ChemieXtra 9/2020

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BIOWISSENSCHAFTEN

Mit Künstlicher Intelligenz

Körpereigene Bakterien verraten Krebsart

Wie in der Forschung über Multiple Sklero­ se (MS) oder bei der Ergründung nach möglichen Ursachen für Depressionen be­ schäftigt sich auch die Krebsforschung mit dem Mikrobiom des Menschen, also mit den körpereigenen Mikroorganismen. «In der Krebsforschung ist man bislang in der Regel davon ausgegangen, dass Tumo­ re sterile Umgebungen sind», sagt der Ko­ ordinator der Forschergruppe Prof. Dr. Rob Knight von der Universität von Kalifornien in San Diego. «Dabei wurde das komplexe Zusammenspiel menschlicher Krebszellen mit Bakterien, Viren und anderen Mikro­ ben, die in und auf unserem Körper leben, ignoriert.» Die Anzahl der mikrobiellen Gene in unserem Körper ist weitaus grös­ ser als die Anzahl der menschlichen Gene. «Daher sollte es nicht überraschen, dass sie uns wichtige Hinweise auf unsere Ge­ sundheit geben», so Knight.

33 verschiedene Karzinome untersucht Die Forscherinnen und Forscher unter­ suchten zunächst mikrobielle Daten aus «The Cancer Genome Atlas», einer Daten­ bank des «National Cancer Institute» in den USA, die Genomsequenzen und andere Informationen von Patientinnen und Pati­ enten mit verschiedenen Tumoren enthält. Analysiert wurden mehr als 18 000 Tumor­ proben von rund 10 500 Patientinnen und Patienten mit 33 verschiedenen Krebsar­ ten. Dabei zeigte sich, dass unterschiedli­ che mikrobielle Signaturen oder Muster mit bestimmten Krebsarten assoziiert wa­ ren. Einige Assoziationen hatten die For­ scherinnen und Forscher erwartet, zum Beispiel die zwischen humanem Papillo­ mavirus (HPV) und Gebärmutterhals-, Kopf- und Halskrebs sowie die Assoziation 9/2020

zwischen Fusobacterium-Arten und Ma­ gen-Darm-Krebs. Das Team identifizierte aber auch bisher unbekannte mikrobielle Signaturen, die sich stark zwischen ver­ schiedenen Krebsarten unterscheiden. Beispielsweise unterscheidet das Vorhan­ densein von Faecalibacterium-Arten Darm­ krebs von anderen Krebsarten. DNA-Frag­ mente des Epstein-Barr-Virus erlauben das Unterscheiden bestimmter Subtypen bei Magenkrebs. Ausgestattet mit den Mikrobiomprofilen von Tausenden von Krebsproben, trainier­ ten und testeten die Forschenden Hunder­ te von Modellen für maschinelles Lernen, um bestimmte mikrobielle Muster mit dem Vorhandensein spezifischer Krebsar­ ten in Verbindung zu bringen. «Die so trai­ nierte Künstliche Intelligenz ist in der Lage, den Krebstyp einer Patientin oder eines Patienten nur anhand ihrer mikrobiellen Daten zu identifizieren», erklärt Prof. Dr. Ste­ fan Janssen. «Selbst eine äusserst stringen­ te Filterung, mit der wir eine Kontamina­ tion der Proben im Labor ausgeschlossen haben, hat die Erkennungsrate nicht we­ sentlich verschlechtert, auch wenn da­ durch in einigen Fällen 90 Prozent der mikrobiellen Daten entfernt wurden.»

Bild: Shutterstock

Die Erbsubstanz von Viren und Bakterien in Patientinnen und Patienten kann Hinweise auf eine Krebserkrankung geben. Eine entsprechende Methode auf Basis von Künstlicher Intelligenz hat ein internationales Forscherteam der Universität von Kalifornien (USA) mit Beteiligung der Universität Giessen entwickelt. Mit dieser neuartigen Methode lässt sich teilweise sogar bestimmen, an welcher Art Krebs der Betroffene erkrankt ist.

DNA-Fragmente des Epstein-Barr-Virus erlauben das Unterscheiden bestimmter Arten von Magenkrebs.

sein», so Janssen. «Weitere grosse Studien sind nötig, um festzustellen, ob mikrobielle Signaturen wirklich jeden Krebs erkennen lassen. Doch selbst dann sind im Anschluss invasivere Tests notwendig, um die Diagno­ se Krebs und den Ort des Tumors zu be­ stätigen.» Originalpublikation G. D. Poore et al., «Microbiome analyses of blood and tissues suggest cancer diagnostic approach», Nature (2020). DOI: 10.1038/ s41586-020-2095-1

Einfachere Tests zur Krebsdiagnose Die Diagnose der meisten Krebsarten er­ fordert derzeit meist eine invasive chirurgi­ sche Biopsie des Tumors und die Analyse der Probe durch Expertinnen und Experten. Daher arbeiten verschiedene Forschungs­ einrichtungen und Firmen an einfachen Bluttests zur Krebsdiagnose, die darauf ba­ sieren, mutierte menschliche DNA zu de­ tektieren. «Ein Test auf Grundlage der mi­ krobiellen DNA dürfte deutlich einfacher

Kontakt Prof. Dr. Stefan Janssen Universität Giessen Ludwigstrasse 23 D-35390 Giessen +49 641 99 35822 stefan.janssen@computational.bio. uni-giessen.de www.uni-giessen.de

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