tabula_1/2015 Die Verführung: Appetit – Hunger – Sättigung

Page 1

9 772296 112736 15

Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE

_n° 1/2015_CHF 11.00

Die VeRführung Appetit – Hunger – Sättigung

Wissen, was essen.


_Editorial_ Mein Nachbar hat gestern seinen 90. Geburtstag im Kreise seiner gesamten Familie und einiger Freunde gefeiert. Er beschreibt sich selbst als schlechten Esser und erzählt jedem, der es hören will, dass er zu Hause viel zu reichhaltige Mahl­ zeiten bekommt. Und doch hat er gestern bei sei­ nem Fest dem Essen sehr fleissig zugesprochen und sogar mehr gegessen als die anwesenden Jugendlichen. Sicherlich wurde sein Appetit durch die Freude am gemütlichen Beisammen­ sein angeregt. Wir alle konnten schon das eine oder andere Mal feststellen, dass unser Ernäh­ rungsverhalten durch die jeweilige Situation be­ einflusst wurde. Der Rahmen, in dem das Essen stattfindet, die Anwesenheit anderer Gäste, die Atmosphäre, unsere Stimmung, die Präsenta­ tion der Speisen, die Vielfalt der Farben, Gerü­ che und Aromen oder die Grösse der Portionen haben Einfluss auf unseren Appetit und unsere Freude am Essen, aber auch auf die Menge, die wir essen. Dabei spielt keineswegs nur der Nähr­ stoffgehalt des Essens eine Rolle. Die physiolo­ gischen Mechanismen, die sich hinter unserem

Ernährungsverhalten verbergen, sind äusserst komplex und nur teilweise bekannt. Professor Wolfgang Langhans, ehemaliger Präsident der SGE und ausgewiesener Experte für das Thema, nimmt uns im Rahmen seiner Reportage mit auf eine Reise ins Gehirn und analysiert für uns die Physiologie der Regulierung von Appetit, Hunger und Sättigung. Damit lässt sich auch der grösste Wissenshunger stillen! Wenn dann der Frühling allmählich Einzug hält, spielt Tabula den kleinen Botaniker und lädt Sie ein, sich die Schuhe anzuziehen, einen Korb und ein Messer zur Hand zu nehmen und Feld und Wald auf der Suche nach essbaren Frühlingskräu­ tern zu durchstreifen. Während Löwenzahn und Bärlauch häufig verzehrt werden, sind andere Kräutlein weniger bekannt und verdienen es, neu entdeckt zu werden. Sie alle haben einen Vorzug: Sie bringen uns den willkommenen Geschmack des Frühlings zu einer Zeit, in der die Winter­ gemüse ihre Attraktivität verloren haben und die Sommergemüse noch auf sich warten lassen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Spaziergang!

murie l j a q uet / S G E Ernährungsberaterin HF / Nutrinfo

04_ Re p o r t Essen ohne Hunger

10_ a u s d e m l ebe n v o n . . .

Ein feiner Duft, eine angenehme Erinnerung, der Uhrzeiger, der langsam auf die Zwölf rückt ... viele Anlässe laden zum Essen ein, auch wenn es gar nicht nötig wäre. Warum wir oft auch ohne Hunger essen, erklärt Professor Wolfgang Langhans.

12_ r e z e p t

16_ u n t e r d e r l u p e Wildkräuter

22_ d i e S G E

Die Frühlingssonne wärmt den Boden und lockt die Menschen nach draussen. Unser Streifzug übers Land zu den am Schweizerische GesellschaftFrühlingskräutern für Ernährung SGE häufigsten vorkommenden gibt AnregunSchwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern gen für Ihren nächsten Spaziergang. Damit Sie mit reicher T +41 31 385 00 00 | F +41 31 385 00 05 | info@sge-ssn.ch Ernte nach Hause kommen und den Duft des Frühlings in die Küche bringen können. nutrinfo | Info-Service für Ernährungsfragen

14_ w i sse n , w as esse n 20_ b ü che r

24_ A ge n d a / P r e v i e w N ° 2/2015

T +41 31 385 00 08 | nutrinfo-d@sge-ssn.ch | www.nutrinfo.ch

Impressum: ZeitschriftPublikumsorgan für Ernährung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE_ E R S C H E I N U N G : Vierteljährlich tabula tabula:| Offizielles A u f l age :T 10 Ex._00 H E04 R A| U S G E B E R I N : Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE, Schwarztorstrasse 87, 3001 Bern, Redaktion +41000 31 385 www.tabula.ch Tel. +41 31 385 00 00 SGE-Spendenkonto: PC 30-33105-8 / info@tabula.ch / www.tabula.ch_ R E D A K T O rin : Monika Müller R E D A K T I O N S­K O M M I S S I O N : Madeleine Fuchs / Muriel Jaquet / Annette Matzke / Gabriella Pagano / Nadia Schwestermann shop sge | T +41 58 268 14 14 | F +41 58 268 14 15 L A Y O U T : Monika Müller_ D R U C K : Erni Druck & Media, Kaltbrunn_ T ite l bi l d : truc konzept und gestaltung, Bern / Jörg Kühni www.sge-ssn.ch/shop

Wissen, was essen. sge-ssn.ch


Die Verführung Appetit – Hunger – Sättigung 

Praktisch jeder technische Fortschritt der letz­ ten Jahrzehnte führte direkt oder indirekt zu ei­ ner Reduktion der körperlichen Bewegung, und viele Faktoren verführen zum Essen, die es früher in dieser Form nicht gab. Sättigungsmechanis­ men sind demgegenüber zu schwach, so dass sich das Energiegleichgewicht oft bei einem erhöh­ ten Körpergewicht einpendelt. Warum essen wir oft auch ohne Hunger, und wie wird unser heuti­ ges Umfeld manchen Menschen zum Verhängnis?

Wir werden schwerer Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung

höfen, Tramhaltestellen oder anderen Orten, während

2012 waren 41 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab

es früher kaum Essensangebote und damit auch kei­

15 Jahren übergewichtig oder adipös. Der Anteil an

ne Verführungen gab, um uns «schwach» werden zu

übergewichtigen Personen hat sich zwischen 1992 und

lassen. Im Tierexperiment führt ein unbeschränktes

2012 um fast 11 Prozentpunkte erhöht, derjenige an

Angebot an schmackhafter, energiedichter Nahrung

adipösen Personen sogar nahezu verdoppelt. Trotzdem

unweigerlich zu Übergewicht.

sollten wir uns vergegenwärtigen, dass das Körperge­ wicht relativ gut reguliert wird: Eine normalgewich­

Streben nach Genuss

tige Person verzehrt bis zum Alter von 60 Jahren 230-

Heute sind wir eher selten hungrig, sondern lassen uns durch äussere Reize zum Essen verführen, oft wider die Vernunft. Fragt man Personen, worauf sie bei der Ernährung besonders Wert legen bzw. was sie beim Essen beachten, ergibt sich ein deutlicher Un­ terschied: Auch wenn viele Leute eigentlich wissen, was ernährungsphysiologisch sinnvoll wäre, wird das betreffende Wissen ausgeblendet, und es domi­ nieren Genusswerte. Der Ernährungspsychologe Vol­ ker Pudel hat das so auf den Punkt gebracht: Im Über­ fluss des Schlaraffenlandes essen die meisten Men­ schen anders, als sie sich ernähren sollten. Offenbar gilt also die vom kanadischen Forscher Michel Caba­ nac als generelles Prinzip der Verhaltenssteuerung postu­lierte Genussmaximierung ganz besonders für das Essen. Eigentlich ist das auch nicht weiter ver­ wunderlich: Wäre Essen eine masochistische Übung, wäre die Menschheit wahrscheinlich bereits ausge­ storben. Diese Diskrepanz von Ernährungswissen und dem Handeln gilt bereits beim Einkaufen, und die Marketingstrategen der Nahrungsmittelindust­ rie wissen sehr genau, wie man die entsprechenden Mechanismen aktiviert. Kaufentscheide für Lebens­ mittel treffen wir in der Regel intuitiv und spontan und nicht basierend auf reiflicher Überlegung. Die be­

250 Millionen Kilojoules. Wäre die Energieaufnahme gegenüber der Energieabgabe nur um 2 Prozent zu hoch oder zu tief, müsste die Person rechnerisch ent­ weder dreimal so viel wiegen oder wäre längst gestor­ ben. Tatsächlich sind die Auswirkungen weniger dra­ matisch, weil aufgenommene Energie nicht vollstän­ dig in Fett umgewandelt wird und mit zunehmendem Gewicht auch der Energieverbrauch steigt.

Gut geschützt vor Unterernährung Generell sind wir besser vor Unterernährung ge­ schützt als vor Überernährung. Für unsere Vorfahren war es überlebenswichtig, möglichst viel zu essen, wenn sich eine Gelegenheit bot, um für Mangelzeiten ­gerüstet zu sein. Deshalb können wir uns auch heute noch problemlos den Bauch «vollschlagen», wenn das Essen gut schmeckt. Heute gibt es in den Industriena­ tionen allerdings keine unfreiwilligen Fastenzeiten mehr, die es zu überleben gilt, sondern wir sind kon­ tinuierlich mit appetitlicher und oft energiedichter Nahrung im Überfluss konfrontiert, die uns zum Es­ sen verführt, auch dann, wenn wir überhaupt keinen Hunger haben. Oft genügt der appetitliche Anblick oder Duft von Speisen im Einkaufszentrum, an Bahn­

4

Tabula N° 1/2015


_Report_

treffenden Entscheide werden nämlich nicht von der

andere positive Empfindungen einen «Belohnungsef­

Grosshirnrinde getroffen, sondern von eher frühzeit­

fekt», der mit eben der betreffenden Speise verbunden

lichen Arealen in unserem Zwischenhirn. Die dort ab­

wird. Umgekehrt können Störungen des Befindens

laufenden spontanen Entscheidungen basieren nicht

über solche Verbindungen zu langfristigen Abneigun­

auf der Nährstoffzusammensetzung oder allfälligen

gen gegen eine Speise führen. Besonders gut funkti­

Gesundheitsattributen, sondern eher darauf, ob das

oniert dieses Lernen, wenn wir etwas Neues oder in­

Produkt beim letzten Mal gut geschmeckt hat und

tensiv Schmeckendes probieren. Äussere Faktoren wie

wir angenehme Erinnerungen damit verknüpfen. Die

etwa die Umgebung oder Erinnerungen beeinflussen

Verführung zum Essen ohne Hunger beginnt also be­

den Lernprozess ebenfalls.

reits beim Einkauf. Sind die Sachen dann erst einmal zu Hause im Kühlschrank, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum genussgesteuerten Verzehr.

Die klassische Konditionierung Das Läuten einer Glocke und andere Signale können Hunger, und damit Essen als erlernte Reizreaktion aus­

Der Geschmack zählt

lösen, auch klassische Konditionierung genannt; dies

Der Geschmack des Essens besteht aus einer Kombi­

funktioniert sogar kurz nach einer Mahlzeit. Beispiels­

nation von chemischen, mechanischen und thermi­

weise kann ein konditioniertes akustisches Signal bei

schen Reizen. Der Geschmack hilft uns, Nahrung zu

Ratten eine zusätzliche Nahrungszufuhr von etwa 20

erkennen und auszuwählen. Zudem sorgt er für den

Prozent der täglichen Gesamtenergieaufnahme auslö­

Genuss beim Essen, also für die Schmackhaftigkeit.

sen. Äus­sere Reize wie appetitanregende Bilder in der

Diese ist dabei keine konstante oder genau definier­

Werbung oder verlockende Gerüche in Lebensmittelge­

bare Eigenschaft von Speisen, sondern resultiert aus

schäften haben in den vergangenen 30 Jahren in unse­

der Verarbeitung der sensorischen Information im

rer Umwelt stetig zugenommen. Wir sind ihnen nahezu

Gehirn. Wissenschaftlich unterscheidet man zwei

ständig ausgesetzt, und sie verführen uns zum Essen

Dimensionen der Schmackhaftigkeit: die Bewertung

ohne echten Hunger. Die physiologischen Sättigungs­

von Genuss, «liking», und die Motivation, in diesen

mechanismen sind oft zu schwach, um diesen äusseren

Genuss zu kommen, «wanting». Ein Mass für Letzte­

Reizen zu widerstehen. Dies war im Verlauf der Evolu­

res ist beispielsweise, wie viel man zu zahlen bereit

tion sehr nützlich, weil es unseren Vorfahren erlaubte,

ist, um eine Speise zu bekommen. Die Schmackhaftig­

möglichst rasch möglichst viel zu essen, bevor die Ge­

keit ist variabel und abhängig von vorangegangenen

legenheit vorüber war. Heute führt das aber unweiger­

positiven oder negativen Erfahrungen. Dies erklärt

lich dazu, dass sich das Körpergewicht auf einem höhe­

die kulturellen Unterschiede bezüglich Essgewohn­

ren Niveau einpendelt, als dies ohne solche zum Essen

heiten und die Veränderungen der Essgewohnheiten

verführenden äusseren Reize der Fall wäre.

bzw. Vorlieben oder Abneigungen im Lauf des Lebens. Die Schmackhaftigkeit beeinflusst auch, wie schnell

Das Geheimnis der Hungersignale

und wie viel man isst, und sie nimmt beim Essen ab,

Normalerweise führen die beschriebenen äusseren

wodurch der Verzehr der betreffenden Speise nach ei­

Faktoren wie Angebot, Werbung, Duft oder Tageszeit

niger Zeit gehemmt wird. Etwas anderes können wir

dazu, dass wir essen, noch bevor es zu einem Energie­

jedoch durchaus noch verzehren, weshalb wir bei ei­

defizit im Körper kommt. Es gibt jedoch auch metabo­

nem mehrgängigen Menü oft deutlich mehr essen, als

lische Hungersignale, wenn die im Körper verfügbare

wenn die Mahlzeit aus nur einem Gericht besteht.

Energie knapp wird. Darmepithelzellen oder Leber­ zellen können dabei als Sensoren fungieren, um einen

Angeboren und erlernt

Rückgang des Energieflusses nach einer Mahlzeit zu

Angeborene Vorlieben (süss, leicht salzig, fettig und

registrieren und im Gehirn ein Hungersignal auszu­

Umami) und Abneigungen (bitter und weniger aus­

lösen. Ghrelin ist ein wichtiges Hormon, das erst im

geprägt auch sauer) für geschmackliche Reize helfen

Jahr 1999 entdeckt wurde. Es wird vor allem in der

uns, lebensnotwendige Nährstoffe zu finden und mög­

Magenschleimhaut produziert und wirkt im Hirn, ge­

licherweise schädliche Inhaltsstoffe zu meiden. Vor

nauer im hypothalamischen Nucleus arcuatus. Ghre­

allem sind es jedoch erlernte Vorlieben und Abneigun­

lin beeinflusst erstaunlich viele Prozesse im Körper,

gen, welche die Nahrungswahl steuern. Bei jedem Es­

die auf den ersten Blick gar nicht zusammenhängen:

sen erzeugen die angenehme Sättigungswirkung und

das Ernährungsverhalten, den Schlaf und die Stim­

Tabula N° 1/2015

5


_Rezept_

K ä se - C r ê p es m i t T o m a t e n sa l a t Für 2 Personen. Vor- und zubereiten: ca. 30 Min. / Pro Person: 34  g Fett, 28  g Eiweiss, 49 g Kohlenhydrate, 2580 kJ (616 kcal) 120 g Vollkornmehl / 2 dl Milch / 2 Eier / 1 Prise Salz / 1 Prise Pfeffer / 1 Prise Muskat/ 1 Prise Paprika / 1 EL Olivenöl, in einer Schüssel mit einem Schwingbesen vermischen. Wenig Olivenöl in eine warme Teflonpfanne geben. Mit einer Schöpfkelle eine Portion der Masse in die Pfanne giessen. Dabei mit der Pfanne leicht kreisen, damit sich der Teig überall gleichmässig über den Pfannenboden verteilt. Auf kleiner Stufe den Teig leicht bräunen lassen. Nach 1 Min. den Teig mit einer Kunststoffkelle vorsichtig vom Rand her lösen und wenden. Nochmals 1 Min. bräunen lassen. 2 Crêpes ausbacken und auf ein Backofenblech mit einem Backpapier legen.

12

60 g Greyerzer-Käse gerieben / eine Handvoll Petersilie grob gehackt / eine Handvoll Rucola, auf den Crêpes verteilen, einrollen und 5 Min. bei 150 °C fertig backen. 4 Tomaten, in Scheiben / 1 kleine Zwiebel, in feinen Schei­ ben / eine Handvoll Basilikumblätter, über die Tomaten verteilen. 4 EL Olivenöl / 4 EL Balsamico / Salz / Pfeffer, Olivenöl und Balsamico mischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken und über den Salat träufeln. Rezept: GORILLA – mit fachlicher Unterstützung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE

E rn ä hrungsbi l anz

Ö kobi l anz

Vollkornmehl: Vollkornmehl muss die gesamten Bestandteile der gereinigten Körner, einschliesslich des Keimlings, enthalten. Aufgrund der instabilen ungesättigten Fettsäuren und der Enzyme, die im Keimling vorkommen, ist Vollkornmehl nur begrenzt haltbar. Durch Zugabe eines Antioxidans (Vitamin C) wird die Lagerfähig­ keit verbessert. Vollkornmehl enthält im Vergleich zu raf­ finierten Weissmehlen mehr Nahrungsfasern, welche die Verdauung anregen und regulieren sowie Verstopfung vor­ beugen können. Ausserdem sorgen die Nahrungsfasern da­ für, dass die Darmflora besser reguliert wird. Produkte aus Vollkornmehl sättigen besser und beeinflussen den Blutzu­ ckerspiegel weniger stark als Weissmehl. Tomaten: Reif gepflückte Tomaten weisen einen grösseren Gehalt an gesunden Nährstoffen auf. Für die rote Farbe der Tomaten ist das Lycopin ver­ antwortlich.Es gehört zur Familie der Carotinoide. Lycopin wirkt als Antioxidans und hilft, die Risiken für bestimm­ te Krebsarten zu reduzieren. Lycopin ist für den Menschen nur verwertbar, wenn die Tomaten erhitzt wurden, z.B. in Form von Tomatensauce. Natürlich bieten auch rohe Toma­ ten Vorteile: So kommt in rohen Tomaten v.a. das Vitamin C und die Folsäure zum Zug. Abwechslung (mal roh, mal gekocht) ist also auch hier das Erfolgsrezept, um von den vielen Inhaltsstoffen der Tomate zu profitieren. Tellermodell: Das Rezept enthält alle erwünsch­ ten Komponenten. Der Eiweissanteil ist mit Ei, Milch und Reibkäse eher hoch und kann optimiert werden, indem etwas weniger Käse verwendet wird. Damit sinkt auch der Energiegehalt. Dank dem Tomatensalat ist die Gemüseportion abgedeckt. Anstelle von Olivenöl eignet sich auch raffiniertes Rapsöl zum Anbraten der Crêpes.

Eier, Milch, Käse: Die Zutaten für die Zubereitung des Crêpe-Teiges machen insgesamt 25 % der Ge­ samtumweltbelastung aus, wobei mehr als die Hälfte davon auf das Konto der Eier gehen. Der aus ökologi­ scher Sicht bedeutendste Prozess ist bei der Bereitstellung von Eiern das Hühnerfutter, welches auf landwirtschaftli­ chen Prozessen basiert. Sowohl Bodenemissionen durch die Düngung als auch der Landverbrauch machen hierbei den Grossteil der Gesamtbelastung aus. Die Milch und der Käse tragen zusammen 10 % zur Gesamtbelastung bei, was wie­ derum auf die generell höheren Umweltbelastungen von tie­ rischen Produkten zurückzuführen ist. Salatsauce: Die 5 ½ Esslöffel Olivenöl tragen mit 30 % unerwartet deutlich zur Gesamtumweltbelas­ tung des Menüs bei. Auch hier sind die wichtigsten Belastungsanteile auf vorgängige landwirtschaftliche Pro­ zesse des Olivenanbaus zurückzuführen, insbesondere auf den hohen Landverbrauch und die Pestizidbelastung des Bodens. Nennenswert ist in diesem Zusammenhang auch der negative Einfluss auf die Bodenerosion beim Olivenan­ bau, welcher durch die Methode der ökologischen Knappheit nicht abgebildet wird. Säulendiagramm: Die Käse-Crêpes mit Tomaten­ salat für zwei Personen verursachen knapp mehr als 11‘000 Umweltbelastungspunkte (UBP). Mit ca. 5‘500 UBP pro Person verursacht dieses vegetarische Gericht etwas mehr Umweltbelastungen als eine durchschnittliche Mahlzeit. Der Balsamicoessig und die Gewächshaustomaten tragen je 12 % zur Gesamtbelastung bei. Aus Umweltsicht wäre es vorteilhaft, das Olivenöl durch Rapsöl zu ersetzen und den Tomatensalat im Sommer, während der Schweizer Tomatensaison, zu geniessen.

marion w ä f l er / sge

a l e x könig / esu - services

Tabula N° 1/2015


, öl 5 en 20 liv O o2 ic am ls Ba

Fotografie: Doris Signer & Markus Weber für die Schtifti Foundation / Infografik: Truc, Bern

Ø 5000 UBP *

Rezept 5493

Zusammensetzung des Rezeptes im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse

se Kä h, ilc ,M Ei

6

4 14 en at m To

0 0 37 2 ng 5 ru 54 20 35 g 63 n l ge f en itu eh La au M tat re t, rk or Ve Zu ube sp & Z an Tr

he lic st re

* U mwe l tbe l astungs p unkte ( U B P )

 Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion und dem Vertrieb der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung).. Ab Ausgabe 4/2014 wird die aktualisierte Methode Version 2013 verwendet. Quelle: ESU–services.

Tabula N° 1/2015

13


_Unter der Lupe_

Wildkräuter Wildes Kraut für zahme Esser

Wenn im Frühling Spaziergänger mit Körben oder Papiertüten durch die Lande ziehen, dann ist wie­ der Zeit für Wildkräuter und Wildgemüse. Wild­ pflanzen bringen eine geschmackvolle und bunte Abwechslung in die Küche. Ihnen werden auch ge­ sundheitsfördernde Eigenschaften nachgesagt.

Je roter das Blatt des Ampfers, desto mehr Oxalsäu­ re ist darin enthalten. Sammeln auf dem Feld und im Wald Idealerweise wird bei trockenem Wetter gesam­ melt, denn Feuchtigkeit, auch der Morgentau, auf

V on A nnette M atzke

den Blättern lässt diese schneller matschig werden. Mitzunehmen ist eine kleine Schere oder ein Messer.

Im Frühling spriesst das Grün und lässt uns auf Fri­

Handschuhe eignen sich als Schutz vor Hautreizun­

sches und Belebendes hoffen. Viele zarte Blättchen

gen bei der Ernte von Brennnesseln. Am besten sam­

und Blütchen, die am Wegesrand, auf Feldern, Wie­

melt man die Blätter und Blüten in Papiertüten oder

sen und im Wald wachsen, sind essbar. Wer kennt

offenen Gefässen – getrennt, damit sie sich zu Hause

nicht den nach Knoblauch riechenden Bärlauch! Es

unterschiedlich verarbeiten lassen oder nochmals

gibt über 2000 essbare Wildpflanzen und -kräuter.

mithilfe eines Buches bestimmt werden können. Es

Sie machen als Unkraut so manchem Gärtner das

versteht sich von selbst, nur so viel zu ernten, wie

Leben schwer. Immer mehr Naturbegeisterte erken­

gebraucht wird, und ein Fundort nicht völlig abzu­

nen aber auch ihren Wert, sammeln sie oder pflan­

ernten. Die jungen Blättchen sind die zartesten und

zen sie sogar gezielt an. So nutze auch ich das, was

in der Regel auch weniger bitter als ältere Blätter.

ich früher immer vehement vernichtet habe, nun für

Gut geeignete Sammelorte sind verwilderte Flä­

würzige Salate: Vielstängeliges Schaumkraut und

chen, Wald und Wiesen. Frisch ­gedüngte, gespritz­

Gänseblümchen.

te oder mit Mist bedeckte Wiesen bzw. Ackerflächen sowie Flächen neben stark befahrenen Strassen

Wertvoller Inhalt

sollten gemieden werden. Zur Sicherheit und vor

Wildpflanzen enthalten eine Vielzahl bioaktiver

allem am Anfang gehört ein Pflanzenbestimmungs­

Stoffe, die gesundheitsfördernd, verdauungsför-

buch ins Gepäck, um bei Unsicherheit nachschlagen

dernd, heilend, aber auch entwässernd wirken kön­

zu können. Der heutige Stadtnomade geht natürlich

nen. Darunter sind beispielsweise gesundheitsför­

nicht mit einem Buch aufs Land, sondern mit einer

dernde Flavonoide wie Anthocyane, Quercetin oder

Smartphone-App. Hilfreich ist z.B. die App «Essbare

Genistein; ausserdem verdauungsfördernde Gerb-

Wildpflanzen» vom schweizerischen AT-Verlag. Als

und Bitterstoffe, aber auch Cumarine und Glucosi­

echte Outdoor-App funktioniert sie auch offline.

nolate. Viele enthalten nennenswerte Mengen an Vi­

16

tamin C, Beta-Carotin, Kalium, Calcium und Eisen.

Variantenreicher Einsatz

Manche Wildpflanzen, z.B. Löwenzahn und Brenn­

Zurück zu Hause muss die Ernte dann verarbeitet

nesseln, wachsen bevorzugt auf stickstoffreichen

werden. Die Kräuter sollte man vor dem Zerklei­

Böden. Daher werden sie auch «Stickstoffzeiger»

nern reinigen und waschen. Falls sie nicht sogleich

genannt. Stickstoffzeiger enthalten entsprechend

verarbeitet werden, können sie, ähnlich wie Salat,

viel Nitrat; sie sollten daher, wie Spinat, nicht warm

für kurze Zeit gelagert werden, möglichst nach Sor­

gehalten und Reste schnell abgekühlt werden. Ein

ten getrennt und in nicht vollkommen geschlosse­

ebenso unerwünschter Inhaltsstoff ist die Oxal­

nen Gefässen oder Tüten. Brennnesseln solle man,

säure, welche die Aufnahme von Mineralstoffen

mit Gummihandschuhen und Wallholz bewaffnet,

im Darm hemmt. Ampferarten enthalten Oxalsäu­

vor der Weiterverarbeitung walzen, so verlieren

re, allerdings in geringeren Mengen als Rhabarber.

die Brennhaare ihre Wirkung. Die schmackhaften

Tabula N° 1/2015


© IStock.com

Marek Mnich / istockphoto


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.