tabula_3/2016 Ist die Zukunf vegan?

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Zeitschrift der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE

_n° 3 /2016_CHF 11.00

I N Z U K U N FT V E G A N ?

Wissen, was essen. sge-ssn.ch


_EDITORIAL_ Ob man will oder nicht, ob man der Ansicht ist, sie sei die einzige Lösung für unsere Zukunft, oder absolut überzeugt davon, sie stelle nur eine weitere extreme Diätform dar: Die vegetarische und vegane Ernährung gewinnt zunehmend an Popularität! Das ist Fakt. Eine Runde durch den Supermarkt zu drehen oder den Online-Shop ­eines Grosshändlers zu besuchen, reicht aus, um sich dessen bewusst zu werden. Burger, Würstchen, Milch, Joghurt oder Mayonnaise werden in ­veganer Version angeboten und sind nicht länger nur in Reformhäusern erhältlich. Diese Produkte erleichtern, aus praktischer Sicht, einer Bevölkerung, deren Ernährungskultur stark durch Nahrungsmittel tierischen Ursprungs geprägt ist, den Übergang zu einer veganen Ernährung. Allerdings weisen diese Ersatzprodukte Nährwerte auf, die in Abhängigkeit ihrer Inhaltsstoffe enorm schwanken. So haben sie oft nur noch wenig mit den tierischen Nahrungsmitteln zu tun, die sie scheinbar ersetzen. Aus diesem Grund muss der vegane Verbraucher sehr gut informiert sein und

das erhältliche Angebot kritisch prüfen. Wir von der SGE werben nicht für eine vegane Ernährung, respektieren jedoch die Entscheidung unserer ­Gesprächspartner, und es liegt uns am Herzen, die vegan lebende Bevölkerung auf möglichst objektiver und wissenschaftlicher Grundlage zu infor­mieren. Unser Informationsdienst nutrinfo® ist regelmässig aufgerufen, Ernährungsfragen zu beantworten und konkrete Lösungen für eine vegane, mangelfreie Ernährung vorzuschlagen. ­ Es war deshalb auch ganz selbstverständlich, dem Veganismus eine tabula-Reportage zu widmen, um die verschiedenen Aspekte zu präsentieren und die mitunter gegensätzlichen Meinungen zu dem Thema aufzuzeigen. Sollte es eine besonders wichtige Nahrungsmittelfamilie für die vegetarische oder vegane Ernährung geben, dann handelt es sich dabei um die Hülsenfrüchte mit ihrem unglaublichen Nährstoffgehalt. Diese erfahren im Übrigen eine beson­dere Würdigung durch die FAO, die das Jahr 2016 zum Jahr der Hülsenfrüchte erklärt hat. Um den veganen Weg weiterzugehen, laden wir Sie ein, eine davon besser kennenzulernen: die Linse. MURIEL JAQUET / SGE Fachberaterin nutrinfo®/ Projektleiterin

04_ R E P O R T Vegan Vegane Ernährung boomt. tabula zeigt auf, was es bei einer rein pflanzenbasierten Ernährung zu beachten gilt, erläutert Chancen und Gefahren und geht der Frage nach, ob eine Umstellung aus ökologischer Sicht tatsächlich sinnvoll ist.

16_ U N T E R D E R L U P E Linsen Lange Zeit in Vergessenheit geraten, werden die Linsen nun wieder neu entdeckt. Dank ihrem aus ernährungswissenschaftlicher und ökologischer Sicht grossen Potenzial wird die weit zurückreichende Geschichte der Hülsenfrucht Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE auch in Zukunft weitergeschrieben.

10_ A U S D E M L E B E N V O N . . . 12_ R E Z E P T 14_ W I S S E N , W A S E S S E N 20_ B Ü C H E R 22_ D I E S G E 24_ A G E N D A / P R E V I E W N ° 4/2016

Schwarztorstrasse 87 | Postfach 8333 | CH-3001 Bern T +41 31 385 00 00 | F +41 31 385 00 05 | info@sge-ssn.ch

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Wissen, was essen. sge-ssn.ch


I N Z U K U N FT V E G A N ?

Die grüne Gretchenfrage 

Im derzeitigen Trend zur puren Pflanzenkost entdecken viele eine nachhaltige Ernährungsform für Gesundheit und Natur. Andere sehen im totalen Verzicht auf alles Tierische auf dem Teller jedoch mehr Risiken als Chancen.

Die heutige Ernährung macht viele krank, lässt so manchen früher sterben und erzeugt weltweit ein Viertel aller klimaverändernden Treibhausgase. Diese Emissionen bis 2050 auf ein Drittel zu senken, gleichzeitig die globale Todesrate um immerhin zehn Prozent zu reduzieren und damit die Weltwirtschaft mit 31 Billionen US-Dollar zu stärken, wäre möglich – mit Vegan für alle. Was tönt wie eine Heilsbotschaft engagierter Tierschutz-Idealisten, sind konkret berechnete Zahlen der Universität Oxford. Dort beschäftigt sich eine Gruppe von Umwelt-, Wirtschafts- und Gesundheitswissenschaftlern mit der Frage, welche Zusammenhänge zwischen Ernährung, Krankheiten, Ökologie und Ökonomie bestehen. Dass trotz aller prophezeiten Vorteile einer veganen Ernährung die Weltbevölkerung sich nicht plötzlich allein von Pflanzen ernähren wird, ist den Wissenschaftlern klar. «Wir erwarten nicht, dass nun jeder Veganer wird. Doch der Einfluss der Ernährung auf die Klimaveränderungen erfordert mehr als nur technische Veränderungen. Eine g ­esündere und ökologisch verantwortlichere Ernährung kann ein grosser Schritt in die richtige Richtung sein», so Dr. Marco Springmann, federführender Autor dieser im April 2016 erschienenen OxfordStudie (siehe Linksammlung). «Wir stehen erst am Anfang der veganen Bewegung», ist sich Cristina Roduner von der Veganen Gesellschaft Schweiz (VGS) sicher. Sie stellte vor sechs Jahren ihre Ernährung von vegetarisch auf vegan um, nachdem sie im Internet Bilder von gequäl­ ten Tieren aus modernen Zuchtbetrieben gesehen hatte. «Eine schlaflose Nacht lang ­zappte ich mich durchs Netz und konnte danach auch keinen Käse und keine Eier mehr essen.» Es sind weni­ ger ökologische oder gesundheitliche ­Vorteile, die ­viele zur veganen Ernährung bringen. Zwei Drittel nennen als Hauptmotiv, den Tieren kein Leid zu-

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fügen zu wollen – so das Ergebnis ­einer deutschen Vegetarier-Studie. Deswegen kommen weder Fisch noch Fleisch in den Topf, und immer mehr kehren einer heutigen Ernährungswelt, in der Milch und Honig fliesst, den Rücken. Wer ­vegan lebt, nutzt keinerlei Tierprodukte, also nicht mal Honig und Gelatine. Auch Wollpullover und Lederschuhe sind verpönt. Wer sich nun Veganer als k ­ örnerpickende Kostverächter in alternativen S ­chnürsandalen vorstellt, wird spätestens bei der Begegnung mit der lebensfrohen Vegan-Aktivistin Roduner ­eines Besseren belehrt. Sie legt Wert auf modische Schuhe, die aus Kork, Hanf oder atmungs­aktivem Kunststoff sein können. Eines ihrer grössten Hobbys ist das Kochen. Drei Jahre lang begeisterte sie in Kochkursen Teilnehmer für vegane Rezepturen, bis die Arbeit als PR-Fachfrau für die VGS ihren vollen Einsatz verlangte. Grüne Welle für pure Pflanzenkost Wie viele Schweizer sich vegan ernähren, darüber fehlen aktuelle Zahlen. «Wir gehen davon aus, dass es ähnlich wie in Österreich oder ­Grossbritannien


_Report_

etwa ein Prozent der Bevölkerung ist, also etwa 80 000 Schweizer und Schweizerinnen», schätzt Roduner. Dr. Pascal Müller vom Ostschweizer Kinderspital St. Gallen spricht hingegen von 24 000 Veganern. Der Kinderarzt arbeitet derzeit an einer grossen Vegan-Studie der Eidgenössischen Ernährungskommission (EEK) mit. Seine grobe Schätzung leitet er aus der Schweizer Gesundheitsbefragung von 2012 ab. Damals verzichteten rund 3 von 100 Schweizern auf Fleisch, Fisch und Wurst. Erfahrungsgemäss dürfte sich davon jeder Zehnte rein pflanzlich ernähren. So verschieden die vagen Kalkulationen über die Zahl der Veganer in der Schweiz ausfallen, so einig ist man sich, dass immer mehr Menschen auf jegliche tierische Produkte verzichten. «Leider merken wir das in der St. Galler Kinderklinik daran, dass wir häufiger stark mangelernährte Kinder behandeln müssen. Das kommt nicht oft vor, doch in der Klinik sehen wir die Härtefälle. Die sind nicht repräsentativ, aber jedes Mal eine Katastrophe.» Sein Kollege am Kinderspital St. Gallen und ebenfalls Mitarbeiter der Vegan-Studie, der Neurologe Dr. Oswald Hasselmann, bedauert, dass «das allgemeine Ernährungswissen nicht mitgewachsen ist mit der Zahl der Veganer». Im Kinderspital St. Gallen fielen in den letzten Jahren immer mal wieder einzelne Kinder mit einer Entwicklungsstörung auf, die auf einen Vitamin-B12-Mangel zurückzuführen war. Vitamin B12 erhält der Mensch nur aus tierischen Produkten. Veganer, die es nicht künstlich zuführen, riskieren einen Mangel, der unter anderem die Nervenfunktionen schädigen kann. Zwar ist ein Vitamin-B12-Mangel nicht das Hauptproblem der heutigen Ernährung, doch die Folgen eines Nähr-

stoffmangels durch vegane Ernährung können erheblich sein. Schon mehrfach mussten Hasselmann und seine Kollegen vegan ernährte Kinder mit gravierenden Defiziten akut behandeln. Der Stoffwechsel der Kinder war stark geschwächt und die Reaktionsfähigkeit durch Schädigung des Nervensystems eingeschränkt. Vegan braucht Wissen und Erfahrung Verantwortlich für solche schweren Mangelsymp­ tome ist nicht die vegane Ernährung per se, sondern das fehlende Wissen, wie sich Nährstofflücken füllen lassen. Die Empfehlungen der Veganen Gesellschaft Schweiz wollen hier ansetzen und wirksam helfen: «Wir raten jedem Veganer zu einer Vitamin-B12-Supplementation», erklärt Cristina Roduner. «Einmal pro Woche ein oder zwei B12Lutschtabletten, das ist nicht kompliziert.» Ebenso ist auf Vitamin D zu achten. Vitamin D baut der Körper zwar mithilfe von reichlich Sonnenlicht selbst auf, doch im Winter fehlen dazu die nötigen UV-Strahlen. Das Bundesamt für Lebensmittel­ sicherheit und Veterinärwesen schätzt, dass es von Dezember bis März bei mehr als 60 Prozent der Bevölkerung zu einem Vitamin-D-Mangel kommt. Es gibt nur wenige gute Quellen. Ansehnliche Mengen liefern lediglich fette Fische wie der Hering, dessen Genuss sich bei einer konsequenten vegetarischen und veganen Ernährung jedoch verbietet. Dann verbleiben nur einige Pilze als natürliche Quellen, die allein den täglichen Bedarf allerdings nie decken können. Benötigte Vitamin-D-Zusätze werden üblicherweise aus Wollfett gewon­nen – für Veganer ein No-Go. «Wir verwenden Präparate, dessen Vitamin D aus Hefe oder auch aus Flechten gewonnen wurde», erläutert Roduner. Scheint also gar nicht so kompliziert zu sein? Die Vegan-Skeptiker Müller und Hasselmann weisen darauf hin, dass auch Eisen, Zink, Kalzium und Proteine bei der puren Pflanzenkost ­Mangelware sein können (siehe Übersichtstabelle «Vegane Nährstoffstrategien»). «Je geringer die Auswahl an Lebensmitteln, desto wahrscheinlicher ein Nährstoffmangel», warnt Hasselmann. Er ernährt sich selbst vegetarisch und weiss, dass er dabei auf seine Eisen- und Zinkvorräte achten muss. Nicht nur, weil Fleisch unter anderem als besonders guter Lieferant dieser lebenswichtigen Spurenelemente fehlt, sondern auch weil vor allem Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte Phytinsäure enthalten. «Viel

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_Rezept_

BRATÄPFEL MIT POULETFÜLLUNG Für 4 Personen. Vor- und zubereiten: ca. 1 Stunde / Pro Person: 9 g Fett, 28 g Eiweiss, 32 g Kohlenhydrate, 333 kcal Füllung: 350  g Pouletbrüstchen, fein geschnetzelt / 2 EL Butter, weich / 2 Schalotten, fein gehackt / 1 Knoblauchzehe, gepresst / 1 Rüebli, gerieben / 1 Apfel, geschält und gerieben / 2 TL Salbei, fein geschnitten / 1 TL Rosmarin, fein geschnitten / 1 TL Salz / Pfeffer / Alle Zutaten gut vermischen, würzen und abschmecken. Äpfel: 4 – 8 Äpfel (z. B. Jonagold) / Butter / Einen Deckel von den Äpfeln wegschneiden und bis auf einen 1 cm breiten Rand aushöhlen. Äpfel in ein ausgebuttertes Bratgeschirr stellen. Füllung darin verteilen und Deckel nur halb auf die Füllung legen.

Rezept und Bild: Swissmilk

ERNÄHRUNGSBILANZ

ÖKOBILANZ

Äpfel: Nach Aussage des Schweizer Obstverbandes lässt sich bei der Schweizer Bevölkerung ein jährlicher Pro-Kopf-Konsum von ca. 16 kg nachweisen. Auf dem Schweizer Markt wird eine Vielfalt von Apfelsorten angeboten. Diese unterscheiden sich in ihrem Geschmack, in der Konsistenz ihres Fruchtfleisches und in ihrer Saftigkeit. Um diese Unterschiede zu erfassen, wurde von Agroscope ein Aromarad zur sensorischen Bewertung von Äpfeln entwickelt. Ernährungsphysiologisch stellen Äpfel wie alle Gemüse- und Fruchtsorten eine interessante Kaliumquelle dar. So enthalten 100 g roher Apfel 120 mg Kalium. Äpfel zählen zu den pektinreichen Früchten. Pektin ist ein löslicher Ballaststoff mit gelierenden bzw. bindenden Eigenschaften. So wird der Apfel aufgrund seines Pektingehaltes küchentechnisch gerne als Bindemittel eingesetzt, z. B. bei Marmeladen. Schalotten: Schalotten haben einen eher süsslichen Geschmack und ein würziges Aroma. Zwiebeln, zu deren Familie die Schalotten gehören, enthalten einen relativ hohen Zuckergehalt (7 g Zucker / 100 g rohe Zwiebel), welcher sich vorwiegend aus Saccharose, Fructose und Glucose zusammensetzt. Der typische Zwiebelgeschmack und -geruch ist auf den Gehalt an schwefelhaltigen Substanzen (Sulfide) zurückzuführen. Diese tragen dazu bei, dass wir beim Anschneiden der Zwiebeln den Tränen nahe sind. Diesen Sulfiden werden mögliche antibiotische bis antioxidative Effekte zugeschrieben. Tellermodell: Der Proteinanteil des Tellers wird vom Poulet gut gedeckt. Die Gemüse- bzw. Früchteportion ist ausreichend, doch es fehlt eine Stärkebeilage. Um das Gericht ausgewogen zu gestalten, sollte es z. B. in Form von Kartoffelschnitzen oder Wildreis ergänzt werden. Dies würde auch den Energiegehalt erhöhen, welcher mit 333 kcal für eine Hauptmahlzeit momentan noch zu tief ist. Die Fettqualität im Rezept könnte verbessert werden, indem anstelle von Butter ein pflanzliches Öl wie z. B. Rapsöl verwendet würde.

Poulet: Die Pouletbrust macht etwa drei Viertel der Umweltbelastung dieses Gerichts aus. Die Umweltwirkung von Geflügelfleisch wird weitgehend durch die Aufzucht bestimmt. Dabei ist vor allem die Futtermittelproduktion von Bedeutung. Die Verwendung von biologisch produziertem Poulet würde die Anzahl Umweltbelastungspunkte nicht reduzieren. Die Hühnerzucht ist stark spezialisiert. Legehühner wandern heute kaum noch in die Suppe. Aber auch vom Masthuhn werden heute oftmals nicht mehr alle Teile gegessen. Dies wird in der Ökobilanz über den etwa 2.5-fachen Wert der Pouletbrust gegenüber dem ganzen Huhn eingerechnet. Beim Verzehr von Mast- oder Legehühnern sind die Umweltbelastungen pro Kilogramm deutlich geringer. Werden anstatt Poulet Fleischersatzprodukte (z. B. QuornTM) oder Tofu zubereitet, so könnte die Umweltbelastung bis auf einen Zehntel gesenkt werden, ohne dass der Energiewert und der Eiweissgehalt stark reduziert werden. Äpfel: Der Anteil der Äpfel an der Umweltbelastung der gesamten Mahlzeit liegt bei rund 8 %. Neben den verwendeten Äpfeln wurden auch die Werte des Apfelweins dieser Kategorie zugeordnet. Die Umweltbelastung von Früchten und Gemüse entsteht fast ausschliesslich durch den landwirtschaftlichen Anbau. Die Distribution, die Verpackung und der Transport spielen eine untergeordnete Rolle. Für die Zubereitung des Gerichts werden Äpfel aus der Schweiz verwendet. Säulendiagramm: Das Menu weist mit rund 17  000 Umweltbelastungspunkten (UBP) einen vergleichsweise hohen Wert auf. Aus Umweltsicht spielen die Pouletbrüstchen mit knapp drei Viertel der gesamten Belastung eine entscheidende Rolle. Mit jeweils rund 8 % haben die Äpfel und die übrigen Zutaten einen geringeren Einfluss auf die Umweltbelastung dieses Rezeptes.

SABINE OBERRAUCH / SGE

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1,5 dl fettfreie Hühnerbouillon oder Gemüsebouillon / 1 dl Apfelwein (auch alkoholfrei), Butterflocken / Wein und Bouillon zu den Äpfeln dazugiessen und je 1 Butterflocke auf die Äpfel legen. In der Mitte des auf 200 °C vorgeheizten Ofens 30 – 35 Min. garen. Tipp: Zu den Bratäpfeln passen hervorragend ­Kartoffelschnitze. Das Innere der Äpfel kann zu Apfelmus verarbeitet werden.

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SIMON EGGENBERGER, NIELS JUNGBLUTH / ESU-SERVICES


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5000 UBP *

Rezept 4088

Swissmilk / Infografik: Truc, Bern

Zusammensetzung des Rezeptes im Vergleich zum optimal geschöpften Teller (oben rechts) Lebensmittelgruppen: = Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier & Tofu = Getreideprodukte, Kartoffeln & Hülsenfrüchte = Früchte & Gemüse

Die Säulengrafik zeigt die Umweltbelastung durch das Rezept pro Person. Als Vergleich dazu ein grober Durchschnittswert einer zu Hause zubereiteten Hauptmahlzeit. Die Berechnung der Umweltbelastungspunkte fasst verschiedene Umweltbelastungen bei der Produktion der Lebensmittel zu einer einzigen Kenngrösse zusammen (je höher die Punktzahl, desto grösser die Umweltbelastung). Quelle: ESU–services.

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_Unter der Lupe_

Linsen Vom Pharaonengrab ins Hipster-Restaurant

Aschenputtel und Bauer Courtois aus Genf haben eines gemeinsam: einen Haufen Arbeit mit Linsen. Doch diese lohnt sich, denn die kleinen Hülsenfrüchte sind eiweissreich, keinesfalls alt­ backen und passen hervorragend zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungsweise.

An der Renaissance der Linse in der Schweiz ist auch Michel Courtois aus Versoix bei Genf beteiligt. Mitte der 1990er-Jahre suchte er im nahe gelegenen Grenzgebiet zu Frankreich nach einem Aushängeschild für seinen Hofladen. Neben dem Anbau von Früchten und Gemüse wollte er sich bewusst mit einem Nischenpro-

VON NICOLE HUWYLER

dukt positionieren. Nach Hause kam er dann mit Anicia-Linsensamen. Heute baut sein Sohn Christophe

Sie gehören zu den ersten von Menschen kultivierten

auf 15 Hektaren Linsen an und erntet gesamthaft rund

Pflanzenarten, und archäologische Funde beweisen,

20 Tonnen jährlich. «Linsen lieben warmes Sommer-

dass schon Pharaonen auf die kleinen Kraftpakete

wetter, daher war letztes Jahr ein Rekordjahr», berich-

setzten. So wurden Linsen als Grabbeigaben gefun-

tet Christophe Courtois. Doch Linsenanbau braucht

den, und man berichtet, dass sich die Erbauer der

Leidenschaft, es drohen hohe Risiken wegen der Näs-

Pyramiden mit ihnen stärkten. Linsen haben eine

seempfindlichkeit, schwankende Erträge und grosser

bewegte Geschichte hinter sich: Während sie in der

Reinigungsaufwand. Auch die Ernte selber ist häufig

orientalischen Küche heute noch täglich serviert wer-

eine Herausforderung, da Linsensamen nie gleichzei-

den, mussten sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor al-

tig reif sind. So ist der richtige Erntezeitpunkt daher

lem in Europa vehement gegen ihr schlechtes Image

eine Mischung aus Glück und Erfahrungssache. Was

als «Arme-Leute-Essen» ankämpfen. Mittlerweile ha-

früher im Märchen Aschenputtel erledigte und die

ben sie sich in der Schweiz wieder einen Platz zurück-

Courtois bis vor zehn Jahren von Hand machten, erle-

erobert, dank innovativen Bauern und trendigen Ess-

digen nun Maschinen: das Aussortieren von Steinchen

lokalen, die auf Nachhaltigkeit, pflanzliches Eiweiss

– oder anderen Getreidekörnern nach dem Ernten,

und Regionalität setzen. «Linsen haben einen neuen

falls die Linsen in Mischanbau angebaut werden. Die

Stellenwert erhalten», sagt Ursula Lauper, kulinari-

Westschweizer Pionierarbeit und der lange Atem der

sche Beraterin aus Münchenbuchsee. «Das als Kind

Familie wurden letztes Jahr belohnt: Die Courtois ge-

unbeliebte ‹Linsenmus›, hat sich zu einem trendigen,

wannen mit ihrem Produkt den AgroPreis 2015. Heute

al dente gekochten und farbigen Gericht gewandelt.»

baut die Familie drei Sorten an: grüne Alicia, schwarze Beluga und korallfarbene Rosana. Die Courtois-

Geburtsstätte fruchtbarer Halbmond

Linsen sind in der ganzen Schweiz, im Manor, in Re-

Die ältesten Samenfunde von Linsen finden sich im

staurants oder direkt im Hofladen der sechsköpfigen

Vorderen Orient und sind über 8000 Jahre alt. In der

Familie erhältlich. Und der 35-jährige Landwirt setzt

Jungsteinzeit war die Hülsenfrucht jedoch in ganz Eu-

auch weiterhin auf neues Altbewährtes. Nebst seinen

ropa verbreitet. In welchen Schweizer Regionen früher

Linsen baut er nun auch Kichererbsen, Leinsamen und

Linsen angebaut wurden, ist bis heute nicht klar. Viel-

Buchweizen an.

fach haben Bauern die Hülsenfrucht wohl vor allem

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in ihren Gärten für den Eigengebrauch a ­ ngepflanzt.

Zart und kraftvoll zugleich

Heutige grosse Anbauregionen sind Indien, Kanada

Linsen sind zarte einjährige Pflanzen, mit weissen

und die Türkei. Dass die Linse aber immer heimisch

oder blauen Blüten und werden 10 bis 50 Zentimeter

in der Schweizer Esskultur war, bezeugen Rezepte wie

gross. Da die Pflanzen zum Zeitpunkt der Ernte oft

Linsensuppe auf Schweizer Art, Emmentaler Linsen-

nahe am Boden liegen, ist eine Möglichkeit, die Linsen

tätschli, Linsensuppe nach Ratsherrenart, Linsenein-

zusammen mit einer Stützfrucht anzubauen. Diese

topf mit Saucisson oder Mortadella und Linsen.

hilft im Idealfall, das Unkraut zu unterdrücken. Hier

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5second / iStock


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