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Gesundheitsrisiko Rauchen: Wege zum Aufhören Experteninformation von Dr. Christoph B. Kröger
Gesundheitsrisiko Rauchen
Wege zum Aufhören
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Dr. Christoph B. Kröger, IFT-Gesundheitsförderung, München
Tabakkonsum ist ein Risikofaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung vieler körperlicher Erkrankungen wie Krebserkrankungen, Erkrankungen der Lunge (COPD) und des Herz-Kreislaufsystems (Herzinfarkt, Schlaganfall). Beim Zusammenwirken verschiedener Risikofaktoren ist Rauchen der bedeutendste Einzelfaktor für die Entstehung dieser körperlichen Erkrankungen (Li et al., 2014). Gleichzeitig leiden viele Rauchende unter einer komorbiden Störung, der Tabakabhängigkeit, die in der Internationalen Klassifi kation von Krankheiten, ICD-10, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter F17.2 codiert und defi niert wird.
Im Vergleich zu anderen für die Gesundheit riskanten Konsumformen (Alkohol) oder Verhaltensmustern (Ernährung) ist die Sachlage zu den Gesundheitsrisiken beim herkömmlichen Tabakkonsum abgesichert und unwidersprochen. In den westlichen Industrienationen wissen fast alle Rauchenden um gesundheitliche Risiken des Rauchens. Viele Rauchende sind auch daran interessiert, mit dem Rauchen aufzuhören, und etwa ein Viertel macht jährlich einen Aufhörversuch (Kröger et al., 2015, Kotz et al., 2018).
Welche Methoden gibt es, um mit dem Rauchen aufzuhören?
Für am Aufhören interessierte Rauchende gibt es ein vielfältiges, kaum überschaubares Angebot an Ausstiegshilfen. Für die Einschätzung der Qualität der Angebote empfi ehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein Qualitätsraster zur Beurteilung der Konzeptqualität (Wirkmechanismen, Seriosität, Unglaubwürdigkeit, Transparenz), der Strukturqualität (Qualifi kation des Anbieters, Materialqualität, Verfügbarkeit), der Prozessqualität (Durchführung der Maßnahme und Zusatzbetreuung) und der Ergebnisqualität (Wirksamkeit und Erfolgskontrolle, Verbreitung und Akzeptanz, Nebenwirkungen) (Kröger & Piontek, 2011). Die S3 Leitlinie „Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums” der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sieht die Effektivität u.a. von Selbsthilfematerialien, telefonischer Beratung, verhaltenstherapeutisch fundierter Gruppen- oder Einzelinterventionen und verschiedener Arzneimittel als gesichert an (Batra et al., 2015).
Als Vorbereitung auf und Begleitung während des Rauchstopps bieten sich Bücher, Broschüren und Internetangebote an, die bequem von zuhause aus genutzt werden können und in der Regel leicht, rasch und häufi g kostenlos verfügbar sind. Zu diesen niederschwelligen Angeboten gehören populäre Selbsthilfebücher wie „Endlich Nichtraucher!“ von Allen Carr (2012): ein Klassiker, der sich die Desillusionierung des Rauchens zur Aufgabe macht. „Frau Schmitt, die Zigarette und Sie“ von Bettina Lohmann (2009): ein verständlich geschriebenes Buch, das alle Schritte des Aufhörens
begleitet, „Die Nichtraucherformel“ von Robert West (2014): ein Buch, das alle Hilfsmittel verständlich beschreibt oder die kostenlose Broschüre der BZgA „Ja, ich werde rauchfrei“ (ohne Datum). Im Internet gibt es teils kostenpflichtige Videos (z.B. von Stefan Frädrich https://www.rauchfreimethode. com), die den Ausstieg unterstützen, indem sie das Suchtgeschehen erklären, Tipps für das rauchfreie Leben geben und den Rauchenden bewusst machen, dass die vermuteten Vorteile gegenüber Nichtrauchern eine Illusion sind.
Im Internet gibt es auch komplette Programme, die beim Aufhören unterstützen, wie das Rauchfrei Ausstiegsprogramm der BZgA, ein kostenfreier 21 Tage dauernder Onlinekurs, mit dem man sich auf den Rauchstopp vorbereiten, den Rauchstopp durchführen und das rauchfreie Leben starten kann (www.rauchfrei-info.de). Beim Internetprogramm SQUIN (https://www.squin.de) finden sich Aufhörwillige anonym online zu einem strukturierten Gruppenprogramm zusammen. Internetforen bieten Personen, die sich in kein Programm einschreiben möchten, Unterstützung durch Betroffene und Experten (z.B. BZgA und Stop-simply). Über die kostenfreie BZgA-Telefonberatung erhält man eine professionelle Unterstützung bei der Vorbereitung und Umsetzung des Rauchstopps.
Über Smartphone-Apps kann man sich ebenfalls Unterstützung holen. Kostenfreie empfehlenswerte deutschsprachige Apps sind: „Rauchstopp“ von Titus Brinker, „Rauchfrei App“ von Helmut Chlebecek (diese App hilft auch Unentschlossenen bei der Vorbereitung), „Stop-tabac“ der Universität Genf.
Medikamente können den Rauchstopp unterstützen, indem sie Entzugserscheinungen mildern und Verlangensattacken verringern. Sie setzen eine Bereitschaft zum Rauchstopp und die Entscheidung für ein rauchfreies Leben voraus. Die frei verkäuflichen Nikotinpräparate (Pflaster, Spray, Inhaler, Kaugummi, Lutsch- und Sublingualtabletten) versorgen den Körper mit Nikotin, ohne dass dieser die im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe aufnimmt. In der Regel werden die Mittel mit Beginn der Abstinenz oder etwas vorher eingesetzt und innerhalb von zwölf Wochen nach dem Rauchstopp langsam ausgeschlichen. Die Nikotinpräparate sind bei bestimmungsgemäßer Anwendung gut verträglich und ungefährlich. Es empfiehlt sich, zwei Präparate miteinander zu kombinieren (z.B. Pflaster und Spray) und diese hoch dosiert über mindestens vier Wochen zu nutzen.
Verschreibungspflichtige Medikamente (Champix®, Zyban®) wirken im Gehirn und sind somit Psychopharmaka, die nur unter ärztlicher Aufsicht genutzt werden dürfen. Champix lindert die Symptome des Rauchverlangens und reduziert gleichzeitig die angenehmen Effekte des Rauchens, sollte trotz der Medikation geraucht werden. Zyban® , ursprünglich ein Antidepressivum, wird wegen möglicher Nebenwirkungen (Gefahr von Krampfanfällen) nur selten verschrieben.
In eintägigen oder mehrere Sitzungen umfassenden Gruppenkursen unter professioneller Anleitung werden Rauchende angeleitet, einen Rauchstopp zu unternehmen. In den eintägigen Kursen wird zunächst die Motivation zum Rauchstopp gestärkt, bevor der Rauchstopp durchgeführt wird. Des Weiteren werden Tipps gegeben, wie das rauchfreie Leben gestaltet werden kann. Kurse, die sich über mehrere Termine erstrecken, beruhen auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien. In der Regel werden die drei Phasen der Tabakentwöhnung (das Rauchverhalten verstehen, Verlangensattacken bewältigen, bewusste Entscheidung für das rauchfreie Leben) gemeinsam durchschritten. Mehrtägige Kurse bieten mehr Zeit, auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Raucher einzugehen und die Teilnehmenden erhalten zusätzlich Unterstützung durch die Gruppenmitglieder. Für das in den ersten Tagen nach dem Rauchstopp besonders hohe Rückfallrisiko wird Unterstützung angeboten. Die Chance auf eine langfristige Abstinenz ist am größten bei der Teilnahme an einem mehrtägigen verhaltenstherapeutischen Kurs (Batra et al., 2010).
Das gesundheitspolitisch optimale Ziel ist die Abstinenz, also das Rauchen von Zigaretten vollständig aufzugeben. Es gibt jedoch Raucher, die nicht mit dem Rauchen bzw. Nikotinkonsum aufhören wollen oder es nicht schaffen. Es stellt sich die Frage, ob hier eine Risikominimierung möglich ist.
Viele Raucher spekulieren auf einen gesundheitlichen Nutzen durch eine Reduktion des Rauchens. Sicher ist jede nicht gerauchte Zigarette ein Schritt in die richtige Richtung, doch eine Reduktion des Zigarettenkonsums verbessert die Gesundheit nur geringfügig. Bereits eine Zigarette am Tag führt zu einem deutlich angestiegenen Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Die gravierenden körperlichen Folgeschäden des Rauchens sind auf die Schadstoffe zurückzuführen, die beim Verbrennen des Tabaks der Zigarette entstehen. Das Nikotin selber stellt bei gesunden erwachsenen Menschen nur eine geringe Gefahr für die körperliche Gesundheit dar. Entsprechend könnten Produkte, die das Nikotin ohne Verbrennung von Tabak zur Verfügung stellen, eine attraktive Alternative für Rauchende darstellen. Mit den sogenannten E-Zigaretten und Tabakerhitzern (Heat-Not-Burn-Produkten, HNB) hat sich in den letzten Jahren ein neuer Markt entwickelt.
E-Zigaretten enthalten keinen Tabak. Sie verdampfen durch ein elektronisch gesteuertes Heizelement eine Flüssigkeit (Liquid), in der sich unter anderem Nikotin in unterschiedlichen Konzentrationen befinden kann. Der dabei entstehende Dampf wird wie beim Rauchen von Zigaretten über ein Mundstück inhaliert. HNB-Geräte erhitzen Tabak über ein Batterie betriebenes Heizsystem auf bis zu 350 Grad und produzieren so ein Aerosol, welches Nikotin und andere Chemikalien enthält und das vom Nutzer durch den Mund inhaliert wird. Beide Alternativen zum traditionellen Zigarettenrauchen nehmen für sich in Anspruch, bei kontinuierlichem Gebrauch weniger gesundheitsschädlich zu sein. Langzeitstudien über gesundheitliche Auswirkungen gibt es derzeit nicht.
Die Diskussion über die potentiellen gesundheitlichen Risiken dieser alternativen Produkte kann daher nur spekulativ sein, sie werden sehr unterschiedlich eingeschätzt und kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht jedoch darin, dass die alternativen Produkte im Hinblick auf die bekannten Risiken des Tabakrauchens weniger schädlich sind. Die E-Zigarette wird als noch weniger riskant angesehen als die HNB-Produkte (Abrams et al., 2018). Ein potentieller Nutzen der Alternativ-Produkte für den individuellen Raucher muss abgewogen werden gegenüber dem potentiellen Schaden für die Bevölkerung durch eine zunehmende Akzeptanz des Rauchens und Nikotingebrauchs.
Ein Umsteigen auf die E-Zigarette macht für Individuen aus gesundheitlichen Gründen vermutlich Sinn, auch wenn und obwohl derzeit langfristige Risiken der E-Zigarette nicht untersucht sind. Ein Umstieg auf die E-Zigarette erfolgt in der Regel nach dem Versuch-und-Irrtum Prinzip, allgemein gültige Regeln gibt es bisher nicht. Tipps für den Umstieg kann man sich in den entsprechenden Internetforen der engagierten E-Zigaretten-Nutzer holen.
Maßnahmen, mit denen eine Verhaltensprävention im Rahmen einer wirksamen Verhältnisprävention gestärkt werden könnte
Die WHO hat ein Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (WHO Framework Convention on Tobacco Control, FCTC) verabschiedet, das seit dem Jahr 2005 in Kraft ist und von der Europäischen Union unterschrieben wurde. In diesem Übereinkommen werden strukturelle Maßnahmen genannt, die eine Verhinderung des Einstiegs in den Tabakkonsum und die Förderung des Ausstiegs unterstützen:
• Verringern von Lobbying, um die Verflechtung von Gesetzgebern und Tabakindustrie zu begrenzen
• Steuererhöhungen • Maßnahmen zum Schutz vor Passivrauchen, • Warnhinweise auf Verpackungen • öffentliche Aufklärung zu den Folgen des Tabakkonsums • Verbot der Tabakwerbung • Maßnahmen zur Eindämmung des illegalen
Handelns und Abgabeverbot an Jugendliche
Diese Maßnahmen sind geeignet, die Attraktivität des Rauchens für aktuell Rauchende zu verringern und sie zum Ausstieg zu motivieren (Kröger et al., 2010).
Aktuell ist der Zugang zu den effektivsten Methoden der Tabakentwöhnung für viele Menschen erschwert, weil die gesetzlichen Krankenkassen die individualisierte Tabakentwöhnung durch spezialisierte Therapeuten nicht bzw. nur anteilsmäßig erstatten dürfen. Und obwohl Tabakabhängigkeit eine von der WHO anerkannte Erkrankung ist, wird deren Behandlung – anders als bei der Alkoholabhängigkeit – bisher nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland genannt. Verhaltenstherapeutische Gruppenprogramme werden als Präventionsmaßnahme (Entstehung von körperlichen Erkrankungen wird verhindert) durch die gesetzlichen Krankenkassen anteilsmäßig erstattet (nach §20 SGB V), nur einzelne Krankenkassen übernehmen die Gesamtkosten aufgrund einer Satzungsleistung. Eine individualisierte Tabakentwöhnung wird auch beim Vorliegen schwerer körperlicher Folgeerkrankungen nicht vergütet.
Eine Anerkennung der Tabakabhängigkeit als Erkrankung und die Übernahme der Kosten für deren Behandlung durch die gesetzlichen Krankenkassen würde die Inanspruchnahme sicherlich erhöhen und somit die gesundheitlichen Folgeschäden verringern, darüber sollte der Gesetzgeber eine entsprechende Entscheidung treffen. Entsprechende Kosten-NutzenBerechnungen wurden bereits vielfach simuliert und konnten die Bedeutung und hohe KostenNutzen-Effektivität der Tabakentwöhnung im Vergleich zu den meisten anderen medizinischen Präventiv- oder Therapiemaßnahmen belegen (West, 2007). ■
Literatur Abrams DB, Glasser AM, Pearson JL, Villanti AC, Collins LK, Niaura RS (2018). Harm Minimization and Tobacco Control: Reframing Societal Views of Nicotine Use to Rapidly Save Lives. Annu Rev Public Health 39:193-213.
Batra A, Collins SE, Schröter M, Eck S, Torchalla I, Buchkremer G (2010). A cluster-randomized effectiveness trial of smoking cessation modified for at-risk smoker subgroups. J Subst Abuse Treat 38(2): 128-140.
Batra A, Hoch E, Mann K, Petersen KU (2015). S3-Leitlinie: Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums. AWMF-Register Nr. 076-006.
BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (ohne Datum). Ja, ich werde rauchfrei. https://service.bzga.de/pdf.php?id=253e87a4d2e5ed98979066bc64837c80, letzter Zugriff 20.12.2018.
Carr A (2012). Endlich Nichtraucher! München: Wilhelm Goldmann Verlag.
Kotz D, Böckmann M, Kastaun S (2018). The Use of Tobacco, E-Cigarettes, and Methods to Quit Smoking in Germany. Dtsch Arztebl Int 115: 235-242.
Kröger C, Piontek D (2011). Tabakentwöhnung in Deutschland, Grundlagen und kommentierte Übersicht. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln.
Kröger C, Mons U, Klärs G, Orth B, Maschewsky-Schneider U, Lampert T (2010). Evaluation des Gesundheitsziels „Tabakkonsum reduzieren“. Bundesgesundheitsbl 53: 91-102.
Kröger C, Gomes de Matos, Piontek D, Wenig JR (2015). Ausstiegsversuche und Hilfsmittelnutzung unter Rauchern in Deutschland: Ergebnisse aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey 2012. Gesundheitswesen 77: 1-7.
Li K, Hüsing A, Kaaks R (2014). Lifestyle risk factors and residual life expectancy at age 40: a German cohort study. BMC Medicine 12: 59.
Lohmann, B (2009). Frau Schmitt, die Zigaretten und Sie. Ratgeber zur Tabakentwöhnung. Göttingen [u.a.]: Hogrefe.
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West R (2007). The clinical significance of ‘small’ effects of smoking cessation treatments. Addiction 102: 506-509.