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Höchste Zeit für Bioökonomie
die ernährunG sPrAch Mit hAns MAyrhoFer, GenerAlsekretär des ÖkosoZiAlen ForuM Österreich & euroPA, über bioÖkonoMie, dAs denken und WirtschAFten in kreisläuFen, die situAtion in euroPA und Wo deFiZite und chAncen lieGen.
oskAr WAWschinek
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Die Ernährung: Was genau
verstehen Sie unter Bioökonomie?
Hans Mayrhofer: Bioökonomie steht für ein Wirtschaftskonzept, das fossile Ressourcen (Rohstoffe und Energieträger) durch nachwachsende Rohstoffe in möglichst allen Bereichen und Anwendungen ersetzen soll. Weil wir aber auch nicht unbeschränkt nachwachsende Rohstoffe zur Verfügung haben, muss die Bioökonomie in eine Kreislaufwirtschaft eingebunden sein. Also 1. weniger verbrauchen, 2. sogenannte Abfall- oder Reststoffe als wertvolles Material begreifen und nutzen, 3. Ressourcen im Kreis führen, d. h. so lange wie möglich in verschiedenen Formen nutzen, wiederverwenden, recyceln, und 4. für die Ressourcen, die wir brauchen, nachwachsende und erneuerbare Ressourcen verwenden. Dieses Wirtschaftskonzept verlangt von Produkten und Materialien, dass diese so gestaltet werden, damit man sie so effizient wie möglich, so vielfältig wie möglich und so lange wie möglich nutzen kann. Und dass sie – und hier kommt die Bioökonomie ins Spiel – möglichst auf erneuerbaren Rohstoffen und Energie basieren. Innovative Beispiele dafür reichen von Verbandsmaterial oder Kleidung aus Holz über Dämmstoffe aus Hanf bis zu Treibstoffen aus Mikroalgen oder Lebensmittelabfällen.
Welche Maßnahmen hat das ÖSFO dazu gesetzt?
Mayrhofer: Das Ökosoziale Forum setzt sich seit 33 Jahren für ein Wirtschaftssystem ein, das die Wirtschaft stützt, die Umwelt schützt, uns Men-
© Ökosoziales foruM Österreich & euroPa hans Mayrhofer
schen nützt und auch morgen noch funktioniert. Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie sind die Übersetzung der Ökosozialen Marktwirtschaft in die Realwirtschaft. Wir bringen uns in die politische Debatte ein: Wir haben aktiv an der Erstellung der FTI- und der nationalen Bioökonomiestrategie sowie bei der Kreislaufwirtschaftsstrategie mitgearbeitet. In den letzten Jahren waren wir Hub-Leader für Österreich und Deutschland im EU-Projekt „BLOOM“. Ziel war es, das Wissen und Bewusstsein der europäischen Bevölkerung in Zusammenhang mit der Bioökonomie zu erhöhen. In unserem Projekt „fragen säen. antworten ernten.“ fördern wir den Austausch zwischen Wissenschaft, Land- und Forstwirtschaft sowie Konsumentinnen und Konsumenten, um eine fossilfreie und nachhaltige Land- und Forstwirtschaft im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Aktuell bauen wir im Auftrag des Waldfonds das österreichweite Netzwerk „Bioeconomy Austria“ gemeinsam mit vielen weiteren Partnern aus Wirtschaft, Forschung, Politik und Gesellschaft auf. Hier steht die Kreislaufwirtschaft im Holzbereich im Mittelpunkt.
Wohin geht aus Ihrer Sicht derzeit der Trend?
Mayrhofer: Versorgungssicherheit, Resilienz, Risikovorsorge, Klimaschutz und Erhöhung der regionalen Wertschöpfung. Die aktuellen Herausforderungen zeigen uns, dass sämtliche Sektoren nachhaltiger und unabhängiger von fossilen Ressourcen werden müssen. Bioökonomie ist hier eine wichtige Stellschraube und muss in unserem gesamten Wirtschaftssystem als Prinzip verankert werden: von Nahrungs- und Futtermitteln über Materialien wie Biopolymere oder Chemikalien bis zur Bioenergie.
Welche Aktivitäten gibt es auf europäischer Ebene?
Mayrhofer: Die Europäische Union positioniert sich als Vorreiterin. Etwa mit der neuen milliardenschweren Ausschreibung im „Circular Bio-based Europe Joint Undertaking“ soll die Wettbewerbsfähigkeit von Innovationen weiter gefördert werden. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Im Rahmen unseres von der Europäischen Kommission finanzierten Horizon 2020 Projekts „BLOOM“ haben
© ratioforM, landbox®
wir mit zwölf Partnern aus neun Ländern Bewusstseinsbildung betrieben und innovative Lehrmaterialien erstellt. Besonders stolz sind wir auf unseren Lehrkoffer zum Ausborgen. Der Koffer selbst besteht aus Zucker und beinhaltet zahlreiche Anschauungsbeispiele wie Biokunststoff in verschiedenen Verarbeitungsphasen vom Rohstoff bis zum Endprodukt, eine Thermobox aus Stroh oder einen Trinkbecher aus Holz und vieles mehr.
Welche Bedeutung hat die Nutzung von
Reststoffen aus der Lebensmittelproduktion derzeit?
Mayrhofer: Für eine nachhaltige
Bioökonomie müssen diese Reststoffe gescheit genutzt werden. Sie sind kein
Abfall, sondern wichtige Ausgangsbasis für andere Produktionsschienen. Reststoffnutzung ist bereits heute (teilweise) gängige Praxis. Reststoffe kommen als
Futtermittel, als organischer Dünger oder in Biogasanlagen zum Einsatz.
Hier besteht jedoch noch Optimierungsbedarf – vor allem hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit. Zudem besteht ein großes
Potenzial für die Erschließung neuer
Geschäftsfelder. Ein Beispiel, das zur
Jahreszeit passt: Spargelschalen bleiben derzeit am Feld zurück und schaden der
Bodenqualität. Im SpaPlast-Projekt der
Hochschule Hannover wird geforscht, wie die Schalen für Bioverbundwerkstoffe eingesetzt werden können.
Eine weitere Möglichkeit, Reststoffe optimal zu nutzen, ist die Bioraffinerie.
Dort wird Biomasse in unterschiedliche
Komponenten aufgeteilt. Die Anlage der
AGRANA in Pischelsdorf produziert etwa aus Weizenstärke Lebens- und Futtermittel sowie Produkte zur Papierherstellung und Bioethanol. Die verwendeten Ressourcen werden komplett verwertet. In Europa landen bis zu einem Drittel aller Lebensmittel im Müll. Im Rahmen unseres EU-Projekts © noWaste GMbh BLOOM haben wir daher die Universität
thermobox aus stroh
Cordoba in Spanien besucht, die versucht, aus Lebensmittelabfällen Biotreibstoff herzustellen. Das Potenzial für eine effiziente Reststoffnutzung ist riesig.
Gibt es Untersuchungen dazu, wie sich solche Produkte am Markt entwickeln? Wie viel könnte es noch werden?
Mayrhofer: European Bioplastics und das Nova-Institut veröffentlichten kürzlich eine Studie, in der von einer Verdreifachung der globalen Produktion in den nächsten fünf Jahren ausgegangen wird. Das meiste Wachstum weisen die meist biologisch abbaubaren PBAT, PBS und PLA auf, welche etwa für Verpackungen, Folien, Trinkbecher und Besteck verwendet werden. Knapp die Hälfte der Biokunststoffe wird aktuell für Verpackungen verwendet. Die Studienautoren prognostizieren eine Verringerung der Produktionskapazität in Europa zugunsten jener in Asien. Knapp 70 % der Biokunststoffe werden 2026 dort produziert werden.
Was müsste aus Ihrer Sicht in Europa passieren bzw. gemacht werden?
Mayrhofer: Wir brauchen Kostenwahrheit. Erdölbasierte Produkte verursachen gesellschaftliche Kosten, die nicht im Preis abgedeckt sind. Im Kunststoffbereich fallen diese hauptsächlich nach dem Lebenszyklus in Form von Verschmutzung, Mikroplastik und Gesundheitsschäden an. Manche Studien gehen sogar davon aus, dass die Folgekosten von Kunststoff den Marktpreis um das Zehnfache übersteigen. Es braucht Maßnahmen, die die ökologischen Vorteile von Recycling und biologisch abbaubaren Kunststoffen anerkennen. Dann würde sich auch die Marksituation zugunsten der Bioökonomie verändern.
Im Begriff Bioökonomie steckt auch die Ökonomie. Wie sieht es damit derzeit aus?
Mayrhofer: Um beim Beispiel Biokunststoffe zu bleiben: Aktuell sind Biokunststoffe etwa 20 Prozent teurer als konventionelle Kunststoffe. In den kommenden Jahren wird es hier zu einer Angleichung – vor allem durch Skalierungseffekte und Erdölpreissteigerungen – kommen. Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie schaffen auch zukunftsfähige Arbeitsplätze. Aktuell arbeiten über 20 Millionen Europäerinnen und Europäer in diesen Branchen. Bis 2030 werden laut Europäischer Union noch knapp drei Millionen dazukommen.
Nachhaltigkeit steht hoch im Kurs: Welche Maßnahmen der Bioökonomie haben besonders große Auswirkungen darauf?
Mayrhofer: Bei der praktischen Anwendung der Bioökonomie gibt es drei Möglichkeiten zur Verwirklichung des Nachhaltigkeitsprinzips. Das erste ist die bereits angesprochene Fraktionierung in der Bioraffinerie. Also die Aufspaltung von Biomasse in mehrere Komponenten. Das zweite ist die Kreislaufführung von Rohstoffen, also Wiederverwertung und Lebenszyklusverlängerung. Eine dritte Möglichkeit stellt die Kaskadierung dar, welche den Grundsatz der höherwertigen Nutzung vor niederwertiger Nutzung verfolgt. Ein Beispiel: Ein Vollholzprodukt wird zu spanbasiertem Produkt, welches im Anschluss zu Fasern verarbeitet und im letzten Schritt thermisch verwertet wird.
Wie halten Sie es persönlich – wobei achten Sie besonders auf Nachhaltigkeit?
Mayrhofer: Regionalität ist für mich besonders wichtig. Vor allem bei Nahrungsmitteln: Wir kaufen beim Fleischhacker ein, das Mehl bei einer kleinen Mühle im Ort und möglichst viel bei lokalen Geschäften. Zu wissen, wer hinter dem Produkt steht, hat viele Vorteile und schafft Vertrauen und Verbindlichkeit. Zudem betreibe ich ein regionales BiomasseHeizwerk, bei dem regionale Reststoffe zum Einsatz kommen. Das fördert auch die regionale Wärmeversorgung.
© Ökosoziales foruM Österreich & euroPa
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