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Exkurs
Ich habe nichts gegen Aberglaube, aber glaube nicht daran
Das erste Heft des Jahres – das bedeutet, die böllervolle Silvesternacht liegt hinter uns und wir als Nation haben, neben unserem Überfluss und fehlendem Umweltbewusstsein, vor allem eins bewiesen: Der Deutsche aberglaubt gerne. Klopf auf Holz mit vierblättrigen Kleeblättern und mögen alle 13 bösen Geister vertrieben sein.
In einer Welt, in der wir so viele Informationen haben wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, gelangen wir immer öfter an die Grenze unserer eigenen Bewertungszentrale im Kopf. Nun könnten wir unser Bildungssystem an die sich veränderten Herausforderungen anpassen und den omnipräsenten Wissenszugang für das selbst motivierte lebenslange Lernen nutzen … oder wir fallen in die Sehnsucht des Fremdbestimmten zurück: in die Welt von Meinungsführern, Life Coaches, Schicksal, Glaube und Aberglaube. Es ist die sehnsüchtige Flucht vor der Komplexität, es sind die einfachen Lösungen gepaart mit der romantischen Idee von Tradition und einer Handvoll Esoterik. Wohnt denn ein Sinn in allen Dingen? Wenn das Erklären komplizierter wird, scheinen die Dinge, die nicht zu erklären sind, interessanter. Laut Untersuchungen des Instituts für Demoskopie Allensbach war zumindest bis 2005 in Deutschland Aberglaube stärker verbreitet als noch zuvor in den 1970ern, symbolübergreifend. Ein hoffnungsvoller Ruf nach Stabilität? Die Botschaft hören wir wohl, allein uns fehlt der Aberglaube nicht. Die Forscher Michael Mayo und Michael Mallin aus Ohio (USA) haben knapp 240 Vertriebsmitarbeiter 2014 zu dem Thema befragt und festgestellt, dass über 70% abergläubisches Verhalten vorwiesen, vor allem diejenigen, die ihre Situation als unsicher empfanden und unter hohem Druck standen.
Selbst bei Tieren tritt Aberglaube auf. Verhaltensforscher Burrhus Skinner entdeckte schon 1948, dass Tauben, die in einem regelmäßigen Intervall Futter erhielten, willkürliche Verhaltensmuster wiederholten, die sie kurz vor dem Erhalt des Futters ausübten, da sie diese in Zusammenhang stellten. Ob derselbe Effekt auch bei schwarzen Katzen auftritt, wurde leider nicht untersucht.
Aberglaube diente und dient der Überlieferung von Lebenserfahrungen ohne den Ballast von Wissenschaftlichkeit. Hergeleitet von der ursprünglichen Begrifflichkeit bezeichnet der Aberglaube nur einen „falschen“ Glauben, wobei der „richtige“ das Christentum sei – eben traditionell europazentriert. Im 13. Jahrhundert bezeichnete der Theologe Thomas von Aquin den Aberglauben als sittlichen, intellektuellen und religiösen Verfall. Quasi das, was das Internet heutzutage ist. Thomas von Aquin selbst ist jedenfalls nicht bei TikTok. Aber wer abergläubisch ist, der kann das 13. Jahrhundert aufgrund der Unglückszahl natürlich weglassen, wie es Flugzeugbauer und Hotelarchitekten dieser Welt tun. Und das nur, weil Judas die 13. Person am Tisch war und in einer Zeit vor unserem Land lieber alles in Dutzend angegeben wurde, sodass die 13 als Primzahl irgendwie aneckte.