Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE NO.3/2017 ... CHF 11.00
Migration und Ernährung
Wissen, was essen.
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_Editorial_ Stellen Sie sich vor, Sie wandern nach Uganda aus und stehen dort zum ersten Mal im Supermarkt. Finden Sie wohl Ihre heiss geliebten Produkte, die Sie als Migros- oder Coop-Kind jahrelang konsumiert haben? Wohl eher nicht. Darüber hinaus wird Sie auch die Käse- oder Brotauswahl nicht wirklich begeistern, und Ihnen schwant zum ersten Mal, dass Sie Ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen müssen. Und nun ändern wir die Perspektive, schauen auf Migrantinnen und Migranten, die in die Schweiz kommen und sich hier bei uns zurechtfinden müssen. Natürlich hinkt der Vergleich mit Uganda, findet man doch bei uns in der Schweiz als Einwanderin und Einwanderer bzw. Flüchtling eine grosse Auswahl an Produkten aus dem Ausland sowie unzählige Shops, die sich auf Nahrungsmittel aus Afrika, Asien oder sonst wo spezialisiert haben. Und doch wollen wir hinhören: Wie sehen Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten aus? Was sagen Fachleute zur Thematik, und welche Projekte bzw. Ansätze können Unterstützung bieten? Im Report von Nicole
Schweizer Ernährungsscheibe: Für Kinder läuft’s rund!
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Thomas Krienbühl / SGE Leiter Redaktion tabula
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Huwyler, dipl. Ernährungsberaterin HF und Redaktorin, erfahren wir, dass wir uns gerade beim Thema Ernährung von Stereotypen verabschieden müssen. Die Lebenswelten der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge verändern sich bei uns sehr individuell, so dass auch Beratungen und Lösungswege entsprechend ausgerichtet sein müssen. Transkulturelle Beratungskompetenz heisst das Zauberwort. Wir besuchen anschliessend Mulughetta Bereket in seinem äthiopisch-eritreischen Restaurant in Zürich. Er hat die Küche und Traditionen seiner Heimat in die Schweiz gebracht und erzählt von seinen Eindrücken der Schweizer Kulinarik. Mit internationalen Produkten, welche unsere Küche bereichern, befassen wir uns zudem bei «Wissen, was essen» sowie «Unter der Lupe»: Kokoswasser, Panir und Agar-Agar werden genauer beleuchtet. Das Thema Migration lässt uns auch bei den Buchbesprechungen nicht ganz los, stehen bei einem Titel doch Spitzenköche gemeinsam mit Flüchtlingen am Herd. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und «en Guete», ob nun bei Ramen, Ravioli oder Rösti.
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04_ Rep o r t Migration & Ernährung
16_ U n t e r de r L u pe Agar-Agar
Im Report schauen wir auf die Teller von Migrantinnen und Migranten. Es kommen Menschen zu Wort, die in der Schweiz geboren sind, die der Liebe oder Arbeit wegen hierhin kamen oder die geflüchtet sind.
Agar-Agar kennen viele nur vom Hörensagen. Dabei erhält man das Geliermittel aus Rotalgen heute in jedem Supermarkt. Es ist eine echte Alternative zur Gelatine, die aus tierischem Eiweiss besteht.
10_ a u s dem l e b e n v o n . . .
20_ b ü c h e r
12_ r e z ep t
22_ d i e S G E
14_ w i sse n , w as esse n
24_ A ge n da / p r e v i e w N ° 4 / 2 0 1 7
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE Schwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern T +41 31 385 00 00 | F +41 31 385 00 05 | info@sge-ssn.ch Übersetzung ins Französische mit Unterstützung der Loterie Romande nutrinfo | Info-Service für Ernährungsfragen T +41 31 385 00 08 | nutrinfo-d@sge-ssn.ch | www.nutrinfo.ch
Materialien zur neuen Schweizer Ernährungsscheibe stehen unter www.sge-ssn.ch/ernaehrungsscheibe zum Download bereit! Ein Poster zur Schweizer Ernährungsscheibe ist im SGE-Shop
Gedruckt in der Schweiz
Impressum: ZeitschriftPublikumsorgan für Ernährung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE_ E R S C H E IN U N G : Vierteljährlich tabula tabula:| Offizielles Auf l a ge :T +41 8 00031Ex._ E RA S G E B E RIN : Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE, Schwarztorstrasse 87, 3001 Bern, | www.tabula.ch Redaktion 385H00 04 U Tel. +41 31 385 00 00, SGE-Spendenkonto: PC 30-33105-8 / info@tabula.ch / www.tabula.ch_ c h efR E D A K T O r : Thomas Krienbühl R E D A K T ION SK OMMI S S ION : MarianaBorn/BrunaCrameri-Capelli/MadeleineFuchs/MurielJaquet/AnnetteMatzke/NadiaSchwestermann shop sge | T +41 58 268 14 14 | F +41 58 268 14 15 _LA Y O U T : Danijela Preradovic_ D R U C K : Erni Druck & Media, Kaltbrunn_ T i te l b i l d : truc konzept u. gestaltung, Bern / Jörg Kühni www.sge-ssn.ch/shop
erhältlich: www.sge-ssn.ch/shop Wissen, was essen. sge-ssn.ch
Wissen, was essen. sge-ssn.ch
Tabula N° 3/2017
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_Report_
Migration und Ernährung
im Personalhaus. Kochen konnten wir dort nicht, gegessen haben wir alle im Personalrestaurant. Wir waren eine grosse Familie, für alles war gesorgt. Obwohl ich immer schlank war und es heute auch wieder bin, habe ich in den ersten Monaten, als ich hier war, 15 Kilogramm zugenommen! Das Schweizer Essen schmeckte mir damals einfach nicht und ich wich auf Süsses aus», berichtet die Portugiesin. Heute führt die 44-Jährige einen eigenen Gastrobetrieb und isst sowohl portugiesisch als auch schweizerisch. Dieses Beispiel zeigt, dass eine neue Lebenswelt neue Essgewohnheiten zur Folge haben kann. Dazu Silvia Honigmann, Dozentin für Ernährung und Diätetik an der Berner Fachhochschule (BFH), Fachbereich Gesundheit: «Heute gehen wir von einem Lebenswelten-Konzept bei Menschen mit Migrationshintergrund aus. Verallgemeinernde Stereotypen oder ethnozentrierte Zuschreibungen, wie eine Bevölkerungsgruppe über ein Thema denkt, sind nicht zielführend. Klar, die Studierenden der Ernährung und Diätetik müssen grundsätzliche Konzepte wie Essen in anderen Religionen und Kulturen, den Einfluss von Traumata bei Zufluchtssuchenden etc. kennen. Aber wichtiger in der Praxis ist das individuelle Erfragen, damit solche Verallgemeinerungen vermieden werden können», so die Fachfrau für Transkulturelle Beratungskompetenz.
Lost in Translation?
Dieser Report schaut auf die Teller von Migrantinnen und Migranten. Es kommen Menschen zu Wort, die in der Schweiz geboren sind oder die der Liebe oder Arbeit wegen hierhin kamen. Die einen kamen freiwillig, andere wurden als Arbeitskräfte geholt, wiederum andere leben hier, weil sie wegen Krieg, Repression, fehlender Lebensgrundlage oder Rechtsstaatlichkeit Zuflucht such(t)en. Und es sprechen Fachleute, die sich dem Thema Migration und Ernährung widmen.
Ungefähr jede zweite Woche telefoniere ich mit meiner tamilischen Freundin. Wir reden über ihren Deutschunterricht, das Leben in der Schweiz und Ausflugsziele. Immer Thema ist das Kulinarische. Ich helfe bei der Frage, wo sie das beste Tiramisu-Rezept findet, und sie gibt mir Tipps für die Kokos-Sambal-Zubereitung (frisch geriebene Kokosflocken mit Zwiebeln, Tomaten und Chili). Bei diesen Gesprächen kommt es manchmal vor, dass ich sage: «Das ist typisch schweizerisch.» Immer öfter ertappe ich mich dabei, dass diese Aussage nur bedingt stimmt. Nehmen wir das Beispiel Rösti: Die aus Peru stammende Knolle gäbe es nicht bei uns, wenn die Seefahrer sie nicht mitgebracht hätten. Menschen – und mit ihnen Lebensmittel, Rezepte, Lebenswelten, Kulturen und Erfahrungen – sind seit Beginn ihrer Geschichte gewandert und tun es bis heute. Lachen hilft Wer etwas über das Essverhalten anderer erfahren will, muss zuallererst dasjenige seiner eigenen Kultur unter die Lupe nehmen. Am einfachsten gelingt dies mit dem britischen Humor von Diccon Bewes. In seinem Bestseller «Der Schweizversteher» beschreibt der Buchautor und Reisejournalist detailreich Beobachtungen, die er seit zwölf Jahren in seiner neuen Wahlheimat Schweiz macht. Für diesen Artikel schildert er seine ersten Erfahrungen mit der Schweizer Küche und seinen «Riz Casimir»-Kulturschock: «Als ich 2005 in die Schweiz kam, stellte ich fest, dass hier (essensmässig) alles etwas langsamer vonstattenging. So fanden sich noch praktisch keine Convenience-Produkte im Supermarktregal. Bei
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DICCON BEWES MEETS RIZ CASIMIR
uns hingegen waren halbe Foodabteilungen damit gefüllt. Ich kam mir daher beim ersten Mal in der Migros etwas verloren vor. Das war für mich ‹Back to the 80ies› und nicht 2005.» Aber einen echten Kulturschock erlitt der Brite erst bei einem «Riz Casimir»-Date. «Als Engländer – ‹we had the empire› – ist die indische Küche mit seinen mannigfaltigen Currys etwas, womit ich aufgewachsen bin. In der Schweiz erkundigte ich mich dann, was dieses ‹Riz Casimir› sei. Reis mit Curry, hiess es, und vorfreudig bestellte ich eine Portion. Dann der Schock! Mit echtem Curry, wie ich es aus England kannte, hatte dies nicht mehr viel zu tun. Für mich ist es bis heute nur ‹gelbes Poulet›.»
Macht Migration krank? Migration als solche muss nicht a priori krank machen. Viel zu heterogen ist die Zuschreibung des
Merkmals «Migrant oder Migrantin». Ebenfalls einig ist sich die Fachwelt, dass die Nationalität alleine viel zu wenig über das Gesundheitsverhalten aussagt. Es sind die veränderten Lebenswelten, die krankmachen können. Wie dies bei Schweizerinnen und Schweizern auch der Fall sein kann. Regula Weiss beschreibt dies in ihrem Standardwerk «Macht Migration krank?» folgendermassen: «Die Entwicklung von Krankheiten wird durch verschiedene typische Stressoren begünstigt: Statusverlust, familiäre Trennungen, Verlust des sozialen Netzes, traumatische Erfahrungen, schlechte Wohnverhältnisse [...].» Ebenso können sich unregelmässige Arbeitszeiten, Schichtarbeit, ungleiche Bildungschancen oder ein schlechterer Zugang zu Gesundheitsinformationen und -angeboten ungünstig auf das Ernährungsverhalten auswirken. So kann das Essverhalten eines «Staatenlosen» anders sein als dasjenige einer Person mit einem B-Ausweis, der bereits in den Arbeitsprozess eingebunden ist. Daher greift das Merkmal «Migrationshintergrund» für die Beschreibung dieser unterschiedlichen Lebenswelten zu kurz. «Um diesen mannigfaltigen Lebenssituationen gerecht zu werden, müssen wir weg vom Kulturdenken, hin zur Chancengleichheit. Hier setzt das Prinzip der transkulturellen Beratung an. Patentrezepte gibt es aber leider keine, ausser jenes des individuellen Ansatzes. Fachinfos, e-Learnings und Lehrmittel finden Fachleute auf www.migesplus.ch und www.transkulturelle-kompetenz.ch», so Katharina Liewald, Projektleiterin migesplus beim Schweizerischen Roten Kreuz.
Lebenswelten können ändern Diccon Bewes' Erlebnisse zeigen auf, dass Essen und Ernährung etwas Fliessendes sind und immer eingebettet in eine Lebenswelt betrachtet werden müssen. Bei Cecilia Schmidt war dies ebenso. «Ich kam mit 19 Jahren aus Portugal in die Schweiz und absolvierte im Hotel Kursaal Bern ein Gastro-Praktikum. Geschlafen habe ich
M I G RATI O N K ANN Z U V ERDAUUN G S P R O B LE M EN FÜHREN . ..
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_Rezept_
K ÜRBI S - W Ä H E
Zusammensetzung des Rezeptes (*) im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse * Abbildung entspricht dem Rezept in Kombination mit einem Salat
600 g Kürbis, z. B. Butternuss, gerüstet, klein gewürfelt / ½ TL Salz / 1 Zwiebel, gehackt / 100 g Speckwürfeli / je 1 EL fein gehackter Thymian & Salbei / Pfeffer aus der Mühle / 1 dl Saucenhalbrahm / 75 g Gruyère AOP, gerieben / Teig im Blech auslegen und mit einer Gabel einstechen. Alle Zutaten bis und mit Pfeffer mischen, auf dem Teigboden verteilen, mit Rahm beträufeln, Gruyère darüberstreuen. Wähe in der unteren Hälfte des auf 200 °C vorgeheizten Ofens 25–30 Minuten backen.
Swissmilk / Infografik: Truc, Bern
Für 4 Personen. Zubereiten ca. 45 Minuten, Kühl stellen ca. 30 Minuten, Backen ca. 25 Minuten Pro Person: 30 g Fett, 16 g Eiweiss, 37 g Kohlenhydrate, 475 kcal Teig: 150 g Mehl / ¼ TL Salz / 50 g Butter / ¾ dl Wasser / Mehl und Salz in einer Schüssel mischen. Butter in Stücken (kalt) beigeben, von Hand zu einer gleichmässig krümeligen Masse verreiben. Wasser dazugiessen, rasch zu einem weichen Teig zusammenfügen (nicht kneten), flach drücken und zugedeckt 30 Minuten kühl stellen. Für ein Backblech 28–30 cm im Durchmesser, mit Backpapier belegt oder gefettet.
Rezept und Bild: Swissmilk
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E r n ä h r u n gs b i l a n z
Ökobilanz
Käse: AOP steht für die geschützte Ursprungsbezeichnung dieses vollfetten Schweizer Hartkäses, der bereits eine Tradition von mehreren Jahrhunderten hat. Für die Herstellung von 1 kg Gruyère AOP werden ca. 12 Liter Milch verwendet. Bei der Reifung des Käses spielen Luftfeuchtigkeit und Temperatur eine wichtige Rolle. Der Käse ist in verschiedenen Reifegraden erhältlich, der jüngste muss jedoch mindestens fünf Monate gereift haben. Nennenswert ist beim Gruyère AOP u. a. der hohe Anteil an Calcium. Eine Portion Hartkäse à 30 g deckt bereits ¼ des täglichen Calciumbedarfes und liefert ausserdem rund 8 g Proteine. Gruyère ist laktosefrei und eignet sich daher auch für Personen mit einer Laktoseintoleranz. Speck: Speck stammt von der Schweinebrust und ist als Roh- oder Kochpökelware erhältlich. Pökeln ist bereits seit Jahrhunderten eine bekannte Art der Konservierung. Zu dieser Zeit war die Kühlung zur Verlängerung der Haltbarkeit im heutigen Sinn noch nicht bekannt. Beim Pökeln wird das Fleisch mit Salz, Pökelstoffen und Gewürzen eingerieben, anschliessend getrocknet (nur Rohpökelware) und allenfalls geräuchert. Bauern- oder Rohessspeck (Rohpökelware) eignet sich zum Rohessen. Koch- oder Frühstücksspeck (Kochpökelware) sollte vor dem Konsum erhitzt werden. Circa 30 % des Specks besteht aus Fett, vor allem aus einfach ungesättigten und gesättigten Fettsäuren, wobei deren Gehalt je nach Fütterung der Schweine variieren kann. Tellermodell: Die Kürbis-Wähe enthält alle drei Komponenten eines ausgewogenen Tellers. Der Kuchenteig ist der Stärkelieferant, der Anteil an Eiweiss wird hauptsächlich durch den Speck und den Käse abgedeckt. Als Gemüseportion ist die Menge an Kürbis nicht ganz ausreichend. Ein saisonaler Salat, z. B. aus Randen, könnte das Menü ergänzen. Wer den Fettgehalt etwas reduzieren möchte, ersetzt den Kuchenteig durch Pizzateig oder macht den Guss anstelle von Saucenhalbrahm mit 100 ml Milchdrink und einem zerklopften Ei.
Speckwürfel: Die Umweltbelastung der Speckwürfel kommt durch die Nahrungsmittelveredelung bzw. den Einsatz an Futtermitteln für die Schweinezucht zustande. Für 100 g Speckwürfel wird knapp die fünffache Menge an Futtermitteln benötigt. Diese setzen sich üblicherweise aus Getreide und Soja zusammen. Kuchenteig: Der Teig für die Wähe besteht aus Mehl, Salz, Butter und Wasser und wird eine halbe Stunde kühl gestellt, bevor er weiterverwendet wird. Die Umweltbelastung, die durch den Teig verursacht wird, ist etwa je zur Hälfte dem eingesetzten Mehl bzw. der Butter zuzuschreiben. Die Kühlung hat aufgrund der kurzen Dauer einen vernachlässigbar geringen Anteil. Kürbis: Der Kürbis als Hauptzutat bewirkt 18 % der Gesamtbelastung, sofern dieser saisonal verwendet wird und weder Kühlung noch weite Transporte erforderlich sind. Ausserhalb der Kürbis-Saison sind aus ökologischer Sicht evtl. andere Gemüsesorten bzw. andere Gerichte zu bevorzugen. Übrige Zutaten: Insgesamt 8 % der Umweltbelastung des Gerichts werden durch Salz, Gewürze und Zwiebel verursacht. Hierbei haben die Gewürze deutlich grössere Auswirkungen als das Salz und die Zwiebel. Säulendiagramm: Ein Blech Kürbis-Wähe à vier Portionen ist mit rund 8000 Umweltbelastungspunkten (UBP) verbunden. Verglichen mit der durchschnittlichen Umweltbelastung einer Hauptmahlzeit (5000 UBP pro Person) weist eine Portion Kürbis-Wähe mit etwa 2000 UBP also eine deutlich geringere Belastung auf. Unabhängig von der verzehrten Menge an KürbisWähe stellen die Speckwürfel den wichtigsten Faktor dar.
E V A - MARIA HOL D E R E G G E R / s S N
NIELS JUNGBLUTH, PAULA WENZEL / ESU-SERVICES
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Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung). Quelle: ESU–services.
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_Unter der Lupe_
Agar-Agar Das pflanzliche Geliermittel
Agar-Agar kennen viele nur vom Hörensagen. Dabei erhält man das Geliermittel aus Rotalgen heute in jedem Supermarkt. Es ist eine echte Alternative zur Gelatine, die aus tierischem Eiweiss besteht. Agar-Agar ist zu 100 Prozent pflanzlich – vegetarisch, vegan, koscher, halal und seit dem 17. Jahrhundert bekannt.
M a n ue l a Mezzett a
aufgetaut. Am Ende konnte es in getrocknetem Zustand gelagert werden. Heute wird Agar-Agar in erster Linie in Ostasien produziert. Die Rotalgen werden von Mai bis September geerntet, meist schneiden Taucher diese am Meeresboden ab. Rotalgen wachsen in einer Wassertiefe von bis zu 40 Metern. Dank der roten Farbstoffe können sie die blaugrünen Anteile des Sonnenlichts, die noch bis in diese Tiefe vor-
Das mit der Gelatine ist so eine Sache. Zwar in Le-
dringen, zur Photosynthese verwerten.
bensmittelindustrie und Haushalt bewährt, steht
Nach der Ernte werden die Algen an der Sonne ge-
sie dennoch nicht auf jedermanns Speisezettel. Denn
trocknet und bis zu mehrere Jahre in Ballen gelagert.
sie stammt aus tierischem Kollagen, das aus Kno-
Erst dann werden sie mit heissem Wasser gewa-
chen, Knorpeln, Häuten, Fischgräten und Schweine-
schen, so löst sich das Agar-Agar aus den Zellwän-
schwarten gewonnen wird. «Ungeniessbar» für Vege-
den. Der Auszug wird abgekühlt, wodurch er geliert.
tarier und Veganer. Aber auch Fleischliebhaber sind
Durch mechanische Pressung wird er weiter konzen-
nicht alle vom altbekannten Geliermittel angetan;
triert. Das so entstandene Produkt wird meist zu ei-
auch nicht diejenigen Menschen, die gegen Gelatine
nem Pulver gemahlen und abgefüllt. Hierzulande ist
allergisch sind. Dabei verwendet sie die Lebensmit-
es im Supermarkt, in Reformhäusern und Bioläden
telindustrie in vielen Erzeugnissen. Das Geliermittel
erhältlich.
wird oft auch in der privaten Küche verwendet. Denn
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Stärker als Gelatine
Tortenguss oder eine Creme?
Verwendet man Agar-Agar in Ostasien – Gelatine ist
Aber es gibt sie, die pflanzliche Alternative, und zwar
dort gänzlich unbekannt – bereits seit dem 17. Jahr-
in Form von Agar-Agar. Gewonnen wird es aus Rotal-
hundert, kennt man es in Europa erst seit gut 150
gen, es ist sowohl Gelier- als auch Verdickungsmittel.
Jahren. Das Wissen um das pflanzliche Geliermittel
Das Wort kommt aus dem Malaiischen und bedeutet
gelangte 1859 in den Westen. Auch wenn es Agar-
so viel wie «gelierendes Lebensmittel aus Algen».
Agar in der Schweiz seit Jahrzehnten zu kaufen gibt,
Andere Bezeichnungen dafür sind Agartang, Japani-
ist es wohl der wachsenden Anzahl von Vegetariern,
scher Fischleim sowie Chinesische oder Japanische
Veganern sowie Konsumentinnen und Konsumenten,
Gelatine. Damit ist man am Ursprungsort des Gelier-
die sich gegen Gelatine entscheiden, zu verdanken,
und Verdickungsmittels angelangt: 1658 hat der Ja-
dass das pflanzliche Geliermittel heute praktisch
paner Tarazaemon Minoya das Extrakt aus Rotalgen
überall erhältlich ist. Auch der Rinderwahnsinn – an
entdeckt. Aus jener Zeit stammt auch die japanische
BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) erkrank-
Bezeichnung Kanten – «gefrorener Himmel». Dieser
ten in der Schweiz 1990 erstmals Kühe – dürfte zur
bezieht sich auf das damalige Verfahren, mit dem
Steigerung des Bekanntheitsgrades von Agar-Agar
Agar-Agar extrahiert wurde. Dazu waren sehr kalte
beigetragen haben.
Nächte notwendig. Die Rotalgen wurden gewaschen,
Das Gelier- und Verdickungsmittel ist ein komple-
zerkleinert und gekocht. So löste sich das in den Zell-
xes Polysaccharid, ein Vielfachzucker. Es besteht zu
wänden enthaltene Agar-Agar, es wurde filtriert, um
rund 70 Prozent aus Agarose und rund 30 Prozent aus
es von den Algenteilen zu trennen, und gelierte beim
Agaropektin. In den Zellwänden der Algen dient es als
Erkalten wieder. Um das Geliermittel zu entwässern
Energiespeicher. Für die Gelbildung ist ausschliess-
und zu reinigen, wurde es mehrmals eingefroren und
lich die Agarose zuständig. Agar-Agar ist eine für den
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Bild: Tokoroten siehe Rezept Seite 19/ shutterstock
wie sonst soll eine schöne Quarktorte entstehen, ein
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