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Versorgung mit Erdgas

Vor deM hinterGrund AnhAltender krieGshAndlunGen ZWischen russlAnd und der ukrAine bleibt dAs risiko eines VersorGunGsAusFAlls Für die Österreichische industrie Weiterhin hoch. uM erFolGreich WeiterZuArbeiten, brAucht die lebensMittelbrAnche entsPrechende rAhMenbedinGunGen. dAher Muss die Politik die VersorGunG der betriebe Mit erdGAs sicherstellen. denn ohne GAs Gibt es keine lebensMittel.

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Die Ukraine ist ein wichtiges Durchleitungsland für russisches Gas nach Europa – selbst in Kriegszeiten. Am 11. Mai wurde ein Teil des Transits mit Verweis auf die schweren Kämpfe gestoppt. Der ukrainische Netzbetreiber OGTSU teilte mit, dass die Gas-Lieferungen durch die Ukraine nach Europa teilweise eingestellt werden müssen, da die Nowopskow-Verdichterstation in der Luhansk-Region (Ostukraine) wegen „der Einmischung der Besatzungsmächte in technische Prozesse“ nicht mehr betrieben werden kann. Luhansk und die umlegenden Gebiete sind von russischen Truppen besetzt. Der russische Staatskonzern Gazprom hatte wenige Stunden zuvor bestätigt, dass am Mittwoch nur 72 Millionen Kubikmeter Gas durch die Ukraine in Richtung Westen fließen sollen. Am Vortag habe das Auftragsvolumen noch bei 95,8 Millionen Kubikmetern gelegen. Aufträge für die im Grenzgebiet gelegene Messanlage Sochraniwka, die Teil der Sojus-Pipeline ist, würden nicht mehr angenommen, hieß es vom ukrainischen Netzbetreiber OGTSU. Die Begründung: Russlands Besatzung mache die Kontrolle der Anlage und die der Verdichterstation Nowopskow unmöglich. OGTSU sprach von einem Fall „höherer Gewalt“. Der russische Staatskonzern bekräftigte einmal mehr, alle seine Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden zu erfüllen. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung des russischen Gas-Transits über die Ukraine liegt bei 109 Millionen Kubikmetern täglich. Den Angaben aus Kiew zufolge können nun bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter pro Tag wegfallen. Die Ukraine bezieht aus der Durchleitung des russischen Gases wichtige Durchleitungsgebühren – und mahnte Gazprom an, diese auch weiter wie vereinbart zu zahlen. Betroffen von dem Transit-Stopp ist eine von mehreren Leitungen durch die Ukraine, konkret die Sochraniwka-Route der Sojus-Pipeline. Das bedeutet, dass der Transit von Gas nach Österreich und Europa über diesen Übergabepunkt nicht mehr möglich ist. Ein Teil der Gasmengen konnte auf einen anderen Übergabepunkt umgelagert werden. Der Gasfluss über Nordstream 1, die die Hauptroute für den Gastransit nach Europa darstellt, ist konstant geblieben. Die Austrian Gas Grid Management AG (AGGM) schreibt in ihrem Lagebericht vom 15. Mai: „Die Gasflüsse in Richtung aller österreichischen Marktgebiete, auch die Importe über die Ukraine, laufen weiterhin stabil. Die Preissituation an den Märkten ist weiter angespannt und liegt bei knapp unter € 100,-/MWh. Die heimische Versorgung von Endkunden wird heute aus Importen gedeckt. Die Speicher werden signifikant befüllt.“

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oliver dworak

© adobe stock – VladiMir GerasiMoV

Versorgungsausfall der Industrie unbedingt vermeiden

Die Liefereinschränkung durch die Ukraine kommt, noch bevor Österreich in ausreichendem Maß alternative Gasexporteure und Transportwege für seine Energieversorgung sichergestellt hat. Es wird darauf ankommen, ob die Vorräte und bereits getroffenen Notmaßnahmen ausreichend sind, den Importverlust auszugleichen. Der monatliche Gasverbrauch der Industrie beträgt zwischen 2,6 und 4 TWh. Rund zwei Drittel davon gehen an die Großabnehmer, das sind rund 30 große Industrieanlagen bzw. -kraftwerke mit einer vertraglich vereinbarten Höchstleistung von mehr als 50 000 kWh pro Stunde, z. B. in der Raffinerie, der Stahlindustrie, der chemischen Industrie und der Papierindustrie. Ebenfalls rund 30 Großabnehmer gibt es in der Energiewirtschaft. Diese Gruppe ist mit bestimmten Meldepflichten in der Erdgas-Energielenkungsdaten-Verordnung 2017 definiert. Eine weitere Gruppe sind Anlagen mit Lastprofilzählern, etwa in den Branchen Steine/Erden/Glas, Nahrungsmittel, Maschinenbau, Bergbau, Gasförderung, NE-Metalle und Holzindustrie. Mögliche Energielenkungsmaßnahmen würden im konkreten Fall von mehreren Parametern abhängen, wie etwa dem aktuellen Gasverbrauch (je nach Jahreszeit und Witterung), der aktuellen Menge in den Gasspeichern, möglichen aktivierbaren Reserven der Gasproduktion, der Verfügbarkeit alternativer Versorgungsoptionen (andere Lieferanten, andere Routen), und nicht zuletzt der erwartbaren Intensität und Dauer der Lieferunterbrechung. Seitens BMK und E-Control wurden zuletzt „systemrelevante Verbraucher“ definiert, die von Energielenkungsmaßnahmen ausgenommen werden könnten, etwa in den Bereichen Nahrungsmittelindustrie, Raffinerie und Treibstoffe, Bergbau (wegen Erdgasförderung im Inland), Holzindustrie (wegen Pellets und Biomasse als mögliche Brennstoff-Substitute) sowie Kraft- und Heizwerke. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass viele Branchen und Betriebe über Produktions- und Logistikketten sowie Lieferungen und Leistungen eng miteinander verbunden sind. Daher wäre die Industrie in ihrer ganzen Breite von einem Gas-Stopp äußerst kritisch beeinflusst. Zwar haben zahlreiche Unternehmen bereits Vorkehrungen für einen möglichen Krisenfall getroffen; weitergehende Umstellungen der Produktionsprozesse bräuchten hingegen längere Zeit.

Registrierung für Strategische Gasreserve ausgeschrieben

Die AGGM übt die Funktionen des Marktgebietsmanagers im österreichischen Marktgebiet Ost sowie des Verteilergebietsmanagers in den österreichischen Verteilergebieten Ost, Tirol und Vorarlberg aus und unterstützt als unabhängiger Systembetreiber in zentraler Rolle das Funktionieren des Gasmarkts im gesamten Bundesgebiet. Sie wurde durch eine Novelle zum Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG) mit der Beschaffung und Verwaltung der österreichischen strategischen Gasreserve beliehen. Im Rahmen eines marktbasierten, transparenten, nichtdiskriminierenden und öffentlichen Ausschreibungsverfahrens sollen 12,6 TWh Gas aus Bundesmitteln beschafft werden, um die Versorgungsicherheit in den österreichischen Marktgebieten Ost, Tirol und Vorarlberg zu

Abbildung: Monatlicher Gasverbrauch der industrie gesamt; copyright: e-control, bMk

erhöhen. Die strategische Gasreserve ist in Speicheranlagen vorzuhalten, die für eine unmittelbare Ausspeisung in das Marktgebiet Ost genutzt werden können. Die Vorhaltung für die Marktgebiete Tirol und Vorarlberg kann auch in Speicheranlagen erfolgen, die an benachbarte Marktgebiete angeschlossen sind. Die AGGM hat zum Zweck der ausschließlichen Wahrnehmung dieser Aufgaben eine Tochtergesellschaft, die ASGM Austrian Strategic Gas Storage Management GmbH, gegründet. Die Registrierungsperiode ist am 10.5. gestartet, die Angebotsphase beginnt am 16.5., und der weitere Zeitplan des Ausschreibungsverfahrens sieht vor, dass eine Befüllung der strategischen Gasreserve ab 1.6.2022 erfolgen kann.

Überblick Gasversorgung in Österreich

Der Gasverbrauch schwankt saisonal stark und ist im Winter höher. Im Jänner 2021 wurden 12,2 TWh, im Juni hingegen nur 3,6 TWh verbraucht. Bis Dezember stieg der Verbrauch kontinuierlich auf wieder 10,9 TWh an. Der Industrieanteil lag ziemlich konstant bei rund 3 TWh (2,6 -4 TWh), während vor allem die Haushalte je nach Jahreszeit stark unterschiedliche Mengen verbrauchten. Die Produktion von Nahrungsmitteln hatte daran einen Anteil von etwa 0,5 TWh. Diesem saisonalen Verlauf entsprechend haben auch die Speicherstände unterschiedliche Höhen. Zwischen April und Oktober werden traditionell die Speicher aufgefüllt und von November bis März daraus die benötigten Mengen abgerufen. 95 TWh können in Speichern auf österreichischem Staatsgebiet gelagert werden, wobei allein der Speicher Haidach 33 TWh ausmacht. Für November 2022 wurde als Ziel eine 80%ige Befüllung der Speicher als Vorsorge für den Winter definiert. International hatte Lettland im Mai 2022 mit 62 % die höchste Speichermenge im Vergleich zum Jahresbedarf, Österreich lag mit 20 % über dem EU-Durchschnitt von 9 %. Belgien hatte nur ein Prozent Speichermenge. Es existiert ein diskriminierungsfreier Marktzugang. Auch italienische, slowenische und deutsche Unternehmen speichern in Österreich Gasmengen. Umgekehrt werden Speicher in der Slowakei primär zur Bedienung des österreichischen Marktgebiets Ost genutzt.

Pläne für Krisen

Für den Fall von Krisen gibt es einen Notfallplan mit verschiedenen Stufen von Frühwarn-, Alarm- bis zur Notfallstufe. Die Frühwarnstufe ist aktuell aktiviert. Je nach Entwicklung der Lage kann es zu Energielenkungs-Maßnahmen bei Strom und Gas kommen, die einerseits auf EU-Ebene und andererseits national im Energielenkungsgesetz (EnLG) 2012 und Verordnungen geregelt sind. Das Ziel ist die Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie, einschließlich jenes für Zwecke der militärischen Landesverteidigung, die Aufrechterhaltung einer ungestörten Gütererzeugung und Leistungserstellung sowie die Versorgung der Bevölkerung und sonstiger Bedarfsträger. Ab Auslösen der Notfallstufe wird die Energielenkung aktiviert. Das Ziel ist die Abwendung einer unmittelbar drohenden Störung oder die Behebung einer bereits eingetretenen Störung der Energieversorgung Österreichs, sofern diese Störungen keine saisonale Verknappungserscheinung darstellen oder durch marktkonforme Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnis-

mäßigen Mitteln abgewendet oder behoben werden können. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) sowie der E-Control zu.

Welche Maßnahmen können im Fall der Energielenkung gesetzt werden?

• Zusätzliche Mengen an Erdgas aktivieren durch Entnahme aus Speichern, mehr inländische Produktion,

Solidaritätslieferungen aus anderen

Ländern … • Verbrauch bei bestimmten Endverbrauchern bzw. -gruppen reduzieren, indem z. B. Kessel stillgelegt werden,

Produktionslevel verringert werden, die Vorlauftemperatur im Fernwärmenetz reduziert wird oder Erdgas durch Öl substituiert wird.

Dabei kann es technische Einschränkungen bei Großabnehmern geben und Anweisungen zur Verbrauchseinschränkung sowohl bei lastprofilgezählten Verbrauchern als auch bei Haushalten und Dienstleistungsunternehmen. Ausnahmen sind je nach Szenario vorgesehen für die Lebensmittelindustrie, Raffinerie und Treibstoffe, Bergbau, Holzindustrie sowie Kraft- und Heizwerke. Die Lebensmittelindustrie weist dabei regelmäßig auf ihren Status als systemrelevante Industrie hin und verlangt von der Politik Garantien, dass ihre Produktion durch ausreichende Gasversorgung sichergestellt wird, weil sonst die notwendigen Mengen an Lebensmittel in Österreich fehlen würden. Es ist derzeit kein detaillierter Plan für den Energielenkungsfall bekannt. Es wird seitens des BMK argumentiert, dass zu viele Einflussgrößen als Variable zu beachten sind, wie z. B. aktueller Gasverbrauch, aktuelle Mengen in Speichern, aktivierbare Level an Gasproduktion, Verfügbarkeit alternativer Versorgungsoptionen, die Intensität und Dauer der Lieferunterbrechung sowie der Zeitpunkt, zu dem diese eintritt, Aufbau- oder Entnahmephase der Speicher).

Verpflichtende Gasreserven auch in

der EU geplant Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird zunehmend zu einem Energiekrieg. Russlands mächtigste Waffe: sein Gas. Nachdem die staatliche Gazprom Anfang des Monats Bulgarien und Griechenland den Gashahn zugedreht hat, befürchtet Finnland nun Ähnliches, weil das Land aus Angst vor einem russischen Einfall der Nato beitreten möchte. Die EU-Länder unterstützen deshalb ein geplantes Gesetz für verpflichtende Gasreserven in der EU, um die Energieversorgung im nächsten Winter zu sichern. Das Gesetz sieht vor, dass die Gasreserven dieses Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sein sollen, und in den nächsten Jahren zum gleichen Stichtag zu 90 Prozent. Im aktuellen Textvorschlag des französischen Ratsvorsitzes wurde auch auf Kernanliegen Österreichs eingegangen: einerseits beschränkt sich im Vorschlag die kapazitätsbasierte Speicherpflicht auf jene Speicheranlagen, die sich auf eigenem Territorium befinden, direkt ans inländische Gasnetz angebunden sind und hauptsächlich für die Inlandsversorgung genutzt werden. Andererseits wurde eine Obergrenze bei 35% des durchschnittlichen Inlandsverbrauchs der letzten fünf Jahre hinzugefügt. Österreich ist in der besonderen Lage, 100% des Erdgasjahresverbrauchs einlagern zu können; im Schnitt können andere EU-Staaten rund 25% einlagern. Eine 90%-Einspeicherquote wäre demnach mit außerordentlich hohen Kosten verbunden und könnte zu künstlichen Preisspitzen führen, was wiederum einen Nachteil für die Gasverbraucher bedeuten würde. Auch die seitens der Kommission fixierten monatlichen Einspeichervorgaben könnten künstliche Preisspitzen verursachen, was höhere Energiepreise für Industrie und Haushalte zur Folge hätte. Auch das Parlament hatte seine Position schon festgelegt, somit können die Verhandlungen beginnen, damit das Gesetz rechtzeitig zum Winter in Kraft tritt. Die EU hat sich vorgenommen, so schnell wie möglich von russischen Energie-Lieferungen loszukommen – laut einem Vorschlag der Kommission sollen Gas-Importe bis Ende des Jahres um zwei Drittel reduziert werden.

Letzte Entwicklung

Die österreichische Bundesregierung hat im Ministerrat vom 18.5.2022 und in weiterer Folge der Nationalrat am 19.5. ein Maßnahmenpaket zur Gasspeicherung beschlossen.

Dieses Paket besteht im Wesentlichen aus:

• der Erhöhung der Strategischen Gasreserve von 12,6 auf 20 TWh, • der Verpflichtung von Speichernutzern, ungenutzte Kapazitäten anzubieten oder zurückzugeben, was speziell den Gasspeicher Haidach im

Bundesland Salzburg betrifft, • der Anbindung aller österreichischen

Speicher an das österreichische

Gasnetz (GWG-Novelle), ebenfalls besonders relevant für den Speicher

Haidach, • neuen Entschädigungsregelungen zur Abgeltung von Vermögensnachteilen bei Energielenkungsmaßnahmen (Novelle des Energielenkungsgesetzes).

Die Umsetzung dieser Maßnahmen

erfordern Novellen im Gaswirtschaftsgesetz (GWG) und Energielenkungsgesetz (EnLG). Im Falle einer Energielenkung steht den Betrieben durch diese Novelle ihr eingespeichertes Gas zur Verfügung. Wer selbst Gas hat, ist von Maßnahmen wie etwa einer verpflichtenden Verbrauchsreduktion in einem ersten Schritt nicht betroffen und kann auf die eigenen Reserven zugreifen, um die Produktion fortzusetzen. Erst wenn es die Systemstabilität erfordert, greift der Staat auch auf diese Reserven zu. Sollte es zu einem Zugriff auf die Reserven der Unternehmen kommen, steht diesen dafür eine Entschädigung zu. Sie bekommen das verwendete Gas vom Staat finanziell abgegolten. Diese Maßnahmen sind für die Dauer von drei Jahren befristet und gelten für eine eingespeicherte Menge von maximal 50 % des eigenen Jahresverbrauchs. Das Bündel an Maßnahmen soll eine umfassende Einspeicherung in allen österreichischen Speichern sicherstellen und damit einerseits die Versorgungssicherheit mit Erdgas verbessern und zur Reduktion der Abhängigkeit von russischem Erdgas beitragen.

DI Oliver Dworak Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich, Wien

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