4 minute read

AN DER QUELLE SASS DER KNABE

Von Christa Sigg

Der Vergleich hinkt natürlich. Aber wenn sich Behzod

Abduraimov am Klavier immer weiter den Tasten entgegenneigt und beim Atmen fast schnaubt, muss man unwillkürlich an Glenn Gould denken. Der Stil des 32­jährigen Pianisten ist ein ganz anderer, sicher. Und im Gespräch begegnet man einem humorvollen, zuweilen selbstironischen jungen Mann, der keinerlei Ticks pflegt und am liebsten vor Publikum spielt. Überhaupt ist er gerne unter Menschen, vor allem an einer grossen Tafel, so wie in seiner Heimat Usbekistan. Ein Austausch über Kraftmeierei und die er zufällig auf der Strasse gehört hatte. Das mögen keine sonderlich eleganten Tänze sein, aber sie sind spannungsgeladen und kraftvoll.

Balance, Blumenberge und Tschaikowskis 1. Klavierkonzert, das er mit dem Sinfonieorchester Basel aufführen wird.

CS Behzod Abduraimov, wie kommt ein Kind in Usbekistan – einem Land der Karnay und der Trommeln – darauf, Klavier zu spielen?

BA Mit einer Klavierlehrerin als Mutter. Doch ich gehörte sicher nicht zu den Kindern, die sich mit drei, vier Jahren zum Instrument quengeln. Erst als ich sechs war, hat mir meine Mutter die Grundlagen beigebracht. Und dann ging es in Taschkent auch bald weiter bei Tamara Popowitsch.

CS Die Russische Klavierschule scheint durch die einstige Anbindung an die Sowjetunion eine grosse Rolle zu spielen.

BA Absolut! Viele wissen gar nicht, dass das Leningrader Konservatorium während des 2. Weltkriegs nach Taschkent evakuiert wurde. Es kamen also viele Musiker*innen, Lehrer*innen, Professor*innen, und einige davon sind nach dem Krieg einfach geblieben. Ich sass quasi an der Quelle!

CS Gehört Pjotr Iljitsch Tschaikowski deshalb zu Ihren Favoriten?

BA Da bin ich nun wirklich nicht allein. Aber klar, bei einer russisch geprägten Ausbildung kommt man an diesem Komponisten und dem zentralen b­Moll­Konzert nicht vorbei.

CS Wie nähert man sich diesem Stück, das jeder kennt?

BA Das Tschaikowski­Konzert ist das am meisten gespielte Klavierkonzert. Und wie bei Beethovens 5. Sinfonie weiss jeder schon mit den ersten Tönen, was kommt. Ich selbst habe das b­Moll­Konzert mindestens 300 Mal gespielt, und man könnte denken, das wird Routine, es stellt sich vielleicht sogar ein gewisser Überdruss ein. Im Gegenteil! Meine Interpretation hat sich in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt und ver ändert. Sobald ich am Klavier sitze und die Hörner diese ikonische Eröffnung spielen, reisst mich das mit, und ich habe immer das Gefühl, es ist das erste Mal.

CS Ausgerechnet Tschaikowskis Freund und Mentor Nikolai Rubinstein war der Meinung, das Konzert sei «armselig» komponiert.

BA Verrückt, oder? Dafür fand es Hans von Bülow formvollendet, er hat das Klavierkonzert 1875 ja auch in Boston uraufgeführt. Balsam für Tschaikowskis Seele! Allein die Vorstellung, wie er da sass und dem so bewunderten Rubinstein das Konzert vorspielte – stolz, erwartungsvoll – und dann diese beleidigenden Kommentare über sich ergehen lassen musste: «völlig unspielbar» oder «vulgär». Glücklicherweise beschloss Tschaikowski, nichts zu ändern.

CS Am Ende hat er das Konzert dennoch überarbeitet.

BA Mehrmals sogar, allerdings nicht grund legend, sondern nur Details.

CS Technische Hürden nehmen Sie mit links. Gehören Sie zu diesen Musiker*innen, für die das Üben Genuss ist?

CS Man braucht eine Menge Kraft, aber es gibt auch ganz zarte, lyrische Passagen. Wie finden Sie die richtige Balance?

BA Das ist eine Gratwanderung, gerade im 1. Satz, der gleich mit den wuchtigen Doppelgriffakkorden beginnt. Was für ein starkes Statement! Doch donnern allein führt nicht weiter. Nie. Denn auf der anderen Seite gibt es diese sehr melancholischen Passagen voller Poesie. Für mich ist das wie ein Konflikt, der auf sehr verschiedenen Ebenen ausgetragen wird. Im Zusammenspiel mit dem Orchester ist das wie richtig gute Kammermusik im grossen Massstab. Die Dramatik, die Tschaikowski in dieses Werk gelegt hat, ist absolut genial. Alles hat Sinn, weil jedes Detail der Musik dient. Dann haben wir das erhabene Thema des 2. Satzes, das Zwischenspiel der Holzbläser, das Cello – wieder komme ich auf die Kammermusik. Das Besondere des 3. Satzes ist schliesslich der Tanz. Tschaikowski übernahm ganze Melodiefolgen aus ukrainischen und russischen Volksliedern,

BA Nein! Ich muss wirklich malochen, um in guter Form zu sein. Meine Lehrerin Tamara Popowitsch hat es verstanden, Kinder zu unterrichten. Mit ihren Methoden muss man nicht immer einverstanden sein, doch sie sagte ganz klar: «Solange Du Dich mit der Technik aufhalten musst, machst Du keine Musik, Behzod.» Für mich war das der richtige Rat. Und dann wechselte ich zu einem Lehrer, der mir die musikalische Seite vermittelt hat, die unterschiedlichen Interpretationsstile, das Entwickeln einer eigenen Handschrift, auch den Umgang mit dem ganz grossen Klang, der leicht zur Kraftmeierei wird.

CS Sie sind 2006 mit nur 16 Jahren in die USA gegangen – alleine?

BA Ganz allein, meine Tasche war wahrscheinlich grösser als ich selbst und alles vollkommen neu. Aber ich war auf dieses Abenteuer vorbereitet. Meine Lehrerin hat mir im Alter von zehn, elf Jahren klargemacht, dass ich ins Ausland muss, um ein guter Konzertpianist zu werden. In Kansas

City hat mich dann Stanislav Ioudenitch unterrichtet, der selbst aus der Ukraine kam. Es war also nicht ganz so schwierig, und Stanislav wurde zur Ersatzfamilie. Da hatte ich viel Glück. Wir sind bis heute in Verbindung, und ich schätze seinen Rat!

CS Immerhin haben Sie zwei Jahre später die International London Piano Competition gewonnen.

BA Für meine Karriere war das ganz entscheidend, sie ist tatsächlich durch diesen Wettbewerb international angestossen worden. Ich wollte immer in den grossen Konzertsälen mit den besten Orchestern spielen. Und nun konnte ich gleich mit dem London Philharmonic in der Royal Festival Hall auftreten. Ein Traum!

CS Wie reagiert das Publikum, wenn Sie in Ihrer Heimat auftreten?

BA Man spürt eine grosse Dankbarkeit, die Wertschätzung ist enorm. Und die Menschen bringen Berge von Blumen mit.

CS Darf Ihre Mutter Sie noch kritisieren?

BA Na klar! Aber sie ist ziemlich stolz auf mich. Wenn sie mich kritisiert, dann für ganz andere Dinge, die mit der Musik überhaupt nichts zu tun haben. Alltägliches, wie in allen Familien.

CS Sie kommen aus einem Land, in dem der Rhythmus und der Tanz eine grosse Rolle spielen. Auf jedem Fest wird man sofort animiert mitzutanzen. Hat Sie das als Kind geprägt?

BA Ich kann von mir wirklich nicht behaupten, dass ich viel tanze, aber diese Tradition hat mich bestimmt beeinflusst, mir sogar eine gewisse Ausdauer vermittelt. Der Rhythmus trägt einen ja, und vielleicht sitzt er bei mir in den Knochen.

CS Welche Rolle spielt die klassische westliche Musik im öffentlichen Leben Usbekistans?

BA Die Tradition ist noch nicht so alt, aber die klassische Musik war durch den 2. Weltkrieg plötzlich da, und das in einer sehr intensiven, hochkarätigen Form. Es gibt in Taschkent eine Oper, mindestens vier Orchester, drei Kammerorchester, und es kommen auch internationale Künstler und Orchester nach Usbekistan. Wir sind also gut versorgt mit klassischer Musik. Und die Säle sind voll! Gerade unter den jungen Leuten gibt es viele Fans.

This article is from: