Schlossseiten Magazin Spring/Summer 2021

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KOLUMNE

Mag. Eva-Maria von Schilgen

SPRACH.LOS IM VIDEOCHAT „Die Sprache ist es, was den Menschen ausmacht. AUSSPRACHE das, was ihn verständlich macht.“ Eva von Schilgen (1948 – [geplant] 2068), Journalistin, Satirikerin

D

ie Sprache ist des Menschen wichtigstes Kommunikationsmittel. Schon im Mutterleib hört das Kind seine Umwelt, und bald nach der Geburt fängt das Baby an zu brabbeln. Mit zwei Monaten durchläuft es die sogenannte „erste Lallphase“, nach 6 Monaten die „zweite Lallphase“. Bei manchem erwachsenen Teilnehmer an Videokonferenzen hat man den Eindruck, dass dieser über jenes Alter nie hinausgekommen ist oder sich schon wieder auf dem Weg dorthin befindet.

Vermutet wird, dass sich der Mensch seit höchstens 125 000 Jahren, mindestens jedoch seit 40 000 Jahren mittels Sprache im heutigen Sinne verständigen kann. Fossile Funde lassen annehmen, dass diese Entwicklung über einen Zeitraum von etwa 2–7 Millionen Jahren erfolgte und mit der anatomischen Veränderung des Rachenraumes zum Resonanzkörper sowie der gleichzeitigen Vergrößerung des Kleinhirns einherging. Seit Jahrtausenden kommunizieren wir mit anderen Menschen von Angesicht zu Angesicht und haben gelernt, nach wenigen Sekunden diese in „Freund oder Feind“ bzw. in „like or dislike“ einzuordnen. Nach einer Studie des US-Psychologen und Professors an der University of California Albert Mehrabian aus dem Jahr 1967 gilt unsere erste Wahrnehmung zu 55 Prozent der Körpersprache, zu 38 Prozent der Stimmlage und nur zu 7 Prozent dem Inhalt eines Gesprächs. Bei der modernen Kommunikation über den Bildschirm sind emotionale Rückschlüsse fast nur mehr anhand des Gesichtsausdrucks möglich, was im Falle eines, bei Männern ebenfalls seit Jahrtausenden antrainierten, „Pokerface“ schwierig ist. So kann es sein, dass sich die Aufmerksamkeit verstärkt der Stimme widmet.

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SCHLOSSSEITEN

Um sich auf einen möglichst perfekten Videoauftritt vorzubereiten, wäre es ratsam, die eigene Stimme aufzunehmen, anzuhören und – sollte das Ergebnis nicht zufriedenstellend ausfallen – einen Stimmtrainer zu konsultieren. Aber nicht in jedem Falle bedeutet eine Schwäche gleichzeitig einen Mangel. Auch das Gegenteil kann etwas bewirken … ÄHs, die Sie oft in Ihrer Rede verwenden, zeigen, dass Sie schneller reden können als denken. ATEMLOS sprechen lässt Ihren Gesprächspartner wissen, wie nervös Sie sind. DIALEKT – Sie wollen nicht verstanden werden? EMOTIONAL zu werden ist für sensible Partner ein Grund, den Chat schnell zu beenden. FLOSKELN wie „liebe Teilnehmer“ verlängern, oft eingeschoben, sinnlos Ihre Redezeit. GEHETZT eine Sache abzuhandeln demonstriert Ihre Gleichgültigkeit. HOHE STIMME – Diese ist dann passend, wenn Unsicherheit signalisiert werden soll. LANGSAM zu kommunizieren steigert kaum die Aufmerksamkeit Ihrer Chatpartner, sondern ermüdet sie. LEISE dahinzuplaudern wird meist als Entscheidungsschwäche ausgelegt.


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