SPIESSER 185 – Bundesweit

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Frühling 2020 Nr. 185 SPIESSER.de

Bei sich und von Sinnen

Nilam Farooq hat einen sechsten Sinn! Über Magie, ihre Träume und

die Leidenschaft spricht die Schauspielerin in der Kissenschlacht. Seite 14

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Tolle Gewinne!

Titelstory

MrWissen2go

Quadrocopter, BOOMSTER GO von

Feminismus im Kloster

in der Vertretungsstunde

Teufel, Zoemi von Canon u.v.m.!


NEUNZIGTAUSEND AUSBILDUNGSPLÄTZE SECHSHUNDERT BERUFE ZWÖLF FRAGEN (D)EINE ZUKUNFT

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Inhalt

Mit Sinn und Verstand

Wenn der Wecker montags um halb sieben klingelt, spätestens da stellt sie sich uns allen: Die Frage nach dem Sinn. Was treibt uns an? Was hilft uns, mit Frustmomenten oder sogar schweren Schicksalsschlägen umzugehen? Was macht uns glücklich? In dieser Ausgabe werden Sinn und Glaube zum Thema, stellenweise auch Religion.

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YouTube als Sprachrohr für Gott Rückständige Werte und „Gottes Plan“ in 16:9.

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Wie ich den Feminismus im Kloster fand Erkenntnisse aus fünf Tagen Nonnenalltag.

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Ich habe nichts gegen Aberglaube, aber glaube nicht daran. Glaubens-Globuli für den Alltag.

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„Du kriegst, was du gibst, wenn du tust, was du liebst “ Kissenschlacht mit Nilam Farooq.

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Die politische Macht von YouTube Mirko Drotschmann aka. MrWissen2go in der Vertretungsstunde.

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Religionsunterricht – weg mit dem „Old school “-Fach? Fragen und Fotos von Lehrerkindern.

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„Hier wird bis zum Schluss gelebt “ Mittagspause mit Hospizleiterin Barbara Krug.

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Kreuzworträtsel Quadrocopter, Speaker BOOMSTER GO, Zoemini von Canon, Buch Die rechte Mobilmachung …

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Malen nach Zahlen ... Bag To Life-Accessoires, Monopoly The Voice Banking, Systemsprenger auf DVD gewinnen!

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Euer Feedback Sind wir noch bei Sinnen?

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Kolumne

YouTube als Sprachrohr für Gott Christliche Influencer, sogenannte „Christfluencer“, tragen nicht einfach ihren persönlichen Glauben nach außen. Sie vermarkten ihn vielmehr – wie ein Lifestyle-Produkt. Dabei nutzen sie modernste Kommunikation, um zu missionieren und aktiv gegen Werte wie die Gleichberechtigung und Emanzipation zu kämpfen.

„Das Leben ist immer noch das größte Geschenk für jeden Menschen“, erklärt Lukas mit ernster Stimme in einem Video mit dem Titel Was ich über Abtreibung denke. Das Setting ist ein für Influencer beliebtes: Auf einem Bett sitzend wird er direkt aus seinem privaten Schlafzimmer heraus gefilmt. Das soll zwar die Atmosphäre eines freundschaftlichen Gesprächs unter vier Augen suggerieren. Beim Zuschauen bekomme ich aber vor allem Gänsehaut. Lukas ist Pastor und der Ehemann von „Li Marie“, auf deren Channel sein Video zu sehen ist. Darin betont er, es gehe ihm nicht darum, „irgendjemanden zu verdammen“. In den darauf folgenden zehn Minuten tut er – wer hätte das gedacht – genau das. Er erklärt jeden Schwangerschaftsabbruch zu einer Sünde, die „Gottes Plan“ durchkreuzt. Wer vor einer solchen Entscheidung stehe, solle sich einfach Hoffnung suchen. Wo? Im Gebet natürlich! Explizit warnt er Frauen vor den psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs. Es klingt wie eine Drohung, wenn er von den Schuldgefühlen spricht, die viele Betroffene ereilen. Dabei ignoriert er völlig die Folgen, die eine Schwangerschaft für Leben und Körper einer Frau haben kann – und seinen eigenen verheerenden Beitrag zu ebendiesen Schuldgefühlen. Dass hier ausgerechnet ein Mann über Schwangerschaftsabbrüche und damit über die Köpfe von Frauen hinweg über deren Körper spricht, ist symptomatisch für Christfluencer. Ob nun Männer oder Frauen – unverhältnismäßig gern wird sich über andere erhoben, indem deren Verhalten der Stempel „Sünde“ aufgedrückt wird. Munter werden dabei Geschlechterklischees reproduziert und patriarchale Strukturen wenig infrage gestellt. So auch von den Betreiberinnen von Girl Defined. In ihren Videos geht es darum, „den Richtigen“ zu finden und den Platz in einer, am besten heterosexuellen, Partnerschaft – selbstverständlich inklusive sexueller Keuschheit vor der Eheschließung. Andere Themen sind die Verdammung von Pornografie und die richtige, nicht allzu „aufreizende“ Kleidung.

Tex t vo n Ve roni k a H o f m a nn, 25,

liest und schreibt wissenschaftlich, journalistisch, literarisch und versucht dabei zu verstehen.

Das Problem ist nicht, dass Menschen dazu angehalten werden, keinen Sex vor der Ehe zu haben. Wer das möchte, soll sich gern persönlich dafür entscheiden. Verhaltensweisen wie diese werden aber durchweg mit scheinbar feststehenden, jahrhundertealten Begründungen aus der Bibel belegt. Die Message lautet: Wer die Verantwortung für alle persönlichen Entscheidungen unhinterfragt an eine höhere Instanz auslagert, führt ein glücklicheres und hoffnungsvolleres Leben. Mit ihren Predigten über Sünde und Vergebung, Autoritätshörigkeit und Seelenheil erreichen Christfluencer vor allem junge Menschen. Noch formbaren Menschen, die nach einem Sinn in ihrem Leben suchen, wird dieser mit dem Glauben an Gott auf dem Silbertablett präsentiert. Verpackt in ein scheinbar modernes Gewand, können Christfluencer unbehelligt ihre rückständigen Werte verbreiten, ohne sich darauf verlassen zu müssen, ihre Zielgruppe in Kirchen zu locken. Der YouTube-Algorithmus erledigt das schon für sie.


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Der Einsatz ist in Schulen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, Waisenhäusern oder anderen sozialen Einrichtungen für junge Erwachsene von 18 bis 28 Jahren möglich. Dabei verläuft die Kooperation mit den Einsatzprojekten partnerschaftlich und auf Augenhöhe. Unser Ziel ist es, diesen qualitätsgeprüften Freiwilligendienst möglichst allen Bewerberinnen und Bewerben anzubieten, denn er hilft nicht nur vor Ort, sondern erweitert auch den eigenen sprachlichen und kulturellen Horizont. Außerdem hilft dieses soziale Engagement bei der Berufsorientierung und -vorbereitung. Der Freiwilligendienst wird als Wartesemester und Praktikum angerechnet und verbessert auch sonst die Chancen auf einen Ausbildungs- oder Studienplatz. Während deines Einsatzes hast du durchgängig Ansprechpersonen und nimmst an Bildungsseminaren teil. Da die Einsätze bundesgefördert sind, wird ein Taschengeld gezahlt sowie Unterkunft, Verpflegung und Versicherung gestellt. Es wird um eine Spende gebeten. Durch die Teilnahme hast du weiterhin Anspruch auf Kindergeld.

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Titelstory


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Titelstory

Wie ich den Feminismus im Kloster fand

FĂźnf Tage ging ich ins Kloster, um mich mit dem schrecklichen Alltag einer Nonne zu konfrontieren. So dachte ich. Was ich fand, waren aufgeweckte, starke und herzliche Frauen, die der feministischen Ideologie in nichts nachstehen.


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Titelstory

Es ist kuschelig warm in diesem Raum mit schrägem Holzdach, während kleine Tropfen an die Fensterscheibe schlagen. Es riecht nach Fencheltee. Ich sitze auf einem rosa-grauen Sofa und ertappe mich dabei, wie ich mich hier wohlfühle. Um mich herum sitzen drei Frauen in langen grauen Kutten und mit Kopfhauben und lächeln mir zu. Es ist Freitagabend, gerade haben wir die Tagesschau zu Ende geschaut. Seit fünf Tagen lebe ich in einem vinzentinischen Kloster, heute ist mein letzter Abend. Jetzt unterhalten wir uns über religiöse Gepflogenheiten, die ich noch immer nicht begreifen will. Wieso die Schwestern mindestens dreimal am Tag in den Gottesdienst gehen und ständig beten müssen, zum Beispiel. „Das ist wie in einer Beziehung“, erklärt Schwester Petra*, „die muss ja auch gepflegt werden“. Neben dem gemeinschaftlichen Gebet würden sie auch oft einzeln beten und so einen noch innigeren Zugang zu Gott suchen. Eine Beziehung also. Mit so vielen Liebenden. Werden die Schwestern da nicht eifersüchtig? Schwester Annemarie* lächelt: „Jede wird so angenommen, wie sie ist“, sagt sie. Ich muss grinsen. Für mich klingt das nach Polyamorie. Aufgewachsen ohne Glauben Ich habe Religion noch nie kapiert. Ich wurde nicht getauft, in der elften Klasse hatte ich meinen ersten Religionsunterricht. Mit einem Lehrer, der mit uns Das Leben des Bryan schaute. Religion bedeutete in meinen Augen, meine Unabhängigkeit aufzugeben. Die bedingungslose Bindung zu einer höheren Gestalt, dessen Existenz fragwürdig ist, und die Regeln, die damit einhergehen, haben in meiner Welt keinen Platz. Mehr noch: Als Feministin sah ich in Religion eine Art Erzfeindin der Emanzipation, im Kloster die Ketten der Willensfreiheit. Um meinen Vorurteilen nachzugehen, beschloss ich, ins Kloster zu ziehen und dem katholischen Lebensweg für ein paar Tage zu folgen. Ich wollte verstehen, wie sich diese Frauen dafür entscheiden konnten. Es sind die Geschichten der Schwestern

Claudia*, Annemarie und Petra, die mich die klösterliche Einrichtung heute in einem anderen Licht sehen lassen. Annemarie, die Robuste Schwester Annemarie sitzt an einem verregneten Nachmittag am Kaffeetisch und trinkt Fencheltee. Mit beiden Händen an der Tasse erzählt die 78-Jährige von früher. „Wenn Bombenalarm war, war meine Mutter nie so:“ – sie hebt die Arme, wedelt mit ihnen kurz in der Luft und ruft mit heller Stimme – „‚Ah, wir werden alle sterben!‘“ Mit ruhigerem Ton fährt sie fort: „Sie packte uns nur und sagte: ‚So Kinder, wir müssen jetzt in den Keller.‘“ Ihre klaren blauen Augen blicken auf den Tee, sie sieht nicht mehr gut, hat eine unheilbare Augenkrankheit. Trotzdem geht sie jeden Tag am Hausempfang arbeiten und bereitet das Essen für die Schwestern vor. Sie ist eine zierliche Frau, geht mir gerade mal bis zur Brust. Zu zierlich, um damals, Ende der 1950er Jahre, eine Hauswirtschaftslehre antreten zu können. Stattdessen geht die damals 18-Jährige gegen den Willen ihres Vaters zu den Vinzentinerinnen, nachdem sie sich bereits in jungen Jahren „gerufen gefühlt“ hat. Sie macht eine Ausbildung zur Kindergärtnerin, leitet dreißig Jahre lang einen Kindergarten. Drei Helferinnen stehen ihr zur Seite. „Das musst du dir mal vorstellen, 100 Kinder und ich war die einzige Ausgebildete.“

„Aber ist es nicht eine gescheiterte Liebe, wenn man diese Person niemals trifft?“ Claudia, die Aufgeweckte

Schwester Claudia ist eine rundliche Frau mit Pausbäckchen und roten Wangen. Aus ihren langen grauen Kuttenärmeln lugt ein blaues Stoff bändchen mit der Aufschrift „God loves you“ hervor, und wenn sie mich im Gottesdienst sieht, schnalzt sie kurz mit der Zunge und zwinkert mir zu. Sie amüsiert mich mit Sätzen wie: „Da bin ich ja bald abgeschnallt,

was der für Worte hatte!“ Damit meint sie Vinzenz von Paul, Glaubenspatron und Gründer der Barmherzigen Schwestern, von dem Claudia in ihrer Ausbildung zur Krankenschwester zum ersten Mal hörte und zu dem „eine heimliche Liebe wuchs“. Vinzenz von Paul wird als Begründer der Caritas bezeichnet, 1633 baut er die erste klösterliche Gemeinschaft auf, die sich außerhalb von Klostermauern bewegt. Dabei stets an seiner Seite: Luise de Marillac, eine Adlige, die sich nach dem Tod ihres Mannes gänzlich den Armen widmet und die ersten Barmherzigen Schwestern ausbildet. Mich fasziniert diese Geschichte. Dass man Gefühle für jemanden entwickeln kann, den man nicht kennt, leuchtet mir ein. Auch eine Schwärmerei wegen des Charakters oder der Lebensweise kann ich nachvollziehen. Aber ist es nicht eine gescheiterte Liebe, wenn man diese Person niemals trifft? „Glaube ist auch eine Wechselbeziehung“, sagt Schwester Claudia. „Ohne die Gemeinschaft könnte ich die Treue nicht durchziehen.“


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Feminismus im Kloster

In Religion sah Autorin Leonie eine Art Erzfeindin der Emanzipation, im Kloster die Ketten der Willensfreiheit. Sie sagt, sie habe Religion noch nie kapiert.


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Titelstory

Das Wohnzimmer des Ausbildungskonvents ist mit schlichten Regalen möbliert, auf den Holzstreben an der gläsernen Eingangstür stehen kleine Schwesternfiguren nach Größe aufgereiht. Mein innerliches Unwohlsein aussprechend, merke ich an, dass ich die Lebensweise der Schwestern schön finde, aber nicht begreife, wieso Gott und Jesus darin eine Rolle spielen müssen. „Wir sehen das als Aufgabe, die uns von Gott auf der Welt gegeben wurde, bevor wir nach unserem Tod in die eigentliche Welt, zu ihm, gelangen“, erklärt Schwester Petra mit ihrer ruhigen tiefen Stimme. Schwester Claudia fügt hinzu: „Gott können wir nicht sehen, da fallen wir sofort um. Deshalb schickte er Jesu.“ Wieso denn keine Frau? „Das weiß ich auch nicht.“ Schwester Petra überlegt. „Die Frage kam mir nie, ich wuchs so mit der Geschichte auf.“ Aber sie würden ja auch insbesondere zur heiligen Claudia und anderen heiligen Frauen beten.

Petra, die Zielstrebige

Schwester Petra ist 67 Jahre alt, hat leicht eingefallene Wangen. Sie trägt eine bordeaux-rote Brille, durch die sie mich mit einem durchdringenden Blick anschaut. Sie ist die Generaloberin des Mutterhauses, was nichts anderes heißt, als dass sie die Chefin von allem ist. Das Mutterhaus ist die Zentralverwaltung von einer Reihe an Organisationen wie Altenpflege, Krankenhäuser und Kindertagesstätten. 2014 übernahm Schwester Petra den Vorsitz, zuvor leitete sie fast 30 Jahre ein

akademisches Lehrkrankenhaus. Dass sie es bis dorthin schaffte, hat sie ihrer Hartnäckigkeit und vor allem ihrem Glauben zu verdanken. Schwester Petra ist 1951 in einer Grenzstadt der DDR geboren. Als Kind katholischer Eltern stieß sie oft auf Ablehnung innerhalb der kommunistischen Verhältnisse. In der sozialistischen Regierung konnten Christen selten das Abitur ablegen, auch kein Studium aufnehmen. So ergeht es auch der jungen Schülerin Petra, die zunächst noch von einer Zukunft als Russisch- und Biologielehrerin träumt. Sie beginnt, in den Sommerferien Geld in einer vinzentinischen Klinik dazuzuverdienen, geht in Tanzstunden, ist eineinhalb Jahre mit ihrem Tanzpartner liiert. Schon da spürt sie aber, dass es noch etwas anderes für sie gibt. 1968 meldet sie sich schließlich heimlich bei den Vinzentinerinnen an. „Ich habe es nicht einmal meinen Eltern gesagt. Das war ja hoch riskant.“ Sie macht eine Ausbildung zur Krankenschwester und ergänzt ein Fernstudium in Medizinpädagogik. Später übernimmt sie die Leitung des Lehrkrankenhauses. „Ich bin eine von nur drei Personen aus meiner damaligen Klasse, die Abitur gemacht hat“, sagt sie heute, ein leichter Anflug von Stolz in der Stimme.

„Sie kämpfen sich durch, engagieren sich für andere, folgen ihrem Willen und stehen dahinter.“

In den fünf Tagen im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern traf Leonie auf beeindruckende Biografien, die ihr zeigten, wie Frauen im Kloster ein emanzipiertes Leben leben.

Ich merke, wie mich auch Schwester Petras Geschichte beeindruckt. Sie ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen, hat das gemacht, was sie für richtig hielt und damit eine steile Karriere hingelegt. Als Schwester wurde sie anerkannt, gefördert. Konnte sich beweisen. Allerdings erinnert mich das wiederum an ein EliteSystem. Auch nicht so toll.

Und was ist mit Sex?

An meinem letzten Abend mit den Schwestern brennt mir eine Frage immer noch auf der Zunge: Warum sind die Konvente geschlechtergetrennt? „Die damaligen Begründer haben die jeweiligen Geschlechter um sich geschart“, antwortet Schwester Claudia. Das waren einfach noch andere Verhältnisse. Und heute sei das sicher auch aufgrund des Gelübdes zur Ehelosigkeit. Quasi eine Vorbeugung also. Ich bin neugierig. Vermissen die Schwestern Sexualität denn gar nicht? „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es auch Zeiten in jüngeren Jahren gab, in denen ich mich nach Partnerschaft gesehnt habe“, sagt Schwester Petra lächelnd. Wehmut habe es ebenso gegeben wie Stunden des Hinterfragens. Aber Sexualität sei für sie auch gelebte Beziehung. „Wir sind alle sexuelle Wesen. Sexualität hat für mich etwas mit Beziehungsfähigkeit zu tun, und das ist auch für unser Leben wichtig.“ Empathie, Sympathie, das Füreinanderdasein zum Beispiel. Von Gott und Glaube halte ich immer noch nicht viel. Doch vom Leben der Barmherzigen Schwestern bin ich fasziniert. Diese Frauen verkörpern die Werte des Feminismus in vielerlei Hinsicht: Sie kämpfen sich durch, engagieren sich für andere, folgen ihrem Willen und stehen dahinter. Von der Positivität, die sie den ganzen Tag verbreiten, und der unvergleichlichen Freude, die sie für die noch so kleinen Dinge auf der Welt aufzubringen vermögen, kann ich lernen. „Du bist eine von uns“, sagten sie mir am Freitagabend und erschreckenderweise fühlte sich das erstaunlich gut an. *Namen auf persönlichen Wunsch geändert Text von L eon ie Ruhl an d, 2 8,

schreibt total gern und organisiert Veranstaltungen, um Menschen und Feminismus zusammenzubringen. Fotos von Jul ia Ben ges er,

Fotografin aus Frankfurt a. M., dankbar für die Begegnung mit den Schwestern, @juliabengeserfotografie


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Feminismus im Kloster


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Exkurs

Ich habe nichts gegen Aberglaube, aber glaube nicht daran

Das erste Heft des Jahres – das bedeutet, die böllervolle Silvesternacht liegt hinter uns und wir als Nation haben, neben unserem Überfluss und fehlendem Umweltbewusstsein, vor allem eins bewiesen: Der Deutsche aberglaubt gerne. Klopf auf Holz mit vierblättrigen Kleeblättern und mögen alle 13 bösen Geister vertrieben sein.

In einer Welt, in der wir so viele Informationen haben wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, gelangen wir immer öfter an die Grenze unserer eigenen Bewertungszentrale im Kopf. Nun könnten wir unser Bildungssystem an die sich veränderten Herausforderungen anpassen und den omnipräsenten Wissenszugang für das selbst motivierte lebenslange Lernen nutzen … oder wir fallen in die Sehnsucht des Fremdbestimmten zurück: in die Welt von Meinungsführern, Life Coaches, Schicksal, Glaube und Aberglaube. Es ist die sehnsüchtige Flucht vor der Komplexität, es sind die einfachen Lösungen gepaart mit der romantischen Idee von Tradition und einer Handvoll Esoterik. Wohnt denn ein Sinn in allen Dingen? Wenn das Erklären komplizierter wird, scheinen die Dinge, die nicht zu erklären sind, interessanter. Laut Untersuchungen des Instituts für Demoskopie Allensbach war zumindest bis 2005 in Deutschland Aberglaube stärker verbreitet als noch zuvor in den 1970ern, symbolübergreifend. Ein hoffnungsvoller Ruf nach Stabilität? Die Botschaft hören wir wohl, allein uns fehlt der Aberglaube nicht. Die Forscher Michael Mayo und Michael Mallin aus Ohio (USA) haben knapp 240 Vertriebsmitarbeiter 2014 zu dem Thema befragt und festgestellt, dass über 70% abergläubisches Verhalten vorwiesen, vor allem diejenigen, die ihre Situation als unsicher empfanden und unter hohem Druck standen.

Selbst bei Tieren tritt Aberglaube auf. Verhaltensforscher Burrhus Skinner entdeckte schon 1948, dass Tauben, die in einem regelmäßigen Intervall Futter erhielten, willkürliche Verhaltensmuster wiederholten, die sie kurz vor dem Erhalt des Futters ausübten, da sie diese in Zusammenhang stellten. Ob derselbe Effekt auch bei schwarzen Katzen auftritt, wurde leider nicht untersucht.

Aberglaube diente und dient der Über­lieferung von Lebenserfahrungen ohne den Ballast von Wissenschaftlichkeit. Hergeleitet von der ursprünglichen Begrifflichkeit bezeichnet der Aberglaube nur einen „falschen“ Glauben, wobei der „richtige“ das Christentum sei – eben traditionell europazentriert. Im 13. Jahrhundert bezeichnete der Theologe Thomas von Aquin den Aberglauben als sittlichen, intellektuellen und religiösen Verfall. Quasi das, was das Internet heutzutage ist. Thomas von Aquin selbst ist jedenfalls nicht bei TikTok. Aber wer abergläubisch ist, der kann das 13. Jahrhundert aufgrund der Unglückszahl natürlich weglassen, wie es Flugzeugbauer und Hotelarchitekten dieser Welt tun. Und das nur, weil Judas die 13. Person am Tisch war und in einer Zeit vor unserem Land lieber alles in Dutzend angegeben wurde, sodass die 13 als Primzahl irgendwie aneckte.


Glaubens-Globuli für den Alltag Aberglaube diente und dient der Überlieferung von Lebenserfahrungen ohne den Ballast von Wissenschaftlichkeit – ein wenig wie Bauernweisheiten für den Durchschnittsabendländer. Gelegentlich auf Hochzeiten als Fotograf agierend, begebe ich mich oft ins Auge des Aberglaube-Orkans. Ein geborgtes Laken als Strumpf band und nach der Trauung wird mit zwei stumpfen Scheren ein Baum mühevoll so zerschnitten, dass man einen Brautstrauß hindurch werfen kann und wer diesen dann fängt, darf das Porzellan der anderen Gäste zerdonnern. Korrigiert mich, wenn ich irren sollte. Diese Rituale sind das Mindeste, was man tun kann, um für langanhaltendes Glück zu sorgen.

Um die Definition von Aberglaube aktuell zu halten, muss zwangsläufig das Verständnis vom Geglaubten neu bestimmt werden. Wer alle Bräuche einhält, darf dann auch heimlich mit den Kumpels saufen gehen, den Jahrestag vergessen und sich generell selbst zurücklehnen, während einem das Schicksal die Ehe rettet. So denkt der zynische Rationalist in mir. Doch wer bin ich, Leuten ihre Hoffnung nach Glück auszureden, nur weil sie ihren eigenen Einfluss darauf kleinreden durch das Abgeben von Verantwortung?

Schornsteinfeger zu entführen und mit ihm die nächste Rubbellosbude aufzusuchen. Aberglaube ist damit nur eine Art gedankliches Globuli für den Alltag.

Das Glück ist komplex und wir versuchen hilflos, uns so zu konditionieren, dass wir es steigern, ohne zu wissen, wie und ob es funktioniert. Da sind die Menschen den Tauben gar nicht so fern. Selbst wenn wir wissen, dass der Erfolg sehr unwahrscheinlich ist, bleibt die Versuchung groß. Folglich wird die Ziehung der Lottozahlen noch immer direkt nach den Nachrichten ausgestrahlt, und Automatencasinos verdrängen jeden sinnvolleren Laden aus den Erdgeschossen deutscher Städte. Möglicherweise ist die wachsende Sehnsucht nach alternativem Glauben auch Indiz für eine wachsende Unsicherheit darüber, das Glück selbst in der Hand zu haben. Wo Fleiß, Bildung und Moral kein gutes Leben mehr garantieren, da hilft nur noch, einen

Moderne Pfeiler des Aberglaubens Für mich lässt sich eine Kernfrage eh nicht zufriedenstellend beantworten, nämlich wo Aberglaube anfängt. Während früher der Glaube die allgemein akzeptierte Wahrheit war, ist es nun mehrheitlich die Wissenschaft. Um die Definition von Aberglaube aktuell zu halten, muss zwangsläufig auch immer das Verständnis vom Geglaubten neu bestimmt werden. Sind Impfgegner treue Abergläubige oder nur wissenschaftsuntreu? Wie sieht es mit der Hoffnung aus, dass uns der Klimawandel schon nicht treffen wird oder zukünftige Generationen die Lösungen für das Problem haben werden? Dass Atomkraft eingesetzt wird mit dem Wissen, dass es keine Endlagerstätten für den radioaktiven Rest gibt,

will ich mir lieber als beeindruckenden Aberglauben weismachen denn als geldgeile Rücksichtslosigkeit. Für mich bleibt der Aberglaube ein Teil unseres gesellschaftskulturellen Erbes, der vor allem spannend ist im Zusammenhang mit dem geschichtlichen Kontext. Aber hey, jeder soll sich seine kleinen irrationalen Macken behalten, gerade wenn sie gut gemeint sind. Daumen drücken, „Toi toi toi“ wünschen. Alles, was die Welt vereint, möge euer Glaube sein. Aber sobald Verschwörungstheorien, allgemeine Verdummdödelung oder der Trieb, auch daraus Profit zu schlagen, Oberwasser bekommen, gibt es für mich kein Wenn und Aberglaube. Text von Christian S chneider, 28,

Autor und Medienmacher, 13. Sohn eines Schornsteinfegers, Sternzeichen Glücksschwein.


„Du kriegst, was du gibst, Nilam Farooq ist witzig, durchdacht und wahnsinnig ambitioniert. Das zeigt sich auch in ihrem persönlichen Leitsatz, der wie eine Hommage an den Positivismus erscheint. In ihrer besonderen Aura spricht die Schauspielerin mit SPIESSER-Autorin Sophie über ihre Träume, Magie, die Leidenschaft und ihre eigenen Unsicherheiten.

Nilam, gerade bist du als Synchronsprecherin in Everest – Ein Yeti will hoch hinaus zu hören. Everest besitzt im Film Superkräfte. Wenn du wählen könntest, welche magische Kraft hättest du gern? Weil das alle immer sagen, kommt mir sofort das Fliegen in den Kopf. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger bin ich mir sicher, ob ich das wirklich will. Ich glaube, ich würde gerne in die Köpfe anderer Menschen gucken, um bestimmte Dinge zu verstehen. Everest begibt sich mit seinen neu gewonnenen Freunden auf eine Reise durch China. Dabei werden viele große Träume wahr. Welcher ist denn bei dir noch offen? Ich habe einige große Träume. Darunter sind auch ein paar Reisen in Länder, die ich unbedingt sehen möchte, zum Beispiel China und Japan. Interessanterweise glaube ich aber, dass sich große Träume verändern, sobald man älter wird. Irgendwann sind es vermutlich nicht mehr die ausgefallenen Reisen, sondern Gesundheit und Zufriedenheit, die mehr in den Vordergrund rücken.


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Nilam Farooq

wenn du tust, was du liebst“

Du synchronisierst die Figur Yi. Sie ist so musikalisch, metaphorisch bringt sie mit ihrem Geigenspiel sogar Blumen zum Erblühen. Glaubst du auch, dass Menschen, die ihrer Leidenschaft folgen, Magisches bewirken können? Definitiv! Ich bin ein großer Verfechter dieses Gedankens. Es wird oft von Talent und Glück als Komponenten für Erfolg gesprochen. Ich finde aber, man darf die Leidenschaft dabei nie vergessen, weil sie so viel ausmachen kann. Wenn ich Leidenschaft in anderen Menschen sehe, dann mag ich sie gleich tausend Mal mehr als jemanden, den ich fachlich einfach nur kompetent finde. Daher ist Leidenschaft schon die magischste Zutat von allen.

Als Schauspielerin gehst du selbst nicht nur einem Beruf nach, sondern folgst vielmehr einer Leidenschaft … Oh ja, einer Leidenschaft, die Leiden schafft. (lacht) Genau. Darauf wollte ich hinaus. Du bist auch immer wieder Bewertungen ausgesetzt. Gibt’ s da irgendwas, das dich manchmal unsicher werden lässt? Es sind vor allem Menschen, die mich verunsichern. Ich habe so viel mit Menschen zu tun: In der Schauspielerei lerne ich viel über Psychologie und in den Sozialen Medien besonders über die Kommunikation und das Miteinan-

der. Ich bin online seit einigen Jahren ziemlich aktiv, in denen ich auch schon Shitstorms abbekomen habe. Wie Menschen dabei miteinander umgehen, war für mich manchmal sehr erschreckend. Daher würde ich sagen: Es sind Menschen, die ich noch nicht ganz verstanden habe.

Nilam in Kissenschlacht-Action seht ihr auf youtube.com/SPIESSER


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Kissenschlacht Du hast gerade die Shitstorms angesprochen. Hast du ein Ritual, das dir in solchen extremen Momenten hilft, deine Gelassenheit nicht zu verlieren? Atmen – ich sage mit Absicht nicht Meditieren. Mir reicht es, kurz durchzuatmen, um die Gedanken nicht so fliegen zu lassen oder mich selbst verrückt zu machen. Zehn Mal ein- und ausatmen ist mein Akut-Ritual. In deinem aktuellen Film hängt dein Charakter Yi sehr am Wert ihrer Geige. Gibt es denn auch etwas Materielles, auf das du nie verzichten könntest? Ich bin kein Minimalist, ich mag Dinge. Vereinfacht gesagt finde ich es schon toll, ein schönes Auto, eine Wohnung mit hübschen Möbeln oder coole Klamotten zu haben. Aber das alles ist nur ein Zusatz zu den grundlegenden Dingen. Denn ich weiß auch, dass ich ebenso gut darauf verzichten

könnte. Was mir wirklich etwas bedeutet, ist mein Pendel. Das habe ich vor einigen Jahren in Chile gekauft. Es ist nichts wert und kann auch nichts. Aber es erlaubt mir, Dinge auszupendeln und hat damit eine sehr hohe emotionale Bedeutung für mich. Apropos emotionaler Wert: Nilam, hast du denn einen persönlichen Leitsatz, an den du glaubst? „Du kriegst, was du gibst, wenn du tust, was du liebst.“ Das ist mein Motto. Es ist so motivierend, weil es ausdrückt, dass man immer weitermachen sollte, auch wenn die Zeit manchmal ein bisschen länger braucht als man selbst. Das erinnert an die Tendenzen, die auch im „positive thinking“ aufgegriffen werden. Kannst du damit etwas anfangen? Vielleicht bin ich da etwas schwierig. Grundsätzlich finde ich die Ansätze sehr logisch

und toll, aber wenn ich mir vornehme, sie umzusetzen, fehlen mir Disziplin und Kontinuität. Das beste Beispiel ist mein Versuch, „Morgenseiten“ zu schreiben. Damit ordnen einige Menschen ganz wunderbar ihre Gedanken. Das habe ich zwei Wochen gemacht und dann nicht mehr durchgehalten. Unser aktuelles Heftthema ist „Sinn und Glaube“, daher drängt sich die Frage förmlich auf: Hast du deine persönliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn schon gefunden? Ich suche noch danach. Ich bin ein sehr verkopfter Mensch, was das angeht. Aber wenn ich die Frage spontan beantworten müsste, glaube ich – ohne Kinder zu haben –, dass für mich persönlich das Kinderkriegen irgendwie der Sinn ist. Darin spiegelt sich letztlich auch gesellschaftliches Miteinander, wenn man das Leben und sich selbst weiterführt.

Nach anfänglichem Zögern und höflicher Rücksichtnahme nahm bei der Kissenschlacht Nilams Ehrgeiz bald überhand. Kissen wurden gehortet. Den Abschluss bildete ein sportlicher Handschlag.


Nilam Farooq steht seit 2006 hauptberuflich als Schauspielerin vor der Kamera und erwarb spätestens 2017 Bekanntheit in der Filmindustrie durch ihre Rollen in den Kinoproduktionen Mein Blinddate mit dem Leben (2017), Sweethearts (2019) und Rate Your Date (2019). Für ihre Rolle in Heilstätten (2018) erhielt sie im vergangenen Jahr sogar den Jupiter Award. Seit 2010 hat Nilam diverse Rollen als Synchronsprecherin übernommen, ihr aktuellstes Projekt Everest – Ein Yeti will hoch hinaus (2018) startet ab 6. Februar auf DVD und Blu-ray. Ab Oktober 2020 ist Nilam in Sönke Wortmanns neuem Film Contra zu sehen.

Wir haben gerade schon über „Sinn“ gesprochen. Ganz abstrakt gedacht – glaubst du denn von dir selbst, einen sechsten Sinn zu haben? Oh ja! Das habe ich von meiner Mama. Sie besitzt ein ganz intuitives Wissen und damit geht es mir ähnlich. Manchmal fühle ich Dinge, die sich als wahr erweisen, wenn ich ihnen nachgehe, obwohl sie erst mal ziemlich absurd klingen. Das ist mir neulich erst passiert, als ich dachte: Diesem Freund von mir geht es gerade nicht so gut. Als ich ihn angerufen habe, hat er das bestätigt und erzählt, dass sein Bruder gerade nach einem Unfall im Krankenhaus liegt. Ich liege zwar manchmal auch daneben, aber ich möchte eigentlich gerne daran glauben, dass ich einen sechsten Sinn besitze. Ich finde, das ist etwas sehr Schönes.

Nach der Kissenschlacht erzählt uns Nilam von ihrem aktuellen Projekt: Sie spielt die weibliche Hauptrolle in Sönke Wortmanns neuem Film Contra, neben Christoph Maria Herbst.

Text von S ophie L orrain e S en f, 22,

Fotos von Michael Kuchin ke -H o fe r,

glaubt nicht an Gott oder Magie, dafür aber an friedliche Gesellschaften und das Gute im Menschen.

freiberuflicher Fotograf, lebt in Berlin, arbeitet überall. Immer bereit, Neues zu entdecken.


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Vertretungsstunde

Die politische Macht von YouTube

Mirko Drotschmann, alias MrWissen2go, hat mit seinen Lernvideos auf YouTube schon vielen Schülern durchs Geschichtsabitur geholfen. Nun werden seine Fähigkeiten als Vertretungslehrer an seiner ehemaligen Schule auf die Probe gestellt. Mit einer 11. Klasse des Albert-Magnus-Gymnasiums in Ettlingen diskutiert er über den politischen Einfluss von YouTube und YouTubern. Vorher Vor der Stunde bildet sich ein vertrautes Szenario ab: Der Lehrer bekommt den Laptop nicht mit dem Beamer verbunden. In diesem Fall ist es nicht irgendein Lehrer, sondern YouTuber Mirko Drotschmann, der mit der Technik hadert. Aus der Ruhe bringt ihn das jedoch nicht, für einen kleinen Plausch mit seinem ehemaligen Direktor ist natürlich auch noch Zeit. Dieser bezeichnet Mirko und seinen Bruder sogar als Schullegenden, was Mirko selbst etwas bescheidener sieht: „Als Legenden würde ich uns jetzt nicht beschreiben,

aber wir waren schon ziemlich aktiv. Ich war zuerst Mittelstufensprecher, dann einige Jahre Schülersprecher und zusätzlich Chefredakteur unserer Schülerzeitung.“ Der YouTuber hat seine weite Reise aus Mainz aber nicht nur angetreten,

„Ich fand die Stunde sehr interessant, wir konnten uns super einbringen.“ Paula, 16, Note: 1-2

um in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern hat auch ein ausgefeiltes Unterrichtskonzept für seine Vertretungsstunde dabei. „Ich möchte mit Schülern über die politische Macht von YouTube sprechen und darüber diskutieren, ob man Regularien für die Plattform finden sollte“, erklärt uns Mirko. Während der Stunde Das Klassenzimmer ist von einer erwartungsvollen Spannung und verhaltenem Tuscheln erfüllt, als der Vertretungslehrer und YouTube-Star Mirko Drotschmann mit


einem freundlichen „Morgen!“ das Klassenzimmer betritt. Zunächst wirken die Schülerinnen und Schüler noch etwas angespannt, doch spätestens, als der Journalist Anekdoten aus seinem einstigen Chemieunterricht zum Besten gibt, weicht die Unsicherheit einer entspannten Atmosphäre. Zu Beginn will Mirko wissen: „Wer von euch hat das Video von Rezo Die Zerstörung der CDU gesehen?“ Beinahe alle Arme schießen in die Höhe. Für die wenigen, die sich nicht gemeldet haben, erklärt Mirko den Inhalt des Videos. Es heiße zwar Die Zerstörung der CDU thematisiere aber auch andere Parteien, wie die SPD oder FDP. „Rezo resümiert in seinem Video, dass die Parteien wenig gegen die Schere zwischen Arm und Reich gemacht haben, sondern diese sogar befeuerten“, erklärt Mirko und fährt fort: „Das Video war ein großes Thema, wenn es

Als es in der Stunde um Abonnentenzahlen, Reichweite und Wiedergabedauer geht, gewährt Mirko sogar einen Einblick hinter die Kulissen seines eigenen Kanals.


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Vertretungsstunde

um YouTube und Politik ging. Plötzlich haben die Politiker gemerkt, dass es bei YouTube relevante politische Inhalte gibt.“ Darüber wolle er gerne mit den Schülern sprechen und ihnen auch die Schattenseiten von YouTube wie Hassrede und Falschmeldungen zeigen, stellt der Journalist sein Unterrichtskonzept vor. „Was habt ihr gedacht, als ihr das RezoVideo gesehen habt?“, fragt Mirko interessiert. „Man hat gemerkt, dass es leicht überzogen war, aber durch die Quellen, die er eingeblendet hat, die dann auch wirklich gestimmt haben, klang es doch ziemlich glaubwürdig“, meldet sich Mika zu Wort. „Ich fand es aber sehr schwer, mit den Quellen umzugehen, da es so viele waren. Ich glaube nicht, dass viele die ganzen Quellen überprüft haben, während sie das Video gesehen haben“, entgegnet Sanya. Und was hält der Vertretungslehrer von dem Video? Aus seiner Perspektive als YouTuber sei das Video sehr gut, da es zeige, dass Politik auf YouTube Relevanz habe, erklärt Mirko seine Position. Aber aus journalistischer Sicht sei grundsätzlich problematisch, dass Rezo den Angesprochenen nicht die Möglichkeit zur

Stellungnahme gegeben habe. Das führt direkt zum nächsten Thema. Man habe in der heutigen Zeit ein Gegenüber zwischen den klassischen Medien wie ARD oder ZDF und den neuen Medien wie YouTube, expliziert der Vertretungslehrer. „Wem würdet ihr denn eher vertrauen?“, fragt er in die Runde. „Ich würde beides anschauen und mir dann selber eine Meinung bilden. Man sollte nicht zu hundert Prozent auf eine der beiden Seiten vertrauen“, positioniert sich Ludwig. Nun werden weitere spannende Themen wie Falschmeldungen im Netz, die Zielgruppe von YouTube oder die Gefahren, die von der Plattform ausgehen, behandelt.

„Mir hat die Stunde sehr gut gefallen, da er das Thema sehr interessant gestaltet hat und auch persönliche Eindrücke geteilt hat.“ Ludwig, 17, Note: 1-2

Die SPIESSER-Vertretungsstunde von Mirko gibt’s natürlich auch auf YouTube: youtube.com/SPIESSER

Das Video von Rezo hat 16 Millionen Klicks, YouTuber haben Einfluss und Relevanz. Nun will Mirko wissen: Sollte man YouTuber in irgendeiner Form regulieren?


Mirko Drotschmann erblickte am 30. April 1986 in Malsch das Licht der Welt. Nach seinem Abitur am Albert-MagnusGymnasium in Ettlingen hospitierte er zunächst beim SWR und war anschließend als freier Mitarbeiter sowie als Berichtserstatter und Moderator für Das Ding tätig. Darauf folgte ein Studium an der Universität Karlsruhe in Geschichte und Kulturwissenschaften. Nach seinem Abschluss arbeitete er für das ZDF, die Stuttgarter Zeitung und absolvierte ein journalistisches Volontariat beim SWR. Im Jahr 2012 gründete Mirko seinen erfolgreichen YouTube-Kanal MrWissen2go, auf dem er Videos zu geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Themen veröffentlicht.

Mirko ist der Meinung, dass Kanäle, die im Netz eine hohe Reichweite haben, sich in irgendeiner Form an Regeln halten sollten. Dafür muss aber zunächst eine neue rechtliche Definition von Rundfunk her.

Doch plötzlich wird die interessante Stunde vom Pausengong unterbrochen. Die Schüler lassen sich davon aber nicht aus ihrer Konzentration reißen und opfern für die Vertretungsstunde gerne ihre 15-Minuten-Pause. So kann Mirko noch sein letztes Thema anschneiden: „Es gab aus der Politik die Forderung, für Inhalte von YouTubern und Influencern die gleichen Regeln anzusetzen wie für Journalisten. Was ist eure Meinung dazu?“, stellt er den Jugendlichen eine weitere Frage. „Wir haben in Deutschland die Meinungsfreiheit und wenn man YouTube einschränken würde, fände ich das etwas widersprüchlich“, äußert sich Jan zu dem polarisierenden Thema. „Ein Gegenargument dazu wäre, dass man für den Start eines Fernsehsenders eine Lizenz benötigt und danach von der Landesmedienanstalt überprüft wird. Wenn du einen YouTubeKanal startest, kannst du mitunter mehr Leute erreichen als mit einem Fernsehsender und unterliegst gar keinen Regularien.

„Ich fand die Stunde von Mirko sehr gut. Die Themen, die wir heute behandelt haben, werden meistens nicht im Unterricht besprochen, und da die Lehrer neutral bleiben müssen, wird eine Diskussion erschwert.“ Lilien, 16, Note: 1-2

Manche sagen, so entstehe ein schiefes Bild. Wie seht ihr das denn?“, hakt Mirko nach. „Ich finde, jeder sollte selber beurteilen, wie sehr er einem YouTuber vertraut. Das kann ja nicht die Politik entscheiden“, findet Mika. Und wie sehen das die anderen Schüler? Diese Frage klärt sich bei einer Abstimmung: Wenig mehr als die Hälfte der Jugendlichen sind gegen die Regulation

von YouTube. Zum Schluss will Mirko den Schülerinnen und Schülern noch einen Rat mitgeben: „Glaubt nicht alles, was ihr im Netz seht, und prüft immer die Quellen. Seid immer kritisch, betreibt Recherche und vertraut niemandem im Internet.“ Grinsend beendet er die Stunde: „Mir erst recht nicht.“ Nachher Nach dem Unterricht äußert sich der frischgebackene Vertretungslehrer begeistert über die vergangene Schulstunde: „Es war super spannend. Die Schüler waren wirklich aufmerksam, haben mitgemacht und mitdiskutiert. Die Zeit ging so schnell rum, ich dachte wir sind jetzt gerade bei 20 Minuten und plötzlich waren 45 vorbei.“ Gerne hätte er noch länger mit der Klasse über Falschmeldungen geredet und die Themen Hassrede und verbale Gewalt noch vertieft. „Das machen wir dann beim nächsten Mal“, fügt er lachend hinzu. Text von Naomi As al , 19,

ehemalige SPIESSER-Praktikantin, erfreut sich seit Kurzem am Leben als freie Autorin. Fotos von Dan iel S chol z,

Fotograf aus Dresden, regelmäßig für SPIESSER unterwegs, auf Instagram zu finden @daniel_fotura.


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Experteninterview

Religionsunterricht – weg mit dem „Old school “-Fach?

Laut der Shell-Jugendstudie 2019 hat der Glaube „sowohl für katholische als auch evangelische Jugendliche in den letzten knapp 20 Jahren erheblich an Bedeutung verloren“. Wer das liest, könnte denken, dass meine Eltern hinsichtlich ihres Berufes „Religionslehrer“ zu einer aussterbenden Spezies gehören. Sie hingegen sind überzeugt, dass ihr Fach nicht nur in den Stundenplan gehört, sondern auch zu modernen Ethikfragen Antworten liefern kann. Während meiner Schulzeit war der Reli-Unterricht entweder ein verhasstes Nebenfach oder ein leichter Weg, den Durchschnitt aufzubessern. Wie könnte man dieses Image verbessern? Hans Wilfried: Grundsätzlich kann und sollte man sich intensiv mit den existenziellen Fragen beschäftigen, die im Religionsunterricht behandelt werden. Dass manche Schüler darauf keine Lust haben, kann auch

daran liegen, dass sie noch nicht reif genug sind, um das zu erkennen. Eine Möglichkeit, den Religionsunterricht aufzuwerten, ist, Rituale zu schaffen, an denen die Schüler selbst mitwirken können. Das sind zum Beispiel Schulgottesdienste an den christlichen Feiertagen, die über das ganze Jahr abgehalten werden, oder Unterricht „Raus aus der Schule“: Für viele Themengebiete bietet es sich an, Einrichtungen außerhalb des Schulgeländes zu Lernorten zu ver-

wandeln. Das können gemeinnützige und soziale Organisationen wie die Diakonie, die Tafel oder die Bahnhofsmission sein, aber auch historische Orte wie Gedenkstätten, Museen oder Kloster. Tiziana: Genau. Das Fach Religion ist so vielfältig und beeinflusst so viele verschiedene Bereiche wie Kunst, Geschichte oder Sprache bis hin zu unserem sozialen Miteinander. Schließlich ist Religion auch


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Religionsunterricht

„Viele Menschen suchen Erfah­rungen außerhalb des Sicht- und Greifbaren.“ die Suche nach Werten und Normen, die unseren Umgang mit der Natur und unser zwischenmenschliches Verhalten prägen. Außerdem ist es wichtig, dass wir unseren Blick ebenfalls weg vom vertrauten Christentum aus Europa lenken und uns anschauen, wie die Suche nach Glück und Frieden in anderen Glaubensrichtungen praktiziert wird. Durch die Rituale sollte der Religionsunterricht zu einer Unterbrechung der Hektik des Alltags werden und einen geschützten Raum bieten, um innezuhalten. Deswegen ist es wichtig, dass das Fach nicht am Rand des Stundenplans, sondern im Kernunterricht stattfindet. In den meisten Bundesländern ist der konfessionsgebundene Religionsunterricht Pflichtfach. In Berlin hingegen gibt es obligatorischen Ethikunterricht, während Religion ein freiwilliges Zusatzfach ist. Ist das Berliner Modell zeitgerechter? Tiziana: Vielleicht erscheint uns dieses Modell im ersten Moment zeitgemäßer, andererseits suchen viele Menschen auch Erfahrungen außerhalb des Sicht- und Greifbaren. Im Moment bietet der Religionsunterricht eine solche Zeit, in der man sich mit Gott, immateriellen Werten und spirituellen Lebensformen auseinandersetzen kann. Hinzu kommt der Aspekt, dass die religiöse Erziehung, die früher Aufgabe der Familie war, zunehmend der Schule überlassen wird. Wenn der Religionsunterricht aus dem Stundenplan als Pflichtfach verschwindet, dann wird ein möglicher Zugang zu Religion für die Jugendlichen deutlich erschwert. Hans Wilfried: Und es gibt noch viele Kinder, die sich bewusst für den Religionsunterricht entscheiden. Eine solche zusätzliche Belastung durch ein weiteres Fach wäre für diese Schüler nur unfair. Den einzigen Vorteil, den ich im Berliner Modell sehe, ist der, dass so ein Dialog zwischen konfessionslosen und christlichen Schülern entstehen könnte. Allerdings passiert ein solcher Austausch auch jetzt schon im Religionsunterricht.

Welche Anliegen, die in anderen Fächern nicht aufgegriffen werden, beschäftigen Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht aktuell besonders? Hans Wilfried: Besonders gut hören die Schüler beim Thema „Sucht“ zu. Sie finden es spannend, über die möglichen Gefahren und Risiken von Alkohol, aber auch härteren Drogen zu erfahren und wie man mit Suchtproblemen umgehen kann. Die Unterrichtseinheit „Tod und Sterben“ verursacht zunächst Widerstände. Wenn die Schüler sich dann aber darauf einlassen, stößt sie ebenso auf großes Interesse. In der fünften Klasse nach dem Schulwechsel werden besonders die Themen „Klassengemeinschaft“ und „Freundschaft“ großgeschrieben. In dieser Zeit setzen sich die Kinder besonders intensiv mit ihrer eigenen Rolle in der Gesellschaft auseinander.

„In der Einheit ‚Liebe und Sexualität‘ schließen sich Jugendliche häufig der ver­meintlich verstaubten Haltung der Kirche an.“ Die Kirche hat den Ruf, bei wissenschaftlichen Themen wie pränataler Forschung oder künstlicher Intelligenz ein verstaubtes Weltbild zu haben. Wie sprecht ihr diese Inhalte im Unterricht an und wie werden sie aufgenommen? Tiziana: Die Schüler sehen in den Errungenschaften der Wissenschaft schnelle und effiziente Lösungen, um Krankheiten zu heilen oder auch neues Leben zu ermöglichen, zum Beispiel durch Implantationstechnik oder künstliche Befruchtung. Das Thema „künstliche Intelligenz“ verbinden sie zunächst mit der Vision einer perfekten und fehlerfreien Existenz. Die Kirche sollte sich diesen Themen nicht verschließen, sondern die vermeintliche Überlegenheit des Menschen im Universum in Frage stellen. Im Christentum streben wir nicht nach einer makellosen Welt. Vielmehr steht im Mittelpunkt, dass jedes Leben ein Geschenk ist, das wir erhalten und wertschätzen sollten.

Hans Wilfried: Die Kirche ist, meiner Meinung nach, ein wichtiger Mahner in dieser Zeit, wenn sie sich konsequent für das Leben einsetzt. Das sollte sie aber logischerweise nicht nur dort tun, wo es um Krieg oder die Rettung von Flüchtlingen geht, sondern auch bei Themen wie pränataler Forschung. Und diese Haltung deckt sich größtenteils mit der Meinung der Schüler. In der Einheit „Liebe und Sexualität“ erlebe ich es häufig, dass sich Jugendliche der vermeintlich verstaubten Haltung der Kirche anschließen. Zum Beispiel bei der Frage, ob man ein Kind mit Behinderung abtreiben sollte oder nicht. Obwohl es natürlich auch gegenteilige Meinungen gibt, spricht sich die Mehrheit gegen eine Abtreibung aus. In dieser Unterrichtseinheit setzen wir uns zum Beispiel mit Erfahrungsberichten von Menschen mit Behinderungen und deren Positionen zu dem Thema auseinander. Seit 25 Jahren unterrichtet ihr jetzt schon Religion. Hat sich in dieser Zeit der Unterricht verändert? Hans Wilfried: Ich denke, früher wurde das Hauptaugenmerk noch auf kirchengeschichtliche und biblische Thematiken gelegt. Jetzt hingegen hat der Religionsunterricht mehr Lebensbezug. Es wird mehr darauf geachtet, was die Schüler interessiert und was sie für ihren Alltag mitnehmen können. Das liegt bei den genannten Themen auf der Hand, aber auch bei Geschichten aus der Bibel stellen wir uns immer wieder die Frage, inwieweit die Probleme und Fragen noch heute für uns relevant sind. Wenn wir Religionslehrer das als Leitfaden nehmen, dann ist der Religionsunterricht alles andere als „old-school“, sondern ein wichtiges Fach, aus dem die Jugendlichen nicht nur für ihr Schulleben etwas lernen können.

Text von Valentin a S chott, 22,

diskutiert als „doppeltes Lehrerkind“ mit ihren Eltern öfter über Gott und die Welt. Fotos von Chris tian S chott,

Hobbyfotograf und kritischer Zuhörer seiner Eltern.


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Mittagspause

„Hier wird bis zum Schluss gelebt “ Das Hospiz des Evangelischen Krankenhauses Düsseldorf war bei der Eröffnung im Jahr 1994 das erst vierte Hospiz in ganz Nordrhein-Westfalen. Unter seinem Dach leben 13 Patienten, die unheilbar krank sind; bei denen klar ist, dass sie bald sterben werden. Sie werden hier bis zum Schluss begleitet – selbstbestimmt und mit der höchstmöglichen Lebensqualität. In der Wohnküche des Hospizes traf Autorin Dana Marie Hospizleiterin Barbara Krug für die SPIESSER-Mittagspause. Frau Krug, wie fühlt es sich an, jeden Tag mit dem Thema Tod konfrontiert zu werden? Ich als Leitung werde nicht so konfrontiert wie die Mitarbeiter, die direkt bei den Patienten sind. Und es ist auch – wie im richtigen Leben – nicht so, dass man ständig daran denkt. Wir leben einfach zu gerne dafür, und hier wird bis zum Schluss gelebt. Es werden Beziehungen neu aufgebaut, gepflegt, alte wieder neu aufgenommen, es wird sich ausgetauscht, genossen, man versucht rauszugehen. Sie können das Thema nicht verdrängen, aber ob Sie es ständig thematisieren, das liegt an Ihnen. Das macht eigentlich keiner. Sie leben ja viel lieber ... Wird der Tod bei dieser Arbeit zur Normalität? Nein, Gott sei Dank nicht. Es gibt immer wieder Konstellationen, bei denen man selbst berührt ist, weil zum Beispiel eigene biografische Anteile gestreift werden.

Und es gibt auch ganz lustige Dinge, zum Beispiel, dass ich mir jetzt einige Monate nach dem Amtsantritt als Leiterin meinen Lebenswunsch erfülle und nach Indien fahre, weil ich täglich sehe: Es geht ganz schön schnell. Das ist so ein bisschen das Abarbeiten der Bucketlist. Es gibt ein Buch mit dem Titel 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen – das kann, gemeinsam mit täglichen Erfahrungen, unseren Blickwinkel verändern.

„Wie viele stehen bei Ihnen auf der Warteliste?“ – „Das kann ich Ihnen nicht sagen, das ist jeden Tag anders, das regelt der liebe Gott.“

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus? Ein normaler Arbeitstag beinhaltet, dass ich als Leiterin wiederkehrende administrative Dinge mache. Aber ich muss natürlich hochflexibel sein. Wenn eine Mitarbeiterin in Not ist oder ein Patient zu mir kommt, muss ich sofort ein Ohr für diese Nöte haben – oder zumindest möglichst schnell da sein. Ich muss Menschen einstellen, in Kooperation mit der Pflegedienstleitung Beurteilungen schreiben, das ganze Patientenmanagement umsetzen. Das bedeutet, dass ich Anmeldungen entgegennehme und schaue: Wer hat uns jetzt am nötigsten? In der Regel sind das Patienten, die allein zuhause sind, deren pflegerische Situation schwer gestaltbar ist, sodass sie hier aufgenommen werden müssen.


In Deutschland wurde das erste stationäre Hospiz 1986 eröffnet. Mittlerweile gibt es etwa 240 (davon 17 für Kinder und Jugendliche), mehr als 300 Palliativstationen in Krankenhäusern sowie über 1500 ambulante Hospizdienste.


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Mittagspause

Eine häufige Frage von Angehörigen ist: „Wenn ich meine Mutter bei Ihnen anmelde, wie lange muss sie warten? Wie viele stehen bei Ihnen auf der Warteliste?“ Dann sage ich: „Das kann ich Ihnen nicht sagen, das ist jeden Tag anders, das regelt der liebe Gott.“ Welche Rolle spielt Ihr Glaube bei der Arbeit? Für mich persönlich ist er ein Stück Motivation. Weil Glauben für mich sehr mit Gemeinschaft, mit sozialem Tun zusammenhängt. Ich würde das aber nicht in meiner einzelnen Beziehung zu Patienten festmachen wollen. Wir nehmen jeden Patienten, egal ob er glaubt oder nicht glaubt, hier als Menschen an. Und bemühen uns, ihm ein würdevolles Lebensende zu bescheren. Das ist etwas, was mich motiviert, mich tröstet: Ich denke, danach ist „irgendetwas“. Aber das Irgendetwas ist so groß, dass ich es nicht begreifen kann. Es hat etwas Tröstliches, Hoffnungsvolles. Wir haben eine Seelsorgerin, die für das Hospiz zuständig ist und Gesprächsangebote macht, egal, ob jemand christlichen Glaubens ist oder nicht. Wir drängen uns da nicht auf, es ist wirklich nur ein Angebot. Wir arbeiten über die Konfessionsgrenzen hinweg.

Barbara Krug leitet seit Oktober 2019 das Hospiz des Evangelischen Krankenhauses Düsseldorf. Die 58-Jährige begann ihre berufliche Laufbahn als Krankenschwester, studierte während einer Familienpause Pflegemanagement und bildete sich zur Fachkrankenschwester für „Palliative Care“ fort – ein Zweig der Krankenpflege, in dem sterbenskranken Menschen die bestmögliche Lebensqualität bis zum Ende gewährleistet wird.

Gehen die Menschen anders aus dem Leben, wenn sie gläubig sind? Ich glaube schon, dass sie eine andere Zuversicht haben und auch eher eine Akzeptanz,

„Sie sollten selbst darüber nachgedacht haben, wie das ist mit Leben und Tod, sich damit auseinan­dergesetzt haben.“ dass das Leben endlich ist. Diese Menschen hoffen mehr. Sie sagen nicht fatalistisch: „Dann bin ich kalt und mich kriegen die Würmer, dann bin ich halt Asche und werde zur Not bei Glatteis verstreut. Schluss, aus, fertig.“ Ich glaube, dass uns schon eine Hoffnung anders trägt, in den Tod hineinzugehen, weil da noch etwas kommt …

Empfehlungen von Barbara Krug zum Thema: Filmprojekt: 30 junge Menschen sprechen mit sterbenden Menschen und deren Angehörigen: 30jungemenschen.de Sarg-Geschichten: Kurzfilme über das Sterben, über Abschiednehmen und Beerdigen und über Trauern und Erinnern: sarg-geschichten.de Letzte-Hilfe-Kurse: Was passiert, wenn jemand stirbt und was man tun kann: letztehilfe.info


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Ehrenamtliches Engagement im Hospiz bedeutet in erster Linie, Sterbende und Angehörige zu entlasten und zu unterstützen. Aber auch beispielsweise die Mitarbeit in der Wohnküche im stationären Hospiz kann dazugehören. Wenn sich junge Menschen für die Arbeit im Hospiz interessieren – wie finden sie einen Einstieg? Wir sind ein multiprofessionelles Team: Sozialarbeiter, Kranken- und Pflegepersonal, Ärzte, Psychologen, Seelsorger, bis hin zur Küchenfachkraft. Dann haben wir 60 Ehrenamtliche aus den verschiedensten Sparten, die alle ihre Expertise einbringen. Insofern gibt es ganz viele Punkte, an denen man ins Hospiz reinkommen kann. Sie sollten selbst darüber nachgedacht haben, wie das ist mit Leben und Tod, sich damit auseinandergesetzt haben. Führen Sie ein Gespräch mit einer Koordinatorin eines ambulanten Hospizdienstes, der die Ehrenamtlichen schult, und machen Sie solch eine Schulung mit. Da gehört die Kommunikation mit sterbenden Menschen genauso dazu wie eigenes biografisches Arbeiten. Wo habe ich Knotenpunkte, wo Trennungen erlebt, Ver­lusterfahrungen, Traurigkeit? Wie gehe ich damit um, wenn mir jemand erzählt, dass er bald sterben

muss? Damit, dass er Schmerzen erwartet? Angst hat? Da gibt es ganz viele Aspekte, die man betrachten und üben kann. Dann gehen Sie in die Begleitung oder Sie arbeiten in der Küche mit als Ehrenamtlicher. Und wenn das alles Freude macht, kann man überlegen: Lernt man z. B. Pflege als Lehrberuf oder studiert man Pflege? [Anm. d. Red.: Es gibt z. B. die Bachelor-Studiengänge Pflegepädagogik, Pflegemanagement und Pflegewissenschaft]. Das ist krisensicher, erfüllend und danach kann man sich als „Hauptamtler“ im Hospiz bewerben. Text von Dan a Marie Weis e, 28,

wohnt in Köln und ist freie Autorin für verschiedene Onlineund Printmedien sowie TV. Fotos von Jak ub Kal is zews k i,

Werbefotograf, Fotodesigner und Teilzeithedonist aus Köln.


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Blattkritik/Ausstieg

Sind wir noch bei Sinnen?

Das wollen wir von Ausgabe zu Ausgabe von euch wissen! Hier findet ihr Reaktionen auf unsere Artikel aus der letzten Ausgabe sowie Kommentare und Highlights von SPIESSER Online.

SPIESSER erscheint bundesweit mit einer Druckauflage von 400.000 Exemplaren (IVW IV/19). Herausgeber Orange YC GmbH Fetscherstraße 32 01307 Dresden Geschäftsführer: Björn Peters (V.i.S.d.P.) Telefon: 0351 288549-000 Fax: 0351 288549-549 Web: SPIESSER.de Mail: info@SPIESSER.de Redaktionsleitung: Polina Boyko Layout: Paula Hohlfeld Lektorat: Ute Nitzsche Redaktion: Caroline Böhme, Tabea Grünert, Sarah Plobner

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Ausgabe

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g. Etwas gruseli

@SPIESSERde

youtube.com/SPIESSER

@spiesser.de

Fotos: Julia Bengeser, Jakub Kaliszewski, Michael Kuchinke-Hofer, Daniel Scholz, Christian Schott Illustration: www.flaticon.com, www.freepik.com Telefon: 0351 288549-000 Mail: redaktion@SPIESSER.de Mediaberatung: Anke Bai, Stephan Kraus

Blattkriti k Ausgabe # Evolution der Techn 18 4 Exkurs ik :

Ist nicht tiefgr eifend genug. Technik hat mittlerweile so starken Einfl uss in allen Lebensbereich en. Daher ist das Thema etwas zu kurz gekommen. entar zur SP Video- Komm si: mit Gregor Gy Busta Keaton

IESSER-Ver tr

Mitarbeiter dieser Ausgabe: Naomi Asal, Veronika Hofmann, Leonie Ruhland, Sophie Lorraine Senf, Christian Schneider, Valentina Schott, Dana Marie Weise Wir lieben alle SPIESSER, egal welchen Geschlechts. Damit aber trotzdem alles im SPIESSER und auf SPIESSER.de gut lesbar ist, verwenden wir weibliche und männliche Sprachformen als Paarformen oder das generische Maskulinum. Sämtliche Personenbezeichnungen sind bei uns wie Farben – sie sind für alle da.

sogar Sonne wirkt Sehr gut, die r! rlicher Filte wie ein natü

facebook.com/SPIESSER.de

Koordination: Susann Thannert

etungsstunde

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auffallen. Reihe kein bisschen n ste er r de in e rd Phillip Amthor wü christiAnpure:

mmert in rtet, dass sich der La wa ge uf ra da ch tli grenzt :D Hab eigen die Redezeit mal be d un t ch lei sch e eih die letzte R Seb0rn:

Druckerei: GD Gotha Druck und Verpackung GmbH & Co.KG Gutenbergstraße 3 99869 Günthersleben-Wechmar Distribution Orange YC GmbH willkommen@orange-yc.de Telefon: 0351 288549-000 Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Keine Haftung für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Fotos usw.; Nachdruck von Beiträgen, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, zugesandte Beiträge zu kürzen.

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vielleicht sogar e nicht, aber Gysi ist Ich mag Die Link Deutschlands. der beste Politiker Blat tkritik Au sgabe #184 Ti telstory Klimaaktivism us mit Rücken wind:

Toll, nicht nur über Greta zu berichten , sondern auch über Leute wie Clara un d Lukas! Beeindruc kende Bilder und Story! Ich stehe dem ein we nig misstrauisch ge genüber, da ich fin dass die Menschhe de, it zu lange gewartet hat und nun nicht wirklich „die Welt mehr retten“ kann.

Titelfoto: Nilam Farooq Fotograf: Michael Kuchinke-Hofer

Der nächste SPIESSER erscheint am 27. April 2020.


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