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«Guter Journalismus muss überraschen»

Debatte

«Guter Journalismus muss überraschen»

Was ist guter Journalismus? Wie verändert sich der Medienkonsum? Und welchen Einfluss hat die künstliche Intelligenz? Ein Gespräch und eine Aussensicht über die Rolle des Journalismus. Und darüber, weshalb er unverzichtbar sei.

Text: Pascal Krauthammer Bilder: Michael Richter

Spannende Diskussionsrunde: SVP-Ständerat Hannes Germann, Economiesuisse-CEO Monika Rühl, SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser und Universitätsprofessor Mark Eisenegger.

Das «Felix» ist nicht nur wegen seiner berühmten Kuchen beliebt. Die Kundschaft schätzt das Café beim Zürcher Bellevue vor allem auch, weil man hier eine Vielzahl von aufgelegten Tageszeitungen entspannt lesen kann. An einem Frühlingsabend treffen sich Nationalrätin und Aktivistin Anna Rosenwasser, Medienwissenschaftler Mark Eisenegger, Ständerat Hannes Germann sowie Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl zum Gespräch über den guten Journalismus. Dieser ist für die Meinungsbildung zentral und findet – laut der Vorsitzenden des Wirtschaftsdachverbandes zu Beginn der Diskussion – keineswegs nur im Stammblatt statt.

Monika Rühl: Die Vorstellung, dass ich als Liberale nur die «NZZ» konsumiere, ist natürlich völlig falsch. Ich lese bewusst auch Medien, mit denen ich politisch oftmals nicht übereinstimme, wie beispielsweise die «Woz». Diese hat Artikel, die mich interessieren, und das ist für mich die Essenz des guten Journalismus – ein Thema wird sauber abgehandelt und stringent vermittelt. Ob ich dann mit dem Inhalt des Artikels einverstanden bin oder nicht, ist eine andere Frage. Wichtig ist für mich, unterschiedliche Perspektiven zu kennen. Wir brauchen einen vielfältigen Journalismus, um zu verstehen, was um uns herum geschieht.

Die Zeiten, in denen sich die Leute allein über die Qualitätsmedien informieren, sind vorbei.

Mark Eisenegger: Das sehe ich gleich. Guter Journalismus überrascht mich und fordert mich hraus. Ich mag es nicht, wenn ich intellektuell bevormundet werde, darum lasse ich mich gerne irritieren und lese zum Beispiel auch mal die «Weltwoche». Warum nicht? Ich möchte selbst entscheiden, welche Schlussfolgerungen ich ziehe, nachdem man mir alle relevanten Argumente in verschiedenen Medien dargelegt hat. Das ist die Kernaufgabe des Journalismus. Er muss eine inhaltliche Vertiefung anbieten, gute Recherche liefern, also dicke Bretter bohren, denn Breaking News gibt es überall im Netz.

Mark Eisenegger, Studienprogrammdirektor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich, misst in jedem Jahr die Qualität der Schweizer Medien. Das letzte Jahrbuch 2023 stellt den Schweizer Medien ein gutes Zeugnis aus. Seit der Corona-Pandemie und dem Ukrainekrieg habe die Relevanz der Beichterstattung nochmals zugenommen, heisst es. Doch wie lässt sich das erreichte Niveau halten? Ständerat Hannes Germann, der früher als Wirtschaftsredaktor tätig war, und Nationalrätin Anna Rosenwasser, die heute noch publizistisch tätig ist, sehen beide strukturelle Probleme, welche die genannte hohe Qualität gefährden.

Anna Rosenwasser: Klar, Vertiefung und Recherche sind auch für mich die Essenz des guten Journalismus. Aber als Journalistin muss ich sagen: Die Realität sieht oftmals anders aus. In den letzten 15 Jahren hat sich die Situation der Medienschaffenden grundlegend verändert. Die Zeiten, da sich eine Journalistin auf einen Artikel konzentrieren konnte, sind vorbei. Heute schreibt, filmt und postet man – meist gleichzeitig. Es gibt verschiedene Kanäle, die man bearbeiten und handhaben muss. Trimedialer Journalismus hört sich gut an und kann für die Konsumentinnen auch attraktiv sein. Fakt ist aber: Die Aufgabenbereiche der Journalisten werden immer grösser, während die Ressourcen stetig sinken.

Hannes Germann: Diese Tendenz beobachte auch ich. Natürlich ist die Qualität der Schweizer Medien auf hohem Niveau, aber wenn die Zeit zur Reflexion immer mehr fehlt, dann wird zwangsläufig etwas verloren gehen. Früher waren die Journalisten miteinander in einem intellektuellen Wettstreit, die vielen Medienschaffenden der unterschiedlichsten Titel hatten ganz verschiedene Perspektiven auf ein Thema. Heute hat man als Politiker und Leser manchmal das Gefühl, dass die Journalisten zu oft das Gleiche erzählen. Ein Einheitsbrei kann nicht im Sinn unserer Demokratie sein.

Mark Eisenegger: Das lässt sich empirisch tatsächlich bestätigen. Wir sprechen da von der inhaltlichen Medienkonzentration: Gleiche Inhalte werden in den verschiedenen Zeitungen ausgespielt. In manchen Fällen ist das Teilen von Inhalten für die Lesenden unproblematisch, oder bei einem qualitativ hochstehenden Text sogar ein Gewinn. Doch ist das Teilen von Inhalten gesamtgesellschaftlich problematisch, wenn beispielsweise die exakt gleichen Leitartikel vor Abstimmungen in den verschiedensten Zeitungen im Land erscheinen. Darunter leidet die demokratische Meinungsbildung.

So oder so: Die Zeiten, in denen sich die Leute allein über die Qualitätsmedien informieren, sind vorbei. Die sozialen Medien sind längst zu Quellen der Meinungsbildung geworden. Doch kursieren auf diesen Plattformen viele Fake News. Beispielsweise gefälschte Bilder, generiert von künstlicher Intelligenz, die von echten Fotos kaum mehr zu unterscheiden sind. Oder sogenannte Deepfakes. Gefälschte Videos also, in denen Politiker Worte in den Mund gelegt werden, die sie nie gesagt haben.

Monika Rühl: Was mich beschäftigt, sind die Auswirkungen von Fake News und der Einfluss von künstlicher Intelligenz. Wie kann ich als Leserin in den sozialen Medien sicher sein, was real und was fake ist? Gewisse Sachen kann man schlicht nicht mehr beurteilen. Da ist das eine oder andere möglich und echt, anderes ist falsch, wirkt aber täuschend echt. Diesbezüglich leben wir schon in einer etwas seltsamen Welt. Das finde ich echt schwierig, weil das Vertrauen in das geschriebene Wort schwindet und der Wert eines Bildes unklar wird.

Mark Eisenegger: Ja, Desinformation ist ein veritables Problem, das mit der künstlichen Intelligenz nochmals zunehmen wird. Desinformation ist aber, so paradox es tönt, auch eine Chance – eine Chance für den Schweizer Journalismus. Nehmen wir die Corona­Pandemie mit all den Verschwörungstheorien, die im Netz grassierten. Hier zeigte sich, dass sich viele wieder den klassischen Medien zugewandt haben. Immer dann, wenn es eine Zeit der Unsicherheit gibt, in der man Orientie­rung braucht, kehrt man zurück zu den Leuchttürmen der Information. Das sind die klassischen Medien und nicht die sozialen Medien. Denn dort auf den Plattformen gibt es grosse Probleme in Bezug auf die Qualität, es wird ohne Regeln und Grenzen publiziert. Bei den traditionellen Medien mag längst nicht alles perfekt sein, und doch gibt es Standards, welche die Qualität ausmachen und den Namen Journalismus verdienen.

Germann: «Der Wildwuchs in den sozialen Medien ist eine Chance für die traditionellen Medien.»

Hannes Germann: Stimmt, der Wildwuchs in den sozialen Medien ist eine Chance für die traditionellen Medien. Aber nur, wenn sich der Journalismus seiner Werte bewusst ist und diese Werte auch pflegt. Ich will nicht die guten alten analogen Zeiten beschwören, aber als ich noch als Journalist arbeitete, war die Relevanz das eigentliche Kriterium, ob ein Artikel gut war oder nicht. Heute wird auf den Redaktionen immer alles auch nach Klicks gemessen. Das tut mir als Ex­Journalist weh, die Klickrate kann und darf nie das ausschlaggebende Kriterium sein. Sonst steht der knackige Titel über allem, und es wird verkürzt, bis sich die Balken biegen …

Rosenwasser: «In der Berichterstattung über mich wird oft verkürzt. Das geht bis an die Schmerzgrenze.»

Anna Rosenwasser: Genau darum bin ich so auch kritisch gegenüber Online­Schlagzeilen. Weisst du, Hannes, in der Berichterstattung über mich wird auch oft verkürzt. Das geht bis an die Schmerzensgrenze. Ich sage mir dann: Wenn es ein knackiger Titel schafft, die Menschen in den richtig guten Text zu führen, dann ist das okay. Wenn Tiefe erfolgt, dann hat die Schlagzeile ihren Dienst getan. Was aber, wenn unsere Hirne lange Formate nicht mehr gewohnt sind, wenn Menschen plötzlich nur noch kurze Schlagzeilen oder die Bildlegenden lesen. Dann haben wir als Gesellschaft ein echtes Problem, weil nur noch die Schlagzeile im Kopf bleibt, und diese Schlagzeilen sind oft auf den Skandal getrimmt.

Monika Rühl: Deine Analyse ist treffend. Das Problem zeigt sich bei Economiesuisse bereits heute. Wir sehen, wie echte und vermeintliche Skandale aus der Wirtschaftswelt medial ausgeschlachtet werden. Auf den Redaktionen weiss man, dass etwa Geschichten über hohe Saläre und Boni ziehen und viel Traffic generieren. Solche skandalisierenden Mediengeschichten werden der Schweizer Wirtschaft aber in keiner Weise gerecht. Wir haben so viele Erfolgsgeschichten von kleinen, mittleren und grossen Firmen. Aber wenn wir diese Geschichte in die Medien bringen wollen, dann haben wir oft keine Chance, weil diese keinen KlickRausch auslösen. Der Journalismus muss hier seiner Verantwortung gerecht werden. Die klassische Unternehmensberichterstattung, wie wir sie von früher kennen, ist und bleibt wichtig. Das Gleiche gilt für vertiefende Analysen zu wichtigen politischen Fragen oder auch die Kulturberichterstattung, für die es meiner Meinung nach in der klassischen Zeitung immer Platz haben sollte.

Es ist noch gar nicht lange her, da haben Zeitungsverkäufer in den Beizen um Mitternacht die ersten Druckausgaben verkauft. Das Lesen des «Blicks», eines «Tagis» oder einer anderen Zeitung aus der Region musste sein. Eine «Le Temps» oder eine «NZZ» unter dem Arm gehörte zum guten Habitus. Am Mittag hörte man das «Rendezvous», und abends schaute man die «Tagesschau». Doch diese Zeiten sind passé. Die sogenannte Gruppe der Intensivnutzenden von klassischen Medien nimmt ab, während die Gruppe der Abstinenten zunimmt.

Mark Eisenegger: Seit 2009 messen wir eine Zunahme von News­Deprivierten, von Leuten also, die kaum noch Newsmedien konsumieren. Sie sagen, sie seien ob all der Informationen überfordert. Viele schreckt auch die ständige Skandalisierung ab. Sie flüchten in die sozialen Medien, und so manche verlieren sich dort auch. Das ist ein veritables Problem. Denn Leute, die viel in sozialen Medien unterwegs sind, verlieren die Markenbindung zum Journalismus. Sie können die gute nicht mehr von der schlechten Quelle unterscheiden. Das führt dazu, dass man vom Journalismus entwöhnt wird. Knapp 46 Prozent wollen inzwischen nichts mehr mit dem klassischen Journalismus zu tun haben. Das ist fast die Hälfte der Bevölkerung.

Eisenegger: « Eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist der Ansicht, dass die KI-Anbieter den Schweizer Verlegern eine Entschädigung schulden.»

Hannes Germann: Nun, es stimmen ja auch nur 50 Prozent der Bevölkerung ab. Ich hoffe nur, dass das die Gleichen sind, die sich noch in Zeitungen, im Fernsehen oder im Radio informieren. Nein, Scherz beiseite. Für die politische Meinungsbildung ist diese Entwicklung natürlich eine Katastrophe. Wir verhandeln komplexe Themen in der Politik, und der Journalismus leistet hier eine wichtige Übersetzungsarbeit zur Meinungsbildung. Der Journalismus hat darum in unserer direkten Demokratie eine zentrale Bedeutung. Und wenn nicht mehr gelesen oder Nachrichten sonst wie konsumiert werden, dann geht eine demokratische Kompetenz verloren. Viele werden komplexe Sachverhalte nicht mehr verstehen können.

Anna Rosenwasser: Diese Entwicklung beelendet mich ebenfalls. Es geht ja nicht nur um die klassische Politik, sondern auch um alle anderen Themen, die uns bewegen sollten. Gesellschaftspolitische Fragen, all das, was in der Welt passiert. Auch hier ist es wichtig, dass man sich informiert, und zwar aus verlässlichen Quellen. Aber, trotz aller Kassandrarufe und meiner eigenen Verzweiflung: Ich habe die Zuversicht noch nicht verloren. Ich bewege mich in Kreisen mit Leuten unter 30 und unter 20 Jahren.

Das sind junge Menschen, die erst jetzt langsam verstehen, was für eine Bereicherung es ist, sich in Themen zu vertiefen. Der gute Journalismus hat die jüngere Generation also keineswegs verloren, aber wir sind herausgefordert. Wir müssen die Informationen zu diesen jungen Menschen tragen, sicher auch mit innovativen Formaten, die dieser Generation entsprechen.

Monika Rühl: Richtig. Das klassische Lesen eines Zeitungs­ oder Online­Artikels ist in der Tat nur eine mögliche Form des Medienkonsums. Dieser verändert sich, Artikel beispielsweise können einem heute in guter Qualität vorgelesen werden. Vor Kurzem hat sich das noch recht hölzern angehört. Die Fortschritte sind beachtlich. Hier zeigt sich, dass gerade auch die künstliche Intelligenz Gutes vollbringen kann. Die traditionellen Medien profitieren von der fortlaufenden Digitalisierung, und sie sind ja auch mitten in diesem Transformationsprozess.

Tatsächlich investieren die Schweizer Verlage massiv in die Digitalisierung. Diese Transformation kostet die Verlage Millionen, just in einer Zeit, da die Einnahmen stetig sinken. So nimmt die Zahlungsbereitschaft der Leserinnen und Leser ab, die Abonnementzahlen sind rückläufig. Der Konsum der News verlagert sich immer stärker ins Netz, und die Verlagshäuser suchen noch immer nach einer Antwort auf die Frage, wie sich dieser Trend monetarisieren lässt. Schliesslich fliessen inzwischen rund drei Viertel der dringend benötigten Werbegelder von den Schweizer Medienhäusern zu den grossen internationalen Tech-Plattformen. Diese spielen ihrerseits journalistische Inhalte aus und monetarisieren dies, ohne dass sie die Schweizer Verlage mit ihren 12'000 Medienschaffenden hierfür entsprechend vergüten würden.

Anna Rosenwasser: Es ist doch offensichtlich. Der Journalismus findet heute nicht mehr nur im analogen, sondern eben auch im digitalen Raum statt. Die Darstellung mag unterschiedlich sein, die Inhalte sind jedoch stets Ausfluss der Arbeit einer Journalistin oder eines Journalisten. Diese Erkenntnis gilt auch für Suchmaschinen und Online­Plattformen, die journalistische Inhalte in kurzer oder langer Form anzeigen. Der Ursprung einer News ist immer eine journalistische Leistung. Das müssen die Tech­Konzerne anerkennen. Nicht nur mit Beifall, sondern hierfür müssen sie auch zahlen.

Hannes Germann: Ich sehe das gleich. Die Finanzierung des guten Journalismus muss langfristig gesichert werden. Mit der indirekten Presseförderung wird zwar ein Teil des Problems angegangen, aber das reicht vorne und hinten nicht. Wahrscheinlich sollte man ein Leistungsschutzrecht einführen, einen Ausgleich zwischen den internationalen Plattformen und den Schweizer Plattformen. Ob das gelingt, weiss ich nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. So oder so ist für mich klar: Gute Arbeit soll auch etwas wert sein. Wir kreieren in der Schweiz so viele hochwertige Produkte, exportieren diese und bekommen hierfür gutes Geld. Da weiss ich nicht, warum das beim Journalismus anders sein soll.

Rühl: «Artikel können heute in guter Qualität vorgelesen werden.»

Monika Rühl: Wenn ein neues Produkt erfunden wird, ist dies geistiges Eigentum, das geschützt wird. Es ist daher klar, dass auch journalistische Produkte einen angemessenen Schutz haben sollen. Zugleich sind es ja die «Googles dieser Welt», die mit ihrer enormen Innovationskraft helfen, die Artikel der Schweizer Medienhäuser zu verbreiten. So sind es immer gerade auch diese Plattformen, die mich auf einen spannenden Artikel aufmerksam machen oder mir in Sekundenschnelle exakt den Artikel ausspucken, den ich suche. Das ist eine Win­winSituation. Wenn wir über eine faire Lösung sprechen, dann gilt es beide Seiten zu gewichten.

Mark Eisenegger: Nun, wir haben die Schweizer Bevölkerung im Zusammenhang mit KI im Journalismus befragt, und da zeigt sich ein eindeutiges Bild. Eine Mehrheit ist der Meinung, dass die KI­-Anbieter den Schweizer Verlagen eine Entschädigung schulden, wenn sie deren Inhalte nutzen. Dies gilt meiner Meinung nach auch für andere Tech­Anbieter, die ihr Wissen auf journalistischen Content abstellen. Als Forscher habe ich da eine klare Haltung: Die Verlässlichkeit der Informationen ist für die Plattformen zentral. Diese Verlässlichkeit liefern die Schweizer Verlage und ihre Journalistinnen, selbstverständlich braucht es da eine Art finanziellen Rückfluss. Als Staatsbürger gehe ich noch einen Schritt weiter: Vom guten Journalismus profitieren letztlich alle hier in der Schweiz, auf ganz verschiedene Weise. Aber gratis gibt es diesen guten Journalismus nicht. Darum müssen wir ihm Sorge tragen.

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