9 minute read

Die Zukunft ist digital – der Wert des Journalismus bleibt

Schweizer Mediengeschichte Teil 4/4:

Noch bedienen die Schweizer Verlage einen wesentlichen Teil ihrer Leserschaft mit gedruckten Zeitungen. Doch die Zukunft ist digital. Vor diesem Hintergrund investieren die Schweizer Verlage seit Jahren viele Millionen in die digitale Transformation. Die Herausforderungen sind riesig und viele Fragen noch ungeklärt. Nur eines ist klar: Das journalistische Handwerk und die verlegerische Verantwortung bleiben auch im Zeitalter von KI oberstes Gebot.

Text: Pascal Krauthammer Bilder: zVg

Die Transformation des Geschäftsmodells der Schweizer Verlage ist in vollem Gange.

Dies zeigt sich exemplarisch bei 20 Minuten, das seit Jahren auf digitale Publizistik setzt und seit 2020 mehr Lesende online hat als im Print. Dennoch hat man bei 20 Minuten exakt vor einem Jahr nochmals in einen Re­fresh der Zeitung investiert. Mit Erfolg: Gesamtschweizerisch lesen wieder über 1,3 Millionen die gedruckte Ausgabe, in der Deutschschweiz konnte die Zahl der Lesenden um 4,2 Prozent auf 900 000 gesteigert werden. «Print ist für uns nach wie vor wichtig, nicht zuletzt auch für die öffentliche Wahrnehmung», betont Désirée Pomper, Chefredaktorin bei 20 Minuten. «Wir müssen gleichzeitig aber festhalten, dass die Pandemie, während derer uns plötzlich die Pendlerinnen und Pendler und damit die Lesenden fehlten, den strukturellen Wandel sicher beschleunigt hat.»

Der Trend ist klar, alles geht Richtung Digitalisierung. Dieser Meinung ist auch Steffi Buchli, Chief Content Officer von Blick und Ringier Medien Schweiz (RMS). Schön gedruckte Magazine würden wohl noch lange auf Küchentischen, in Cafés, Arztpraxen und Haarsalons aufliegen, bei der Tageszeitung sehe dies aber anders aus. «Über kurz oder lang werden wir wohl News nicht mehr auf Papier drucken», ist Steffi Buchli überzeugt. Die Tageszeitung verlagert sich immer stärker ins Digitale. Und dies hat Folgen.

Steffi Buchli, Chief Content Officer von Blick und Ringier Medien.
Désirée Pomper, Chefredaktorin bei 20 Minuten.
Gut ist, was gut ankommt

Denn während Medienschaffende früher ohne eigentliche Rückmeldung der Leserschaft Artikel veröffentlichten, werde heute alles gemessen und ausgewertet. Dies verän­dere zwingend die Art und Weise, wie über aktuelle Ereignisse berichtet werde, so Buchli: «Wir erzählen bei Blick Geschichten entlang des User Needs Model. In der Datenanalyse schauen wir uns auf Ressortebene an, welche Inhalte bei unseren Leserinnen und Lesern ankommen. Das Modell ent­spricht dem Zeitgeist, denn heute sind journalistische Ressourcen ein knappes Gut. Entsprechend sollten wir unsere Arbeitsstunden für Storytelling aufwenden, das bei unseren Userinnen und Usern ankommt.»

Dies ist doppeldeutig gemeint, denn online muss nicht nur der Inhalt oder Content stimmen, sondern ebenso die Distribution sichergestellt sein. Entgegen der weitverbreiteten Meinung sei das Geschäft mit der fortschreitenden Digitalisierung nämlich nicht einfacher, sondern komplexer geworden, erklärt Steffi Buchli: «Distribution im Zeitalter von Print bedeutete: Zeitung aus der Druckerei in den Briefkasten abliefern, und damit war die Sache getan, eine verhältnismässig einfache logistische Aufgabe. Digitale Distribution ist ein sich ständig änderndes Fachgebiet, das Expertise braucht.» Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2023 im Blick­-Newsroom der Bereich Digital & Distribution geschaffen.

Die Frage der Distribution ist auch für 20 Minuten zentral, das eine junge und urbane Zielgruppe ansprechen will. Bereits 2021 hat man darum die Social­-Media-­first-­Strategie eingeführt – mit einem Fokus auf TikTok. «In einem ersten Schritt ging es uns darum», so Chefredaktorin Pomper, «verifizierte News dorthin zu bringen, wo sich die Leute aufhalten. Dank Social Media konnten wir in den letzten drei Jahren 20 Minuten in der jungen Zielgruppe als Nachrichtenportal wieder sichtbar machen.» Inzwischen folgen auf diesen Plattformen allein in der Deutschschweiz über 2 Millionen Menschen 20 Minuten. Ein erfolgreiches TikTok­Format ist etwa «5 News des Tages», das dem jungen Publikum mit Nachrichten in einer Minute die wichtigsten Ereignisse des Tages aufzeigt. Doch damit ist es nicht getan. «Nach dem Reichweitenaufbau stehen nun die Conversions im Fokus. Das heisst, wir wollen die Nutzerinnen und Nutzer auf unsere eigenen Plattformen bringen. Einerseits damit sie weiter in die Welt der News eintauchen können. Und andererseits finanzieren wir unseren Journalismus ja rein über Werbeeinnahmen. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass aus den neuen Usern regelmässige Nutzerinnen und Nutzer werden», so Pomper.

Inzwischen erwirtschafte 20 Minuten dank einer konsequenten digitalen Transformation über drei Viertel des Umsatzes mit digitaler Werbung. Online lasse sich somit Geld verdienen und guter Journalismus finanzieren.

Andere Medien geben sich da zurückhaltender. Weltweit und auch in der Schweiz sind Bezahlzeitungen, die sich traditionell über Abos und Werbung finanzieren, unter Druck. Denn die grössten Teile der Werbebudgets fliessen heute zu den internationalen Plattformen. Und die lukrativen Abonnements im Print schwinden. Vor allem die kleineren Verlagshäuser haben im OnlineBereich diesen finanziellen Verlust noch nicht wettmachen können. Innovationen sind darum dringend notwendig. Die Zeit drängt.

Pomper: «Bereits 2021 hat man bei 20 Minuten eine Social-Media-first-Strategie eingeführt– mit Fokus auf Tik-Tok.»
Joachim Braun, Co-Chefredaktor Südostschweiz.
Kleine Verlage schliessen sich zusammen

«Ich nehme ein grosses Gefälle wahr zwischen den Grossverlagen, die richtig gut sind und die digitale Transformation bereits weit vorangebracht haben, und den kleineren Verlagen, die ganz am Anfang stehen», sagt Joachim Braun, Co-­Leiter Chefredaktion und Leiter Redaktionelle Transformation der Südostschweiz.

Das Problem der kleineren Medienhäuser liege in der Skalierbarkeit der Technologie. Allein sei die Digitalisierung kaum finanzierbar, aus finanziellen Gründen, aber auch weil die Experten fehlten. Aus diesem Grund müssten die kleinen Verlage in Sachen Technologie viel stärker zusammenarbeiten, ist Joachim Braun überzeugt.

Die Südostschweiz etwa hat sich als erster Schweizer Verlag dem Projekt Drive angeschlossen. Im Zentrum dieser Kooperation von 27 Regionalzeitungen in Deutschland, Österreich und nun auch der Schweiz steht die Frage, wie man möglichst viele Digital­Abos verkaufen kann. Dazu gibt es einen permanenten Austausch, bei den Daten und zwischen den Redaktionen. So profitiert die Südostschweiz beispielsweise von den Erfahrungen der Badischen Zeitung oder der Neuen Osnabrücker Zeitung, die in der Digitalisierung bereits Jahre Vorsprung haben. In ländlich geprägten Regionen der Schweiz zeige sich die Entwicklung Richtung Online zwar verzögert, aber das Nutzerverhalten sei auch dort nicht grundlegend anders als in den Agglomerationen.

Überalterung der Zeitungsleser ist ein weiteres Problem. «Wir müssen die digitale Transformation durchführen, weil uns die Abonnenten wegsterben. Geschätzt 30 bis 40 Prozent in den nächsten zehn Jahren.» Grund zur Resignation gebe es aber keinen, betont Braun. Skandinavische Verlage zeigten, dass auch kleinere Redaktionen durchaus eine Zukunft hätten. Verlags­ und Redaktionsstrukturen müssten hierzu aber sehr bald angepasst werden. Und: «Wenn wir irgendwann keine 28 Seiten mehr füllen müssen, sondern uns auf täglich ein, zwei lokale oder regionale Scoops im Digitalen konzentrieren können, wird es einfacher», ist Braun überzeugt. Helfen werde schliesslich auch die künstliche Intelligenz, die viele Routinearbeiten übernehmen könne. Hier stehe man erst ganz am Anfang eines rasanten Change­Prozesses, der weit über Verbesserungsempfehlungen für Titel und Vorspanne hinausgehe.

Braun: «Skandinavische Verlage zeigen, dass auch kleinere Redaktionen eine Zukunft haben.»
KI bringt nochmals neue Chancen –und Risiken

Bereits einen Schritt weiter ist man bei der Blick-­Gruppe. Künstliche Intelligenz komme hier in verschiedensten Bereichen zum Einsatz, so Steffi Buchli: «Das klassische Transkribieren eines Interviews übernimmt schon heute KI. Wir werden bei SEO-­Titeln und Titeln im Allgemeinen mit KI arbeiten. Es ist möglich, per Mausklick eine kurze Zusammenfassung eines längeren Artikels zu machen. Bald wird KI unseren Leserinnen und Lesern Artikel vorlesen.» In eine ähnliche Richtung geht man bei 20 Minuten: KI übersetzt Artikel in verschiedene Sprachen, stellt Newsletter nach persönlichen Interessen zusammen oder unterstützt beim Kommentar­Management. «Weiter haben wir das Problem der Schweizer Mundart gelöst, das die Transkription von Interviews und die au­tomatische Untertitelung bisher zu einer langwierigen Arbeit gemacht hat. Wir haben nun ein Tool entwickelt, das mithilfe von KI Audioinhalte jeglicher Sprache präzise transkribiert und ins Deutsche übersetzt, auch aus einem Livestream. Dank dieser Technologie können die Journalisten viel schneller arbeiten und sich verstärkt auf die Inhalte konzentrieren. Bei Videos, Livetickern oder auch telefonisch geführten Interviews», so Chefredaktorin Pomper.

Journalistische Verantwortung steht über allem

Auch Joachim Braun, der die redaktionelle Transformation bei der Südostschweiz vorantreibt, kennt die vielen Vorteile gegenüber künstlicher Intelligenz. Die Bevölkerung vertraue weiterhin dem Menschen weit mehr als der Maschine. Dies zeigt auch die aktuellste Untersuchung des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Jahrbuch Qualität der Medien 2023). Demnach bevorzugen 84,3 Prozent der Befragten Medien ohne KI, und nur die Hälfte der Bevölkerung würde KI­unterstützte Medien nutzen wollen. Speziell Lokal­ und Regionalnachrichten oder Beiträge zu Schweizer oder internationaler Politik würden kaum gelesen, wenn sie von KI erstellt würden. Auch die Zahlungsbereitschaft nimmt gemäss der Untersuchung des fög deutlich ab, sobald KI im Spiel ist. Da generative KI aber demnächst allgegenwärtig sein wird, glaubt Braun: «Vielleicht gibt es ja dereinst das Qualitätssiegel ‹Produziert ohne KI›». Und überall dort, wo KI zum Einsatz komme, müsse schon jetzt sichergestellt werden, dass die Inhalte verifiziert seien. «Die Verifizierung von Inhalten wird die Herkulesarbeit in jedem Newsroom sein», prophezeit Steffi Buchli, und Désirée Pomper ergänzt: «Die aktuellen KI­Systeme sind bereits in der Lage, täuschend echte Fake News und Bilder zu produzieren. Auch ‹halluzinieren› die Modelle häufig auf den ersten Blick plausibel wirkende Falschinformationen. Für unsere Glaubwürdigkeit ist daher der journalistische Faktencheck umso entscheidender. Ohne diesen geht es im redaktionellen Umfeld nicht.»

KI und Journalismus: Forderungen und Empfehlungen des VSM

Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von KI beschäftigen auch den Verlegerverband SCHWEIZER MEDIEN. Er anerkennt die Möglichkeiten und Chancen, die generative KI dem Journalismus und den Medienunternehmen bietet. Dies bedingt allerdings, dass Entwickler und Betreiber von KI-Systemen das geltende Recht in der Schweiz beachten und einhalten. Es braucht klare Regeln für die Nutzung der journalistischen Inhalte durch KI-Systeme.

KI-Manifest: Forderungen an KI-Systeme

In seinem Manifest «Künstliche Intelligenz nur im Rahmen der Schweizer Rechtsordnung» formuliert der VSM dazu klare Grundsätze, welche von KI-Betreibern und KI-Entwicklern gemäss geltendem Schweizer Recht beachtet werden müssen. Die Einhaltung dieser Grundsätze ist massgeblich für den Erhalt der wirtschaftlichen Basis des Medienschaffens und für ein faires und funktionierendes Zusammenspiel von KI und Medien. Nur so kann auch in Zukunft das Vertrauen der Öffentlichkeit in Fakten, in den Journalismus und nicht zuletzt die direkte Demokratie erhalten werden.

Der Verlegerverband fordert von den KI-Betreibern und ihren Anwendungen:

• Berücksichtigung des Schutzes Geistigen Eigentums

• Fairness in Markt und Wettbewerb

• Transparenz über die Verwendung der Inhalte

• Qualität und Integrität der Inhalte

• Sicherheit und Verantwortung

• Kooperation zwischen KI-Betreibern und Medien

Handlungsempfehlungen für verantwortungsvollen Einsatz

Gleichzeitig mit den Forderungen an die KI-Betreiber gibt der VSM seinen Mitgliedern Handlungsempfehlungen für den Umgang von Medienunternehmen mit KI-Anwendungen bei der journalistischen Arbeit. Die Guidelines beschäftigen sich unter anderem mit Themen wie verantwortungsvollem Einsatz, Transparenz, publizistischer Kontrolle oder Schulung und Instruktion. Eine Studie des Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Uni Zürich («KI im Journalismus») hat kürzlich gezeigt, dass die Bevölkerung eine gewisse Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI in den Medien hat. Dies unterstreicht die Wichtigkeit eines verantwortungsvollen Einsatzes von KI-Anwendungen, wie ihn die Schweizer Medienunternehmen bereits heute pflegen. So führt das Zusammenspiel von Medienschaffenden und Anwendungen zu qualitativ noch besseren journalistischen Inhalten.

Weitere Informationen unter www.schweizermedien.ch

--- Die «Schweizer Mediengeschichte» wurde in 4 Teilen publiziert. Dies war der 4. und letzte Teil der Geschichte, veröffentlicht in der Sonderpublikation 2024 von persönlich zum Anlass «125 Jahre Verlegerverband SCHWEIZER MEDIEN». ---

This article is from: