlicht seiner Bürgerpflicht nachgekommen, indem er Widerstand leistete? Klaus Mann hat nicht von ungefähr einen Theatermann zum Protagonisten seines Romans „Mephisto“ gemacht. An dessen Werdegang lassen sich die Herausforderungen und Verlockungen im Spannungsfeld zwischen Integrität und Korrumpierung besonders interessant beschreiben.

Aber ist humanitäres Engagement nicht möglicherweise zu wenig? Ist es nicht immer auch systemerhaltend? Ändert es denn irgendetwas am Grundproblem? Ist das nicht der Fluch jeder karitativen Bemühung? Wenn wir zum Ausgangspunkt dieser Betrachtung und zu Klaus Mann zurückkehren: Wie kann, wie soll ein Theater auf antidemokratische Tendenzen und Prozesse in der Politik reagieren? Fragen wir Klaus Mann. Herr Mann, was täten Sie, würden Sie Zeuge einer kontinuierlichen Verschiebung der politischen Landschaft hin zu einem hermetischen System aus Hochfinanz, Lobbyismus, Vetternwirtschaft und gekaufter Berichterstattung? KLAUS MANN  Wenn

Sie einem 66-jährigen Toten zuhören mögen: Ich rate Ihnen mit Nachdruck, nicht müde zu werden, auf diese Verstrickungen hinzuweisen und insbesondere die Freiheit und Unabhängigkeit der publikativen Gewalt – der Medien – einzufordern. Überdies wäre es wünschenswert, das Bewusstsein Ihres Umfelds und

Foto: Matthias Oer tel

DER AFFE DER MACHT

Theater brauchen zu jeder Zeit mächtige Befürworter auf Seiten der Politik, davon hängt ihre Existenz ab. Mit diesen müssen sie kooperieren, ohne zu fraternisieren. Was nun ihr eigenes politisches Engagement angeht, sollen Theater, so der öffentliche Auftrag, immer wieder an unsere demokratischen Grundverabredungen erinnern, an deren Einhaltung appellieren, den gesellschaftlichen Konsens erläutern. Andererseits dürfen sie weder parteipolitisch aktiv werden noch Wahlkampf betreiben. Bleibt das humanitäre Engagement. In der aktuellen Flüchtlingshilfe rufen Theater zu Spenden auf, sie solidarisieren sich mit den Notleidenden, sie stellen, wie in einigen Fällen geschehen, in Absprache mit den politisch Verantwortlichen ihre Räume sogar als Notunterkünfte zur Verfügung.


Ihres Publikums hinsichtlich dieser Prozesse zu schärfen und diese daran zu erinnern, wählen zu gehen. Haben Theaterhäuser und mit ihnen alle Künste und Künstler, die von der öffentlichen Hand leben, eine Verpflichtung zur Dankbarkeit? Oder ist es im Gegenteil vonnöten, durch permanentes Aufbegehren Unabhängigkeit zu demonstrieren? KLAUS MANN  Mein

Protagonist in „Mephisto“, Hendrik Höfgen, arrangiert sich mehr und mehr mit dem nationalsozialistischen Regime und wird, wie er selbst sagt, zu einem „Affen der Macht“. Grundsätzlich glaube ich, dass Theater immer beide Möglichkeiten hat: staatstragend zu sein, egal in welchem politischen System – oder aber ständig neu für Transparenz, Unabhängigkeit, Gleichheit und Vielfalt einzustehen. Theater verfügt über die Mittel, komplexe Fragen differenziert und kontrovers zu untersuchen und dabei Hirn und Herz gleichermassen in Schach zu halten und zu überzeugen. Darin sollte denn auch sein beständiges Bestreben liegen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mann. KLAUS MANN  Einem

Toten können Sie ja alles in den Mund legen.

Das ist gefährlich, ich weiss. KLAUS MANN  (Nickt.)

MONIQUE SCHWITTER, 1972 in Zürich geboren, lebt seit 2005 in Hamburg. Sie hat in Salzburg Schauspiel und Regie studiert und war unter anderem an den Schauspielhäusern in Zürich, Frankfurt, Graz und Hamburg engagiert. Seit 2012 ist sie Mitglied der Hamburger Freien Akademie der Künste. 2013 erhielt sie für ihr Werk den manuskripte-Preis. 2015 wurde sie mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet.

VON DEN BISSTAKTIKEN VON BLUT- HUNDEN Ungefähr zehn Gründe, warum jegliches Theaterschaffen politisch ist von Katja Brunner

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Sprachen an sich sind politisch. Regeln sie ja menschlich hergestelltes Zusammentreffen. 1. Teilhabe und Teilhaftigkeit, weil DICHTung unsere Erfahrungen konzentriert, bestenfalls über sie hinausweist. 2. Du, ich, sie, er, es, wir sind immer Opfer und Reproduzierende, Sprengende und Folgende dieser mehr oder weniger verbindlichen Strukturen um uns herum. 3. Das Verbreiten, Herstellen, Kommentieren und Zeigen von Ideen und Realitäten durch einen bestimmten Blick. 4. Das Recht auf schlecht. 5. Wenn nur Propagandamaterial als politisch verstanden wird, dann handelt es sich dabei um fahrlässiges Erkenntnisunterdrücken. 6. Politisches Denken und Schreiben und Schaffen muss nicht zwingend agitatorisch sein. (DOPPELTE 5.) 7. Sich zu Verantwortung zu bekennen, bedeutet noch lange nicht, dass man deswegen einen dezidiert aufklärerischen und moralischen Standpunkt vertreten muss. (DOPPELTE 5. & 6.)

8.

Wenn man Kunst als unpolitische Weltdekoration mit leiser Kommentar‑ funktion versteht, hat man ins Klo – in ein sehr neoliberales Klo – gegriffen. Eben nicht einmal in sich selbst eingegriffen und so erst recht nicht in jemand anderen hinein*. 9. Der Rezipient, die Rezipientin darf / soll / muss als mündige/r Mitgestaltende/r des Kunstwerks verstanden werden, sonst haben wir den Salat der belehrenden Bevormundung. 10. O-ooo: Alles, was zu nützlich sein möchte, macht sich sehr schnell überflüssig, es möchte doch so lesbar, konsumierbar und nützlich sein. 11. Kunstschaffen lebt von Ambivalenzen, vom Unsagbaren, vom Nichtauseinanderdividierbaren. Es ist eine Freveltat, Menschen mit einschlägigen Antworten zu belästigen, geschweige denn zu entlassen. Das ist hier kein Ablasshandel. (SIEHE 13.) Wohl, meistens, häufig, nie. 12. Befreien wir den Begriff des Politischen in der Kunst von seinem tantenhaften Ruf, von seinem agita*) EIN BETRAG STEHT AUF DEM SPIEL.

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SKEPSIS IN PUNKTEN DARGESTELLT 1.

When it bleeds, it leads. KünstlerInnen sind Bluthunde. Bluthunde bringen ihren Herrchen und Dämchen Opfertiere, um Zuneigung zu erwerben. Meint: Das ästhetisch attraktive Aufbereiten von real stattfindendem Leiden (vielleicht 1000 Kilometer weiter weg oder 20 bis 2500 Jahre in der Vergangenheit liegend) zur schreckgeladenen, aber adrenalinausstossenden Unterhaltung kann zweckvereitelnd sein. (Zuweilen nur Selbstzweck.) 2. Sich realpolitisch klar zu äussern, erweckt oft den Anschein, besonders wissender, aufgeklärter und letztendlich souveräner zu sein als der Zuschauende, das kann kontraproduktiv sein – und gelogen. 3. Schätzen: Vielleicht ist die Kraft von Theater als Ort des Nachhallens einer Erzählung zu sehen. Und vor allem als Ort des Nachhallens von Fragen. Die Kraft des kollektiven Fragens über die Kraft des kollektiven bereits-beantwortetHabens stellen. 4. Tür und Tor öffnen den Ambivalenzen, den Löchern im Eis, den Nichtdefinierbarkeiten der menschlichen Seele und der Gesellschaftsseele direkt hinzu.

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„Verantwortung zu bekennen bedeutet noch lange nicht, einen dezidiert aufklärerischen und moralischen Standpunkt zu vertreten.“ 5.

Haltungen prüfen! Kein/e Diener/in von altdahergelaufenen Meinungen werden und bleiben. Bequemlichkeit der Betrachtungsweise ist kein besonders guter Weggefährte, geschweige denn Katalysator. 6. Widerspruch ist ein Katalysator. Es handelt sich um Konflikte, die sich nicht wie eine Brausetablette auflösen lassen. 7. Karrieregeilheit und politische Gleichgültigkeit sind ansteckend. 7,5. Karrieregeilheit und politische Gleichgültigkeit sind probate Mittel, um die Miete immer gut zahlen zu können, selbst wenn man in den Künsten tätig ist. 8. In diesem Land reisst sowieso niemand den Mund auf. Er wird mit Watte ausgestopft, sobald er sich öffnet und die Stimmbänder ins Schwingen geraten. Oder mit Schnee ausgestopft. Oder mit dem neuen Sprünglisortiment. Oder mit Luxemburgerli. Oder mit Geldern, erwirtschaftet aus Waffenexport. 9. Vermeintlich scheint ALLES SAGBAR – vor allem in einer Zeit, in welcher rassistische Ressentiments salonfähig geworden sind. Aber sehen Sie, sobald sich linkskonformistische Autoren zur Lage ihrer Nation äussern, sind sie sofort unwillkommene Kultursubventionsschmarotzer. Wo sie davor Vorzeigeexporte waren. Plötzlich wird ihnen die Mündigkeit abgesprochen und sie sind nicht mal mehr kenntnisreich genug, um sich eine Wahrnehmung zu leisten. Dann folgt eine mediale Debatte, die kaum inhaltlich reagiert, sondern das Gesagte formal anzugreifen versucht. Das grosse Schweigen also und viel heisse Luft im Schweigen drin. 10. Liebe Mitarbeiter Wer für seine Rechte kämpft, wird ausgewiesen. 11. Zum Glück gibt es Hodler und Anker und zum Glück wissen wir auch, in wessen Tasche ihre Werke gewandert sind. 12. Zum Glück ist Theater eine flüchtigere Kunstform und kann nicht in ihrer Vollständigkeit in den Wohnzimmern von nationalistischen Demagogen zu hängen

kommen. Was kauft so jemand eigentlich sonst so? Rückgratlose Grafikdesigner? „Mein Kampf“ aus Dachböden heraus? Poolfilter? Jagdhutmode? Potenzsteigernde Medizin? Lipostat? Atomwaffen für den Privatgebrauch – man weiss ja nie? Öltanks? Ein Anwesen, um genug Platz für seinen Thinktank mit Gleichgesinnten zu haben? Ich korrigiere: Sie müssen ja gar nicht am Rand operieren. Sie sind ja in der Mitte der Herzen angekommen. Sämtliche Werbeflächen in sämtlichen Hauptbahnhöfen der Schweiz? Ich korrigiere: Sämtliche Werbeflächen schweizweit? 13. In fast einem jeden Leben dominieren früher oder später bestimmte Sicherheitsbedürfnisse, Krankenkasse, Kinder(wunsch), Zweitwohnungsambitionen, eine Vorliebe für reduktionistisches dänisches Design. Warum also nicht einfach eben klar und deutlich jene linkskonformistischen Gedanken weitergeben, die meine Freunde seit ich denken kann von sich geben. Sie aber bitte möglichst niederschwellig und verständlich von sich geben, damit ja kein Missverständnis über die saubere Gesinnung entsteht. Und man keinen Widerspruch und keine Unstimmigkeit aushalten muss. Zugehörigkeit ist doch wichtig. Tut mir leid – habe ich gerade saubere Gesinnung geschrieben? Naja. (Vielleicht wird saubere Gesinnung einige alte Kollegen an Zeiten erinnern, in welchen klar war, wer hier der Feind ist und wer nicht.) 14. Wobei, Moment: Was kaufen eigentlich die ganzen Linken? Wasserfilter? Selbstreinigende Solarpanels? Gendergerechtes Holzspielzeug für schweigsame Kinder? 15. Eigentum verpflichtet zur Ausbeutung, heisst es bei Klaus Staeck. 16. Und Raum und Ressourcen zur künstlerischen Auseinandersetzung mit Menschen, die in Systemen leben, verpflichten dazu, genutzt zu werden. KATJA BRUNNER, geboren 1992 in Zürich, studierte Literarisches Schreiben an der HdK Bern und Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. 2013 gewann sie mit dem Stück „Von den Beinen zu kurz“ den Mülheimer Dramatikerpreis. Ausserdem wurde sie in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zur besten Nachwuchsautorin gewählt. In der Spielzeit 2014/2015 kam ihr Stück „Geister sind auch nur Menschen“ im Luzerner Theater zur Uraufführung.

Foto: Annina Haab

torisch verlogenen Impetus, von seiner fingerzeiggeilen Besserwisserischkeit und lassen ihn FROH WIE STROH LEUCHTEN. FROH WIE STROH leuchten heisst: an Einflussnahme des Einzelnen glauben – sei es nur um des Glaubens willen, den Ohnmachten entgegenzuwirken. 13. Dezidiert politische Kunst ist der Ablassbrief für die KonsumentInnen. Sie haben sich dadurch bereits ausreichend mit TSCHERNOBYL/HOLOCAUST/KHMER ROUGE/RUANDA/RECHNITZ/VERDINGKINDERN und deren Folgen und/oder Gräueltaten beschäftigt. Von daher ist man ein waches, denkendes und seine Empathietüchtigkeit unter Beweis stellendes Mitglied der Gesellschaft, weil es durchaus maximal berührend ist, wenn es jemandem so schlecht geht und jetzt die Zukunft so schwärzest aussieht, und man hatte doch mal diesen Bekannten, der dann doch sehr auffällig wurde, weil, weil, weil. Die Ungerechtigkeit der Welt muttertheresahaft und durchwegs privilegiert zu bestaunen als Endziel. Selbstvergewisserung: Ich bin doch ein moralisch intaktes Menschenwesen. 14. Gleichwertigkeit der Tatsachen der Existenz. 15. Die Notwendigkeit eines Zuschauenden. Gemeinsames Ritual.


CAREY

MULLIGAN

HELENA

BONHAM CARTER

BRENDAN

GLEESON

ANNE-MARIE

DUFF

UND

MERYL

STREEP

SUFFRAGETTE DER BESTE FILM DES JAHRES. ELLE

AB 4. FEBRUAR IM KINO

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Foto: Caroline Minjolle

Was macht eigentlich eine Dramaturgin? Diese Frage hört man ausserhalb des Theaters mindestens so häufig, wie der Beruf genannt wird. Gwendolyne Melchinger ist seit zweieinhalb Jahren eine der fest angestellten Dramaturgen am Schauspielhaus Zürich. Für dieses Journal hat sie sich bereit erklärt, Licht in das Dunkel des Berufes zu bringen und sich einen Tag lang begleiten zu lassen. Gwendolyne (Mitte) bei einer Bühnenprobe zu „Mephisto“ mit Regieassistentin Sonja Streifinger und Technischem Direktor Dirk Wauschkuhn.

SCHICHT MIT GWENDOLYNE MELCHINGER von Sandra Suter

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9:15 Ein Flieger aus Wien landet am Flughafen Zürich, an Bord die Dramaturgin Gwendolyne Melchinger vom Schauspielhaus Zürich. Ich treffe sie eine halbe Stunde später an der Bahnstation des Flughafens – um 10:15 wird sie auf der Probebühne im Schiffbau erwartet. Eine Stunde zwischen Landung und Probebeginn muss sie jeweils einrechnen. In der S16 erzählt sie mir von ihrem Alltag als Dramaturgin.

Obwohl ihr Arbeitsplatz vor allem in ihrem Büro, auf der Probebühne oder im Zuschauerraum des Theaters ist, fliegt sie oft nach Deutschland oder Österreich, um sich an anderen deutschsprachigen Theatern Stücke und Schauspieler anzusehen und sich mit Regisseuren, Autoren oder Schauspielern zu treffen, um geplante Inszenierungen zu besprechen oder um Kontakt aufzunehmen im Hinblick auf eine mögliche Zusammenarbeit. 10:15 Im Schiffbau trifft Gwendolyne auf den Regisseur Stephan Kimmig, mit dem sie seine Inszenierung in der nächsten Spielzeit bespricht. Noch lange bevor die Proben beginnen, sprechen Regisseur und Dramaturgin über mögliche Stücke und Stoffe und dann über umfassende inhaltliche Aspekte des ausgewählten Stücks und über die Besetzung. Gwendolyne sagt, dass sie ursprünglich

Regisseurin werden wollte. Als ich von ihr wissen möchte, weshalb sie den Weg der Dramaturgin eingeschlagen hat, erklärt sie mir erst mal, worin sich die Aufgabenbereiche der beiden Berufe unterscheiden. Im Gegensatz zum Regisseur beschäftigt sich der Dramaturg nicht mit der Frage, wie etwas auf der Bühne umgesetzt werden muss, sondern was im Stück steht, und bewegt sich viel mehr in den Grundthemen, Ideen und Zusammenhängen des Textes. So bleibt er auch mehr im Hintergrund als der Regisseur, was Gwendolyne gefiel. Zusätzlich ist es auch die Aufgabe des Dramaturgen, den Gesamtüberblick über die Produktion sowie über den Spielplan zu haben. Für den Regisseur ist der Dramaturg ein wichtiger Gesprächspartner. „Was wünschst du dir von einem idealen Regisseur?“, frage ich sie. Eine Begegnung auf Augenhöhe ist wichtig und er soll ein offener Gesprächspartner sein, dem man durch Anstösse, Fragen, Kritik weiterhelfen kann und mit dem man neue Ideen und Sichtweisen entwickelt und überprüft. Das Vermitteln zwischen Menschen innerhalb der Produktion in künstlerischen oder auch menschlichen Krisensituationen ist ebenfalls ein wichtiger Teil der Produktionsdramaturgie.

Beim Regisseur schätzt sie Begeisterungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Sicherheit in der Führung der Schauspieler und die Fähigkeit, eine angstfreie und produktive Atmosphäre zu schaffen. Ich möchte wissen, ob der Dramaturg bei einer Produktion hierarchisch über dem Regisseur steht. „Nein“, sagt Gwedolyne, „das letzte Wort hat der Regisseur; er trifft schlussendlich alle künstlerischen Entscheidungen“.

11:25 Nach einem Telefongespräch mit dem Theaterverlag Rowohlt trifft sie sich mittags in der Schiffbaukantine mit dem Schauspieler Klaus Brömmelmeier, um ihm seine nächste Rolle mitzuteilen. Ich frage die beiden, was denn für sie einen idealen Schauspieler ausmache. Er muss vielseitig sein, offen, ein gutes Sprachgefühl und eine Musikalität sowie manchmal auch sehr viel Geduld mitbringen. Es soll ihm um die Sache gehen und nicht darum, sich selbst zu profilieren. Ausserdem schätzt Gwendolyne bei den – manchmal noch sehr jungen – Spielern eine Mündigkeit, ein eigenständiges Denken.

12:30 Auf der Probebühne im Zeughaus findet heute mit den Schauspielern des Stücks „Mephisto“ und dem Regisseur Dušan David Pařízek die erste Leseprobe statt. Er stellt seine Gedanken zur Inszenierung und zum Bühnenbild vor, welches auf der Probebühne bereits in den Grundzügen erkennbar ist. Er erklärt dem Ensemble, wie er die Geschichte über den Schauspieler Hendrik Höfgen, der durch den Aufschwung der Nationalsozialisten zu Ruhm kommt, darstellen möchte, und problematisiert die vermeintlich unpolitische Haltung, auf die sich Schauspieler Höfgen am Schluss des Romans beruft. Hier kommt auch das Schauspielensemble leidenschaftlich ins Diskutieren. Am Ende werden Pařízeks Ausführungen noch von Gwendolyne ergänzt. Sie erwähnt weiterführende Texte und Filme, mit denen sich die Schauspieler zur Vorbereitung auf ihre Rollen auseinandersetzen können. Ausserdem zeigt sie Parallelen der Geschichte Hendrik Höfgens zu anderen Personen aus der schweizerischen und deutschen Geschichte auf. Im zweiten Teil der Probe lesen die SpielerInnen in ihren Rollen den bereits vorhandenen Teil des Textes, während Gwendolyne sich Notizen zu möglichen Streichungen oder Änderungen macht, die sie vor der nächsten Probe mit dem Regisseur besprechen wird.

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Schicht mit …

15:32

Für das Theaterjournal bespricht Gwendolyne sich mit ihren beiden Dramaturgie-KollegInnen, die für das vorliegende Heft die Redaktionsleitung übernommen haben. Die Verantwortung dafür liegt in den Händen der Dramaturgie. 16:00 Anschliessend findet im Sitzungszimmer die wöchentliche Dramaturgiesitzung mit den DramaturgInnen, der Referentin der Intendantin sowie dem künstlerischen Betriebsdirektor des Schauspielhauses statt. Hier werden zum Beispiel die von verschiedenen Dramaturgen besuchten Vorsprechen der Abschlussklassen der Schauspielschulen besprochen.

Ausserdem werten die Dramaturgen für die kommenden Autorentheatertage 2016 eine Vorauswahl von Stückeinsendungen für den Wettbewerb aus und informieren die Jury über ihre Favoriten. Weitere Besprechungspunkte sind die Besetzung der Rollen in der nächsten Spielzeit sowie die Frage nach der inhaltlichen Gestaltung der Programm-

hefte für die Stücke.

18:20 Beim kurzen Nachtessen in der Pfauenkantine beschreibt Gwendolyne, wie sich ihre Arbeit durch den schnellen 40

Wechsel zwischen der eher hektischen Auseinandersetzung mit Menschen in Proben und Sitzungen und der eher ruhigen Beschäftigung mit Texten und Stoffen auszeichnet. Der Dramaturg ist zwar beim künstlerischen Prozess hautnah mit dabei, trotzdem nimmt er eine Aussenposition ein und versucht, den Überblick über das Ganze zu behalten.

Gwendolyne mag das Multitasking, das Jonglieren mit den unterschiedlichen Aufgaben. Sie sagt, man müsse zwar ständig auf der Hut sein, nicht in eine Fremdbestimmtheit hineinzugeraten, aber die vielseitige Arbeit spricht sie an und liegt ihr. Daneben geniesst sie auch die Phasen, wo sie alleine arbeiten, sich mit einem Stück auseinandersetzen kann, um in einen Austausch mit sich selbst zu gelangen. Diese Phasen sind eher spärlich gesät. Die terminliche Fixierung des Betriebs gehe eigentlich gegen künstlerische Prozesse, merkt Gwendolyne an. Das Theater ist sehr schnelllebig; das Schöne am Beruf der Dramaturgin ist aber gerade auch, dass sie diese kostbaren ruhigen Phasen einfordern kann, weil es für ihre Arbeit sehr wichtig ist. Dazu gehört sehr viel Lesen und die Beschäftigung mit der Frage, wie ich einen Text lese und welche Beziehung ich zu ihm habe. Roland Barthes erörtert in „Die Lust am Text“ die Frage, was das Lesen auslöst, welche Zwischenräume bei der Lektüre eines Textes entstehen. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen zeugt vom

Bestreben des Dramaturgen, sich immerzu die eigene Lesekonvention, die eigene Rezeption bewusst zu machen. Im bewussten Lesen wie auch im bewussten Schauen befindet sich der Dramaturg immer auf der Metaebene zwischen Mensch und Text. Mir wird klar: wenn die Zuschauer Beobachter sind, sind Dramaturgen die Chefbeobachter oder die Chefzuschauer, eine Art Super-User des Theaters. Gwendolyne beschreibt, wie sie damals als Dramaturgieassistentin gelernt hat, Theater zu „schauen“. Ob auf Proben oder bei Aufführungen, immer wieder wurde sie mit der Frage konfrontiert „Was siehst du?“ und musste sofort Rückmeldung geben.

19:08 Auch abends geht die Arbeit der Dramaturgin weiter. Sie hat heute Abenddienst bei der Vorstellung von „Die Jungfrau von Orleans“. Nach der Vorstellung findet ein Publikumsgespräch mit den Schauspielern statt, das von ihr moderiert wird. Der Dramaturg ist neben der konkreten Produktionsbetreuung, der Spielplangestaltung und dem Schreiben von Texten für Journal, Programmhefte und Monatsspielpläne auch für die Theatervermittlung im weiteren Sinne zuständig. Er kümmert sich zum Beispiel um Audioeinführungen oder Stücktrailer, die auf der Homepage veröffentlicht werden, oder er organisiert Gespräche zwischen Zuschauern und Regisseur. Gwendolyne beschreibt, wie – seit sie den Beruf ausübt – diese Art von Vermittlungsarbeit stark zugenommen hat. „Was wünscht man sich denn in so einer Position von einem idealen Publikum?“, möchte ich zuletzt wissen.

„Offenheit, Respekt, Interesse an der Auseinandersetzung, an einem gemeinsamen Dialog, an einem leidenschaftlichen Diskurs.“


DIE PHYSIKER von Friedrich D端rrenmatt Regie Herbert Fritsch Mit Jan Bluthardt, Gottfried Breitfuss, Jean-Pierre Cornu, Joel Eggimann, Benedict Fellmer, Corinna Harfouch, Wolfram Koch, Julia Kreusch, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Michel Stuber, Friederike Wagner, Milian Zerzawy

Szenen aus dem

Repertoire

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MEER von Jon Fosse Regie Barbara Frey Mit Henrike Johanna Jörissen, Claudius Körber, Hans Kremer, Stefan Kurt, Susanne-Marie Wrage, Jirka Zett

DER JOSA MIT DER ZAUBERFIEDEL nach dem Original von Janosch

DAS DOPPELTE LOTTCHEN nach dem Roman von Erich Kästner Regie Christina Rast Mit Jessica Früh, Johanna Küsters, Dagna Litzenberger Vinet, Lisa-Katrina Mayer, Isabelle Menke, Nils Kahnwald, Alexander Maria Schmidt, André Willmund

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Fotos; T+T Fotografie (4), Matthias Horn

Regie Enrico Beeler Mit Nehrun Aliev, Christian Hieronymi, Aaron Hitz, Simon Ho


DER BESUCH DER ALTEN DAME von Friedrich Dürrenmatt Regie Viktor Bodó Mit Klaus Brömmelmeier, Benedict Fellmer, Gerrit Frers, Philippe Graff, Christian Heller, Henrike Johanna Jörissen, Claudius Körber, Julia Kreusch, Matthias Neukirch, Nicolas Rosat, Friederike Wagner, Amine Yacoubi, Milian Zerzawy

Ins Theater mit

Sabine Gisiger

Die Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger widmete sich in ihrem jüngsten Film, der im Oktober letzten Jahres in die Kinos kam, Friedrich Dürrenmatt – einem Denker, der sie schon seit Langem begleitet. In „Dürrenmatt. Eine Liebesgeschichte“ erzählt sie von Dürrenmatts Beziehung zu seiner ersten Frau Lotti, durchwandert die alten Schauplätze, zeigt Archivmaterial und Gespräche mit Zeitgenossen und Hinterbliebenen. Der Film sucht Friedrich Dürrenmatt in Film- und Tonaufnahmen neu und dabei entsteht ein wunderbares, beeindruckendes Porträt – 25 Jahre nach seinem Tod. Die Regisseurin Sabine Gisiger, der dieses wunderbare Filmporträt gelungen ist, nennt es eine „fiktive, dokumentarische Autobiografie“. Sie war zur Premiere „Der Besuch der alten Dame“ im Zürcher Pfauen – wir haben ihr anschliessend ein paar Fragen gestellt.

Von woher kamen Sie zu der Premiere ins Schauspielhaus? Was ist Ihnen aufgefallen? Von zu Hause, ich wohne nah. Ich habe gestaunt, dass Herbert Grönemeyer da war. Kannten Sie das Stück vorher gut? Die „alte Dame“ beeindruckt mich seit ich sie in der Mittelschule gelesen habe, also seit Jahrzehnten. In der heutigen Zeit, in der in der Schweiz allerorts die direkte Demokratie mystifiziert wird, hat der demokratische Beschluss der Güllener, Ill zu ermorden, für mich eine andere Bedeutung bekommen. Die Güllener beschliessen Mord, rechtfertigen ihn mit der Wiederherstellung der Gerechtigkeit und legitimieren ihn mit einer Abstimmung.

In welcher Stimmung waren Sie in dem Moment, als im Zuschauerraum das Licht ausging? Schläfrig und erschöpft, die intensive Inszenierung des Grotesken hat mich aber schnell hellwach gemacht. Haben Sie während der Vorstellung gelacht? Am meisten gelacht habe ich bei der grossartigen Performance von Loby und Koby bei ihrem Auftritt. Haben Sie sich in die Aufführung vertieft oder blieben Sie distanziert? Dürrenmatt hat die Dinge aus Distanz betrachtet, das hat seine „Diagnosen der Welt“ so scharf gemacht und gibt ihnen gleichzeitig etwas Zeitloses. Das ging mir einmal mehr durch den Kopf.

Welchen Eindruck hatten Sie vom Premierenpublikum? Die Stimmung war vor allem im ersten Akt sehr heiter; es wurde von Anfang an viel gelacht. Haben Sie auf dem Heimweg noch daran gedacht – oder hatten Sie es schon vergessen? Auf dem Heimweg haben wir uns vorgenommen, wieder mehr ins Theater zu gehen. Welche Frage würden Sie dem Regieteam dieser Produktion gerne stellen? Welche Reaktion die Inszenierung in Ungarn auslösen würde. Welches Stück würden Sie gerne das nächste Mal am Schauspielhaus sehen? „Frank der Fünfte“ von Friedrich Dürrenmatt. 43


Junges Schauspielhaus Zürich

„Im Leben geht es darum, anderen Menschen eine Chance zu geben.“ Patinnen und Paten des Jungen Schauspielhauses ermöglichen kostenlose Theaterbesuche für Kinder und deren Familien in besonderen Lebenssituationen. Das gibt ihnen Gelegenheit, sich mit Fragen, die in der Reibung der verschiedenen Kulturen auftauchen, auseinanderzusetzen. von Barbara Stengl

„Die Erwachsenen haben die Jugendlichen im Stich gelassen“, sagt Ghaida, 18 Jahre alt, aus Syrien, nach der Vorstellung des Stücks „Die grüne Katze“ der Rumänin Elise Wilk. Gemeinsam mit ihren 12 SchulkollegInnen der Klasse „Sprache und Integration“ der Berufswahlschule Uster hatte sie die Möglichkeit, zuerst eine Probe des Stücks und danach eine Vorstellung zu besuchen. An der Probe wünschten sich der Regisseur Enrico Beeler und die SchauspielerInnen ein Feedback zum Stück. Sie beantwortete Fragen wie: „Wie stehen die Figuren zueinander? Wie geht es weiter?“ In einem Jahr in der Klasse „Sprache und Integration“ lernte Ghaida Deutsch, suchte eine Lehrstelle, spielte selbst Theater und besuchte mit ihrer Klasse dank der Unterstützung der 44

Patinnen und Paten regelmässig Theateraufführungen. „Spannend war das!“, sagt Ghaida. Theater in Syrien sei ganz anders. Ihre Klassenlehrerin Barbara Stengl freut sich sehr über diese Möglichkeit: „So können sich die SchülerInnen mit Fragen und Themen der westlichen Kultur auseinandersetzen. Fragen, die in ihrer Kultur nicht oder anders gestellt werden.“ Gemeinsam mit Petra Fischer, der Leiterin des Jungen Schauspielhauses Zürich, entstand die Idee eines kostenlosen Angebots für junge MigrantInnen, um ihnen so den Zugang zum Theater zu ermöglichen. Zur Realität der SchülerInnen

gehört die Auseinandersetzung mit Terror, Flucht, ihren alten Werten und den neuen der Schweiz. Hier bekommt das Theater einen wichtigen Stellenwert. Es bietet die Möglichkeit, dringliche Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders zu stellen und spiegelt die Probleme, Chancen und Herausforderungen der westlichen Welt. Manchmal ist diese Konfrontation für die SchülerInnen zuerst auch eine Belastung. Wenn sie sich stark mit dem Bühnengeschehen identifizieren, wenn sie, bleiben wir beim Beispiel des Stücks „Die grüne Katze“, die Verlorenheit der Figuren wahrnehmen und damit ihre eigene Heimatlosigkeit: Sie kennen das, dass sie sich auf nie-

„Im Theater haben alle Themen des Lebens einen Platz.“ELLEN RINGIER


Foto; T+T Fotografie

Theater Campus

La frontière, c’est quoi? von Daniela Stauffacher

manden verlassen können. So wie Yara*, 18 Jahre, Äthiopierin, die auf dem Nachhauseweg nach der Vorstellung bleich in der S-Bahn sitzt und ohne Verabschiedung aussteigt. Sie braucht erst einmal den Abstand zum Erlebten. Am Montag in der Schule kann sie wieder darüber reden, was den Figuren in dem Stück passiert ist. „Die grüne Katze“ trug die Jugendlichen zu folgenden Fragen: „Wie komme ich klar ohne elterliche Unterstützung?“, „Wo finde ich hier Unterstützung?“ und: „Sind Schweizer Jugendliche anders als wir? Wo sind wir uns ähnlich?“ Eine der Patinnen, Ellen Ringier, beobachtet ein zunehmendes Gefühl des Erstickens durch die unzähligen SMS, WhatsAppNachrichten und Mails, die den Menschen täglich erreichen. Da bleibt nur noch wenig Zeit, sich

zu fragen, worum es im Leben eigentlich geht. Sie selbst hatte Glück. Schon früh prägte sich ihr der Leitsatz ihres Grossvaters ein: „All life is about giving other people a chance.“ Im Theater, so ihre Meinung, haben alle Themen des Lebens einen Platz. Es geht darum, innezuhalten, die Haltung „so, ich analysiere das jetzt mal“ einzunehmen und mit anderen darüber zu sprechen. Durch die finanzielle Unterstützung der Paten und Patinnen wie Ellen Ringier, Kaspar Fleischmann, Barbara Frey-Curti, Susanne von Meiss, Sami Bollag, Gaby Nahmani sowie die inhaltliche Begleitung seitens der Theaterschaffenden wurde diese Auseinandersetzung möglich. Gibt es heutzutage etwas Wichtigeres?

*) Name geändert

„Wasn’t that just grand?“ Doch, sehr „grand“, befanden auch wir. Unser Nachbar strahlte. Er sei aus Australien angereist, Schwester in der Schweiz und Liebe fürs Theater. Er komme jedes Jahr ins Schauspielhaus. Das deutschsprachige Theater sei herrlich, das dürfe man sich nicht entgehen lassen. Wo er denn Deutsch gelernt habe, fragte meine Begleitung. „German? Oh, I don’t understand a word of it!“ Das war nun doch erstaunlich. Zweieinhalb Stunden Schiller ohne Deutschkenntnisse hört sich an wie …na ja, zweieinhalb Stunden Schiller ohne Deutschkenntnisse. Ihm schien es nichts auszumachen. Um Kunst zu verstehen, brauche man keine Sprache. Es sei schliesslich Kunst und nicht ein Kongress zu theoretischer Philosophie. Die Grenzen seiner Sprache seien nicht die Grenzen seiner Welt. Wir nickten und wussten noch nicht genau warum. Unser tägliches Studentengeschäft besteht darin, möglichst viel zu verstehen. Und wer nicht versteht, der versucht halt zu erklären. Wir sagen: Das ist Gesellschaft und das ist Gemeinschaft, das ist ein Backenzahn und das ein Eckzahn. Wir lernen, was kollektive Efferveszenz ist und dass Leptonen Fermionen sind. Wir lernen, Grenzen zu ziehen, wenn wir definieren: Das gehört dazu und das nicht. Und nun sass da einer, der hatte zwar kein Wort, aber vielleicht etwas anderes verstanden. Vielleicht hatte er verstanden, dass die Welt gross ist. Vielleicht, dass man etwas verpasst, wenn man sich gegen sie verschliesst. Vielleicht, dass man arm wird, wenn man bloss am Eigenen festhält. Vielleicht, dass man gerade von denen lernen kann, die einem fremd sind. Vielleicht sogar, dass man besser Theater oder Liebe macht anstatt Krieg. Möglicherweise hatte er aber wirklich nichts verstanden und wollte einfach seine Schwester für einen Abend loswerden. DANIELA STAUFFACHER ist Studentin an der Uni Zürich und betreut zusammen mit Jill Mühlemann den Theater Campus – die Plattform für Studierende am Schauspielhaus. Alle Spezialangebote und Events sind zu finden unter facebook.com/theatercampus und schauspielhaus.ch/theatercampus

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Impressum journal Januar / Februar / März 2016 Redaktionsschluss 29. Dezember 2015

ON S A E H S Andorra“ n S I L ENG Visit“ & „ in Germa „The Classics: itles t n s Swis nglish sur nglishseaso /e E with spielhaus.ch u scha

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Abonnement Das Journal erscheint 3x jährlich. Gegen einen Unkostenbeitrag von 12 Franken pro Jahr kann es unter www.schauspielhaus.ch abonniert werden. Herausgegeben von der Schauspielhaus Zürich AG Zeltweg 5, 8032 Zürich Intendanz Barbara Frey Redaktion Andreas Karlaganis / Irina Müller (Leitung) Christine Ginsberg (Bildredaktion), Gwendolyne Melchinger, Sandra Suter, Karolin Trachte Korrektorat Johanna Grilj, Daniela Guse, Annika Herrmann-Seidel, Irina Müller, Sandra Suter Gestaltung Büro Destruct / Caroline Grimm Druck Speck Print AG, Baar Auflage 15000 Das Journal wird unterstützt von der Hulda und Gustav Zumsteg-Stiftung.

K U LT U R T I P P S A U S D E M S C H A U S P I E L H A U S Z Ü R I C H

≈ „Heimat im Kochtopf“ ≈ Vir tuelle Wahnwelten

n regelZürich finde Im Art Dock ellungen st ssante Aus mässig intere Projekt s da Beispiel statt. So zum ches Wellen“, wel „Wahn Welt de. Zu ur w t ig ze ge letz tes Jahr im Gee Kunst, die sehen war di cher ür „Z etablierten gensatz zur d und an st “ en et onkr Konstruktiv-K ürcher m Aufsatz „Z steht. In eine elt“ nw einen Wah Schule der kl ese di on iz t Paul N von 1968 ha figüre, kt tra bs ia „ant Richtung als sta mit stark phan liche Malerei n. be ie hr chlag“ besc tischem Eins tlieb ot G , hn Ku iedrich Eva Wipf, Fr Albert Sadkowsky, x le A s, Kurfis sind ein ré Thomkins Steffen, And r sehr te rnamen un paar Künstle omeH r de ren. Auf vielen ande Tour: lle ue rt vi eine page gibt es k-zh.ch aal w w w.art-doc , Leiter Mals ld Thomas Unse

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Severine Vitali erzählt zusammen mit der Fotografin Ursula Markus in diesem Kochbuch liebevoll und ohne rührselig zu werden, die Geschichten von Flüchtlingen aus aller Welt, denen sie ihre Rezepte aus dem Heimatland zu entlocken vermochte. Auf dieser kulinarischen Weltreise halten wir inne in der Mongolei, in Tibet, wo wir leckere Momos nachkochen dürfen, Sri Lanka, weiter nach Jemen, wo wir mit dem Rezept „Schafskopf aus dem Ofen“ vielleicht etwas vor den Kopf gestossen werden, dann geht es ins irakische Kurdistan und nach Afghanistan, wo uns ein süsser Kardamom-Pudding verführen will. In Syrien lernen wir „Kubba“, Fingerfood aus roten Linsen, kochen, im Libanon erfahren wir, dass Taboulé fast nur aus Petersilie besteht, weiter in Senegal gibt es Fisch, in den Anden Quinoa-Bratlinge und so werden wir weitergeführt in neue Geschichten und Gaumenfreuden. Dieses Buch ist eine gefühlvolle Annäherung an die Schicksale dieser Menschen, die durch den Magen geht und unsere Sinne verzaubert. Manchmal traurig, manchmal komisch, aber immer herrlich duftend. www.rotpunktverlag.ch Cornelia Wettstein, Köchin Pfauenkantine

≈ Fotografie besonders erleben In der Photobastei Zürich kann man nicht nur die von Fotografen selbst gestalteten Ausstellungen bewundern, sondern auch in der dazugehörigen Bar immer wieder an unterschiedlichen Veranstaltungen teilnehmen. Hier wird die Fotografie mit anderen Kunstformen verbunden. Es werden immer wieder Lesungen, Tanz- und Theaterveranstaltungen, Workshops und Konzerte angeboten. Bei guten Drinks kann man von Donnerstag bis Samstag sogar bis Mitternacht die Ausstellungen besuchen und auch mittags in gemütlichem Ambiente bei einem Kaffee die Fotobuchbibliothek durchstöbern. Aktuell findet eine Jazzreihe statt und jeden Donnerstag gibt es eine Vernissage. Ein Besuch lohnt sich. Zurich’s biggest photography art walk: www.photobastei.ch Sonja Streifinger, Regieassistentin


Ihre

Leidenschaft

Unsere

Unterstützung

Inspiration für alle

Schauspielhaus Zürich und Swiss Re – eine inspirierende Partnerschaft. Ideen, Innovation, Inspiration – bewegen uns bei Swiss Re. Die Zusammenarbeit mit Menschen auf der ganzen Welt begeistert uns. Denn gemeinsam entdecken wir immer wieder neue Perspektiven und spannende Horizonte. Darum fördern wir auch kreatives Engagement und kompetente Leidenschaft – und die lebendige Kulturszene in Zürich. Sie regt an, sie berührt, sie lässt uns staunen und nachdenken. Und Gedanken austauschen, denn: Together we’re smarter. swissre.com/sponsoring



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